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[ Übersicht der Texte von T. Betz ]
Eigentumsrecht
und ökonomisches Entwicklungspotential
Im Mittelpunkt meiner Überlegungen stehen der sog. eigentumstheoretische Ansatz der beiden Deutschen Heinsohn und Steiger, der vom Harvard-Lehrer Pipes konstatierte Konnex zwischen Freiheit und Eigentum sowie die vom Peruaner Hernando de Soto propagierte Formalisierung des sog. informellen Sektors in den sog. Ländern der dritten Welt.
Ausgangspunkt des Ansatzes von Heinsohn und Steiger ist die Analyse gegenwärtiger bestehender Verhältnisse in den Industrieländern und hier insbesondere die „Geldfrage“; will heißen die Frage, was Geld eigentlich ist, wo es herkommt und wie es entsteht. Vergleichsmoment ist die konventionelle ökonomische Schule der Neoklassik, welche die „Geldfrage“ typischerweise komplett ausgeklammert: Geld ist einfach da, wird als gegeben hingenommen. In der modellanalytischen Betrachtung ist es teilweise gar nicht vorhanden und wird allenfalls als ansonsten neutrales, aber effizientes Schmiermittel eines ansonsten Tauschprozesses rezipiert. Nach neoklassischem Verständnis leben wir also letztlich in einer Tauschgesellschaft.
Sehr viel überzeugender sind für mich auf Keynes Bezug nehmende Ansätze und hier insbesondere die sog. „Monetärkeynesianer“ (Hauptvertreter ist der Berliner Hajo Riese), die jedenfalls feststellen: „(Modernes) Geld kommt als Kredit auf die Welt!“ Geld in jedweder Form ist immer Ausdruck von dahinter stehenden Gläubiger-Schuldner-Kontrakten, also von Kreditbeziehungen und wirkt auf die Prosperität der Realsphäre ein: expansiv oder auch kontraktiv; teilweise wird sogar von einer Dominanz der Geldsphäre über die Realsphäre gesprochen. Heinsohn und Steiger gehen noch einen Schritt weiter und konstatieren: Notwendige Voraussetzung für eine funktionstüchtige Gläubiger-Schuldner-Beziehung ist die Möglichkeit einer Sicherheitsübereignung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, also der Verpfändbarkeit. Und notwendige Voraussetzung dafür wiederum ist die Rechtsinstitution des Eigentums; in Abgrenzung zum reinen Besitz.
Auf der Mikroebene lässt sich der Zusammenhang am einfachsten am Beispiel eines Bauern und seines (in seinem Besitz befindlichen) Ackers veranschaulichen: Vor wie nach der Einführung des Eigentumsrechts wird er den Acker bearbeiten und mehr oder weniger viel ernten; je nach Wetterlage und persönlichem Einsatz. Aber vermittels des Eigentumsrechts kann er etwas, was er vorher nicht konnte: Er kann den Acker als Sicherheit für einen Kredit verpfänden, sich damit liquide Mittel beschaffen und bewirkt damit dreierlei:
1.: Mit seiner zusätzlichen Liquidität schafft er eine Mehr-Nachfrage, die es vorher noch nicht gab.
2.: Mit der erfolgten (Mehr-)Investition schafft er ein Mehr-Angebot, das es vorher auch noch nicht gab.
3.: Durch den Gläubiger-Schuldner-Kontrakt kommt ein Zwang zu höherer Effizienz in’s Spiel, den es vorher in dieser Form ebenfalls nicht gab. Denn von nun an ist es von erheblichem Belang, wie der Bauer wirtschaftet, denn er steht unter (Zeit-)Druck, den Kredit vollständig nebst angefallener Kapitalkosten (Zinsen) zu bedienen. Dadurch ist er gezwungen, maximal effizient zu arbeiten und verlangt deshalb diese Effizienz nunmehr auch von seinen Marktpartnern; entweder direkt per unmittelbarer (und unmissverständlicher) Kommunikation oder indirekt über sein individuelles Nachfrageverhalten.
Für mich ist nunmehr auffällig, dass vor rund 200 Jahren 3 Phänomene gleichzeitig in die Welt treten:
1. Die Wachstumsraten der Sozialprodukte erreichen mit dem Beginn der Industrialisierung bis dahin nicht gekannte Höhen, die zwar als solche noch nicht gemessen werden; aber die Veränderung ist qualitativ dennoch evident.
2. Die moderne Papiergeldschöpfung beginnt.
3. Der römisch-rechtliche Eigentumsbegriff wird institutionalisiert und damit ein Eigentumsrecht, das absolut und vollständig dem ökonomischen Willen untergeordnet ist.
Napoleons Truppen wurden, nachdem sie Europa zunächst unterworfen hatten, nach und nach und jedenfalls mittel- bis langfristig wieder vertrieben. Aber eines ließen sie zurück: Das Besatzungsrecht, den „Code Napoleon“, der zunächst nur in Europa, dann aber per Kolonialisierung und kultureller Vorherrschaft zum Vorbild für alle bürgerlichen Gesetzbücher in der ganzen Welt wurde und in dessen Artikel 544 steht: „Das Eigentum ist das unbeschränkte Recht zur Nutzung und zur Verfügung über die Dinge.“ Dieser römisch-rechtliche Eigentumsbegriff des „Dominiums“, der dem jeweiligen Eigentümer den absoluten Herrschaftsanspruch verbürgt, unterscheidet sich fundamental von den bis dahin vor allem in den nicht-lateinischen Ländern vorherrschenden Eigentumskonzeptionen, die auf der Idee des „Patrimoniums“, also der Pflicht zur Pflege des vom Vater geerbten und an die Kinder zu Vererbenden aufbauten. Daß der zweifellos und zurecht als Patriot geltende Goethe Napoleon als den eigentlichen Protagonisten einer neuen Zeit betrachtete, gewinnt vor diesem Hintergrund entweder eine neue oder aber auch überhaupt erst eine Bedeutung.
Nach meiner Kenntnis wird zwar das Auftreten der o.g. Phänomene erkannt, im Allgemeinen aber die Gleichzeitigkeit nicht oder nur wenig thematisiert und vor allem darauf verzichtet, die Möglichkeit einer kausalen Verkettung in Betracht zu ziehen. Weil aber möglicherweise nicht allein die Erfindung der Dampfmaschine den Industrialisierungsprozeß ausgelöst hat, sondern (auch) die Erfindung einer notwendigen Voraussetzung für die Nachfrage nach derselben, nämlich die des modernen Eigentumsrechtes, arbeite ich zu diesem Thema und sehe an dieser Stelle auch die Verknüpfung zur Rechtswissenschaft.
Der Zusammenhang von Eigentum und Entwicklung ist aber nicht allein von (wirtschafts)-historischer, sondern auch von hochaktueller sozial- bzw. entwicklungspolitischer Bedeutung, denn in den Ländern der sog. dritten Welt der Gegenwart und der sog. zweiten Welt der Vergangenheit gibt es all das oben dargestellte jedenfalls über weite Strecken nicht: Keine gesicherten Eigentumsverhältnisse, insofern keine Kreditfähigkeit, insofern kein stabiles, durch Eigentumstitel ausreichend rückversichertes Geld, sondern nur gewissermaßen trotzdem gedrucktes und insofern inflationsträchtiges „Willkürgeld“ (Sprachgebrauch von Heinsohn und Steiger) und entsprechend marode Verhältnisse in der Realsphäre.
Der peruanische Ökonom Hernando de Soto hat auf der Südhalbkugel insbesondere den sog. informellen Sektor im Blick; also typischerweise die nach klassischem Begriffsverständnis illegal errichteten Hütten, die bewohnt werden, wo aber auch produziert und dienstgeleistet wird. Diese Unvollkommenheit, diese Erscheinung eines Übergangsstadiums im Dauerzustand betrachtet er als Hauptentwicklungshemmmnis deshalb, weil
1. solche Betriebe jedenfalls nicht langfristig planen und kalkulieren können und durch die beschriebenen Rahmenbedingungen auf eine Subsistenzorientierung zurückgeworfen sind,
2. in diesem Bereich kein Eigentum in unserem Begriffsverständnis existiert und insofern für die Betroffenen auch nicht die Möglichkeit, selbiges Eigentum zu verpfänden und auf diese "natürliche" Art und Weise an inländische Kredite zu kommen, zu investieren und dadurch wiederum Angebot, Nachfrage und Effizienz zu induzieren.
Ergo wird als "die" Entwicklungsstrategie eine möglichst weitgehende, möglichst umfassende und möglichst rasche Formalisierung des informellen Sektors betrachtet, die zwar ebenfalls kostet, aber längst nicht so viel wie z.B. das, was internationale Entwicklungszusammenarbeit ansonsten kostet und gleichzeitig - auch pekuniär - messbare Entwicklungspotentiale freizusetzen in der Lage ist, die ein Vielfaches des Volumens ausmachen, was klassische Entwicklungszusammenarbeit bislang umfaßt.
Hernando de Sotos „Instituto Libertad y Democracia“ (ILD) in Lima hat bereits diverse länderspezifische Analysen, aber auch konkrete Umgestaltungsmaßnahmen in Südamerika, Ägypten und Haiti durchgeführt und jedenfalls nach eigenen Angaben teilweise beträchtliche Erfolge erzielt. De Sotos Popularität in Peru ist mittlerweile so groß, dass er für die peruanische Präsidentschaft kandidiert. Sollte er tatsächlich Nachfolger von Fuijmori werden, so steht der dritten Welt, aber auch unserer „ersten“, m.E. auch ein tatsächlicher Wandel bevor: Denn in Volks- oder Geld- oder Eigentumswirtschaften, in denen stabiles Geld per Kreditschöpfung im Binnenraum entstehen kann und in denen solchermaßen aus eigener Kraft ökonomische Potentiale freigesetzt werden, gibt es weder die Notwendigkeit, noch in vergleichbarem Maße überhaupt die Möglichkeit eines Kapitalimports von außen und damit von Abhängigkeits-, Verschuldungs- und Ausbeutungsspiralen über Zinseszinsmechanismen.
Ich wurde vom ILD eingeladen, mich über die aggregierten Ergebnisse der bislang realisierten Umgestaltungsmaßnahmen sowie über Erfolge einer solchen in Bolivien zu informieren. Mich interessiert aber in diesem Zusammenhang auch, ob, inwieweit und wie „klassische“ Entwicklungszusammenarbeit diesen Ansatz rezipiert, wie sie darauf reagiert bzw. auf ihn Bezug nimmt und wie sie ihn bewertet insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, daß der Ansatz (s.o.) für sich in Anspruch nimmt, einerseits kostengünstiger zu sein und andererseits höhere Entwicklungspotentiale freizusetzen als – jeweils – klassische Entwicklungszusammenarbeit. Zu diesem Zweck führe ich gegenwärtig diverse Gespräche mit Vertretern staatlicher und nichtstaatlicher deutscher und internationaler Organisationen und Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit vor Ort.
La Paz, Februar
2001