Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München


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1. Kapitel

Klärung der geldbezogenen Begriffe und Vorgänge
 

"Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so
stimmen auch die Worte nicht, und stimmen
die Worte nicht, so kommen auch die Werke
nicht zustande."

Konfuzius
 
 

Begriffe sollen das Begreifen erleichtern. Mit klar abgegrenzten
Begriffen und Begriffsdefinitionen werden auch komplizierte
Sachzusammenhänge verständlich. Mit unklaren Bezeichnungen
kann man dagegen schon bei einfachen Vorgängen und Zusam-
menhängen Verwirrung stiften.
Wer sich, aus anderen Berufsfeldern kommend, mit Geldfragen
intensiver befaßt, wird über die vielfältigen Begriffsungenauigkei-
ten überrascht sein, ebenfalls über die Mehrfachverwendungen
einzelner Bezeichnungen für unterschiedliche Dinge und Erschei-
nungen.
Da verwechselt man z. B. Veränderungen des Gesamtpreisni-
veaus mit Einzelpreisschwankungen und addiert sie gar unter dem
Begriff Inflation zusammen. Da werden die Begriffe Profit, Ge-
winn, Zins, Rendite und Mehrwert für gleiche wie für verschie-
dene Phänomene benutzt. Da bezeichnet man Schecks und Kre-
ditkarten als "Geld" oder addiert Banknoten und Münzen mit
Guthaben als "Geldmenge" zusammen. Begründet wird das da-
mit, daß man mit der Übertragung eines Guthabens, ähnlich wie
mit Geld, eine Forderung begleichen kann.
Was würden wir von Handwerkern halten, die Nägel, Schrau-
ben und Klammern als Leim bezeichnen, weil man damit Werk-
stücke, ähnlich wie mit Leim, verbinden kann? Selbst sachunkun-
dige Laien würden ihnen entgegenhalten, daß man mit solchen
Begriffsvermischungen nur ein heilloses Durcheinander schafft.
Nachfolgend wird darum zuerst versucht, Klarheit in die Be-
griffe und Funktionen zu bringen, auch wenn dabei in vielen Fäl-
len eingeschliffene Denkgewohnheiten in Frage gestellt werden
müssen.
 
 


Was ist Geld?

Allein mit Antworten auf diese Frage kann man Bücher füllen!
Geld ist zuerst einmal eine ganz phantastische Erfindung, ver-
gleichbar mit der des Rades. So wie mit Hilfe des Rades der Trans-
port von Gütern auf eine vorher unvorstellbare Weise erleichtert
wurde, so mit dem Geld der Tausch derselben. Ohne Geld war nur
ein Tausch von Leistung gegen Leistung möglich. Der Korbma-
cher beispielsweise, der neue Schuhe brauchte, mußte erst einen
Schuhmacher finden, der gerade einen Korb benötigte. Das Bei-
spiel zeigt, wie eng die Grenzen geldloser Märkte gezogen waren
und daß Spezialisierung und Arbeitsteilung nur geringe Chancen
hatten.
Aus der Sicht des Leistungstausches, der eine zivilisatorische
und kulturelle Entwicklung erst ermöglichte, ist Geld also ein
Tauschvermittler, der die Leistenden von der Bindung an einen
bestimmten Tauschpartner befreit. Geld ermöglicht es, Leistun-
gen an jeden daran Interessierten zu verkaufen und mit dem emp-
fangenen Tauschmittel, zeit- und ortsungebunden, eine beliebige
Gegenleistung bei jedem anderen nachzufragen. Diese Vermitt-
lerrolle hatten vor der Geldwirtschaft bestimmte Waren übernom-
men. Waren, die fast jeder brauchen konnte, wie z. B. Salz, Ge-
treide, Teeziegel oder Kakaobohnen. Diese Waren eigneten sich
zwar aufgrund ihrer relativ langen Lebensdauer als Tauschmittel,
sie waren jedoch unpraktisch in der Handhabung und verloren mit
der Zeit an Wert. Das zähl- und haltbare Geld dagegen, das leicht
aufhebbar und transportierfähig war und das die Preise auf einfa-
che Art vergleichbar machte, brachte den Durchbruch zu einer
Wirtschaftsentwicklung, ohne die unsere heutige Zivilisation un-
denkbar ist.
 
 
 


Was versteht man heute unter Geld?

Mit dieser Frage hat der Normalbürger kaum Schwierigkeiten.
Geld ist das, was er in seiner Brieftasche oder in seinem Portemon-
naie mit sich herumträgt oder zu Hause liegen hat, also Banknoten
und Münzen.
Auch in der Wirtschaftspraxis gibt es wenig Mißverständnisse:
Eine offene Rechnung wird mit Geld bezahlt oder durch Überwei-
sung ausgeglichen. In der Praxis gilt also das als Geld, was in Form
von Banknoten und Münzen, als neutrales anonymes Tausch-
mittel, ständig in der Wirtschaft kreist.
Mit diesem Verständnis von Geld bekommen jedoch die Volks-
wirtschaftsstudenten nach einigen Semestern ihre Schwierigkei-
ten. Entsprechend angelernt, zählen sie auf einmal auch fast alle
Geldguthaben auf den Banken zum Geld, reden vom Spar-, Ter-
min- und Giralgeld und fassen diese Bankguthaben unter dem
Begriff Buchgeld zusammen. Und dieser guthabenbezogene
Geldbegriff zieht immer weitere Kreise. Der frühere Bankier von
Bethmann, der mit seinen kritischen Analysen meist ins Schwarze
trifft, läßt sogar mit jeder offenen Rechnung Geld "entstehen",
das mit der Begleichung derselben wieder "vernichtet" wird.
"Im Grunde weiß keiner mehr, wo Geld aufhört", so formu-
lierte ein Referent der Bundesbank vor einigen Jahren einmal
treffend diesen Zustand. Wohlgemerkt: ein Vertreter jener Be-
hörde, die für die Steuerung der Geldmenge zuständig ist !
 
 


Wie kann man Geld definieren?

Eine Definition des Geldes wird in dem Maße schwieriger, wie
man den Begriff auf immer neue Phänomene ausweitet. Diese
Schwierigkeit spiegelt sich auch in den wissenschaftlichen Aussa-
gen wieder, für die hier drei Beispiele genügen sollen:
"Geld ist ein generelles Gut nominaler Geltung" (F. Lütje),
"Geld ist ein Geschöpf der Geldordnung" (G. F. Knapp) und
"Geld ist, was gilt" (G. Schmölders).
Angesichts solch "präziser" Aussagen ist die eines Notenban-
kers (O. Issing) fast beruhigend: "Ganze Berge wissenschaftlicher
Literatur zeugen davon, daß der Geldbegriff in den Wirtschafts-
wissenschaften alles andere als unumstritten ist." Ob allerdings
die Notenbanken unstrittige Vorstellungen vom Geldbegriff ha-
ben, ist nach der Aussage "Keiner weiß, wo Geld aufhört" mehr
als zweifelhaft.
Versucht man einmal, Geld nach seinen Aufgaben und Funktio-
nen zu definieren, dann kann man es u. a. bezeichnen als

· Tauschmittel,
· Recheneinheit, Preismaßstab oder Preisvergleicher,
· Wertaufbewahrungs- und Wertübertragungsmittel.

Geht man von der Rechtslage bzw. der Dokumentationsseite aus,
dann ist Geld

· eine öffentliche Einrichtung zum Nutzen aller Bürger,
· eine anonyme Leistungsbestätigung unter Annahmepflicht,
· ein weitergebbares Anspruchsdokument an das Sozialprodukt,
· einziges gesetzliches Zahlungsmittel.

Und geht man schließlich von seinen eingangs genannten "Web-
fehlern" aus, dann ist Geld

· eine Einrichtung, deren Wertaufbewahrungsfunktion der
Tauschmittelfunktion - also dem eigentlichen Zweck - wider-
spricht,
· eine nur auf einem Bein stehende Einrichtung, weil der Annah-
mepflicht keine Weitergabepflicht gegenübersteht,
· die einzige öffentliche Einrichtung, die jedermann aus dem
Verkehr ziehen und/oder zu seinem privaten Vorteil legal miß-
brauchen kann.

Mit diesen Eingrenzungen ist die Frage "Was ist Geld?" eigentlich
beantwortet. Nämlich jenes Medium, auf das alle diese Defini-
tionen zutreffen. Und das ist nur bei den Geldscheinen und Mün-
zen der Fall. Also bei jenem Tauschmittel, das vom Staat heraus-
gegeben wird.
Auf die in der Fachwelt ebenfalls als Geld bezeichneten Phäno-
mene wie Guthaben, Schecks, Kreditkarten usw. treffen die ange-
führten Kennzeichnungen allenfalls in einigen Punkten zu. Man
sollte sie darum konsequenterweise auch nicht als Geld bezeich-
nen, selbst wenn sich damit Ähnliches oder Vergleichbares wie
mit Geld vollziehen läßt. Vielmehr erfordert es die Logik wie die
Redlichkeit, diesen Einrichtungen und Mitteln eigenständige Be-
zeichnungen zuzuordnen.
 
 


Für welche Zwecke kann man Geld benutzen?

So wie man im allgemeinen Geld als Gegenwert für Leistungen
erhält, so gibt man es im allgemeinen auch für Leistungen wieder
aus. Geld kann man aber nicht nur zum Kaufen benutzen, sondern
auch zum Verschenken oder zum Verleihen. Und schließlich kann
man Geld auch einfach liegenlassen.
Verschenkt man Geld, geht es für alle Zeit in andere Hände
über, und der Beschenkte kann damit verfahren, wie er will. Ver-
leiht man Geld, tritt man seine Rechte daran nur vorübergehend
ab. Läßt man Geld liegen, verschiebt man seinen Anspruch auf
Gegenleistungen auf eine spätere Zeit. Damit aber tritt eine Un-
terbrechung im Geldkreislauf ein. Diese Unterbrechung ist kein
einmaliger Vorgang. Sie wirkt vielmehr wie eine Kettenreaktion!
Läuft das Geld z. B. zweimal im Monat um, dann löst ein stillge-
legter 100-DM-Schein in einem Jahr Nachfrageunterbrechungen
in Höhe von 2400 DM aus. Während also beim Kaufen, Verschen-
ken und Verleihen der Nachfragekreislauf geschlossen bleibt,
führt das Liegenlassen von Geld zu Störungen, die sich mit der
Zeit akkumulieren.
In dieser zeitlichen Verzögerung zwischen Leistungseinbrin-
gung und -nachfrage, also in der Wertaufbewahrungsfunktion des
Geldes, liegt einer der entscheidenden Fehler der Geldkonstruk-
tion. Wir werden das später noch genauer untersuchen, wenn es
um die Probleme in unserem Geldwesen geht. Halten wir hier nur
noch einmal fest, daß unserem Geld heute drei Funktionen zuge-
ordnet werden, nämlich die des Tauschmittels, des Preisverglei-
chers bzw. Verrechnungsmittels und schließlich die Funktion des
Wertaufbewahrungsmittels. Außerdem kann man Geld zu Kapi-
tal machen, wenn man es gegen Zinsen verleiht.
 
 
 


Sind Schecks und Kreditkarten Geld?

Mit Schecks, Überweisungen, Dauer- und Abbuchungsaufträgen
kann man Guthabenbestände von einem Konto auf ein anderes
Konto übertragen. Ein Barscheck bietet die Möglichkeit, Geld
vom Konto abzuheben. Man kann einen Scheck deshalb nicht als
Geld bezeichnen. Er ist vielmehr ein Papier, mit dem man einen
Anspruch auf Geld an einen Dritten weitergeben oder selbst bei
der Bank präsentieren kann.
Kredit- und Scheckkarten haben mit Geld noch weniger zu tun.
Sie garantieren lediglich dem Empfänger, daß seine Forderung mit
einer Guthabenübertragung beglichen wird, wenn auch erst mit
zeitlicher Verzögerung. Magnetisierte Plastikkarten, die entweder
mit einem Betrag "aufgeladen" oder für Direktabbuchungen ge-
eignet sind, sind ebenfalls kein Geld. Alle diese Einrichtungen sind
immer nur technische Hilfen zur Guthabenübertragung.
Geld sind alleine die von der Notenbank herausgegebenen
Banknoten und Münzen, mit denen man ohne Buchungsvor-
gänge, von Hand zu Hand, Forderungen begleichen und die man
sofort nach Erhalt an einen Dritten weitergeben kann. Geld ist
auch die Voraussetzung dafür, daß überhaupt Geldguthaben ge-
schaffen werden können.
Sicher spricht einiges dafür, die übertragbaren Sichtguthaben-
bestände dem Geld zuzuordnen. Aufgrund der heutigen Doppel-
funktion dieser Guthaben als Übertragungs- und Kreditmittel ist
das jedoch problematisch. Auch hierauf wird später noch einge-
gangen.
 
 


Warum muß man zwischen Geld und anderen Forderungs-Ausgleichsmitteln unterscheiden?

Nehmen wir an, ein Installateur hat bei einem Bäcker eine Repa-
ratur durchgeführt, für die er 100 DM berechnet. Diese Rechnung
kann der Bäcker begleichen

· mit einem 100-Mark-Schein oder, wenn der Installateur es ak-
zeptiert,
· mit einem Bar- oder Verrechnungsscheck über 100 Mark oder
· mit einer Gegenleistung in Brot im Wert von 100 Mark.

Im ersten Fall liegt ein Forderungsausgleich durch Bezahlung vor,
im zweiten durch eine Guthabenübertragung und im dritten Fall
durch eine Sachleistung. Träfe die Auffassung zu, daß alles, womit
man eine Forderung begleichen kann, "Geld" ist, dann wäre nicht
nur der Scheck Geld, sondern auch das gelieferte Brot. Wenn aber
Scheck und Brot = Geld sind, dann sind auch Geld und Scheck
= Brot!

Solche Gleichsetzungen sind jedoch nicht nur begrifflich frag-
würdig, sondern auch aus sachlichen Gründen. So kann die Menge
des Brotes durch direkte Arbeitsleistungen vermehrt werden, und
die Menge übertragbarer Guthaben nimmt durch Geldeinzahlun-
gen bei der Bank zu. Die Menge des Geldes jedoch (und hier liegt
der entscheidende Unterschied!) kann nur von der Notenbank
vermehrt werden.
Ein Forderungsausgleich mit Sachleistungen oder Guthaben-
übertragungen ist also an Vorleistungen des Nachfragenden ge-
bunden und damit immer gedeckt. Geld dagegen ist das einzige
Nachfragemittel, das auch ohne Leistungsdeckung (von der No-
tenbank) in Verkehr gebracht werden kann.
Die Unterschiedlichkeit von Geld, Scheck und Sachleistung
wird noch deutlicher, wenn man sich vorstellt, der Installateur
würde die empfangene Gegenleistung verlieren oder verlegen:
Verliert er das Brot, so ist die Forderung trotzdem ausgegli-
chen.
Verliert er den Scheck, so bleibt seine Forderung offen, und er
kann ggf. vom Bäcker Ersatz verlangen.
Geht aber der 100-Mark-Schein endgültig verloren, sind alle
seine Ansprüche erloschen, selbst wenn Zeugen ihm bestätigen,
daß er das Geld einmal besessen hat.
Im ersten der drei Fälle schadet sich der Installateur nur selbst.
Im zweiten Fall erleidet er keinen Verlust. Im dritten Fall fügt er
nicht nur sich selbst, sondern auch der Allgemeinheit Schaden zu,
da er im Geldkreislauf, wenn auch ungewollt, eine Kettenreaktion
von Unterbrechungen auslöst.
 
 
 


Warum ist Geld der Arbeit und den Gütern überlegen?

Stellen wir uns einmal drei Wanderer vor, die abends müde und
hungrig in ein Dorf kommen und sich auf ein gutes Essen freuen.
Der erste der drei hat noch einen 20-Mark-Schein in der Tasche,
der zweite einen Korb frischer Pilze, die mindestens 20 Mark wert
sind, und der dritte rühmt sich seiner Fähigkeit, in einer Stunde für
mehr als 20 Mark Holz schlagen zu können.
Derjenige mit dem Geldschein wird im nächsten Gasthaus sei-
nen Hunger problemlos stillen können. Der Pilzsammler wird nur
dazu kommen, wenn er einen Abnehmer für seine Ware findet.
Noch schwerer hat es der dritte im Bunde, denn ob am Abend
noch jemand eine Arbeitskraft zum Holzhacken sucht, ist zweifel-
haft.
Noch plastischer ist vielleicht ein anderer Vergleich: Man stelle
sich vor, daß die Türen eines Panzerschrankes mit 10000 Mark für
14 Tage geschlossen werden, ferner die Türen einer Markthalle
mit Waren im Wert von 10000 Mark und die Türen eines Zim-
mers, in dem sich fünf Menschen aufhalten, die in 14 Tagen nor-
malerweise 10000 Mark verdienen.
Öffnet man die Türen nach l4 Tagen, dann sind die fünf Insas-
sen des Zimmers wahrscheinlich tot, die Waren in der Markthalle
zum größten Teil verdorben, die Geldscheine im Tresor aber so
frisch wie eh und je.
Geld ist also - im Gegensatz zu der Auffassung von Marx und
anderen Ökonomen - keinesfalls ein "Äquivalent" für Waren und
Arbeit, sondern diesen weit überlegen. Der Verfassungsrechtler
Dieter Suhr hat Geld darum als "Joker" im Wirtschaftsgeschehen
bezeichnet, als die überlegene Spielkarte, die alle anderen aus-
sticht und die jedermann solange wie möglich zurückhält, weil sie
durch diese Verknappung nur noch wertvoller wird.
 
 
 


In welchen Größen rechnet man beim Geld?

Wenn man über Geld redet, geht das nicht mehr ohne Millionen-
und Milliardenbeträge, ja, inzwischen haben viele Größen schon
die Billionengrenze überschritten.
Unter ein-, zehn- oder hunderttausend Mark können wir uns
noch etwas Konkretes vorstellen. Jedoch bei sechs, neun oder
noch mehr Nullen hinter der Zahl verliert sich unser Vorstellungs-
und Beurteilungsvermögen. Verdient z. B. jemand, den wir ken-
nen, 20000 Mark im Monat, dann regen wir uns in den meisten
Fällen darüber auf, halten das für ungerecht und unvertretbar.
Lesen wir aber, daß irgend jemand monatlich 200000, 2 Mio. oder
sogar 20 Mio. Mark kassiert, verliert sich meistens unsere Kritik
und weicht erstaunter Ehrfurcht.
Zwar werden die Zahlen immer nur um Nullen verlängert, aber
diese Nullen haben es in sich: Wer z. B. vor einem Berg von einer
Million Markstücken sitzt (also einer 1 mit sechs Nullen), braucht,
wenn er acht Stunden täglich jede Sekunde ein Markstück zählt,
fast 35 Tage, um den Berg abzuräumen. Bei drei Nullen mehr, also
einer Milliarde, muß er rund 96 Jahre jeden Tag acht Stunden zäh-
len, ohne jede Unterbrechung! Ähnlich mühselig ist das mit dem
Reichwerden: Wenn Sie z. B. Millionär werden möchten, dann
müssen Sie 83 Jahre lang jeden Monat 1000 Mark auf die Seite le-
gen. Um es in der gleichen Zeit zum Milliardär zu bringen, müßten
Sie sich jeden Monat eine Million vom Mund absparen. Und als
Milliardär kämen Sie zur Welt, wenn Ihre Vorfahren bereits vor
83000Jahren angefangen hätten, jeden Monat 1000 Mark für Sie
zurückzulegen!
Da inzwischen die geldbezogenen Milliardengrößen in unserer
Volkswirtschaft vierstellig sind (Geldvermögen und Schulden la-
gen Ende 1993 bei 6000 Mrd. DM), müßten wir eigentlich auch die
Billionen in unsere Rechenbeispiele einbeziehen. Doch darauf
wollen wir in diesem Buch verzichten und - um des einfacheren
Vergleichens willen - bei Milliardengrößen bleiben.
 
 


Woher bekommt das Geld seinen Wert?

Als Geld noch aus Gold und Silber bestand, ging der Wert des
Geldes weitgehend von dem des verwendeten Metalls aus. Dieser
Wert wiederum wurde von der Begehrtheit, der Seltenheit und
der Schwierigkeit, das Metall zu finden, bestimmt. Geld aus Gold
und Silber war also selbst eine Ware, die man gegen eine andere
tauschte. Heute haben allenfalls noch die Pfennigstücke einen sol-
chen Eigenwert. Der Nennwert der großen Münzen und vor allem
der Scheine übersteigt dagegen die Material- und Herstellungs-
kosten um ein Vielfaches.
So wie das Gold- und Silbergeld seinen wirtschaftlichen Wert
letztlich aus seiner Knappheit herleitete, so ist das auch heute bei
unserem Papiergeld der Fall. Unser Geld erhält also seinen Wert
durch die Mengeneingrenzung auf den Umfang der angebotenen
Leistungen und Güter in der Wirtschaft. Das heißt, der Wert des
Geldes (richtiger: die Kaufkraft, da das Geld selbst kaum noch
Wert besitzt) hängt von der Relation zwischen Angebot und Nach-
frage ab. Anders ausgedrückt: Die Menge der volkswirtschaftli-
chen Leistung, dividiert durch die Geldmenge, ergibt die Kauf-
kraft.
Das an sich wertlose Geld ist also heute durch Leistungen der
Volkswirtschaft gedeckt. Es dokumentiert einen Anspruch an
diese Leistung, so wie umgekehrt jeder erhaltene Geldschein nor-
malerweise die Bestätigung für die Einbringung einer entspre-
chenden Vorleistung ist.
Würde die Bundesbank, bei gleichbleibender Wirtschaftslei-
stung, morgen die Bargeldmenge verdoppeln, dann wäre trotz-
dem niemand reicher. Denn die Folge dieser Geldmengenverdop-
pelung wäre eine Verdoppelung der Preise, so daß sich niemand
mehr als vorher kaufen könnte. Wohl aber würden die Geldver-
mögen und die Schulden wertmäßig halbiert. Das heißt, die Gläu-
biger würden die halbe Kaufkraft ihrer Ersparnisse verlieren, die
Schuldner entsprechend zugewinnen, denn sie könnten ihre
Schuld mit halbierter Leistung tilgen.
 
 
 


Wieviel Geld gibt es eigentlich?

Wenn wir uns einmal die langfristige Entwicklung des "Bargeld-
umlaufs ohne Kassenbestände der Kreditinstitute" ansehen, dann
lag diese Größe Ende 1950 bei 8 Mrd. DM und Ende 1990 bei
159 Mrd. DM. Das heißt, die Menge des umlaufenden Geldes
wurde in den 40Jahren in der alten BRD auf das 20fache ausge-
weitet. In der gleichen Zeit nahm das reale Bruttosozialprodukt,
also die Gesamtleistung unserer Volkswirtschaft, "nur" auf das
5,4fache zu. Die Differenz zwischen der Leistungs- und der Geld-
vermehrung spiegelt hauptsächlich den Kaufkraftverlust unseres
Geldes wider, zum Teil auch veränderte Zahlungsgewohnheiten.
Legt man das Ende 1990 vorhandene Geld in Höhe von
159 Mrd. DM auf die Bürger der alten Bundesländer um, dann
errechnete sich ein Pro-Kopf-Anteil von rund 2600 DM. Bezogen
auf die rund 26 Mio. Haushalte ergab sich ein Anteil von rund
6100 DM.
Von der gesamten Geldmenge entfielen etwa acht Prozent auf
die Münzen und 92 Prozent auf die Scheine, davon wiederum
wertmäßig ein knappes Viertel auf die 1000-DM-Noten. Umge-
rechnet kamen 1990 auf jeden Haushalt eineinhalb Tausender und
ebenso viele 500-DM-Scheine. Außerdem 26 Scheine im Wert von
100 Mark, was sich mit den kleinen Scheinen dann auf die genann-
ten 6100 Mark summierte. Da aber in Wirklichkeit die durch-
schnittliche Bargeldhaltung je Haushalt kaum über 1500 DM lag,
war also rund viermal mehr Bargeld in der Wirtschaft vorhanden
als für die Endnachfrage erforderlich.
Natürlich halten auch alle Firmen Bargeldkassen. Gemessen an
ihren Umsätzen, sind diese jedoch relativ gering. Und im Einzel-
handel, bei dem sich täglich große Geldbeträge ansammeln, wer-
den diese überwiegend täglich bei den Banken wieder eingezahlt.
Übrigens läuft jeder Geldschein etwa dreimal jährlich durch die
Kassen der Zentralbanken, die Zweigstellen der Bundesbank.
Das sind an jedem Banktag rund 2 Mrd. Mark. Dabei werden alle
unansehnlich gewordenen oder beschädigten Scheine - etwa
2,5 Mio. Stück pro Tag im Wert von 100 Mio. Mark - eingezogen,
verbrannt und durch neue ersetzt.
 
 
 


Wie kommt das Geld in Umlauf?

1948, bei der sogenannten Währungsreform (die gar keine Re-
form war, sondern nur ein Neubeginn nach dem letzten Staats-
bankrott), erhielt jeder Bürger als "Startkapital" für 40 alte Mark
40 neue Mark, und im Herbst noch mal einen Nachschlag von
20 Mark. Die Unternehmer bekamen zusätzlich die gleiche
Summe für jeden Beschäftigten. Ansonsten wurden alle alten
Geldbestände, Bankeinlagen und Verbindlichkeiten 10:1 umge-
tauscht. Jedoch wurde die Hälfte der Sparguthaben gesperrt und
einige Wochen später nochmals um 70 Prozent abgewertet, als
sich herausstellte, daß die Geldmenge noch zu reichlich angesetzt
war. Das heißt, für die Bankguthaben gab es je zehn alte Mark
rund 65 neue Pfennige.
Wie das Beispiel zeigt, kommt das Geld also durch den Staat in
Umlauf bzw. durch die von ihm dafür eingesetzte Notenbank, die
1948 noch "Bank Deutscher Länder" hieß.
Unsere heutige Notenbank, die Deutsche Bundesbank in
Frankfurt, besteht erst seit 1957. Seitdem ist sie alleine zur Aus-
gabe von Geld berechtigt. Im Rahmen der volkswirtschaftlichen
Erfordernisse ist sie sogar dazu verpflichtet, ähnlich wie sie für die
Stabilität unseres Geldes Sorge tragen muß. Das heißt, mit der
Leistung der Wirtschaft muß sie die Geldmenge vergrößern, mög-
lichst in einem präzisen Gleichschritt, wenn das Preisniveau, rich-
tiger: die Kaufkraft des Geldes, stabil gehalten werden soll.
 
 
 


Wie wird das umlaufende Geld ausgeweitet?

Die Ausweitung der Geldmenge wird heute nicht mehr über Kopf-
geld-Zuteilungen vorgenommen (obwohl das möglicherweise ein
gerechter Weg wäre!), sondern hauptsächlich über Kredite an die
Geschäftsbanken.
Außer über die Annahme von Wechseln (auf die sich der Dis-
kontzinssatz bezieht) kann die Bundesbank die Banken auch über
Lombardkredite mit neuem Geld versorgen, gegen Hinterlegung
bestimmter Wertpapiere. Heute läuft das Gros der Geldversor-
gung über sogenannte "Wertpapier-Pensionsgeschäfte", eine
andere Variante der "Offenmarktgeschäfte", mit der die Bundes-
bank die Geldmenge beeinflussen kann. Bei diesen Pensionsge-
schäften kauft die Bundesbank mehrmals monatlich Wertpapiere
und ähnliche Vermögenswerte von den Banken an, mit unter-
schiedlichen Größenordnungen, Laufzeiten und Zinshöhen.
Wichtig ist festzuhalten, daß alle diese Kredite immer nur sehr
kurzfristig gewährt werden und entsprechend rasch zurückzuzah-
len bzw. zu verlängern sind. Damit hat die Bundesbank die Mög-
lichkeit ständiger Veränderungen der Ausleihebedingungen und
-mengen.
Ein Nachteil der Geldvermehrung über Kredite ist darin zu se-
hen, daß sie immer mit Zinsen verbunden ist, die von den Banken
an die Wirtschaft weitergereicht werden. Mit einem Teil dieser
Zinseinnahmen finanziert die Notenbank ihren recht aufwendigen
Apparat mit insgesamt rund 18000Beschäftigten. Darüber hin-
ausgehende Überschüsse werden an den Bundeshaushalt abge-
führt.
Eine andere Art der Inumlaufsetzung von Geld ist beispiels-
weise die Hereinnahme von Devisen durch die Bundesbank. Hier-
mit ist vor allem dann eine Geldvermehrung verbunden, wenn der
Export den Import übersteigt, wie in der Bundesrepublik fast im-
mer der Fall. Nimmt die Bundesbank die als Überschuß sich erge-
benden Fremdwährungen an, muß sie dafür eigenes Geld in Um-
lauf geben, auch dann, wenn dessen Umfang möglicherweise die
Notwendigkeiten des Wirtschaftswachstums übersteigt.
Den gleichen, oft ungedeckten Vermehrungseffekt haben wir
bei allen Stützungskäufen fremder Währungen, die die Bundes-
bank zur Stabilisierung eines Wechselkurses vornimmt. Auf die-
sem letztgenannten Weg wurde beispielsweise in den 70er Jahren
das Gros des Mehrgeldes in Umlauf gebracht, Ende der 70er
Jahre überwiegend über die Annahme von Wechseln und in den
80er Jahren, nach Angaben des ehemaligen Bundesbankpräsi-
denten Pöhl, vor allem über die Gewinnausschüttungen der Bun-
desbank an den Bund.
Eine sinnvolle Ausweitung der Geldmenge ergibt sich alleine im
Zusammenhang mit der Zunahme der Wirtschaftsleistung. For-
dern die Geschäftsbanken Bargeld nach, kann die Notenbank al-
lerdings kaum unterscheiden, ob sich diese Nachfrage aus wach-
sender Leistung ergibt, aus veränderten Zahlungsgewohnheiten
oder aus verstärkten Liquiditätshaltungen.
Natürlich könnte die Bundesbank das für die Wirtschaft erfor-
derliche Mehrgeld auch verschenken, z. B. an den Staat, an den
sie heute sowieso ihre meist größeren Gewinnüberschüsse ab-
führt. Oder sie könnte auch per Post jedem Bürger einen 100-DM-
Schein ins Haus schicken, was etwa der jährlich notwendigen
Geldmengenausweitung entspräche. Noch besser und gerechter
wäre es vielleicht, jeden neugeborenen Bundesbürger mit einer
Mitgift von 5000 bis 10000 Mark zu sponsern. Gewissermaßen als
kleine Entschädigung dafür, daß er in seiner Wiege eine volkswirt-
schaftliche Gesamtschuld von rund 80000 Mark vorfindet, dar-
unter eine des Staates von gut 20000 Mark, für die er einmal gera-
destehen muß (Stand Gesamtdeutschland 1993).
 
 
 


Woher bekommt die Bundesbank das Geld?

Papiergeld läßt die Bundesbank in speziellen Druckereien herstel-
len. Das heißt, die Notenbanken "schöpfen" Geld gewissermaßen
aus dem Nichts. Benötigt wird dazu nur Papier und Farbe. Die
Herstellung der Geldscheine ist mit durchschnittlich 25 Pfennig je
Stück entsprechend billig. Dabei ist der 1000-DM-Schein kaum
teurer als der mit dem 10-Mark-Aufdruck.
Manche meinen nun, die Bundesbank könne sich den Diffe-
renzbetrag zwischen Herstellungskosten und Nennwert einstek-
ken und sich somit unmäßig bereichern. Das wäre sicherlich so,
wenn sie das Geld durch Kauf irgendwelcher Güter in den Umlauf
brächte. Das aber tut sie nur im Fall des Ankaufs von Pfändern
oder anderer Währungen, die sie dann, bis zur Rückgabe oder
einem Wiederverkauf, nur bei sich stillegt. Das Gros des neu her-
ausgegebenen Geldes läuft jedoch über Bankkredite. Das heißt,
es wird gewissermaßen nur ausgeglichen und bringt außer Zinsen
nichts ein.
Das Münzgeld darf die Bundesbank nach den bei uns geltenden
Gesetzen nicht selbst herstellen, sondern nur der Bund. Dieses
Münzrecht des Staates ist ein alter Zopf. Wenn also die Bundes-
bank Münzen benötigt, kauft sie diese gewissermaßen mit selbstge-
druckten Geldscheinen in Bonn ein, und zwar zu ihrem Nennwert.
Da die Prägekosten im allgemeinen unter dem Nennwert liegen
(sieht man von den Pfennigmünzen ab), verbleibt für den Finanz-
minister ein hübscher Gewinn, der als "Einnahmen aus dem Münz-
regal" mit etlichen hundert Millionen pro Jahr zu Buche schlägt.
Im übrigen ist die jährliche Ausweitung der Geldmenge nicht
allzugroß. Von 1975 bis 1985 lag sie durchschnittlich bei knapp
5 Mrd. DM oder rund sechs Prozent. Bezogen auf die Bevölke-
rung betrug die Vermehrung etwa 80 Mark pro Kopf und Jahr. In
den nachfolgenden Jahren nahm die Ausweitung jedoch zu. Von
1985 bis 1988 lag sie pro Kopf und Jahr bei 200 Mark. 1989 sank sie
auf 72 Mark zurück. 1990 stieg sie, unter Einschluß der neuen Län-
der, pro Kopf um 148 Mark, 1991 um 163, 1992 um 355 (!) und
1993 um 140 Mark. Mit den Ursachen und Folgen dieser Schwan-
kungen werden wir uns später noch beschäftigen.
 
 
 


Wem gehört das Geld?

Wer eine Sache herstellt, ist normalerweise ihr Eigentümer, auch
wenn er sie - mit oder ohne Gebühren - anderen zur Nutzung
überläßt.
Wenn z. B. die Bundesbahn den Fahrgästen auf den Bahnhöfen
Kofferkulis zur Verfügung stellt, dann sind diese Eigentum der
Bundesbahn und die Reisenden allenfalls vorübergehende Besit-
zer. Man sollte meinen, daß dies bei dem von der Bundesbank den
Wirtschaftsteilnehmern zur Verfügung gestellten Geld genauso
wäre. Hier aber gilt - obwohl das heutige Geld eine öffentliche
Einrichtung ist - immer noch der Grundsatz, daß jeder, der einen
Geldschein in die Hand bekommt, daran "Eigentum erwirbt".
Diese Sicht mag zur Zeit des Gold- und Silbergeldes, als Geld
noch eine Ware mit Eigenwert war, richtig gewesen sein, heute
aber ist sie anachronistisch.
Welche Probleme mit dieser Eigentumsvorstellung verbunden
sind, werden wir noch näher untersuchen. Tatsache ist, daß jeder
Geldscheinempfänger mit den Noten tun und lassen kann, was er
will. Denn nicht allein der mit dem Geld dokumentierte Anspruch
an die volkswirtschaftliche Leistung ist nach heutiger Auffassung
sein persönliches Eigentum, sondern auch der Geldschein selbst.
Und da man mit Eigentum beliebig umgehen kann, kann jeder den
erhaltenen Geldschein z. B. ungestraft mit Werbung bekleben
oder bestempeln. Ja er kann ihn sogar vernichten oder verbrennen
(was sicher kaum einer tun wird), obwohl der Staat diesen Schein
der Allgemeinheit als Tauschmittel zur Verfügung gestellt und da-
für Kosten aufgewendet hat!
Vor allem aber kann jeder, ohne Folgen fürchten zu müssen,
den Geldschein beliebig lange aus dem Verkehr ziehen und damit
andere an der Nutzung hindern.
Übertragen wir das alles auf die Kofferkulis der Bundesbahn,
dann wird ersichtlich, daß ein Bekleben oder Bestempeln ihren
Nutzungszweck kaum beeinträchtigen würde. Könnte jedoch je-
der beliebig die Kofferkulis dem Verkehr entziehen, würden die
Folgen nicht nur einen einzelnen Reisenden treffen, der vergeb-
lich nach einer solchen Transporthilfe sucht, sondern ganze Ket-
ten von Transportvorgängen verhindern. Das Beispiel macht
deutlich, mit welchen Negativfolgen das Recht auf Geldzurück-
haltung verbunden ist.
 
 


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Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein, 1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Mit der Zustimmung vom Autor digitalisiert für INWO Deutschland e.V.