Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein,
1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
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16. Kapitel
Die Überentwicklung der Zinsströme
„Das Zinssystem bevorzugt in krasser Weise
die Besitzenden. Der Ertrag des Wachstums
dient nicht in erster Linie dem Volkswohl-
stand, sondern konzentriert sich bei weni-
gen, sichert das exponentielle Wachstum der
großen Vermögen. Die Verfügungsgewalt
verlagert sich immer mehr auf gewaltige pri-
vate, anonyme Gebilde, welche von der
Geldseite her politische Macht und Willens-
bildung zu manipulieren verstehen.“
Werner Rosenberger *
* Präsident der Internationalen Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung
(INWO), „Die Welt im Umbruch - Entwurf einer nachkapitalistischen Wirt-
schaftsordnung“, 1991
Daß mit der Überentwicklung von Geldvermögen und Schulde
auch die Zinsströme überproportional ansteigen, ist verständlich.
Die Größe der Zinsströme wird jedoch nicht nur vom Umfang der
Vermögens- und Schuldenbestände bestimmt, sondern auch von
der Höhe der Zinssätze. Diese aber weisen langfristig einen zu-
nehmenden Trend auf. So lagen die Kapitalmarktzinsen im
Schnitt der 50er Jahre bei 6,3 Prozent, in den 60er Jahren bei 6,6
und in den 70er Jahren bei 8,1 Prozent. Im Mittel der 80er Jahre
führte das lange Zinstal zu einem Absinken des Durchschnittssat-
zes auf 7,6 Prozent. 1990 bis 1992 lagen sie erneut höher, nämlich
bei 8,6 Prozent. Während Geldvermögen und Schulden von 1950
bis 1995 rund 3.5mal so rasch angestiegen sind wie die wirtschaft-
liche Leistung, nahmen die geldbezogenen Zinsgrößen, als Folge
der höheren Zinssätze, sogar fünfmal so rasch zu. Das heißt, bezo-
gen auf die Wirtschaftsleistung mußte 1995 eine fünfmal größere
Zinsbelastung erarbeitet werden als in den 50er Jahren. Oder
anders ausgedrückt: Aus jeder Mark Sozialprodukt ist heute ein
fünfmal größerer Anteil zur Bedienung des Geldkapitals erfor-
derlich.
Zur Überprüfung dieser Angaben nachfolgend noch einmal die
wichtigsten Zahlen aus den offiziellen Statistiken. Für die Zins-
größen sind hier die Erträge und Aufwendungen der Banken in
Mrd. DM herangezogen worden:
Es sei noch einmal daran erinnert, daß es sich bei den hier behan-
delten Zinsen nur umjene für das Geldkapital handelt. Die Verzin-
sung des Sachkapitals - soweit schuldenfrei - ist in diesen Größen
also nicht enthalten. Aber auch die den Statistiken zu entnehmen-
den geldbezogenen Zinsgrößen geben nicht die vollen Belastungen
und Einkommen wieder. Denn in der volkswirtschaftlichen Ge-
samtrechnung (VGR) werden nur die Zinsströme zwischen den
drei Wirtschaftssektoren erfaßt, also zwischen Unternehmen,
Staat und Privathaushalten. Die innerhalb der Sektoren anfallen-
den Zinsen sind den Unterlagen nicht zu entnehmen, ebensowenig
alle Zinsen, die mit Kaufkrediten u. ä. zusammenhängen.
Rechnet man die bankbezogenen Werte auf die Arbeitstage
um, dann haben die Kreditinstitute 1993 an jedem der etwa
240 Banktage rund 2100 Millionen Mark an Zinsen eingezogen
und gut 1500 Millionen Mark den Geldgebern gutgeschrieben.
Zwar muß man von den bankbezogenen Zinstransfers etwa ein
Drittel für die bankinternen Kreditgewährungen abziehen, wenn
man die volkswirtschaftlich relevanten Größen erhalten will. Da-
für aber müssen mindestens in gleicher Größe Zinserträge hinzu-
gerechnet werden, die nicht aus Bankeinlagen stammen. Neben
den Zinseinkünften aus Versicherungsanlagen gehören hierzu vor
allem die Erträge aus Wertpapieren, Anlegerfonds sowie die stati-
stisch nicht erfaßten Zinsströme.
Verändern sich die Zinsströme mit der volkswirtschaftlichen Leistung?
Das Sozialprodukt wie auch die Geldvermögen und Schulden ent-
wickeln sich zwar unterschiedlich schnell, aber relativ kontinu-
ierlich. Die zinsbezogenen Größen unterliegen dagegen in ihrer
Entwicklung sehr starken Schwankungen. Diese Schwankungen
resultieren aus den Veränderungen der Zinssätze, mit denen die
monetären Bestandsgrößen multipliziert werden. Dabei haben
steigende Zinssätze besonders gravierende Folgen, da sich ihre
Wirkung mit dem Überanstieg von Geldvermögen und Schulden
gewissermaßen potenziert. In welchem Umfang hierdurch die
volkswirtschaftlichen Einzelgrößen auseinanderdriften, zeigen
einige Vergleiche aus der letzten großen Zinsanstiegsphase von
1978 bis 1981, in der die Zinssätze am Kapitalmarkt von 6,1 auf
10,6 Prozent hochschnellten.
In diesen drei Jahren nahm das BSP um 20Prozent zu und die
Steuereinnahmen um 15 Prozent. Die Zinserträge der Banken
kletterten in der gleichen Zeit jedoch um 92 Prozent, die Zinsaus-
zahlungen sogar um 120 Prozent. Das heißt, die Zinsbelastung der
Wirtschaft nahm innerhalb von drei Jahren viereinhalbmal so
schnell zu wie die Wirtschaftsleistung, die Zinseinkommen der
Geldgeber sogar sechsmal so schnell und achtmal so schnell wie
die Steuereinnahmen des Staates.
Von 1988 bis 1990, also innerhalb von zwei Jahren, stiegen die
Kapitalmarktzinsen zwar „nur“ von 6,0 auf 8,9 Prozent an. Trotz-
dem führte auch dieser Zinssatzanstieg zu erheblichen Auseinan-
derentwicklungen innerhalb der Volkswirtschaft: So nahm das
Sozialprodukt in den beiden Jahren um 15 Prozent zu und die
Steuereinnahmen um zwölf Prozent. Die Bankzinserträge - und
damit die Belastung der Wirtschaft - nahmen jedoch mit 38 Pro-
zent zweieinhalbmal, die Zinseinnahmen der Geldgeber mit
50 Prozent sogar knapp dreieinhalbmal so schnell zu wie das BSP.
Kaum zu begreifen ist, daß solche dramatischen Diskrepanzent-
wicklungen sowohl in den Medien als auch in der Politik kaum
beachtet werden. Selbst die Fachwelt schweigt diskret. Dabei han-
delt es sich bei den Zinsströmen um keine Kleckerbeträge, deren
Veränderungen in den gesamten volkswirtschaftlichen Größen
untergehen. Vielmehr lagen die Bankzinserträge bereits 1981 weit
über den Steuereinnahmen des Bundes und beim Doppelten der
gesetzlichen Krankenversicherungsausgaben. 1990 hatten sie -
trotz deutlich niedrigerer Zinssätze gegenüber 1981- bereits das
l,3fache der Bundessteuern und das 2,6fache der Versicherungs-
ausgaben erreicht, und gemessen an den Nettolöhnen und -gehäl-
tern, lagen sie bei 45 Prozent, 1993 bei 56 Prozent.
Wie sieht die langfristige Auseinanderentwicklung aus?
Alle Ansprüche in einer Volkswirtschaft können immer nur an
einer Größe gemessen werden, dem Bruttosozialprodukt. Das
gilt auch für die Größe und Entwicklung der Zinslasten. In der
nachfolgenden Darstellung 39 werden darum die prozentualen
Entwicklungen des nominellen BSP und der geldbezogenen Zins-
belastung in Westdeutschland ab 1970 einander gegenüberge-
stellt. Dabei wurden als Schlüsselgröße für die Gesamtzinslast
wieder die Zinserträge der Banken herangezogen.
Die Grafik macht als erstes deutlich, in welchem Maß die Zins-
belastung und das Sozialprodukt in ihrer Entwicklung auseinan-
derdriften. Während das BSP in den dargestellten 23 Jahren „nur“
auf das 4,2fache zunahm, stieg die Verzinsung auf das zehnfache
ihrer Ausgangsgröße. Das heißt, die Schuldenzinsbelastung der
Volkswirtschaft war 1993 fast 2.5mal so hoch wie 1970.
Was weiter auffällt, sind die plötzlichen Veränderungen der
Bankzinserträge. Ursache dieser Ausreißer sind die Schwankun-
gen der Zinssätze. Wie durch die Schraffur markiert, schossen
diese jeweils in den Jahren 1972 bis 1974, 1978 bis 1981 und 1988
bis 1991 in die Höhe. Ebenso wie die Anstiege zeichnen sich auch
die anschließenden Zinssenkungen in der Grafik ab. Das trifft vor
allem für die lange Zinssenkungszeit von 1981 / 1982 bis 1988 zu.
Wie die zusätzlichen Trendlinien erkennen lassen, kam es von 1982
bis 1988 sogar zu einem relativen Rückgang der volkswirtschaft-
lichen Zinsbelastung: Fast gleichbleibenden absoluten Zinslast-
größen stand ein wachsendes Sozialprodukt gegenüber.
In der Entwicklungskurve des nominellen BSP zeichnen sich die
Folgen der Zinsbelastungsänderungen nur geringfügig ab, da die
realen Wirtschaftseinbrüche durch die dann hohen Inflationen no-
minal ausgeglichen werden. Etwas deutlicher treten sie bei der
Entwicklung des realen BSP hervor. Hier kann man erkennen, daß
die Wirkungen hochzinsbedingter Überlastungen erst mit Verzö-
gerung in der Wirtschaft Spuren zeigen.
Aufschlußreich sind auch die beiden zusätzlich eingetragenen
Lohnkurven. Im Gegensatz zum BSP, das in den 23 Jahren auf das
4,2fache zunahm, stieg die Gesamtsumme der Nettolöhne und
-gehälter nur auf das 3,2fache, obwohl die Zahl der Arbeitnehmer
gegenüber den Selbständigen erheblich zugenommen hat. Diese
Verschiebung innerhalb der Beschäftigtenstruktur zeigt sich in der
Kurve der Nettoeinkommen je Arbeitnehmer: Statt im Gleich-
schritt mit der gesamten Lohnsumme auf das 3,2fache, stieg das
Pro-Kopf-Einkommen nur auf das 2,7fache an, ein gutes Drittel
weniger als das BSP.
Dieser Rückfall gegenüber der volkswirtschaftlichen Gesamt-
leistung ist im Hinblick auf die ständig steigenden Zinslasten be-
sonders bedenklich. Denn diese Zinslasten werden zum größten
Teil über die Preise an die Endverbraucher weitergegeben. Das
heißt, sie verringern zusätzlich den Realwert der sowieso zu kurz
gekommenen Nettolöhne.
Die geldbezogenen Zinsen beim Staat
Im Vordergrund der Schulden- und Zinsdebatte steht seit der Ver-
einigung der beiden deutschen Länder die Verschuldung des Staa-
tes. Schon einmal war sie ein Thema der Medien, nämlich in der
hochzinsbedingten Rezession Anfang der 80er Jahre. Damals ex-
plodierten nicht nur die Zinslasten der Wirtschaft, sondern auch
die der öffentlichen Haushalte. Da als Folge der würgenden Zin-
sen die Konjunktur stark rückläufig war, gingen außerdem die
Steuereinnahmen zurück. Nicht anders als die heutige Regierung
hat auch die damalige unter Schmidt „die Flucht nach vorne“ in
die höhere Verschuldung angetreten. Die Folgen höherer Schul-
den sind jedoch noch höhere Zinsen.
„220000 DM Zinsen zahlt der Staat pro Minute“, meldete der
Steuerzahlerbund im Juli 1992 über alle Medien. Pro Stunde sind
das 13,2 Millionen, an jedem Kalendertag rund 317 Millionen.
Das entspricht dem Gegenwert von rund 1000 Einfamilien-Rei-
henhäusern oder 1500 Mietwohnungen, die der Staat auf Kosten
der Steuerzahler gewissermaßen jeden Tag verschenkt. Allerdings
nicht an sozial schwache Bürger, sondern an solche, die meist
schon ein Haus oder mehrere besitzen. Mit den öffentlichen Zins-
zahlungen eines Jahres ließen sich also rund 350000 Häuser oder
550000 Mietwohnungen finanzieren. Das entspricht der Wohn-
substanz einer Großstadt mit eineinhalb Millionen Einwohnern!
Noch griffiger werden die vom Staat gezahlten Zinsen, wenn
man sie einmal auf die Bürger in Ost und West umrechnet. Pro
Kopf ergibt sich für 1992 dann ein Betrag von rund 1400 DM. Um-
gerechnet auf jeden Beschäftigten bzw. jeden Haushalt, sind das
rund 3300 DM. Das heißt, jeder Erwerbstätige in Gesamtdeutsch-
land mußte 1992 fast einen Monat lang nur für die Schuldenzinsen
des Staates arbeiten. Aufgrund der Übernahme der vereinigungs-
bedingten „Sondertöpfe“ dürften es 1995 bereits 1.5 Monate sein.
Welche Folgen haben höhere Zinsbelastungen für den Staat?
Wie jeder andere, kann auch der Staat jede Mark nur einmal ausge-
ben. Das gilt auch für die Zinsen : In dem Maße, wie er hierfür mehr
zu zahlen hat, müssen andere Ausgaben eingeschränkt werden.
Vor 20Jahren war der Posten „Schuldenzinsen“ in den Ausga-
benlisten noch „unter ferner liefen“ zu finden. Anfang der 80er
Jahre hatte dieser Posten beim Bund schon den dritten Platz im Etat
erobert, hinter den Ausgaben für „Arbeit und Soziales“ und „Ver-
teidigung“. Mitte der 80er Jahre zogen die gesamten öffentlichen
Zinszahlungen an den Verteidigungsausgaben vorbei. Inzwischen
haben das die Zinszahlungen des Bundes schon allein geschafft.
Weil die Neuverschuldungen weitgehend durch die laufenden
Zinszahlungen aufgefressen werden, muß der Staat an anderer
Stellen sparen. Das ist vor allem in Hochzinsphasen der Fall. Ge-
spart wird aber nicht nur im Sozialbereich, sondern auch bei den
Investitionen. Das geht aus der Darstellung 40 hervor. Deutlich
sichtbar sind darin die Rückgänge der Investitionsausgaben ab
1974 und 1980.
Darstellung 40
Diese Reduzierungen waren jeweils die Folge erhöhter Zinsbe-
lastungen und verringerter Staatseinnahmen in den Hochzinspha-
sen. Ließ der Überanstieg der Zinslasten nach, wie ab 1977 und
1983, nahmen die Investitionsausgaben wieder zu. Daß solche Re-
duzierungen der staatlichen Investitionen die hochzinsbedingten
Konjunktureinbrüche noch verstärken müssen, liegt auf der
Hand.
Gottfried Bombach, Professor für Nationalökonomie an der
Universität Basel, hat in der Zeitschrift „Der Monat“, Schweiz.
Bankverein, Anfang 1991 geschrieben: „Das eigentliche Problem
liegt nicht in der Existenz einer Staatsschuld, . . . sondern im Zwang
ihrer Verzinsung. Eine hohe Zinslastquote kann den Handlungs-
spielraum von Regierungen entscheidend einschränken.“
Wie sieht die Weiterentwicklung der staatlichen Zinslasten aus?
Für 1996 werden bereits öffentliche Schuldenhöhen von ca.
2200 Mrd. gehandelt, was einen Anstieg der Zinsen gegenüber
1992 um rund die Hälfte bedeuten würde. Das heißt, je Haushalt
bzw. Erwerbstätigen ergeben sich dann mehr als 4000 DM.
Zwar hat die Regierung vor, die Neuverschuldungen in den näch-
sten Jahren zu senken. Die Schulden- und Zinsrakete ist damit aber
keinesfalls ausgebrannt. Denn ein Absinken der Neuverschuldung
bedeutet kein Absinken der Verschuldung. Es besagt vielmehr nur,
daß die gesamten Schulden weniger schnell weiterwachsen sollen
als bisher. Zu einem Schuldenrückgang käme es nur, wenn der
Staat mehr Schulden tilgen als aufnehmen würde. Daran ist aber
nicht zu denken. Vielmehr wird alles weiter eskalieren.
„Vor allem die Zinsen sorgen für ständig neue Schubkraft. Der
Zinsetat des Staates betrug 1989 bereits 67,6 Milliarden Mark.
Bis 1995 wird er auf über 170 Milliarden Mark gestiegen sein.
Der Staat muß dann mehr Geld abführen, als Bonn heute für
Arbeit und Soziales, Verteidigung, Landwirtschaft, Familie
und Forschung ausgibt.“
Das schrieb der „Spiegel“ Anfang April 1992, und weiter hieß es in
dem Artikel:
„Die Zinsexplosion läßt sich kaum noch verhindern. Obwohl
alle um die Brisanz der Finanzlage wissen, hantieren Kohl und
Waigel mit den Milliarden-Schulden bis heute so unbeküm-
mert, als handele es sich um einen Kleinkredit. Selbst die Zin-
sen werden mit immer neuem Leihgeld bezahlt.“
Das heißt, man verhält sich weiterhin wie die vielgescholtenen
Entwicklungsländer, die seit 20 Jahren schon versuchen, auf diese
Weise über die Runden zu kommen.
Obwohl solche Meldungen fast täglich durch die Medien gehen,
regt sich in der Bevölkerung kaum jemand darüber auf. Während
sich sonst bei allen drohenden Gefahren Bürgerinitiativen bilden,
Kongresse veranstaltet und Protestschreiben an die Regierung ge-
richtet werden, tut sich hier nichts. Alles starrt nur auf die Zahlen
mit den vielen Nullen wie das Kaninchen auf die Schlange. Auch
die Gewerkschaften sind offensichtlich blockiert. Keine Streikan-
drohung gegen eine solche Politik, die nur in einem Desaster en-
den kann.
Es scheint so, als ob beim Thema Geld und Zinsen alles in Le-
thargie verfällt: „Über Geld spricht man nicht!“ - Anscheinend
hat man mit Hilfe solcher Sprichworte die Gehirne so manipuliert,
daß diese Abstinenz auch für die Schulden und die Zinsen gilt. -
Die seit 200 Jahren erfolgte Tabuisierung der Zinsthematik durch
Staat, Wissenschaft und Kirche trägt ihre Früchte.
Was wäre, wenn der Staat die Bürger direkt zur Kasse bitten würde?
Man stelle sich einmal vor, der Staat würde - statt die Zinszahlun-
gen mit immer neuen Schulden zu finanzieren - dem Bürger die
Zinsen direkt aus der Tasche ziehen. Zum Beispiel über eine Son-
derabgabe von 4000 DM je Beschäftigten im Jahr. Oder er würde
die Steuern um die Zinsbeträge anheben, was einer durchschnitt-
lichen Erhöhung der Einkommensteuer um 40 Prozent gleich-
käme; vielleicht auch die Mehrwertsteuer erhöhen, die dadurch
von heute 15 Prozent auf 27 Prozent ansteigen würde. Schon die
Ankündigung einer solchen Maßnahme würde die Öffentlichkeit
kopfstehen lassen. Dabei wäre das genau jenes Sparrezept, mit
dem wir den Entwicklungsländern oder auch privaten Schuldnern
immer so schnell zur Seite stehen.
Wahrscheinlich würden die Gewerkschaften zum Generalstreik
aufrufen und vorrechnen, daß die ganzen mühsam erkämpften
Lohnerhöhungen der letzten Jahre durch solche rigorosen Steuer-
erhöhungen mehr als futsch sind. Doch gegen die versteckte Beu-
telschneiderei durch höhere Schulden, die uns alle vielmals mehr
kostet und noch die zukünftigen Generationen in einem unvor-
stellbaren Maße belastet, hat man nichts einzuwenden.
Wir alle nehmen diese Ausbeutung schicksalsergeben hin, auch
wenn sie nach mathematischen Gesetzen aus sich selbst weiter-
wachsen muß.
„In Deutschland ist eine Zinsspirale in Gang gekommen, die
jeden Bankkaufmann frösteln läßt. In den Berufsschulen wird
die brutale Dynamik von Zins und Zinseszins gern am Beispiel
der Seerosen erklärt: In einem Teich verdoppelt sich die Zahl
der Seerosen mit jedem Tag. Nach einem Jahr ist das Gewässer
zur Hälfte bewachsen. Die Preisfrage lautet: Wann ist der Teich
zu 100 Prozent dicht? Antwort: Einen Tag später“,
schreibt der „Spiegel“ in Nr.13/92. Aber der „Spiegel“ irrt sich in
einem Punkt: Bisher haben kaum Bankkaufleute ihr Frösteln ir-
gendwo zum Ausdruck gebracht. Sie machen vielmehr betont in
Optimismus und freuen sich über die Zuwachsraten ihrer Bankge-
schäfte. Warnungen hört man allenfalls einmal von der Bundes-
bank. Doch was nützen solche Warnungen der Geldbehörde,
wenn sie gegen die Ursache der Überschuldung, das Überwachs-
tum der Geldvermögen, nichts unternimmt. Vor allem nichts
gegen die Ursache der Geldvermögenseskalation: die ständig po-
sitiven und damit viel zu hohen Zinsen, zusätzlich hochgetrieben
von der Inflation! Ob Staatsverschuldung oder nicht: Solange die
Geldhalter nicht gezwungen sind, ihre Zinsforderungen den
Marktkräften unterzuordnen, und die Verantwortlichen der Bun-
desbank nicht zur Kaufkraftstabilität, wird sich an der „Zinsspi-
rale“ nicht viel ändern.
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Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein,
1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der
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Mit Zustimmung des Autors digitalisiert für INWO
Deutschland e.V.