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Helmut Creutz:

Stellungnahme zu dem Buch von Bernard Lietaer

"Das Geld der Zukunft - über die destruktive Wirkung des existierenden Geldsystems und die Entwicklung von Komplementärwährungen", Riemann-Verlag 1999

 

Das vorstehende Buch wird kein Leser ohne wesentliche Zugewinne an Informationen und Erkenntnissen aus der Hand legen. Das trifft nicht nur auf die detaillierten Beschreibungen alternativer Geld- und Verrechnungssysteme in aller Welt zu, sondern vor allem auch auf die vielen Beiträge die über die im Titel des Buches angesprochene Thematik hinausgehen.

Da diese positiven Seiten des Buches in allen mir bekannten Rezensionen ausführlich gewürdigt wurden, kann ich auf eine detaillierte Wiederholung mit eigenen Worten verzichten. Als jemand der sich seit mehr als 20 Jahren mit Analysen unseres Geldsystems befasst, möchte ich vielmehr auf einige spezielle Punkte eingehen, die aus meiner Sicht einiger Anmerkungen und Ergänzungen bedürfen.

So scheint mir z.B. die Beschreibung der "destruktiven Wirkung des existierenden Geldsystems", vor allem gemessen am Umfang der den Komplementärwährungen eingeräumten Buch-Anteile, etwas zu kurz gekommen zu sein. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass erst die genauere Beschreibungen dieser Destruktivitäten dem Leser den Sinn und die Notwendigkeit alternativer Wege verdeutlichen dürften. Außerdem hatte ich persönlich an dieses Buch eines Insiders die Hoffnung geknüpft, über das allgemeine Informationsniveau hinausgehende neue Details über das existierende Geldsystem erfahren zu können.

Neben diesen eher allgemeinen Bemerkungen, möchte ich nachfolgend einige bestimmte Aussagen bzw. Textstellen aus dem Buch kritischer beleuchten. Dies trifft vor allem auf die mehrfach wiederholten Verknüpfungen des Geldbereichs mit Begriffen wie Alchemie, Magie oder Mysterium zu. Solche Begriffe könnten m.E. viele Leser, die mit dem Nachvollzug monetärer Vorgänge sowieso ihre Schwierigkeiten haben, zusätzlich verwirren bzw. auf falsche Fährten lenken. Das gilt vor allem auch für die mehrfach angeführte und nachfolgend von mir behandelte Theorie der so genannten multiplen Geldschöpfung, die auch immer noch durch die meisten Lehrbücher geistert.(1)

Die Theorie der multiplen Geldschöpfung durch die Banken

Nach dieser Theorie können - wie es im Kasten auf Seite 68 des Lietaer-Buches heißt - aus "ursprünglich 100 Millionen der Zentralbank 900 Millionen als 'Kreditgeld' entstehen". Diese wundersame Geldvermehrung wird dann durch die Darstellung auf Seite 69 noch optisch untermauert.

Um die Fragwürdigkeit dieser Schöpfungstheorie besser vermitteln zu können, gebe ich diese Darstellung nachfolgend noch einmal detaillierter wieder:

 

Geht man den Vorgängen einmal von der Theorie unbelastet nach, dann zeigt sich, dass:

1. jeder erneuten Verwendung der als Anfangssumme eingesetzten 100 Millionen jedesmal auch eine erneute Einlage irgendeines Bankkunden voraus geht.

2. die wiederholte Reservebildung und Kreditgewährung durch die Banken nur möglich ist, wenn und so lange der Einleger über sein Guthaben nicht selbst durch Abhebung oder Überweisung verfügt.

3. es bei den dargestellten Vorgängen zu keiner wie auch immer gearteten Vermehrung der in Umlauf gegebenen 100 Millionen kommt, die sich auf jeder Stufe aus den bisher gebildeten Reserven und dem zuletzt gewährten Kredit immer wieder auf 100 addieren.

4. es nicht nur zu keiner Vermehrung der Geldmenge kommt, sondern, bezogen auf die in der Wirtschaft aktive Geldmenge, sogar zu einer ständigen Verringerung, da die gesamten 100 Millionen nach und nach in den Reserven verschwinden.

5. sich durch eine wiederholte Verwendung von Geld, ob zum Kaufen, Verleihen oder Schenken, niemals das Geld vermehrt, sondern lediglich die Summe der nacheinander getätigten Kauf-, Verleih- und Schenkungsvorgänge.

Diesen Tatbeständen kommt man sehr schnell auf die Schliche, wenn man in der Ablaufkette statt der Banken einmal eine Kette von Geschäften einsetzt, und statt der Verleihvorgänge Verkaufsvorgänge. Auch hier würden sich, wenn jeder Geschäftsinhaber zehn Prozent in die Reserve nimmt und der Rest in einem weiteren Laden kaufend eingesetzt wird, die gleichen Ergebnisse an Reserven und Umsätzen ergeben. Kaum jemand käme hierbei jedoch auf die Idee, dass aus 100 Millionen Zentralbankgeld 900 Millionen Kaufgeld entstehen und sich damit das Geld vermehren würde. Denn was sich hier im Gleichschritt mit den Durchläufen des Geldes durch die Läden vermehrt, sind immer nur die Kauf-Umsätze. Nicht anders aber vermehren sich auch bei den Durchläufen des Geldes durch die Banken immer nur die Verleih-Umsätze und damit Guthaben und Schulden, nicht aber das Geld.

Eine solche Vermehrung des Geldes ist den Banken auch schon deshalb nicht möglich, weil sie für jeden Geschäftsvorgang in gleicher Höhe über Zentralbankgeld verfügen müssen. Das gilt nicht nur für die Auszahlungen an den Bankkassen, sondern auch für alle Überweisungen, gleichgültig ob im Auftrag eines Sparers oder Kreditnehmers. Denn auch dazu muss die Überweisende Bank in entsprechender Höhe Zentralbankgeld zur Verfügung haben und an die empfangende Bank übertragen. Dieses Zentralbankgeld aber können die Banken nicht selbst schaffen oder vermehren.(2)

Der grundlegende Fehler bei der Geldschöpfungstheorie ist, dass dabei die Menge des Geldes mit der Menge der damit getätigten Vorgänge verwechselt bzw. zusammen addiert wird. Oder anders ausgedrückt: dass man die Verwendung des Geldes mit seiner Vermehrung gleichsetzt, also das Transportmittel mit dem Transportvolumen. So wenig aber wie es durch eine wiederholte Verwendung von Waggons für Transportzwecke zu einer Vermehrung der Waggons kommt, so wenig kommt es bei einer wiederholten Verwendung von Geld für Kauf- oder Verleihzwecke zu einer Vermehrung des Geldes.

Geldschöpfung für Regierungen

Auch die in dem Kasten auf Seite 68 angeführte Inumlaufsetzung von Zentralbankgeld zur Begleichung staatlicher Rechnungen muss den Leser verwirren, weil sich in keinem halbwegs zivilisierten Land eine Regierung ihre Ausgaben von der Notenbank bezahlen lassen kann. Nach Artikel 21 des Maastrichter Vertrags ist der EZB und den nationalen Zentralbanken die Kreditvergabe an öffentliche Haushalte sogar ausdrücklich verboten, selbst der unmittelbare Erwerb öffentlicher Schuldtitel.

Gehen die Ausgaben einer Regierung über die Einnahmen hinaus, erhalten diese also kein zusätzlich herausgegebenes Geld von der Notenbank, sondern sie müssen sich das fehlende Geld von ihren Bürgern leihen, gleichgültig ob aus deren Ersparnissen bei den Banken oder durch den Verkauf von Schuldverschreibungen. Haben die Bürger nicht genügend Ersparnisse gebildet, bleibt den Regierungen allenfalls noch die Kreditaufnahme in anderen Ländern, die über Ersparnisüberschüsse verfügen.(3)

Schulden gleich Geld

Ebenfalls verwirrend erscheint mir die Darstellung des Geldes als Schuldschein bzw. Schuldanerkenntnis. Wenn ich einen Handwerker für eine Reparatur mit einem 100-DM-Schein bezahle, schuldet mir weder dieser etwas noch ich ihm. Vielmehr begleiche ich mit dem Schein meine Schuld bei dem Handwerker, für den wiederum der Schein eine Bestätigung für eine eingebrachte Leistung ist, die er seinerseits bei einem Dritten gegen eine Leistung einlösen kann.

Irritierend ist auch die Gleichstellung von Geld und Schulden als "die beiden Seiten einer Münze" (S.70). Denn Schulden sind kein Geld, sondern das Ergebnis einer Geld-Ausleihe und die Verpflichtung zu seiner Rückgabe. Und diesen Schulden steht auf der Ausleiher-Seite ein gleichhohes Guthaben gegenüber. Mit der Rückzahlung der Schuldensumme verschwindet darum auch kein Geld, sondern lediglich, zusammen mit den Schulden, das mit der Ausleihe entstandene Guthaben. Das bei dem Ausleihe-Vorgang benutzte Geld wandert bei der Tilgung also nur wieder an denjenigen zurück, der es übrig und ausgeliehen hatte. Das gilt auch dann, wenn der Vorgang in zwei Schritten über Banken abläuft. - Auch hier wird offensichtlich wieder das Transportmittel Geld mit den Transportvorgängen bzw. Geld mit Guthaben verwechselt!

Geld verschwindet nur dann aus dem Kreislauf, wenn sich bei den Banken mehr Zentralbankgeld ansammelt als laufend wieder bei ihnen abgefragt bzw. von ihnen für Überweisungen und neue Kredite eingesetzt wird. In diesem Fall würden die Geschäftsbanken dieses überschüssige Geld zur Senkung ihrer Schulden an die Zentralbank zurückgeben, womit sich die Geldmenge verringert.

Einnahmen der Banken

Zweifellos nehmen die Umsätze und Gewinne zu, die von den Banken außerhalb der allgemeinen Kreditgeschäfte erwirtschaftet werden. Der auf Seite 71, dritter Absatz, erweckte Eindruck, dass diese Kreditgeschäfte nur noch von geringer Bedeutung wären, trifft jedoch, zumindest in Europa, nicht zu. So weisen die von der Deutschen Bundesbank jährlich veröffentlichten Geschäftsergebnisse der deutschen Banken für 1998 einen Überschuss aus dem zinsabhängigen Geschäft von 148 Mrd DM aus, für den aus Provisionsgeschäften nur von 36 Mrd DM.(4)

Auch nach der Definition der EZB ist die wirtschaftliche Tätigkeit der Geschäftsbanken immer noch dadurch gekennzeichnet, "Einlagen des Publikums entgegenzunehmen und Kredite auf eigene Rechnung zu gewähren und/oder in Wertpapieren zu investieren."(5)

Resümee:

Auch manche andere Aussagen Lietaers wären noch eingehender zu diskutieren. Das gilt z.B. für seine Aussage auf Seite 95, in der er die EZB als "Privatunternehmen im Besitz von Banken" bezeichnet. Weiter gilt dies für seine Hoffnung auf ein Weltgeld, das von Multis herausgegeben und durch bestimmte Waren gedeckt werden soll. Einmal stellt sich hier die Frage, ob man ausgerechnet von diesen Institutionen eine positive Korrektur der "destruktiven Wirkungen unseres existierenden Geldsystems" erwarten kann. Zum anderen scheint es mir überflüssig, ein Geld durch irgendwelche Waren zu decken (gleichgültig ob Gold, Boden oder sonst etwas), da die Deckung einer Währung immer nur aus den Gütern und Leistungen bestehen sollte, die man am Markt dafür erhält.

Bei aller Sympathie für die vielfältigen Modelle existierender oder möglicher Komplementärwährungen bleibt weiterhin die Frage, ob von diesen, angesichts der Größenordnung und Dominanz des gegebenen Geldsystems, tatsächlich eine merkliche Veränderung unserer auf einen Zusammenbruch hinauslaufenden monetären Problementwicklungen zu erwarten sein kann. Sicher ist es in vielen Fällen hilfreich, wenn sich die Passagiere eines in gefährliche Gewässer geratenen Dampfers aus den Möbeln ihrer Kabinen Rettungsflöße bauen. Sinn- und wirkungsvoller aber wäre es nach meiner Auffassung, wenn sie sich statt dessen gemeinsam für eine Kurskorrektur des Dampfers einsetzen würden.

 

 

 

 

 

Anhang: Erwiderung auf die Argumente der Geldschöpfungs-Befürworter

Gegen die Ablehnung der Schöpfungstheorie werden von ihren Befürwortern immer wieder bestimmte Argumente vorgebracht. Da diese auch bei der Tagung in Steyerberg angesprochen wurden, soll hier auf die wichtigsten kurz eingegangen werden:

1. Argument: Schon die Goldschmiede im Mittelalter haben für die eingelegten Goldmünzen mehrere umlauffähige Quittungen ausgestellt, ausgehend von der Erfahrung, dass diese nicht gleichzeitig zur Einlösung vorgelegt werden. Ebenso können heute auch die Banken auf eine Einlage mehrere Kredite vergeben, da nur wenige in Bargeld abgefordert werden.

Hier bleibt wieder unbeachtet, dass die Banken nicht nur bei einer Inanspruchnahme des Kredits durch Barabhebungen über Zentralbankgeld verfügen müssen, sondern auch bei allen Überweisungen (siehe Fußnote 2).

2. Argument: Über Sichtguthaben können sowohl die Einleger als auch die Banken gleichzeitig verfügen, womit sich die Nachfrage bzw. das Geldvolumen in der Wirtschaft verdoppelt.

Hier wird übersehen, dass die Banken nur zwischenzeitlich über die Einlagen verfügen können, bis das die Einleger selbst tun. Es gibt also keine gleichzeitige Nutzung, sondern nur eine nacheinander. Damit kommt es aber zu keiner Ausweitung der Geldmenge, sondern nur zu einer effektiveren Nutzung.

3. Argument: Die multiple Geldschöpfung der Banken ist zwar nicht mit Bargeld möglich, wohl aber mit Giralgeld.

Wie schon beim ersten Argument, wird auch hier der Tatbestand außer Acht gelassen, dass die Vorgänge auf den Kundenkonten gewissermaßen nur Schatten der ablaufenden Zentralbankgeld-Übertragungen sind. Konkret: Wenn die Bank B in der Schemadarstellung von der Bank A keine 90 Geldeinheiten in Zentralbankgeld erhält, wird dieser Betrag auch niemals auf dem Kontoauszug des Kunden als Gutschrift erscheinen.

Es ist darum völlig gleichgültig, ob man den Durchlauf des Geldes in der Schemadarstellung mit Bargeld oder Giralgeld durchspielt oder auch mit einen mehrfachen Wechsel der Zahlungmittelarten.

4. Argument: Der Dissens in der Geldschöpfungsfrage resultiert aus den unterschiedlichen Auffassungen, was als Geld gesehen wird, ob Bargeld, M1, M2 oder M3.

Die Wahl des Geldbegriffs ist für das anstehende Problem völlig ohne Belang. Gleichgültig welche Geldmenge man als zutreffend ansieht: Entscheidend für die Schöpfungsfrage ist alleine, ob die Banken aus den Einlagen ihrer Kunden mehr machen können.

Im übrigen gehören Kredite - ob geschöpft oder nicht - niemals zu irgendwelchen Geldmengen. Sie geben lediglich, wie auch die Guthaben, den Stand der offenen Rückzahlungsverpflichtungen wieder. Darum ist auch die Addition von Zahlungsmitteln und Guthaben als Geldmenge - zumindest in M2 und M3 - eine mehr als fragwürdige Angelegenheit.

 

 

 

 

 

Fußnoten:

(1) z.B. H. Dettmer, Volkswirtschaftliche Grundbildung, Gehlen, Bad Homburg v.d.H.

(2) "Die Banken untereinander akzeptieren kein Girogeld, sondern erwarten den Ausgleich ihrer Geldmarktforderungen in Zentralbankgeld". - Wendelin Hartmann, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, 1994

(3) "Deutschland ist in den Jahren nach der Vereinigung zu einem Kapitalimporteur geworden. Zwischen den Ersparnissen der Deutschen und der Nachfrage nach Finanzmitteln klafft eine Lücke, die durch ausländische Kapitalgeber geschlossen werden muss." - Otmar Issing, Chefvolkswirt der EZB, FAZ vom 7. Febr. 1995

(4) Gewinn- und Verlustrechnungen der Kreditinsitute, Monatsbericht Juli 1999, S. 50

(5) Monatsbericht Mai 1999 der EZB, S. 36


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