Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München


[ Inhalt Geldsyndrom ]         [ Homepage www.geldreform.de ]          [ Gästebuch www.geldreform.de ]
30. Kapitel
Der Krieg gegen die Dritte Welt und gegen uns selbst
„Der dritte Weltkrieg hat bereits begonnen -
ein geräuschloser, aber deshalb nicht weni-
ger unheilvoller Krieg. Es ist ein Krieg gegen
den lateinamerikanischen Kontinent und ge-
gen die gesamte Dritte Welt, ein Krieg um
die Auslandsschulden. Seine schärfste
Waffe ist der Zinssatz, und sie ist tödlicher
als die Atombombe.“
Luis Ignacio Silva


Über die Probleme der Dritten Welt gibt es Literatur in Hülle und
Fülle. Für viele Menschen haben die Überschuldung der armen
Länder und die sie ausbeutenden Zinsströme dazu geführt, sich
mit der Geldproblematik zu beschäftigen. Der Titel eines lesens-
werten Buches der US-Publizistin Susan George, „Sie sterben an
unserem Geld“, stützt diesen Trend. Ebenso das obige Zitat des
brasilianischen Gewerkschaftlers und Präsidentschaftskandidaten
Silva, das Susan George auf der Rückseite ihres Buches wieder-
gibt. Das „Völkertribunal“, das 1988 bei der Tagung des Weltwäh-
rungsfonds in Berlin zusammenkam, hat in seinem Abschlußkom-
munique noch stärkere Worte gefunden: „Der Terrorismus der
heutigen Welt ist der Terrorismus des Geldes.“
 Doch trotz dieser kritischen Äußerungen bewegt sich die Dis-
kussion über die Rolle des Geldes weitgehend nur an der Oberflä-
che. Die einen beißen sich an den Banken fest, andere an den
Notenbanken oder dem Weltwährungsfonds. Manche begnügen
sich sogar mit personifizierten „Buhmännern“ aus der Banken-
szene, um ihren Unmut auszudrücken. Aber kaum jemand steigt
tiefer in die Materie ein. Darum hier einige weiterführende Denk-
anstöße.


Haben uns auch die Entwicklungsländer vor schwerwiegenden „Reinigungskrisen“ bewahrt?
So wie die reichen Länder in Stellvertreterkriegen durch Vernich-
tung von Sachkapital Knappheit erzeugen können, so auch durch
Stellvertreterinvestitionen.
 Als Ergänzung zur Überrüstung in der ganzen Welt und zur Be-
lebung weiteren Wachstums hat man sich dabei auf das Rezept
besonnen, das „Die Sparkasse“ schon 1891 ihren Lesern als Hilfe
gegen absinkende Zinsen offerierte, nämlich „ . . . die neuen Län-
der... sehr rasch durch europäische Capitalien“ zu erschließen.
Besonders interessant für solche zinsbringenden Kapitalanlagen
waren in unserer Zeit die schon etwas fortgeschrittenen Schwel-
lenländer in Lateinamerika und Ostasien, aber auch die Ostblock-
staaten. Sie alle hat man in den 70er und 80er Jahren mit Krediten
fast überschüttet. Immer nach dem Motto, jede Mark und jeder
Dollar, den man außerhalb der bereits überindustrialisierten Län-
der unterbringen kann, drücken hier nicht auf den Zins, sondern
bringen Zinsen ein. Darüber, ob und wie die Menschen in den
Schuldnerländern die Kredite überhaupt bedienen können, hat
man sich wenig Gedanken gemacht: Schaffen sie es nicht, mit Hilfe
der Kredite ihren Wohlstand zu heben, dann bleibt als „Quelle“ der
Rendite eben die Verarmung dieser Länder übrig. In welchem
Maße das in diesen Ländern der Fall ist, kann man täglich in der
Zeitung lesen. Selbst in Volkswirtschaften mit noch realen Wachs-
tumsraten sind die Realeinkommen der Arbeitsleistenden in den
letzten zehn Jahren relativ zurückgefallen, in den meisten Fällen
sogar absolut. So konnte man im Dezember 1992 einer Veröffent-
lichung der Weltbank unter dem Titel „Der gesamtwirtschaftliche
Niedergang in Peru“ entnehmen, daß in diesem Land von 1980 bis
1990 das Sozialprodukt von 100 auf 70 Prozent gefallen ist, der
durchschnittliche reale Mindestlohn jedoch von 100 auf 21 Prozent.
Die sich daraus ergebende Differenz ist sicher nicht zuletzt eine
Folge des immer größeren zu leistenden Zinstranfers.
 So ist der Strom an Zinsen, der aufgrund der Überschuldung
dieser Länder vom Süden in den Norden fließt, inzwischen zwei-
bis dreimal größer als alle rückzahlungsfreie Hilfe, die wir diesen
Ländern leisten.
 Wir Bürger sind oft stolz auf unsere Spenden, die wir für die
Dritte Welt aufbringen. Rund 4000 Millionen Dollar jährlich, in
den gesamten Industrienationen eingesammelt, sind auch eine
hübsche Summe. Doch diese 4000 Millionen Dollar reichen den
armen Ländern gerade, zwölf Tage lang ihren Zinsverpflichtun-
gen nachzukommen. In den übrigen 353 Tagen im Jahr bleibt das
Zusammenkratzen dieser Gelder ihr eigenes Problem.
 Anders ausgedrückt: Die Spenden, die von allen Hilfsorganisa-
tionen des Nordens in einem Jahr zusammengebracht werden,
sind nach zwölf Tagen wieder bei uns. Aber keinesfalls wieder in
den Taschen der Spender. Sie landen vielmehr allesamt auf den
Konten der Geldgeber, deren Ersparnisse als Kredite in den Sü-
den weitergeleitet wurden. Sie landen also bei denen, die bereits
seit Jahren aus dem Süden ihre leistungslosen Zinserträge bezie-
hen und damit weiterhin Anlaß zu jenen Spendenaktionen geben.






Wie kam es zu der Verschuldung der Entwicklungsländer?
Wenn Frieden die Frucht der Gerechtigkeit ist, dann ist Gerech-
tigkeit die Voraussetzung für eine friedliche Welt. Das gilt nicht
zuletzt für das Verhältnis zwischen Nord und Süd.
 Bei den Entwicklungsländern kommen gleich drei Ungerechtig-
keiten zusammen:
 Die Ausbeutung über die Austauschverhältnisse (terms of trade),
 die Ausbeutung über die Schuldenzinsen und
 die Ausbeutung über die fallenden Rohstoffpreise.
Dabei löst eins das andere aus: Weil wir, die reichen Länder, über
unsere Technologievorsprung ein Monopol besitzen, konnten
wir durch immer höhere Exportpreise die Austauschverhältnisse
zu unseren Gunsten verändern. Weil wir für die Leistungen der
Entwicklungsländer keine gerechten Preise zahlten, mußten diese
für ihre dringend notwendigen Importe Kredite aufnehmen. Weil
sie die Kreditzinsen mit Devisen bedienen mußten, waren sie zu
immer größeren Exportanstrengungen gezwungen. Weil sie dabei
mit anderen Dritte-Welt-Ländern in Konkurrenz standen, sanken
die Preise für die angebotenen Rohstoffe und Agrarprodukte, was
wieder unser Nutzen war.
 Der Zwang zur Verschuldung wurde in den 70er und 80er Jah-
ren durch die explodierten Zinsen und Erdölpreise noch ver-
schärft. Der Vorteil steigender Preise für einige erdölfördernde
Entwicklungsländer traf das Gros der anderen um so härter. Ver-
stärkt wurde der Verschuldungsdruck von außen durch die Geld-
vermögensüberschüsse des Nordens wie der reichen OPEC-Län-
der, die nach Anlagen suchten. So kam es zu jenem Überschul-
dungsschub, der ab 1982 mit der Zahlungsunfähigkeit Mexikos zu
einem Medienthema wurde.





Welche Folgen hatten die Verschuldungen?

Besonders problematisch ist, daß nach Schätzungen von Insidern
allenfalls ein Drittel der gesamten Kredite für irgendwelche Inve-
stitionen verwandt wurde, dazu noch häufig für äußerst fragwür-
dige. Die restlichen zwei Drittel resultieren dagegen aus Aufschul-
dungen zur Bedienung der Altschulden. Das heißt, die Entwick-
lungsländer haben dieses Geld überhaupt nicht in die Hand
bekommen. Es wurde lediglich innerhalb der westlichen Banken
von einem Konto auf ein anderes umgebucht und der Schulden-
summe zugeschlagen. Bedenkt man ferner, daß nach Schätzungen
ein Viertel bis die Hälfte der erhaltenen Kredite und „Wirtschafts-
hilfen“ für Rüstungsimporte ausgegeben wurde, wird das Ganze
noch unerträglicher. Dies trifft in einem besonderen Maße auch
für die Verwendung der sogenannten westlichen Wirtschaftshilfe
zu, die nach einer Unterlage des IWF in den sechziger Jahren nur
zu einem Bruchteil für Waffenimporte ausgegeben wurde, in den
80er Jahren jedoch fast in voller Höhe (siehe Darstellung 71).
 Sicher kann man sagen, daß zum Schuldenmachen immer zwei
gehören und niemand die Entwicklungs- und Schwellenländer zur
Kreditaufnahme zwingen konnte. Bedenkt man aber die unge-
rechten Austauschbedingungen, dann kann man daraus bereits
den Zwang zur Kreditaufnahme herleiten. Hinzu kommt noch,
daß diese Länder mit geweckten falschen Hoffnungen zu Kredit-
käufen verführt wurden. Noch leichter war es, Diktatoren und
korrupte „Demokraten“ für Rüstungskäufe auf Pump zu gewin-
Militaerausgaben Entwicklungslaender
Darstellung 71



nen. Da bei solchen Geschäften immer der erfahrenere und damit
überlegenere Partner die Verantwortung trägt, ist die Schuldfrage
eigentlich klar.
 Trotzdem müssen wir auch hier wieder eine Stufe tiefer auf der
Ursachenleiter steigen, wenn wir die Situation richtig verstehen
wollen. Tun wir das, dann stellen wir fest, daß die Verschuldung
der Entwicklungsländer nur die sichtbar gewordene Spitze eines
Schuldeneisbergs in der Welt ist. Die Ursache dieser weltweiten
Schuldenlawine wiederum ist die Eskalation der Geldvermögen,
genauer, der Einkommensüberschüsse bei einem Teil der Privat-
familien und Unternehmen in der Welt (siehe Kapitel 15). Solange
diese Geldvermögen weiter eskalieren (und das tun sie, vor allem
automatisch durch die Zinsgutschriften), muß auch irgend jemand
in der Welt in gleicher Höhe Schulden machen. Wer also die Ver-
schuldungs-Entwicklung abbremsen will, muß die der Geldver-
mögen reduzieren.




Ist Schuldenerlaß der richtige Ausweg?
Die Forderung, den armen Ländern die Schulden zu erlassen, ist
verständlich. Soweit es sich um Staatskredite handelt, ist das auch
relativ leicht möglich und hin und wieder bereits geschehen. Bei
den Bankkrediten, die den größten Teil der Dritte-Welt-Schulden
ausmachen, ist das schwieriger. Denn das Geld, das die Banken
verliehen haben, gehört ja nicht ihnen, sondern den Einlegern.
Der korrekte Weg wäre also, in Höhe der Schuldenverzichtssum-
men alle Guthabenkonten anteilig herabzusetzen. Den Banken
sind jedoch solche Risikoumlagen auf die Sparer nicht gestattet.
 Das heißt, bei einem Schuldenerlaß durch die Banken werden
nicht etwa die Geldeinleger zur Ader gelassen, die jahrelang die
Zinsen aus der Dritten Welt kassiert haben und damit die eigent-
lichen Verursacher der Zahlungsunfähigkeit gewesen sind. Viel-
mehr müssen für diese Schuldenerlasse, der Banken wie des Staa-
tes, alle Bürger geradestehen. Dabei sind vor allem jene Bürger
die Verlierer, die keine oder nur geringe Zinsvorteile aus den gan-
zen Kreditgewährungen gezogen haben. Und das sind wiederum
die ärmeren. Da auf diese heute gehandhabte Weise bei Schulden-
erlassen keine Geldvermögen verschwinden, eskaliert die Ge-
samtverschuldung in der Welt ungebremst weiter. Denn für die
entlasteten Schuldner müssen sofort neue, andere gefunden wer-
den.
 Im übrigen hätte ein Schuldenerlaß durch die Banken zur Folge,
daß das jeweilige Land als zahlungsunfähig erklärt wird. Damit ist
es nicht nur mit einem Makel gekennzeichnet, es hat auch kaum
Chancen, wieder Kredite zu bekommen.



Was sollte statt des Schuldenerlasses geschehen?
Mit dem Schuldenmachen ist es wie mit dem Trinken : Problema-
tisch wird beides erst mit der Höhe der Prozente. Nicht das Schul-
denmachen an sich ist also die Ursache des Übels, sondern der
Tatbestand, daß dieses Schuldenmachen mit Zinszahlungen ver-
bunden ist.
 Der konstruktive Weg zur Lösung des Schuldenproblems ist
darum nicht der Schuldenerlaß, sondern das Absenken der Zin-
sen. Damit werden Schulden nicht nur tragbarer, sie werden auch
zurückzahlbar. Außerdem verlangsamt sich das zinsbedingte
Wachstum der Geldvermögen und damit der Zwang zur ständigen
Verschuldungsausweitung. Bei sinkenden, niedrigeren Zinsen,
die die Schulden tragbarer machen, würden beide Seiten - Bank
und Schuldner - auch ihr Gesicht wahren können. Bezogen auf die
Verschuldung des Südens hieße das, daß kein Land als zahlungs-
unfähig erklärt zu werden brauchte. Außerdem ginge mit sinken-
den Zinsen bei allen Schulden der Ausbeutungsgrad zurück. Wei-
terhin wären die Banken der schwierigen Entscheidung enthoben,
welchem Land und welchem Schuldner sie in welcher Höhe Schul-
den erlassen, ohne neue Ungerechtigkeiten zu erzeugen. Und die
Länder, die bislang ihren Zinsverpflichtungen unter oft schweren
Opfern nachgekommen sind, würden nicht als ehrliche Dumme
im Regen stehen. Allgemeine Zinssenkungen würden auch Span-
nungen zwischen den Banken oder Bankenzusammenbrüche ver-
meiden. Denn aufgrund der unterschiedlichen Bankengagements
in den Entwicklungsländern wären die einzelnen Institute bei
Schuldenstreichungen unterschiedlich betroffen. Außerdem be-
deutet ein Schuldenerlaß die Abschreibung einer großen Summe
auf einen Schlag. Zinssenkungen oder Zinserlasse verteilen sich
dagegen mit kleinen Summen auf viele Jahre. Der Präsident der
Internationalen Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsförderung
(INWO), der Schweizer Werner Rosenberger, hat darum in einer
„Aktion Nullzins 2000“ ein entsprechendes Umdenken gefordert.




Was könnte eine Korrektur im Geldsystem bewirken?

Wie bereits dargelegt wurde, führen alle mit dem Zins verknüpf-
ten Geldsysteme zu sozialen Spannungen und schließlich zu
gewaltsamen Entladungen. Der Frieden in und zwischen den Ge-
sellschaften wird heute außerdem von ökologischen Problement-
wicklungen bedroht. Das ergibt sich vor allem aus der Begrenzt-
heit und der unterschiedlichen Verteilung der Ressourcen. Die
Kriege am Golf kann man bereits in diese sich aufbauenden
Spannungsfelder einordnen. Aber auch der Kampf um so selbst-
verständliche Ressourcen wie das Wasser zeichnet sich bereits in
einigen Regionen ab. Dabei werden diese zunehmenden Ver-
knappungen nicht nur von der wachsenden Zahl der Menschen
ausgelöst, sondern noch mehr von dem eskalierenden Wirtschaft-
wachstum in den Industrienationen. Wenn man bedenkt, daß sich
die Erdbevölkerung in den letzten 180Jahren auf das Fünffache
vergrößert hat, die Industrieproduktion jedoch auf das 50fache,
dann wird das nachvollziehbar. Die Probleme in der Welt gehen
also weniger von den unterentwickelten als von den ständigen Pro-
duktionssteigerungen der überentwickelten Länder aus. Und die-
ser ständige Zwang zum Wachstum ist wiederum entscheidend
eine Folge der monetären Fehlstrukturen.
 Die Beziehungen zwischen den Fehlstrukturen unseres Geldes
und den Kriegsgefahren sind in der Darstellung 72 noch einmal
wiedergegeben.
 Denken wir an die beschriebenen „Reinigungskrisen“ und die
notwendige Vernichtung von Überkapazitäten als Folge unseres
Geldsystems, dann ergibt sich von dieser Seite her eine zusätzliche
Gefährdung des Friedens. Dabei vergrößert die Waffenproduk-
tion als solche nochmals die Gefahren:
 „Jede Waffe, die hergestellt wird, jedes Kriegsschiff, das vom
 Stapel läuft, jede abgefeuerte Rakete verkörpert im Grunde
 einen Diebstahl an jenen, die hungern und nicht ernährt, oder
 an jenen, die frieren und nicht gekleidet werden.“
Diese Aussage von Dwight D. Eisenhower aus den 50er Jahren
weist auf die sozialen Spannungen hin, die auch ohne Krieg mit
jeder Rüstungsausgabe verbunden sind. Die Rüstungsdividenden
haben also schon in Friedenszeiten das Leid von Millionen Men-
schen zur Folge, von den Opfern beim Einsatz der Waffen nicht zu
reden. 


Geldsystem bewirkt:


Welche Folgen hätten sinkende Zinsen?

Mit jedem Prozentpunkt, um den Zinsen sinken, gehen die zinsbe-
dingten Einkommensumschichtungen von der Arbeit zum Besitz,
also von Arm zu Reich, zurück. Damit verringert sich die Unge-
rechtigkeit, die Hauptursache der sozialen Spannungen und damit
wiederum der politischen Spannungen ist.
 Mit den sinkenden Zinsen geht aber auch der Investitions- und
Verschuldungszwang zurück. Damit wiederum verringern sich der
Wachstumszwang und die Notwendigkeit jener „Reinigungskri-
sen“, mit denen heute - ob in Rezessionen oder Kriegen - die
zinsdrückenden Kapitalanhäufungen ab und zu reduziert werden
müssen. Kurz: Es verschwinden die entscheidenden Ursachen,
die die Staaten heute dazu zwingen, das Spiel der Überrüstung
mitzumachen oder gar bewußt zu betreiben.
 In einer Welt aber, in der die Staaten nicht mehr aus wirt-
schaftlichen Gründen auf Rüstung oder Krieg angewiesen sind,
könnte sich vieles positiv verändern. Zum Beispiel wäre es mög-
lich, endlich Schluß zu machen mit der Doppelmoral in unserem
Rechtssystem. Denn während die Staaten ihren Bürgern das
Faustrecht schon vor langer Zeit genommen und Mord als
schlimmstes Verbrechen eingestuft haben, nehmen sie sich wei-
terhin selbst das Recht dazu. Dabei bezieht sich dieses Recht
nicht nur auf das Umbringen gegnerischer Soldaten, sondern
auch auf den Massenmord an der Zivilbevölkerung. Darüber hin-
aus beanspruchen die Staaten das Recht, Menschen gegen ihren
Willen zur Ausführung dieser Verbrechen zu zwingen, in Bürger-
kriegen sogar an Frauen und Kindern des eigenen Landes. Und
das alles geschieht in Größenordnungen, die die Verbrechen al-
ler Gangster und Sadisten zu Bagatellen werden lassen. Diejeni-
gen, die hierbei besonders erfolgreich sind, werden sogar als Hel-
den mit Orden und Ehrenzeichen geschmückt und mit hohen
Renten belohnt.
 Würden in den Ländern die machtausübenden Befugnisse auf
die der Ordnungshüter reduziert, also auf die Polizeigewalt,
könnte auch im Strafrecht mit derartigen Widersprüchen aufge-
räumt werden. Denn während Beihilfe zum Diebstahl als Delikt
geahndet wird, geht Beihilfe zu kriegerischem Mord und Massen-
mord heute noch weitgehend straffrei aus.
 Die wenigen für die Polizei erforderlichen Waffen sollten nur
vom Staat produziert werden, der dann auch jede private Waffen-
produktion schärfstens verfolgen könnte.






Was wäre die Folge einer anderen Einstufung von Waffenproduktionen?

Wenn die Produktion von Waffen auf den Bedarf der Polizei ein-
geschränkt wäre, würden alle Feuerwaffen und damit die Zahl
der privaten Morde abnehmen. Vor allem aber würde es keine
Rüstungsproduktionen und -exporte mehr geben. Weder in So-
malia noch im ehemaligen Jugoslawien oder anderswo wären
dann solche - oft Jahre dauernden - Kriege und Bürgerkriege
möglich, wie wir sie heute überall in der Welt erleben. Denn mit
Messern und Heugabeln wird kaum jemand gerne solche Kriege
führen, und Städte lassen sich auf diese Weise schon gar nicht in
Trümmer legen.
 Gerade wenn man an die Vorgänge in den genannten Ländern
denkt, stellen sich manche Fragen: Wie kommt es eigentlich
dazu, daß diese hochverschuldeten, von keinem Nachbarn be-
drohten Länder in dieser Weise bewaffnet sind? In wessen Inter-
esse ist und war es, diese Aufrüstung so weit zu treiben und stän-
dig zu erneuern? Wie kommt es, daß es in den beiden genannten
Ländern an Lebensmitteln, Medikamenten, Heizmaterial und
vielem anderen fehlt, aber nicht an Waffen und Munition, um
jahrelang die Städte zu zerstören und die Bewohner umzubrin-
gen? Und wenn wir die Schreckensbilder in den Medien sehen,
die unversorgten Verletzten, die flüchtenden Menschen, die ein-
geflogenen Hilfsgüter: Warum zeigt man uns nicht einmal die
Hersteller und Lieferanten der Waffen, gegen die vielleicht mor-
gen unsere eigenen Söhne kämpfen müssen? Doch der gleiche
Staat, der unsere Söhne dazu zwingen kann, hat Grund dazu,
diese Seite des Krieges zu verschweigen. Denn er hat diese Waf-
fenlieferungen nicht nur geduldet, sondern sie oft geradezu
gefördert. Und die Helfershelfer werden weiterhin als Ehren-
männer hofiert und gedeckt.
 Waffenlieferungen nach Jugoslawien im Wert von 2,25 Milliar-
den DM wurden seit 1982 offiziell von der Bundesregierung ge-
nehmigt, berichtete das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ am
10. Juli 1992. Es informierte auch darüber, daß von Mitte 1991 bis
Mitte 1992 250000 Maschinenpistolen, 5000 Maschinengewehre
und 5000 Panzerfäuste und anderes mehr alleine an die Türkei ge-
liefert wurden. Aber wenn dann plötzlich Serben auf Kroaten
oder Türken auf Kurden schießen, spielen die gleichen Politiker
die Empörten und rufen die Bevölkerung zur Spenden-Hilfe und
zur Aufnahme von Flüchtlingen auf.



Was ist von der heutigen Abrüstung zu halten?
Wenn jemand feststellt, daß er zuviel Geschirr im Schrank hat,
wird er normalerweise die laufenden Nachlieferungen stornieren
und erst einmal das Vorhandene aufbrauchen. Stellen die Re-
gierungen fest, daß sie zu viele Waffen im Arsenal haben, und
einigen sich auf eine Reduzierung, dann gehen sie ganz anders
vor: Sie vernichten Teile des Bestandes und lassen die Nachlie-
ferungen weiterlaufen. Doch selbst wenn die Zahl der Bestands-
zerstörungen die der Nachlieferungen übersteigt, hat das auf
den Overkill in der Welt kaum eine Wirkung. So wollen die
USA und die ehemalige Sowjetunion die strategischen Atom-
waffen in den nächsten zehn Jahren zwar auf ein Drittel verrin-
gern, doch „auch nach der geplanten Abrüstung wird es in zehn
Jahren immer noch mehr als 6000 strategische Atomwaffen ge-
ben: genug, um die Erde hundertmal zu zerstören“. So konnte
man am 15. August 1992 in einem Bericht aus Kiew in der Zei-
tung lesen.
 Das Ergebnis jahrzehntelanger Abrüstungsverhandlungen ist
also nichts als Augenwischerei. Man entledigt sich lediglich
eines Teils der zum Ballast gewordenen Überrüstung bei weiter
laufender Neuproduktion und Modernisierung. Und diese be-
schleunigte Verschrottung, die wieder Milliarden verschlingt,
ist nicht nur ein Mordsgeschäft für die entsprechenden Unter-
nehmen, vielmehr trägt auch sie wieder zur Verknappung der
anlagesuchenden Gelder bei. So werden alleine in der Bundes-
republik in den kommenden drei Jahren rund 10000 konventio-
nelle Waffensysteme zerstört, überwiegend aus Beständen der
Nationalen Volksarmee. Kostenpunkt dieser Zerstörung: rund
190 Millionen Mark. In ganz Europa wird rund viermal soviel in
Rüstungsgütern „eingefrorenes Kapital“ endgültig aus der Welt
geschafft. Und dieser ganze Irrsinn wird sich kaum überwinden
lassen, solange wir die Rüstungsproduktionen als Garanten unse-
res Wirtschaftswachstums ebenso benötigen wie zur Vermeidung
fallender Zinsen.


[ Inhalt Geldsyndrom ]       [ Homepage www.geldreform.de ]       [ Gästebuch www.geldreform.de ]


Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Mit Zustimmung des Autors digitalisiert für INWO Deutschland e.V.