Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München


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28. Kapitel
Die Arbeitslosigkeit bei fallenden Zinsen
„Allein ein Prozent Zinssenkung übertrifft
die Wirkung milliardenschwerer Beschäfti-
gungsprogramme bei weitem.“
Peter Gillies, „Die Welt“, 1985





Wenn steigende Zinsen die Arbeitslosigkeit nach oben ziehen,
dann müßten fallende Zinsen eigentlich das Gegenteil bewirken.
Wie wir in der Darstellung 67 gesehen haben, war das nach 1967
auch noch der Fall: 1969 hatte die Arbeitslosigkeit wieder ihren
vorherigen Tiefstand erreicht. Nach der Hochzinsphase 1975 ging
die Arbeitslosigkeit jedoch nur geringfügig zurück, und auch nach
1983 verblieb sie, trotz weiter fallender Zinsen, fünf Jahre auf dem
erreichten Niveau. Wie läßt sich das erklären?
 Die geldbezogene Zinsbelastung in einer Volkswirtschaft ver-
ändert sich nicht allein mit den Zinssätzen, sondern auch mit der
Verschuldung. So wie die Wirkung steigender Zinssätze durch
einen allgemeinen Verschuldungsanstieg überkompensiert wird,
so kann die Wirkung fallender Zinssätze durch steigende Ver-
schuldung aufgehoben werden. Dabei wirkt sich dieser vom
Verschuldungsanstieg ausgehende Effekt um so stärker auf das
Konjunkturgeschehen aus, je höher der Verschuldungsgrad einer
Wirtschaft ist. Diesen Zusammenhang zeigt die folgende Darstel-
lung 69, in der die Entwicklung der Arbeitslosigkeit mit derjeni-
gen der Bankzinserträge verglichen wird, einmal in Mrd. DM und
einmal als Zinslastquote in Prozent des BSP. Wie erkennbar,
brach 1974 mit den fallenden Zinssätzen auch der Anstieg der
Zinserträge ab. Er ging jedoch nur für ein Jahr geringfügig zurück,
um trotz weiter fallender Zinssätze anschließend wieder anzustei-
gen.
 Ähnlich war es nach dem Zinsgipfel 1981/82: Nach einem kur-
zen Rückgang im Jahr 1983 stiegen die Bankzinserträge, trotz sin-
kender Zinssätze, bis 1988 weiter leicht an, um danach - mit dem
erneuten Zinssatzanstieg - wieder steil in die Höhe zu schießen.
Mit 490 Mrd. DM hatten die Bankzinserträge 1995 einen Stand
erreicht, der beim Zehnfachen der Summe von 1970 lag. Das So-
zialprodukt hatte in der gleichen Zeit nur auf das 4,5fache zuge-
nommen.
Zinslast und Arbeitslosigkeit
Wie verändert sich die Zinsbelastung, bezogen auf das BSP?

Wie die Kurve der Bankzinserträge in Darstellung 69 zeigt, so sind
deren Ausschläge - trotz der starken Zinsschwankungen - relativ
moderat. Hier wirkt sich der Tatbestand egalisierend aus, daß sich
die Veränderungen der Zinssätze direkt nur bei Neukrediten oder
solchen mit Gleitzinsvereinbarungen auswirken, während das
Gros der laufenden Kredite erst nach und nach davon betroffen
wird.
 Rechnet man jedoch die Zinserträge in Prozente des BSP um,
wie in der oberen Kurve geschehen, dann zeigt sich, daß die
Schwankungen dieser Zinslastquote vielmals gravierender sind,
als die DM-Beträge vermuten lassen. Denn die steigenden Bela-
stungen treffen auf eine Wirtschaft, deren Leistungsentwicklung -
aufgrund der hohen Zinsen - zu sinken beginnt. Umgekehrt trifft
eine fallende Zinsbelastung auf eine durch den Zinssatzrückgang
sich wieder belebende Wirtschaftstätigkeit. Dadurch ging bei-
spielsweise in der langen Zinssenkungsphase von 1982 bis 1988 die
relative Zinsbelastung der Wirtschaft von 14,4 auf 11,5 Prozent
zurück, obwohl sie in absoluten Größen von 229 auf 243 Mrd. an-
stieg. Aufgrund der ab 1988 wieder steigenden Zinssätze hatte die
Zinslastquote 1990 bereits wieder 13,8 Prozent erreicht und 1993,
mit 16,1 Prozent, den bisher höchsten Stand.
 Wenn der Zinsanstieg ab 1988 bei den westdeutschen Arbeitslo-
senzahlen erst 1992 Spuren hinterläßt, verdanken wir das dem ver-
einigungsbedingten Nachfrageboom. Dafür allerdings nahm die
Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern um so stärker zu. Nimmt
man nicht nur den Boom im Westen, sondern auch die Arbeits-
losigkeit in Ostdeutschland mit in die Grafik auf, dann ergibt sich
die gleiche „Parallelität“ zu den Zinslastkurven wie 1978/82.
 Auch heute noch werden die Veränderungen der Erdöl-Im-
portpreise immer wieder als die Ursache der beiden Rezessionen
um 1975 und 1982 genannt. Wie ein Vergleich der absoluten Grö-
ßen zeigt, stiegen diese Mineralölimporte von 1970 bis 1982 mit
60 Mrd. DM jedoch dreimal weniger an als die Bankzinserträge
mit 180 Mrd. Sicher haben die beiden „Ölpreisschocks“ die Kon-
junktur belastet und wahrscheinlich auch die Zinsentwicklung be-
einflußt. Angesichts der vielmals höheren Anstiege der Zinsbe-
träge wird ihre Rolle jedoch sicherlich überschätzt. Das geht auch
daraus hervor, daß der steile Rückfall der Erdölpreise 1985 keine
entsprechende Wirkung auf den Arbeitsmarkt hatte und das er-
neute Hochschießen der Arbeitslosigkeit ab 1990 von keinem
Ölpreisanstieg begleitet wurde. Hinzu kommt noch, daß die Wirt-
schaft die erhöhten Mineralölpreise sehr schnell an die Endver-
braucher weitergeben konnte, während die Überwälzung der er-
höhten Zinsbelastung kaum oder nur mit großer Verzögerung
möglich war. Das heißt, die Unternehmen wurden durch die ge-
stiegene Zinsbelastung zu größeren Einsparungen gezwungen als
durch die Anstiege der Mineralölpreise, auch wenn diese mit einer
Nachfrage-Abwanderung ins Ausland verbunden waren.



Warum geht bei uns die Arbeitslosigkeit bei fallenden Zinsen nicht zurück?

 Ab und zu werden fallende bzw. niedrige Zinsen als Mittel zum
Abbau der Arbeitslosigkeit bezeichnet. Wie aus der Darstellung
ersichtlich, funktioniert das jedoch bei uns nicht mehr. Trotz des
Rückfalls der Kapitalmarktzinsen nach den beiden letzten Hoch-
zinsphasen auf den Tiefpunkt von jeweils sechs Prozent, hat sich
am Stand der Arbeitslosigkeit nicht viel verändert.
 In den USA dagegen gehen mit den Zinsen auch die Arbeits-
losenzahlen deutlich zurück. Warum ist das dort anders als bei
uns? An einer geringeren Verschuldungszunahme kann das in den
USA nicht liegen. Im Gegenteil, die Gesamtverschuldung von
Staat, Wirtschaft und Privathaushalten übersteigt dort das BSP
bereits ca. 120 Prozent. Bei uns liegt sie „erst“ mit 105 Prozent
darüber.
 Ausschlaggebend für das flexiblere Reagieren der Arbeitslo-
senzahlen auf sinkende Zinsen dürften in den USA die flexibleren
Löhne sein. Bekanntlich liegt dort die Tarifautonomie bei den ein-
zelnen Betrieben. Das heißt, Unternehmen, die aufgrund des vor-
ausgegangenen Konjunktureinbruchs in die roten Zahlen geraten,
brauchen ihren Betrieb nicht immer dichtzumachen. Sie können
vielmehr mit der Belegschaft geringere Löhne aushandeln und da-
mit die Arbeitsplätze erhalten.
 Durch die bundeseinheitlichen Tarifverträge, die kleine und
große, finanzstarke und -schwache Betriebe über einen Kamm
scheren, ist das bei uns nicht möglich. Da die Unternehmen den
für sie nicht mehr tragbaren Lohnkosten weniger oder gar nicht
ausweichen können, ist bei uns außerdem der Druck zur Rationa-
lisierung größer.
 Es ist darum als „Durchbruch“ anzusehen, daß im Sommer 1992
bei der Lufthansa und 1994 bei VW zum erstenmal zur Stabilisie-
rung eines Unternehmens Löhne abgesenkt wurden.
 Finden solche Lohnkürzungen bei gleichbleibenden oder sogar
steigenden Wirtschaftsleistungen statt, spiegeln sie - wie auch die
Zinslastquote - den erhöhten Kapitalanspruch an den Leistungs-
kuchen wider. Hier bestätigt sich erneut: Durch Absenken der
Löhne kann man zwar Arbeitsplätze erhalten oder sogar neue
schaffen, aber nicht verhindern, daß die Arbeitsleistenden insge-
samt immer ärmer werden. Daß selbst Länder wie Schweden be-
reits mit dem Abbau von Sozialleistungen den steigenden Kapital-
ansprüchen ausweichen müssen, sollte uns zu denken geben.






Wie verhält sich der Staat in den Beschäftigungskrisen?
 Im allgemeinen erwartet man vom Staat bei Konjunktureinbrü-
chen ein antizyklisches Verhalten. Geht die Nachfrage von Wirt-
schaft und Privathaushalten zurück und geraten damit Arbeits-
plätze in Gefahr, soll der Staat seine Nachfrage verstärken. Dabei
sollte er auch gegebenenfalls zur Schuldenaufnahme bereit sein.
Dieses Einspringen des Staates zur Belebung der Konjunktur geht
auf Keynes zurück, der dafür auch den Begriff „deficit-spending“
geprägt hat. Dabei hat Keynes jedoch an einen Staat gedacht, der
in guten Konjunkturzeiten Rücklagen bildet, um sie in schlechten
einzubringen. Ganz sicher schwebten ihm keine Staaten vor, die
bereits in guten Zeiten Schulden machen und ihre Nachfrage in
schlechten Zeiten mit noch höheren Schulden finanzieren.
 Hat ein Staat in guten Zeiten keine Rücklagen gebildet, besteht
im übrigen die Gefahr, daß die aufgenommenen Kredite lediglich
die Lücken schließen, die sich als Folge des Konjunktureinbruchs



Darstellung 70
Ausgaben des Staates nach Ausgabearten
in den Steuertöpfen bilden. Außerdem wird in solchen Zeiten der
Etat auch noch durch zusätzliche Sozialausgaben und vor allem
steigende Zinsausgaben angenagt. Für tatsächliche „Konjunktur-
spritzen“, die den Arbeitsmarkt beleben, bleibt kaum noch etwas
übrig. Im Gegenteil: Sieht man sich die Grafik des Statistischen
Bundesamtes in der Darstellung 70 an, dann zeigt sich das ganze
Dilemma unseres hochverschuldeten Staates.
 Die in der Darstellung erfaßte Zeit von 1978 bis 1984 greift über
die letzte große Hochzinsphase hinweg, deren Wirkungen in den
ersten 80er Jahren zu Buche schlagen. Wie erkennbar, läßt der
Anstieg der gesamten Staatsausgaben ab 1981 auch etwas nach.
Die Investitionsausgaben aber, die alleine Arbeitsplätze schaffen
können, gingen jedoch - nach einem deutlicheren Anstieg Ende
der 70er Jahre - ab 1980 abrupt zurück.
 Während die Gesamtausgaben unseres Staates in den sechs dar-
gestellten Jahren um knapp 40 Prozent zunahmen, waren die Inve-
stitionsausgaben 1983 wieder auf dem Stand von 1978. Die ent-
scheidende Ursache für diese problemverstärkende Reduzierung
der Investitionsausgaben geht ebenfalls aus der Grafik hervor: Es
sind die Zinsausgaben des Staates, die seit 1978 überproportional
in die Höhe schossen, bis 1984 auf 240 Prozent.
 Allerdings ist der Staat nicht nur Opfer jener Rezessionen und
Überschuldungsfolgen, sondern auch der Hauptschuldige. Das
gilt genauso für die konjunkturelle Arbeitslosigkeit, die mit jeder
Hochzinsphase neue Höhen erklimmt. Auch bei den strukturellen
Entlassungsschüben ist der Staat aktiv beteiligt. Einmal, weil er
mit überlangen Subventionen häufig gleitende Produktionsum-
stellungen verhindert. Zum anderen, weil er zur Schonung der
Kapitalrendite die Löhne allzusehr mit Steuern und Abgaben be-
lastet. Teure Löhne und steuerlich verbilligte Sachinvestitionen
führen aber zwangsläufig zur Verdrängung menschlicher Arbeit
zugunsten von Maschineneinsatz.


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