Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München


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26. Kapitel
Krisenerscheinungen in Planwirtschaften
„Wir stehen am Rand eines Bankrotts.
Warum? Das könnte man mit verschiede-
nen Faktoren erklären: Inflation, zuneh-
mende Unausgeglichenheit von Angebot
und Nachfrage, Haushaltsdefizit, fieber-
hafte Geldemission. Das alles bedeutet nur
eins: zunehmende Zerrüttung unseres Geld-
und Finanzsystems und eine herannahende
Krise, ähnlich wie wir sie Anfang der zwan-
ziger Jahre und gleich nach dem Zweiten
Weltkrieg erlebt haben.“
Nikolai Schmeljow*
* Russischer Ökonom, „Politik und Zeitgeschichte“, 4. Mai 1990
Die grundlegende Krise aller Planwirtschaften ist gewissermaßen
strukturell vorprogrammiert. Einmal lassen sich die Befriedigun-
gen menschlicher Bedürfnisse niemals zentral auf optimale Weise
planen. Nicht absetzbare Überproduktionen und/oder unzurei-
chende Versorgungslagen sind die Folge. Zum anderen lähmen
Planwirtschaften die Eigeninitiative und verordnete Löhne die Lei-
stungsmotivation. Diese Mängel können allenfalls vorübergehend
durch ideologische Massenpsychosen und propagandistisches
Getrommel ausgeglichen werden. Doch auch die schönsten Blech-
orden sind auf Dauer kein Ersatz für eine leistungsgerechte Ent-
lohnung. So erzwingt die Kommandowirtschaft immer größere
Kontroll-, Aufsichts- und Funktionärskader, die mit ihrer Drohn-
entätigkeit einen immer größeren Teil der Leistung schlucken.
Selbst mit Zwangsarbeitsmethoden sind Planwirtschaften auf
Dauer nicht wettbewerbsfähig, da man zumindest Kreativität und
geistige Leistung nicht befehlen und erzwingen kann. Aber nicht
nur das Leistungsinteresse wird durch Planwirtschaften zerstört,
sondern auch die normale Einstellung zu allem Geschaffenen.
Wer einmal längere Zeit in solch einem System gearbeitet hat, ist
entsetzt über die Verschwendung von Ressourcen und die Verant-
wortungslosigkeit, mit der man Güter dem Zerfall preisgibt:
Wenn alles allen gehört, fühlt sich niemand mehr dafür zuständig!
 Gerade auch aus der Sicht des Umweltschutzes ist persönliches
Eigentum also ein Garant für Pflege und Erhalt von Gütern. Das
vor allem, wenn man diese durch eigene Leistung erworben hat.
An dem pfleglichen Umgang der ehemaligen DDR-Bewohner mit
ihrem „Trabi“ oder der „Datscha“ im Schrebergarten kann man
das studieren.
 Auch falsche Preissignale, die mit allen Plantwirtschaften ver-
bunden sind, führen zu problematischen Verhaltensweisen. Wenn
Brot billiger ist als Futtermittel, dann wird man Hühner und
Schweine damit füttern. Und wenn die Wohnungsheizung kaum
was kostet oder als Pauschale in der Miete steckt, dann reguliert
man die Temperatur übers Fensteröffnen, vor allem in solchen
Wohnungen, in denen man, zur Baukostensenkung, gleich die
Ventile weggelassen hat.





Haben die Krisen im Ostblock auch mit Geld zu tun?
 Obwohl man dem Geld im Ostblock einiges von seiner Bedeutung
genommen und es mehr zu einem Bezugsschein umfunktioniert
hat, blieb es prinzipiell mit den gleichen Fehlern behaftet wie in
den westlichen Marktwirtschaften. Überschüssige Geldbestände
in den Händen von Privathaushalten oder Betrieben konnten auch
in den sozialistischen Planwirtschaften nur durch das Lockmittel
Zins wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeholt werden. Da-
mit der Rubel rollte, mußte der Staat den Geldanlegern - nicht
anders als im Westen - ebenfalls das Bankgeheimnis garantieren,
vor allem, wenn er an die Ersparnisse der Gutverdienenden her-
ankommen wollte. Doch trotz dieser kapitalistischen Versprechen
klappte es mit der Geldzurückführung nur bedingt. Allzuviele
trauten den Regierungen nicht und bewahrten die Ersparnisse lie-
ber zu Hause auf, in dem berühmten Strumpf oder unter der Ma-
tratze. Natürlich konnte auch jeder sozialistische Staat das dem
Kreislauf entzogene Geld durch neugedrucktes ersetzen. Damit
aber bauten sich - nicht anders als bei uns - Doppelansprüche an
eine gleichbleibende Leistung auf. Solche stillgelegten Inflations-
potentiale treiben jedoch irgendwann, wenn sie zur Nachfrage
werden, die Preise nach oben. Schreibt man - wie im Osten üblich
- die Preise über Jahre und Jahrzehnte hinweg fest, dann kommt
es zu einer aufgestauten Inflation. Kommt eine solche aufgestaute
Inflation einmal zum Durchbruch, dann sind die Folgen unabseh-
bar. Sie sind mit einem Dammbruch vergleichbar und viel schwer-
wiegender als bei einer laufenden Verteuerung.
 In der ehemaligen UdSSR zum Beispiel wurde Ende der 80er
Jahre der ganze Geldbestand auf 300 Mrd. Rubel geschätzt. Die
monatliche Endnachfrage der Haushalte aber lag nur bei etwa
30 Mrd. Dieser Betrag ergab sich auch, wenn man das durch-
schnittliche Monatseinkommen in dieser Zeit von etwa 230 Rubel
mit der Zahl der Erwerbstätigen multiplizierte. Die vorhandene
nachfrageberechtigte Bargeldmenge war also rund zehnmal grö-
ßer als die monatliche Endnachfrage. In der Bundesrepublik be-
trug die Bargeldmenge 1990 vergleichsweise 159 Mrd. DM. Geht
man davon aus, daß die Haushalte ihre Endnachfrage zu 60 Pro-
zent mit Bargeld tätigen, waren dafür etwa 65 Mrd. erforderlich.
Die Geldmenge lag also bei uns nur beim Zweieinhalbfachen der
Haushalts-Bargeldausgaben. Dieser Vergleich macht die Größe
des damaligen Rubel-Überhangs deutlich.





Was sind die konkreten Folgen eines Geldüberhangs?

Solange das zuviel vorhandene Geld aus dem Geldkreislauf zu-
rückgehalten wird, ist es für das wirtschaftliche Geschehen bedeu-
tungslos. Kommt es jedoch zu ungewöhnlichen politischen Ent-
wicklungen oder verbreiten sich Gerüchte über Preisanstiege oder
Geldumtausch, dann nimmt die Aktivierung dieses Geldüber-
hangs zu. Das heißt, man steigt aus der Hamsterung von Geld in
die von Gütern um. Da aber das gegebene Angebot von Gütern
und Leistungen dieser zusätzlichen Nachfrage nicht entspricht,
kommt es zu Versorungsengpässen.
 Normalerweise würde eine solche Übernachfrage durch stei-
gende Preise abgebremst. Da aber die Preise in den staatlichen
Läden festgeschrieben waren, wurden massiert langlebige Güter
nachgefragt, wie Textilien und Hausrat, Zucker, Waschpulver
Seife usw. Die sich leerenden Regale führten auch bei anderen zu
Panikkäufen. Die Schlangen vor den Läden wurden länger, immer
häufiger auf Kosten der Arbeitsleistung oder gar der Arbeitszeit.
Dadurch verschlechterte sich die Versorgungslage noch mehr. Die
Folge war, daß vor allem die ärmere Bevölkerung, die sich keine
Hamsterkäufe leisten konnte, mit ihrem Arbeitslohn vor leeren
Läden stand. So kam es schließlich zu Streiks und Protestaktio-
nen, wobei es - wie in den Kohlerevieren am Ural - oft nicht ein-
mal um höhere Löhne ging, sondern nur um fehlende Seife oder
Handtücher.
 Verschärft wird diese Entwicklung noch durch die Entstehung
schwarzer Märkte, auf denen die Preise die inflationären Kauf-
kraftverluste der Währung widerspiegeln. Als Folge dieser Preis-
anstiege kommt es zu erneuten Streiks um höhere Löhne usf. Eine
solche einmal in Gang gesetzte Entwicklung ist kaum noch zu
bremsen. Vor allem, wenn eine solche Entwicklung durch den
Staat selbst noch beschleunigt wird, der die immer größeren Lö-
cher in seinem Etat mit neu gedrucktem Geld zu schließen ver-
sucht. Auf diese Weise wird aus der schleichenden und trabenden
Inflation schließlich eine galoppierende, ganz gleich, ob sich das
Ganze in einem Ostblockland, in Lateinamerika oder einer west-
lichen Demokratie abspielt.




Wußte man im Sozialismus vom Geldproblem?

„Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muß man ihr Geld-
wesen ruinieren“, soll Lenin einmal gesagt haben. Daß dieser Satz
nicht nur auf bürgerliche Gesellschaften zutrifft, wissen wir inzwi-
schen. Vielleicht hat es sogar Lenin gewußt. Doch statt die mit
dem Geld verbundenen Fehlmechanismen abzubauen, hat er be-
kanntlich nach der Revolution den Versuch gemacht, das Geld
abzuschaffen. Daß dieser radikale „Geldreformversuch“ (den Pol
Pot in unserer Zeit noch einmal wiederholte!) zu einem totalen
Zusammenbruch der Wirtschaft und zu Millionen Hungertoten
führte, hat man leider allzuoft vergessen oder verdrängt. Auch
von der Wissenschaft wird den Zusammenhängen zwischen geld-
bezogenen Ursachen und wirtschaftlichen Folgen viel zuwenig
nachgegangen, noch weniger bezogen auf die gesellschaftlichen
und politischen Folgen.
 Karl Marx hat zur Mißachtung der monetären Problemursachen
erheblich beigetragen. Nicht nur durch seine Fehlannahme, daß
die Ausbeutung des Menschen mit dem Produktionsmitteleigen-
tum zusammenhänge. Auch seine Einschätzung des Geldes als
Äquivalent für Leistungen und Güter ließ ihn die Überlegenheit
des Geldes nicht erkennen. Im dritten Band seines Hauptwerkes
„Das Kapital“ stößt man zwar auf weitergehende Erkenntnisse.
Wahrscheinlich aber stammen sie von Engels, der den Band zu-
sammenstellte und mehr von der Wirtschaftspraxis verstand.
Engels war es auch, der in seinem „Anti-Dühring“ auf die krisen-
auslösende Wirkung der Geldzurückhaltung hingewiesen hat.
 Daß der ursächliche Fehler unserer wirtschaftlichen Strick-
muster in der Zirkulations- und nicht in der Produktionssphäre
liegt, hat auch Gorbatschow eingesehen. So sagte er in seiner gro-
ßen Rede vom 25. Juni 1987 beispielsweise: „Große Aufgaben
gibt es im Bereich der Geldzirkulation zu lösen. Ohne dies kann
kein neuer Wirtschaftsmechanismus geschaffen werden.“ Und an
anderer Stelle: „Hauptmangel auf diesem Gebiet ist heute die
Loslösung . . . der Geldmittel von der Bewegung materieller Werte
und die Übersättigung der Volkswirtschaft mit Zahlungsmit-
teln . . . Der jetzige Rubel wird seiner Rolle als aktives Mittel der
finanziellen Kontrolle über die Wirtschaft nicht gerecht.“
 Diese Sätze sind nichts anderes als eine vorsichtige Umschrei-
bung des Tatbestandes, daß wir es auch in der ehemaligen UdSSR
mit einem „ruinierten Geldwesen“ zu tun hatten und haben. Als
Folge kommt es zu einem Erlahmen der Wirtschaftstätigkeit. Not
und Mangel nehmen zu, desgleichen die sozialen Spannungen,
nicht nur zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen ärme-
ren und reicheren Nationalitäten und Volksstämmen. Und solche
Spannungen arten allzuleicht - wie die Erfahrung zeigt - in Gewalt
aus bis hin zu Bürgerkriegen.
 Der Sozial- und Geldreformer Silvio Gesell hat diese Beziehun-
gen zwischen Geldzerstörung und Gewalt 1918 einmal treffend ge-
kennzeichnet:
 „Die Währung hält den Staat zusammen oder sprengt ihn - je
 nachdem. Wird hier gepfuscht, so löst er sich in kleine Teile auf,
 in Atome, die sich gegenseitig abstoßen: Stadt gegen Land, Be-
 ruf gegen Beruf, Volksstamm gegen Volksstamm, Norden ge-
 gen Süden, Festbesoldete gegen Lohnarbeiter, bis schließlich
 Arbeiterbataillone gegen Arbeiterbataillone marschieren.“
Vor dem Hintergrund der Vorgänge im ehemaligen Jugoslawien
gewinnt diese Aussage geradezu an beklemmender Bedeutung.
Allzuleicht vergißt man angesichts der Ereignisse dort, daß es
ohne die vorausgegangene wirtschaftliche Destabilisierung kaum
zu dieser Gewalteskalation gekommen wäre. Diese Destabilisie-
rung wiederum ist nicht nur die Folge einer zunehmenden Aus-
landsverschuldung in den 80er Jahren, sondern wahrscheinlich
noch mehr die der gleich langen inflationären Währungszerstö-
rung. Das bestätigte der slowenische Ökonom Marjan Senjur im
März 1990 in der „Zeitschrift für Sozialökonomie“:
 „Seit 1980 steckt Jugoslawien in einer immer größer werdenden
 wirtschaftlichen Krise, die inzwischen zu einer generellen ge-
 sellschaftlichen Krise geworden ist . . . Meiner Meinung nach ist
 die Inflation das größte gesellschaftliche Problem Jugosla-
 wiens.“





Welche Rolle spielte das Zinsproblem in den Ostblockstaaten?

Daß es in Ost und West vergleichbare Unzulänglichkeiten der
Geldmengenregulierung und des Geldumlaufs gibt und eine ver-
gleichbare leichtfertige Bedienung der Notenpresse, wurde darge-
legt. Ebenfalls wurde schon erwähnt, daß man auch in den Ost-
blockländern den Geldumlauf durch Zinsversprechen halbwegs in
Gang zu halten versuchte. In der ehemaligen UdSSR war diese
Zinsbelohnung sogar recht attraktiv: drei Prozent für kurzfristige
Einlagen und fünf Prozent für mittelfristige. Und angesichts der
über Jahrzehnte festgeschriebenen Preise handelte es sich dabei
um reale Zinsen. Damit lag die Belohnung für die langfristige
Freigabe von Geld noch über den in der Bundesrepublik gezahlten
Realzinsen, die im Schnitt der letzten Jahrzehnte knapp über vier
Prozent gelegen haben.
 Natürlich waren die Folgen der Zinsbelohnung im Osten nicht
anders als bei uns: Diejenigen, die bereits zuviel Geld hatten und
es verleihen konnten, bekamen noch mehr Geld dazu. Denjeni-
gen, denen Geld fehlte und die es sich leihen mußten, wurde noch
mehr genommen. Und da auch im Ostblock nur verteilt werden
konnte, was erwirtschaftet wurde, mußten die Arbeitsleistenden
die Zeche bezahlen.
 Schon vor etwa 20 Jahren soll es in der UdSSR Zehntausende
von Rubelmillionären gegeben haben, die von ihren Zinseinnah-
men leben konnten. Da den hochbezahlten Spitzenfunktionären,
-wissenschaftlern, -künstlern und -sportlern oft die Möglichkeit
zum Ausgeben ihrer Einkommen fehlte, bildeten diese besonders
hohe Sparrücklagen. Und nach dem Zinseszinsprinzip verdoppeln
sich auch im Osten Bankeinlagen bei fünf Prozent Verzinsung alle
14.5 Jahre. Damit war auch ohne Neuersparnisse die Wucherung
der Geldvermögen gesichert.
 Natürlich waren, gemessen an westlichen Maßstäben, die Er-
sparnisse in den Ostblockländern insgesamt geringer als im We-
sten. So waren z. B. die nominellen Pro-Kopf-Bestände in der
ehemaligen DDR zweieinhalbmal kleiner als die in der BRD.
Doch die Unterschiedlichkeit der Verteilung dieser Ersparnisse
auf die Haushalte ist durchaus vergleichbar. Trotz der propagier-
ten Solidarität im „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ hatten „drüben“
80 Prozent der Haushalte nur ein Fünftel der gesamten Geld-
vermögen von rund 170 Mrd. Mark in der Hand, also 34 Mrd.,
während die restlichen 20 Prozent der Haushalte über Guthaben
von rund 136 Mrd. Mark verfügten. Rechnet man das auf jeden
Haushalt um, dann hatten vier Fünftel der Haushalte im Schnitt
6500 Mark auf der hohen Kante, ein Fünftel - also die wohlha-
bende Minderheit - hatte dagegen im Schnitt rund 105 000 Mark.
Die Wirklichkeit aber war noch schlimmer, als es diese Durch-
schnittszahlen wiedergeben. Denn keinesfalls hatte jeder fünfte
Haushalt „drüben“ ein Geldguthaben von mehr als 100000 Mark.
Vielmehr kam diese hohe Durchschnittssumme nur zusammen,
weil in der reicheren Gruppe auch die Millionenvermögen „ver-
steckt“ sind, die den Durchschnitt in die Höhe treiben.
 Welche zinsbedingte Einkommensumschichtung zwischen die-
sen beiden statistisch erfaßten Gruppen gegeben war, läßt sich
ebenfalls errechnen: Da die Durchschnittsvermögen bei der rei-
chen Minderheit 16mal größer waren als bei der Mehrheit, die
Zahl der Haushalte jedoch viermal geringer, mußten die ärmeren
Haushalte für die reicheren viermal mehr Zinsen erwirtschaften,
als sie selbst erhielten. Und daran hat sich seit 1990 nicht viel geän-
dert.







Gibt es noch andere Krisenprobleme im Osten, die mit dem Geld zusammenhängen?

 Daß Übervermehrungen der Geldmenge auch in sozialistischen
Staaten zu Instabilitäten führen, wurde bereits dargelegt. Ver-
sucht man, den dadurch ausgelösten Preisauftrieb durch Fest-
schreibung aller oder einzelner Preise einzuschränken, dann
kommt es nicht nur zu leeren Läden und schwarzen Märkten, son-
dern auch zu völlig irrealen Tauschverhältnissen mit dem Aus-
land. Das heißt, die Wechselkurse haben mit der Wirklichkeit
nichts mehr zu tun. Das wiederum eröffnet Spekulanten unge-
ahnte Möglichkeiten zu Millionengeschäften, die letztlich immer
zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung gehen. Selbst für Normal-
bürger kann dann eine Reise mit einem Koffer voller Produkte
nach Berlin oder Wien mehr einbringen als ein ganzer Monat Ar-
beit. Bedenkt man, daß die normale Arbeitsleistung unter solchen
Aktivitäten leidet und für viele sogar völlig nebensächlich wird,
dann werden die Folgen solcher geldbedingten Marktstörungen
abschätzbar.
 Auch durch Arbeitsaufnahmen im Westen kam und kommt es
zu völlig verrückten Einkommenssituationen. So konnte 1989/90
ein Pole, der nach einem halbjährigen Job in der BRD mit
5000 DM Ersparnis nach Hause fuhr, diese offiziell gegen drei Mil-
lionen Szloty umtauschen. Dafür zahlte ihm die Bank, wenn er das
Geld bei ihr anlegte, damals neun Prozent Zinsen. Damit hatte
der Heimkehrer ein größeres Einkommen ohne Leistung als seine
arbeitenden Genossen. Doch da auch in den Ostblockstaaten
nichts vom Himmel fällt, wurden die Zinseinkünfte jenes Szloty-
Millionärs diesen arbeitenden Genossen abgezwackt.
 Ein weiteres geldbezogenes Problem ist der Tatbestand, daß in
allen Ostblockländern, als Folge der Ruinierung der eigenen
Währung, die Menschen zunehmend in kaufkraftstabile West-
währungen flüchteten und das auch heute wieder tun. Sieht man
von Schenkungen ab, so können diese Westdevisen letztlich nur
aus Exporten oder Westkrediten stammen. Das heißt, mit dieser
neuen Hortung von Geld, diesmal in Devisen, wird das Land er-
neut geschädigt. Und soweit diese Devisen als eine Art Zweitwäh-
rung im Land kursieren, was zunehmend der Fall war und weiter-
hin ist, werden die Bemühungen der jeweiligen Notenbank zur
Geldmengensteuerung unterlaufen.
 „Der Rubel ist derzeit auf dem Schwarzmarkt für einen guten
Pfennig zu haben. Längst gibt es zwei Währungskreisläufe: den
durch die unter Hochdruck laufende Notenpresse entwerteten
Rubel, dem die Menschen und Betriebe durch Tauschwirtschaft
ausweichen, und Devisen, für die man alles bekommt“, schrieb
Peter Gillies in „Die Welt“ vom 2.1.1992. Anfang 1993 war der
Rubel gerade noch einen Drittelpfennig wert.
 Noch ein weiteres geldbezogenes Thema darf natürlich nicht
vergessen werden: die Auslandsverschuldung der ehemaligen
Ostblockländer, mit der man versuchte, die Folgen der Mißwirt-
schaft noch eine Weile erträglicher zu machen (siehe Darstellung
30, 13. Kapitel).
 „Die Schulden fressen den Sozialismus“, hatte Ende der 80er
Jahre der Berliner Studentenpfarrer Ton Veerkamp einmal in der
Zeitschrift „Junge Kirche“ geschrieben. Das war sicher etwas ver-
kürzt gesehen, da - wie gesagt - diese Verschuldung im Westen
eher ein letzter Versuch war, das bereits gescheiterte, an Marx
orientierte Sozialismusmodell zu retten. Daß dieses Verschul-
dungsmittel die ganze Misere noch vergrößern mußte, wußten of-
fensichtlich auch die marxistischen Ökonomen nicht, deren Wis-
sen über Geld wohl noch lückenhafter war als das der meisten
westlichen Kollegen. Denn durch die schuldenbedingten Zins-
transfers flossen nun auch noch zunehmend Arbeitseinkünfte
über die Grenzen in den Westen ab und verringerten dazu noch
die unzureichenden Devisenreserven, die man für dringende Ein-
käufe in den kapitalistischen Ländern brauchte.
 Polen mußte schon Anfang der 80er Jahre jeden Monat rund
250 Mio. Dollar Zinsen an den Westen zahlen. Das waren damals,
bei noch halbwegs überschaubaren Verhältnissen in diesem Land,
monatlich etwa 14 Dollar je Beschäftigten. Diese Summe er-
scheint tragbar, aber sie entsprach rund einem Siebtel aller Ar-
beitslöhne. Jeder Pole mußte also jeden siebten Tag für die West-
schulden arbeiten! Und da man, nach bewährter Methode, die
Zinsen für die alten Schulden mit neuen Schulden bezahlte, geriet
man immer stärker in den Schuldensumpf.
 Betrachtet man die Sache nüchtern, dann haben die Arbeiter
der Lenin-Werft mit ihren Streikaktionen in den 70er und 80er
Jahren zwar mehrfach die geplanten Preisanhebungen verhindern
und sogar zwei Regierungen zum Rücktritt zwingen können, doch
sie haben damit den Staat in eine Überschuldung getrieben, deren
Folgen vielmals verarmender sind als die vermiedenen Preiserhö-
hungen, vor allem wenn man die inflationsbedingten Verluste ih-
rer ganzen Arbeitsersparnisse mit berücksichtigt.
 Und fast makaber ist es, daß jener Lech Walesa, der damals auf
den Streikbarrikaden stand, nun als Staatspräsident die selbst ein-
gebrockte Suppe mit auslöffeln muß.




Was wäre zu tun?
Da ohne ein geordnetes Geldwesen kein Staat länger funktionie-
ren kann, müßten in allen Ostblockländern zuerst einmal die
Währungen in Ordnung gebracht werden. Das heißt, der inflatio-
näre und die Wirtschaft destabilisierende Geldüberhang müßte
endlich abgeschöpft werden. Das ist auch erforderlich, um zu
halbwegs realistischen Wechselkursen zu kommen, die erst Ge-
schäfte mit dem Ausland ermöglichen.
 Schon zu Zeiten Gorbatschows wurde dieser Geldumtausch
und die Ausgabe eines neuen Rubels von einzelnen Fachleuten
angeraten. Doch man hat diesen unausweichlichen Einschnitt in
die Währung immer wieder aufgeschoben. Statt dessen versuchte
man und versucht weiterhin - vor allem in den GUS-Staaten - die
Flucht nach vorn. Das heißt, man läßt die Notenpresse immer
schneller laufen.
 Doch mit jedem zusätzlich gedruckten Rubel nehmen die Insta-
bilitäten zu. „Der Rubel hat innerhalb weniger Wochen "Hun-
derte Prozente" seines Wertes verloren. Vor zwei Wochen wurde
er im Verhältnis von 40 Rubel je Dollar gehandelt, jetzt muß man



Der Rubel muß rollen!
 Alte Volksweisheit
 Wohin rollt der Rubel?
 Sowjetbürger horten Geld
 Der Rubel rollt bergab
 Erhöhung der Geldmenge um 45 Prozent
 Der steile Fall des Rubels ist nicht mehr aufzuhalten
 Keine Bremse für den Rubel-Kurs
 Der Rubel rollt nicht mehr!
 Landeswährung dient kaum noch als Zahlungsmittel
 Geldsystem zerstört!
 Wirtschaftsberater Gorbatschows aus Protest zurückgetreten



über 115 Rubel pro Dollar zahlen“, zitierte am 14.11.1991 das
„Handelsblatt“ einen russischen Wirtschaftsprofessor. Das alles
ist längst Schnee von gestern, und inzwischen kommt es nur noch
zu einem Stillstand der Notenpresse, wenn der Papiernachschub
nicht funktioniert. Damit wird aber auch die Möglichkeit zu einem
Geldumtausch immer fragwürdiger, da diese Maßnahme ein halb-
wegs funktionierendes Staats- und Finanzwesen voraussetzt. (Der
vorstehende Zusammenschnitt einiger Schlagzeilen spiegelt das
Schicksal des Rubels und damit der gesamten Gesellschaft im
Zeitraffer wider.)
 Vielleicht ist die Unentschlossenheit Gorbatschows in dieser
Frage der größte Fehler, den man ihm einmal vorwerfen wird. Es
ist jedoch der gleiche Fehler, der auch die Mehrzahl aller Politiker
in der ganzen Welt betrifft und leider auch das Gros der Wirt-
schaftswissenschaftler, nämlich mangelndes Wissen über unser
Geld und seine Wirkungsmechanismen. Die Folgen dieser Unwis-
senheit und Unentschlossenheit der Verantwortlichen zeichnen
sich jedenfalls in den GUS-Staaten immer deutlicher ab. Wo und
wie sie enden werden, ist nicht voraussehbar. Die Gefahr besteht,
daß einzelne Länder in Chaos oder Anarchie verfallen und die
Geschehnisse in Jugoslawien noch übertroffen werden könnten.





Wie hat sich die Vereinigung von Ost- und Westdeutschland geldbezogen ausgewirkt?
 Auch mit dem Geldumtausch in Ostdeutschland haben die dafür
verantwortlichen Politiker wieder einmal bewiesen, wie wenig sie
vom Geld und seinen Wirkungsmechanismen verstehen: Allen-
falls ein Umtausch 5:1 bis 8:1 wäre sachlich gerechtfertigt gewesen
und sicher auch akzeptiert worden. Denn der freie Umtauschkurs
lag bekanntlich vor der Einigung bei 10:1 bis 20:1.
Mit dem Kopfgeldumtausch 1:1 hatte man einen weitgehend
ungedeckten Kaufkraftschub geschaffen, der vor allem dem west-
deutschen Autohandel zugute kam. Noch bedenklicher aber war
der uneingegrenzte Umtausch aller darüber hinausgehenden Ost-
mark-Ersparnisse im Verhältnis 2:1, mit dem man gerade den Pri-
vilegierten des alten Systems zu unverdientem Reichtum in harter
Währung verhalf. Geradezu unverantwortlich aber war dieser
Umtauschkurs vor dem Hintergrund, daß damit auch alle Schul-
den in den neuen Ländern auf der Basis 2:1 umgerechnet werden
mußten. Dieser Tatbestand mußte unzählige Unternehmen
zwangsläufig in die Zahlungsunfähigkeit treiben bzw. den Staat
zur Übernahme der selbstgeschaffenen DM-Schulden zwingen.
Da man die Geldbesitzer in der DDR mit dem Umtauschkurs
überreich beschenkte, konnte man verständlicherweise bei den
Rentnern nicht knausern. Die Folge der schnellen Rentenanpas-
sungen wiederum war ein entsprechender Druck auf die Anpas-
sung der Löhne und damit auf die Beschäftigung. Mit dem Ver-
zicht darauf, die anfangs vorhandene Bereitschaft zum Teilen in
Westdeutschland aufzugreifen, und mit der Entscheidung „Rück-
gabe vor Entschädigung“ haben die Politiker weitere respektable
„Selbsttore“ geschossen.
 Sicher ist eine solche Zusammenführung zweier Länder unter-
schiedlicher Wirtschafts- und Leistungsstrukturen keine einfache
Sache, und sicher wären auch bei einem realistischen Wechselkurs
die Vereinigungsschwierigkeiten groß genug gewesen. Doch die
Lücken im monetären Wissen der Verantwortlichen und ihre wah-
lenbezogene Großzügigkeit kommen uns wieder einmal beson-
ders teuer zu stehen. Und das für Jahre und Jahrzehnte.
 Vordergründig ist die Enttäuschung vieler ehemaliger DDR-
Bürger über die Vereinigung verständlich. Denn statt des erwarte-
ten West-Reichtums für alle gab es - auch durch den Run auf
Westwaren und eine falsche Handhabung des Bodenrechts - ex-
plodierende Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen. Auch in
den alten Bundesländern führte die Vereinigung, nach einem an-
fänglichen Nachfrageboom, zu zusätzlichen sozialpolitischen
Schwierigkeiten. Was aber den Bürgern der neuen Bundesländer
ohne die Vereinigung beschieden gewesen wäre, können sie vor
ihrer Haustüre in den östlichen Nachbarländern studieren.


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