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Frank
Bohner:
Werden die
meisten von uns arm sein?
Überlegungen
zur zukünftigen Wirtschaftsentwicklung
Weltweit
gesehen ist die Armut auf dem Vormarsch. Obwohl
Wirtschaftlsleistung
und Güterausstoß von Jahr zu Jahr wachsen, lebt ein
immer größerer
Teil der Menschheit in unwürdigen Verhältnissen. Nun
trifft es
langsam auch die Menschen in den Industrieländern: angesichts
laufender,
massiver Einschnitte ins soziale Netz, das heißt sinkender
Löhne und
Renten und steigender Gesundheitskosten sowie zunehmender
Erwerbslosigkeit
fragt man sich auch hierzulande, wo das alles enden
soll. Die
Aussicht, dass in nicht allzu ferner Zukunft mehr als die
Hälfte der
Bevölkerung darben muss, ist angesichts der aktuellen
Entwicklungen
so unrealistisch nicht. Man muß sich fragen, ob ein Ende
der massiven
Kürzungsmaßnahmen und damit eine Wende zum Besseren möglich
ist. Man
kann diese Frage positiv, also mit Ja beantworten. Auch eine
gegenteilige
Antwort ist möglich. Entscheidend ist, unter welchen
Bedingungen
sich Wirtschaftsleben künftig abspielt. Besonders
entscheidend
sind die Spielregeln, die für die Geldwirtschaft gelten.
Diese
begünstigten während der letzten Jahrtausende bis heute eindeutig
die
Besitzenden großer Geldvermögen, denen nach wie vor - völlig legal -
permanent
gigantische Zinseinkünfte zufließen. Es handelt sich dabei um
Geld, das
anderen, bedürftigeren Menschen weggenommen werden muß und
deshalb an
wichtigen Stellen fehlt, während es sich an eher
unproduktiven
Orten des Überflusses ansammelt. Die
Legitimität solcher
Einrichtungen
wurde bereits vom frühen Christentum (1) wie auch vom
Islam in
Abrede gestellt. Auch Schriftsteller, Gesellschaftstheoretiker,
Utopisten
der jüngeren Vergangenheit befassten sich mit dieser Frage.
Dazu gehört
auch Edward Bellamy, der am 26. März 1850 in Massachusetts
geborene und
dort am 22. Mai 1898 gestorbene Sohn eines Baptisten-
Predigers.
Bellamy wäre heute längst vergessen, wäre er nicht der Autor
von
"Looking Backward: 2000 - 1887", der erfolgreichsten Utopie des 19.
Jahrhunderts
und vielleicht der meistgelesenen Utopie überhaupt. Der
Roman
erschien in Amerika 1887 und 1890 in Deutschland im Verlag von
J.H. W.
Dietz, Stuttgart. Übersetzt wurde er von Clara Zetkin. Hier nun
ein Auszug
aus der Reclam-Ausgabe von 1983:
"Der
Leser fragt, wie ich denn leben konnte, ohne der Welt irgendeinen
Dienst zu
leisten? Die Antwort ist, dass mein Urgroßvater eine Summe
Geldes
aufgespeichert hatte, von welcher seine Nachkommen stets gelebt
hatten. Man
wird natürlich schließen, dass diese Summe sehr groß gewesen
sein müsse,
um nicht durch den Unterhalt dreier nichtstuender
Generationen
erschöpft worden zu sein. Dies jedoch war nicht der Fall.
Die Summe
war anfänglich groß gewesen. Sie war tatsächlich viel größer
jetzt,
nachdem sie drei Geschlechter in Trägheit erhalten hatte, als sie
zuerst
gewesen war. Dieses Geheimnis eines Gebrauches ohne Verzehrung,
einer Wärme
ohne Verbrennung, erscheint fast wie Zauberei; aber es war
nichts
weiter als eine schlaue Anwendung der Kunst, welche
glücklicherweise
jetzt verlorengegangen ist von unseren Vorfahren aber
zu großer
Vollkommenheit gebracht worden war: der Kunst, die Last des
eigenen
Unterhalts auf die Schultern anderer zu wälzen. Wer dies
erreicht
hatte - und es war das Ziel, nach dem alle strebten - , der
lebte, so
sagte man, von den Zinsen seines Kapitals. Es würde uns zu
sehr
aufhalten, hier zu erklären, wie die alte Gesellschaftsordnung dies
möglich machte;
ich will nur bemerken, dass die Zinsen eines Kapitals
eine Art
beständiger Steuer waren, welche die Geld besitzenden Personen
von der
Produktion der gewerbtätigen Arbeiter erhoben. Es muss nicht
vorausgesetzt
werden, dass eine Einrichtung, die so unnatürlich und
absurd nach
unseren modernen Anschauungen ist, niemals von unseren
Voreltern
kritisiert worden sei; im Gegenteil, es war seit den ältesten
Zeiten das
Ziel von Gesetzgebern und Propheten gewesen, den Zins
abzuschaffen
oder ihn wenigstens zu dem möglichst geringen Fuße
herunterzubringen.
Alle diese Bestrebungen waren jedoch ohne Erfolg
gebleiben,
wie sie es natürlicherweise sein mußten, solange die alte
soziale
Organisation herrschte. Zu der Zeit, über welche ich schreibe,
am Ende des
neunzehnten Jahrhunderts, hatten die Regierungen meistens
den Versuch
aufgegeben, diesen Gegenstand überhaupt zu regeln." Daran
hat sich bis
heute wenig geändert. Auch im Jahre 2004 dominiert der
Mechanismus,
den Bellamy vor über 100 Jahren als gesellschaftzerstörend
entlarvte.
Der Berliner Ökonom Prof. Elmar Altvater schrieb kürzlich:
"Die
realen Zinsen und die daran gekoppelten Renditen sind wesentlich
höher als
die 0,8 Prozent des realen Wachstums. Jeder Zinstermin bringt
den Geldvermögensbesitzern
einen Einkommensschub, der über die Zuwächse
der Löhne
und Gehälter (und der daran gebundenen Renten) rasant hinaus
geht.
Gleichzeitig gelten die Vermögenseinkünfte als tabu. ... Wie aber
soll die
Staatsverschuldung in Grenzen gehalten werden, wenn man nicht
zugleich die
andere Seite der Bilanz, die privaten Vermögen nämlich,
begrenzt?"
Hier gibt es also einiges zu tun. Zunächst in Form von
Diskussionen
in der breiten Öffentlichkeit - immerhin ist Geld eine
Gemeinschaftseinrichtung
und ein gestaltbares Kulturgut - , dann ganz
praktisch in
der Umsetzungsphase der Diskussionsergebnisse. Nicht die
Abschaffung
des Zinses, wie von den Religionen vorgeschlagen, kann
allerdings
die Lösung (4) sein. Erst recht nicht die für eine
arbeitsteilige
(Welt-)Wirtschaftschaft unsinnige Abschaffung des Geldes,
durch die
Bellamy in seinem Roman der Geldproblematik zu entkommen
versucht.
Konsens
könnte vielmehr sein: wir brauchen kein Geld, das nur wenigen
nützt und
über die Mehrheit herrscht, sondern ein Geld, das allen dient
und nicht
herrscht, Leistungsgerechtigkeit jedoch ermöglicht. Ein Geld,
das auch bei
sehr niedrigen Zinssätzen oder gar bei einem zeitweiligen
Zinssatz von
nahe null noch umläuft und somit seine Vermittlerfunktion
im Zirkulationsnetzwerk der Volkswirtschaft
erfüllt. Es lohnt sich mehr
denn je,
sich auch mit Rudolf Steiners Ausführungen zum Geld zu
beschäftigen.
Gelingt es, ein gerechtes, dienendes
Geldwesen zu
schaffen, wird Wohlstand für alle langfristig weltweit
möglich.
Ansonsten wird der Mittelstand langsam abschmelzen; auch in den
Industrieländern
wird es dann eine verarmte Masse und daneben einige
wenige,
Superreiche geben.
Die Reichen
reicher, die Armen zahlreicher: das kann nicht unsere
Zukunftsoption
sein.
1) Roland
Geitmann: Bibel, Kirchen, Zinswirtschaft. Zeitschrift für
Sozialökonomie,
Heft 80, S. 17-24. Bezug: Gauke GmbH -Verlag für
Sozialökonomie,
Postfach 1320, D-24319 Lütjenburg.
2) Edward
Bellamy: Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf 1887. Stuttgart
1983, S. 6f.
3) Elmar
Altvater: Keine Seele im Leib. Freitag, Die
Ost-West-Wochenzeitung.
Nr. 34, 2003. Internet:
www.freitag.de/2003/34/03340101.php
(4)
Erklärung siehe Anm. 1
Literatur:
Helmut Creutz: Das Geldsyndrom. München 2001. Margrit
Kennedy:
Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel, das jedem
dient.
München 1994. Volltexte der beiden Bücher im Internet unter
Stefan Leber
(Hrsg): Wesen und Funktion des Geldes. Zahlen, Leihen und
Schenken im
volkswirtschaftlichen Prozess. Stuttgart, 1989 (vergriffen)
Siehe auch www.inwo.de bzw. www.geldreform.de
Informationsmaterial
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