Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München


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8. Kapitel
Der Dauerbrenner Inflation
„Stabiles Geld ist nicht alles, aber ohne sta-
biles Geld ist alles andere nichts.„
Karl Schiller



Diese Aussage des ehemaligen bundesdeutschen Wirtschaftsmini-
sters Karl Schiller läßt sich zwar auf viele andere Bereiche übertra-
gen, z. B. „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist
alles andere nichts“. Bezogen auf Wirtschaft und Gesellschaft ist
die „Gesundheit“ des Geldes - seine Stabilität - jedoch tatsächlich
von grundlegender Bedeutung.




Ist die Notwendigkeit stabilen Geldes eine Erkenntnis unserer Tage?

Schon vor fast 500 Jahren hat Nikolaus Kopernikus in seinem
„Memorandum über Geld und Inflation“ geschrieben: „Unter
den unzähligen Übeln, welche den Zerfall ganzer Staaten herbei-
führen, sind wohl vier als die vornehmlichsten anzusehen: innere
Zwietracht, große Sterblichkeit, Unfruchtbarkeit des Bodens und
die Verschlechterung der Münze. Die ersten drei liegen so klar
zutage, daß sie schwerlich jemand in Abrede stellen wird. Das
vierte Übel jedoch, welches von der Münze ausgeht, wird nur von
wenigen beachtet, und nur von solchen, welche ernster nachden-
ken, weil die Staaten allerdings nicht gleich beim ersten Anlauf,
sondern ganz allmählich und gleichsam auf unsichtbare Weise
dem Untergang anheimfallen.“ Aber auch aus unserer Zeit gibt es
genügendgewichtige Stimmen. So hat John Maynard Keynes ge-
sagt, daß es keine spitzfindigere und tödlichere Methode gibt, um
die gesellschaftlichen Grundlagen zu zerstören, als die Vernich-
tung der Währung. Und von Fritz Leutwiler, dem früheren Präsi-
denten der Schweizerischen Nationalbank, stammt der Satz „De-
mokratie setzt, wenn sie funktionsfähig bleiben soll, eine stabile
Währung voraus.„
 Doch alle diese Mahnungen haben die Wissenschaft bislang nicht
bewegen können, sich intensiver über ein störungsfrei funktionie-
rendes Geld Gedanken zu machen. Für die meisten Ökonomen ist
Geld auch heute noch ein „Schleier“ oder „Schmiermittel“, ohne
direkte Auswirkungen auf das wirtschaftliche Geschehen.
 Das Dilemma ist entsprechend: Die wenigen Ökonomen, die
sich mit Geld befassen, sind sich nicht einig, was Geld eigentlich ist
und wer es schöpfen kann. Und die Notenbanken versuchen ver-
geblich, über immer neue Geldmengenkreationen die Geldwert-
stabilität zu erreichen.






Was ist eigentlich Inflation?

 Die meisten Menschen verwechseln immer noch Inflation mit stei-
genden Preisen. Dabei ist ein steigendes Preisniveau nur die Folge
der Inflation, an der sie meßbar wird. Statt von steigenden Preisen
müßte man also von sinkender Kaufkraft des Geldes reden. Aber
auch hier läßt man sich von den vordergründigen Vorgängen irri-
tieren. Ähnlich wie man immer noch vom Sonnenuntergang redet,
obwohl die Ursache das Wegdrehen der Erde ist.
 Der Begriff und das Faktum Inflation (von inflare = aufblähen)
beziehen sich also immer auf das Geld, konkreter: die Aufblähung
der Geldmenge. Gemeint ist damit jene Ausweitung, die über die
der volkswirtschaftlichen Leistung hinausgeht. Die Folge einer
solchen Ausweitung ist die Störung des Gleichgewichtes zwischen
Angebot und Nachfrage. Dem gegebenen Angebot stehen mit den
vermehrten Geldscheinen überhöhte Ansprüche gegenüber. Auf
jeden Schein kommt weniger Leistung. Oder anders ausgedrückt:
Man muß für jede Leistung mehr Geldscheine hergeben als zuvor.
Gemessen an der Leistung sinkt also die Kaufkraft des Geldes.
Gemessen am Geld steigt das allgemeine Preisniveau.
 Mit dem Begriff Inflation ist auch die Verantwortlichkeit ge-
klärt: diejenigen, die an der Notenpresse sitzen und das Zuviel an
Scheinen in Umlauf geben. Und das sind in unseren Tagen alleine
die staatlichen oder vom Staat eingesetzten Notenbanken.
Noch vor 20 Jahren sahen manche Politiker und Wissenschaftler
in der Inflation - zumindest der gemäßigten - ein positives Stimu-
lans für die Konjunktur. Inzwischen hat man die vielschichtigen
negativen Folgen auch geringer inflationärer Preisauftriebe er-
kannt.1987 schrieb der Chefredakteur der „Welt“, Peter Gillies:
 „Inflation ist nicht nur Betrug am Sparer, nicht nur die unsozial-
ste Form der Umverteilung, sondern auch die Erwerbslosigkeit
von morgen. Längst ist widerlegt, daß fünf Prozent Inflation leich-
ter zu ertragen seien als fünf Prozent Arbeitslosigkeit; vielmehr
sind null Prozent Inflation die vorzüglichste Voraussetzung für
null Prozent Erwerbslose. Der Glaube, Vollbeschäftigung lasse
sich mit "ein bißchen Preissteigerung" erkaufen, mußte weltweit
teuer bezahlt werden.“




Ist eine stabile Währung wirklich so wichtig?
 Stellen wir uns einmal vor, jedes Jahr würde die Länge unseres
Meters verändert. Überraschend und ungeplant. Mal mehr und
mal weniger. Für alle, die mit Längenmaßen disponieren und
rechnen müssen, würden die Ergebnisse zur Glücksache: Die
Hose von gestern würde nicht zur Jacke von heute passen, die
Fenster nicht in die Maueröffnung usw. Genauso macht ein stän-
dig verändernder Geldmaßstab das Wirtschaften zum Glücks-
spiel: Die Kosten von gestern passen nicht zu den Preisen von
heute, die empfangenen Löhne nicht zu den erbrachten Arbeits-
leistungen, die Kaufkraft der Tilgungen nicht zu jener der ausge-
liehenen Ersparnisse. Alle mittel- und längerfristigen Disposi-
tionen sind Zufällen ausgeliefert. Betrug und Spekulation werden
Tür und Tor geöffnet.
 Hinzu kommt noch, daß wir den Maßstab Geld vielmals häufi-
ger benutzen als alle anderen Maßeinheiten. Und dennoch läßt
der Staat es zu, daß an dem Maßstab Geld weiterhin herumge-
spielt und -manipuliert wird. Der gleiche Staat, der mit peinlicher
Genauigkeit von tausendstel Gramm und Zentimeter die übrigen
Maßeinheiten überwacht und jede Abweichung mit Akribie ver-
folgt! Dabei setzt er - wie Vergangenheit und Gegenwart zur Ge-
nüge zeigen - mit der Instabilität des Geldes seine eigene Existenz
aufs Spiel. Nicht zuletzt durch die sozialen Spannungen, die sich
mit jeder Inflation ergeben. Auch hierzu hat der bereits zitierte
Fritz Leutwiler in seiner letzten Rede vor der Vollversammlung
der Schweizerischen Nationalbank Klartext geredet:
 „Auf keine andere Weise als durch Inflation können in so
kurzer Zeit so wenige so reich und so viele so arm gemacht wer-
den.“






Ist die Inflation in der Bundesrepublik eigentlich bedeutsam?

 Liest man von den 1000prozentigen Hyperinflationen in Latein-
amerika, dann neigt man dazu, die Inflationsproblematik für
etwas Exotisches zu halten. Vergegenwärtigt man sich aber, daß
auch die Mark von 1950 heute keine 30 Pfennig mehr wert ist,
dann kommt uns das Thema näher. Denn dieser Kaufkraftverfall
bedeutet, daß ein arbeitender Mensch für einen 100-DM-Schein
aus dem Jahre 1950 heute nur noch Gegenleistungen im Wert von
30 DM erhält. Das gilt keineswegs nur für die vergessenen Scheine
unter dem Kopfkissen. Auch die kleinen Sparer, deren Guthaben
„mit gesetzlicher Kündigungsfrist“ den Anschein besonderen
Schutzes suggeriert, wurden in den vergangenen Jahrzehnten
durch die schleichende Inflation um mehrstellige Milliardenbe-
träge enteignet. Denn im Gegensatz zu den betuchteren Geldanle-
gern, die sich durch erhöhte Zinsforderungen gegen Inflationsver-
luste absichern, lag die Verzinsung der normalen Sparguthaben in
der meisten Zeit unter den Inflationssätzen.
 Aber auch aufgrund unserer jüngeren Geschichte haben wir al-
len Grund, uns mit Fragen der Geldwertstabilität intensiver zu
befassen. Zweimal in diesem Jahrhundert ist unser Geldsystem
bereits inflationär zusammengebrochen und nachfolgend die
Wirtschaft. Ganze Generationen wurden dabei um die Früchte
ihres Fleißes gebracht und Millionen Menschen ins Unglück ge-
stürzt. Niemand sollte glauben, daß sich Ähnliches bei uns nicht
wiederholen könnte. Und daß es zu solchen Währungs- und Wirt-
schaftszusammenbrüchen keiner Kriege bedarf, erleben wir zur
Genüge in aller Welt. Macht man sich noch einmal die Größen-
ordnungen und die Abläufe der Inflation Anfang der 20er Jahre
klar, dann kann man über die Unbedarftheit der jeweiligen Ver-
antwortlichen nur den Kopf schütteln.
 Da hat man nach dem Ersten Weltkrieg jahrelang fast wie im
Rausch die Notenpresse laufen lassen: Weil als Folge die Preise
stiegen, brauchte man mehr Geld. Und weil man mehr Geld in
Umlauf gab, stiegen die Preise. Am Ende stiegen sie so schnell,
daß den Arbeitenden der Lohn bis zu zweimal täglich ausgezahlt
wurde, damit sie ihn möglichst rasch, vor dem neuen Preisanstieg,
ausgeben konnten. Zum Stillstand kam dieser Wahnsinn schließ-
lich nur durch den Mangel an Papier bzw. die Unmöglichkeit, die
vorhandenen Scheine, Briefmarken oder Preisschilder mit immer
größeren Zahlen zu überdrucken. Am Ende kosteten normale
Briefmarken bereits Milliarden, und die gesamte umlaufende
Geldmenge lag bei der schier unvorstellbaren Größe von rund 500
Trillionen, also einer 500 mit 18 Nullen! Genauso hilflos standen
die Verantwortlichen wenige Jahre später vor dem selbstverschul-
deten Zusammenbruch deflationärer Art.
 Ganz sicher haben sie inzwischen dazugelernt, und eine Wie-
derholung jener angeführten Hyperinflation ist nicht so schnell zu
befürchten. Aber von Stabilität ist man auch in unserem Land
noch weit entfernt, und nichts deutet bisher darauf hin, daß die
heutigen Verantwortlichen sie in den Griff bekommen werden.



Können auch die Käufer Inflation auslösen?
 Preise werden durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Nachfra-
gen kann jeder nur in Höhe seines Einkommens. Einkommen ent-
stehen durch Leistungen, aus denen wiederum das Angebot resul-
tiert. Gibt jeder sein Einkommen regelmäßig aus oder überläßt er
sein übriges Einkommen leihweise einem anderen, dann bleibt
das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage stabil: Der
Markt wird regelmäßig geräumt, die Beschäftigung bleibt erhal-
ten. Ebenso das allgemeine Preisniveau und damit die Kaufkraft
des Geldes.
 Störungen dieses Gleichgewichts kann es von seiten der Nach-
frager nur durch Zurückhalten von Einkommen geben. Die Fol-
gen sind deflationärer Natur: Liegenbleibende Angebote, Ar-
beitslosigkeit, Preisverfall. Die Behauptung, Käufer könnten
durch Beschleunigung der Nachfrage und damit des Geldumlaufs
Inflationen auslösen, ist dagegen graue Theorie. Ein beschleunig-
tes Ausgeben von Geld setzt nämlich beschleunigtes Einnehmen
voraus. Das heißt, die Nachfrager müssen zuerst einmal schneller
Geld verdienen. Schneller verdienen heißt: mehr leisten. Und mit
der Mehrleistung steigt das Angebot, so daß das Gleichgewicht
gewahrt bleibt.
 Zu einer inflationären Nachfragebeschleunigung kann es nur
kommen, wenn die Geldmenge ohne Leistungsausweitung erwei-
tert wird. Dazu aber ist - wie bereits dargelegt - nur die Noten-
bank in der Lage.
 Allerdings können die Nachfrager an einer Inflation auslösend
mitbeteiligt sein. Dann nämlich, wenn sie vorher Geld aus dem
Kreislauf zurückgehalten und die Notenbanken das fehlende Geld
durch zusätzliche Banknoten ersetzt haben. Kommt es dann ir-
gendwann zu einer Enthortung der zurückgehaltenen Bestände,
führt das zu einer ungedeckten Übernachfrage mit entsprechen-
den Folgen für das Preisniveau. Aber auch dieser Preisschub geht
auf das Konto der Notenbank, die ja das ungedeckte, doppelte
Geld herausgegeben bzw. nicht verhindert hat, daß es vorher dem
Kreislauf entzogen wurde.



Beeinflussen Einzelpreiserhöhungen die Inflation?

 Gemessen wird die Inflation an den Veränderungen des Preisni-
veaus, also dem Durchschnitt aller Preise. Als Maßstab dafür
dient im allgemeinen der Preisindex für die privaten Lebenshal-
tungskosten. Diese werden vom Statistischen Bundesamt mit
Hilfe eines „Warenkorbs“ ermittelt. Durch Vergleiche mit den
Vormonats- oder Vorjahreswerten ergeben sich dann die jewei-
ligen Inflationsquoten.
 Dieses Verfahren ist jedoch deshalb fragwürdig, weil man nicht
zwischen geldmengenbedingten Gesamtpreisveränderungen und
marktbedingten Einzelpreisveränderungen unterscheidet. Beide
werden als Ausgabenerhöhungen registriert. Dabei handelt es
sich im Fall der Einzelpreiserhöhungen um keine Ausweitungen
der gesamten Korbausgaben, da jeder Haushalt sein Geld immer
nur einmal ausgeben kann.
 Machen wir uns das an einem Beispiel klar:
 Werden aufgrund einer Mißernte die Kartoffeln teurer, dann
muß der Haushalt entweder mehr als bisher für Kartoffeln ausge-
ben oder weniger Kartoffeln kaufen. Kauft man die gleiche Kar-
toffelmenge wie bisher, dann ist man gezwungen, die Nachfrage
nach anderen Gütern zu reduzieren. In allen Fällen bleiben die
Gesamtausgaben des Haushaltes gleich. Es kommt nur zu einer
Verlagerung innerhalb der gekauften Mengen. Da jede Reduzie-
rung der Nachfrage auf die Preise der davon betroffenen Güter
drückt, pendelt sich über die Mengen das Gesamtpreisniveau
schließlich wieder ein.
 Dieser Tatbestand wird bei der Ermittlung der Preisniveauver-
änderungen nicht berücksichtigt. Man geht einfach davon aus,
daß die nachgefragten Mengen im Warenkorb, trotz der Einzel-
preiserhöhung, gleichbleiben und daß die Haushalte insgesamt
mehr als vorher ausgeben. Dieses rechnerische Fehlergebnis hat
jedoch mit Inflation nichts zu tun. Nur Ausweitungen der Geld-
menge können die Nachfrager befähigen, ihre Nachfrage ohne
Leistungssteigerung auszuweiten bzw. bei steigenden Einzelprei-
sen die gleiche Gütermenge wie bisher zu kaufen. Ohne diese
inflationäre Geldvermehrung ist das den Bürgern nur durch
Leistungssteigerungen möglich, womit die Kaufkraft gesichert
bleibt.




Wie ist das bei Erhöhungen der Löhne oder der Erdölpreise?

 Solange die Notenbank steigende Preise nicht mit zusätzlichem
Geld unterfüttert, ist der Vorgang immer derselbe:
 Steigende Benzin- oder Heizölpreise zwingen die Haushalte
entweder zu einer Reduzierung ihres Verbrauchs an Erdölpro-
dukten oder zu einer Nachfrageverringerung bei anderen Gütern.
Auch hier ergeben sich also nur Mengenkorrekturen innerhalb
des Warenkorbes, jedoch keine größere Gesamtnachfrage in Geld
gemessen.
 Natürlich kann man zum Ausgleich der erhöhten Kosten auch
Geld von seinem Sparkonto abheben oder einen Kredit aufneh-
men. Aber auch das führt zu keiner vergrößerten Gesamtnach-
frage.
 Denn mit der Abhebung vom Sparbuch entzieht man einem bis-
herigen Kreditnehmer entsprechende Kaufkraft, und mit der eige-
nen Kreditaufnahme übernimmt man die Kaufkraft eines anderen
Sparers. An dem gesamten Nachfragepotential verändert sich
nichts und damit auch nicht am gesamten Preisniveau.
 Bei Lohnerhöhungen muß man unterscheiden zwischen sol-
chen, die durch Leistungsanstiege gedeckt sind, und solchen, die
darüber hinausgehen. Mit den leistungsgedeckten bleibt die Ein-
kommensverteilung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
gewahrt. Mit den ungedeckten Lohnforderungen kommt es zu
einer Umverteilung der Einkommen zugunsten der Arbeitneh-
mer. Diese Umverteilungen sind nur in einem begrenzten Umfang
möglich. Darüber hinaus führen sie zu Invesitionsrückstellungen,
Entlassungen und Betriebsschließungen. Gleicht die Notenbank
jedoch die überhöhten Lohnforderungen durch zusätzliches Geld
aus, dann verteilt sich die ungedeckte Lohnerhöhung durch infla-
tionäre Kaufkraftverwässerung auf alle Einkommen in der Volks-
wirtschaft. Auch hier kann es also immer nur zu Inflationen kom-
men, wenn die Notenbank die überhöhten Forderungen mit
Mehrgeld abdeckt. Das gilt nicht nur bei Löhnen, sondern auch
für die sogenannte „importierte Inflation“ als Folge von Export-
überschüssen, deren Erträge von der Bundesbank gegen DM ein-
getauscht werden.





Können Inflationsraten durch gleich hohe Lohnanpassungen ausgeglichen werden?

 Wenn im Laufe eines Jahres das allgemeine Preisniveau um drei
Prozent gestiegen ist und die Löhne um den gleichen Satz angeho-
ben werden, dann scheint die Welt - wenn auch mit Verspätung -
wieder in Ordnung zu sein. Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn
alle Einkommensbezieher mit einer solchen dreiprozentigen
Anhebung der Einkommen zufrieden sind. Fordern jedoch die
Geldkapitalbesitzer für ihre Vermögensbestände einen dreipro-
zentigen Inflationsausgleich, das heißt um drei Prozent erhöhte
Zinsen, dann stimmt die Rechnung nicht mehr. Denn ein Zinsan-
stieg von z. B. sechs auf neun Prozent läßt die Zinseinkommen nicht
um drei, sondern - wie bereits in Kapitel 7 dargelegt - um 50 Prozent
ansteigen. Von dieser Explosion der Zinsforderungen und -lasten
werden jedoch keinesfalls nur die verschuldeten Privathaushalte
betroffen, sondern jeder. Denn die Schuldner in der Wirtschaft
müssen diese erhöhten Kosten an die Endverbraucher weiterge-
ben, wenn sie selbst überleben wollen. Berücksichtigt man, daß
heute auf jeden der rund 35 Millionen Erwerbstätigen in der verei-
nigten Bundesrepublik insgesamt rund 180 000 DM Schulden ent-
fallen, steigt die rechnerische Zinsbelastung pro Kopf durch einen
dreiprozentigen inflationsbedingten Zinsanstieg von 10 800 auf
16 200 DM an, also um 5400 DM. Hat ein Erwerbstätiger ein Jah-
reseinkommen von z. B. 60 000 DM, dann schlägt eine dreiprozen-
tige Lohnanpassung jedoch nur mit einem Plus von 1800 DM zu
Buche. Das heißt, die Lohnerhöhung reicht gerade einmal aus,
um ein Drittel des rechnerischen Zinslastanstiegs auszugleichen.
Verständlich, daß es aufgrund dieser Zusammenhänge irgendwo
zu Engpässen bzw. Finanzierungslücken kommen muß. Da das
Kapital auf jeden Fall seine erhöhten Forderungen durchsetzt
(sonst kommt es zu seinem Rückzug), ziehen die Arbeitleistenden
den kürzeren. Zuerst trifft das die Unternehmen, die ihrerseits
versuchen, nicht überwälzbare Zinslasten durch Lohneinsparun-
gen auszugleichen. Das heißt, im Endeffekt wird die Differenz
von allen Arbeitleistenden getragen, entweder über höhere Preise
oder rückläufige Arbeitseinkommen, bis hin zum Verlust des Ar-
beitsplatzes durch Entlassung oder Firmenschließung.



Was hängt sonst noch mit den inflationsbedingten Zinserhöhungen zusammen?
 Der explosive Anstieg der Zinskosten in Inflationszeiten ist wahr-
scheinlich der Hauptgrund dafür, daß sich einmal angelaufene In-
flationsentwicklungen so schwer abbremsen lassen.
 Die Größenordnungen sind aber auch atemberaubend. So stie-
gen beispielsweise während der inflationsbedingten Hochzins-
phase, 1978 bis 1981, die Zinsströme bei den Banken auf das
Doppelte an. Selbst der relativ geringe Inflations- und Zinsauf-
trieb Ende der 80er Jahre ließ die Zinserträge der Banken in vier
Jahren von 243 auf 445 Mrd. DM hochschnellen, also um rund 83
Prozent. Die Zinsaufwendungen der Banken, d. h. die Zinsaus-
schüttungen an die Geldgeber, stiegen sogar um 101 Prozent,
nämlich von 171 auf 344 Mrd. DM. Man stelle sich einmal vor, die
Einkommenssteuern oder die Gesundheitsausgaben - Posten ver-
gleichbarer Größenordnung - würden in 3 - 4 Jahren verdoppelt
oder die Löhne und Gehälter um 80 oder 100 Prozent erhöht: Die
Medien wären voll davon, und die Schlagzeilen würden in ihrer
Größe alles andere übertreffen. Die vergleichbaren Explosionen
der zinsbezogenen Größen wurden jedoch praktisch nicht zur
Kenntnis genommen. Auch die Gewerkschaften rühren das
Thema nicht an. Sie streiten vielmehr jedes Jahr lautstark und me-
dienwirksam auf der Vorderbühne mit den Arbeitgebern um den
Rest des Kuchens, den das Kapital den Werteschaffenden übrig-
gelassen hat. Der entscheidende Deal auf der Hinterbühne, der
sich an den obengenannten Größen festmachen läßt, steht dage-
gen nie zur Debatte.
 Solange die Gewerkschaften selbst noch versucht haben, beim
großen Kapitalmonopoly mitzuspielen, konnte man diese Vorder-
bühnenpolitik ja noch verstehen. Nach der großen Pleite, von der
„Neuen Heimat“ bis zu co-op und der BfG, besteht jedoch für
dieses Blinde-Kuh-Spiel kein Grund mehr. Es sei denn, man hält
die Zinseinnahmen der Streikkassen für wichtiger als die Über-
windung der vielfach größeren Zinsausbeutung der Gewerk-
schaftsmitglieder.
 Auch bei dem letzten großen Arbeitskampf der ÖTV im Früh-
jahr '92 war keine Rede von Zinsen und Inflation. Dabei ging es
bei den erkämpften 5,4 Prozent weitgehend nur um den Ausgleich
für die vierprozentige Verwässerung der Löhne, die man der Bun-
desbank zu verdanken hatte. Die mickrigen 1,4 Prozent, die man
über den Inflationsausgleich hinaus erstreikt hat, hätte man vom
Arbeitgeber Staat auch kampflos bekommen.
 Hätte man nicht die Bundesbank bestreiken müssen? Statt auf
dem Rücken der Bürger den Staat zu erpressen, verdrängend, daß
man das selbst ist? Warum fordert man nicht endlich stabiles
Geld, anstatt immer wieder hinter den inflationären Lohnenteig-
nungen herzulaufen? - Es fällt schwer, dafür Erklärungen zu fin-
den!
 Tut man es vielleicht, weil es optisch erfolgreicher erscheint, bei
inflationärem Geld 5,4 Prozent erkämpft zu haben als bei stabilem
Geld 1,4 Prozent? - Eines steht jedenfalls fest: Solange sich die
Gewerkschaften nicht um unsere Geldordnung kümmern, kann
die soziale Frage keiner Lösung zugeführt werden.


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Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Mit Zustimmung des Autors digitalisiert für INWO Deutschland e.V.