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Helmut Creutz in 'IG Medien Forum' 6-7/96; S. 11 - 15


DIE KASSEN SIND LEER - WO IST DAS GELD?

Geld ist genug da - Es sammelt sich bei denen an, die schon zuviel haben

Bundesländer verringern Personalausgaben - Gemeinden schließen Bibliotheken und Schwimmbäder - Bonn kürzt den Sozialetat - Nürnberg spart an den Geldern für die Arbeitslosen ...

Solche und ähnliche Meldungen kann man fast täglich in der Zeitung lesen. Doch trotz aller Einsparungen an allen Ecken und Enden verscherbeln Bund, Länder und Gemeinden auch noch ihr ganzes Tafelsilber: Post, Bahn, Beteiligungen und vor allem Immobilien.

Doch auch dieser Rückgriff auf das Eingemachte reicht schon lange nicht mehr aus. Darum werden immer höhere Schulden aufgetürmt, die wegen ihrer Zinsbelastung die Engpässe wiederum vergrößern. Auch wenn die Zahlungsunfähigkeit nach dem Muster USA noch etwas auf sich Warten lassen wird: Alleine der Bund mußte 1995 bereits ein Viertel seiner Einnahmen für den Zinsendienst aufbringen, weit mehr als für die vielgeschmähten Militärausgaben.

Doch wie kommt es zu dieser Ebbe in den öffentlichen Kassen? Ist ein Rückgang unserer Wirtschaftsleistung die Ursache? Oder wird unser Land durch andere Ursachen ärmer? - Keinesfalls! Von 1980 bis 1992 haben mir unser Sozialprodukt um real 33 Prozent gesteigert, das heißt, den materiellen Wohlstand nochmals um ein Drittel vermehrt. Und nach dem kurzen Rückfall 1993 können wir nun wieder von realen Wachstumsraten um zwei Prozent ausgehen. Zwei Prozent reales Wachstum heute aber sind in absoluten Mengen soviel wie zehn Prozent in den 50er Jahren!

Noch günstiger sieht die Sache bei den Geldvermögen aus. Diese haben von 1980 bis 1992 real sogar um 68 Prozent zugenommen, und Tag für Tag wachsen sie um mehr als eine Milliarde DM weiter an. Alleine die Zinseinnahmen, die den vorhandenen Geldvermögen gutgeschrieben werden, liegen bei fast 900 Millionen täglich.

Wie aber ist es möglich, daß angesichts dieses ständigen Leistungs- und Reichtumswachstums die Armut bei uns um sich greift? Wie kommt es zu den Engpässen in öffentlichen und zunehmend auch in privaten Kassen? Wie kommt es, daß die Zahl der Arbeitslosen und Hilfsbedürftigen ständig wächst, Lohnanpassungen unterbleiben und inzwischen sogar Lohnkürzungen eingefordert werden?

Wenn man einen ausreichend großen Kuchen unter einer gleichbleibenden Zahl von Essern aufteilt, braucht niemand Hunger zu leiden. Schneidet aber jemand vorab ein größeres Stück heraus, bleibt den anderen weniger übrig. Es sei denn, sie backen einen größeren Kuchen. Wachsen die Ansprüche jenes Nimmersatten jedoch rascher als man den Kuchen größer backen kann, nehmen - trotz des immer größeren Kuchens - die Hungerleider zu. Genauso ist es in der Wirtschaft: Unser Leistungskuchen - das Sozialprodukt - wird jedes Jahr zwischen Kapital und Arbeit aufgeteilt. Bei dieser Aufteilung aber sind die Arbeitleistenden in der Hinterhand. Denn der Anspruch des Geldkapitals muß nicht nur vorrangig bedient werden, seine Größe und seine Zunahme steht auch schon vorher fest, gleichgültig ob die Wirtschaft viel oder wenig wächst. Resultierend aus Geldkapital mal Zinssatz, ist dieser Anspruch eine Größe, die niemals zur Debatte steht. Dabei spielt der schwankende Zinssatz als Multiplikator eine besonders gravierende Rolle.

Die Höhe der Zinssätze ist auch entscheidend für das weitere Wachstum der Geldvermögen. Denn deren Wachstum resultiert immer weniger aus Arbeitseinkommen und immer mehr aus Zinsgutschriften. Selbst die Bundesbank spricht bereits von einer "Selbstalimentation". Und da die Geldvermögen seit 30 Jahren rascher wachsen als die Wirtschaftsleistung, fallen die Arbeitseinkommen bei der Aufteilung des Wirtschaftskuchens relativ immer mehr zurück. Liegt der Zuwachs der Leistung unter dem Mehranspruch des Geldkapitals oder sinkt er gar gegen Null, müssen sich die Arbeitsleistenden sogar mit realen Rückgängen ihres Anteils abfinden. Besonders drastisch sind diese Verluste, wenn die Wirtschaftsleistung ins Minus geht, wie beispielsweise in den Krisenjahren 1974, 1982 und 1993.

Aufgrund der erhöhten Zinssätze explodieren aber auch die Zinsbelastungen der Schuldner. So mußten beispielsweise die Produktionsunternehmen 1992 mit rund 12 000 DM je Arbeitsplatz doppelt soviel an Zinsen aufbringen wie vier Jahre vorher. Hochverschuldete Unternehmen wurden dadurch zu Zehntausenden in den Konkurs getrieben, die anderen zu Einsparungen bei Investitionen und Lohnkosten gezwungen. Beides erhöht die Arbeitslosigkeit, die jeweils ein bis zwei Jahre nach dem Zinsgipfel ihren Höhepunkt erreicht.

Diese enge Wechselwirkung zwischen Zinslastanstieg und Arbeitslosigkeit geht aus der Darstellung 1 hervor.

Konjunktureinbruch und abnehmende Beschäftigung schlagen sich wiederum in den öffentlichen Kassen als rückläufige Steuereinnahmen nieder. Verstärkt werden diese Engpässe noch durch krisenbedingt ansteigende Sozialkosten. Vor allem aber schlägt der rasante Anstieg der öffentlichen Schuldenzinsbelastung zu Buche, da mit den höheren Zinssätzen auch der Zwang zur Höherverschuldung wächst. Abzumildern sind diese steigenden Belastungen nur durch ein erneutes und möglichst hohes Wirtschaftswachstum. Damit wird auch klar, warum bei uns die Verantwortlichen auch dann nach mehr Wirtschaftswachstum rufen, wenn dabei die Umwelt auf der Strecke bleibt. Denn ihnen bleibt heute wirklich nur die Wahl: Entweder ohne Wachstum in den sozialen oder mit Wachstum in den ökologischen Kollaps. Da jedoch das Wirtschaftswachstum schon lange nicht mehr mit dem der Geldvermögen und Zinsströme mithalten kann, steuern wir zwangsläufig auf beides zu.

Schulden können immer nur im Gleichschritt mit den Geldvermögen zunehmen. Denn leihen kann man immer nur von einem, der etwas übrig hat. Doch die ständig wachsenden Geldvermögen bieten nicht nur Möglichkeiten zu weiteren Verschuldungen, sie zwingen auch dazu! Dieser Zwang resultiert einmal aus dem Tatbestand, daß Staat und Wirtschaft die Lücken in den Kassen wieder schließen müssen, die durch die Zinszahlungen entstanden sind. Vor allem aber - und das wird viel zu wenig beachtet - besteht ein gesamtwirtschaftlicher Zwang zur Ausweitung der Schulden im Gleichschritt mit den Geldvermögen. Denn wird das übrige Geld aus den Kassen der Zinsbezieher nicht über Kreditaufnahmen in die Wirtschaft zurückgeführt, kommt es zu geldmangelbedingten Kreislaufunterbrechungen.

Sind Unternehmen und Privathaushalte nicht ausreichend zu weiteren Kreditaufnahmen bereit, "dann muß der Staat das am Markt entstehende Kapitalüberangebot aufnehmen, weil anderenfalls eine deflationäre Wirtschaftsentwicklung einsetzen würde". Auf diesen Verschuldungszwang, speziell der öffentlichen Haushalte, hat schon vor einigen Jahren der Wirtschaftsprofessor Rüdiger Pohl, einer der "fünf Weisen", in einem "ZEIT"-Artikel hingewiesen.

Entscheidend für das Überwachstum von Geldvermögen und Schulden ist der Tatbestand, daß die Zinssätze seit Jahrzehnten über den Wachstumsraten der Wirtschaft liegen. Ursache der hochbleibenden Zinssätze ist der Tatbestand, daß sich die Zinsbildung, im Gegensatz zu allen anderen Marktpreisen, den Kräften von Angebot und Nachfrage entziehen kann. Denn sinkt der Zins unter eine bestimmte Grenze, verknappen die Geldhalter ihr Angebot und verhindern damit ein weiteres marktgerechtes Absinken. Als Folge dieser künstlichen Verknappungsmöglichkeit kann das Geldkapital auch dann noch hohe Zinsen erpressen, wenn diese Aufgrund des Überwachstums der Geldvermögen und der Sättigung der Märkte gegen Null tendieren müßten.

Im allgemeinen wird auch heute noch angenommen, daß nur derjenige Haushalt Zinsen zahlen muß, der selbst einen Kredit aufgenommen hat. In Wirklichkeit aber müssen die Privathaushalte bzw. Endverbraucher auch für die vielfach höheren Schuldenzinsen der Unternehmen und des Staates geradestehen. Denn die gesamten Kapitalkosten der Unternehmen gehen in die Produktpreise genauso ein wie die Personal- und Materialkosten. Und bei den öffentlichen Haushalten stecken sie in allen Steuern und Gebühren. Diese Zusammenhänge sind in der Darstellung 2 wiedergegeben. In ihr wird das verfügbare Einkommen mit den Geldvermögens- bzw. Schuldengrößen verglichen, die auf jeden Haushalt bzw. Erwerbstätigen entfallen. Aus dem Vergleich der drei Bezugsjahre geht auch das Überwachstum der geldbezogenen Größen deutlich hervor.

Rechnet man die schuldenbezogenen Zinslasten in Arbeitszeiten um, dann mußte 1950 jeder Erwerbstätige etwa drei Wochen im Jahr für deren Bedienung arbeiten, 1970 sieben und 1990 elf Wochen. Für 1995 kann man bereits von einem 25-prozentigen Abfluß aus den verfügbaren Einkommen ausgehen und damit einer erforderlichen Arbeitszeit von einem Vierteljahr.

Dabei ist bisher nur von den Zinsen für das Geldkapital die Rede. Die Zinsen für das schuldenfreie Sachkapital kommen also noch hinzu. Zusammengenommen kommt man auf eine Zinsbelastungsgröße, die im Durchschnitt aller Ausgaben der Privathaushalte mit etwa 40 Prozent zu Buche schlägt. Das heißt, von jedem ausgegebenen 100-DM-Schein fließen inzwischen 40 DM in die Kassen der Zinseinnehmer. Bei den Mietausgaben und anderen kapitalintensiven Leistungen sind es je 100-DM-Schein sogar 60 bis 80 DM.

Natürlich stehen diesen von den Privathaushalten zu tragenden Zinslasten auf der anderen Seite auch Zinseinkünfte gegenüber. Diese aber verteilen sich nicht nach der Höhe der Ausgaben, sondern nach der Höhe der zinsbringenden Vermögen. Wie diese bei uns verteilt sind, geht aus der Darstellung 3 hervor.

Teilt man die bundesdeutschen Haushalte in zwei Hälften, dann besitzt die ärmere Hälfte nur vier Prozent der Geldvermögen, die andere Hälfte 96 Prozent. Doch auch hier konzentriert sich das Gros der Geldvermögen bei einer Minderheit. Noch größer als beim Geldvermögen ist diese Konzentration bei den zinsbringenden Sachvermögen.

Verrechnet man die Zinslasten und Zinseinkünfte je Haushalt gegeneinander, dann ist der Saldo bei acht von zehn Haushalten negativ und bei dem neunten Haushalt ausgeglichen. Nur bei dem zehnten Haushalt ist er positiv. Das heißt, dieses letzte reichste Zehntel der Haushalte ist der Gewinner dieses Zins-Monopoly-Spiels, und diese Haushaltminderheit gewinnt dabei genausoviel, wie alle anderen verlieren.

Ob er Gewinner oder Verlierer ist, kann jeder Haushalt leicht nachrechnen. Er braucht nur seine jährlichen Zinserträge mit jenen 40 Prozent seiner jährlichen Ausgaben zu vergleichen, die er als Zinsverlust verbuchen muß. Oder nach einer anderen Faustregel: Um diese Zinsverluste auszugleichen, benötigt man ein zinsbringendes Vermögen, das dem Sechs- bis Siebenfachen der gesamten Jahresausgaben entspricht.

Entgegen immer wieder zu hörenden Behauptungen fehlt es in unserer Volkswirtschaft nicht an Geld. Es sammelt sich, aufgrund der zinsbedingten Wirkungsmechanismen, nur immer mehr bei jenen an, die bereits zuviel davon haben. Dieser explosive Zustand kann nur durch ständige Rücktransfers über Kredite beseitigt werden. Mit diesen Rücktransfers aber wachsen die Zinsströme und damit die Umverteilungsspannungen noch mehr an.

Geldvermögen und Schulden schaukeln sich also wechselseitig hoch. Unser monetäres System funktioniert damit wie ein Motor, der nur mit ständig mehr Gasgeben weiterläuft. Alle Systeme aber, die auf diese unnatürliche Weise rückgekoppelt sind, müssen aus einfachen mathematischen Gründen in Selbstzerstörungen enden.

Als Folge unserer monetären Wirkungsmechanismen sind also weitere Problemzunahmen unausweichlich vorprogrammiert. Neben der Umwelt gefährden sie vor allem den sozialen Frieden. Schon Ernst Breit hat darauf hingewiesen, daß einem zunehmenden 'unverschämten Reichtum' eine ebenso zunehmende "verschämte Armut" gegenübersteht. Der Sozialsenator von Hamburg, Ortwin Runde, hat vor zwei Jahren ähnliches festgestellt, nämlich, daß in seinem Stadtstaat die Millionäre und die Sozialhilfeempfänger am raschesten zunehmen. Und er hat gewarnt, daß uns "Auseinandersetzungen wie in Lateinamerika drohen", wenn es uns nicht gelingt, die zunehmende Polarisierung zwischen Arm und Reich abzubremsen.

Aber nicht nur der Frieden innerhalb unserer Gesellschaft wird durch diese Polarisierung immer mehr bedroht, auch jener zwischen den Völkern. Und der Versuch, die Problemzunahmen im sozialen Bereich durch immer neues Wirtschaftswachstum zu lösen, beschleunigt den ökologischen Zusammenbruch.

Wer also nach Erklärungen für die zunehmenden Engpässe in den öffentlichen oder eigenen Kassen sucht, für die Einschnitte ins soziale Netz und die widersprüchliche Entwicklung von Reichtum und Armut, kommt nicht daran vorbei, sich mit den Wirkungsmechanismen unserer Geldordnung zu befassen.

Helmut Creutz


Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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