Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München


[ Inhalt Geldsyndrom ]         [ Homepage www.geldreform.de ]          [ Gästebuch www.geldreform.de ]
18. Kapitel
Zinslasten und Zinseinkünfte der Privathaushalte
„Der Zins ist ein Tribut, den der Schaffende
- vom Industriearbeiter bis zum Bauern und
Unternehmer - dem Geldleiher entrichten
muß, damit überhaupt gearbeitet werden
kann. Der Zins wird in den Preis aller Wa-
ren eingerechnet und dadurch auf die Kon-
sumenten abgewälzt. Er ist eine erdrük-
kende Last für die große Mehrheit und eine
mühelose Einnahmequelle für eine kleine
Minderheit der Bevölkerung. Der Zins ist
arbeitsfreies Einkommen und daher ethisch
nicht zu verantworten.“
Hansjürg Weder*
* Schweizer Nationalrat, 1990








Was ist mit den direkten Zinsen?

Bisher haben wir uns nur mit den Zinslasten beschäftigt, die wir
alle über Preise, Steuern und Gebühren auf versteckte, indirekte
Weise zahlen. Ein relativ geringer Anteil der gesamten Zinsen
wird von den Haushalten aber auch direkt gezahlt. Dies sind
einmal die Zinsen jener Kredite, die mit der Finanzierung des
Eigenheims oder der Eigentumswohnung zusammenhängen. Sie
stecken meist in einer gleichbleibend hohen Monats- oder Jahres-
rate, die neben den (abnehmenden) Zinsen eine (zunehmende)
Tilgung enthält. Das Risiko solcher Investitionsverschuldungen
ist relativ gering. Denn die Kredite sind durch die geschaffenen
Gebäude und meistens auch durch den Boden abgesichert. Trotz-
dem kommt es auch in unseren Tagen immer wieder zu Tausenden
von Zwangsversteigerungen als Folge eingetretener Zahlungsun-
fähigkeit. Solche Zahlungsunfähigkeiten sind in den meisten Fäl-
len hochzinsbedingt, und das aus zwei Gründen: Einmal können
Hauseigentümer schon durch geringe Anstiege der Hypotheken-
zinssätze in Schwierigkeiten geraten. Zum anderen sind erhöhte
Zinsen meist mit Konjunktureinbrüchen, Arbeitslosigkeit und da-
mit rückläufigem Einkommen verbunden, so daß sich der Effekt
verdoppeln kann. Gefährlicher, weil nicht durch Sachvermögen
gedeckt, sind jedoch die Zinsbelastungen durch Konsumenten-
kredite, die seit Jahren besonders rasch zunehmen.



Wie hoch sind die Zinsbelastungen aus Konsumentenkrediten?
Für 1995 wird für die Konsumentenkredite in den alten Bundes-
ländern einen Zinslast von 41,2 Mrd. DM ausgewiesen. Bezogen
auf die Schuldensumme von 372 Mrd. DM, entsprach das einer
Durchschnittsverzinsung von 11,1 Prozent.
 Verteilt man die gesamten Zinsen von 41,2 Mrd. DM auf die
neun Millionen tatsächlich verschuldeten Haushalte, dann kommt
man auf eine Jahreszinsbelastung von rund 4600 DM. Diese
Summe entspricht etwa dem durchschnittlichen Brutto-Monats-
einkommen eines Arbeitnehmers.
 Die Entwicklung der Konsumenten-Zinsbelastungen in den
letzten 35 Jahren geht aus Darstellung 45 hervor. Ins Auge fallend
ist einmal der insgesamt steile Anstieg der Belastung ab 1968, zum
anderen die deutlichen Ausreißer 1974, 1982 und 1993. Vergleicht
man die Entwicklung der Zinslasten mit derjenigen der Nettoar-
beitseinkommen, dann zeigt sich wieder die gefährliche Scheren-
öffnung: Die Zinslasten stiegen von 1960 bis 1993 auf das 46fache
an, die Nettolöhne und -gehälter nur auf das Zehnfache.
 Zieht man die Entwicklung von 1978 bis 1982 und 1988 bis 1993
heran, dann haben sich in diesen Jahren die konsumbezogenen
Zinsbelastungen der Privathaushalte jeweils mehr als verdoppelt.
In welche Schwierigkeiten Haushalte durch solche plötzlichen Be-
lastungsanstiege geraten können (zu denen sie sich allzu häufig
durch überzogenes Konsumdenken und die Werbung verleiten
lassen), bedarf kaum einer Erläuterung. Mußte z. B. ein durch-
schnittlich verschuldeter Haushalt 1988 noch 2000 DM für die
Verzinsung aufbringen, so waren 1993 bereits 4600 DM dafür er-
Forderlich.


Zinsen auf Konsumentenschulden


Wie verteilen sich die Zinseinkünfte der Privathaushalte?
Wie im 15. Kapitel dargelegt, verfügten die Privathaushalte 1990
mit rund 2900 Mrd. DM über den größten Teil der Geldvermögen.
Entsprechend waren die den Privathaushalten zufließenden Zins-
erträge mit 136 Mrd. DM wesentlich größer als die abfließenden
Zinslasten für die Konsumentenkredite in Höhe von 24 Mrd. DM.
 Zu diesen Zinserträgen des Jahres 1990 schrieb die Münchener
„Abendzeitung“ am 26. April 1991:

Die Bundesbürger ließen Geld
arbeiten:136 Milliarden Mark
 Im vergangenen Jahr kassier-
 ten die privaten Haushalte in
 den alten Bundesländern 136
 Milliarden DM, für die sie nicht
 zu arbeiten brauchten. Sie
 ließen ihr Geld für sich arbeiten.
 Genauer: Sie ließen jene für sich
 arbeiten, die Kredite aufgenom-
 men haben und dafür Zinsen
 zahlen mußten.



 Die Zinseinnahmen von 136 Mrd. DM ergaben rechnerisch für
jeden der 27 Millionen Haushalte einen Betrag von gut 5000 DM.
In Wirklichkeit dürfte aber nur ein kleiner Teil der Haushalte über
solche Gutschriften verfügen. Die übergroße Mehrheit mußte sich
mit einem Bruchteil dieses Betrages zufriedengeben. Das rech-
nete auch die „Abendzeitung“ ihren Lesern vor:
 Allerdings - nicht jeder Haus-
 halt hat Vermögenseinkom-
 men, und wenn, dann oft nur
 in bescheidener Höhe. Das
 Gros der privaten Haushalte -
 80 Prozent - bekam nänlich nur
 26 Prozent vom Vermögens-Ein-
 kommenskuchen; die übrigen
 74 Prozent vom Kuchen - das
 sind rund 100 Milliarden DM -
 gingen an nur 20 Prozent der
 Haushalte.

 Rechnet man die prozentualen Aufteilungen in DM-Beträge
um, dann mußten sich vier Fünftel der Haushalte im Durchschnitt
mit Zinseinnahmen von 1640 DM begnügen, während das rest-
liche Fünftel durchschnittlich 18630 DM kassierte, also mehr als
das Elffache. Bei alldem ist wieder zu beachten, daß es sich bei
diesen Beträgen nur um die Zinseinnahmen aus Geldvermögen
handelt. Die Zinsen aus den Sachvermögen, wahrscheinlich ein
ähnlich hoher Betrag, sind jeweils noch hinzuzurechnen. Diese
zinstragenden Sachvermögen aber konzentrieren sich noch stär-
ker bei einer Minderheit der Haushalte als die Geldvermögen.



Was sind die niedrigsten und die höchsten Zinseinkommen?
 Die niedrigsten Zinseinkommen liegen verständlicherweise bei
null. Die Größe dieser Haushaltsgruppe ohne nennenswerte Zins-
einkommen ist nicht genau zu quantifizieren. Sie dürfte zwischen
zehn und 15 Prozent der Gesamthaushalte liegen. Bei den nachfol-
genden 30 Prozent liegen die Zinseinkommen weitgehend im Be-
reich zwei- und dreistelliger Zahlen.
 Die höchsten Zinseinkommen sind noch schwerer zu erfassen.
Vor allem, weil bei den wohlhabenderen Haushalten das Gros der
Zinseinkünfte aus Sachvermögen stammt.
 Am 8. 3.1990 konnte man in den Tageszeitungen lesen:
 600 deutsche Megamillionäre
 Superreiche sitzen
 auf 300 Milliarden
 München (dpa/vwd). - In der Bundesre-
 publik gibt es rund 600 „Megamillionäre“,
 deren Vermögen zwischen 100 Millionen
 und mehreren Milliarden DM beträgt.
 Im Schnitt verfügte also jeder der 600 reichsten Deutschen über
500 Mio. DM. Legt man eine durchschnittliche Verzinsung dieses
Vermögens in Höhe von nur sechs Prozent zugrunde, dann hatte
jeder dieser reichsten Haushalte ein jährliches Zinseinkommen
von 30 Mio. DM, ein monatliches von 2,5 Mio. DM.
 Im Dezember 1992 berichtete das Wirtschaftsmagazin „forbes“
von 95 bundesdeutschen Milliardären, die zusammen über die
hübsche Summe von 233 Mrd. DM verfügten. Dieses Vermögen
entspricht - um es faßbarer zu machen - dem Lebensarbeitsver-
dienst von 155 000 Normalverdienern, wenn man für jeden andert-
halb Millionen ansetzt. Wohlgemerkt: dem Verdienst! Nicht den
Ersparnissen ! Geht man von fiktiven Lebensersparnissen in Höhe
von 30000 DM je Normalverdiener aus, dann müßten wir den
95 Milliardären 7,8 Millionen Normalsparer gegenüberstellen, um
auf die 233 Mrd. DM zu kommen.
 Nehmen wir auch bei diesen 95 Milliardären eine bescheidene
Verzinsung von sechs Prozent an, dann wurden sie 1992 gemein-
sam um 14 Mrd. DM reicher. Pro Kopf und Jahr waren das rund
147 Mio., pro Woche 2,8 Mio. Geht man davon aus, daß jeder Er-
werbstätige jede dritte Stunde für die Kapitalrenditen arbeitet,
dann mußten 1992 rund eine Million Arbeitnehmer wegen dieser
95 Milliardäre jede Woche 13 Stunden mehr arbeiten, als es für
ihren eigenen Lebensrahmen erforderlich war.
 Besonders problematisch ist, daß nur ein Bruchteil der Zinser-
träge von den Reichen verkonsumiert wird. Ganz einfach, weil
man auch beim großzügigsten Lebenswandel täglich keine Hun-
derttausende von Mark und noch mehr verbraten kann. Die Folge
ist, daß das Gros der Zinseinnahmen erneut gegen Zinsen ange-
legt werden muß, wodurch sich schon bei sechs Prozent die gege-
benen Vermögen alle zwölf Jahre verdoppeln. Das heißt, in
24 Jahren kommt es zu einer Vervierfachung und in 36 Jahren zur
Verachtfachung. Dieser exponentielle Wachstumsmechanismus
des Zinseszinses erklärt auch, wie es überhaupt zu solchen Vermö-
gen in den Händen jener 95 Milliardäre kommen konnte.


Woher erhält Fräulein Quandt täglich 650000 DM?
Einen besonders exemplarischen Fall schilderte „Bild“ am 27. Juli
1990 unter der Überschrift:
 Fräulein Quandt
 (3 Milliarden)
 heiratete
 Herrn
 Klatten
 (4600 Brutto)

um dann im Text einige interessante Einzelheiten aufzudecken:
 Der gebürtige Hamburger
 hat die Liebesprobe bestanden
 und braucht nicht mehr für
 4600 Mark brutto im Monat zu
 arbeiten. Er hat schließlich im
 Nobel-Ort Kitzbühel (Öster-
 reich) ein scheues Mädchen
 geheiratet, das alleine an Zinsen
 täglich über 650.000 Mark ver-
 dient.
 Jan hätte sich zwölf Jahre als
 Angestellter abplagen müssen,
 um die Tageseinnahme seiner
 Frau zu verdienen.

Beim Einkommen von Herrn Klatten ist das Wort „verdienen“
sicher angebracht. Ob es auch für die 650000 DM zutreffend ist,
die das bisherige Fräulein Quandt jeden Tag auf ihrem Konto gut-
geschrieben findet, scheint jedoch fragwürdig. Denn der Begriff
„verdienen“ ist eigentlich nur bei erarbeitetem Einkommen, also
bei eigenen Leistungseinbringungen zutreffend.
 Natürlich stammen jene 650000 DM pro Tag auch aus Arbeits-
leistungen, aber aus der Arbeit anderer. Denn statt des Jan Klat-
ten, der dazu zwölf Jahre benötigt hätte, müssen 12 x 365 =
4380 Normalverdiener a la Klatten jeden Tag ihren vollen Ver-
dienst an Susanne Quandt abliefern. Da aber auch Normalverdie-
ner nicht von Luft und Liebe leben können, müssen dreimal so
viele „Klattens“, nämlich 13140, jeden Tag ein Drittel ihres Ta-
gesverdienstes hergeben, damit der Zinsertrag von 650000 DM
zusammenkommt. Und da auf die gleiche Weise auch alle anderen
Vermögen laufend mit Zinsen bedient werden müssen, gilt dieser
Schlüssel auch für alle Arbeitsleistenden in der alten Bundesrepu-
blik, in der 1993 rund 29 Mio. Erwerbstätige ein Kapital von ca.
10 Billionen DM bedienen mußten.


[ Inhalt Geldsyndrom ]       [ Homepage www.geldreform.de ]       [ Gästebuch www.geldreform.de ]


Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Mit Zustimmung des Autors digitalisiert für INWO Deutschland e.V.