Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München


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14. Kapitel
Unternehmensschulden, Privatschulden, Schuldenüberwindung
 „Kreditfinanzierte Unternehmen machen
 meist erst andere kaputt, bevor sie selbst
 dran sind.“
 Lothar Späth*
* Früherer Ministerpräsident von Baden-Württemberg, 1982
 Vergleicht man im Unternehmenssektor die Entwicklung der Lei-
stung mit jener der Verschuldung, dann zeigt sich im Prinzip das
gleiche Bild wie beim Staat. Auch hier nehmen die Schulden ra-
scher zu als die Leistung, aus der man sie bedienen muß. Dies geht
aus der Darstellung 31 hervor, in der die Verschuldungsmaß-
nahme der Unternehmen mit deren Bruttowertschöpfung vergli-
chen wird. Während 1950 die Schuldenlast erst bei 50 Prozent der
jährlichen Wertschöpfungsgröße lag, hatte sie 1990 bereits 150
Prozent derselben erreicht. Mit einem realen Anstieg auf das 19fa-
che in den 40 Jahren nahm die Verschuldung genau dreimal so
rasch zu wie die Unternehmensleistung, die real auf das 6,3fache
gesteigert werden konnte. Die Folge dieser Schulden-Überent-
wicklung schlägt sich in immer größeren Zinsanteilen nieder, die
aus dem wirtschaftlichen Ergebnis abzuführen sind. Dazu schrieb
Carl Zimmerer 1990 in Nr.13 der Zeitschrift „Kreditwesen“:
 „Im Durchschnitt aller Wirtschaftsunternehmen wird jetzt
 mehr als ein Viertel des Cash-flow durch Zinsverpflichtungen
 aufgezehrt. Während der siebziger Jahre hatte sich die Quote
 noch in einer Spanne zwischen 8 und 13 Prozent bewegt, und
 selbst Mitte der achtziger Jahre hatte sie erst bei rund 15 Pro-
 zent gelegen. So ist es heute treffender als je zuvor, von einer
 "dept economy" - einer zu stark auf Verschuldung basierenden
 Volkswirtschaft -zu sprechen.“




Wertschoepfung der westlichen Produktionsunternehmen im Vergleich zur Verschuldung
Darstellung 31





 Der Schweizer Werner Rosenberger, Präsident der INWO (Inter-
nationale Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung), hat
sogar für unsere Epoche den Begriff „Schuldenzeitalter“ geprägt.
Nach seiner Auffassung hat es noch nie in der Geschichte der
Menschheit eine Überschuldungsentwicklung dieser Größenord-
nung gegeben. Ursache dafür ist weniger die weltweite wirtschaft-
liche Verflechtung als die 40jährige Geldvermögenseskalation,
deren Folgen man durch ständiges Wirtschaftswachstum bisher
ohne größere ökonomische bzw. monetäre Zusammenbrüche
überstehen konnte.
 Allerdings ist es weltweit schon lange nicht mehr möglich, die
Wirtschaftsleistung dem Tempo der Überschuldungsentwicklung
anzupassen, und das nicht nur aus ökologischen Gründen. Es
bleibt also die Frage, ob und wie dieses zunehmende Dilemma
noch einer Lösung zugeführt werden kann.




Wie sieht es in der Landwirtschaft aus?

 Wirtschaftszweige, deren Produktivitätssteigerungen natürliche
Grenzen gesetzt sind, tun sich mit Überschuldungsentwicklungen
besonders schwer. Das ist in einem besonderen Maße in der Land-
wirtschaft der Fall. Hier klaffen vor allem die Überlebenschancen
der Groß- und der Kleinbetriebe zunehmend auseinander.
 Die großen Landwirtschaftsbetriebe konnten bislang durch
ständige Modernisierung ihrer Maschinenparks und industrieähn-
lich rationalisierte Massentierhaltungen mit den allgemeinen Pro-
duktivitätssteigerungen noch halbwegs Schritt halten. Klein- und
Mittelbetriebe dagegen geraten bei ihren Versuchen, sich diesen
Entwicklungen anzupassen, sehr schnell in die Schuldenfalle.
Selbst in Niedrigzinsphasen wie 1986/87 war die Hälfte der land-
wirtschaftlichen Betriebe zur Ausweitung ihrer Kreditaufnahme
gezwungen. Die Zinslasten in der Landwirtschaft, in den vorange-
gangenen zehn Jahren um 80 Prozent gestiegen, erforderten im
Durchschnitt je Vollerwerbsbetrieb jährliche Zahlungen von 5670
Mark, hieß es 1988 im „Landwirtschaftsblatt Weser-Ems“, Nr. 13.
 Als Folge dieser Entwicklungen kamen und kommen immer
mehr Betriebe an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. So konnte
man 1987 in einer westfälischen Tageszeitung lesen:
 „Im Westmünsterland steht einigen Landwirten das Wasser so
 bis zum Hals, daß sie nur noch durch den scheibchenweisen
 Verkauf ihres Grund und Bodens Überlebens-Kapital flüssig
 machen können. Nüchtern betrachtet, bedeutet dies einen Tod
 auf Raten.“
Und weiter heißt es in dem Bericht:
 „Banken im ländlichen Raum merken die ganze Misere am
 deutlichsten: Kreditrahmen werden bis zum äußersten ausge-
 schöpft, Hofzusammenbrüche durch Landverkäufe gerade
 noch vermieden. Nach außen hin fällt das nicht in jedem Fall
 auf: Kapitalanleger aus der Industrie nutzen die Gunst der
 niedrigen Bodenpreise, kaufen das Land und verpachten es den
 Bauern wieder.“
Auch das Fernseh-Wirtschaftsmagazin „plus-minus“ wußte in der
Sendung vom 15. 8. 1986 Ähnliches zu berichten. Danach erleiden
in Niedersachsen 15 bis 20 Prozent der Bauern laufende Einkom-
mensverluste. Zehn bis 15 Prozent können sich nur durch Boden-
verkäufe halten, und fünf bis zehn Prozent der Betriebe sind
„ohne Sanierungschancen“, also praktisch bereits pleite.
 Daß der Verkauf von Boden und die Zurückpachtung allenfalls
kurzfristig einmal Luft schaffen können, liegt auf der Hand. Denn
der Zwang zur Pachtzahlung bedeutet eine erneute und noch hö-
here Belastung für die Bauern. Während sie als Eigentümer in
schwierigen Zeiten lediglich auf den Kapitalertrag ihres Bodens
verzichten müssen, müssen sie die Pacht auf jeden Fall - unabhän-
gig von der Ertragssituation - an den Käufer des Bodens bezahlen.
 Die ganze Situation in der Landwirtschaft ist geradezu absurd:
In Brüssel werden immer größere Milliardenbeträge zur Lagerung
oder Vernichtung landwirtschaftlicher Produktionsüberschüsse
aus dem Fenster geworfen. Vor Ort aber werden die Bauern um
des Überlebens willen gezwungen, noch mehr Überschüsse aus
dem Boden herauszuholen. Die jetzt geplante „Lösung“, einen
Teil der Bauern für das Brachliegenlassen ihres Bodens zu bezah-
len, setzt dieser Irrationalität die Krone auf. Denn die weiterpro-
duzierenden Bauern bleiben auch künftig gezwungen, mit Einsatz
von Chemie und Maschinen das Letzte aus ihren Böden herauszu-
holen, und sei es auch nur, um noch eine Weile mit ihrer wachsen-
den Schuldenlast fertig zu werden.






Konsumentenschulden - ein Kredit mit Zukunft?

 Wie bereits die Aufschlüsselung der Gesamtschulden im 12. Kapi-
tel gezeigt hat, sind die privaten Schulden der geringste Posten.
Anfang der 50er Jahre unter einem Prozent liegend, haben sie
heute einen Anteil von gut sechs Prozent an der Gesamtverschul-
dung.
 Diese relativ bescheidene Größe hängt einmal damit zusam-
men, daß unter der Bezeichnung „Schulden der privaten Haus-
halte“ nur die Konsumentenschulden erfaßt werden, also die Kre-
dite für den Kauf von Autos, Möbeln usw. oder die Finanzierung
von Ferienreisen. Hypothekenkredite für Haus- oder Wohnungs-
eigentum werden dagegen statistisch dem Unternehmenssektor
zugerechnet, aus welchen Gründen auch immer. Zum anderen
sind die privaten, personenbezogenen Schulden bei uns noch eine
relativ „junge Sache“. Schuldenmachen für Konsumgüter war frü-
her ausgesprochen verpönt. Nicht nur bei den Bürgern, sondern
auch bei den Banken. Es galt die gesunde Regel: Erst sparen,
dann ausgeben. Bei den Banken hatte man in den ersten Nach-
kriegsjahrzehnten auch kaum Bedarf an solchen Kunden. Die
Nachfrage nach dinglich abgesicherten Krediten war so groß, daß
man sich nur ungern auf das fragwürdige Pflaster der Personen-
kredite wagte. Vor allem von den Großbanken wurden Kleinkre-
ditwünsche oft als Zumutung empfunden. Man überließ dieses
Geschäft in den 50er Jahren ohne Neid den örtlichen Sparkassen
oder speziellen Kundenkreditinstituten.
 Doch angesichts der zunehmenden Überfülle auf den Einleger-
konten und der nachlassenden Kreditwürdigkeit selbst mancher
Großunternehmen oder ganzer Länder veränderte sich die Ein-
stellung, oft gegen Widerstände in den eigenen Reihen. So tele-
grafierte eine Filiale der Deutschen Bank bei der Einführung von
Personalkrediten an die Zentrale in Frankfurt noch empört: „Der
Mob stürmt den Schalter. Bitte um Anweisung, ob wir schließen
sollen.“ - Doch das ist längst passe, und es hat sich herumgespro-
chen, daß auch beim Geld Kleinvieh Mist macht. Ja, inzwischen
wird das Kleinkreditgeschäft in fast allen Instituten geradezu for-
ciert. Auch im Konkurrenzkampf gegen Kaufhäuser und Auto-
konzerne, die ihr übriges Geld auf diese Weise selbst verleihen,
statt es den Banken zu überlassen.




Welche Größe haben die Konsumentenschulden?
 Die Konsumentenkredite wurden in den letzten Jahrzehnten so
hochgepuscht, daß ihr Anstiegstempo seit 1950 alle anderen
Schuldenentwicklungen in den Schatten stellt. Während die öf-
fentlichen Schulden von 1950 bis 1990 auf das 50fache und die der
gesamten Unternehmen auf das 68fache stiegen, nahmen die Kon-
sumentenkredite, genau gerechnet, auf das 300fache zu, nämlich
von 0,9 Mrd. auf 271 Mrd. Kaufen auf Pump, vor ein, zwei Gene-
rationen noch anrüchig, wird heute dank enthemmender Wer-
bung von einem immer größeren Teil der Bürger als normal an-
gesehen. So werben selbst seriöse Sparkassen mit Anzeigen
wie: „Für neue Möbel, ein neues Auto, einen Traumurlaub - mit
unserem S-Kredit erfüllen Sie sich alle Ihre Wünsche.“
 Mit 271 Mrd. DM Ende 1990 entfielen auf jeden Haushalt in den
alten Bundesländern rechnerisch 10 000 Mark an Konsumenten-
schulden. Da bisher jedoch noch rund zwei Drittel der Haushalte
der Verführung zum „schnellen Geld“ widerstanden haben, liegt
die Kredithöhe bei den tatsächlich verschuldeten Familien oder
Singles bei etwa 30 000 Mark. Aber hinter dieser Durchschnitts-
summe versteckt sich wiederum eine unterschiedliche Verteilung.
So ergab bereits die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
1983, durchgeführt vom Statistischen Bundesamt, bei rund 0,5
Prozent der Haushalte Durchschnittsschulden von 72 000 Mark.
Wohlgemerkt nur für den Konsumbedarf! Dabei handelt es sich
bei diesen offiziellen Zahlen nur um die Kredite bei Banken. Die
Kreditgewährungen der Kaufhäuser und Autofirmen wie auch der
vielen dubiosen Kreditvermittlungsfirmen kommen also hinzu.
 Diese Entwicklung der privaten Schulden hat selbst Hans Tiet-
meyer, inzwischen Präsident der Deutschen Bundesbank, im Mai
1991 zu einer Anmerkung bewogen:
 „Ein wichtiger Faktor für das Konsumverhalten scheint auch
 die Verführung zum Gegenwartskonsum zu sein. . . Gleichzei-
 tig erweckt die Kreditwerbung den Eindruck zusätzlicher Aus-
 gabenspielräume. Dieser Eindruck wird wohl auch unterstützt
 durch die zunehmende Verbreitung bargeldloser Zahlungssy-
 steme, welche den Zugang zu Krediten erleichtert und erwei-
 tert haben.“
Doch gemessen an den Verhältnissen in einigen anderen Ländern,
vor allem den USA, steckt die Überschuldung der Privathaushalte
bei uns noch in den Kinderschuhen.





Welche Folgen hat der Kauf auf Pump?

 Wie bei allen Kreditaufnahmen sind auch die für Konsumzwecke
bis zu einer gewissen Höhe problemlos. Vor allem, solange sie in
einem gesunden Verhältnis zum Einkommen stehen. Kritisch
wird es jedoch, wenn zu ihrer Bedienung die laufenden Einkünfte
nicht mehr reichen und man die entstehenden Zinslöcher mit
neuen Schulden schließt. Das mag in vielen Fällen das Resultat
leichtfertiger Kreditaufnahmen sein. Meist jedoch ist es die Folge
plötzlicher Einkommensrückgänge durch Arbeitslosigkeit,
Krankheit oder unvorhergesehener finanzieller Belastungen. Von
den insgesamt rund neun Millionen verschuldeter Haushalte gel-
ten bereits 1,5 Millionen - also jeder sechste - als überschuldet.
Darunter sind junge Familien und Alleinerziehende mit Kindern
in einem besonderen Maß vertreten. Da in unserer Gesellschaft
Kinder gleich zu einem doppelten sozialen Abstieg führen (Weg-
fall des Einkommens der Mutter und erhöhte Kosten durch das
Kind), versuchen allzu viele, diese plötzliche Verarmung durch
Kreditaufnahme auszugleichen. Der überall präsente Lebensstan-
dard der Kinderlosen, die „nicht so dumm sind, sich Puten anzu-
schaffen“ (um sich dann aber später ihre Rente von den Kindern
der anderen verdienen zu lassen!), verführt zusätzlich zu dieser
Flucht in die Verschuldung. Wer möchte in unserer Prestige-Ge-
sellschaft schon seinen sozialen Abstieg sichtbar werden lassen?
 Wie so ein Abstieg abläuft, kann man in einem Zeitungsbericht
aus dem Jahre 1990 lesen:
 „Am Anfang stand ein Kredit von 10 000 Mark. Bei der Rück-
 zahlung gab es Schwierigkeiten. Der Kreditvertrag wird gekün-
 digt, hohe Verzugszinsen werden fällig, Bearbeitungsgebüh-
 ren, Pfändungskosten usw. Neue Kredite zum Tilgen der
 Zinsen und des alten Darlehens werden aufgenommen. Am
 Ende die gleichen Schwierigkeiten - ein Teufelskreis.
 Zehn Jahre später hat der Kreditnehmer zwar insgesamt
 10 000 Mark zurückgezahlt, blickt aber auf einen noch abzutra-
 genden Schuldenberg von gut 32 000 Mark. Aus anfangs
 10 000 Mark, die man einmal ausgeben konnte, ist eine Bela-
 stung von 42 000 Mark herangewachsen.“
 Was den so Verschuldeten oft bleibt, ist weniger als die Sozial-
hilfe. Alles andere wird gleich vom Lohn gepfändet. Das Interesse
an jeder Arbeit erlischt. Der weitere Abstieg ist in vielen Fällen
vorgezeichnet: zerrüttete Ehen, Alkohol, Drogen, Obdachlosig-
keit oder gar Kriminalität. Opfer sind in den meisten Fällen die
Kinder, an die allzu viele nur beim Paragraphen 218 denken.





Was tut man gegen diesen Teufelskreis?
 Man sollte meinen, daß solche sich häufenden Armutsentwicklun-
gen die Politiker zum Nachdenken bewegen würden. Sowohl über
die Strukturen unseres Geldsystems wie über den sozialen Abstieg
der Familien. Auch von Kirchen und Gewerkschaften könnte man
eigentlich entsprechendes Reagieren erwarten. Aber weit gefehlt!
Was wie Pilze aus dem Boden schießt, sind allein sogenannte
Schuldnerberatungsstellen. Diese beraten aber keineswegs die
Haushalte - wie man annehmen könnte - vor Aufnahme der
Schulden. Sie werden vielmehr erst um Hilfe gerufen, wenn die
Familien bereits im Schuldensumpf versunken sind, also wenn es
zu spät ist. Und dann wird wieder einmal kräftig an den Sympto-
men kuriert, damit die eigentlichen Ursachen erst gar nicht zur
Sprache kommen.
 Eine weitere Symptombehandlung ist in Vorbereitung: Die
Einführung eines Konkursrechtes auch für Bürger und Familien.
Denn während sich heute ein überschuldeter Unternehmer allen
Zahlungen durch einen Offenbarungseid entziehen kann, bleiben
die privaten Schuldner lebenslange Zinssklaven. Selbst dann,
wenn sie bei einem ungenügenden Versteigerungsergebnis Haus
und Hof hergeben mußten.
 Die Folge einer solchen konkursähnlichen Aussteigemöglich-
keit aus den Kreditverpflichtungen wird eine noch leichtfertigere
Kreditaufnahme sein. Die Folge davon wiederum ist ein erhöhtes
Risiko für die Banken. Höhere Risiken aber treiben die Bankmar-
gen nach oben und damit die Bruttozinsen, die alle Kreditnehmer
zahlen müssen. Auch ein Teufelskreis, bei dem man dann mit viel
Geschrei die bösen Banken als Übeltäter ausmacht, nur weil man
Zinsen nicht von sachbezogenen Vermittlungskosten unterschei-
den kann. Vor allem aber, weil man den Problementwicklungen
im Bereich der Banken und Kredite nicht auf den Grund zu gehen
versucht.




Kann man die Überschuldung überwinden?

 Daß zunehmende Überschuldungen auf Dauer zum Zusammen-
bruch der Gesellschaft führen müssen, liegt auf der Hand, vor al-
lem, wenn man an die Zinslasten denkt. Natürlich ist - wie allzuoft
gehabt - auch eine „Lösung“ des Problems über eine entspre-
chend hohe Geldinflationierung möglich: Die Schuldner können
sich dann mit wertlosem Geld der Verpflichtungen entledigen,
und die Geldgeber sind ihre Ersparnisse los. Aber diese Art der
Entschuldung endet erfahrungsgemäß ebenfalls in einem Zusam-
menbruch. Entkommen kann man der ganzen Misere nur durch
einen Abbau der Schulden. Aber das ist graue Theorie. Um bei-
spielsweise nur die öffentliche Verschuldung in der BRD auf Null
zu bringen, müßte der Staat jedem Bürger in Ost und West, vom
Baby bis zum Greis, inzwischen 25 000 DM aus der Tasche ziehen.
Dieser Weg würde uns zwar billiger kommen als das Stehenlassen
der Schulden, ist aber kaum praktikabel.
 Selbst wenn wir uns verpflichten würden, ohne Lohnerhöhung
jede Woche zehn Stunden zusätzlich zu arbeiten, und damit dem
Staat im Jahr 400 oder 500 Milliarden zusätzlich zukommen lie-
ßen, ist eine solche Lösung nicht realisierbar. Denn einmal müß-
ten wir ja Abnehmer für den produzierten Leistungsüberschuß
von 20 Prozent finden. Zum anderen wäre es erforderlich, daß
jene Leute, die dem Staat das Geld geliehen haben, das zurücker-
haltene Geld auch ausgeben, also den Leistungsüberschuß aus den
zusätzlichen zehn Arbeitsstunden aufkaufen. Das heißt, sie müß-
ten ihre ganzen Geldvermögensüberschüsse, die sie mangels Ver-
wendungsmöglichkeit über Jahrzehnte angesammelt haben, in
wenigen Jahren verpulvern. Lassen sie ihr Geld aber weiter bei
den Banken stehen, müssen diese neue Schuldner für die zurück-
gezahlten Staatskredite finden. Das aber heißt, die Staatsver-
schuldung würde zwar verschwinden, aber dafür müssen an ande-
rer Stelle neue Schulden in gleicher Höhe gemacht werden.
 Eine wirkliche Reduzierung der öffentlichen Verschuldung
wäre nur möglich, wenn der Staat alle Geldvermögen mit einer
Sondersteuer in Höhe der staatlichen Zins- und Tilgungszahlun-
gen belasten würde. Das heißt, er müßte einen entsprechenden
Anteil der Gesamtersparnisse gewissermaßen konfiszieren. Diese
„eleganteste“ Lösung, die man mit Freibeträgen für die kleinen
Sparer garnieren könnte, dürfte in einem Rechtsstaat jedoch
kaum gangbar sein. Und da sich kein Politiker traut, wenigstens
die Neuverschuldung durch höhere Steuern oder Ausgabenkür-
zungen ernsthaft abzufangen, bleibt uns nur der bittere Marsch in
die weitere Überschuldung. Und da die hinter den Schulden ste-
henden Geldvermögen alleine durch die Zinsgutschriften jeden
Tag um etwa 800-1200 Millionen anschwellen, sind weitere Schul-
denanstiege unumgänglich.
 Anfang 1991 hat der Ökonom Hugo Godschalk diese Zwänge in
einem Vortrag mit treffender Ironie charakterisiert:
 „Neue Schuldner braucht das Land. Wenn die nicht auftau-
 chen, wer soll denn für unser Zinseinkommen arbeiten? Die
 Maueröffnung und der Zusammenbruch des Kommunismus in
 Osteuropa ist deshalb ein Glücksfall in der Geldgeschichte:
 eine marode Wirtschaft, die Milliardenkredite braucht. - Vor-
 ausgesetzt, daß diese Kredite dort zum Wirtschaftswachstum
 führen, kann das Kapital vorläufig aus dem dort produzierten
 Mehrwert bedient werden. Wir haben wieder etwas Luft ent-
 deckt in unserem monetären Luftballon. Der Crash - in welcher
 Form auch immer - ist damit, wenn überhaupt, nur aufgescho-
 ben. Der am Horizont vorhersehbare Schuldenkollaps der 90er
 Jahre findet womöglich im Osten statt.“
 Inzwischen ist - wie wir wissen - auch dieser Ausweg verstopft.
Die osteuropäischen Länder sind nicht mehr kreditwürdig und
erhalten von den Banken nur dann neues Geld, wenn unser Staat,
d. h. der Steuerzahler, die Garantie dafür übernimmt. Das heißt,
wir müssen nicht nur für unsere eigenen Schulden geradestehen,
sondern zunehmend auch für solche des Auslandes.




Verringern sich durch Zahlungsunfähigkeiten die Schulden in der Welt?
 Kann jemand seinem Nachbarn einen Kredit nicht zurückzahlen
und verzichtet dieser großzügig darauf, dann verschwindet mit der
Schuld auch eine gleich hohe Forderung aus der Welt. Diese
gleichzeitige „Vernichtung“ von Forderungen und Schulden war
früher, auch bei Direktvergabe größerer Kredite, die Regel:
Hatte jemand einem Unternehmen Geld geliehen, das in Konkurs
geriet, konnte er meistens auch sein Guthaben in den Schornstein
schreiben. Mit dieser gleichzeitigen Vernichtung von Geldschul-
den und Geldvermögen wurde nebenbei erreicht, daß beide
Größen „nicht in den Himmel“ wuchsen. Überschuldungsent-
wicklungen in den heutigen Größenordnungen kamen also kaum
zustande. Vielmehr regulierte sich auf diese Weise der Markt ge-
wissermaßen selbst, wenn auch für den einzelnen oft auf brutale
Weise. Das aber ist heute bei den bankvermittelten Krediten an-
ders: Muß eine Bank eine Forderung in den Schornstein schrei-
ben, dann merkt der Sparer davon nichts. Auch dann nicht, wenn
die Verluste, wie beispielsweise bei den Schulden der Dritten
Welt, Milliardenhöhen erreichen. Solche ausgleichenden Kürzun-
gen der Einlagen sind den Banken verboten. Ihnen bleibt also nur
der Weg, die Verluste anderweitig auszugleichen. Das geschieht
vor allem durch entsprechend höhere Risikoaufschläge, die sie in
die Zinsmargen einrechnen. Das heißt, die gesamten Kreditkun-
den, auch die pflichtbewußten, pünktlichen Zahler, werden ent-
sprechend höher belastet.
 Rund die Hälfte dieser Verluste zahlt bei uns im übrigen der
Steuerzahler. Denn die Banken können ihre abgeschriebenen
Forderungen bei der Steuer absetzen, auch wenn Mißmanage-
ment oder Leichtfertigkeit der Banker die Verlustursache sind.
Das heißt, statt diejenigen zur Kasse zu bitten, die seit Jahren über
die Zinserträge von den Krediten profitieren (und möglicherweise
durch diese Zinsen den Kreditnehmer in den Ruin getrieben ha-
ben!), zahlt die Allgemeinheit die Zeche.




Läßt sich das Schuldenproblem durch Tilgungen lösen?
 Selbstverständlich kann jede einzelne Schuld durch Rückzahlung
aus der Welt geschafft werden. Versilbert beispielsweise ein
Durchschnitts-Konsumentenschuldner sein Hab und Gut für
30 000 Mark und trägt die Einnahme zur Bank, dann ist er seine
Schulden los. Würden zehn Prozent der Konsumentenschuldner
das versuchen, ginge allerdings der Preis für Hausrat und ge-
brauchte Autos so in den Keller, daß sie ihre Schulden nur noch zu
einem Bruchteil abtragen könnten. Außerdem kämen die Banken
in die größten Schwierigkeiten. Sie müßten nämlich, nicht anders
als bei der Tilgung von Staatskrediten, für die zurückgezahlten
Millionen und Milliarden schnellstens neue Schuldner finden, um
ihren laufenden Zinsverpflichtungen gegenüber den Guthabenbe-
sitzern nachkommen zu können. Und da diese Zinszahlungen die
bereits vorhandenen Ersparnisse laufend erhöhen, bleibt die Ge-
samtverschuldung nicht nur erhalten, sondern sie steigt zwangs-
läufig weiter an. Diese Kreditgewährung aus den anwachsenden
Geldersparnissen ist jedoch nicht nur wegen der Zinszahlungen an
die Sparer erforderlich. Sie ist auch erforderlich, um die sich sonst
ansammelnden Geldüberschüsse wieder in die Nachfrage zurück-
zuführen. Denn ohne diese Rückführung würden sich Nachfrage-
unterbrechungen im Wirtschaftskreislauf ergeben, mit schweren
Folgen für die Konjunktur.
 Das heißt, mit dem Anwachsen der Ersparnisse sind immer grö-
ßere Kredite nicht nur möglich, sondern notwendig. Die Folge ist
ein dauernder und zunehmender Verschuldungszwang.
 Rüdiger Pohl, einer der „Fünf Weisen“, hat das einmal, bezo-
gen auf das Verhalten des Staates, deutlich gemacht:
 „Wohlgemerkt: Staatliche Kreditaufnahme ist kein Selbst-
 zweck. Aber wenn - wie heute in der Bundesrepublik - das Ka-
 pitalangebot aus privaten Ersparnissen steigt, gleichzeitig die
 Kapitalnachfrage. . . der Unternehmen wegen der schwachen
 Investitionsneigung gering bleibt, dann muß der Staat das am
 Markt entstehende Kapitalüberangebot aufnehmen, weil ande-
 renfalls eine deflationäre Wirtschaftsentwicklung einsetzen
 würde.“
 Diese Aussagen, die „Die Zeit“ am 11.12.1987 veröffentlichte,
läßt auch die vielbeklagte Staatsverschuldung in einem anderen
Licht erscheinen.
 Um nicht mißverstanden zu werden: Selbstverständlich sollte
der Staat nach Möglichkeit ganz auf Kreditnachfrage verzichten,
da dieser Finanzierungsweg - auch für die sozialste Maßnahme-
langfristig immer der unsozialste ist. Denn mit jedem Kredit
werden die bereits Reichen auf Kosten der anderen immer noch
reicher. Aber wie das Zitat zeigt, kann der Staat in bestimmten
Situationen, die Folge unserer geldbezogenen Fehlstrukturen
sind, zur Verschuldung geradezu gezwungen sein. Denn das Ri-
siko eines geldmangelbedingten Konjunktureinbruchs ist so groß,
daß daneben eine höhere Verschuldung nur als kleineres Übel er-
scheint.
 Das Problem der Geldschulden ist also letztlich eines der zins-
bedingt wachsenden Geldüberschüsse und kann deshalb auch nur
mit diesen verschwinden.


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