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Thomas Betz schickte im April 2002 folgende kleine Geschichte:
Liebe (im weitesten Sinne den Grundgedanken der Freiwirtschaft nahestehende) Freunde,
ich erzähl' Euch heut mal eine Geschichte:
Ich war also am Dienstag vergangener Woche (9.4.2002) bei Johannes Rau im Schloß Bellevue. Warum? Ich hatte während des Studiums ein Stipendium von der Studienstiftung (des deutschen Volks). Johannes Rau hält im Mai seine alljährliche bundespräsidiale Rede (bei Roman Herzog war's einmal die "Ruck-Rede"); diesmal über Globalisierung. So holt er sich (in Wirklichkeit natürlich seine Adlaten) von überall ein bißchen Anregung und traditionsgemäß müssen da auch immer ein paar "Stiftis" antanzen; so ca. acht "Aktive" und ebensoviele Ehemalige. Und weil ich mich mit meinen Texten offenbar ausreichend unbeliebt gemacht habe, bin ich von Bonn diesmal mit ausgesucht worden; gewissermaßen als Paradiesvogel, denke ich mal.
Bereits im Vorfeld habe ich ein bißchen rumrecheriert, ob jemand was weiß. Und tatsächlich: Sein Hausarzt auf Spiekeroog, Dr. Keßler, war lange Zeit auch ein guter Freund von ihm, jetzt aber mit 94 im Altersheim in Bremen. Keßler war u.a. bei Raus Hochzeit aktiv als Organist, Trauzeuge und Nebensitzer der Braut, welche Volkswirtin. Und Keßler war und ist - wie könnt' es anders sein - ein aktiver Freiwirt, war/ist Mitglied der FSU und schreibt scheinbar auch heute noch ab und an für den dritten Weg bzw. die Humanwirtschaft. Ich hatte kurz vor dem Schloß-Termin die Gelegenheit, mit Keßler persönlich am Telefon zu sprechen. Er trug mir auf, artig Grüße von ihm zu bestellen (was ich dann auch tat). Ansonsten versicherte Keßler, Rau sei direkt bzw. indirekt (über seine Frau) bestens über die Freiwirtschaft informiert, aber offenbar nicht unbedingt willens, sich dazu zu bekennen bzw. sich dafür stark zu machen.
Das war die erste unheimliche Begegnung, doch dann kam die zweite: Der Termin wurde leider auf wenig mehr als eine Stunde zusammengestrichen, weil der chinesische Staatspräsident Jiang Zemin mit großer Delegation abends - und offenbar außerhalb des Protokolls - an dem Tag zum zweiten Mal zum Essen vorbeikam. So hatte jeder nur ein paar Minuten. Die Leute waren aus allen möglichen Disziplinen; aus dem Großraum Ökonomie war außer mir nur noch eine Humboldt-Professorin. Ich legte meine Überlegungen zur Problematik der Globalisierung dar und löste damit eine gewisse Betroffenheit und vorübergehend nachdenkliches Schweigen aus.
Anschließend bedankte sich Rau und ging kommentarlos zum nächsten Punkt über. Aber: Der Mensch neben mir - Leiter des wirtschaftspolitischen Referats im Präsidialamt - zeigte sich interessiert. Ich hatte "zufällig" die neueste Ausgabe der "Zeitschrift für Sozialökonomie (ZfSÖ)" dabei und überließ sie ihm und er blätterte sie - noch während der Veranstaltung – aufmerksam durch. Irgendwann kamen die Schloßdiener und meinten, die Delegation könne jetzt nicht mehr länger warten und Rau stürmte raus. Aber die Diskussion ging hernach noch weiter. Und dabei erzählte mein Nebensitzer ganz nebenbei, dass ihm die ZfSÖ und auch deren Redakteur Werner Onken wohlbekannt seien und er vor allem die gesammelten Werke von Silvio Gesell bei sich im Büro zu stehen habe. Erst als ich erfuhr, daß er Ökonom UND Theologe ist (Zinsverbot; ick hör' Dir tapsen), wurde mir einiges klarer und ich hörte endlich auf, mich zu wundern. Mein Angebot, ihm noch weiteres Material - diesmal speziell zur Frage der Globalisierung zukommen zu lassen - nahm er gerne an.
Na, ist das eine schöne Geschichte?