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[ Übersicht der Texte von T. Betz ]
Was
der Euro wirklich soll und was eine internationale Währung wirklich sollte
Der Vertrag von Maastricht, die
Konvergenzkriterien, Zeitplan, Unabhängigkeit und rechtliche Stellung der
Europäischen Zentralbank (EZB) sowie die Stabilität stehen normalerweise im
Mittelpunkt der Euro-Diskussion. Dabei kommen m.E. wesentliche historische und
politische Aspekte sowie die Frage nach der zweckmäßigen Konstruktion einer
internationalen Währung zu kurz und sollen deshalb im Folgenden beleuchtet
werden:
Als unseriös bezeichnet werden müssen die
verschiedentlich immer wieder zu hörenden und zu lesenden Verweise darauf, daß
es sich bei der EWU nicht um die erste Währungsunion handele. Erstens wird
unterschlagen, daß es sich dabei in Wirklichkeit um die erste Währungsfusion
der Wirtschafts- bzw. Währungsgeschichte der Menschheit handelt. Zweitens wird
regelmäßig geflissentlich übersehen, daß sämtliche bisherige Währungsunionen
politisch unabhängiger Staaten eben gerade aufgrund realwirtschaftlicher Disparitäten
kläglich gescheitert sind.
Ebenso unseriös ist der Verweis auf die
Gründung des deutschen Reiches: Die Vereinheitlichung der Währung ging der
nationalstaatlichen politischen Einigung nicht etwa voraus, wie zuweilen
glauben gemacht wird, sondern sie folgte der Bildung des Norddeutschen Bundes
und des Deutschen Reiches (1871) nach, und zwar durch das Münzgesetz vom 9.
Juli 1873. Vorher bestand zwar über Jahrzehnte der Deutsche Zollverein und es
gab Handelsverträge und wirtschaftsrelevante Abkommen (analog den heutigen EWG-
bzw. EG-Verträgen), aber weder einen Währungsverbund noch gar eine
Währungseinheit.
In diesem Zusammenhang wird auch gerne
übersehen, daß die in wirtschaftspolitischem Zusammenhang als Vorbild sonst
immer hochwillkommenen USA nach ihrer Staatsgründung mehr als ein Jahrhundert
benötigten, um sich zu einer für alle Bundesstaaten gültigen gemeinsamen
Währung durchzuringen: Erst im Jahre 1913, nachdem die Nivellierung der ökonomischen
Strukturen einigermaßen abgeschlossen war (die Unterschiede gerade zwischen den
„Nord-“ und den „Südstaaten“ waren im vorigen Jahrhundert gewaltig), bekamen
die Vereinigten Staaten eine Zentralbank und eine echte Einheitswährung. Bis
dahin wurden Banknoten zunächst von Privatbanken und später von den einzelnen
Bundesstaaten herausgegeben, wobei die Kurse der einzelnen „Staatendollar“
zueinander je nach wirtschaftlicher Situation in den betreffenden Staaten
unterschiedlich stark variierten. Die Wirtschafts- und Währungsgeschichte der
USA ist ein sehr schönes Beispiel für eine Währungsunion, die einer
vorangehenden Wirtschaftsunion bedarf und nicht etwa für die umgekehrte
Reihenfolge. So ist es nur folgerichtig, daß die US-amerikanische
Öffentlichkeit den jüngsten eurokratischen Exzess im günstigsten Fall mit
ungläubigem Staunen verfolgt. Es gibt aber auch deutlichere Reaktionen. So R.J. Samuelson in einer Kolumne für
das US-Magazin „Newsweek“ Anfang
1997: „Die EWU ist eine bescheuerte Idee.
Ehrlich gesagt ist es eine Idee, von der ich dachte, daß sie aufgrund ihrer
eigenen Dämlichkeit untergehen würde.“[1]
Die EZB und (!!) die nationalen
Zentralbanken werden zukünftig die Euro-Ausgabe gemeinsam bewerkstelligen,
wobei die EZB selbst nur ca. 8% der Noten ausgeben wird. Dieser Umstand blieb
in der bisherigen Debatte fast vollkommen unbemerkt. Man wird sich also damit
abfinden müssen, daß Banknoten, die in Deutschland Zahlungsmittel sind, aus
Madrid, Rom, Dublin oder Helsinki stammen. Inzwischen ist auch geklärt, daß man
den Noten die Herkunft nicht ansehen darf.
Das ist freilich nicht so tragisch wie die Tatsache, daß die Noten anderer Zentralbanken nach anderen Grundsätzen
emittiert werden:[2] Das Europäische
Währungs-Institut (EWI), Vorläufer der EZB, definiert - gemessen an der Praxis
der Bundesbank - für die zukünftige Währungspolitik der EZB viel risikoreichere
Kategorien von Vermögenswerten, gegen die Euros emittiert werden dürfen: 2
Gruppen absteigender Güte werden genannt:
1.: marktfähige
Schuldtitel wie Handelswechsel fallen als Sicherheiten mit Euro-Güte unter die
sog. Kategorie 1 (entsprechend der Praxis der Bundesbank);
2.: nicht
marktfähige Schuldtitel wie Staatspapiere mit beschränkter Marktfähigkeit
fallen als Sicherheiten ebenfalls mit Euro-Güte unter die Kategorie 2. Heute
dürfen in Italien, Spanien, Portugal Geschäftsbanken per Gesetz verpflichtet
werden, solche Papiere in’s Portfolio aufzunehmen (gerade weil sie nicht
marktfähig sind). Dort sind bis zu 2/3 der Staatspapiere solche Papiere.
Ausdrücklich werden aber auch ganz normale Kreditforderungen von
Geschäftsbanken gegen Unternehmen, die auch bei strengster Bonitätsprüfung
niemals so risikoarm sein können wie Handelswechsel (Problem: Ein geplatzter
Geschäftsbank-Kredit resultiert dann in inflationärem Potential), zugelassen.
Das EWI rechtfertigt dies wie folgt: „Im
zukünftigen Euro-Währungsraum werden unterschiedliche nationale
Finanzstrukturen und Zentralbankgepflogenheiten, insbesondere in Bezug auf
private Sicherheiten, existieren.“[3]
Es wird sie also doch geben, die
Gelddruckmaschine im „Süden“: Der Staat drückt den Geschäftsbanken Anleihen
in’s Portfolio; diese refinanzieren sich bei den dortigen nationalen
Zentralbanken. Den nationalen Regierungen wird es also weiterhin möglich sein -
trotz Maastrichtverbot der direkten Finanzierung durch die nationalen
Zentralbanken - die Budgets über die Staatsbank zu finanzieren. Dazu kommt, daß
diese Sicherheiten sogar aus Staaten stammen können, die wie Griechenland sich
kaum als Euro-Mitglied qualifizieren könnten. Die nationalen Zentralbanken der
Schwachwährungsländer, die heute deshalb schwache Währungen emittieren, weil
ihr Geld mit risikoreichen Sicherheiten „gedeckt“ ist, dürfen morgen unter dem
selben Mechanismus Euros herausgeben, die dann aber überall im europäischen
Währungsraum angenommen werden müssen. Der Euro wird also so weich sein wie die
schlechtesten Sicherheiten, die irgendwo zwischen Lissabon und Helsinki nach „nationalen
Gepflogenheiten“ für die Ausgabe von Euros akzeptiert werden.
Nicht von ungefähr bleibt das „schrumpfende Häuflein deutscher Ökonomen,
die noch tapfer die Fahne der EWU hochhalten“[4]
international eine Gruppe von Außenseitern: „Die überwiegende Mehrheit der
US-Ökonomen hält den Euro für ein Vorhaben bar jeder ökonomischer Vernunft. Die
Nobelpreisträger Milton Friedman und Merton Miller urteilen übereinstimmend,
daß die Nachteile die Vorteile eindeutig überwögen: Die Löhne seien zu
unbeweglich, die Beschäftigten zu immobil und der Finanzausgleich zu gering,
als daß Europa auf flexible Wechselkurse verzichten könne. Für Paul Krugman, Professor am renommierten
Massachusetts Institute of Technology und ein Star seiner Zunft, ist die ganze
Währungsunion ein erstaunlich verrückter
Prozeß, den man nur politisch, aber nicht ökonomisch verstehen kann“[5].
Wie kann man diesen „verrückten Prozeß“ nun politisch verstehen? Was sind die
eigentlichen Gründe für die Einführung des Euro?
1.
Insbesondere für wirtschafts- und
währungsschwache EU-Staaten ist die Frage der Zugehörigkeit zu einem zumindest
vergleichsweise starken und stabilen Währungsraum in einem nicht zu
unterschätzenden Maße eine Frage des Prestiges. So nimmt es nicht wunder, daß
in Italien im Jahre 1997 74% der Bevölkerung für und nur 15% gegen, in Spanien
66% für und 17% gegen, in Griechenland 65% für und 21% gegen, aber eben in
Deutschland nur 38% für und 55% gegen die Einführung des Euro waren.[6]
(1998 haben sich dabei für Deutschland die Umfrageergebnisse in Folge der
öffentlichen Diskussion, die zwar verspätet, aber immerhin doch noch einsetzte,
deutlich zugunsten der Euro-Gegner verschoben: Sie liegen gegenwärtig bei mindestens
60% - 70% für die Gegner[7].)
Dabei darf man getrost unterstellen, daß
mentalitätsbedingt der irrationale Anteil beim Entscheidungsfindungsprozeß im
Süden höher ist: So hat beispielsweise Italien in den 80-er Jahren permanent
darauf bestanden, daß die Notenbanken den völlig überhöhten Kurs der Lira im
EWS verteidigen, allein dem Ruhm und der Ehre wegen (und zur Freude der
italienischen Touristen im Ausland), jedoch entgegen jeder ökonomischer
Vernunft und sehr zum Leidwesen der lamentierenden heimischen Industrie (und
der ausländischen Touristen in Italien). Dazu gesellen sich im Süden auch die
von Hankel und anderen Ökonomen
vielfach erwähnten Aussichten auf Transferleistungen aus dem Norden sowie die
Entlastung der Haushalte durch die dann vergleichsweise niedrigeren
Kapitalzinsen.
2.
Für die (west-)europäischen Nachbarn haben
sich die Motive zur Einbindung Deutschlands durch den Zusammenbruch des
Ostblocks und den Zerfall der Sowjetunion dramatisch verstärkt.[8]
Durch den sog. „2-plus-4-Vertrag“, der schließlich zum Abzug der russischen
Truppen aus der ehemaligen DDR und letztlich auch zur deutschen Einheit führte,
hat das Land die alliierten Vorbehalte der Nachkriegszeit endgültig
abgeschüttelt und als bevölkerungsreichste Nation in Europa mit rund 80 Mio.
Einwohnern seine volle Souveränität wiedererlangt. Die dadurch eingetretene
geopolitische Änderung ist zwar gewaltig, wird aber von den Deutschen selbst,
die das Gefühl einer Bedrohung für ihre Nachbarn jedenfalls im typischen Fall
nicht nachempfinden, gar nicht vollumfänglich erkannt:
Trotz zweier verlorener Kriege (oder etwa
gerade deswegen?) und erheblicher Gebietsverluste ist die wirtschaftliche
Bedeutung Deutschlands in Europa und der Welt erheblich größer geworden.
Verglichen etwa mit der Situation um die Jahrhundertwende hat dagegen Rußland
die westlichen Teile seines damaligen Reiches eingebüßt, England mit seinem
Kolonialreich seinen Weltmachtstatus und auch seine Rolle als industrielle
Führungsmacht verloren. Eine Habsburger Monarchie gibt es überhaupt nicht mehr
und die ehemaligen Kolonialmächte Spanien und Portugal haben ebenfalls eher an
Bedeutung verloren. Das erklärt - großenteils unausgesprochene - Sorgen in
vielen europäischen Nachbarländern und den Umstand, daß antideutsche
Ressentiments im europäischen Ausland 50 Jahre nach dem Kriege nicht etwa ab-,
sondern zunehmen. Das erklärt aber auch den „Qualitätssprung“ und die seit dem
Zerfall des Ostblocks und der deutschen Einheit eingetretene Beschleunigung des
europäischen Einigungsprozesses, die wiederum ihren Niederschlag im Vertrag von
Maastricht finden. Dabei dominiert der politische Antrieb eindeutig die
wirtschaftlichen und währungspolitischen Überlegungen. Dies brachte
Bundeskanzler Kohl in seiner
Regierungserklärung zum Maastricht-Vertrag (13.12.91) auch unmißverständlich
zum Ausdruck:
„Der
Weg zur Europäischen Einheit ist unumkehrbar. Die Mitgliedsstaaten der
Europäischen Gemeinschaft sind jetzt für die Zukunft in einer Weise miteinander
verbunden, die ein Ausbrechen oder einen Rückfall in früheres
nationalstaatliches Denken mit all seinen schlimmen Konsequenzen unmöglich
macht. Maastricht ist der Beweis dafür, daß das vereinte Deutschland seine
Verantwortung in und für Europa aktiv wahrnimmt und zu dem steht, was wir immer
gesagt haben, nämlich, daß die deutsche Einheit und die europäische Einigung
zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.... Vieles von dem, was in
Amtsstuben in ganz Europa - ich schließe dabei Deutschland
nicht aus - heute noch gedacht wird - ich denke an die Widerstände und
Überlegungen, daß etwas, was noch nie dagewesen war (etwa eine supranationale
Währungsunion von Bestand, T.B.), deswegen auch nicht kommen könne -, wird
durch die Entwicklung hinweggefegt werden. Es ist ein dynamischer Prozeß
eingeleitet worden, den wir in dieser Form in der modernen Geschichte noch nie
hatten.“[9] In der Tat.
Wohl nicht von ungefähr brachte auch Konrad Adenauer (Kohl versteht sich ja
als dessen geistiger Enkel) ausländischen Staatsgästen gegenüber immer wieder
zum Ausdruck, daß er die Westintegration der Bundesrepublik nicht etwa nur aus
Kommunistenfurcht betrieben hat, sondern insbesondere auch, weil er der
Urteilskraft des deutschen Volkes mißtraute und deshalb ein in den Westen
eingebundenes West-Deutschland einem außenpolitisch souveränen
Gesamt-Deutschland vorzog. Aber auch die politische Opposition stößt in das
selbe Horn: Bei der Ratifizierungs-Debatte zum Maastricht-Vertrag im Bundestag
(02.12.92) sagte etwa Heidemarie
Wieczorek-Zeul:
„Aber
ich bin mir ziemlich sicher, sollte die europäische Integration zurückfallen
oder gar scheitern und Deutschland sich selbst überlassen bleiben, würde der
alte Ungeist wieder in großem Umfang gesellschafts- und politikfähig werden.
Die europäische Integration ist auch ein Stabilitätsanker für die politische
Stabilität in Deutschland. Das ist der Hauptgrund, warum viele in meiner
Fraktion, die Maastricht durchaus kritisch sehen, dem Vertrag und den
notwendigen Vertragsänderungen dennoch zustimmen.“[10]
Und Kohls
Amtsvorgänger und mittlerweilige ZEIT-Herausgeber Helmut Schmidt äußerte am 05.04.96 in dieser Zeitung: „....Wenn es deshalb nicht zur Einbindung
Deutschlands und Frankreichs käme, dann stünde Europa bereits früh im 21.
Jahrhundert wieder dort, wo es im ganzen 19. Jahrhundert und in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts gestanden hatte. Es liegt im zentralen
strategischen Interesse Deutschlands, eine Rückkehr zu einer Lage zu vermeiden,
in der sich unsere vielen Nachbarn gegen eine vermeintlich oder tatsächlich
bedrohliche Stärke Deutschlands miteinander verbünden, um uns Deutsche in
Schach zu halten. Wenn der Bundeskanzler in diesem Zusammenhang bisweilen,
scheinbar allzu pathetisch, von Krieg und Frieden in Europa spricht, hat er
gleichwohl recht!“
Ganz offenbar gibt es also einen
europäischen, aber eben auch einen deutschen mächtigen und über das ganze
politische Spektrum getragenen und in erster Linie politisch motivierten Impuls
für die Währungsunion, um darüber die europäische Integration und damit die
europäische Einbindung Deutschlands voranzutreiben mit dem letztlichen Ziel,
Europa vor Deutschland, aber auch Deutschland vor sich selbst zu schützen. Zu
befürchten steht allerdings, daß trotz dieses in geschichtlichen Erfahrungen
wurzelnden, wohlmeinenden Motivs, welches gar nicht in Abrede gestellt werden
soll, ökonomischer Dilletantismus über das Szenario „Einführung der EWU, Zerfall erst der ökonomischen und dann der
politischen Stabilität und schließlich Zerfall der (bislang erreichten)
Einheit“ zum geraden Gegenteil dessen führt, was ursprünglich beabsichtigt
war.
3.
Eine besondere Rolle spielt in diesem
Zusammenhang Frankreich: Schon immer war die europäische Integration für
Frankreich ein Instrument zur Einbindung eines als bedrohlich empfundenen
Deutschland. Dazu trat in jüngerer Vergangenheit das Bestreben, wirtschaftlich
und währungspolitisch nicht mehr nur ein bloßes Anhängsel des DM-Währungsraumes
zu sein, in dem die Bundesbank praktisch alleine schaltet und waltet und
letztlich auch über die Zinsniveaus und Wechselkurse der europäischen
Nachbarwährungen bestimmt. Über die währungspolitische Integration soll einer
wirtschaftlichen und währungspolitischen deutschen Dominanz dauerhaft entgangen
werden. Gegen die eigenen Gewohnheiten und wirtschaftspolitischen Prämissen hat
sich Frankreich für dieses Ziel zunächst in der Geldpolitik und allmählich auch
in der Fiskalpolitik der deutschen Stabilitätskultur unterworfen und „drängt jetzt danach, die Früchte dieser
Anstrengungen in Form einer einheitlichen, der Bundesbank-Dominanz entzogenen
europäischen Währung einzustreichen“[11].
Für den Fall der Nichteinführung des Euro fürchtet man insbesondere im Hinblick
auf Osteuropa einen neuen Wirtschaftsraum unter deutscher Führung, „eine große, von der D-Mark beherrschte
Freihandelszone von Brest bis Brest-Litowsk“, in der Frankreich in eine
Randlage gedrängt und „ein vorbildlich
demokratisches Deutschland zum Herrscher über Mitteleuropa und zur führenden
Macht im großen Europa“ (Alain Minc[12])
wird. Ministerpräsident Juppé äußerte
dazu in der deutschen „Wirtschaftswoche“[13]
Nr. 27/1996 folgende Befürchtung: „Die
Mark-Zone würde sich in Nord- und Mitteleuropa ausbreiten. Das würde das
Aussehen dieses Kontinents, an dem wir jetzt seit 40 Jahren arbeiten, total
denaturieren.“
Diese Furcht sowie der Wunsch nach einer
Weltreservewährung, die bei Bedarf administrativ abwertbar sein soll (die
Wechselkurskompetenz kommt nicht etwa der EZB, sondern - einmal mehr - dem
Europäischen Rat zu) und die in Umfang und Bedeutung dem US-Dollar gleichkommt
(und in der man sich deshalb entsprechend im Ausland verschulden kann?), waren
schließlich stärker als der normalerweise tragende französische Unwille,
Elemente nationaler Souveränität aus der Hand zu geben. Vor diesem Hintergrund
wird auch die Kolportage, beim französischen „oui“ zur deutschen Einheit mußte
deutscherseits der Euro den Franzosen in die Hand versprochen werden, ohne
weiteres nachvollziehbar.
4.
Die Haushalts-Lage aller EU-Staaten ist
bis auf die eine unbedeutende Ausnahme Luxemburgs zwar in unterschiedlichem
Maße, aber dennoch ähnlich desolat und ähnlich hoffnungslos: Auch laut
Bundesbank (Monatsbericht vom März 1997) „....droht
eine Verschuldungsfalle, in der das Staatsdefizit und der Schuldenstand sich
infolge schnell wachsender Zinsbelastungen aus sich selbst heraus ernähren.“ In
dieser Situation verschafft ein weicher, inflationsträchtiger Euro über die
Effekte einer Real-Abwertung der Staatsschulden und einer Ausweitung der
Notenbankgewinne den Haushalts-Budgets zunächst vorübergehend eine gewisse
Erleichterung; doch würden im selben Maße dadurch natürlich auch die Schulden-Gläubiger
(etwa Inhaber von Bundesschatzbriefen) real „erleichtert“.
Im Zusammenhang damit wird die
Verantwortung der Nationalstaaten durch die neue Denomination europäisiert,
dadurch anonymisiert und psychologisch delegiert. Später ist auch eine
tatsächliche Verschuldung Europas als Zentralinstitution (was es bisher noch
nicht gab) in Euro denkbar (etwa um die Transfers zu finanzieren). Wie so
vieles, so wird auch die Umrechnungsparität der nationalen Währungen in den
Euro letztlich administrativ durch den Europäischen Rat entschieden und nicht
notwendigerweise durch den Markt. In dem Maße, in dem beispielsweise die
deutsche Währung unterhalb der Marktparität festgesetzt würde, wäre bereits ein
erster Währungs-Schnitt vollzogen. Davon abgesehen besteht natürlich die
Möglichkeit, durch konzertierte Aktionen der nationalen Zentralbanken kurz vor
dem Jahresende 1998 gewünschte Marktparitäten zu manipulieren.
Nach der endgültigen Festlegung der
Teilnehmerstaaten und vor der definitiven Fixierung der internen Wechselkurse
zum 01.01.99 ist mit internationalen Währungsturbulenzen zu rechnen; spätestens
aber dann, wenn die EZB tatsächlich zu drakonischen Zinsmaßnahmen schreiten
muß, um die Zeit zu überbrücken, bis entsprechende administrative Maßnahmen
bisherige Defizite bei der Angleichung „nationaler Gepflogenheiten“ der Geldausgabe
der NZBs ausgleichen. In dieser Phase sind weitere Schnitte möglich. Und
letztlich wäre nach einem endgültigen Scheitern der EWU (5. Stufe?) der
Zeitpunkt der Rückkehr in die nationalen Währungen, wenn also - wie Hankel sagt - aus dem Omelett wieder
Eier gemacht werden sollen, der ideale Moment für einen „Neubeginn“, für die
„Stunde Null“.
Unabhängig vom Ausgang des Experiments
Euro bleibt die Notwendigkeit, eine weitergehende wirtschaftliche,
wirtschaftspolitische und eben auch währungspolitische Integration der
Weltwirtschaft in sinnvolle Bahnen zu lenken. Dabei verdient der sog. „Keynes-Plan“, ein von John Maynard Keynes bei den
Verhandlungen von Bretton Woods im Jahre 1944 vorgestelltes System
internationalen Zahlungsausgleichs, erhöhte Aufmerksamkeit.
Grundlegende Gedanken eines derartigen
Systems lassen sich bereits in dem von Silvio
Gesell im Jahre 1920 unterbreiteten Vorschlag einer Internationalen
Valuta-Assoziation (IVA) finden: Dabei sollte neben den weiterexistierenden
preisstabilen nationalen Währungen eine von allen an der Assoziation
teilnehmenden Ländern (Beitritt und Austritt wäre auch für außereuropäische
Staaten jederzeit möglich) als vollgültiges Zahlungsmittel akzeptierte
internationale Währung, die „Iva“, umlaufen, deren Wert wiederum zu den
nationalen Währungen fixiert sein sollte. Kommt es nun zu Preiserhöhungen bzw.
-senkungen in den einzelnen Ländern - etwa aufgrund einer Änderung der
umlaufenden (nationalen) Geldmenge oder aber der Umlaufgeschwindigkeit
derselben - so hätte dies entsprechende Abflüsse bzw. Zuflüsse von Iva-Noten
aus dem bzw. in das betreffende Land zur Folge, was wiederum korrigierend auf
das Preisniveau zurückwirken würde. In einer Situation aber, in der eine
Erhöhung des nationalen Notenumlaufs die Iva-Noten aus dem betreffenden Land
restlos „vertreibt“, nunmehr also die Außenhandelsbilanz nicht mehr zum
Ausgleich gebracht werden kann, entsteht - administrativ - die Verpflichtung
einer Zinszahlung (!) gegenüber der die Iva-Noten ausgebenden Verwaltung bzw.
selbige gibt neue Iva-Noten an das betreffende Land nur noch gegen Agio aus.
Dies erzwingt schließlich eine Rücknahme der nationalen Notengeldmenge, welche
schließlich zu Preisrückgängen und endlich zu einem entsprechenden Ausgleich
der Außenhandelsbilanz führt. Als letztes Mittel sind Interventionen bzw. das
Recht auf „Anweisungen“ an die einzelnen Nationalstaaten durch die IVA
vorgesehen. Nicht durch eine Internationalisierung des gesamten Geldumlaufes
sollte also die Stabilität der Wechselkurse herbeigeführt werden, sondern
dadurch, daß man einer beschränkten Anzahl Noten oder Münzen (Gesell sprach von
20%) internationale Gültigkeit verleiht.[14]
Gesell war im Hinblick auf die von ihm geforderte endgültige Loslösung des
Notengeldes vom Goldstandard seiner Zeit weit voraus, blieb andererseits aber
im Hinblick auf seine mangelnde Bereitschaft (weniger sein Unvermögen),
Giralgeld als Geld zu denken, Kind seiner Zeit. Insoweit ist es auch utopisch,
seine seinerzeitige Idee bruchlos auf heutige Verhältnisse zu übertragen.
John
Maynard Keynes hat sich
nachweislich sehr intensiv mit Gesell
auseinandergesetzt. In seinem Hauptwerk, der „General Theory“, widmet er ihm ein ganzes Kapitel.[15]
Deshalb womöglich nicht ganz von ungefähr lassen sich Parallelen zur IVA-Idee
im bereits erwähnten Keynes-Plan entdecken, der - nun gewollt oder auch nicht -
als die modernere Weiterentwicklung der IVA gelten kann: Der Plan besteht in
der Gründung einer Union für den internationalen Zahlungsverkehr (International
Clearing Union; im Original-Text findet sich auch der Begriff Währungs-Union; damit ist aber nicht die
Verschmelzung nationaler Währungen wie beim Euro gemeint; s.u) die auf einem
internationalen, gewissermaßen virtuellen Bankgeld, dem sog. „Bancor“, beruht, welches in einem
festen (aber nicht für alle Zeit unveränderlichen) Austauschverhältnis zu den
teilnehmenden Währungen steht, dabei aber selbst nicht in Notengeldform oder
anderweitig als Zahlungsmittel für die Wirtschaftssubjekte in Erscheinung
tritt. Dabei sollen die Zentralbanken der Mitgliedsländer bei der International
Clearing Union Konten unterhalten, die es ihnen ermöglichen, ihre
Devisenbilanzen untereinander, definiert in Bancor-Einheiten, auszugleichen.
Dabei würde für Länder mit einer positiven Zahlungsbilanz bei der Clearing
Union ein Bancor-Guthaben ausgewiesen werden, für solche mit einer negativen
Zahlungsbilanz ein entsprechendes Soll.[16]
Das Ganze würde von Maßnahmen begleitet sein, die einer unbegrenzten Anhäufung
von Guthaben sowie von Schulden entgegenwirken:
Für jeden Mitgliedsstaat wird zunächst die
Höhe seiner maximal erlaubten Verschuldung gegenüber der Union festgelegt; die
sog. „Quote“, welche jedoch in regelmäßigen Abständen überprüft und angepaßt
werden kann. Übersteigt nun der jährliche Durchschnitts-Saldo eines
Mitgliedsstaates ein Viertel seiner Quote, so soll vom entsprechenden
Differenzbetrag eine Gebühr von 1% an den sog. „Reserve Funds“ der „Clearing
Union“ gezahlt werden; und zwar unabhängig davon, ob es sich nun um einen
Haben- oder Schuldensaldo handelt. Übersteigt der Saldo die Hälfte der Quote,
so erhöht sich die Gebühr auf 2%. Mitgliedsstaaten, die Schulden haben, können
aber nunmehr auf Grundlage gegenseitiger Vereinbarungen aus den Guthaben der
Mitgliedsstaaten, die über solche verfügen, Anleihen aufnehmen, wodurch beide,
die Schuldner wie die Gläubiger, ihre Gebühren an die Clearing Union vermeiden
können. Dabei ergibt es sich markt-logisch, daß die Konditionen für diese
Anleihen bei Zinssätzen unter 1% bzw. unter 2% liegen werden, da die Schuldner
selbstverständlich nicht bereit sind, mehr zu bezahlen als sie an Gebühren an
die Clearing Union zu entrichten hätten. Auf der anderen Seite sind die
Gläubiger ebenfalls froh, keine Gebühren entrichten zu müssen und geben sich im
Idealfall mit einem Zinssatz nahe oder sogar gleich Null zufrieden. Unter den
gegebenen Bedingungen ist es sogar vorstellbar, daß sich Gläubiger - zumindest
vorübergehend - mit leicht negativen Zinssätzen einverstanden erklären, da sich
ihre Position dadurch immer noch günstiger darstellte, als würden sie Gebühren
entrichten.
Bei Überschreiten des Schuldkontos um mehr
als ein Viertel der Quote sind die Mitgliedstaaten zunächst nur berechtigt, den Kurs ihrer Währung gegenüber
dem Bancor anzupassen. Bei Überschreitung um mehr als die Hälfte kann die
Clearing Union eine bestimmte Abwertung der Währung des Mitgliedstaates verlangen sowie der Regierung des
Mitgliedstaates „interne Maßnahmen
empfehlen, die dessen inländische Wirtschaft beeinflussen und die zweckmäßig
erscheinen, um seine internationale Bilanz wieder ins Gleichgewicht zu bringen“[17]. Übersteigt das Schuldenkonto eines
Mitgliedslandes schließlich mehr als drei Viertel seiner Quote, so kann die Clearing
Union vom Mitgliedstaat noch weitergehende Maßnahmen verlangen. Falls es dem
Mitgliedstaat nicht innerhalb von 2 Jahren gelingen sollte, sein Schuldenkonto
unter die betreffende Marke zu senken, so kann ihn die Clearing Union
schließlich für zahlungsunfähig erklären und ihm die Berechtigung entziehen,
weiterhin sein Konto zu belasten.
Aber auch die Gläubiger(-staaten) sollen
zur Rechenschaft gezogen werden können: Übersteigt bei einem Mitgliedstaat das
Guthabenkonto die Hälfte seiner Quote, so „soll
er mit dem Vorstand (der Clearing Union; T.B.) besprechen, welche Maßnahmen
zweckdienlich sein könnten, um das Gleichgewicht seiner Außenhandelsbilanz
wiederherzustellen“. Hierzu gehören
a)
Maßnahmen zur Steigerung der Inlandsanleihen und der Inlandsnachfrage,
b)
Aufwertung seiner Landeswährung gegenüber dem Bancor oder aber, alternativ
dazu, ein Anheben der Geldlöhne (!),
c) die
Reduzierung von Importzöllen und anderen Importhemmnissen (soweit noch
vorhanden, s.u.),
d)
internationale Darlehen für die Entwicklung zurückgebliebener Länder.[18]
Um zu vermeiden, daß bereits bestehende
oder aber befürchtete Annäherungen an die Quoten der Teilnehmerländer zu nicht
marktkonformen Handelsbeschränkungen bzw. -beeinflußungen führen, die letztlich
retardierend auf die Prosperität der gesamten Weltwirtschaft wirken würden,
sollen ausgeschlossen werden
- Importbeschränkungen
- Tauschhandelsabkommen
- Exportquoten und diskriminierende
Exportsteuern
- Exportzuschüsse
- Zölle, „die eine angemessene Höhe übersteigen“.[19]
Über den Welthandel hinaus sollte der
Bancor auch allerlei segensreiche Wirkungen für andere internationale Aufgaben
entfalten. So nannte Keynes in seinem Entwurf die Einrichtung
-
internationaler Körperschaften, die sich mit Nachkriegshilfe,
Sanierungs-programmen und Wiederaufbau befassen,
- einer
übernationalen Ordnungsmacht, „der die Pflicht zur Erhaltung des Friedens und
zur Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung auferlegt ist“,
- einer
internationalen Investitionsgesellschaft,
- einer
internationalen Körperschaft, die mit der Steuerung der Rohstoffversorgung
befaßt ist und beispielsweise Rohstoffläger finanziert.[20]
Die genannten Institutionen sollten sehr
eng mit der ICU zusammenarbeiten - beispielsweise sollte die internationale
Ordnungsmacht die Möglichkeit bekommen, zusammen mit der ICU über die weitere
Verwendung des Verrechnungskontos eines säumigen Teilnehmerstaates zu befinden
etc. - und damit (nunmehr „echt keynesianisch“) „die Übel des Konjunkturzyklus durch die Ausübung von Dämpfungs- oder
Wachstumsimpulsen auf das Gesamtsystem oder auf einzelne Bereiche zu bekämpfen“[21].
Die Finanzierung der eher konsumtiven Ausgaben (Ordnungsmacht, Aufbauprogramm)
könnte dabei durch den „Reserve Funds“ erfolgen. Die kreditäre Finanzierung
beispielsweise der Investitionsgesellschaft wird gewährleistet durch die besondere
Fundamental-Eigenschaft der ICU als einer Institution, die multilateral „barter
trading“ (Kompensationsgeschäfte) organisiert und auf Basis eines „Geldes“
verrechnet, das lediglich bei der Verbuchung gelieferter Leistungen auf der
Aktivseite des Lieferanten und auf der Passivseite des Verbrauchers in
Erscheinung tritt, auf Geldverkehr im üblichen Sinne also völlig verzichtet. In
Bank-Termini ausgedrückt handelt es sich also um eine „Bank“, die sich einer
nicht konvertiblen Währungseinheit bedient, kein Liquiditätsproblem kennt,
immer zahlungsfähig ist und dementsprechend auf Reserven verzichten kann.
Insofern kann auch darauf verzichtet werden, daß einzelne Mitgliedstaaten
Vermögenswerte zur Verfügung stellen, um einen Kapitalstock für einen Fond zu
bilden, der Kredite vergibt (wie bei IWF und Weltbank der Fall). Die
Mitgliedstaaten müßten nur generell damit einverstanden sein, daß eventuelle
Guthaben (die im statistischen Mittel bis zu einem gewissen Grad ohnehin
temporär unangetastet blieben) in einen allgemeinen Pool fließen und für
gemeinsam genehmigte Vorhaben eingesetzt werden.[22]
Ein weiterer bedeutender Vorteil des
Systems besteht darin, daß dabei nicht mehr Liquidität über Hortungsmechanismen
dem Markt entzogen (insbesondere sollte auch die Konvertibilität des Bancor in
Gold explizit ausgeschlossen werden) und dadurch deflationärer Druck mit
Kontraktionswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft ausgeübt werden kann. Keynes pries bei seinem System auch den
multilateralen Charakter des Beziehungsgeflechts von Handelsströmen, denn ein
Land wäre immer im Soll oder Haben mit der ICU als Ganzem und müßte nicht etwa
warten, bis „sein“ Gläubiger bzw. Schuldner seine Waren nachfragt bzw. ihm
welche liefert. Dies war in der Tat zu Zeiten von Bretton Woods weniger
selbstverständlich als dies heute der Fall ist: Zum einen war der Anteil des
internationalen Handels am Handel insgesamt weit geringer; zum anderen war
internationaler Handel oft bilateral gebunden und - soweit multilateraler Natur
- typischerweise Gold-vermittelt. Wir haben heute einen funktionierenden, wenn
auch nicht gleichgewichtigen multilateralen Welthandel ohne Bancor, der auch
nicht mehr durch Gold vermittelt ist. Aber an die Stelle des Goldes traten die
sog. Leitwährungen, insbesondere der US-Dollar. Das war genau, was Keynes verhindern wollte: „Und damit Pfund Sterling und Dollar nicht
als Konkurrenz zum Bancor in Zentralbank-reserven auftreten können, müßten die
Gründerstaaten übereinkommen, daß sie die Reserveguthaben anderer Zentralbanken,
soweit sie über normale Arbeitsguthaben hinausgehen, nicht anerkennen
werden....“[23]
Was John
Manard Keynes am Ende seines Lebens verhindern wollte, war genau die
Absicht seiner Kontrahenten. Bekanntermaßen konnte er sich in Bretton Woods
nicht durchsetzen. Statt dessen kam der amerikanische „White-Plan“ zum Zuge, ein System fester Wechselkurse mit
indirekter Goldbindung, dem US-Dollar im Mittelpunkt und selbstverständlich
einer (diesmal positiven) Verzinsung der Überschüsse. Die USA waren nicht nur
die wirtschaftliche Siegermacht des 2. Weltkrieges, sondern auch seit 1917 in
der Position eines Weltgläubigerlandes. Deshalb entsprach der „White-Plan“ den ökonomischen und
politischen Interessen der USA in vollem Umfang.[24]
Und genau aus diesem Grunde - und nicht etwa, weil er nicht praktikabel gewesen
wäre - wurde der Keynes-Plan in Bretton Woods verworfen.
Man muß kein Moralist sein, um das heutige
System der Leitwährungen für ungerecht zu halten: Ökonomischen Disparitäten
wird dadurch nicht etwa entgegengewirkt, sondern sie werden im Gegenteil
verstärkt.[25] Die Nachkriegswirtschaftsgeschichte,
insbesondere der sich verschärfende Nord-Süd-Konflikt, spricht diesbezüglich
Bände. Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, wollte Keynes „....nicht nur dem Schuldnerland, sondern
auch dem Gläubigerland eine Mitverantwortung für die Wiederherstellung der
Ordnung auferlegen. .... Die Absicht ist, daß es dem Gläubiger nicht erlaubt
sein sollte, vollkommen passiv zu bleiben. Denn wenn er das ist, wird dem
Schuldnerland, das aus diesem Grund sowieso schon in der schwächeren Position
ist, eine nicht zu verantwortende Last aufgebürdet.“[26]
Doch zurück nach Europa: Was könnte eine
an Keynes orientierte europäische
Währungskonstruktion leisten?
l
Statt eines nur noch zweifelhaft demokratisch legitimierten und anonymen
europäischen Zentralstaates mit einer Einheitswährung, die entweder nicht
funktioniert oder aber Ungleichgewichte und soziale Polarisationsprozesse
akzeleriert, eigenständige Einzelstaaten, die alleine der kulturellen Vielfalt
Europas genügen können mit eigenen, binnenwirtschaftlich stabilisierten
Währungen, die mit einem neutralen Bindeglied verkoppelt werden.
l
Statt eines in der Tat vermachtenden und polarisierenden DM-Währungsraumes
(s.o.) gerechtere und ausgleichendere Währungsverhältnisse in den einzelnen
Ländern, die für langfristig stabile und friedfertige Verhältnisse notwendig
vorausgesetzt werden müssen.
l
Statt einer oktroyierten Zwangsgemeinschaft, die nicht nur kulturell, sondern
auch im Hinblick auf den Lebensstandard völlig inhomogen ist und deshalb jede
Identifikation der Individuen mit ihr unmöglich macht, gute währungspolitische
Voraussetzungen für eine echte realwirtschaftliche Konvergenz, aus der dann
erst politische und soziale (und warum dann nicht auch Währungs-) Konvergenz
entstehen kann.
l
Statt einer Festung Europa ein Staatenbund, der sich offen zeigt für die
freiwillige Teilnahme von Ländern aus allen Erdteilen, die Stück für Stück
unter Zuhilfenahme der ihnen gewährten zinslosen Darlehen (s.o.) ihr Wirtschaftspotential
allmählich und behutsam ausbauen, ohne über Schuldenspiralen in
wirtschaftsimperialistische Abhängigkeitsverhältnisse zu geraten.
Keynes’ Plan weist ihn einmal mehr aus als einen
Welt-Ökonomen, der von einem gesunden wohlfahrtspolitischen Instinkt getragen
und nach seinem Tod zu Unrecht auf einen „Mr.
Deficit Spending“ reduziert wurde. Seine Ideen und Gedanken können gerade
heute wegweisend sein für Entwürfe, die ökonomische Vernunft mit Interessen des
Gemeinwohls verbinden.
Literatur:
Altwegg, Jörg: Musterschüler der europäischen Klasse, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.06.96.
Bandulet, Bruno: Was wird aus unserem Geld?, München: Wirtschaftsverlag Langen Müller/Herbig in F.A. 1997.
Deutsche Bundesbank, Monatsberichte, insbes. Feb. u. März 1997.
Gesell, Silvio: Internationale Valuta-Assoziation (IVA), in: Gesammelte Werke Band 12, Lütjenburg: Gauke Verlag GmbH 1992, S. 149 ff.
Hankel, Nölling, Schachtschneider, Starbatty: Die Euro-Klage, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 1998.
Heinsohn, Gunnar und Steiger, Otto: Der Mythos von der Macht der Europäischen Zentralbank und der Härte des Euro, unveröffentlichtes Manuskript zum Vortrag auf dem 1. Bürgerkongreß „Euro, so nicht!“ in der Humboldt-Universität zu Berlin, 27.09.97.
Keynes, John Maynard: Vorschläge für eine Union für den internationalen Zahlungsverkehr (International Clearing Union), in: Wesen und Funktion des Geldes, Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben GmbH 1989.
Sarrazin, Thilo: Der Euro - Chance oder Abenteuer?, Bonn: Dietz-Verlag 1997.
DER SPIEGEL, diverse Ausgaben.
Suhr, Dieter und Godschalk, Hugo: Optimale Liquidität, 1986.
Vanderbrugge, Peter: Die Euro-Lüge, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt/RotbuchVerlag 1997.
DIE WIRTSCHAFTSWOCHE, diverse Ausgaben.
DIE ZEIT,
diverse Ausgaben.
[1] zit. nach Vanderbruggen, S. 154
[2] vgl. Heinsohn sowie Bandulet, der Heinsohn/Steiger ab Seite 56 ff entsprechend zitiert
[3] zit. nach Heinsohn, S. 7; vgl. auch Monatsbericht der Bundesbank, Feb. 1997
[4] DIE ZEIT zit. nach DER SPIEGEL 36/1997, S. 103
[5] DER SPIEGEL 36/1997, S. 103
[6] vgl. Sarrazin S. 83 f
[7] Eine TED-Umfrage unter 200.000 Fernsehzuschauern im Rahmen der ARD-Sendung „Mordfall D-Mark“ zu Beginn des Jahres hatte sogar 84% Euro-Gegner zum Ergebnis. Dies erstaunt insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, daß es sich um eine stark pro-euro-lastige Sendung handelte: So stimmte z.B. eine angeblich nach dem Zufallsprinzip aus dem Telefonbuch ausgewählte 30-köpfige „Jury“ wenige Minuten vor der TED-Umfrage - vielsagend grinsend - geschlossen für den Euro.
[8] vgl. im folgenden Sarrazin, S. 78 ff
[9] zit. nach Sarrazin, S. 80 f
[10] ebda.
[11] ebda., S. 87
[12] zit. nach Altwegg
[13] DIE WIRTSCHAFTSWOCHE Nr. 27/1996
[14] vgl. Gesell, S. 192
[15] dort findet sich auch der unter Freiwirten berühmte Satz „Die Welt wird von Silvio Gesell noch mehr lernen als von Karl Marx.“
[16] im ehemaligen innerdeutschen Handel gab es einmal etwas ganz ähnliches: den sog. „Swing“, eine Art zinsloser Kontokorrent-Kredit für die DDR; die „Währung“ war damals die VE (VerrechnungsEinheit), welche jedoch wertmäßig der DM entsprach.
[17] Keynes, S. 330
[18] ebda., S. 331
[19] vgl. ebda., S. 343
[20] vgl. ebda, S. 344 f
[21] ebda, S. 345
[22] Dabei könnte sogar darauf verzichtet werden, daß das Überschußland auch nur temporär auf seine Ansprüche verzichtet. Allerdings würden dann die saldierten Schuldenkonten der Schuldnerländer m.E. eine gewisse Obergrenze des so gebildeten Fonds darstellen. Denn wenn durch dieses Finanzierungsprinzip aus allen Schuldnern schließlich Gläubiger geworden sind, gibt es plötzlich nur noch Gläubiger, keiner fühlt sich mehr zu Leistungen bemüßigt und das System beginnt zu stocken.
[23] ebda, S. 338
[24] vgl. Suhr, S. 123 ff
[25] Einige Zusammenhänge: Die Unternehmen und Banken im
Leitwährungsland können in der heimischen Währung kalkulieren, Kosten für
Kurssicherungsgeschäfte und Wechselkurs-Provisionen entfallen für sie völlig
und werden auf das Ausland abgewälzt. Der übrige Welthandel muß - auch für den
Handel untereinander - in der Leitwährung liquide sein, die sich schließlich
auch als internationales Wertaufbewahrungsmittel durchsetzt. Dadurch wird ein
Nachfrageschub nach Leitwährung induziert, der bequem mit einer Ausweitung der
Geldmenge in Leitwährung beantwortet werden kann, ohne daß dadurch unmittelbare
Inflationsgefahren für das Leitwährungsland drohen. Denn das Geld wird ja
„draußen“ gebraucht und ist insofern im Inland nicht nachfragewirksam. Der
dadurch entstandene zusätzliche Notenbankgewinn kommt aber natürlich dem
Leitwährungsland zugute.
Als Leitwährungsland läßt es sich auch dann noch gut leben, wenn man vom internationalen Gläubiger zum internationalen Schuldner mutiert ist (wie im Falle der USA geschehen). Denn die Verschuldung in der eigenen Währung gestaltet sich vergleichsweise problemlos: „We just print the money!“
[26] Keynes, S. 335