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Thomas Betz: Globalisierung des Geldes Vortrag im Rahmen der 26. Mündener Gespräche der "Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft" am 30. Oktober 1999 in Hann.-Münden 1. Ausgangspunkt: Die Ist-Situation der Weltwirtschaft Im September 1999 hat sich das Wall Street Journal darüber entsetzt, daß die französische Regierung die Belegschaft des Reifenherstellers Michelin zum Streik aufgerufen hat; und das bloß deshalb, weil Michelin in einem Atemzug für das laufende Jahr eine weitere Gewinnsteigerung von 17% und weitere Entlassungen von 7.500 Arbeitern angekündigt hat. Die französische Regierung, so Premierminister Jospin, könne nichts mehr gegen die Marktkräfte tun und wörtlich: "Wir können die Wirtschaft weder durch Gesetze noch durch den Staat noch durch die Verwaltung lenken!" Noch vor wenigen Jahren wurde im Gemeinschaftskundeunterricht am Gymnasien gelehrt, daß die Politik in der sozialen Marktwirtschaft den Rahmen setzt, innerhalb dessen sich der Markt entfalten kann. Was wird den heutigen Schülern angesichts einer derartigen Geste politischer Hilflosigkeit vermittelt? Offenbar haben sich die Verhältnisse mittlerweile umgekehrt: Statt eines "Primats der Politik" setzt der sog. Markt die Rahmenbedingungen für die sog. Politik. In der allseits bewunderten größten und stärksten Volkswirtschaft der Erde, der US-amerikanischen, ist heute der Durchschnittslohn niedriger als 1989. Zwei Drittel der Amerikaner verdienen heute real weniger als ihre Eltern. Der führende Arbeitsmarktökonom Richard Freeman spricht von "Apartheid-Ökonomie" und davon, daß der gesamte wirtschaftliche Erfolg der sog. "Reagonomics" ausschließlich jenen 5% der Gesellschaft zugute gekommen ist, die ohnehin schon auf der Sonnenseite leben. Alle anderen hätten dabei verloren - je ärmer, desto mehr. Wie ist das möglich? Währenddessen wird in der exportstärksten Volkswirtschaft der Welt - nämlich der deutschen - darüber gejammert, daß Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sei. Hierzulande wurde die soziale Ungleichheit per progressiver Besteuerung ehedem in Grenzen gehalten. Beim Antritt von Helmut Kohl als Bundeskanzler im Jahre 1983 trugen Unternehmen und Selbständige noch 13,1% der gesamten Steuerlast. 13 Jahre später hatte sich dieser Anteil um mehr als die Hälfte auf 5,7% vermindert. Schritt für Schritt wurde den Forderungen aus Industrie und Banken nach einem Umbau des Steuersystems nachgegeben und mehrfach wurde der Satz für die Körperschaftssteuer der Unternehmen gesenkt. Auch der Spitzensatz der Einkommensteuer wurde herabgesetzt, aber die Zahl der Abschreibungsvergünstigungen für Selbständige nahm zu. Alle zusätzlichen Belastungen aus der deutschen Einheit wurden steuerlicherseits (also abgesehen von der Finanzierung über den Kapitalmarkt) ausschließlich über die Massensteuern, vor allem die direkte Lohn- und die indirekte Mehrwertsteuer, aufgebracht, was beides (in der Fachsprache der Finanzwissenschaftler) regressiv Nach der deutschen Einheit stiegen die Aktienkurse Jahr für Jahr. Die Gewinne wirkt, also zuungunsten der niedrigen Einkommensschichten und zugunsten der höheren. Nach der Einheit stiegen die Akteinkurse Jahr für Jahr. Die Gewinne der Unternehmen sind explodiert: Allein im Jahr 1998 sind die Gewinne deutscher Unternehmen im Durchschnitt um 30,5% gestiegen. Große Vermögen werden jährlich vererbt. Die Reallöhne der Arbeitnehmer hingegen stagnieren oder sinken. "Leistung muß sich wieder lohnen!" So lautete das Motto, unter dem die konservativ-liberale Koalition einst angetreten ist. Hinterlassen hat sie allerdings eine Situation, in der sich Leistung, das heißt Arbeit, immer weniger lohnt, leistungsloses Einkommen aus Geldbesitz dagegen immer mehr. Aber: Ein halbes Jahr nach dem Antritt der neuen Bundesregierung erklären die deutschen Sozialdemokraten im sog. Schröder-Blair-Papier den sog. "dritten Weg" zu ihrer Zukunftsaufgabe, der sich auf folgende 4 Essentials reduzieren läßt: - weitere Liberalisierung bzw. Deregulierung - weitere Steuersenkung für Unternehmen - Einrichtung eines Niedriglohnsektors - weiterer Abbau der Sozialsysteme Kann es da noch wundern, wenn sich immer mehr Menschen die Auffassung eines Berliner Theaterregisseurs und Gründers einer politischen Partei "Chance 2000" namens Christoph Schlingensief zu eigen machen, der die Tragödie auf die etwas sehr griffige Formel gebracht hat: "Was man wählt, das ist egal: Es regiert das Kapital!" Und kann es da noch wundern, wenn diese Menschen diese Auffassung auch in ihrem Wahlverhalten bzw. besser Nichtwahl-Verhalten zum Ausdruck bringen? (erinnert sei hier an die "Rekord"-Wahlbeteiligung bei der letzten Baden-Württembergischen Kommunalwahl am Sonntag, 24. Okt. 1999: die niedrigste aller Zeiten; in Mannheim lag sie sogar bei nur 38%. In den USA liegt die Wahlbeteiligung der Kongreßwahlen seit Jahren bei nur rund 40%.) Aber warum ist es so, wie es ist? Globalisierung ist zuallererst eine Globalisierung des Geldes, d.h. des Kapitals, denn die Mobilisierungskosten sind hier vergleichsweise gering. Dank gewaltiger Fortschritte in der Informationstechnologie hat sich in den letzten 30 Jahren die Geschwindigkeit, mit der immer mehr Kapital grenzüberschreitend transferiert werden kann, sehr stark erhöht. Dieses Kapital fließt bevorzugt dorthin, wo echte (oder auch nur vermeintliche) Renditechancen am höchsten und Kapitalverkehrskontrollen am geringsten ausgeprägt sind. Dadurch entsteht ein Angleichungsprozeß nationalstaatlicher Kapitalverkehrskontrollen; und zwar nach unten. Nationalstaaten haben also tendentiell immer weniger Möglichkeiten, auf Kapital zuzugreifen, das über ihr Territorium transferiert wird. Versuchen sie es dennoch, sinkt die Attraktivität des Kapitalstandortes und das Kapital fließt zu anderen, weniger regulierten Standorten. Dieser Prozeß wurde in den 80-er Jahren auch noch durch eine von weltpolitischen Entscheidungen induzierte Liberalisierung der weltweiten Kapitalmärkte verstärkt, welche wiederum auf eine gewisse ideologische Lufthoheit von Neoklassik, Monetarismus und Neoliberalismus zurückzuführen sind. Entsprechend dieser Lehren hat eine sog. "optimale Allokation der Ressourcen" - zu Deutsch: eine Zuführung von Ressourcen an die effektivste Verwendung - eine maximale Freiheit der Märkte, und somit eben auch der Kapitalmärkte, zur Voraussetzung. Die Konkurrenz der Volkswirtschaften um Kapital führt aber auch dazu, daß dessen Renditechancen überall möglichst hoch sein müssen. Um als Standort attraktiv zu werden oder zu bleiben, sind die Staaten zunehmend gezwungen, Vorleistungen zu erbringen, die die Renditechancen erhöhen, sei es direkt durch aufwendige Infrastrukturmaßnahmen oder indirekt durch sinkende Steuern auf Unternehmensgewinne. Auch hier ist international ein Angleichungsprozeß der Wirtschaftspolitiken festzustellen. Dazu gesellen sich die immer intensivere Steuerflucht (der IWF schätzt solche Fluchtgelder als aktuelle Bestandsgröße international auf ca. 8 Bio. US-$) sowie ein Effekt namens "tax degradation", der umschreibt, daß die multinationalen Konzerne, die ja zwei Drittel des Welthandels bestreiten, immer mehr Möglichkeiten nutzen, Gewinne und Kosten "steueroptimal" so auf dem Globus zu verteilen, daß möglichst wenig und im Idealfall überhaupt keine Steuern mehr gezahlt werden. Die hohe Mobilität des Kapitals beeinträchtigt nun die soziale Leistungsfähigkeit selbst der wirtschaftlich erfolgreichsten Nationalstaaten. Denn die Staaten sind nunmehr gezwungen, die weniger mobilen Produktionsfaktoren stärker zu besteuern, insbesondere die Arbeit. Folgerichtig hat der Anteil der Kapitalbesteuerung an den Steuereinnahmen der EU-Staaten zwischen 1980 und 1994 um ca. 30% abgenommen und im gleichen Zeitraum der Steueranteil von Arbeit um ca. 14% zugenommen - mit entsprechenden Konsequenzen einerseits für die Arbeitslosigkeit und andererseits für die Realeinkommen. Damit nun Niedriglohnempfänger nicht schlechter gestellt werden als Sozialhilfeempfänger, wird immer mehr auch im sozialpolitischen Bereich und auch bei Programmen, die der sozialen Grundsicherung dienen, gekürzt. Kein Staat kann im Alleingang aus diesen Zugzwängen aussteigen. Wo die Marktkräfte gegenüber der Politik extrem dominieren, wie in den USA, setzen sich die neuen Verteilungsrelationen gewissermaßen naturwüchsig durch. Die Folge sind steigende Kapitaleinkommen, stagnierende oder rückläufige Arbeitseinkommen, zunehmende Lohndifferenzierung und sich ausbreitende Armut. (Man spricht in den USA bereits von den sog. "working poor": Das sind die, die arbeiten und trotzdem arm sind.) Wo aber, wie in den europäischen Sozialstaaten, Politik und Gewerkschaften noch stärker an Verteilungspolitik orientiert sind, stagniert die Beschäftigung und steigt die Arbeitslosigkeit insbesondere bei den gering qualifizierten Arbeitskräften mit der zusätzlichen Folge, daß die hohen Kosten der Massenarbeitslosigkeit auch die Finanzierungsbasis der sozialen Sicherungssysteme bedrohen. Politik und Gewerkschaften stehen hierzulande vor dem Dilemma, entweder den weiteren Anstieg der Massenarbeitslosigkeit zu begünstigen oder aber durch aktives politisches Handeln die verteilungspolitischen Konsequenzen der neuen Lage selbst durchzusetzen. Das beste Beispiel hierfür ist das Schröder-Blair-Papier und der bislang dreisteste (und keinesfalls letzte!) Versuch einer nunmehr auch formalen Infragestellung nationalstaatlicher Souveränität ist das MAI. Das sozialpolitische Ziel "allgemeine Wohlfahrt" wird also durch die Beschleunigung wirtschaftlicher Transaktionen in Frage gestellt und aus der Unterwerfung unter das Regime der Finanzmärkte wird ein Anschlag auf die Demokratie: Zwar hat weiterhin jeder Bürger eine Stimme und die Politiker müssen noch immer den Interessenausgleich zwischen allen gesellschaftlichen Schichten suchen, um Mehrheiten zu bekommen. Aber nach der Wahl entscheidet das monetäre Stimmrecht, demzufolge bei Renditeerwartungen von 15% für Lohnerhöhungen kein Platz ist. Nicht nur, aber auch durch "Bimbes" und die immer augenscheinlichere Käuflichkeit politischer "Entscheidungen" verliert das Regierungssystem Demokratie in seiner bisherigen Form an Glaubwürdigkeit und .... Legitimität: Demokratische Entscheidungen der Politik werden entweder durch die Märkte ersetzt oder es entsteht der Ruf nach weniger Staat, der aber eigentlich meint: weniger Demokratie. In Deutschland arbeiten noch immer 27,7 Millionen Menschen in Vollzeitarbeitsverhältnissen. Doch die Stammbelegschaften schrumpfen: 3,9 Millionen Arbeitnehmer haben bereits einen befristeten Vertrag. Auch die Zeitarbeit boomt. 1998 waren 575.000 Menschen als Leiharbeiter im Einsatz. Fünf Jahre zuvor waren es noch 266.000. Dazu kommen die Scheinselbständigen. Wenn sie ihre Arbeit verlieren, erhalten sie weder Arbeitslosengeld noch eine gesetzliche Rente. Einen Kündigungsschutz gibt es ebenfalls nicht. Aber auch die Art und Weise, wie Arbeit organisiert ist, hat mit Freiheit und Demokratie zu tun. Der zeitlich befristet Beschäftigte muß bei allem, was er tut, daran denken, was diejenigen dazu sagen, die über seine Weiterbeschäftigung entscheiden. Zensurmechanismen sind auf den ersten Blick nicht erkennbar; aber es gibt Untersuchungen, die beispielsweise zeigen, daß ungesicherte Arbeitsverhältnisse im Medienbereich dazu führen, daß die Mitarbeiter die Zensurschere schon im Kopf ansetzen. Schließlich wollen sie in erster Linie ihren Arbeitsplatz behalten. Ein ähnlicher Effekt ist im Bildungsbereich zu beobachten. Nachwuchskräfte werden zu unsicheren Bedingungen eingestellt und dadurch Konformismus beschleunigt. Der Abbau der sozialen Sicherheit und des Kündigungsschutzes erzeugt bei den Menschen Angst, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Flexibilität und Mobilität führen dazu, daß Freundschaften flüchtig bleiben und die Eingebundenheit der Einzelnen in die örtliche Gemeinschaft immer brüchiger wird. Auch auf die Familien wirken sich Flexibilität und Mobilität aus. Während die Familie Bindung fordert, fordern Flexibilität und Mobilität, in Bewegung zu bleiben und entweder keine Bindungen einzugehen oder aber Bindungen zu lockern bzw. weniger ernst zu nehmen, weniger "eng zu sehen". Es ist nicht erst seit den jüngsten Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien bekannt, daß eine entsolidarisierte Gesellschaft für autoritärere Formen von Gemeinschaft anfälliger wird. Bereits Alexis de Tocqueville - wohlgemerkt selbst ein Liberaler - wußte: "Der Despotismus kann sich seines Fortbestandes nie sicherer sein, als wenn es ihm gelingt, die Menschen voneinander abzusondern." Ein sozialstaatlich ungebremster Wirtschaftsliberalismus untergräbt das gesellschaftliche Fundament individueller Freiheit. Die These, ein völlig deregulierter und "freier" Kapitalmarkt garantiere die "optimale Allokation der Ressourcen", ist kein neoklassisches Märchen. Für die betroffenen Menschen der brachliegenden Ressource Arbeitskraft in den von der Asien-Krise geschüttelten Ländern ist sie ein neoklassischer Alptraum: Über Nacht hat diese Wirtschaftskrise die Erfolge einer Generation zunichte gemacht: Breite Bevölkerungsschichten bis in die städtische Mittelschicht hinein wurden betroffen und in absolute Armut zurückgeworfen. Allein in Indonesien ist die Zahl der unter Hunger bzw. Mangelernährung leidenden Menschen von 20 auf 100 Mio. gestiegen. Eine neu entstandene gesellschaftliche Mittelschicht, die auf 20-40 Mio. geschätzt wurde, ist komplett weggebrochen. Arbeitslosigkeit, Verzweiflung, Hunger und Gewalt führten zu politischen Unruhen und massiver Staatsgewalt. Wachstumseinbrüche und Auftragsrückgänge hatten Konkurse, Schließungen und Massenentlassungen zur Folge und resultierten in Rückgängen des Bruttosozialprodukts um bis zu 20%. George Soros, der erfolgreichste Spekulant der letzten 30 Jahre und einer, der die Weltfinanzmärkte kennt wie kein anderer, selbst studierter Ökonom und lange Jahre gläubiger Anhänger der herrschenden neoklassischen Lehre, kommt in seinem Buch "Die Krise des globalen Kapitalismus" zu dem Schluß, daß "der Stand der Dinge pathologisch und unhaltbar ist. Die Finanzmärkte sind ihrem Wesen nach instabil; und bestimmte gesellschaftliche Bedürfnisse lassen sich nicht befriedigen, indem man den Marktkräften freies Spiel gewährt." Er wirft der Neoklassik vor, eine grundfalsche Vorstellung davon zu haben, wie Finanzmärkte funktionieren, da die Gleichgewichtstheorie in der Ökonomie einer völlig verfehlten Analogie zur Physik entspringe. Die Preisbildung auf den Finanzmärkten folgt nicht den Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage, sondern richtet sich nach Zukunftserwartungen und psychologischen Faktoren. Finanzmärkte spiegeln demzufolge die Realität bzw. die sog. Realsphäre der Güter und Dienstleistungen nicht etwa passiv wieder, sondern sie erschaffen aktiv die Wirklichkeit, die sie ihrerseits reflektieren. Dadurch entsteht das Phänomen sich selbst verstärkender und eskalierender Prozesse, in denen die Erwartungen über die Zukunft wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung der Zukunft haben, die ihrerseits wiederum die künftigen Erwartungen prägt. Nicht Wissen, sondern Vorurteile liegen den Handlungen der Marktteilnehmer zugrunde. Die sog. reflexive Rückkopplung kann die Vorurteile so verstärken, daß die Märkte sich immer weiter vom Gleichgewichtszustand entfernen, ohne eine Tendenz zur Rückkehr zum Ausgangspunkt zu zeigen. Dabei spielt es längst keine Rolle mehr, daß sich die Einschätzungen der Marktteilnehmer immer weiter von den Fundamentaldaten entfernen. Selbst der Umstand, daß den Marktteilnehmern ihre eigenen "Fehleinschätzungen" zunehmend bewußt werden, kann daran nichts ändern. Ein vergleichsweise nichtiger Anlaß sorgt nun für ein Umspringen der Boom- in eine Bust-Phase - die Seifenblase platzt - und der Markt bewegt sich ab sofort in der Gegenrichtung, typischerweise viel schneller als in der Boom-Phase, schießt weit über den Gleichgewichtspunkt hinaus und stürzt in’s Bodenlose. Soros beobachtet in diesem Zusammenhang ein häufig sich wiederholendes Muster, demzufolge das Kapital sich zunächst in den Zentren des globalen Geldsystems sammelt und dann in die Peripherie - also in die dritte Welt - gepumpt wird, um nach Platzen der Seifenblase in die Zentren zurückzufluten. Er vergleicht solchermaßen das internationale Finanzsystem in seinen Auswirkungen auf ganze Volkswirtschaften mit einer Abrißbirne, die ein Gebäude nach dem anderen in Trümmer legt. Genau das ist in Asien passiert: Angelockt durch hohe Wachstumsraten, Zinsen, Gewinnerwartungen und an den US-$ geknüpfte Landeswährungen stiegen im Zeitraum von 1990 bis 1996 die privaten Auslandsinvestitionen in Ostasien um das 4,5-fache an; dies waren dann etwa 43% der gesamten Auslandsinvestitionen in der Welt. In diese Zeit fiel auch die rasante Entwicklung junger asiatischer Finanz- und Aktienbörsen. Die Zusammensetzung der ausländischen Kapitalzuflüsse verschob sich allerdings immer mehr zugunsten kurzfristiger Kredite und leicht flüchtiger, wenig investiver und hochspekulativer Finanzierungsformen. Die inländischen Schuldner waren Banken, Finanzierungsgesellschaften und Unternehmen. Die ausländischen Gläubiger waren ebenfalls aus der Privatwirtschaft, vornehmlich Renten- und Investmentfonds, Versicherungen und Banken aus Europa und Japan. Die absolute Schuldenhöhe und die extrem kurzfristige Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den Devisenreserven der Zentralbanken machten eine Zahlungsunfähigkeitskrise immer wahrscheinlicher. Aber der IWF hatte in seinem Jahresbericht 1996 noch eine gute Prognose für das Jahr 1997 gestellt. Im Frühjahr 1997 setzte die erste Phase der Kapitalflucht mit dem Verkauf von asiatischen Währungen und Aktien ein; insbesondere der an den US-Dollar gebundene thailändische Baht stand unter massiver Abwertungsspekulation (hauptsächlich durch internationale sog. Hedge-Fonds). Am 2.7.97 mußte die thailändische Regierung die Bindung aufgeben. Innerhalb weniger Stunden verlor der Baht 20% seines Werts. Plötzlich schätzten die internationalen Gläubiger die Risiken in allen Ländern Ostasiens ohne Unterschied als sehr hoch ein und versuchten panikartig, ihr vornehmlich in Aktien und Wertpapieren angelegtes Kapital mit möglichst geringen Verlusten aus der Region zurückzuholen. So pflanzten sich Kapitalflucht und Abwertungsspekulation in ganz Ostasien fort. Hunderte von Milliarden US-Dollar wurden innerhalb kürzester Zeit von internationalen Gläubigern, aber auch nationalen Vermögensbesitzern abgezogen. Der Schuldendienst von Banken und Unternehmen für aufgenommene Fremdwährungskredite wurde immer schwieriger; mit der Folge von dramatischen Auftragsrückgängen, Zahlungsunfähigkeiten, Bankenzusammenbrüchen, Unternehmenskonkursen, drastischen Abwertungen der Landeswährungen und Kursstürzen an den Wertpapiermärkten. Die Asienkrise breitete sich wie ein Flächenbrand in der Region aus und führte kettenreaktionsartig zum Einbruch der wichtigsten Volkswirtschaften in der gesamten ostasiatischen Region; v.a. in Thailand, Süd-Korea, Indonesien und Malaysia und auch dazu, daß sich internationale Investoren nunmehr für ein Butterbrot und ein Ei dort einkaufen konnten. In weniger als einem Jahr wurde Ostasien von der Region mit dem größten wirtschaftlichen Wachstum zur Region mit dem höchsten Wachstumsrückgang. Zur Vermeidung des Staatsbankrotts und des totalen Kollaps sahen sich die Regierungen zuletzt gezwungen, Notkredite des IWF zu beantragen. Innerhalb kürzester Zeit wurden fast 100 Mrd. $ in die Region transferiert. Dadurch konnte jedoch nicht verhindert werden, daß die lokalen Börsen und Landeswährungen noch stärker einbrachen als zuvor. Zu einem wesentlichen Teil ist dies auf die IWF-Maßnahmen selbst zurückzuführen; bzw. auf die mit der Kreditvergabe verbundenen Auflagen, die Staatsausgaben zu kürzen, die Kreditzinsen stark anzuheben und wichtige Infrastrukturprojekte auszusetzen, wodurch die Volkswirtschaften weiter in die Rezession getrieben wurden. 2. Stufen eines möglichen Therapieplanes
2.1. Eine Reform des IWF
Wie bereits erwähnt, hatte der IWF die Lage 1996 völlig falsch eingeschätzt. Er gab eine positive Wachstumsprognose ab, sah weder die Gefahr einer Landeskrise noch eines regionalen Flächenbrandes. Der IWF hat die hauptsächlich betroffenen Schwellenländer zu genau jenen Liberalisierungsmaßnahmen gedrängt, die wesentlich mitverantwortlich für die Asienkrise waren. Damit hat er nicht nur Unheil angerichtet, sondern auch eindeutig sein Mandat überschritten. Aus der Satzung des IWF läßt sich nur die ursprüngliche Aufgabe ableiten, Ländern mit kurzfristigen Zahlungsproblemen zu helfen, nicht aber, diese Länder in die globalen Finanzmärkte einzubinden, und auch nicht, Strukturreformen zu erzwingen.
Die umfangreichen IWF-Kredite wurden für Schuldenzahlungen an internationale Gläubiger benutzt – was diese damit vor Verlusten und die betroffenen Länder vor Zahlungsunfähigkeit bewahrt. Praktisch bedeutet das, daß der IWF die ihm zur Verfügung gestellten öffentlichen Gelder dazu verwendet bzw. mißbraucht, spekulative Kapitalströme abzusichern, den ausländischen Gläubigerbanken und Investmentfonds das Risiko ihrer Kreditvergabe und ihrer hochspekulativen Geldgeschäfte abzunehmen und somit in Zukunft einer fortgesetzten Spekulation Vorschub zu leisten. Auch hier gilt offenbar: Gewinne werden privatisiert, Verluste hingegen sozialisiert.
Die mächtigste Organisation des 20. Jahrhunderts entscheidet über Wohl und Wehe eines Großteils der Menschheit auf Jahre und Generationen hinaus. Dabei unterliegt sie in ihrem Handeln keinerlei demokratischer Kontrolle. Außer einigen Pressemitteilungen werden der Öffentlichkeit grundsätzlich keine entscheidungsrelevanten Dokumente zur Kenntnis gebracht. Die internationale Gemeinschaft und die Weltöffentlichkeit warten geduldig ab, was der IWF den betroffenen Ländern verordnet und akzeptieren jede Entscheidung völlig unabhängig davon, ob das Schicksal von Millionen von Menschen betroffen ist. Mitarbeiter des IWF müssen über ihre Entscheidungen grundsätzlich keine Rechenschaft ablegen. 1000 Ökonomen in der 19. Straße in Washington, D.C. diktieren die Lebensbedingungen von 1,4 Mrd. Menschen in 75 Entwicklungsländern.
Die verordneten Maßnahmen umfassen neben Importliberalisierung, Privatisierung, Zulassung von Auslandskapital in bis dahin Einheimischen vorbehaltenen Industriezweigen und Zulassung von ausländischen Banken im Finanzsektor regelmäßig die bereits erwähnte oft drastische Anhebung der Inlandszinsen sowie eine Kürzung der Staats- und hier insbesondere der Sozialausgaben. In Konsequenz dessen geben z.B. die afrikanischen HIPC-Länder (das sind die "High Indepted Poor Countries", also die hochverschuldeten armen Länder) im Schnitt nur 3-4 $ pro Kopf und Jahr für die Gesundheit, aber 8-9 $ für den Schuldendienst aus. In den HIPC-Ländern sind allein im Jahre 1999 4 Millionen Kinder unter 5 Jahren an vermeidbaren Krankheiten gestorben, weil sie keinen Zugang zu sauberem Wasser hatten oder weil ein Mindestmaß an Hygiene nicht gewärleistet werden konnte. Aber es gilt bereits als Fortschritt, daß die 1996 von Weltbank und IWF in’s Leben gerufene HIPC-Initiative den Anteil der für den Schuldendienst (also Zinsen und Tilgung) benötigten Exporteinkünfte auf 25% nach oben begrenzen will.
Zumindest aus der Perspektive der Betroffenen agiert der IWF als Gerichtsvollzieher der Gläubiger. Mit seinen Struktur-Anpassungs-Programmen passt er v.a. die Lebensbedingungen der unterernährten und unterversorgten Menschen in der 3. Welt an die Dividendenforderungen der Bankaktionäre an.
Eine Reform des IWF sollte zumindest folgende Änderungen umfassen:
2.1.1.: Mehr demokratische Kontrolle: Eine Kontrolle des IWF fand bisher allenfalls über die Regierungen und die Finanzministerien der G7-Länder und hier insbesondere durch die USA statt, weshalb dem IWF auch zum Vorwurf gemacht wird, insbesondere ein Instrument zur Durchsetzung von G7-Interessen zu sein.
2.1.2.: Transparenz auf allen Handlungsebenen einschließlich Verhandlungen mit Regierungen. Der IWF verwaltet globale Steuergelder und ist deshalb der Weltöffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig.
2.1.3.: Vorgabe konkreter Handlungsgrundsätze, klare Definitionen und Eingrenzung der Kompetenzen.
2.1.4.: Schaffung einer regionalen Organisationsstruktur des IWF, die regionalspezifischen Mentalitäten, Wirtschaftsstrukturen und Regierungsformen besser gerecht werden und deshalb kompetenter, flexibler und unmittelbarer auf Krisentendenzen reagieren kann.
2.2. Einführung der Tobin-Steuer
Bereits in den 70-er Jahren kam der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger James Tobin zu dem Schluß, daß ein deregulierter Kapitalfluß mit seinen abrupten Richtungsänderungen und chaotischen Kursaussschlägen der sog. Realsphäre der Wirtschaft schadet. Er empfahl deshalb, auf alle Devisentransaktionen einen Steuersatz von einem Prozent zu erheben. Der Satz erscheint vielleicht zunächst niedrig, hätte aber durchschlagende Wirkung: Denn damit wäre die kurzfristige Devisenspekulation von einem Moment zum anderen erledigt, da in diesem Bereich nur winzige Arbitrage-Margen "erwirtschaftet" werden. Hedge-Fonds und anderweitiger Mißbrauch von Finanzderivaten müßten dann gar nicht eigens verboten werden. Aber auch das Geschäft mit den Zinsdifferenzen zwischen den verschiedenen Märkten und Ländern würde sich nur noch in Ausnahmefällen lohnen, weil ja bei einer derartigen Operation mindestens 2% an den Fiskus abzuführen wären. (Berücksichtigt man, daß in diesem Bereich hauptsächlich auf extrem kurzfristige Papiere mit einer Laufzeit von 3 Monaten spekuliert wird, so könnten sich die Nationalstaaten Abweichungen vom "herrschenden" Zinsniveau bis zu 8% "leisten", ohne sich in (Spekulations-)"Gefahr" zu begeben.) Insgesamt würden sich die spekulativen Umsätze drastisch vermindern und die Kursentwicklungen würden sich eher an realen und fundamentalen volkswirtschaftlichen Daten orientieren.
Die Notenbanken könnten wieder unabhängig voneinander das Zinsniveau auf nationalen Märkten steuern, so wie es der jeweiligen Wirtschaftslage ihrer Länder angemessen ist. Auch wenn in den USA die Konjunktur brummt, könnten die in der Rezession gefangenen Europäer ihr Geld deutlich billiger ausleihen als die Fed (was z.B. im Moment nicht so ohne weiteres möglich ist). Notenbankinterventionen gewännen wieder an Gewicht und die Notenbanken hätten bessere Möglichkeiten, Kurse zu stabilisieren. Die Unmenge auf der Suche nach kurzfristiger Rendite vagabundierenden Kapitals würde in klassische Rendite-Projekte zurückgezwungen und dadurch auch eine Absenkung des allgemeinen Zinsniveaus induzieren. Nicht zuletzt ist der mögliche fiskalische Ertrag zu nennen, der bei heutigen und unveränderten Umsätzen weltweit bei rund 4 Billionen US-Dollar jährlich liegen würde; allerdings geht man ja von dann geringeren Devisenumsätzen aus und schätzt entsprechend den fiskalischen Ertrag global auf ca. 1 Billion US-Dollar; immerhin 1.000 Mrd. US-Dollar, mit denen sich so manches Staatsbudgetdefizit ausgleichen ließe.
2.3. De-Deregulierung/Kapitalverkehrskontrollen
Den Nationalstaaten muß die Möglichkeit erhalten bleiben, sowohl hereinströmendes als auch "auswanderndes" Kapital im Einklang mit den Prioritäten der nationalen Wirtschaftspolitik zu regulieren. Bedrohte Staaten sollten sogar politisch dazu ermutigt werden, sich durch Kapitalverkehrskontrollen auf nationaler Ebene gegen kurzfristigen Geldzufluß aus dem Ausland abzuschirmen. Der selektive Einsatz solcher Kontrollen ist nicht nur ein legitimes Instrument, das nicht länger stigmatisiert werden darf. Die jüngsten Erfahrungen Chiles und Malaysias, die Kapitalverkehrskontrollen wiedereingeführt, aber auch Chinas und Indiens, die sie nie abgeschafft und ihre Binnenmärkte nur sehr vorsichtig geöffnet haben, zeigen auch, daß durch Kapitalverkehrskontrollen effektiv dazu beigetragen werden kann, die nationale Ökonomie vor den Ansteckungsgefahren internationaler Finanzkrisen zu schützen. Selbst die Europäische Union hat sich im Vertrag von Maastricht den Rückgriff auf Kapitalverkehrskontrollen vorbehalten.
4. Eine Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den 3 Leitwährungen US-Dollar, DM und japanischem Yen respektive die Schaffung eines Zielzonensystems würde dem internationalen Spekulationskapital eine weitere Geschäftsgrundlage entziehen.
3. Weitgehende Maßnahmen zur Depolarisierung der Weltwirtschaft
Würden diese genannten Reformvorschläge erst einmal realisiert, wäre die Welt zwar eine relativ bessere, aber noch keine ganz gute. Warum?
Der Anstieg des Geldvermögens, d.h. die Ansammlung von Einkommensüberschüssen und Ersparnisbildung über Zinsen und Renditen in den Industrieländern übersteigt die Wachstumsraten der sog. Realsphäre, also der Güter und Dienstleistungen gemessen im sog. Brutto-Inlands-Produkt BIP, bereits seit langem. Man muß nur einmal die täglich neu veröffentlichte sog. Umlaufrendite in Deutschland - d.i. die Durchschnittsrendite öffentlicher Anleihen, die eine Art Mindeststandard für Renditeerwartungen setzt - mit der deutschen Wachstumsrate des BIP vergleichen: So liegt die Umlaufrendite z. Zt. bei 5,18%, das Wachstum des BIP aber bei höchstens 2%. Gemäß OECD-Statistik gilt auch global bereits seit Jahren, daß die realen Zinsen oberhalb der realen Wachstumsrate des BIP und sogar oberhalb der Wachstumsrate der Faktorproduktivität liegen. Die heimischen Vermögens- und Kapitalbesitzer (und auch die der anderen Industrieländer) sehen zu Hause keine ausreichenden Verwertungsmöglichkeiten für ihr Kapital. Zum einen unterbleiben dadurch in den heimischen Ländern gesellschaftlich wichtige Zukunftsinvestitionen in den Bereichen Umwelt, Jugend, Ausbildung, Kultur. Zum anderen aber sucht das ständig schneller anwachsende Anlagekapital nunmehr auf den Weltmärkten nach höchstmöglicher Verwertung, d.h. Kapitalverzinsung: 1980 betrug dieses Anlagekapital etwa 5, 1992 bereits 35 und 2000 80 Billionen US-$. Die langfristigen Wachstumspotentiale in den bevölkerungsreichen Schwellen- und Entwicklungsländern sind aber weit höher als die in den Industrieländern und sorgen deshalb für entsprechende Anlageattraktivität. Weil aber die Renditeerwartungen und entsprechend die Zinssätze hoch sind, zahlen Entwicklungsländer zwangsläufig mehr für Zinsen und Tilgungen an die Banken der Gläubigerländer als sie an Krediten und Entwicklungshilfe von diesen erhalten. Die Nettokapitalströme verlaufen von Süd nach Nord und nicht etwa umgekehrt! Weil aber Geldvermögen und Geldschulden 2 Seiten ein und derselben Medaille sind und sich die Kapitalanhäufung der Gläubiger in den entwickelten Industrieländern vollzieht, die Entwicklungs- und Schwellenländer aber die Schuldner sind, führen entsprechende Krisen auch vorzugsweise dort zu Wirtschaftskatastrophen. Spätestens dann aber, wenn im Zuge einer solchen Katastrophe die dortigen Währungen dramatisch abgewertet wurden und sich die Auslandsschulden dadurch nochmals schlagartig vergrößert haben, wird deutlich, daß unter diesen Umständen eine Kapitalbildung und ein langfristig sicheres Wachstum in der Peripherie gar nicht möglich sind. Kapitalakkumulation und Wohlstandsmehrung in den Armutsländern wird verhindert und fortgesetzte Abhängigkeit von Auslandskapital perpetuiert. Eine Eindämmung des Wachstums des Geldvermögens in den Industrieländern ist daher notwendige Voraussetzung dafür, eine Kapitalbildung in den Entwicklungsländern überhaupt erst zu ermöglichen. Um den dem Geldvermögen innewohnenden Selbstvermehrungsmechanismus abzubremsen, um die wachsende Ungleichverteilung zwischen Schuldnern und Geldvermögensbesitzern zu stoppen und die Explosivwirkung von Armut und Elend auf der einen, maßlosem Reichtum auf der anderen Seite zu entschärfen, müssen die realen Zinssätze global gegen Null gedrängt werden.
Wie sollte so etwas möglich sein? Und wer sollte für die konkrete Ausgestaltung einer solcherart neuen globalen Finanzordnung verantwortlich zeichnen?
Keynes’ Bancor-Plan
Seit 55 Jahren (!) liegt ein entsprechender Plan bereits in der Schublade. Er wurde vom bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts auf der bedeutendsten Konferenz des 20. Jahrhunderts bereits vorgestellt. Von John Maynard Keynes in Bretton Woods im Jahre 1944, wo die Sieger des 2. Weltkrieges über die Weltwirtschaftsordnung der Nachkriegszeit berieten und befanden.
Der sog. Keynes-Plan oder Bancor-Plan sah die Gründung einer Union für den internationalen Zahlungsverkehr, der sog. "International Clearing Union", vor, die auf einem internationalen, gewissermaßen virtuellen Bankgeld, dem sog. Bancor, beruht. Der Bancor sollte in einem festen (aber nicht für alle Zeit unveränderlichen) Austauschverhältnis zu den teilnehmenden Währungen stehen, dabei aber selbst nicht in Notengeldform oder anderweitig als Zahlungsmittel für die Wirtschaftssubjekte in Erscheinung treten. Die Zentralbanken der Mitgliedsländer sollten bei der International Clearing Union Konten unterhalten, die es ihnen ermöglichen, ihre Leistungsbilanzen untereinander, definiert in Bancor-Einheiten, auszugleichen. Für Länder mit einer positiven Leistungsbilanz (die also mehr Güter und Dienstleistungen exportieren) würde bei der Clearing Union ein Bancor-Guthaben ausgewiesen werden, für solche mit einer negativen Bilanz ein entsprechendes Soll. (Im ehemaligen innerdeutschen Handel gab es auf bilateraler Ebene einmal etwas ganz Ähnliches: den sog. Swing, eine Art zinsloser Kontokorrent-Kredit für die DDR; die "Währung" war damals die VE (Verrechnungs-Einheit), welche jedoch wertmäßig der DM entsprach.)
Das Ganze würde von Maßnahmen begleitet sein, die einer unbegrenzten Anhäufung von Guthaben sowie von Schulden entgegenwirken: Für jeden Mitgliedstaat wird zunächst die Höhe seiner maximal erlaubten Verschuldung gegenüber der Union festgelegt; die sog. "Quote", welche jedoch in regelmäßigen Abständen überprüft und angepaßt werden kann. Übersteigt nun der jährliche Durchschnitts-Saldo eines Mitgliedsstaates ein Viertel seiner Quote, so soll vom entsprechenden Differenzbetrag eine Gebühr von 1% an den sog. Reserve-Fonds der "Clearing Union" gezahlt werden; und zwar unabhängig davon, ob es sich nun um einen Haben- oder Schuldensaldo handelt. Übersteigt der Saldo die Hälfte der Quote, so erhöht sich die Gebühr auf 2%. Mitgliedsstaaten, die Schulden haben, können aber nunmehr auf Grundlage gegenseitiger Vereinbarungen aus den Guthaben der Mitgliedsstaaten, die über solche verfügen, Anleihen aufnehmen, wodurch beide, die Schuldner wie die Gläubiger, ihre Gebühren an die Clearing Union vermeiden können. Dabei ergibt es sich markt-logisch, daß die Konditionen für diese Anleihen bei Zinssätzen unter 1% bzw. unter 2% liegen werden, da die Schuldner selbstverständlich nicht bereit sein würden, mehr zu bezahlen als sie an Gebühren an die Clearing Union zu entrichten hätten. Auf der anderen Seite sind die Gläubiger ebenfalls froh, keine Gebühren entrichten zu müssen und geben sich im Idealfall mit einem Zinssatz nahe oder sogar gleich Null zufrieden. (Unter den gegebenen Bedingungen ist es sogar vorstellbar, daß sich Gläubiger - zumindest vorübergehend - mit leicht negativen Zinssätzen einverstanden erklären, da sich ihre Position dadurch immer noch günstiger darstellte, als wenn sie Gebühren entrichten würden.)
Bei Überschreiten des Schuldkontos um mehr als ein Viertel der Quote sind die Mitgliedstaaten zunächst nur berechtigt, den Kurs ihrer Währung gegenüber dem Bancor anzupassen. Bei Überschreitung um mehr als die Hälfte kann die Clearing Union eine bestimmte Abwertung der Währung des Mitgliedstaates verlangen sowie der Regierung des Mitgliedstaates "interne Maßnahmen empfehlen, die dessen inländische Wirtschaft beeinflussen und die zweckmäßig erscheinen, um seine internationale Bilanz wieder ins Gleichgewicht zu bringen" . Übersteigt das Schuldenkonto eines Mitgliedslandes schließlich mehr als drei Viertel seiner Quote, so kann die Clearing Union vom Mitgliedstaat noch weiter gehende Maßnahmen verlangen.
Aber auch die Gläubiger(-staaten) sollen zur Rechenschaft gezogen werden können: Übersteigt bei einem Mitgliedstaat das Guthabenkonto die Hälfte seiner Quote, so "soll er mit dem Vorstand (der Clearing Union) besprechen, welche Maßnahmen zweckdienlich sein könnten, um das Gleichgewicht seiner Außenhandelsbilanz wiederherzustellen". Hierzu gehören
a) Maßnahmen zur Steigerung der Inlandsnachfrage,
b) Aufwertung seiner Landeswährung gegenüber dem Bancor oder aber - ergänzend bzw. alternativ - ein Anheben der Geldlöhne,
c) die Reduzierung von Importzöllen und anderen Importhemmnissen,
d) internationale Darlehen für die Entwicklung zurückgebliebener Länder.
Die besondere Fundamentaleigenschaft der ICU ist also die einer Institution, die multilateral "barter trading" (z. dt. Kompensationsgeschäfte) organisiert und auf Basis eines "Geldes" verrechnet, das lediglich bei der Verbuchung gelieferter Leistungen auf der Aktivseite des Lieferanten und auf der Passivseite des Verbrauchers in Erscheinung tritt, auf Geldverkehr im üblichen Sinne also völlig verzichtet. Man könnte sie durchaus mit einem Tausch-Ring der Nationalstaaten vergleichen. In Bank-Termini ausgedrückt, handelt es sich also um eine "Bank", die sich einer nicht konvertiblen Währungseinheit bedient, kein Liquiditätsproblem kennt, immer zahlungsfähig ist, nicht zusammenbrechen und dementsprechend auch auf Reserven verzichten kann. Insofern kann auch darauf verzichtet werden, daß einzelne Mitgliedstaaten Vermögenswerte zur Verfügung stellen, um einen Kapitalstock für einen Fond zu bilden, der Kredite vergibt (wie das bei IWF und Weltbank der Fall ist).
Keynes selbst betonte, daß ein weiterer bedeutender Vorteil des Systems darin besteht, daß dabei nicht mehr Liquidität über Hortungsmechanismen dem Markt entzogen (insbesondere sollte auch die Konvertibilität des Bancor in Gold explizit ausgeschlossen werden) und dadurch deflationärer Druck mit Kontraktionswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft ausgeübt werden kann. Keynes pries bei seinem System auch den multilateralen Charakter des Beziehungsgeflechts von Handelsströmen, denn ein Land wäre immer im Soll oder Haben mit der ICU als Ganzer und müßte nicht etwa warten, bis sein Gläubiger bzw. Schuldner seine Waren nachfragt bzw. ihm welche liefert. Dies war in der Tat zu Zeiten von Bretton Woods weniger selbstverständlich als dies heute der Fall ist: Zum einen war der Anteil des internationalen Handels am Handel insgesamt weit geringer; zum anderen war internationaler Handel oft bilateral gebunden und - soweit multilateraler Natur - häufig/typischerweise Gold-vermittelt.
Wir haben heute einen funktionierenden, wenn auch nicht gleichgewichtigen multilateralen Welthandel ohne Bancor, der auch nicht mehr durch Gold vermittelt ist. Aber an die Stelle des Goldes traten die sog. Leitwährungen, insbesondere der US-Dollar. Das war aber genau, was Keynes verhindern wollte: "Und damit Pfund Sterling und Dollar nicht als Konkurrenz zum Bancor in Zentralbankreserven auftreten können, müßten die Gründerstaaten übereinkommen, daß sie die Reserveguthaben anderer Zentralbanken .... nicht anerkennen werden...." .
Man muß kein Moralist sein, um das heutige System der Leitwährungen für ungerecht zu halten: Ökonomischen Disparitäten wird dadurch nicht etwa entgegengewirkt, sondern sie werden im Gegenteil verstärkt. Dazu einige Zusammenhänge: Die Unternehmen und Banken im Leitwährungsland können in der heimischen Währung kalkulieren, Kosten für Kurssicherungsgeschäfte und Wechselkurs-Provisionen entfallen für sie völlig und werden auf das Ausland abgewälzt. Der übrige Welthandel muß - auch für den Handel untereinander - in der Leitwährung liquide sein, denn 90% des gesamten Welthandels werden in den 3 Leitwährungen US-$, DM und Y abgewickelt. Die Leitwährungen setzen sich schließlich auch als internationales Wertaufbewahrungsmittel durch: Nicht nur werden 60% der Hartwährungsvorräte aller Notenbanken in US-$ gehalten, sondern auch beinahe die Hälfte der gesamten privaten Ersparnisse. Selbst chinesische Bauern sammeln Überschüsse in $-Noten. (Deshalb weiß die Fed bei ihrer Stabilitätspolitik stets die halbe Welt auf ihrer Seite, auch wenn sie dadurch den Rest der Welt zu einer restriktiven Geldpolitik zwingt, die dem selben Rest der Welt gar nicht so zuträglich ist.)
Durch die genannten Zusammenhänge wird ein Nachfrageschub nach Leitwährung induziert, der bequem mit einer Ausweitung der Geldmenge in Leitwährung beantwortet werden kann, ohne daß dadurch unmittelbare Inflationsgefahren für das Leitwährungsland drohen. Denn das Geld wird ja "draußen" gebraucht und ist insofern im Inland nicht nachfragewirksam. Der dadurch entstandene zusätzliche Notenbankgewinn kommt aber natürlich dem Leitwährungsland zugute. Als Leitwährungsland läßt es sich schließlich auch dann noch gut leben, wenn man vom internationalen Gläubiger zum internationalen Schuldner mutiert ist (wie im Falle der USA geschehen). Denn die Verschuldung in der eigenen Währung gestaltet sich vergleichsweise problemlos: "We just print the money!"; z.dt.: "Wir drucken einfach das Geld!"
Keynes konnte sich mit seinem Plan in Bretton Woods nicht durchsetzen. Statt dessen kam der amerikanische "White-Plan" zum Zuge, ein System fester Wechselkurse mit dem US-Dollar im Mittelpunkt, indirekter Goldbindung (über den Dollar) und selbstverständlich einer positiven Verzinsung der Überschüsse. Keynes Kommentar den White-Plan mit den Worten: "Das ist kein Währungssystem mehr, sondern eine Kneipe, in der der bezechte Wirt seine Gäste verführt mitzuhalten. Wer unangemessen nüchtern bleiben will, fliegt raus. Der beschwipste Wirt setzt ihn eigenhändig vor die Tür."
Die USA waren nicht nur die wirtschaftliche Siegermacht des 2. Weltkrieges, sondern auch seit 1917 in der Position eines Weltgläubigerlandes. Somit entsprach der "White-Plan" den ökonomischen und politischen Interessen insbesondere der USA. Deshalb - und nicht etwa, weil er nicht praktikabel gewesen wäre - wurde der Keynes-Plan in Bretton Woods verworfen. Keynes selbst hat immer betont, daß sein System nicht nur eine schöne Idee sein soll, sondern auch in der Praxis anwendbar ist. Und zwar unabhängig von der jeweiligen Regierungsform und den Prinzipien der Wirtschaftspolitik der betreffenden Mitgliedstaaten. In diametralem Gegensatz dazu steht die heutige Praxis der obligatorischen Einflussnahme des IWF auf die Verwendung der Kredite, die die notleidenden Empfängerländer erhalten.
Genau um der Gefahr einer Praxis wie der heutigen des IWF entgegenzuwirken, wollte Keynes eine epochale Änderung und "....nicht nur dem Schuldnerland, sondern auch dem Gläubigerland eine Mitverantwortung für die Wiederherstellung der Ordnung auferlegen. .... Die Absicht ist, daß es dem Gläubiger nicht erlaubt sein sollte, vollkommen passiv zu bleiben. Denn wenn er das ist, wird dem Schuldnerland, das aus diesem Grund sowieso schon in der schwächeren Position ist, eine nicht zu verantwortende Last aufgebürdet."
Was könnte eine an Keynes orientierte Weltwährungsordnung für die Welt leisten?
l Eigenständige Einzelstaaten mit eigenen, binnenwirtschaftlich stabilisierten Währungen, die mit einem neutralen Bindeglied verkoppelt werden.
l Gerechtere und ausgleichendere Währungsverhältnisse in den einzelnen Ländern, die für langfristig stabile und friedfertige Verhältnisse als notwendig vorausgesetzt werden müssen.
l Gute währungspolitische Voraussetzungen für eine echte realwirtschaftliche Konvergenz. An die Stelle der bisherigen Polarisationsprozesse treten Angleichungsprozesse.
l Ein System, das sich offen zeigt für die freiwillige Teilnahme von Ländern aus allen Erdteilen, die Stück für Stück unter Zuhilfenahme der ihnen gewährten zinslosen Darlehen (s.o.) ihr Wirtschaftspotential allmählich und behutsam ausbauen, ohne über Schuldenspiralen in wirtschaftsimperialistische Abhängigkeitsverhältnisse zu geraten.
Es grenzt an Blasphemie, wenn heute - teilweise sogar an Universitäten - so getan wird, als seien die heutigen Institutionen Weltbank und IWF irgendwie auf Keynes zurückzuführen. Einer, der es besser weiß, ist der deutsche Ökonom Wilhelm Hankel, der die Auffassung vertritt, daß die Umsetzung des Keynes-Planes nie so wichtig war wie gerade heute. Hankel sieht darin die einzige Möglichkeit, dem Finanz-Globalismus - wie er ihn nennt – "Schach zu bieten, ihn unter Kontrolle zu stellen, zu zähmen und betriebssicher zu machen, die internationale banking community wieder an die Leine zu nehmen und Kredithaien und Hasardeuren Einhalt zu gebieten".
Der letzte deutsche Bundeskanzler, dessen wirtschaftspolitische und auch weltwirtschaftspolitische Kompetenz nicht in Zweifel zu ziehen war und auch nicht gezogen wurde, nämlich Helmut Schmidt, kommentierte die Problematik in der "Zeit" wie folgt:
"So wie der Luftverkehr selbstverständlich weltweit akzeptierte Regeln und Kontrollen braucht, so brauchen wir dringend Regeln für den internationalen Geldverkehr. Denn die Funktionstüchtigkeit eines freien Welthandels und eine gut funktionierende Weltwirtschaft sind für 6 Mrd. Menschen wichtiger als die exzessive Freiheit einiger zehntausend habgieriger Dealer, die auf den Finanzmärkten herumtoben."
Wir sollten zumindest wieder zu einem Konsens darüber zurückfinden, daß die Marktwirtschaft nicht Selbstzweck sein darf, sondern auch und gerade im Zeitalter der Globalisierung im Dienste der Bedürfnisse der Menschen stehen muß. Und daß deshalb auch nicht der Mensch um des Weltmarkts willen, sondern allenfalls der Weltmarkt um der Menschen willen da sein muß. Wer den globalen Markt will, muß auch eine globale Rahmenordnung des globalen Marktes wollen - oder wenigstens akzeptieren.
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