Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München


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33. Kapitel
Diverse Gedanken zur Lösung - Alternativer Modelle
„Eine ethische Besserung des Menschen
kann die Schäden der Ordnung nicht beseiti-
gen . . . Die Gesamtordnung sollte so sein,
daß sie den Menschen das Leben nach ethi-
schen Prinzipien ermöglicht.“
Walter Eucken
(Nationalökonom, in "Grundsätze der Wirtschaftspolitik“)





Muß sich der Mensch ändern?

Wenn von Ausbeutung und Gewalt, von Umweltzerstörung und
Kriegen die Rede ist, dann wird sehr oft zur Überwindung dieser
Problemerscheinungen eine Änderung des Menschen gefordert.
Diese Forderung ist in Einzelfällen sicher häufig berechtigt, aber
im Hinblick auf die Gesamtheit aller Menschen wirklichkeitsfern.
Auch der Kommunismus hat von einem anderen Menschen
geträumt, ohne daß die 70jährige Umerziehung in der ehemaligen
UdSSR zu entsprechenden Erfolgen geführt hätte. Selbst die
christlichen Kirchen haben dieses Ziel in 2000 Jahren nicht er-
reicht. Im Gegenteil: Mißt man die heutigen Kirchen und Christen
an jenen der ersten Jahrhunderte, dann ist eher eine moralisch-
ethische Rückentwicklung festzustellen. Der Mensch ist eben nur
sehr schwer zu ändern, wohl aber kann man sein Bewußtsein
durch Informationen erweitern. Im übrigen ist es immer eine An-
maßung, wenn jemand zu wissen glaubt, wohin sich andere Men-
schen entwickeln sollen.
 Aber die Erfahrung lehrt, daß Rücksichtslosigkeit und Gewalt
im menschlichen Zusammenleben um so mehr schwinden, je ge-
rechter die Strukturen einer Gesellschaft sind. Umgekehrt neh-
men Rücksichtslosigkeit und Gewalt mit der Verschlechterung
wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen zu. Wenn heute also in
vielen Ländern die Menschen aggressiver und gewalttätiger wer-
den und schließlich sogar aufeinander schießen, ist das nicht die
Folge einer moralischen Verrohung der Menschen. Es ist vielmehr
meist die Folge schlechter gewordener wirtschaftlicher Rahmen-
bedingungen, die Folge von Arbeitslosigkeit und sozialen Span-
nungen. Man muß also bei allen Problementwicklungen untersu-
chen, ob sie auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen sind
oder auf sachbezogene Fehlstrukturen.
 Häufen sich z. B. auf einer Kreuzung die Unfälle, dann kann das
sowohl auf leichtfertiges Fahrverhalten zurückzuführen sein wie
auf einen Fehler in der Ampelschaltung. Im ersten Fall müßte man
auf die Menschen einwirken und versuchen, sie mit moralischen
Appellen umzuerziehen. Im zweiten Fall ist jeder Appell an die
Verkehrsteilnehmer überflüssig, um so wirkungsvoller aber eine
Korrektur der fehlerhaften Ampelsteuerung. Das heißt, sachbe-
zogene Fehler bedürfen auch sachbezogener Korrekturen.
 Falsch ist es auch, den Eigennutz des Menschen als verwerflich
anzuklagen. Denn in einer wirklich freien Marktwirtschaft kann
jeder seinen Eigennutz nur verwirklichen, wenn sein Tun gleich-
zeitig einem anderen nützt. Schon Proudhon hat diese Gegensei-
tigkeit als Voraussetzung der Gerechtigkeit bezeichnet. So wie die
christlichen Kirchen die Eigenliebe als Maßstab für die Nächsten-
liebe, sollten wir also den Eigennutzen als Maßstab für den Näch-
stennutzen akzeptieren.
 Sicherlich gibt es immer Menschen, deren moralisch-ethisches
Verhalten auch in Extremsituationen vorbildlich bleibt und die
dem Unrecht oder der Gewalt selbst auf Kosten ihres Lebens wi-
derstehen. Abgesehen davon, daß sich die Zahl dieser Menschen
auch über die Jahrhunderte hinweg kaum verändert hat, ist es
immer sinn- und wirkungsvoller, der Entstehung solcher Extrem-
situationen durch entsprechende Ordnungs- und Strukturverbes-
serungen entgegenzuwirken,wie das Walter Eucken im Eingangs-
zitat dieses Kapitels zum Ausdruck bringt.




Wie können die weltweit eskalierenden Spekulationen eingedämmt werden?

Auch die weltweit zunehmenden Spekulationen mit Geld sind
nicht auf eine Veränderung des Menschen zurückzuführen,
sondern auf jene monetären Fehlstrukturen, die heute bei Min-
derheiten zu immer größeren Vermögenskonzentrationen führen.
Außerdem auf falsch verstandene Vorstellungen freiheitlichen
Kapitalverkehrs. Die Vermögenskonzentrationen würden zwar
mit sinkenden Zinsen langsamer als bisher wachsen. Andererseits
ist jedoch zu befürchten, daß bei sinkenden Zinsen noch mehr
Überschußmilliarden in die Spekulation abwandern werden.
Darum kommt man nicht daran vorbei, neben einer Umlaufsiche-
rung auch dem spekulativen Mißbrauch des freien Kapitalver-
kehrs Einhalt zu gebieten. Einzudämmen ist dieser Mißbrauch auf
eine einfache Weise: Man braucht nur jede Transaktion mit einer
Gebühr zu belegen, deren Höhe kurzfristige Gewinnmöglichkei-
ten übersteigt. Für langfristige Anleger wären solche Gebühren
kein Hinderungsgrund zum Einsatz ihrer Mittel, da sie mit der
Länge der Anlagezeit immer bedeutungsloser werden.
 Mit einer solchen Spekulationsgabe auf die geldbezogenen
Transaktionen würden die Anleger in längerfristige Engagements
gedrängt, was nach den Gesetzen des Marktes auf die Zinshöhe
drückt. Und da eine Geldzurückhaltung ebenfalls mit Gebühren
belastet ist, fällt die Möglichkeit weg, durch Geldrückzug vom
Markt die Kreditnehmer weiterhin zu höheren Zinszahlungen zu
zwingen.






Was ist gegen eine Flucht in Gold, Boden oder Sachkapitalien zu tun?

Ein spekulatives Umsteigen aus der Geldhaltung in Gold, Kunst-
werke, Antiquitäten o. ä. ist für die Wirtschaft ohne alle Folgen.
Hier findet immer nur ein Austausch von Geld gegen Güter statt,
der das Geld in Umlauf hält. Spekulationsgewinne und -verluste
treffen dabei immer nur die Spekulanten untereinander. Bezogen
auf die Kunst würden solche Spekulationen sogar positiv sein,
da auch lebende Künstler davon profitieren. Vor allem aber kann
mit Gold oder Kunstwerken, im Gegensatz zum Geld, niemand
mehr zum Zinszahlen erpreßt werden. Und zusätzliche Geldanla-
gen in wirtschaftlichen Sachgütern, mit denen man die Geldhalte-
kosten zu umgehen versucht, sind sogar erwünscht, weil deren
Vermehrung zusätzlich auf die Zinsen und Renditen drückt. An-
ders ist das nur beim unvermehrbaren Boden:
 Da alles Wirtschaften auf Boden angewiesen ist, schlagen Bo-
denspekulationen auf alle Preise durch. Ganz besonders wird da-
durch das Wohnen verteuert. Die Bodenspekulation muß also un-
terbunden werden. Diese notwendige Reform des Bodenrechtes
ergibt sich schon aus dem Tatbestand, daß der Boden - wie Licht,
Luft und Wasser - ein Geschenk der Natur und kein vom Men-
schen produziertes Gut ist. Auf diese naturgegebenen Güter aber
haben alle Menschen gleichermaßen Anspruch. Das heutige pri-
vate Eigentumsrecht an Boden muß darum langfristig wieder in
ein privates Nutzungsrecht zurückverwandelt werden. Ein solches
Nutzungsrecht ist in verschiedenen Regionen der Welt noch heute
gültig und war auch bei uns bis ins späte Mittelalter die Regel. Das
heißt, Boden darf nur als Lehen, in langfristigen Nutzungs- und
Erbbauverträgen vergeben werden. Die daraus resultierende
Pacht steht allen Menschen gleichermaßen zu. Privateigentum am
Boden ist im Prinzip genauso absurd wie Privateigentum an Luft
oder Wasser.
 Um die Flucht des Geldes in die Bodenspekulation zu unterbin-
den, müßte mit der Geldrechtsreform also auch eine Reform des
Bodenrechts verbunden werden. Hierfür gibt es eine ganze Reihe
praktikabler Modelle, die an dieser Stelle nicht weiter erörtert
werden sollen.
 (Konstruktives und umfassendes Informationsmaterial zu diesem Thema wurde
 in jüngster Zeit vom „Seminar für freiheitliche Ordnung“ in Bad Boll ausgear-
 beitet, einschließlich entsprechender Merkblätter für Kommunen und Erb-
 pacht-Musterverträgen, die dort angefordert werden können.)
Erster Schritt in diese Richtung wäre ein grund-
sätzliches Verbot des Verkaufs von Boden, der sich noch in öffent-
lichem Besitz befindet. Dieser Boden darf nur noch in Erbpacht
abgegeben werden. Außerdem sind die meist vorhandenen Vor-
kaufsrechte der Gemeinden stärker auszuschöpfen, eventuell
durch entsprechende Zweckbindung bestimmter Einnahmen,
z. B. aus Bodenhortungs- und Bodenwert-Zuwachssteuern.
 Weiterhin sollten unbebaute Wohn- und Gewerbegrundstücke
wie bebaute besteuert werden, was spekulative Bodenhaltung und
Baulücken reduzieren, auf die Bodenpreise drücken und den
Rückkauf für die Gemeinden erleichtern würde.
 Welche Erleichterungen für die Bürger mit einer anderen Bo-
denpolitik verbunden wären, läßt sich am Beispiel Zürich erah-
nen: Hätten die dortigen Stadtväter das Gebiet der früheren Wall-
anlagen im vorigen Jahrhundert nicht verkauft, könnten heute mit
den Pachteinnahmen aus diesen Grundstücken die gesamten öf-
fentlichen Kosten der Stadt bestritten werden.







Was ist mit der Kapitalflucht bei niedrigen Zinsen?

Wenn jemand eine Produktionsanlage ins Ausland schafft und
dort weiter produziert, liegt zweifelsfrei eine „Kapitalflucht“ vor:
Das Ausland hat einen Gewinn, der nicht nur das verlagerte Sach-
kapital umfaßt, sondern auch die damit produzierten Güter. Das
Inland hat einen entsprechenden Verlust.
 Wenn jemand einen Koffer voll Geld ins Ausland schafft und
dort einschließt, ist das nichts anderes als eine Hortung im Inland.
Will er mit dem Geld im Ausland etwas anfangen, dann muß er es
zuerst eintauschen. Das heißt, wenn ein deutscher „Kapitalflücht-
ling“ z. B. seine Ersparnisse in den USA anlegen möchte, braucht
er einen Tauschpartner, der ihm für die DM Dollar gibt. Ganz
gleich, ob dieser Tauschvorgang direkt abläuft oder über eine
Bank, ob in bar oder über eine Guthabenübertragung -, es findet
immer nur ein Tausch statt: Der Deutsche hat statt der DM nun
Dollar oder Dollarguthaben in der Hand, der Tauschpartner statt
der Dollar DM.
 Und so wie der Deutsche nun seine Dollar in den USA anlegen
oder ausgeben kann, so der Amerikaner seine DM letztlich nur in
Deutschland. Das heißt, es wurden nur die Verfügungsrechte aus-
getauscht. Die DM- oder Dollarbestände bleiben - im Gegensatz
zu der Produktionsanlage -jeweils in ihrem Wirtschaftsraum.
 Es gibt also im Geldbereich keine „Kapitalflucht“, die im Inland
zu Verlusten oder Engpässen führen kann. Schon gar nicht ist von
Kapitalflucht zu reden, wenn deutsche Geldbesitzer ihre DM in
Luxemburg oder sonstwo einzahlen. Denn dieses Geld steht der
deutschen Wirtschaft schon am nächsten Tag wieder zur Verfü-
gung, oft mit den Original-Banderolen der Bundesbank, mit de-
nen es zu Hause abgehoben wurde. Es gibt allenfalls verstärkte
Nachfrage nach anderen Währungen. Steht dieser Nachfrage kein
entsprechendes Tauschinteresse gegenüber, steigt der Preis für
die andere Währung, und die Übernachfrage bremst sich selbst
ab. Das ist auch der Fall, wenn unterschiedliche Zinsniveaus der
Anlaß zum Währungstausch sind. Zu Schieflagen kann es nur
dann kommen, wenn die Wechselkurse nicht mehr den Marktge-
setzen unterliegen bzw. von Spekulationsmassen überrollt werden
und man gegen solche Mißbräuche des freien Kapitalverkehrs
nichts unternimmt.





Läßt sich das Geldproblem mit privatem Alternativgeld oder Verrechnungsringen lösen?

Erkennt man ein Problem, so ist es naheliegend, es durch eigene
Aktivitäten überwinden zu wollen. Dabei kann man seine Akti-
vitäten meist zweigleisig ansetzen: durch Aufklärung anderer
bzw. politische Aktionen und durch Veränderung des eigenen
Verhaltens. Diese Zweigleisigkeit ist z. B. im Bereich der Land-
wirtschaft, der Ernährung, des Straßenverkehrs, des Müllanfalls
oder des Energieverbrauchs möglich.
 Anders ist das bei Einrichtungen, die alleine in den Händen des
Staates liegen, wie beispielsweise der Bahnbetrieb, das Militär
oder die Währung. Hier kann der einzelne nur durch Nutzungs-
verweigerung und Aufklärung aktiv werden. Eine Verweigerung
der Geldbenutzung ist für den einzelnen sicher theoretisch mög-
lich, jedoch kaum in der Praxis. Manche streben darum an, mit
einem Kreis von Gleichgesinnten wenigstens teilweise aus der
Geldnutzung auszusteigen, z. B. durch geldlose Gegenleistungen,
Naturaltausch oder Verrechnungsringe. Selbst wenn ein solches
Modell mit ein paar tausend oder zehntausend Menschen zu-
stande kommt, ist es zur Veränderung der geldbezogenen Struk-
turprobleme ähnlich wirkungslos wie der Versuch, durch Stumpf-
machen aller Haushaltsmesser die Überrüstung abzubauen.
 Sicher gibt es in der Welt Verrechnungsringe, auch Barter-
Clubs genannt, die funktionieren und sogar wirtschaftlich sind.
Aber das sind immer solche, die mit relativ großen Einzelumsätzen
arbeiten, also für industrielle oder zumindest gewerbliche Unter-
nehmen tätig werden. Für Privathaushalte mit geringen Ausgabe-
posten sind solche Ringe zwangsläufig mit Verlusten verbunden,
bedingt durch weite Einkaufswege, unzureichende Angebote und
erschwerte Informationen. Auch auf kommunaler oder regionaler
Ebene organisierte Verrechnungsringe können allenfalls in abgele-
genen, relativ autarken Gegenden praktikabel sein. In unseren
dichtbesiedelten Regionen mit ihren vielfältigen Lieferverflech-
tungen über weite Räume kämen solche Modelle nur schwer in
Gang. Und Modelle a la Wörgl, mit einem eigenen Gemeinde-
geld, würden - vom geltenden Recht abgesehen - am Unverständ-
nis der Notenbanken heute sicher ebenso scheitern wie damals.
 Es geht also kaum ein Weg daran vorbei, ähnlich wie bei Fragen
der Rüstung oder der Atomenergie, auch beim Geld die Verant-
wortlichen für eine Korrektur der bisherigen Verhältnisse zu ge-
winnen. Als Voraussetzung dafür müssen aber zuerst einmal ge-
nügend Informationen über die Gegebenheiten vermittelt und ein
breites Problembewußtsein geschaffen werden.






Was ist mit den Zinsen bei Verrechnungsringen und anderen Alternativmodellen?

Unser Geld ist als Tauschmittel und Verrechnungseinheit durch
nichts Besseres zu ersetzen. Verrechnungsringe können darum
nur über zinsgünstigere Kredite Vorteile bieten. Einen solchen
Kredit (richtig: Warenkredit!) erhält praktisch jeder, der - ohne
vorher eine Leistung eingebracht zu haben - in einem Verrech-
nungsring Leistungen von anderen bezieht. Der Vorteil, den der
Nachfrager auf Kredit in diesem Fall hat, schlägt als Nachteil für
den Leistenden zu Buche: Er hat geliefert ohne Gegenleistung
und erhält für diesen gewährten Warenkredit bzw. das damit er-
worbene Guthaben keine Zinsen.
 Auch wenn Verrechnungsringe aus den sich ansammelnden
Guthabenbeständen zinsgünstige oder zinslose Kaufkredite an an-
dere Teilnehmer gewähren, geht deren Vorteil zu Lasten der Gut-
habenbesitzer. Konkret: Verrechnungsringe sind für Kreditneh-
mer und Guthaben-Überzieher vorteilhaft, für Vorleistende und
Guthabenbesitzer von Nachteil. Anders ausgedrückt: Notorische
Käufer auf Kredit werden von den Leistungserbringern alimen-
tiert.
 Im Prinzip nicht anders geht es in dem wahrscheinlich weltweit
ältesten Barter-Club zu, dem WIR Verrechnungsring in der
Schweiz. Bereits 1934 in der großen Rezession gegründet, hat er
inzwischen über 60000 Mitglieder aus Handwerk und Gewerbe.
Vor allem aufgrund der allgemein hohen Zinsen in den letzten
Jahren hat der WIR-Ring einen großen Zulauf. Die Kreditbedin-
gungen, nämlich Hypothekenzinsen von 1 3/4 und Kontokorrent-
zinsen von 2 1/2 bis 3 1/2 Prozent, sind auch allzu verlockend.
 Natürlich sind diese Konditionen wiederum nur möglich, weil
die Leistungserbringer für ihre Guthaben keine Zinsen erhalten.
Und auf diesen Guthaben bleiben sie um so länger sitzen, je mehr
andere WIR-Geschäftspartner ihre Bedürfnisse durch Kredit-
käufe abgedeckt haben und damit deren Motivation zur Gegenlei-
stung nachläßt. Diese Guthabenansammlungen wiederum ermög-
lichen dem WIR-Ring, das Kreditvolumen zu erweitern bzw.
Kreditgewährungen zu verlängern.
 Der Zinsverlust der Leistenden ist aber nur einer der Nachteile.
Je mehr WIR-Guthaben sich bei ihnen ansammeln, um so illiqui-
der werden sie. Denn Löhne oder Steuern können sie damit nicht
bezahlen, und trotz der großen Mitgliederzahlen ist oft nicht das
zu erhalten, was man braucht. Diese Illiquidität wird dann zuneh-
mend zur Falle: Ein Umtausch gegen Schweizer Franken ist im
WIR-Ring nicht möglich, ein offener Verkauf der WIR-Guthaben
nach der Satzung nicht erlaubt. Als Ausweg werden WIR-Gutha-
ben oft in den Tageszeitungen unter Chiffre mit großen Abschlä-
gen angeboten. „Marktüblich sind zur Zeit Einschläge von bis zu
30 Prozent bei Verkauf gegen Franken“, berichtete die „Berner
Zeitung“ am 11.9.1992. - Der Vorteil niedriger Zinsen für die
Kreditnehmer wird also am Ende der Kette, meist von den
Schwächsten, teuer bezahlt.
 Ähnliche Probleme ergeben sich auch bei privaten Unterstüt-
zungsgemeinschaften, die z. B. einem Öko-Bauern zinslosen Kre-
dit gewähren. In diesem Fall erhält der Öko-Bauer einen Vorteil
auf Kosten der unterstützenden Geldgeber, die auf Zinsen, die sie
sonst bei der Bank erhalten würden, verzichten. Dieses an und für
sich positive Tun der Geldgeber ist jedoch innerhalb eines anson-
sten unveränderten Systems mit fragwürdigen Nebenwirkungen
verbunden. Da kaum alle Öko-Bauern in den Genuß solch zins-
loser Kredite kommen, ergeben sich erhebliche Wettbewerbs-
verzerrungen: Entweder kann der geförderte Öko-Bauer bei
vergleichbaren Preisen höhere Gewinne als seine Mitbewerber er-
zielen, oder er kann sie preislich unterbieten und damit vom
Markt verdrängen, was sicher nicht im Interesse der Sache ist.






Sind alternative Banken eine Lösung?

Sieht man von der Bankmarge ab, verleihen alle kreditvergeben-
den Banken Geld in dem Umfang zinsbelastet, wie sie den Geld-
gebern Zinsen zahlen müssen.
 Mit niedrigeren Zinsen können Banken also nur in dem Maß
Kredite vergeben, wie die Geldgeber auf Zinsen verzichten. Auch
hier resultiert also der Vorteil des Kreditnehmers aus einem Ver-
zicht des Sparers. Nur wenn „morgen“ alle Sparer auf Zinsen ver-
zichten würden, käme ihnen allen der Zinsverzicht in Form sin-
kender Preise auch wieder zugute.
 Untersucht man die Gegebenheiten bei den alternativen Ban-
ken, dann stellt man fest, daß die Bereitschaft zur zinslosen Her-
gabe von Geld auch bei dieser aufgeschlossenen Sparerkundschaft
äußerst gering ist. Selbst bei der anthroposophischen GLS-Bank
in Bochum sind zinsverzichtende Geldgeber nur eine Minderheit.
Die Öko-Bank in Frankfurt muß sogar weitgehend normale Gut-
habenzinsen zahlen, um an Einlagen zu kommen. Das spiegelt
sich entsprechend auch in den Kreditzinssätzen wider. Die Öko-
Bank hat sogar seit langem Schwierigkeiten, einige tausend Ideali-
sten zu finden, die bereit sind, mit einigen hundert Mark das un-
verzinste Eigenkapital der Bank weiter aufzustocken. Dabei hatte
die Öko-Bank mit einer Bilanzsumme von 140 Millionen im Jahr
1991 erst ein 37000stel (= 0,0027 % !) des gesamten Geschäftsvo-
lumens aller bundesdeutschen Banken erreicht. Bei den Krediten
sah es noch schlechter aus. Hier lag der Anteil bei einem 81 000stel
bzw. 0,0012 Prozent. Das heißt, von 81.000 Mark, die 1991 in der
Bundesrepublik als Bankkredite vergeben wurden, stammte eine
Mark aus der Öko-Bank!
 Ein Vorteil der alternativen Banken ist, daß die Sparer über die
Kreditvergabe in bestimmte Förderungsbereiche mitentscheiden
können, manchmal sogar objektbezogen. Aber auch auf diese
Weise kommt es nur bedingt zu zusätzlichen Förderungen. Denn
die Kreditvergabekriterien der Öko-Bank, vor allem bezüglich
der Risiko-Absicherung, entsprechen jenen aller Banken. Das
heißt, die Kreditnehmer der Öko-Bank würden in der Mehrzahl
aller Fälle auch bei ihren heimischen Kreditinstituten Geld zu
ähnlichen Konditionen erhalten. Bestimmte positive Förderungs-
bereiche, die sich sonst im Gros der Bankengeschäfte „verlieren“,
werden durch die Alternativbanken also nur sichtbarer zusam-
mengefaßt. Die Masse der übrigen Kredite, ob für die Rüstung
oder für andere Industriebereiche, wird durch diese Konzentra-
tion nicht reduziert. Dasselbe gibt übrigens genauso für die
„Ethik-Fonds“ oder „Grünen Fonds“, die heute schon im Ausland
angeboten werden.
 An eine Überwindung der Zinsproblematik ist also mit Hilfe
der alternativen Banken nicht zu denken. Und auch von der Grö-
ßenordnung her läßt sich unser Geldsystem über diesen Weg nicht
aushebeln. Selbst dann nicht, wenn sich diese alternativen Banken
„morgen“ verhundertfachen würden: Sie hätten dann gerade ein
gutes Tausendstel des gesamten Kreditvolumens in der Hand.
Ähnlich wie sich niemand an seinen eigenen Haaren aus dem
Sumpf ziehen kann, gibt es auch keinen „Trick“, mit dem man sich
innerhalb des gegebenen Systems dem Zinsproblem entziehen
könnte, es sei denn auf Kosten anderer. Wohl aber können die
Menschen mit Hilfe solcher Tauschring- und Alternativbank-Mo-
delle und der Diskussion darüber problembewußter und sachkun-
diger werden. Insoweit ist die Beschäftigung damit ebenso von
Nutzen wie eine Betätigung in diesen Einrichtungen.



Kann eine europäische Währung weiterhelfen?
 Wenn eine Sache in überschaubarer Größenordnung nicht funk-
tioniert, kann eine Vergrößerung derselben kaum bessere Ergeb-
nisse bringen. Auch wenn man kranke und gesunde Währungen in
ein starres System zusammenpackt, ist das nicht anders als bei fau-
len und gesunden Äpfeln: Die faulen werden nicht gesund, wohl
aber die gesunden krank.
 Im Maastrichter Vertrag sind zwar Kriterien festgeschrieben,
die jedes eintretende Land erfüllen muß, die aber keinesfalls be-
deuten, daß nur Länder mit gesunden Währungen in die Gemein-
schaft kommen. Es kommt vielmehr zu einer Vereinigung mehr
oder weniger kranker Währungen, wobei die Höchstgrenze der
Erkrankung vom Krankheitsgrad der weniger Kranken abhängig
ist. Auch die Übernahme der Bundesbank-Modelle für die euro-
päische Zentralbank ist keine Garantie für Stabilität, wie die Infla-
tionsquoten in Deutschland zeigen.
 Selbst wenn dieser „Geleitzug“ von mehr oder minder instabi-
len Währungen im vorgesehenen Stichjahr 1997 bzw. 1999 relativ
dicht aufgeschlossen fährt, sagt das gar nichts über die weitere
Entwicklung aus. Vor allem sagt es nichts über die Vergleichbar-
keit der Wirtschaftsleistungen, die hinter den Währungen stehen.
Auch ein Land mit schwacher Wirtschaftsleistung kann ein relativ
stabiles Geld haben und ohne Schwierigkeiten mit allen anderen
Ländern Handel treiben, solange der Wechselkurs halbwegs den
Kaufkraftparitäten entspricht. Wird aber Ländern unterschied-
licher Leistungsfähigkeit eine gemeinsame Währung überge-
stülpt, kommt es zu einem Desaster. Die DM-Einführung in den
ostdeutschen Ländern sollte uns eine Warnung sein. Im übrigen
könnte die Einführung einer einheitlichen Verständigungssprache
in Europa viel schneller, wirkungsvoller und problemloser Ge-
meinsamkeiten zwischen den Ländern schaffen als eine einheit-
liche Währung, deren „Haupterfolg“ eine nochmalige Steigerung
des Verkehrs und eines fragwürdigen Wirtschaftswachstums sein
wird.
 Weiterhelfen könnte uns eine europäische Währung jedoch
dann, wenn bei ihr jene Fehler ausgemerzt würden, die unser Geld
- nach Wilhelm Hankel - auch heute immer noch zu einer „ticken-
den Zeitbombe“ machen.





Erfüllt die Inflation nicht denselben Dienst wie Geldnutzungsgebühren bzw. Geldhaltekosten?
Häufig wird der Einwand gemacht, eine Geldhalte- oder Geldnut-
zungsgebühr von fünf Prozent sei in der Wirkung nichts anderes
als eine dosierte Inflation in entsprechender Höhe. Beide würden
das Geld gleichermaßen in Bewegung bringen. Letzteres trifft na-
türlich zu. Trotzdem gibt es wesentliche Unterschiede zwischen
beiden Umlaufsicherungen, sowohl in ihrer Wirkung wie vor al-
lem in ihren Folgen.
- Geldhaltekosten beziehen sich nur auf die Nachfragemittel.
 Eine Inflation wirkt sich als Substanzverlust auch auf die viel-
 mals größeren Geldvermögen aus.
- Geldhaltekosten treiben überschüssiges Geld in die Banken
 und vergrößern das Kreditangebot. Inflation treibt überschüssi-
 ges Geld in den Konsum oder zu Fehlinvestitionen und heizt das
 Wirtschaftswachstum an.
- Geldhaltekosten bewirken eine Stabilisierung der Geldkauf-
 kraft und damit des Preisniveaus. Inflation bewirkt ständige
 Preisveränderungen und Irritationen im Gefüge aller Geldbe-
 ziehungen und -verrechnungen.
- Geldhaltekosten ermöglichen nicht nur Kaufkraftstabilität,
 sondern drücken nach und nach die Zinsen gegen Null. Inflation
 treibt die Zinsen hoch und damit deren negative Folgen.
- Geldhaltekosten in Höhe von fünf Prozent belasten die Wirt-
 schaftsteilnehmer in der Bundesrepublik mit etwa 30 Mrd. DM
 im Jahr. Um fünf Prozent erhöhte Zinsen, als Folge einer gleich
 hohen Inflation, bewirken eine Zusatzbelastung der Wirtschaft
 von rund 200 Mrd. DM.
- Geldhaltekosten fließen vor allem aus den Kassen der großen
 Geldbenutzer in die des Staates und kommen der Allgemeinheit
 zu. Die vielmals höheren Inflations- und Zinskosten müssen
 von der Allgemeinheit getragen werden und kommen privaten
 Minderheiten zugute.
- Geldhaltekosten können mit einer festen Größe eingeplant und
 erhoben werden. Inflationen in einer festen Größe lassen sich,
 wie die Erfahrung lehrt, nicht erreichen, es sei denn durch eine
 konstruktive Umlaufsicherung, aber dann brauchen wir die In-
 flation nicht mehr.
Sicher kann man die negativen Folgen der Inflation durch eine
ständige indexierte Anhebung aller Preise, Löhne, Steuern, Geld-
guthaben und Verbindlichkeiten weitgehend ausgleichen. Das al-
les erfordert aber nicht nur einen ungeheuren Arbeitsaufwand,
sondern diese Maßnahmen sind in der Praxis kaum zu koordinie-
ren und zu kontrollieren. Wie die Erfahrung zeigt, haben solche
Indexierungen außerdem einen Trend zu inflationären Selbstbe-
schleunigungen. Die Erhebung von Durchhaltekosten auf das
Geld betrifft dagegen nur zwei relativ geringe Bestandsgrößen.
Außerdem sind diese Größen leicht zu kontrollieren, und die
praktische Handhabung des Einzugs ist wesentlich einfacher als
z. B. die der Zinsabschlagssteuer.





Was ist mit unserer Wirtschaftsordnung?
So wie wir jahrzehntelang die Begriffe Planwirtschaft und Sozialis-
mus verwechselt oder als Einheit gesehen haben, so ist das auch
bei Marktwirtschaft und Kapitalismus der Fall. Dabei haben beide
Begriffe gar nichts miteinander zu tun.
 Marktwirtschaft ist eine Wirtschaftsordnung bei der - im Ge-
gensatz zur Planwirtschaft - alle wirtschaftlichen Vorgänge, also
Produktionen, Preise und Austauschbedingungen, von den Inter-
essen der nachfragenden und anbietenden Menschen bestimmt
werden. Marktwirtschaften sind also sich selbst steuernde Regel-
kreise, die zum Ausgleich hintendieren. Sofern ein Mißbrauch
durch Monopole sowie ungerechte Rahmenstrukturen durch den
Staat unterbunden werden (siehe Geld- und Bodenordnung), stel-
len Marktwirtschaften das gerechteste und effektivste System der
Güterversorgung dar.
 Kapitalismus dagegen ist ein System, in dem die Interessen des
Kapitals die Wirtschaft bestimmen. Alle Produktions- und Dienst-
leistungen, so notwendig und sinnvoll sie auch sein mögen, kom-
men immer nur zustande, wenn vorweg die Kapitalbelohnung
(Zins/Rendite) abgesichert ist. Und da die Höhe der Belohnung
vom Geldzins ausgeht und ein Fallen des Geldzinses durch Geld-
verknappung verhindert wird, kann man den Zins als „legalisierte
Schutzgelderpressung“ bezeichnen. Denn so wie die Mafia die
Existenz der „Beschützten“ mit der Demolierung des Unterneh-
mens bedroht, so das Kapital durch Entzug des Geldes. Auch die
oft gebrauchten Begriffskombinationen „freie“ oder „soziale
Marktwirtschaft“ sind ein Etikettenschwindel. Denn wirklich
freie Märkte haben wir in unserer Zeit noch nirgendwo gehabt,
sondern immer nur kapitalistisch und staatlich verfälschte. Und
die sogenannte soziale Marktwirtschaft ist im wesentlichen nur der
Versuch, die schlimmsten Auswirkungen des Kapitalismus durch
staatlich organisierte Rücktransfers etwas abzumildern, was je-
doch angesichts des Überwachstums der Kapitalansprüche immer
weniger möglich ist.
 Der ebenfalls für unsere heutige Wirtschaft ab und zu benutzte
Terminus „kapitalistische Marktwirtschaft“ ist ein totaler Wider-
spruch in sich, da sich Märkte und Monopole (und das Geld ist
heute das beherrschendste Monopol!) so wenig vertragen wie
Feuer und Wasser.
 Solange wir also die Vorherrschaft des Geldes nicht überwin-
den, können wir weder von einer freien noch von einer sozialen
Marktwirtschaft reden. Und schon gar nicht kann eine solche vom
Geldkapital beherrschte und mit zunehmenden Zinstransfers be-
lastete Wirtschaft eine störungsfreie sein. Im Gegenteil: Sie muß
aus Gründen einfacher mathematischer Gesetzmäßigkeiten in
Selbstzerstörungen enden. Eine krisenfreie Marktwirtschaft ist
darum ohne Korrektur der Fehlstrukturen unseres Geldsystems
nicht erreichbar.
 Vielleicht ist die Zeit gekommen, sich zur Lösung der Probleme
auch mit den Gedanken von Außenseitern zu befassen. Selbst der
bereits zitierte Direktor der Pariser Rothschildbank, Esambert,
beklagte die Ratlosigkeit der Ökonomen und der Finanzwirtschaft
und erwartet eine Wende „nicht von Politikern und Bankern, son-
dern von unabhängigen Geistern“, wie es in der Fernsehsendung
hieß. Dabei sollte man sich auch der Vordenker von gestern erin-
nern, von Proudhon über Gesell bis zu Keynes. Auch wenn hier
sicher manches auf unsere Zeit bezogen umgedacht werden muß,
enthält gerade das Hauptwerk des letztgenannten, die „Allge-
meine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ aus
dem Jahr 1936, in vieler Hinsicht interessante Lösungshinweise,
wie die bereits zitierten Passagen im 32. Kapitel zeigen. Das trifft
auch auf die in seinem Buch geäußerte Vermutung zu, „daß die
Zukunft mehr vom Geist Gesells als von jenem von Marx lernen
wird“. Gerade nach dem Scheitern des Marxschen Ansatzes sollte
man diesen Spuren vielleicht einmal gründlicher nachgehen.


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Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
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