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Weitere Texte von H. Creutz

 


 

 

 

 

 

Deutschlandfunk "Zwischentöne" - Gespräch mit Helmut Creutz

 

Sonntag, den 10. August 2003 von 13:30 bis 15:00 Uhr

 

Moderator: Michael Langer

 

 

Unser heutiger Studiogast heißt Helmut Creutz. Er ist Wirtschaftsanalytiker. Er hat kürzlich seinen 80. Geburtstag gefeiert. Er ist also 1923 geboren, in Aachen übrigens. Er hat zahlreiche Berufe ausgeübt. Unter anderem war er freier Architekt aber auch Schriftsteller. Noch heute ist er Publizist in Unruhestand, könnte man sagen. Sein Hauptwerk trägt den Titel "Das Geldsyndrom". Dieses Buch kam vor 10 Jahren heraus und erschien seither, wenn ich recht gezählt habe, in sechs Auflagen. Helmut Creutz wurde von mehreren Seiten für den alternativen Nobelpreis vorgeschlagen und heute sorgt er bei uns für die entsprechenden Zwischentöne und damit herzlich Willkommen, Helmut Creutz.

 

Danke!

 

Helmut Creutz, Wirtschaftsanalytiker nennen Sie sich? Jetzt kennen wir vom hektischen Börsenparkett den Analysten. Wir kennen den Wirtschaftswissenschaftler, den Betriebswirtschaftler, den Volkswirtschaftler. Beim Analytiker denkt man an die Couch, zuerst. Was heißt Wirtschaftsanalytiker?

 

Ja, ich versuche die Vorgänge in der Wirtschaft zu analysieren. Die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bereichen und vor allen Dingen die Wechselwirkungen zum monetären Bereich. In welcher Weise wirkt sich unser Geld auf die Wirtschaft aus. Und in welcher Weise gibt es wieder Rückwirkungen auf die Geldsphäre. Und welche Folgen sind damit verbunden.

 

Macht das nicht eigentlich auch der Wirtschaftswissenschaftler?

 

Die sind weitgehend, so weit ich das beurteilen kann, immer mehr mit der Theorie befasst. Sie beschäftigen sich mit den verschiedenen Lehrmeinungen, variieren diese und untersuchen seltener die konkreten Zusammenhänge zwischen ihren Wissenschaftsbereichen und der Realität. Vor allen Dingen machen sie einen Bogen um die Probleme, die sich mit dem monetären Bereich verbinden lassen und deren Wirkungen auf unseren Alltag und auf das Geschehen in Wirtschaft und Gesellschaft.

 

Das wollen wir heute bis 15:00 Uhr aus Ihrer Sicht und durch Ihre Brille sehen, beobachten, uns drüber unterhalten. Aber nochmals, Sie sind ja kein Studierter. Sie sind kein Wirtschaftswissenschaftler. Hat Ihnen das nicht viel Kritik eingebracht, sozusagen in Anführungsstrichen, als Amateur sich dieser Geschichte zu widmen ?

 

Ja, wenn man das aus der Sicht der Hochschulausbildung sieht, habe ich Wirtschaft nicht studiert. Ich habe sie aber immerhin fast 30 Jahre in der Praxis studiert. Und ich bin seit 20 Jahren dabei, eben diese Erfahrungen aus der Praxis zu vergleichen mit den Theorien und den Entwicklungen, die sich immer mehr bei uns anbahnen und deren Schwierigkeiten alltäglich deutlicher werden.

 

Also, Praktiker sind Sie schon lange und Theoretiker erst seit ungefähr 20 Jahren?

 

Ja.

 

Die Praxis ist ja gut. Sagt man ja immer. Wenn die Praxis stimmt. Man muss es ja in der Praxis ausprobieren. Dort muss es sich bewähren.

Ja, ich kenne wie gesagt, die Praxis aus den verschiedensten Perspektiven. Ich war lange Zeit Angestellter, Selbständiger und zeitweise Betriebsleiter. Ich habe eine eigene Firma gegründet, eine GmbH im Zusammenhang mit einer Erfindung und habe also die verschiedensten Rollen durchgespielt.

 

 

Da haben Sie auch ein Patent. Was ist das für eine Erfindung?

 

Das ist ein mitwachsendes, umbaufähiges Baukastenprogramm für Kindermöbel und Kinderspielzeuge.

 

Wie sind Sie denn darauf gekommen Wirtschaftsanalytiker zu sein, sein zu wollen? Wie kam es dazu?

 

Das war, ähnlich wie andere Entwicklungen in meinem Leben, mit Zufällen verbunden. Ich hatte in den 70er Jahren nebenbei etwas geschriftstellert, zuerst ein Betriebstagebuch „Gehen oder kaputtgehen" geschrieben, das beim Werkkreis "Literatur der Arbeitswelt" erschienen ist und damals der Auftaktband einer längeren Reihe war. Und ein paar Jahre später habe ich über Erfahrungen, die ich als Vater im Schulbereich gesammelt habe, mit den Schulerlebnissen meiner Töchter verbunden, ein Buch geschrieben, "Haken krümmt man beizeiten". Es gibt doch ein Sprichwort: Was ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten. Ein altmodisches Sprichwort. Aber ich habe es noch aus meiner Kindheit in Erinnerung. Weil der Mensch, ja, ich möchte nicht sagen verbogen, aber gebogen wird in der Schule, nach einem einheitlichen Schema, das für alle gleich ist.

 

Sie sagen gebogen. Man könnte es auch vornehm ausdrücken: Sie werden gebildet!

 

Auch das ist eine einseitige Sache, das nach einem Schema abläuft, das keine Rücksicht nimmt auf die individuellen Fähigkeiten und Veranlagungen der einzelnen Kinder.

 

Wie sind Sie von diesem Thema zum Wirtschaftsthema gekommen?

 

Die Brücke ist leicht zu schlagen. Ein Leser dieses Schultagebuchs schrieb mich etwa 1978/79 an und meinte, ich hätte wichtige Fragen angesprochen und zum Teil auch Antworten gegeben. Ich sollte mich doch mal mit den Zusammenhängen befassen zwischen Geld und Gesellschaft, zwischen Wirtschaft und Währung. Wahrscheinlich würde ich da noch weitere Antworten finden oder sogar entscheidende Antworten, die mir in manchen Dingen weiterhelfen könnten. Ich war damals sehr skeptisch, weil ich ja auf Grund meiner fast 30-jährigen Praxis glaubte, über Geld alles zu wissen. Ich hatte Finanzierungen gemacht, Investitionsberechnungen, Kalkulation, Kredite für verschiedene Objekte aufgenommen. Ich glaubte, über Geld alles zu wissen.

 

Auch wieder abgezahlt, die Kredite?

 

Ja, die sind inzwischen alle abgezahlt. Dies entspricht ja auch der Entwicklung im Alter.

 

Und dann stellten Sie aber fest, Sie wissen zu wenig?

 

Ich wollte ihn an und für sich widerlegen. Er hatte mir da eine kleine Schrift beigelegt von einem gewissen Hans Kühn, den ich nicht kannte, der da einige konkretere Gedanken entwickelte, die mir auch fremd waren. Ich dachte, das kann wohl kaum stimmen, was der Mann schreibt. Da ich aber Pragmatiker bin, habe ich nicht versucht ihn aus dem Bauch heraus abzulehnen, sondern versucht anhand von Fakten ihm nachzuweisen, dass er Unrecht haben müsste. Das war anfangs schwierig, weil mir die Quellen, die Zugänge zu den Fakten fehlten, Statistiken vor allen Dingen, mit denen ich dann arbeiten konnte. Aber in dem Maße, wie ich dann tatsächlich Fakten fand, musste ich feststellen, dass der Mann irgendwie Recht hatte.

 

Wir werden auch noch hören, inwieweit er Recht oder Sie Recht haben, oder ob man überhaupt mit dem Begriff Recht haben weiterkommt. - In Ihrem Buch "Das Geldsyndrom" gibt es viele, viele Zahlen. Wir werden darauf noch kommen. Ich möchte noch mal bei diesem Schultagebuch bleiben. Um welche Problematik ging es in diesem Buch, die dann zur Geldproblematik führte. Also, welche Themen waren es, die Sie aufregten und beschäftigten?

 

Die Brücke hatte dieser Leserbriefschreiber geschlagen. Und ich kann mich nicht erinnern, dass er speziell auf bestimmte Fragen eingegangen wäre im Schultagebuch. Er hat das mehr allgemein aufgegriffen um zu zeigen, dass bestimmte Zwangsstrukturen in unserem Leben vorhanden sind, die zum Teil in der monetären Sphäre Erklärungen finden.

 

Was hat Sie an der Schule damals aufgeregt, als Vater?

 

Also erst einmal, dass Schule zu Kaisers Zeiten, in der ersten Demokratie, in der Hitlerzeit und in der neuen Demokratie praktisch gleich geblieben ist. Die gleichen Lehrer, die gleiche Art zu unterrichten, die gleichen Fächer. Es hat sich nichts verändert, als ob die Schule nicht eingebunden wäre in die Geschichte, die wir täglich erleben.

 

Sie wollen sagen, auch heute im Jahr 2003 sei die Schule strukturell noch so wie zur Kaiserzeit? Das wäre eine kühne Aussage.

 

Natürlich, die Beheizung ist inzwischen anders, auch die Schulbankordnung ist etwas anders, aber im Prinzip ist es weiterhin eine Lernanstalt, in der Menschen gezwungen werden, praktisch gegen ihren Willen, zu bestimmten Zeiten, jeden Tag zu erscheinen unter Androhung von Konsequenzen. Und ich habe darum die Schule immer verglichen mit den anderen beiden Anstalten, die die Menschen ähnlich entmündigen. Das sind Kasernen und Gefängnisse. In allen drei Anstalten wird nach Klingelzeichen aufgestanden und sich gesetzt. In allen drei Anstalten muss der Mensch gegen seinen eignen Willen verbleiben und anwesend sein. Und er muss auch in allen drei Anstalten Tätigkeiten verrichten, die er nicht selber aussuchen kann.

 

Aber mit diesem grenzenlosen Individualismus kommen wir ja nicht weiter.

 

Wir müssen versuchen, im Gegenteil, die Fähigkeiten im Menschen stärker zu wecken und zu begünstigen in der Entwicklung. Das ist mit heutigen Lernprogrammen in den Schulen, die auf einem bestimmten Fächerkanon beruhen, nicht möglich. Soziale, künstlerische Fähigkeiten werden z.B. immer mehr ausgeklammert, die früher noch in der Schule möglich waren. Da war es noch gang und gäbe, dass die älteren Schüler die jüngeren unterrichteten, zwangsläufig. In einer Ein-Klassen-Schule, in der acht Jahrgänge in einem Raum waren, ging das gar nicht anders. Aber auch künstlerische Fähigkeiten wurden noch mehr gepflegt. Heute sind sie nur dann gefragt, wenn sie sich in Zahlen messen und abfragen lassen.

 

Leistung?

 

Und auch Leistung muss man messen können, damit alles gerecht ist. Also fragt man statt Individualität eben Programmierung ab oder fördert sie.

 

Aber Leistung ist ja auch gar nichts Schlechtes. Ich will noch eins dazu sagen: Soziale Kompetenz ist aber heutzutage ein Begriff, der in aller Munde ist und der sehr hoch im Kurs steht.

 

Er ist zwar in aller Munde, aber er wird nicht gepflegt, nicht gefragt. Gute Schüler sind die, die gut lesen, rechnen und schreiben können. Aber Schüler, die gut künstlerische Tätigkeiten ausüben können oder soziales Verhalten an den Tag legen und anderen helfen, spielen keine Rolle. Sie stören den Unterricht nur.

 

Oder vielleicht ein bisschen langsamer sind und bestimmte Sachen erst später kapieren, im Gegensatz zu anderen, die ihrerseits aber auch wieder manches zu spät begreifen. Also, einer ist immer zu früh und ein anderer zu spät.

 

Man sagt nicht, dass aus diesen Menschen nichts mehr wird. Aber man hat ihnen doch die Entwicklung im Leben erschwert durch ein starres System, das keinen Spielraum lässt für individuelle Fertigkeiten. Allen Menschen zur gleichen Zeit das Gleiche im gleichen Tempo beibringen zu wollen, ist völlig irreal. Aber die Schule lebt davon.

 

Eine übermenschliche Organisationsleistung. Merkt man ja wie schwer es ist, schon so etwas Einfaches wie einen Stundenplan anständig hinzukriegen.

 

Ja aber auch, wie schwer es die Lehrer haben. Die leiden ja auch unter diesem System. Und sicher sind es nicht ohne Grund Lehrer, die am frühesten in Pension gehen. Die auch Schwierigkeiten haben und manchmal dem Alkohol verfallen und es heute schwerer haben als früher. Früher hatten sie einen Stock in der Hand, mit dem sie zuschlugen. Da wurden die Kinder mit dem Stock dressiert. Ich hab es  selber noch fast jeden Tag oder alle paar Tage auf die Hände bekommen. Damit konnte man die Kinder dressieren. Dieses Mittel ist heute nicht mehr gegeben. Wir haben heute nur noch die Wahl, durch Drohungen mit Zensuren die Kinder bei der Stange zu halten.

 

Ich will Ihnen nichts in den Mund legen, aber so wie Sie über Wissen, Wissensvermittlung sprechen, erscheint es mir genau das Gegenteil dessen zu sein, was man unter dem Nürnberger Trichter versteht.

Also, Leuten etwas eintrichtern. Oder Kinder wie eine Ziervase mit Wissen zu übermalen.

 

Ich glaube, man müsste aus den Menschen etwas herausholen, mehr als etwas in sie hinein zu stecken. Man müsste versuchen, die Fähigkeiten, die in den Menschen schlummern, die sehr unterschiedlich sind und auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten zum Vorschein kommen, zu fördern, statt dieses Einheitsschemas.

 

Helmut Creutz, lassen Sie uns zur Musik kommen, die Sie uns mitgebracht haben, von einer Sängerin, die Sie sehr mögen, Dominique, in den sechziger Jahren bekannt. Sie haben für uns ausgesucht aus Ihrem Plattenschrank den Titel "Man geht nicht mehr ohne Doppelkinn"

 

"Man geht nicht mehr ohne Doppelkinn"

 

Wie viele gibt es noch bei uns

Die nicht nach Macht und Reichtum jagen

Die unbequem auch heute noch fragen,

Das, was sie denken, auch sagen

Wie viele gibt es noch bei uns?

 

Heute spricht man von Freiheit

Und denkt dabei ans Essen

Und Kaviar wird zum Ideal

Es hungern Millionen, ihr könnt´s nicht ermessen

Was kümmert´s uns, wir haben ja unsere Moral

Man geht nicht mehr ohne Doppelkinn

Man geht nicht mehr mit Verstand

Gesinnung wird zum Doppelsinn

In unserem Vaterland

 

Wie viele gibt es noch bei uns

Die nicht an sich nur heute denken

 

 

Die jedem gern ein Lächeln schenken

Die nicht nur befehlen, die lenken

Wie viele gibt es noch bei uns?

 

Heute spricht man von Gleichheit

Und denkt an Inflationen

Und Umsatz wird zum Ideal

Es sterben Legionen für Rüstungsmillionen

Was kümmert´s uns, wir haben ja unsere Moral

Man geht nicht mehr ohne Doppelkinn

Man geht nicht mehr mit Verstand

Gesinnung wird zum Doppelsinn

In unserem Vaterland

 

 

Herr Creutz, ganz kurzes Wort dazu. Für mich als Nachgeborenen klingt das ja gut gemeint. Ich sehe darin so eine Art von Protest-Song, wobei ich ein leichtes Lächeln kriege. Es ist ja gut gemeint.

 

Man muss es aus der Zeit heraus sehen. Die sechziger Jahre waren eine ziemlich lebendige, bewegte Zeit, die dann 68 wohl ihren Höhepunkt gefunden hat. Und damals ist die Gesellschaft doch ziemlich aufgerüttelt worden. Man hat langsam begonnen zu erkennen, welche Probleme in der Welt vorhanden sind, in der Dritten Welt, in der Umwelt. Das wuchs damals erst langsam heran. Vorher war man optimistisch. Und insofern haben mich diese Lieder damals motiviert.

 

Es waren nicht die Stones, die Beatles oder die Street Fighting Men.

 

Das kommt doch mehr bei den Liedern auf den Inhalt an. Obwohl die Musik auch entsprechend gut sein muss. Ich weiß noch, dass wir diese Lieder mit meinen Töchtern dann auf Autofahrten gemeinsam gesungen haben.

 

Protestbewegt!

 

Ja, protestbewegt.

 

Das ist ja eigentlich ein Lied, ein kritischer Kommentar zum Wirtschaftswunder, in den fünfziger Jahren schon.

 

Helmut Creutz, jetzt würde mich interessieren, wie sind Sie denn in dieses Wirtschaftswunder hineingewachsen? Und dann müssen wir vielleicht noch klären, weil Sie einige Andeutungen machten zum Thema Schule, wo Sie überhaupt her stammen? Wie sind Sie aufgewachsen?

 

Ich komme aus Aachen, bin dort geboren, 1923. In der großen Zeit der Inflation, als alle Milliardäre waren. Aber leider hatte mein Vater Pech, er war zwar auch Milliardär wenn er einen Geldschein in die Hand nahm, aber er war arbeitslos. Damals gab es den Ruhrkampf. Die Franzosen hatten ja das Ruhrgebiet besetzt und beuteten es aus. Weil die Bevölkerung nun fror und keine Kohlen bekam hat man versucht durch einen Streik, eine Art Generalstreik, die Franzosen daran zu hindern, alle unsere Reichtümer abzuschleppen. Und aufgrund des Ruhrkampfes wurden dann die deutschen Arbeiter ausgesperrt, vor allen Dingen bei der Bahn. Es war ja hauptsächlich der Transport, der eine entscheidende Rolle spielte. Und mein Vater war bei der Bahn und wurde dann arbeitslos als ich geboren wurde. Und Arbeitslosigkeit damals hieß praktisch, ein Leben n der Hungergrenze. Das kann man also nicht vergleichen mit Arbeitslosigkeit heute.

 

Was hat ihr Vater beruflich gemacht?

 

Er war Telegraphenarbeiter bei der Reichsbahn. Und war damals, wie gesagt, arbeitslos geworden. Aber er hat dann die Zeit genutzt und seinen Führerschein gemacht. Und hatte hinterher die Chance, bei der Bahn als Kraftfahrer einen neue Stelle zu finden, als der Ruhrkampf und die Aussperrung vorbei war.

 

Stammen Sie aus einer großen Familie, sind Sie Einzelkind?

 

Eine Schwester habe ich noch, also eine Kleinfamilie. Aber meine Eltern kamen alle aus Großfamilien, wie dies früher üblich war, mit 8 und 10 Kindern.

 

Welche Berufswünsche hatten Sie?

 

Wir hatten eine Wohnung direkt hinter dem Bahnhof und konnten direkt in die Gleise reinschauen. Und da habe, ich als Junge von vier, fünf, sechs Jahren, am Geländer rumgehangen und begeistert den Elektrokarrenfahrern auf den Bahnsteigen zugeschaut. Und das war mein erster Berufswunsch, Elektrokarrenfahrer zu werden. An den erinnere ich mich noch. Aber das war natürlich, wie gesagt, noch in der Vorschulzeit.

 

Später hatten Sie den Wunsch, ein Ingenieurstudium aufzunehmen. Daraus wurde aber nichts. Es kam der Krieg. Sie wurden eingezogen. Würden Sie sagen, dass Sie, wie viele, zu dieser betrogenen Generation gehören?

 

Im gewissen Sinne schon. Man hat uns nicht nur um Jahre betrogen, all zu viele ja auch ums Leben. Daran muss man ja auch denken. Und auch die Berufswahl war entsprechend reduziert, die Berufsmöglichkeiten. Ich hatte auch noch das Pech, dass ich nach dem Kriege zuerst noch in Gefangenschaft kam, erst in amerikanische dann in russische. Und erst fast zwei Jahre später nach Hause kam, mit 96 Pfund Lebendgewicht.

 

Sie haben noch eine Kugel im Leib? Stimmt das?

 

Nein, nein, ich hatte, eine Lungentuberkulose in der Gefangenschaft. Eine ganz normale Erkrankung, die aber sehr schwerwiegend war. Ich habe dann fast noch zwei Jahre in Krankenhäusern und Heilstätten verbracht und war dann etwa 1948/49 wieder so weit, dass ich halbwegs auf den Beinen stand. Und dann habe ich den erstbesten Job angenommen, der sich anbot, durch Zufall. Das war als Mädchen für alles, als Techniker in einer Ladenbaufirma. Mit dieser Firma bin ich dann groß geworden, über das Wirtschaftswunder hinweg. Und habe später das inzwischen größer gewordene Planungsbüro geleitet und war dort auch zeitweise Betriebsleiter. Und daraus haben sich dann eben die Erfahrungen ergeben, die mich befähigten, mich als Architekt selbständig zu machen. Ich habe also auch Architektur über die Praxis gelernt, mit einigen Studien nebenbei.

 

Lassen Sie mich noch einen kleinen Moment bei den Kriegszeiten bleiben. Sie waren Flieger?

 

Ich war Flugzeugführer und Fluglehrer.

 

Flugzeugführer?

 

Pilot.

 

Pilot, Flugzeugführer?

 

Ja, und danach habe ich eine Fluglehrerausbildung gemacht. Und hatte dadurch das Glück, dass ich nicht an die Front brauchte. Aber in den letzten Kriegstagen wurden wir doch noch zusammengekratzt, alles was noch Beine hatte. Und dadurch kam auch die Berührung mit der Front und mit der russischen Gefangenschaft.

 

Wäre dann Pilot nicht auch ein toller Berufswunsch gewesen, nach dem Krieg, zum Beispiel Starfighter-Pilot oder so was?

 

Das wäre es. Und das war ja auch das Einzige, was ich in meinem Leben richtig gelernt habe. Und perfekt mit allen Scheinen, die man machen konnte. Und ich wäre auch zur Lufthansa gegangen, wenn ich gesund gewesen wäre. Aber ich bin 70 Prozent schwerkriegsgeschädigt. Und auf Grund dieser Einschränkung war diese Möglichkeit nicht gegeben.

 

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie da verheizt wurden, wie viele andere Deutsche? Wann kam das politische Bewusstsein, dass das wohl nicht so ... ?

 

Das kam ziemlich spät. Wie bei den meisten anderen auch. Ich bin groß geworden in dieser Zeit.... Ich war 10 Jahre alt, als die Nazis an die Regierung kamen. Und in diesem Alter hat man noch keine politischen Vorstellungen und Meinungen. Ich wusste auch irgendwie von diesen Dingen gar nichts. Man macht das einfach alles mit. Man hat sich da im Jungvolk betätigt, schöne Wanderungen gemacht und Fahrten und Zelte aufgebaut usw., ohne sich Gedanken zu machen, was da eigentlich sonst abläuft. In den ersten Jahren war das ja auch positiv, die Entwicklung. Die Arbeitslosigkeit wurde überwunden. Was das hieß damals, kann man heute kaum noch ermessen. Wenn man an die Not der Arbeitslosen denkt, wird klar, warum so viele Menschen die Nazis gewählt haben, bevor sie dann nach und nach erkannten, dass sie da wohl aufs falsche Pferd gesetzt hatten.

 

Hat Sie der Krieg, na ja gebrochen, will ich nicht sagen......?

 

Nein, eigentlich nicht. Obwohl ich wie gesagt gesundheitlich gebrochen war. Aber innerlich hat er mich auch stärker gemacht. Ich bin dadurch lebenserfahrener geworden. Und habe auch das Leid kennen gelernt, was auch wichtig ist. Und ich meine, dass ich dadurch stärker geworden bin in meiner Auffassung zu Krieg und Frieden und zu sozialen Fragen.

 

Also, das war nach dem Krieg schon klar?

 

Ja, so direkt nicht. Das kam erst, als dann der Vietnamkrieg lief und die ersten Proteste stattfanden, die ersten Demonstration und ich mitgegangen bin, weil ich wusste, was Krieg heißt und dabei erlebte, dass praktisch aus meiner Generation kaum einer dabei war. Dass also die Leute, die Kriegserfahrung hatten, seltsam inaktiv blieben. So dass ich mich etwas als Außenseiter gefühlt habe am Anfang. Aber ich bin trotzdem nach wie vor eingetreten gegen alles was mit Krieg zu tun hat.

 

Pazifist?

 

Kann man sagen.

 

Radikalpazifist?

 

Nein, nein. Radikalität ist mir fremd. Und die schlägt ja auch um in andere Art von Gewalt, die ich auch ablehne.

Schließen Sie Gewalt überhaupt aus?

 

Schwere Frage! - Am liebsten ja. Ich finde, man sollte Änderungen zu erreichen versuchen durch Bewusstseinsveränderungen.

 

Wie euphorisch war Ihr Gefühl zu Zeiten des Wirtschaftswunders? Es geht neu los, es geht voran, es wird alles gut?

 

Habe ich nicht weiter darüber nachgedacht. Ich war froh, dass ich einen Job hatte und irgendwie automatisch kam dann der Prozess des Wachstums, der am Anfang auch notwendig war. Darum ging es ja erst einmal, als ich damals die Arbeit bekam, etwa 1949. Bis 1955 etwa wohnten noch bei uns in Aachen Tausende von Menschen in unterirdischen Bunkern! Und insofern war man glücklich, wenn man eben dieses Schicksal nicht zu teilen brauchte.

 

Helmut Creutz, die erste halbe Stunde der Zwischentöne geht so langsam zu Ende. Wir wollen noch ein Lied hören, das Sie sich gewünscht haben, Sie uns mitgebracht haben, ein Antikriegslied. Esther Ofarim singt es hier, „Monsieur le Président", ein Lied von Boris Vian.

Eines ihrer absoluten Lieblingslieder ?

 

Ja.

 

Das hören wir uns jetzt an. Um 14:00 Uhr folgen die Nachrichten. Und um 14:05 Uhr melden wir uns dann wieder. Und dann geht's weiter mit dem zweiten Teil der Zwischentöne mit Helmut Creutz. Und das hier ist Esther Ofarim.

 

"Le Déserteur" - Boris Vian

 

 

 

Französische Version

Deutsche Version

 

 

Monsieur le président

Je vous fais une lettre

Que vous lirez peut-être

Si vous avez le temps.

Je viens de recevoir

Mes papiers militaires

Pour partir à la guerre

Avant mercredi soir.

Monsieur le président

Je ne veux pas la faire

Je ne suis pas sur terre

Pour tuer des pauvres gens.

C'est pas pour vous fâcher

Il faut que je vous dise

Ma décision est prise

Je m´en vais déserter

 

Depuis que je suis née

J´ai vue mourir mon père

J´ai vue partir mes frères

Et pleurer mes enfants

Ma mère attend se faire ….

Que aller dans sa fombe

Elle se moquait des bombes

Elle se moquait des verres

Quand j´étais prisonnière

...

Et tu mon chère passé

 

Demain devant matin

Je fais murer ma porte

On est des années morte

J´irai sur les chemins

Je m’adirer ma vie

Sur les routes de France

De Bretagne, en Provence

Et je crierai aux gents

Refuser d´obéir

Refuser de la faire

N´aller pas à la guerre

Refuser de partie

 

S`il faut donner ses sans

Donner le vôtre

Nous n´avons rien encontre….

Monsieur le Président

Si vous me poursuivait

Revenait vos gendarmes

Que je n´aurai pas d´armes

Et qu´ils pourrant tirer

Et qu´ils pourrant tirer 

 

Ihr sogenannten Herren,

ich schreibe Euch ein Schreiben,

lest oder lasst es bleiben

und habt mich alle gern.

Ich kriege da, gebt acht,

die Militärpapiere,

damit ich einmarschiere

und zwar vor Mittwoch Nacht.

Ich sag' Euch ohne Trug:

Ihr wollt doch nur schmarotzen,

ich finde das zum Kotzen,

die Welt hat jetzt genug.

Ihr sogenannten Herrn,

ich sage Euch ganz offen,

die Wahl ist schon getroffen:

Ich werde desertier'n.

 

Seit ich auf Erden bin,

sah ich manch Vater sterben,

sah Brüder schnell verderben,

sah weinen oft ein Kind;

sah Mütter voller Gram,

sie konnten nicht vergessen,

dass andre vollgefressen,

wohlauf und ohne Scham.

Sah der Gefang'nen Leid;

Man hat sie nur belogen,

um ihre Frau'n betrogen,

um ihre gute Zeit.

 

Früh, wenn die Hähne krähn,

dann schließ' ich meine Türe,

will tote Jahre spüren

und auf die Straße gehn.

Dann geht es drauf und dran

auf Welle, Wind und Wegen

der neuen Welt entgegen,

ich rufe jedermann:

Lebt Euer Leben aus,

ringt Furcht und Elend nieder,

schießt nicht auf eure Brüder

in diesem Erdenhaus.

 

Ihr sogenannten Herrn,

müsst Ihr denn Blut vergießen,

so lasst das Eure fließen,

wir hätten das so gern.

sagt Eurer Polizei,

Sie werden mich schon schaffen,

denn ich bin ohne Waffen,

zu schießen steht Ihr frei.

 

 

Der Text von „Monsieur le Président" findet sich auch http://www.englisch.schule.de/chor/desert.htm

 

 

Zwischentöne. Da sind wir wieder, der zweite Teil der Zwischentöne. Noch bis 15:00 Uhr ist heute zu Gast bei uns Helmut Creutz,  Wirtschaftsanalytiker, Schriftsteller, Publizist, freier Architekt, aber vor allem Wirtschaftsanalytiker. Sein Buch heißt Das Geldsyndrom. Und bevor wir uns weiter unterhalten, hören wir Musik. Beginnen wir mit Musik von Julius Schittenhelm. Das Lied trägt den Titel "Die Arbeit geht aus"

 

 

„Die Arbeit geht aus“

Die Arbeit geht aus
Die Arbeit geht aus.
Die Roboter werden sie übernehmen,
die Computer und ihre Nachfolger.
Was machen wir jetzt?

Wir können uns aufs Denken
beschränken,
auf die schönen Seiten des Lebens:
Neugier,  Phantasie,
Forschung,  Philosophie,
die Wissenschaften,
Kunst und Musik
und aufs Geniessen
oder aufs Faul-Herumliegen

 

Die Frage ist nur,
wer die Löhne fürs Denken bezahlt,
fürs Geniessen und
fürs Faul-Herumliegen,
und die Renten
für ältere DenkerInnen
und GeniesserInnen
und Faul-HerumliegerInnen.

Wer die Antwort kennt,
soll sie lieber bei sich behalten

 

 

Der Text von „Die Arbeit geht aus“ findet sich auch unter

http://www.julius-schittenhelm.de/CDTexte2.html#arbeit

 

Helmut Creutz, in diesem Lied sind schon einige Themen angesprochen, die uns jetzt beschäftigen bis 15:00 Uhr. Die Arbeit geht aus. Die Arbeit geht ja eigentlich nicht aus. Arbeitsplätze gehen aus, wenn schon, an Arbeit mangelt es ja nicht!

 

Ja, das ist richtig, dass man unterscheidet zwischen Arbeit und Arbeitsplätzen, denn wenn wir daran denken, dass mein Großvater in der Woche noch sechs Tage 12 Stunden gearbeitet hat, das waren 72 Stunden und wir heute bei 38 Stunden sind, zeigt sich dieser Unterschied: Die Arbeit ist nicht ausgegangen, man hat sie nur durch kürzere Arbeitszeiten ausgeglichen. Es kann also niemals Arbeitslosigkeit geben, wenn wir flexibel auf den nachlassenden Bedarf an Arbeit eingehen und die Arbeitszeiten entsprechend kürzen, nicht aber die Zahl der Arbeitenden.

 

Heute reduzieren wir, um das Problem zu lösen, die Zahl der Arbeitenden, wir entlassen Leute, statt bei allen die Arbeitszeit weiter zu verkürzen, wie man es nach dem Kriege gemacht hat. So hat man In den ersten 10 bis 20 Jahren die Arbeitszeit innerhalb von 16 Jahren um acht Stunden verkürzt. Wir hatten 1950 angefangen mit etwa 49 Stunden Arbeitszeit im Schnitt und waren nach 1966 bei 40 Stunden! Und immerhin haben wir's damals getan in einer Zeit, in der Not war, in der wir tatsächlich arbeiten mussten, um alles wieder aufzubauen. Und trotzdem hatten die Gewerkschaften den Mut gehabt die Arbeitszeiten ständig runter zu fahren. Sogar im überzogenen Maße mit dem Ergebnis, dass wir hinterher ein paar Millionen Arbeitskräfte ins Land holen mussten. Aber diese Politik hat man leider danach eingefroren. 19 Jahre hat lang die IG Metall dann ihre Tarifvereinbarungen auf 40 Stunden festgeschrieben, was natürlich Vorteil hatte für die Lohnsteigerungen. Denn während man in den ersten Jahrzehnten, den Fortschritt der Technik und der Produktivität aufgeteilt hat in steigende Löhne und sinkende Arbeitszeit, hat man nach 1970 nur noch in die Löhne reingeschustert und die Arbeitszeit eingefroren. Man hat dadurch eine schnellere Sättigung der Märkte bewirkt, mit dem Ergebnis, dass dadurch Arbeitskräfte frei wurden, nur weil man weiterhin die Stundenzahlen nicht reduzierte.

 

Jetzt in dem Lied klang an: die Automatisierung befreit den Menschen ja - wir sind ja erfindungsreich - von stumpfsinniger, mühseliger Arbeit. Das ist ja auch sehr wünschenswert, dass man sozusagen Zeit hat für andere schöne Dinge, für Philosophie und Kunst.

 

Das rechnet sich alles nicht!

 

Was rechnet sich nicht?

 

Die Kunst, die Philosophie!

 

Ach so, ach so. Das Denken kommt dann nur zu Stande, wenn man eben immer alles nur daran misst, am reinen Geldbetrag, der vor allen Dingen aber immer stärker von der Arbeit wegwandert zum Kapital. Jetzt stehen wir heute vor Problemen: Mit der Arbeitszeitverkürzung ist es nicht getan. Wir hören es tagtäglich, dass es so nicht weitergehen kann, die Probleme sind mannigfaltig, die ökonomischen. Was tun wir, damit wir aus der Krise herauszukommen ? Wir hören es im Grunde jeden Tag. Wir brauchen nämlich was, mehr Wachstum, Wirtschaftswachstum?

 

Dieses Thema Wachstum hat mich schon sehr früh beschäftigt. Noch bevor ich mich mit dem Thema Geld befasst hatte, weil ich die Dinge auch aus der Umweltbewegung heraus betrachtet hatte und ich mir im klaren war, dass Wachstum, so erfreulich wie es nach dem Kriege war, als Dauerzustand nicht durchzuhalten sein kann.

 

Sagen Sie !

 

Ich habe damals mal überlegt und einige Regeln des Wachstums festgeschrieben.

Die erste hieß: In einem begrenzten Raum kann es kein grenzenloses Wachstum geben.

Wir sitzen hier im Studio! Wenn hier alle fünf Sekunden ein Mensch reinkommt, dann ist der Raum ab einem bestimmten Zeitpunkt voll. Und wenn er dann noch weiter gefüllt wird, würden wir uns zerquetschen. Und die Erde ist auch ein begrenzter Raum. Deswegen ist grenzenloses Wachstum auch von daher gesehen ein Unding.

 

Außer wir gehen über die Grenzen hinaus und siedeln auf den Mars.

 

Ja, man versucht es. Aber die zweite Regel besagt dann auch, dass es für jedes gesunde und natürliche Wachstum eine optimale Obergrenze gibt. Wenn ein Mensch heranwächst, dann wird er das nicht ewig tun, sondern bis zu einer bestimmten optimalen Größe, die er dann etwa bei 20 Jahren erreicht. Warum wächst er nicht ständig weiter ? Nun, weil die Probleme dann rascher wachsen würden als die Vorteile des Grösserwerdens. Darum diese Regel: Für jedes gesunde Wachstum gibt es eine optimale Obergrenze. Die dritte Regel  ist dann eine neue gewesen, die ich praktisch erst im Zusammenhang mit der Geldfrage erkannt habe. Sie besagt, dass ein Organismus, ein wachsender Organismus, nur stabil bleiben kann, wenn sich alle seine Teile an der Entwicklung des Ganzen orientieren. Konkret: Wenn ein Mensch vom zehnten bis zum zwanzigsten Lebensjahr sein Körpervolumen verdoppelt, dann müssen sich auch die Organe in der Größe verdoppeln, die Gliedmaßen, alles muss im Gleichschritt wachsen. Geschieht das nicht, würde zum Beispiel die Lunge eines Menschen rascher wachsen als der Mensch selber oder würde sogar, was noch schlimmer ist,  nach dem 20. Lebensjahr noch weiter wachsen, dann würde er sehr schnell daran zu Grunde gehen. Die Lunge würde die anderen Organe zerquetschen, wegdrücken. Sie würde den Brustkorb sprengen. Also wichtig ist, dass alle Wachstumsstrukturen so gestaltet sind, dass sie sich bezogen auf alle teilhabenden Teile gleichmäßig entwickeln. Das Ganze gibt also vor, wie die Einzelteile wachsen können. Wenn wir das jetzt übertragen auf die Wirtschaft, dann heißt das konkret: Wenn eine Wirtschaft um 3 Prozent in einem Jahr wächst, dann können auch die Löhne um 3 Prozent steigen, die Steuereinnahmen, die Gewinne der Unternehmen, die Kapitaleinkommen. Alles kann um 3 Prozent größer werden, ohne Probleme.

 

Und dann wird es besser. Darf ich ganz kurz dazwischen fragen? Muss sich denn Wirtschaftswachstum analog zu natürlichem Wachstum ergeben? Man kann sich ja auch denken, dass Wirtschaftswachstum nach anderen Kriterien funktioniert?

 

Ja, das scheint vordergründig so. Aber die Wirtschaft ist ja in der Natur eingebettet. Und sie kann nicht den Gesetzen der Natur zuwider handeln ohne sich selbst zu gefährden.

 

Na ja, aber das Wirtschaftswachstum, es läuft ja schon ein ganze Zeit.

 

Die Folgewirkungen sind auch inzwischen immer deutlicher.

 

Aber der Club of Rome hat ja nicht Recht behalten, 1972 "Mit Grenzen des Wachstums"?

 

Mit seinen konkreten Zahlen nicht, aber mit seiner Tendenz schon. Die hat sich nicht verändert, auch wenn es sich verlangsamt, weil man zwischendurch noch neue Quellen gefunden hat, die man ausbeuten kann. Aber irgendwie ist die Erde nicht endlos. Sie ist ein begrenzter Raum. Die auch nur ein begrenztes Wachstum auf Dauer ermöglicht.

 

Wir brauchen Wirtschaftswachstum. Das hören wir jeden Tag. Das ist ein eherner Grundsatz unseres ökonomischen Handelns.

 

Ja, und der Frage bin ich ja auch besonders nachgegangen, im Anfang, im Hinblick auf die umweltbezogenen Ansätze von mir und habe dann begriffen, warum wir ständig Wirtschaftswachstum brauchen. Und zwar, weil wir die dritte Wachstumsregel verletzen, nämlich die Regel, dass alles nur im Gleichschritt wachsen darf, wenn der ganze Organismus weiterhin stabil bleiben soll. Aber das ist bei uns nicht der Fall. Bei uns wachsen eben bestimmte Teile rascher als die anderen. Und die habe ich dann orten können. Das war der Grund dafür, warum ich mich immer mehr mit diesem Thema befasst habe, im Bereich des Geldes. Denn die Geldvermögen und Schulden wachsen 2-3 mal schneller als die Wirtschaftsleistung wächst. Die Folge ist, dass die Ansprüche des Geldkapitals an den Wirtschaftskuchen, der jedes Jahr verteilt werden kann, von Jahr zu Jahr größer werden. Und zwar schneller größer werden, als der Kuchen selber wächst.

 

Dann backen wir einen größeren Kuchen, sagt zum Beispiel auch Herr Rogowski vom BDI. Dann müssen wir einen größeren Kuchen backen!

 

Das haben wir auch lange Zeit getan. Das hat lange Zeit auch funktioniert, weil wir den Kuchen immer größer backen konnten. Das waren Entwicklungen, die noch in früheren Generationen undenkbar waren. Aber wir haben sie realisiert durch Technik und durch immer neues Erschließen neuer Ressourcen. Doch das Wachstum des Kuchens, das anfangs, in den ersten Jahrzehnten, noch ausreichend groß war um die Verteilung nicht zu gefährden, hat inzwischen nachgelassen.

 

Die deutsche Wirtschaft ist kontinuierlich angewachsen seit den 50er Jahren?

 

Ja, und zwar jedes Jahr, obwohl die Wachstumsraten selbst gesunken sind. Ein Prozent Wachstum ist in Mengen gerechnet so viel heute wie sechs bis sieben Prozent in den 50er Jahren. Die Wachstumsraten können also durchaus von Jahr zu Jahr fallen und trotzdem sind die gleichen Mengenzuwächse vorhanden.

 

Noch einmal zum Mitdenken. Wieso entspricht das einprozentige Wachstum sechs bis sieben Prozent der damaligen Zeit?

 

Der Prozent-Maßstab wird immer angelegt an die vorhandene Menge. Die vorhandene Menge des Sozialprodukts war in den 50er/60er Jahren noch klein. Entsprechend ergab das Wachstum einer bestimmten Anzahl von Kühlschränken, sagen wir mal einfachheitshalber einen Zuwachs von sechs bis sieben Prozent. Der gleiche Mengenzuwachs ergibt heute, wegen des inzwischen mehrfach größeren Sozialprodukts, jedoch nur noch ein Prozent. Deswegen haben wir, trotz dieses Rückgangs der Wachstumsraten, eine lineare und ständige Entwicklung der Wirtschaftsleistung. Wir produzieren und verbrauchen heute, in realen Grüßen gemessen, siebenmal so viel wie in den 50er Jahren!

 

Dann werden wir es auch brauchen!

 

Aber die Geldvermögen und Schulden sind nicht auf das siebenfache angestiegen, sondern auf das 32-fache.

 

Auf wie viel?

 

Auf das 32-fache! Ebenfalls in realen Zahlen gemessen. Und dieses Auseinanderdriften der realen und monetären Größen, lässt eine Schere aufgehen zwischen den Einkünften aus Arbeit und den Einkünften aus Geldkapital. Da das Geldkapital aber den Vorrang hat, bei den Kuchenverteilungen, immer schon vorab sein Anteil festlegt aufgrund des Geldvermögen mal Zinssatz gerechnet, bleibt für die anderen relativ immer weniger übrig. Darum sind auch die Lohnentwicklungen immer mehr zurückgeblieben, gemessen an der Entwicklung der Wirtschaftsleistung. Dafür ein konkreter Vergleich: in den letzten 10 Jahren, von 1991 bis 2001, ist das Bruttosozialprodukt um 37 Prozent gestiegen, die Bruttolöhne jedoch nur um 29 Prozent und die Nettolöhne um 23 Prozent. Aber die Geldvermögen und die Geldvermögenseinkünfte sind und 95 Prozent gestiegen! Schon in 10 Jahren kann man erkennen, in welchem Maße die Ansprüche des Geldkapitals an dem Kuchen überproportional wachsen, Jahr für Jahr. Auch wenn das momentan etwas abgeschwächt ist, nach dem Börsencrash, ist der Trend auf jeden Fall der gleiche geblieben, wenn man die Sache langfristig betrachtet.

 

Das klingt nach einer alten, verstaubten Kapitalismuskritik. Sind Sie ein alter Marxist, oder so was ?

 

Absolut nicht. Ich bin sogar selber Kapitalist, wenn man von den Zinseinnahmen ausgeht. Aber ich bin mir im klaren darüber, dass dieses System langfristig nicht funktionieren kann, wenn eben die Ansprüche von der Kapitalseite rascher zunehmen als die Wirtschaft in der Lage ist, ihre Leistung zu steigern.

 

Ich habe Sie recht verstanden: Wir haben einen Wirtschaftswachstumszwang, weil das Geld wachsen muss.

 

Ja, genau. Das Geld nicht, sondern die Geldvermögen.

 

Die Geldvermögen?

 

Die Geldmenge - das wird manchmal auch verwechselt - die Geldmenge, die wächst in etwa im Gleichschritt mit der nominellen Leistung. Das ist also kein Problemfeld! Das Problem ist der Tatbestand, dass die Ersparnisse, die Einkommensüberschüsse, die die Empfänger nicht benötigen und die sie dann praktisch nur über Kredite wieder zurückschleusen können in den Kreislauf, dass die eben rascher wachsen als die Wirtschaftsleistung. Und das kann nicht funktionieren, das muss genauso zerstörerisch sein, wie das Beispiel mit der im Übermaß wachsenden Lunge in einem menschlichen Körper. Die Größenordnungen, die heute im monetären Bereich aktuell sind, sprengen ja schon das Vorstellungsvermögen, wenn sie an die Milliardenbeträge denken.

 

Da gibt es eine schöne Geschichte, die das sehr deutlich macht. Die Geschichte vom Josephs-Pfennig oder vom Jesus-Pfennig.

 

Ja, ja, das ist ein recht beliebtes Beispiel, was manchmal sogar in Schulen herangezogen wird, wie ich gehört habe. Wenn man davon ausgeht, dass der Vater von Jesus zur Zeit der Geburt seines Sohnes, bei der Sparkasse von Bethlehem einen Pfennig angelegt hätte, mit fünf Prozent Verzinsung....

 

Fünf Prozent, ist irgendwie was Realistisches?

 

Ja, durchaus! Also langfristig betrachtet, durchaus realistisch!

 

Also einen Pfennig zu fünf Prozent angelegt....

 

...dann würde der Besitzer des Sparbuchs, der es heute präsentieren könnte, genau nach 2004 Jahren, einen Anspruch haben in einer Größenordnung, die man nur noch in Gold ausdrücken kann, und zwar in Goldkugeln im Gewicht der Erde. Und zwar hätte er nicht nur Anspruch auf eine solche Goldkugel, er hätte Anspruch auf 268 Milliarden Goldkugeln im Gewicht der Erde, die aus diesem einen Pfennig herangewachsen wären, bei fünf Prozent Zinsen in 2004 Jahren.

 

Das ist exponentielles Wachstum!

 

Ja, ja, wir sehen daran, wie irreal dieses Wachstum ist. Und dass ein solches Wachstum unmöglich langfristig durchhaltbar ist. Wir haben es bisher, nach dem Krieg, nur durchhalten können, weil wir eine ständige und fast exponentielle Steigerung der Wirtschaftsleistung nötig hatten. Aber die fällt immer mehr zurück, relativ gesehen, und deswegen kommt der Kollaps unausweichlich auf uns zu.

 

Der Kollaps kam ja nicht. Ich meine, diese Goldkugeln gibt's ja nicht. Es ist ein Beispiel. Da sagt jeder ja, die Wirklichkeit sieht anders aus.

 

Eben, darum kamen laufend Zusammenbrüche, Staatsbankrotte und neue Anfänge, sogenannte Währungsreformen, wobei man in Wirklichkeit nichts reformierte sondern mit den selben Fehlern wieder anfängt, die vorher die Sache zum Einsturz gebracht haben. Also, das sind keine Reformen, das sind Neubeginne mit einem falschen System. Eine Art Kettenbriefsystem, eine Art Pyramidenspielsystem, das nur in Zeitlupe abläuft. Während wir sonst bei solchen Spielen ja sehr schnell beobachten können, wie sie sich selbst zerstören und zusammenbrechen, ist das bei dem Geld nur sehr langgezogen, so dass man die Entwicklungen kaum empfindet. Wenn man als Arbeitender jedes Jahr relativ ein Prozent von seinem Einkommen verliert, das merkt man nicht. Aber in 20, 30 oder 50 Jahren wächst das zu einer beträchtlichen Größe an.

 

Ist das eigentlich so, dass das der gesunde Menschenverstand auffassen kann? Kann man verstehen, wie sich dieses Wachstum auswirkt?

 

Wie sich das auswirkt mit dem Wachstum? Gehen wir von den wirklichen menschlichen Bedürfnissen aus, dann hätten wir in unseren Breiten doch längst genug gehabt! Vor allen Dingen, wenn wir es messen an dem, was andere Menschen auf der Erde heute haben. Aber der Abstand ist immer noch größer geworden zwischen Arm und Reich.  - Wir haben damals, in den 60er Jahren die große Welle gehabt der Hilfen für die Dritte Welt. Damals gingen Entwicklungshelfer in alle Welt. Damals waren wir stolz darauf. Doch diese Diskrepanz, die damals vorhanden war, hat sich noch vergrößert im Laufe der Zeit.

 

Wir Menschen setzen ja auf dieses System. Also Kapitalismus ist übrig geblieben seit 1989. Es hat uns auch viel Wohlstand beschert. Es wird auch gesagt, in Zeiten der Globalisierung kann dieses kapitalistische Wirtschaften überall auf der Erde für Wohlstand sorgen. Also, es muss doch gute Gründe geben, warum wir das verfolgen und so handeln, wie wir handeln. Was versprechen wir uns davon ?

 

Wir haben keinen anderen Ausweg. Stellen Sie sich einen ausgewachsenen Menschen vor bei dem die Lunge ständig weiter wächst. Dann hat er im Grunde nur den einen Ausweg, nämlich zu versuchen, selber auch größer zu werden, eben auf 3, 4, oder 5 Meter zu wachsen, wenn er mit dieser wachsenden Lunge leben will. Das ist genau der Wachstumszwang in dem wir leben heutzutage und der von der monetären Seite ausgeht!

 

Woher rührt das, dass die Geldvermögen dieses Privileg besitzen, andauernd zu wachsen ? Ist das der Zins ?

Das rührt tatsächlich vom Zins her, richtiger: vom Zinseszins, wie wir eben an dem Beispiel mit dem Pfennig gesehen haben. Wenn wir uns mal vorstellen, man hätte dabei die Zinsen auf die Seite gelegt, also nicht wieder angelegt, dann wäre in diesen 2000 Jahren das Gesamtvermögen aus dem Pfennig nur auf eine Mark angewachsen! Wir sehen daran, erst der Effekt der Wiederanlage der Zinsen, der Zinseszinseffekt, der erzeugt dieses übermäßige Wachstum. Und das wiederum hat seine Ursachen darin, dass eben das Kapital, das Geldkapital, eine Überlegenheit besitzt gegenüber den übrigen Dingen in der Wirtschaft. Geld ist mehr als die Ware die ich dagegen tauschen kann, weil es ein Universalmittel ist. Es verdirbt nicht, es wird nicht alt, wird nicht unmodern. Der Geldbesitzer ist nicht im gleichen Maße gezwungen, das, was er in der Hand hat, anzubieten wie der Warenproduzent, der muss seine Ware loswerden um überleben zu können. Der Geldbesitzer kann warten. Und dieser Vorteil des Geldes, diese Überlegenheit des Geldes, die auch Keynes herausgearbeitet hat, die erlaubt es ihm, sein Geld nur dann freizugeben, wenn man ihm einen zusätzlichem Lohn dafür gibt, eben einen Zins. Der Zins ist gerechtfertigt im Bereich des Risikoausgleichs wie auch des Inflationsausgleichs, aber es bleibt dabei ein Sockel von ein bis zwei Prozent übrig, der unantastbar ist. Das ist die Grenze, bei der die Menschen beginnen, ihr Geld nicht mehr auszuleihen, weil ihnen der Zins nicht mehr attraktiv genug ist. Und dann kommt es zu Geldzurückhaltungen mit schweren Folgen, möglicherweise sogar zu einer Deflation. Das ist das, wovor inzwischen auch die Notenbanken, auch in Amerika und in Europa, Angst haben. Man kann davon ja dauernd lesen.

 

Das ist jetzt ein neues Thema. Das wollen wir vielleicht nach der nächsten Musik besprechen. Jetzt hören wir noch mal was von Ihrer Lieblingssängerin Dominique aus Ihrem Plattenschrank. Die Platten haben schon ein bisschen Patina. Es knistert schön. Hin und wieder knackts. Dominique singt den Titel: "Ist das die Welt, die wir mal erben sollen ?"

 

Ist das die Welt, die wir mal erben sollen ?

die Welt für die wir vielleicht morgen sterben sollen ?

ob Ost, ob West, ob Süd, ob Nord

wohin man sieht, da fließt noch Blut

nur Hass und Pest und Krieg und Mord

nicht mal sechs Länder bringt er unter einen Hut

 

Statt diesen Wahnsinn zu verhindern

die Hungersnot zu lindern

zu helfen armen Kindern

fliegt ihr zur Venus und zum Mond

baut Bomben und Raketen

Bomben und Raketen

 

Glaubt Ihr, dass es sich wirklich lohnt, dies Erbe anzutreten?

 

Ist das die Welt, die wir mal erben sollen ?

die Welt für die wir vielleicht morgen sterben sollen ?

sie ist nicht gut ist grau und trist

fast jeder Tag bringt neues Leid

tut nicht, als ob wir das nicht wisst

und kommt uns nicht mit eurer guten alten Zeit

 

Wir sind noch jung, wir wollen leben

darum sollt ihr uns eben, ein besseres Beispiel geben

verschönt die Welt anstatt zu schreien

nach Bomben und Raketen

Bomben und Raketen

Glaubt Ihr, wir werden glücklich sein

sehr stolz und glücklich sein

dies Erbe anzutreten?

 

Die Zwischentöne im Deutschlandfunk. "Ist das die Welt, die wir mal erben sollen ?" sang Dominique auf Wunsch unseres heutigen Studiogastes Helmut Creutz, dem Wirtschaftsanalytiker. Und Herr Creutz, jetzt müssen wir den Faden noch mal aufnehmen. Vielleicht bevor wir über Inflation und Deflation reden komme ich noch mal zurück zu dieser Grundaussage: Ohne Wachstum geraten wir in die Wirtschaftskrise. Mit exponentiellem Wachstum geraten wir in die Umweltkrise.  Könnte man sagen, das sei eine Behauptung. Die Bäume stehen noch. Es ist noch alles in Ordnung. Und wir könnten vielleicht auf Grund der Tatsache, dass wir alle so kluge Köpfchen sind, neue Filter bauen und sozusagen den Naturverbrauch schonender betreiben. Ist das nur eine Behauptung? Ich meine, Wachstum in die Umweltkrise?

 

Angesichts der Begrenztheit der Erde kann diese Behauptung nicht falsch sein!

 

Eigentlich ist es ja Logik. Es ist ein systemlogischer Widerspruch.

 

Alle Entwicklungen, die ständig wachsen, geraten in die Kollapsgefahr.

 

Es ist immer so blöd dieses Beispiel zu nehmen, Krebs ist ja ein Beispiel dafür.

 

Ja, aber ein sehr treffendes Beispiel. Auch der Krebs wächst ja mit Verdopplungsraten exponentiell an. Er kann jahrzehntelang im Körper schlummern und langsam heranwachsen. Erst wenn er eine kritische Größe erreicht, dann wird er problematisch. Und so ist auch das Geldvermögen herangewachsen, über Jahrzehnte, ohne dass wir das irgendwie gemerkt haben. So langsam, nach und nach, ließ zwar bei der Kuchenverteilung dann der Zuwachs der Arbeitseinkommen nach, gemessen an der Kuchengröße, aber das hat man nicht empfunden als Nachteil. Heute haben wir die Grenze erreicht, wo praktisch dieser Mehranspruch umschlägt in eine Reduzierung der anderen Einkommen, vor allem des Arbeitseinkommens. Deswegen überall die Versuche, an allen Ecken zu sparen, Leute raus zu schmeißen, die Feiertagszuschläge und Nachtzuschläge und Pipapo zu kürzen. Überall wird gekratzt daran, und keiner sagt wieso eigentlich. Wir haben doch jedes Jahr noch eine Leistungssteigerung, aber diese wird eben aufgefressen von den Ansprüchen des Geldkapitals, von Jahr zu Jahr mehr.

 

Aber das Geld darf ja wachsen, das Geldvermögen.

 

Das Geldvermögen dürfte wachsen, wenn es durch echte Ersparnisse wächst. Es kann auch, meinetwegen, in bestimmten Zeiten, auch nur durch Zinsen wachsen, solange die Zinsen nicht über der Wachstumsrate liegen. Das heißt, der Zins müsste ein normaler Marktpreis sein, der sich genau wie Knappheitsgewinne im Unternehmensbereich mit der Sättigung der Märkte zurückentwickelt. Ein Unternehmer kann keine Knappheitsgewinne mehr machen, wenn das Gut nicht mehr knapp ist. Das Geld kann aber weiterhin einen Knappheitsgewinn beanspruchen, auch wenn es gar nicht mehr knapp ist. Selbst wenn wir im Geld schwimmen, bleibt der Knappheitspreis bestehen, weil das Geld jederzeit die Möglichkeit hat, bei der Freigabe der neuen Überschüsse zu sagen, ich gebe es nur frei, wenn ich so und so viele Zinsen bekomme. Also, ein System, was unser allgemeines Rechtsempfinden auf den Kopf stellt. Normalerweise hat jeder bei öffentlichen Einrichtungen das Recht, sie unter gleichen Bedingungen zu nutzen. Aber keiner darf sie blockieren, da in der Blockade ja die Nutzung durch andere verhindert wird. Denken wir mal an die Fahrbahn, an die Straße, an den Straßenverkehr. Beim Geldverkehr aber habe ich das Recht, praktisch das Geld zu blockieren und damit andere an der Nutzung zu hindern.

 

Wenn es nicht mehr genügend abwirft?

 

Genau!

 

Man muss ja irgend einen Grund haben, warum ich wo rein investiere! Was verspricht denn Rendite?

 

Wir müssen heute eben immer wieder versuchen, die Rendite zu beleben. Das kann nur durch Wachstum geschehen. Wenn die Wirtschaftsleistung entsprechend wieder Kapital bedarf, lebt auch der Zins wieder auf. Aber heutzutage wird versucht den Zins auch bei sinkenden Wirtschaftsraten hoch zu halten. Doch solange der Zinssatz über dem Wachstumssatz der Wirtschaft liegt, müssen die Spannungen zunehmen. Der Zins müsste also, wenn er ein echter Marktpreis wäre, mit der Sättigung der Märkte, genau so in Richtung Null gehen, wie die Wachstumsraten der Wirtschaft bei Sättigung gegen Null gehen. Dann wäre das Problem gelöst.

 

Nun freut sich auch der einfache Sparer über Zinsen, die er auf dem Sparbuch kriegt. Und jetzt deuten Sie an, dass Sie eigentlich den Zins abschaffen wollen!

 

Den Zins nicht abschaffen, sondern den Zins unter die Marktkräfte stellen! Dass der Geldhalter eben nicht mehr künstlich Knappheit erzeugen kann! Und was den Bürger belangt, der sich über die Zinsen freut: Dafür habe ich Verständnis! Ich habe mich auch bis vor 20 Jahren über meine Zinsen gefreut, die ich bekommen habe. Und habe gedacht, du darfst nur keine Schulden machen, dann bist du aus dem Schneider. Aber was wir eben nicht wissen: Dass wir die ganzen Zinsen, nicht nur die eigenen oder die des Staates, sondern auch die der Unternehmen, als Kosten in den Preisen wiederfinden  und täglich mit bezahlen! Und die Unternehmer sind die größten Zinszahler, sie haben die höchste Verschuldung. Über die Schulden des Staates reden wir dauernd, aber nicht über die dreimal höheren der Unternehmen.

 

Und die Schulden des Staates, kann man beim Bund der Steuerzahler schön sehen auf dieser Schulduhr, die steigen sekündlich um über 2000 Euro. Inzwischen über 2000 Euro, jede Sekunde!

 

Und die würde bei den Unternehmen noch viel höher und noch viel schneller steigen! Und diesen ganzen Schulden müssen mit Zinsen bedient werden. Und die Zinsen können die Unternehmen nur zahlen, so lange sie in der Lage sind, sie auf die Endpreise abzuwälzen. D. h., in den Preisen stecken nicht nur Materialkosten und Personalkosten, es stecken auch die gesamten Kapitalkosten drin, die genauso bezahlt werden müssen wie die übrigen anderen Kosten.

 

Die beziffern Sie auf ein gutes Drittel in Ihrem Buch "Das Geldsyndrom". Also in jedem Preis stecken grob 30 Prozent Zins drin.

 

Das ist sehr vorsichtig ausgerechnet. Wenn man nur die Zinsen nimmt, die die Banken kassieren im Laufe eines Jahres, ist man schon über 30 Prozent. Da kommen dann noch die Zinsen dazu für die schuldenfreien Sachvermögen, die auch verzinst werden müssen. Denn der Unternehmer, der sein Unternehmen mit seinem eigenen Geld aufbaut wird genauso Zinsen haben wollen, wie derjenige der es mit Krediten tut. Denn der Geldzins, den man bei der Bank bekommen kann, ist die Messlatte bei allen Investitionen. Nur dann, wenn der Bankzins übersprungen werden kann, findet eine Investition statt. Es kann also auch kein Arbeitsplatz entstehen, wenn nicht garantiert ist, dass er mehr einbringt, als das Geld bei der Bank.

 

Jetzt: Wenn Sie mit dem Zins runtergehen wollen, haben Sie vorher angedeutet, na ja, dann wird der Kapitaleigner, Kapitalgeber nicht geneigt sein, etwas zu investieren. Wenn eben die Rendite nicht stimmt!

 

Der Investor schon, aber nicht der Geldgeber. Der Unternehmer wird gerne investieren, wenn er billige Kredite bekommt. Aber der Geldgeber wird dann anfangen zu streiken. Er wird eben sein Geld dann zurückhalten, und damit praktisch den Unternehmer zwingen mehr Zinsen zu bieten oder seine Investitionen aufzugeben.

 

Ja, eben! Also, dann sind wir ja mit unserem Latein schon wieder am Ende, weil dann das Geld nicht mehr zirkuliert und fließt. Und Sie haben vorher auch den Säulenheiligen, John Maynard Keynes, erwähnt, der für dieses Problem auch schon eine Lösung vorschlug, 1936.

 

Keynes hat von der Liquiditätsfalle gesprochen, die dann auf geht, wenn der Zins zu niedrig ist für die Interessen der Geldbesitzer. Bei einem Zins von 2 bis 3 Prozent verleiht man sein Geld nicht mehr gerne langfristig, da bleibt man lieber liquide. Und darum hat Keynes auch den Gedanken von Silvio Gesell aufgegriffen, dass man dem Geld Beine machen müsste, vor allem dann, wenn der Zins nicht attraktiv genug ist zur Freigabe. Er hat auch von Durchhaltekosten aufs Geld gesprochen, "carrying costs". So wie der Unternehmer ja Durchhaltekosten bei der Ware hat, Lagerkosten, Pflegekosten usw. und Alterungsverluste in Kauf nehmen muss, müsste auch der Geldhalter mit Kosten belastet werde, die ihn genau so zwingen sein Geld anzubieten, wie der Warenproduzent gezwungen ist seine Ware anzubieten und der arbeitende Mensch gezwungen ist seine Arbeitskraft anzubieten. Dieser Zwang fehlt beim Geld. Geld hat die Möglichkeit sich eben zurück zu ziehen, auch wenn es gar nicht knapp ist, eine künstliche Knappheit zu erzeugen, die das weitere Fallen des Zinses verhindert. Und fällt er trotzdem weiter. dann kommen wir an die berühmte Grenze, bei der die Geldhaltung in Deflation umschlagen kann.

 

Deflation heißt.....?

 

Deflation heißt normalerweise Geldmangel. Und die Deflation, die wir noch in Erinnerung haben oder manche der Älteren noch, am Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre, war eine echte Geldmangel-Deflation, weil damals die deutsche Notenbank, Reichsbank, die Geldmenge effektiv vermindert hat. Heute aber entsteht der Geldmangel durch künstliche Zurückhaltung von Geld. Wir haben also Geld genug, doch jeder Geldschein, den ich festhalte, erzeugt eine Störung im Kreislauf. Wenn wir im nächsten Monat alle 10 Prozent weniger ausgeben würden, als wir es gewöhnlich tun und würden das Geld in der Schublade liegen lassen oder irgendwo auf dem Girokonto parken, dann würde die Nachfrage um 10 Prozent zurückfallen. Das würde dann eine Reduzierung der Nachbestellungen in den Läden ergeben und eine Reduzierung der Produktion, die Arbeitslosigkeit erzeugt. Jeder Geldschein, der gegenüber dem normalen Umlauf zurückgehalten wird, erzeugt also Arbeitslosigkeit. Darüber müssen wir uns auch im klaren sein.

 

Das ist ja die Konsumflaute, die wir haben. Die Händler hocken auf ihren Waren. Es ist alles da, aber die Leute halten das Geld fest. Das ist das eine. Das andere ist: Es gibt ja viele, die haben das Geld auch gar nicht. Also jeder vierte deutsche Haushalt ist verschuldet.

 

Wer Schulden macht, macht immer noch was Positives in Anführungszeichen. Weil er ja praktisch dafür sorgt, dass das Geld überhaupt im Kreislauf bleibt. Er leiht sich Geld und kauft damit. Würde er sich das Geld nicht leihen, würde der Ausfall der Nachfrage noch größer sein. Nur ist es so, dass dieser Umweg über Kredite jedes Mal diese Zinsschraube einen Gang weiter dreht. Die Masse der Schulden wächst und damit die Masse der problemerzeugenden Zinsströme. Darum ist dieser Ausweg des übrigen Geldes über die Rückführung über Kredite zwar durchaus richtig und sinnvoll, aber durch die Verbindung mit Zinszahlungen wird er schließlich zur Katastrophe.

 

Helmut Creutz, ich frage mich gerade, ob wir weiter sprechen wollen oder vielleicht zur kurzen Erholung einen kleinen Blues hören, von Louis Jordan, den "Inflation Blues" aus dem Jahr 1948.

 

"Inflation Blues"

 

Now listen Mr. President

All you congressmen, too

You got me all frustrated

And I don´t know what to do

 

I´m trying to make a dollar

Can´t even save a cent

It takes all my money

Just to eat and pay my rent

 

That´s why I got the blues

I got those inflation-blues

 

I´m not one of those high-browes

I´m average Joe to you

I gave up eaten cornbread

candy and Chicken-stew

 

Now, you take the paper dollar

It is only that in name

The way the peoples buck is shrunk

Is a low down pretty shame

 

I got the blues

I got those inflation-blues

 

Hey, press, please cut the price of sugar

So I can make my coffee sweet

I like the smear of butter on my bread

And you know I gotta have my meat

 

When you stop rationing

You really play the game

But things are going up and up

and up and up and up and

my cheque remains the same

 

That´s why I got the blues

I got those inflation-blues

 

 

Der Inflation Blues von Louis Jordan. Helmut Creutz ist heute zu Gast bei den Zwischentönen. Und wir reden über ein heikles Thema. "Über Geld spricht man nicht, das hat man." Das ist auch so ein Spruch. Ein anderer ist heutzutage: "Leistung muss sich wieder lohnen". Das hört man vor allen Dingen aus dem Munde jener Leute, die leistungslose Einkommen beziehen. Wie verhält sich das. Wie kann sich denn solche Leistungen wieder lohnen ?

Ja, dem Spruch stimme ich voll zu, dass Leistung sich lohnen soll.

 

Sagt jeder Arbeiter, jeder Angestellte.

 

Darum wird ja die Frage laut, wie gerechtfertigt sind Einkommen ohne Leistungen? Wobei man das auch bei uns erwähnt, aber dann meint man immer die Arbeitslosen, die eben auch durch ihre Unterstützungszahlungen Geld bekommen, ohne Leistung.

 

Die liegen uns alle auf der Tasche.

 

Die liegen uns auf der Tasche! Aber man vergisst dabei, in welchem Maße uns das Geldkapital auf der Tasche liegt. Das ist unvergleichlich groß.

 

Das ist eine provokante Aussage, die Sie da treffen. Das Geldkapital liegt uns auf der Tasche. Das heißt, wir betreiben Sozialhilfe für die Reichen oder was wollen Sie damit sagen?

 

Was ich ja vorhin schon sagte, dass zwar jeder von uns in diesem Sinne, in Anführungszeichen, Kapitalist ist, denn auch derjenige der ein Postsparbuch hat, bekommt Zinsen. Problem ist eben nur, dass sich die Zinslasten und Zinseinkünfte unterschiedlich verteilen. Wenn man dieser Spur mal nachgeht, dann kann man herausrechnen, dass 80 Prozent der Haushalte praktisch Verlierer sind, bei diesem Monopoly-Spiel. Sie zahlen mehr Zinsen, nicht nur über ihre privaten Konsumentenschulden, die können wir fast vergessen, sondern über die täglichen Ausgaben. Allein in der Miete, das weiß ich aus meiner Erfahrung als Architekt, stecken 60 bis 80 Prozent Zinsen drin. Die besteht fast nur aus Zinsen. Deswegen sprechen ja auch die Süddeutschen vom Mietzins, wenn Sie die Miete ansprechen. Und im Schnitt gesehen aller Ausgaben, muss man mindestens ein Drittel ansetzen, eher 40 Prozent ansetzen, die wir heute dafür zahlen. Mit jedem Euro, den ich ausgebe, zahle ich 40 Prozent, 40 Cent Zinsen. Und ich muss mal im Jahr zusammen addieren, was ich auf diese Weise an Zinsen gezahlt habe und das vergleichen mit den Zinserträgen, die ich tatsächlich hatte. Da werden 80 Prozent der Bevölkerung feststellen, dass sie mehr eingezahlt als herausbekommen haben. Sie sind also Verlierer, selbst bei Zinseinkünften von ein paar 1000 Euro sind sie acht Zehntel der Haushalte Verlierer. Erst bei dem neunten Zehntel ist es in etwa ausgeglichen. Aber bei dem letzten Zehntel der Haushalte schlagen dann die Verluste der 80 Prozent als Überschussgewinne zu Buche. Das heißt, die reichsten 10 Prozent der Haushalte bekommen mehr Zinsen heraus, als sie eingezahlt haben. Und diese Entwicklung führt zu ständigen Umschichtungen der Einkommen, die inzwischen in der Größenordnung von einer Milliarde pro Tag liegen.

 

Eine Milliarde was ?

 

Eine Milliarde pro Tag wird umgeschichtet von der Arbeit zum Besitz.

 

Eine Milliarde was, Euro ?

 

Euro, Euro, Euro.

 

Eine Milliarde Euro pro Tag, täglich ?

 

Allein die Zinserträge der Banken machen schon über eine Milliarde pro Tag aus. Die Bankzinserträge lagen 2001 bei 382 Milliarden Euro. Das entspricht praktisch 66 % aller Nettolöhne und Gehälter. So groß sind die Bankzinserträge.

 

Ja, die müssen auch wovon leben, die Banken und die Angestellten.

 

Die Banken behalten das ja nicht! Die behalten ja nur ihre Bankmarge. Sie geben das weiter. Von den 382 Milliarden Euro haben sie 2001 303 Milliarden Euro an die Geldsparer, an die Geldgeber gezahlt, also das Gros der Zinserträge. Und diese Auszahlungen konzentrieren sich dann als Einnahme bei einer Minderheit der Bevölkerung und verursachen diese zunehmenden sozialen Spannungen. Und auch die Folgen daraus, die sich dann bemerkbar machen innerhalb der Gesellschaft. Nach den Zahlen, die das statistische Bundesamt veröffentlicht hat, verfügt die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur über 4 % der Geldvermögen, die reichere Hälfte über 96 %.

 

Hälfte, heißt das fünfzig-fünfzig ?

 

Fünfzig-fünfzig, ja! Aber bei der reicheren Hälfte konzentrieren sich die Geldvermögen nochmals bei den letzten 10 Prozent. Also mehr als die Hälfte der ganzen Geldvermögen liegt in den Händen von 10 Prozent der Bevölkerung. Und das ist die Gruppe, die dann effektiv Gewinner ist.

 

Und das geht immer so weiter ? Die Reichen werden immer reicher.

 

Das geht weiter und nimmt ständig zu. Mit zunehmendem Tempo nimmt das zu.

 

Drum nimmt vielleicht auch die Hetze zu ? 

 

Ja, sicher. Wenn ich praktisch mein bisheriges Einkommen erzielen will, muss ich unter Umständen mehr arbeiten, um es weiterhin aufrecht erhalten zu können. Wir kennen ja die Geschichten aus Amerika, dass Leute da 2 bis 3 Jobs haben müssen, um ihre Familie zu ernähren.

 

Und andere haben gar keinen. Und das ist dann der "overworked american". Aber auch der Deutsche ist überarbeitet. Lassen Sie mich noch.... das klingt alles so, ja, da kommt der Begriff Neid mit rein, die Reichen sind zu reich. Es ist sofort im Hinterkopf, es könnte sich um ideologisch motivierte  Gleichmacherei handeln.

 

Stört mich gar nicht, der Reichtum, wenn er nicht eben mit dem ständigen Reicherwerden verbunden wäre. Wenn der Zins morgen in Richtung Null fallen würde, würde mich gar nicht stören, dass Leute bei uns Milliardenvermögen haben. Mich stört es nur, dass sie von alleine - in Anführungszeichen -  ständig noch reicher werden.

 

Es heißt immer, es gibt keine Alternative. Margaret Thatcher hat diesen Begriff geprägt für unser kapitalistisches Wirtschaften. "There is no alternative" - Es gibt nur diesen Weg. Und nun haben Sie uns einigermaßen eindrücklich dargelegt, dass das eigentlich nicht klappen kann mit immerwährendem exponentiellem Wachstum. Aber, aber wo liegt denn Ihre Alternative ? Gibt's denn einen Weg ? Haben Sie denn einen besseren Vorschlag?

 

Ich würde das System im Prinzip nicht verändern. Ich würde nur vorschlagen, einen kleinen Fehler in unserem Geldsystem, in der Geldstruktur, zu verändern, sonst nichts! Ich will ja keinen Kapitalismus abschaffen. Der Kapitalismus ist gerechtfertigt in Knappheitszeiten. Damit er Ansporn gibt, dass Leute sparen. Damit er Ansporn gibt, das man investiert. Aber mit der Sättigung der Märkte muss dieser Effekt abgebremst werden, in dem eben dann die Zinsen mit den Wachstumsraten gegen Null gehen. Das würde ich also zu erreichen versuchen, dass dieses weiterhin ständige Hochbleiben der Zinsen abgebaut wird. Sonst würde ich nichts ändern wollen.

 

Ja, Marktwirtschaft ist etwas sehr Sinnvolles und Gutes. Ich glaube da sind wir uns einig.

 

Die würde sogar, wenn der Zins auch marktwirtschaftlich geregelt wird, zur optimalen Lösung. Dann würden, wie Keynes das ausgedrückt hat, die anstößigen Formen des Kapitalismus nach und nach verschwinden. Er hatte von dem sanften Tod des Rentiers gesprochen. Dass also der Rentier, der von Zinsen lebt, sozusagen langsam ausscheidet aus dem Einkommensbeziehen, aber sein Vermögen behält. Nur das automatische Wachstum des Vermögens würde dann verhindert werden.

 

Sie haben also jetzt eine Lanze gebrochen für die Marktkräfte. Das führt mich noch zu einer Frage, nämlich der Subventionen? Wo sehr viel in den Markt eingegriffen wird. Und es ist auch eigentlich ein wünschenswertes Mittel etwas zu stützen.

 

Subventionen sind heute weitgehend Versuche, von Staatsseite her Verteilungsprobleme zu lösen. Und sie würden sich verringern, wenn diese Probleme nicht mehr zunehmen. Insofern würde eine Korrektur unseres Geldsystems ja die diese Notwendigkeiten abbremsen, und damit auch den Druck auf den Staat mit Subventionen einzugreifen.

 

Also, was zum Beispiel subventioniert wird, ist diese Überproduktion in der Landwirtschaft. Sie wird mit Steuergeldern unterstützt und hinterher wird Geld verdient, in dem man Lebensmittel wieder vernichtet. Was übrigens dann in Anführungszeichen zur Wertschöpfung mit dazugerechnet wird.

 

Na ja, das ist ein Problemfeld für sich, die so genannte Wertschöpfung. Aber das sind eben Auswüchse, die alle damit zusammenhängen, dass wir irgendwie zum Wachstum verdammt sind. Auch dann noch, wenn wir im Grunde es gar nicht mehr brauchen und es im Grunde schädlich wird. Wie jedes Überwachstum schädlich wird.

 

Wie wollen Sie das anstellen? Wie soll das gelingen, Helmut Creutz? Also, das erscheint mir schon ein ziemlich radikaler Ansatz zu sein. Sie sagen zwar, es ist in die Korrektur eines Fehlers im System, aber trotzdem ein sehr fundamentales Kriterium.

 

Ja, es kann geschehen, in dem ich dafür sorge, dass das Geld als öffentliche Einrichtung genau so eingestuft wird, wie alle anderen öffentlichen Einrichtungen auch. Jeder darf es nutzen, aber keiner darf es blockieren können. So zahlt man ja z. B. beim Straßenverkehr dem Blockierer der Straße nicht eine Freigabeprämie zahlt, sondern droht ihm ein Protokoll an. Genau so müsste also auch derjenige, der Geld festhält, also den Geldverkehr blockiert, mit Kosten rechnen müssen. Das ist dann das, was Keynes mit Durchhaltekosten für Geld bezeichnet hat. Das würde einen dazu bewegen, auch dann sein Geld freizugeben, wenn der Zins unter die Marke fällt, die man normalerweise dafür beansprucht.

 

Das ist unangenehm, wenn ich sparen will.

 

Sparen kann man wie immer. Nur die Ersparnisse vermehren sich nicht mehr in dem Tempo wie bisher. Die Ersparnisse sind also weiterhin gerechtfertigt und möglich. Es wird auch dafür gesorgt, mit einer Umlaufsicherung des Geldes, die vom Zins und von der Inflation abgekoppelt ist, das die Stabilität des Geldes gewährleistet wird, die heute nicht gewährleistet werden kann. Man kann also seine Ersparnisse mit ruhigen Gewissen aufheben. Die Kaufkraft bleibt ja erhalten.

 

Die Sorge ist aber, dass die Inflation die Ersparnisse auffrisst und auch Ihr Vorschlag.

 

Über die Umlaufsicherung des Geldes würde die Inflation nach und nach verschwinden können.

 

Das klingt zu gut, um wahr zu sein.

 

Weil man die Geldmenge dann steuern kann! Heute versucht die Notenbank die Geldmenge zu steuern, obwohl sie gar nicht weiß, wie viel aktiv als Geldnachfrage eingesetzt ist. Sie weiß nur wie viel Geld sie rausgegeben hat. Sie spricht zwar immer von der umlaufenden Geldmenge, wenn sie diese Menge meint, aber im Grunde ist das ein Fehlbegriff, denn von dieser herausgegebenen Geldmenge läuft eben nur ein Bruchteil um. Und allein dieser umlaufende Bruchteil ist konjunkturentscheidend. Wenn aber durch eine Umlaufsicherung das Geld festhalten, Geld blockieren und Geld Horten verhindert wird, dann wird die herausgegebene Geldmenge mit der nachfragenden identisch. Und dann kann diese Geldmenge von der Notenbank auch korrekt gesteuert werden vor dem Hintergrund einer stabil bleibenden Währung.

 

Helmut Creutz, Sie haben uns viele anregende Gedanken beschert in diesen Zwischentönen. Wir müssen so langsam zum Ende kommen. Es gibt noch einiges zu sagen und hinzuweisen. Zum Beispiel dass man Ihren Namen Creutz mit C am Anfang und TZ am Ende schreibt. Und Ihr Buch heißt "Das Geldsyndrom" und ist lieferbar im Buchhandel, aber auch unter www.inwo.de. zu bestellen.

 

Das ist der nächste Punkt. Eine sehr interessante Website: www.inwo.de!

Wofür stehen die Kürzel?

 

Die stehen für „Initiative Natürliche Wirtschaftsordnung“.

 

Natürliche Wirtschaftsordnung. Das ist auch schon wieder provokant, in gewisser Weise!

 

Das ist ein historischer Begriff, der genommen worden ist noch von vorherigen Bewegungen, die es schon in den 20er, 30er Jahren gegeben hat.

 

Freiwirtschaft, Silvio Gesell und so was.

 

Darüber kann man sich informieren auf dieser Website. Man kann auch da mein Buch bestellen.

 

Und Sie schreiben, ganz zum Schluss eine kurze Antwort, an einem neuen Buch. Es trägt den Arbeitstitel......?

 

Der Arbeitstitel heißt: "Das verflixte Geld - Die 22 Geldirrtümer". Irgendwie, um diesen Dreh rum wird es heißen, in dem ich bestimmte Fehlvorstellungen im Bereich des Geldes einzelnen aufdrösele.

 

Was ist der größte Irrtum, den wir über das Geld hegen und pflegen?

 

Ja, eins der größten Irrtümer ist zum Beispiel, dass Geld gleichzeitig Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel sein kann. Das widerspricht sich und das ist eine der Problemursachen, mit denen wir tun haben.

 

Aber Geld hat man und man spricht nicht drüber. Also, mit dieser Weisheit werden wir nicht mehr weiterkommen.

 

Ich glaube nicht. Wir müssen über Geld sprechen, wenn wir die Probleme in den Griff bekommen wollen.

 

Helmut Creutz, herzlichen Dank für den Besuch bei den Zwischentönen. Jetzt müssen wir Schluss machen. Ich darf noch darauf hinweisen, dass es die Zwischentöne nächsten Sonntag wieder gibt, mit meiner Kollegin Sabine Küchler. Dann im Gespräch mit dem Medizinhistoriker Rolf Wienau. Jetzt hören wir noch bis zu den Nachrichten zum Schluss Musik von Charles Mingus: Den Work Song.

 

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Der Text wurde nach einer Tonbandaufnahme abgeschrieben und von Helmut Creutz überarbeitet