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[ Übersicht der Texte von T. Betz ]


Thomas Betz                                    

                             

   

 

 

 

Was der Euro wirklich soll und was eine internationale Währung wirklich sollte

 

 

Der Vertrag von Maastricht, die Konvergenzkriterien, Zeitplan, Unabhängigkeit und rechtliche Stellung der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie die Stabilität stehen normalerweise im Mittelpunkt der Euro-Diskussion. Dabei kommen m.E. wesentliche historische und politische Aspekte sowie die Frage nach der zweckmäßigen Konstruktion einer internationalen Währung zu kurz und sollen deshalb im Folgenden beleuchtet werden:

 

Als unseriös bezeichnet werden müssen die verschiedentlich immer wieder zu hörenden und zu lesenden Verweise darauf, daß es sich bei der EWU nicht um die erste Währungsunion handele. Erstens wird unterschlagen, daß es sich dabei in Wirklichkeit um die erste Währungsfusion der Wirtschafts- bzw. Währungsgeschichte der Menschheit handelt. Zweitens wird regelmäßig geflissentlich übersehen, daß sämtliche bisherige Währungsunionen politisch unabhängiger Staaten eben gerade aufgrund realwirtschaftlicher Disparitäten kläglich gescheitert sind.

 

Ebenso unseriös ist der Verweis auf die Gründung des deutschen Reiches: Die Vereinheitlichung der Währung ging der nationalstaatlichen politischen Einigung nicht etwa voraus, wie zuweilen glauben gemacht wird, sondern sie folgte der Bildung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches (1871) nach, und zwar durch das Münzgesetz vom 9. Juli 1873. Vorher bestand zwar über Jahrzehnte der Deutsche Zollverein und es gab Handelsverträge und wirtschaftsrelevante Abkommen (analog den heutigen EWG- bzw. EG-Verträgen), aber weder einen Währungsverbund noch gar eine Währungseinheit.

 

In diesem Zusammenhang wird auch gerne übersehen, daß die in wirtschaftspolitischem Zusammenhang als Vorbild sonst immer hochwillkommenen USA nach ihrer Staatsgründung mehr als ein Jahrhundert benötigten, um sich zu einer für alle Bundesstaaten gültigen gemeinsamen Währung durchzuringen: Erst im Jahre 1913, nachdem die Nivellierung der ökonomischen Strukturen einigermaßen abgeschlossen war (die Unterschiede gerade zwischen den „Nord-“ und den „Südstaaten“ waren im vorigen Jahrhundert gewaltig), bekamen die Vereinigten Staaten eine Zentralbank und eine echte Einheitswährung. Bis dahin wurden Banknoten zunächst von Privatbanken und später von den einzelnen Bundesstaaten herausgegeben, wobei die Kurse der einzelnen „Staatendollar“ zueinander je nach wirtschaftlicher Situation in den betreffenden Staaten unterschiedlich stark variierten. Die Wirtschafts- und Währungsgeschichte der USA ist ein sehr schönes Beispiel für eine Währungsunion, die einer vorangehenden Wirtschaftsunion bedarf und nicht etwa für die umgekehrte Reihenfolge. So ist es nur folgerichtig, daß die US-amerikanische Öffentlichkeit den jüngsten eurokratischen Exzess im günstigsten Fall mit ungläubigem Staunen verfolgt. Es gibt aber auch deutlichere Reaktionen. So R.J. Samuelson in einer Kolumne für das US-Magazin „Newsweek“ Anfang 1997: „Die EWU ist eine bescheuerte Idee. Ehrlich gesagt ist es eine Idee, von der ich dachte, daß sie aufgrund ihrer eigenen Dämlichkeit untergehen würde.“[1]

 

Die EZB und (!!) die nationalen Zentralbanken werden zukünftig die Euro-Ausgabe gemeinsam bewerkstelligen, wobei die EZB selbst nur ca. 8% der Noten ausgeben wird. Dieser Umstand blieb in der bisherigen Debatte fast vollkommen unbemerkt. Man wird sich also damit abfinden müssen, daß Banknoten, die in Deutschland Zahlungsmittel sind, aus Madrid, Rom, Dublin oder Helsinki stammen. Inzwischen ist auch geklärt, daß man den Noten die Herkunft nicht ansehen darf.

 

Das ist freilich nicht so tragisch wie die Tatsache, daß die Noten anderer Zentralbanken nach anderen Grundsätzen emittiert werden:[2] Das Europäische Währungs-Institut (EWI), Vorläufer der EZB, definiert - gemessen an der Praxis der Bundesbank - für die zukünftige Währungspolitik der EZB viel risikoreichere Kategorien von Vermögenswerten, gegen die Euros emittiert werden dürfen: 2 Gruppen absteigender Güte werden genannt:

 

1.: marktfähige Schuldtitel wie Handelswechsel fallen als Sicherheiten mit Euro-Güte unter die sog. Kategorie 1 (entsprechend der Praxis der Bundesbank);

2.: nicht marktfähige Schuldtitel wie Staatspapiere mit beschränkter Marktfähigkeit fallen als Sicherheiten ebenfalls mit Euro-Güte unter die Kategorie 2. Heute dürfen in Italien, Spanien, Portugal Geschäftsbanken per Gesetz verpflichtet werden, solche Papiere in’s Portfolio aufzunehmen (gerade weil sie nicht marktfähig sind). Dort sind bis zu 2/3 der Staatspapiere solche Papiere. Ausdrücklich werden aber auch ganz normale Kreditforderungen von Geschäftsbanken gegen Unternehmen, die auch bei strengster Bonitätsprüfung niemals so risikoarm sein können wie Handelswechsel (Problem: Ein geplatzter Geschäftsbank-Kredit resultiert dann in inflationärem Potential), zugelassen. Das EWI rechtfertigt dies wie folgt: „Im zukünftigen Euro-Währungsraum werden unterschiedliche nationale Finanzstrukturen und Zentralbankgepflogenheiten, insbesondere in Bezug auf private Sicherheiten, existieren.“[3]

 

Es wird sie also doch geben, die Gelddruckmaschine im „Süden“: Der Staat drückt den Geschäftsbanken Anleihen in’s Portfolio; diese refinanzieren sich bei den dortigen nationalen Zentralbanken. Den nationalen Regierungen wird es also weiterhin möglich sein - trotz Maastrichtverbot der direkten Finanzierung durch die nationalen Zentralbanken - die Budgets über die Staatsbank zu finanzieren. Dazu kommt, daß diese Sicherheiten sogar aus Staaten stammen können, die wie Griechenland sich kaum als Euro-Mitglied qualifizieren könnten. Die nationalen Zentralbanken der Schwachwährungsländer, die heute deshalb schwache Währungen emittieren, weil ihr Geld mit risikoreichen Sicherheiten „gedeckt“ ist, dürfen morgen unter dem selben Mechanismus Euros herausgeben, die dann aber überall im europäischen Währungsraum angenommen werden müssen. Der Euro wird also so weich sein wie die schlechtesten Sicherheiten, die irgendwo zwischen Lissabon und Helsinki nach „nationalen Gepflogenheiten“ für die Ausgabe von Euros akzeptiert werden.

 

Nicht von ungefähr bleibt das „schrumpfende Häuflein deutscher Ökonomen, die noch tapfer die Fahne der EWU hochhalten“[4] international eine Gruppe von Außenseitern: „Die überwiegende Mehrheit der US-Ökonomen hält den Euro für ein Vorhaben bar jeder ökonomischer Vernunft. Die Nobelpreisträger Milton Friedman und Merton Miller urteilen übereinstimmend, daß die Nachteile die Vorteile eindeutig überwögen: Die Löhne seien zu unbeweglich, die Beschäftigten zu immobil und der Finanzausgleich zu gering, als daß Europa auf flexible Wechselkurse verzichten könne. Für Paul Krugman, Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology und ein Star seiner Zunft, ist die ganze Währungsunion ein erstaunlich verrückter Prozeß, den man nur politisch, aber nicht ökonomisch verstehen kann“[5].

 

Wie kann man diesen „verrückten Prozeß“ nun politisch verstehen? Was sind die eigentlichen Gründe für die Einführung des Euro?

 

1.

Insbesondere für wirtschafts- und währungsschwache EU-Staaten ist die Frage der Zugehörigkeit zu einem zumindest vergleichsweise starken und stabilen Währungsraum in einem nicht zu unterschätzenden Maße eine Frage des Prestiges. So nimmt es nicht wunder, daß in Italien im Jahre 1997 74% der Bevölkerung für und nur 15% gegen, in Spanien 66% für und 17% gegen, in Griechenland 65% für und 21% gegen, aber eben in Deutschland nur 38% für und 55% gegen die Einführung des Euro waren.[6] (1998 haben sich dabei für Deutschland die Umfrageergebnisse in Folge der öffentlichen Diskussion, die zwar verspätet, aber immerhin doch noch einsetzte, deutlich zugunsten der Euro-Gegner verschoben: Sie liegen gegenwärtig bei mindestens 60% - 70% für die Gegner[7].)

 

Dabei darf man getrost unterstellen, daß mentalitätsbedingt der irrationale Anteil beim Entscheidungsfindungsprozeß im Süden höher ist: So hat beispielsweise Italien in den 80-er Jahren permanent darauf bestanden, daß die Notenbanken den völlig überhöhten Kurs der Lira im EWS verteidigen, allein dem Ruhm und der Ehre wegen (und zur Freude der italienischen Touristen im Ausland), jedoch entgegen jeder ökonomischer Vernunft und sehr zum Leidwesen der lamentierenden heimischen Industrie (und der ausländischen Touristen in Italien). Dazu gesellen sich im Süden auch die von Hankel und anderen Ökonomen vielfach erwähnten Aussichten auf Transferleistungen aus dem Norden sowie die Entlastung der Haushalte durch die dann vergleichsweise niedrigeren Kapitalzinsen.

 

2.

Für die (west-)europäischen Nachbarn haben sich die Motive zur Einbindung Deutschlands durch den Zusammenbruch des Ostblocks und den Zerfall der Sowjetunion dramatisch verstärkt.[8] Durch den sog. „2-plus-4-Vertrag“, der schließlich zum Abzug der russischen Truppen aus der ehemaligen DDR und letztlich auch zur deutschen Einheit führte, hat das Land die alliierten Vorbehalte der Nachkriegszeit endgültig abgeschüttelt und als bevölkerungsreichste Nation in Europa mit rund 80 Mio. Einwohnern seine volle Souveränität wiedererlangt. Die dadurch eingetretene geopolitische Änderung ist zwar gewaltig, wird aber von den Deutschen selbst, die das Gefühl einer Bedrohung für ihre Nachbarn jedenfalls im typischen Fall nicht nachempfinden, gar nicht vollumfänglich erkannt:

 

Trotz zweier verlorener Kriege (oder etwa gerade deswegen?) und erheblicher Gebietsverluste ist die wirtschaftliche Bedeutung Deutschlands in Europa und der Welt erheblich größer geworden. Verglichen etwa mit der Situation um die Jahrhundertwende hat dagegen Rußland die westlichen Teile seines damaligen Reiches eingebüßt, England mit seinem Kolonialreich seinen Weltmachtstatus und auch seine Rolle als industrielle Führungsmacht verloren. Eine Habsburger Monarchie gibt es überhaupt nicht mehr und die ehemaligen Kolonialmächte Spanien und Portugal haben ebenfalls eher an Bedeutung verloren. Das erklärt - großenteils unausgesprochene - Sorgen in vielen europäischen Nachbarländern und den Umstand, daß antideutsche Ressentiments im europäischen Ausland 50 Jahre nach dem Kriege nicht etwa ab-, sondern zunehmen. Das erklärt aber auch den „Qualitätssprung“ und die seit dem Zerfall des Ostblocks und der deutschen Einheit eingetretene Beschleunigung des europäischen Einigungsprozesses, die wiederum ihren Niederschlag im Vertrag von Maastricht finden. Dabei dominiert der politische Antrieb eindeutig die wirtschaftlichen und währungspolitischen Überlegungen. Dies brachte Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung zum Maastricht-Vertrag (13.12.91) auch unmißverständlich zum Ausdruck:

 

„Der Weg zur Europäischen Einheit ist unumkehrbar. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind jetzt für die Zukunft in einer Weise miteinander verbunden, die ein Ausbrechen oder einen Rückfall in früheres nationalstaatliches Denken mit all seinen schlimmen Konsequenzen unmöglich macht. Maastricht ist der Beweis dafür, daß das vereinte Deutschland seine Verantwortung in und für Europa aktiv wahrnimmt und zu dem steht, was wir immer gesagt haben, nämlich, daß die deutsche Einheit und die europäische Einigung zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.... Vieles von dem, was in Amtsstuben in ganz Europa - ich schließe dabei Deutschland nicht aus - heute noch gedacht wird - ich denke an die Widerstände und Überlegungen, daß etwas, was noch nie dagewesen war (etwa eine supranationale Währungsunion von Bestand, T.B.), deswegen auch nicht kommen könne -, wird durch die Entwicklung hinweggefegt werden. Es ist ein dynamischer Prozeß eingeleitet worden, den wir in dieser Form in der modernen Geschichte noch nie hatten.“[9] In der Tat.

 

Wohl nicht von ungefähr brachte auch Konrad Adenauer (Kohl versteht sich ja als dessen geistiger Enkel) ausländischen Staatsgästen gegenüber immer wieder zum Ausdruck, daß er die Westintegration der Bundesrepublik nicht etwa nur aus Kommunistenfurcht betrieben hat, sondern insbesondere auch, weil er der Urteilskraft des deutschen Volkes mißtraute und deshalb ein in den Westen eingebundenes West-Deutschland einem außenpolitisch souveränen Gesamt-Deutschland vorzog. Aber auch die politische Opposition stößt in das selbe Horn: Bei der Ratifizierungs-Debatte zum Maastricht-Vertrag im Bundestag (02.12.92) sagte etwa Heidemarie Wieczorek-Zeul:

 

„Aber ich bin mir ziemlich sicher, sollte die europäische Integration zurückfallen oder gar scheitern und Deutschland sich selbst überlassen bleiben, würde der alte Ungeist wieder in großem Umfang gesellschafts- und politikfähig werden. Die europäische Integration ist auch ein Stabilitätsanker für die politische Stabilität in Deutschland. Das ist der Hauptgrund, warum viele in meiner Fraktion, die Maastricht durchaus kritisch sehen, dem Vertrag und den notwendigen Vertragsänderungen dennoch zustimmen.“[10]

 

Und Kohls Amtsvorgänger und mittlerweilige ZEIT-Herausgeber Helmut Schmidt äußerte am 05.04.96 in dieser Zeitung: „....Wenn es deshalb nicht zur Einbindung Deutschlands und Frankreichs käme, dann stünde Europa bereits früh im 21. Jahrhundert wieder dort, wo es im ganzen 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestanden hatte. Es liegt im zentralen strategischen Interesse Deutschlands, eine Rückkehr zu einer Lage zu vermeiden, in der sich unsere vielen Nachbarn gegen eine vermeintlich oder tatsächlich bedrohliche Stärke Deutschlands miteinander verbünden, um uns Deutsche in Schach zu halten. Wenn der Bundeskanzler in diesem Zusammenhang bisweilen, scheinbar allzu pathetisch, von Krieg und Frieden in Europa spricht, hat er gleichwohl recht!“

 

Ganz offenbar gibt es also einen europäischen, aber eben auch einen deutschen mächtigen und über das ganze politische Spektrum getragenen und in erster Linie politisch motivierten Impuls für die Währungsunion, um darüber die europäische Integration und damit die europäische Einbindung Deutschlands voranzutreiben mit dem letztlichen Ziel, Europa vor Deutschland, aber auch Deutschland vor sich selbst zu schützen. Zu befürchten steht allerdings, daß trotz dieses in geschichtlichen Erfahrungen wurzelnden, wohlmeinenden Motivs, welches gar nicht in Abrede gestellt werden soll, ökonomischer Dilletantismus über das Szenario „Einführung der EWU, Zerfall erst der ökonomischen und dann der politischen Stabilität und schließlich Zerfall der (bislang erreichten) Einheit“ zum geraden Gegenteil dessen führt, was ursprünglich beabsichtigt war.

 

3.

Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang Frankreich: Schon immer war die europäische Integration für Frankreich ein Instrument zur Einbindung eines als bedrohlich empfundenen Deutschland. Dazu trat in jüngerer Vergangenheit das Bestreben, wirtschaftlich und währungspolitisch nicht mehr nur ein bloßes Anhängsel des DM-Währungsraumes zu sein, in dem die Bundesbank praktisch alleine schaltet und waltet und letztlich auch über die Zinsniveaus und Wechselkurse der europäischen Nachbarwährungen bestimmt. Über die währungspolitische Integration soll einer wirtschaftlichen und währungspolitischen deutschen Dominanz dauerhaft entgangen werden. Gegen die eigenen Gewohnheiten und wirtschaftspolitischen Prämissen hat sich Frankreich für dieses Ziel zunächst in der Geldpolitik und allmählich auch in der Fiskalpolitik der deutschen Stabilitätskultur unterworfen und „drängt jetzt danach, die Früchte dieser Anstrengungen in Form einer einheitlichen, der Bundesbank-Dominanz entzogenen europäischen Währung einzustreichen“[11]. Für den Fall der Nichteinführung des Euro fürchtet man insbesondere im Hinblick auf Osteuropa einen neuen Wirtschaftsraum unter deutscher Führung, „eine große, von der D-Mark beherrschte Freihandelszone von Brest bis Brest-Litowsk“, in der Frankreich in eine Randlage gedrängt und „ein vorbildlich demokratisches Deutschland zum Herrscher über Mitteleuropa und zur führenden Macht im großen Europa“ (Alain Minc[12]) wird. Ministerpräsident Juppé äußerte dazu in der deutschen „Wirtschaftswoche“[13] Nr. 27/1996 folgende Befürchtung: „Die Mark-Zone würde sich in Nord- und Mitteleuropa ausbreiten. Das würde das Aussehen dieses Kontinents, an dem wir jetzt seit 40 Jahren arbeiten, total denaturieren.“

 

Diese Furcht sowie der Wunsch nach einer Weltreservewährung, die bei Bedarf administrativ abwertbar sein soll (die Wechselkurskompetenz kommt nicht etwa der EZB, sondern - einmal mehr - dem Europäischen Rat zu) und die in Umfang und Bedeutung dem US-Dollar gleichkommt (und in der man sich deshalb entsprechend im Ausland verschulden kann?), waren schließlich stärker als der normalerweise tragende französische Unwille, Elemente nationaler Souveränität aus der Hand zu geben. Vor diesem Hintergrund wird auch die Kolportage, beim französischen „oui“ zur deutschen Einheit mußte deutscherseits der Euro den Franzosen in die Hand versprochen werden, ohne weiteres nachvollziehbar.

 

4.

Die Haushalts-Lage aller EU-Staaten ist bis auf die eine unbedeutende Ausnahme Luxemburgs zwar in unterschiedlichem Maße, aber dennoch ähnlich desolat und ähnlich hoffnungslos: Auch laut Bundesbank (Monatsbericht vom März 1997) „....droht eine Verschuldungsfalle, in der das Staatsdefizit und der Schuldenstand sich infolge schnell wachsender Zinsbelastungen aus sich selbst heraus ernähren.“ In dieser Situation verschafft ein weicher, inflationsträchtiger Euro über die Effekte einer Real-Abwertung der Staatsschulden und einer Ausweitung der Notenbankgewinne den Haushalts-Budgets zunächst vorübergehend eine gewisse Erleichterung; doch würden im selben Maße dadurch natürlich auch die Schulden-Gläubiger (etwa Inhaber von Bundesschatzbriefen) real „erleichtert“.

 

Im Zusammenhang damit wird die Verantwortung der Nationalstaaten durch die neue Denomination europäisiert, dadurch anonymisiert und psychologisch delegiert. Später ist auch eine tatsächliche Verschuldung Europas als Zentralinstitution (was es bisher noch nicht gab) in Euro denkbar (etwa um die Transfers zu finanzieren). Wie so vieles, so wird auch die Umrechnungsparität der nationalen Währungen in den Euro letztlich administrativ durch den Europäischen Rat entschieden und nicht notwendigerweise durch den Markt. In dem Maße, in dem beispielsweise die deutsche Währung unterhalb der Marktparität festgesetzt würde, wäre bereits ein erster Währungs-Schnitt vollzogen. Davon abgesehen besteht natürlich die Möglichkeit, durch konzertierte Aktionen der nationalen Zentralbanken kurz vor dem Jahresende 1998 gewünschte Marktparitäten zu manipulieren.

 

Nach der endgültigen Festlegung der Teilnehmerstaaten und vor der definitiven Fixierung der internen Wechselkurse zum 01.01.99 ist mit internationalen Währungsturbulenzen zu rechnen; spätestens aber dann, wenn die EZB tatsächlich zu drakonischen Zinsmaßnahmen schreiten muß, um die Zeit zu überbrücken, bis entsprechende administrative Maßnahmen bisherige Defizite bei der Angleichung „nationaler Gepflogenheiten“ der Geldausgabe der NZBs ausgleichen. In dieser Phase sind weitere Schnitte möglich. Und letztlich wäre nach einem endgültigen Scheitern der EWU (5. Stufe?) der Zeitpunkt der Rückkehr in die nationalen Währungen, wenn also - wie Hankel sagt - aus dem Omelett wieder Eier gemacht werden sollen, der ideale Moment für einen „Neubeginn“, für die „Stunde Null“.

 

Unabhängig vom Ausgang des Experiments Euro bleibt die Notwendigkeit, eine weitergehende wirtschaftliche, wirtschaftspolitische und eben auch währungspolitische Integration der Weltwirtschaft in sinnvolle Bahnen zu lenken. Dabei verdient der sog. „Keynes-Plan“, ein von John Maynard Keynes bei den Verhandlungen von Bretton Woods im Jahre 1944 vorgestelltes System internationalen Zahlungsausgleichs, erhöhte Aufmerksamkeit.

 

Grundlegende Gedanken eines derartigen Systems lassen sich bereits in dem von Silvio Gesell im Jahre 1920 unterbreiteten Vorschlag einer Internationalen Valuta-Assoziation (IVA) finden: Dabei sollte neben den weiterexistierenden preisstabilen nationalen Währungen eine von allen an der Assoziation teilnehmenden Ländern (Beitritt und Austritt wäre auch für außereuropäische Staaten jederzeit möglich) als vollgültiges Zahlungsmittel akzeptierte internationale Währung, die „Iva“, umlaufen, deren Wert wiederum zu den nationalen Währungen fixiert sein sollte. Kommt es nun zu Preiserhöhungen bzw. -senkungen in den einzelnen Ländern - etwa aufgrund einer Änderung der umlaufenden (nationalen) Geldmenge oder aber der Umlaufgeschwindigkeit derselben - so hätte dies entsprechende Abflüsse bzw. Zuflüsse von Iva-Noten aus dem bzw. in das betreffende Land zur Folge, was wiederum korrigierend auf das Preisniveau zurückwirken würde. In einer Situation aber, in der eine Erhöhung des nationalen Notenumlaufs die Iva-Noten aus dem betreffenden Land restlos „vertreibt“, nunmehr also die Außenhandelsbilanz nicht mehr zum Ausgleich gebracht werden kann, entsteht - administrativ - die Verpflichtung einer Zinszahlung (!) gegenüber der die Iva-Noten ausgebenden Verwaltung bzw. selbige gibt neue Iva-Noten an das betreffende Land nur noch gegen Agio aus. Dies erzwingt schließlich eine Rücknahme der nationalen Notengeldmenge, welche schließlich zu Preisrückgängen und endlich zu einem entsprechenden Ausgleich der Außenhandelsbilanz führt. Als letztes Mittel sind Interventionen bzw. das Recht auf „Anweisungen“ an die einzelnen Nationalstaaten durch die IVA vorgesehen. Nicht durch eine Internationalisierung des gesamten Geldumlaufes sollte also die Stabilität der Wechselkurse herbeigeführt werden, sondern dadurch, daß man einer beschränkten Anzahl Noten oder Münzen (Gesell sprach von 20%) internationale Gültigkeit verleiht.[14] Gesell war im Hinblick auf die von ihm geforderte endgültige Loslösung des Notengeldes vom Goldstandard seiner Zeit weit voraus, blieb andererseits aber im Hinblick auf seine mangelnde Bereitschaft (weniger sein Unvermögen), Giralgeld als Geld zu denken, Kind seiner Zeit. Insoweit ist es auch utopisch, seine seinerzeitige Idee bruchlos auf heutige Verhältnisse zu übertragen.

 

John Maynard Keynes hat sich nachweislich sehr intensiv mit Gesell auseinandergesetzt. In seinem Hauptwerk, der „General Theory“, widmet er ihm ein ganzes Kapitel.[15] Deshalb womöglich nicht ganz von ungefähr lassen sich Parallelen zur IVA-Idee im bereits erwähnten Keynes-Plan entdecken, der - nun gewollt oder auch nicht - als die modernere Weiterentwicklung der IVA gelten kann: Der Plan besteht in der Gründung einer Union für den internationalen Zahlungsverkehr (International Clearing Union; im Original-Text findet sich auch der Begriff Währungs-Union; damit ist aber nicht die Verschmelzung nationaler Währungen wie beim Euro gemeint; s.u) die auf einem internationalen, gewissermaßen virtuellen Bankgeld, dem sog. „Bancor“, beruht, welches in einem festen (aber nicht für alle Zeit unveränderlichen) Austauschverhältnis zu den teilnehmenden Währungen steht, dabei aber selbst nicht in Notengeldform oder anderweitig als Zahlungsmittel für die Wirtschaftssubjekte in Erscheinung tritt. Dabei sollen die Zentralbanken der Mitgliedsländer bei der International Clearing Union Konten unterhalten, die es ihnen ermöglichen, ihre Devisenbilanzen untereinander, definiert in Bancor-Einheiten, auszugleichen. Dabei würde für Länder mit einer positiven Zahlungsbilanz bei der Clearing Union ein Bancor-Guthaben ausgewiesen werden, für solche mit einer negativen Zahlungsbilanz ein entsprechendes Soll.[16] Das Ganze würde von Maßnahmen begleitet sein, die einer unbegrenzten Anhäufung von Guthaben sowie von Schulden entgegenwirken:

 

Für jeden Mitgliedsstaat wird zunächst die Höhe seiner maximal erlaubten Verschuldung gegenüber der Union festgelegt; die sog. „Quote“, welche jedoch in regelmäßigen Abständen überprüft und angepaßt werden kann. Übersteigt nun der jährliche Durchschnitts-Saldo eines Mitgliedsstaates ein Viertel seiner Quote, so soll vom entsprechenden Differenzbetrag eine Gebühr von 1% an den sog. „Reserve Funds“ der „Clearing Union“ gezahlt werden; und zwar unabhängig davon, ob es sich nun um einen Haben- oder Schuldensaldo handelt. Übersteigt der Saldo die Hälfte der Quote, so erhöht sich die Gebühr auf 2%. Mitgliedsstaaten, die Schulden haben, können aber nunmehr auf Grundlage gegenseitiger Vereinbarungen aus den Guthaben der Mitgliedsstaaten, die über solche verfügen, Anleihen aufnehmen, wodurch beide, die Schuldner wie die Gläubiger, ihre Gebühren an die Clearing Union vermeiden können. Dabei ergibt es sich markt-logisch, daß die Konditionen für diese Anleihen bei Zinssätzen unter 1% bzw. unter 2% liegen werden, da die Schuldner selbstverständlich nicht bereit sind, mehr zu bezahlen als sie an Gebühren an die Clearing Union zu entrichten hätten. Auf der anderen Seite sind die Gläubiger ebenfalls froh, keine Gebühren entrichten zu müssen und geben sich im Idealfall mit einem Zinssatz nahe oder sogar gleich Null zufrieden. Unter den gegebenen Bedingungen ist es sogar vorstellbar, daß sich Gläubiger - zumindest vorübergehend - mit leicht negativen Zinssätzen einverstanden erklären, da sich ihre Position dadurch immer noch günstiger darstellte, als würden sie Gebühren entrichten.

 

Bei Überschreiten des Schuldkontos um mehr als ein Viertel der Quote sind die Mitgliedstaaten zunächst nur berechtigt, den Kurs ihrer Währung gegenüber dem Bancor anzupassen. Bei Überschreitung um mehr als die Hälfte kann die Clearing Union eine bestimmte Abwertung der Währung des Mitgliedstaates verlangen sowie der Regierung des Mitgliedstaates „interne Maßnahmen empfehlen, die dessen inländische Wirtschaft beeinflussen und die zweckmäßig erscheinen, um seine internationale Bilanz wieder ins Gleichgewicht zu bringen“[17]. Übersteigt das Schuldenkonto eines Mitgliedslandes schließlich mehr als drei Viertel seiner Quote, so kann die Clearing Union vom Mitgliedstaat noch weitergehende Maßnahmen verlangen. Falls es dem Mitgliedstaat nicht innerhalb von 2 Jahren gelingen sollte, sein Schuldenkonto unter die betreffende Marke zu senken, so kann ihn die Clearing Union schließlich für zahlungsunfähig erklären und ihm die Berechtigung entziehen, weiterhin sein Konto zu belasten.

 

Aber auch die Gläubiger(-staaten) sollen zur Rechenschaft gezogen werden können: Übersteigt bei einem Mitgliedstaat das Guthabenkonto die Hälfte seiner Quote, so „soll er mit dem Vorstand (der Clearing Union; T.B.) besprechen, welche Maßnahmen zweckdienlich sein könnten, um das Gleichgewicht seiner Außenhandelsbilanz wiederherzustellen“. Hierzu gehören

a) Maßnahmen zur Steigerung der Inlandsanleihen und der Inlandsnachfrage,

b) Aufwertung seiner Landeswährung gegenüber dem Bancor oder aber, alternativ dazu, ein Anheben der Geldlöhne (!),

c) die Reduzierung von Importzöllen und anderen Importhemmnissen (soweit noch vorhanden, s.u.),

d) internationale Darlehen für die Entwicklung zurückgebliebener Länder.[18]

 

Um zu vermeiden, daß bereits bestehende oder aber befürchtete Annäherungen an die Quoten der Teilnehmerländer zu nicht marktkonformen Handelsbeschränkungen bzw. -beeinflußungen führen, die letztlich retardierend auf die Prosperität der gesamten Weltwirtschaft wirken würden, sollen ausgeschlossen werden

 

- Importbeschränkungen

- Tauschhandelsabkommen

- Exportquoten und diskriminierende Exportsteuern

- Exportzuschüsse

- Zölle, „die eine angemessene Höhe übersteigen“.[19]

 

Über den Welthandel hinaus sollte der Bancor auch allerlei segensreiche Wirkungen für andere internationale Aufgaben entfalten. So nannte Keynes in seinem Entwurf die Einrichtung

- internationaler Körperschaften, die sich mit Nachkriegshilfe, Sanierungs-programmen und Wiederaufbau befassen,

- einer übernationalen Ordnungsmacht, „der die Pflicht zur Erhaltung des Friedens und zur Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung auferlegt ist“,

- einer internationalen Investitionsgesellschaft,

- einer internationalen Körperschaft, die mit der Steuerung der Rohstoffversorgung befaßt ist und beispielsweise Rohstoffläger finanziert.[20]

 

Die genannten Institutionen sollten sehr eng mit der ICU zusammenarbeiten - beispielsweise sollte die internationale Ordnungsmacht die Möglichkeit bekommen, zusammen mit der ICU über die weitere Verwendung des Verrechnungskontos eines säumigen Teilnehmerstaates zu befinden etc. - und damit (nunmehr „echt keynesianisch“) „die Übel des Konjunkturzyklus durch die Ausübung von Dämpfungs- oder Wachstumsimpulsen auf das Gesamtsystem oder auf einzelne Bereiche zu bekämpfen“[21]. Die Finanzierung der eher konsumtiven Ausgaben (Ordnungsmacht, Aufbauprogramm) könnte dabei durch den „Reserve Funds“ erfolgen. Die kreditäre Finanzierung beispielsweise der Investitionsgesellschaft wird gewährleistet durch die besondere Fundamental-Eigenschaft der ICU als einer Institution, die multilateral „barter trading“ (Kompensationsgeschäfte) organisiert und auf Basis eines „Geldes“ verrechnet, das lediglich bei der Verbuchung gelieferter Leistungen auf der Aktivseite des Lieferanten und auf der Passivseite des Verbrauchers in Erscheinung tritt, auf Geldverkehr im üblichen Sinne also völlig verzichtet. In Bank-Termini ausgedrückt handelt es sich also um eine „Bank“, die sich einer nicht konvertiblen Währungseinheit bedient, kein Liquiditätsproblem kennt, immer zahlungsfähig ist und dementsprechend auf Reserven verzichten kann. Insofern kann auch darauf verzichtet werden, daß einzelne Mitgliedstaaten Vermögenswerte zur Verfügung stellen, um einen Kapitalstock für einen Fond zu bilden, der Kredite vergibt (wie bei IWF und Weltbank der Fall). Die Mitgliedstaaten müßten nur generell damit einverstanden sein, daß eventuelle Guthaben (die im statistischen Mittel bis zu einem gewissen Grad ohnehin temporär unangetastet blieben) in einen allgemeinen Pool fließen und für gemeinsam genehmigte Vorhaben eingesetzt werden.[22]

 

Ein weiterer bedeutender Vorteil des Systems besteht darin, daß dabei nicht mehr Liquidität über Hortungsmechanismen dem Markt entzogen (insbesondere sollte auch die Konvertibilität des Bancor in Gold explizit ausgeschlossen werden) und dadurch deflationärer Druck mit Kontraktionswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft ausgeübt werden kann. Keynes pries bei seinem System auch den multilateralen Charakter des Beziehungsgeflechts von Handelsströmen, denn ein Land wäre immer im Soll oder Haben mit der ICU als Ganzem und müßte nicht etwa warten, bis „sein“ Gläubiger bzw. Schuldner seine Waren nachfragt bzw. ihm welche liefert. Dies war in der Tat zu Zeiten von Bretton Woods weniger selbstverständlich als dies heute der Fall ist: Zum einen war der Anteil des internationalen Handels am Handel insgesamt weit geringer; zum anderen war internationaler Handel oft bilateral gebunden und - soweit multilateraler Natur - typischerweise Gold-vermittelt. Wir haben heute einen funktionierenden, wenn auch nicht gleichgewichtigen multilateralen Welthandel ohne Bancor, der auch nicht mehr durch Gold vermittelt ist. Aber an die Stelle des Goldes traten die sog. Leitwährungen, insbesondere der US-Dollar. Das war genau, was Keynes verhindern wollte: „Und damit Pfund Sterling und Dollar nicht als Konkurrenz zum Bancor in Zentralbank-reserven auftreten können, müßten die Gründerstaaten übereinkommen, daß sie die Reserveguthaben anderer Zentralbanken, soweit sie über normale Arbeitsguthaben hinausgehen, nicht anerkennen werden....“[23]

 

Was John Manard Keynes am Ende seines Lebens verhindern wollte, war genau die Absicht seiner Kontrahenten. Bekanntermaßen konnte er sich in Bretton Woods nicht durchsetzen. Statt dessen kam der amerikanische „White-Plan“ zum Zuge, ein System fester Wechselkurse mit indirekter Goldbindung, dem US-Dollar im Mittelpunkt und selbstverständlich einer (diesmal positiven) Verzinsung der Überschüsse. Die USA waren nicht nur die wirtschaftliche Siegermacht des 2. Weltkrieges, sondern auch seit 1917 in der Position eines Weltgläubigerlandes. Deshalb entsprach der „White-Plan“ den ökonomischen und politischen Interessen der USA in vollem Umfang.[24] Und genau aus diesem Grunde - und nicht etwa, weil er nicht praktikabel gewesen wäre - wurde der Keynes-Plan in Bretton Woods verworfen.

 

Man muß kein Moralist sein, um das heutige System der Leitwährungen für ungerecht zu halten: Ökonomischen Disparitäten wird dadurch nicht etwa entgegengewirkt, sondern sie werden im Gegenteil verstärkt.[25] Die Nachkriegswirtschaftsgeschichte, insbesondere der sich verschärfende Nord-Süd-Konflikt, spricht diesbezüglich Bände. Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, wollte Keynes „....nicht nur dem Schuldnerland, sondern auch dem Gläubigerland eine Mitverantwortung für die Wiederherstellung der Ordnung auferlegen. .... Die Absicht ist, daß es dem Gläubiger nicht erlaubt sein sollte, vollkommen passiv zu bleiben. Denn wenn er das ist, wird dem Schuldnerland, das aus diesem Grund sowieso schon in der schwächeren Position ist, eine nicht zu verantwortende Last aufgebürdet.“[26]

 

Doch zurück nach Europa: Was könnte eine an Keynes orientierte europäische Währungskonstruktion leisten?

 

l Statt eines nur noch zweifelhaft demokratisch legitimierten und anonymen europäischen Zentralstaates mit einer Einheitswährung, die entweder nicht funktioniert oder aber Ungleichgewichte und soziale Polarisationsprozesse akzeleriert, eigenständige Einzelstaaten, die alleine der kulturellen Vielfalt Europas genügen können mit eigenen, binnenwirtschaftlich stabilisierten Währungen, die mit einem neutralen Bindeglied verkoppelt werden.

 

l Statt eines in der Tat vermachtenden und polarisierenden DM-Währungsraumes (s.o.) gerechtere und ausgleichendere Währungsverhältnisse in den einzelnen Ländern, die für langfristig stabile und friedfertige Verhältnisse notwendig vorausgesetzt werden müssen.

 

l Statt einer oktroyierten Zwangsgemeinschaft, die nicht nur kulturell, sondern auch im Hinblick auf den Lebensstandard völlig inhomogen ist und deshalb jede Identifikation der Individuen mit ihr unmöglich macht, gute währungspolitische Voraussetzungen für eine echte realwirtschaftliche Konvergenz, aus der dann erst politische und soziale (und warum dann nicht auch Währungs-) Konvergenz entstehen kann.

 

l Statt einer Festung Europa ein Staatenbund, der sich offen zeigt für die freiwillige Teilnahme von Ländern aus allen Erdteilen, die Stück für Stück unter Zuhilfenahme der ihnen gewährten zinslosen Darlehen (s.o.) ihr Wirtschaftspotential allmählich und behutsam ausbauen, ohne über Schuldenspiralen in wirtschaftsimperialistische Abhängigkeitsverhältnisse zu geraten.

 

Keynes’ Plan weist ihn einmal mehr aus als einen Welt-Ökonomen, der von einem gesunden wohlfahrtspolitischen Instinkt getragen und nach seinem Tod zu Unrecht auf einen „Mr. Deficit Spending“ reduziert wurde. Seine Ideen und Gedanken können gerade heute wegweisend sein für Entwürfe, die ökonomische Vernunft mit Interessen des Gemeinwohls verbinden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Literatur:

 

 

Altwegg, Jörg: Musterschüler der europäischen Klasse, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.06.96.

 

Bandulet, Bruno: Was wird aus unserem Geld?, München: Wirtschaftsverlag Langen Müller/Herbig in F.A. 1997.

 

Deutsche Bundesbank, Monatsberichte, insbes. Feb. u. März 1997.

 

Gesell, Silvio: Internationale Valuta-Assoziation (IVA), in: Gesammelte Werke Band 12, Lütjenburg: Gauke Verlag GmbH 1992, S. 149 ff.

 

Hankel, Nölling, Schachtschneider, Starbatty: Die Euro-Klage, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 1998.

 

Heinsohn, Gunnar und Steiger, Otto: Der Mythos von der Macht der Europäischen Zentralbank und der Härte des Euro, unveröffentlichtes Manuskript zum Vortrag auf dem 1. Bürgerkongreß „Euro, so nicht!“ in der Humboldt-Universität zu Berlin, 27.09.97.

 

Keynes, John Maynard: Vorschläge für eine Union für den internationalen Zahlungsverkehr (International Clearing Union), in: Wesen und Funktion des Geldes, Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben GmbH 1989.

 

Sarrazin, Thilo: Der Euro - Chance oder Abenteuer?, Bonn: Dietz-Verlag 1997.

 

DER SPIEGEL, diverse Ausgaben.

 

Suhr, Dieter und Godschalk, Hugo: Optimale Liquidität, 1986.

 

Vanderbrugge, Peter: Die Euro-Lüge, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt/RotbuchVerlag 1997.

 

DIE WIRTSCHAFTSWOCHE, diverse Ausgaben.

 

DIE ZEIT, diverse Ausgaben.



[1] zit. nach Vanderbruggen, S. 154

[2] vgl. Heinsohn sowie Bandulet, der Heinsohn/Steiger ab Seite 56 ff entsprechend zitiert

[3] zit. nach Heinsohn, S. 7; vgl. auch Monatsbericht der Bundesbank, Feb. 1997

[4] DIE ZEIT zit. nach DER SPIEGEL 36/1997, S. 103

[5] DER SPIEGEL 36/1997, S. 103

[6] vgl. Sarrazin S. 83 f

[7] Eine TED-Umfrage unter 200.000 Fernsehzuschauern im Rahmen der ARD-Sendung „Mordfall D-Mark“ zu Beginn des Jahres hatte sogar 84% Euro-Gegner zum Ergebnis. Dies erstaunt insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, daß es sich um eine stark pro-euro-lastige Sendung handelte: So stimmte z.B. eine angeblich nach dem Zufallsprinzip aus dem Telefonbuch ausgewählte 30-köpfige „Jury“ wenige Minuten vor der TED-Umfrage - vielsagend grinsend - geschlossen für den Euro.

[8] vgl. im folgenden Sarrazin, S. 78 ff

[9] zit. nach Sarrazin, S. 80 f

[10] ebda.

[11] ebda., S. 87

[12] zit. nach Altwegg

[13] DIE WIRTSCHAFTSWOCHE Nr. 27/1996

[14] vgl. Gesell, S. 192

[15] dort findet sich auch der unter Freiwirten berühmte Satz „Die Welt wird von Silvio Gesell noch mehr lernen als von Karl Marx.“

[16] im ehemaligen innerdeutschen Handel gab es einmal etwas ganz ähnliches: den sog. „Swing“, eine Art zinsloser Kontokorrent-Kredit für die DDR; die „Währung“ war damals die VE (VerrechnungsEinheit), welche jedoch wertmäßig der DM entsprach.

[17] Keynes, S. 330

[18] ebda., S. 331

[19] vgl. ebda., S. 343

[20] vgl. ebda, S. 344 f

[21] ebda, S. 345

[22] Dabei könnte sogar darauf verzichtet werden, daß das Überschußland auch nur temporär auf seine Ansprüche verzichtet. Allerdings würden dann die saldierten Schuldenkonten der Schuldnerländer m.E. eine gewisse Obergrenze des so gebildeten Fonds darstellen. Denn wenn durch dieses Finanzierungsprinzip aus allen Schuldnern schließlich Gläubiger geworden sind, gibt es plötzlich nur noch Gläubiger, keiner fühlt sich mehr zu Leistungen bemüßigt und das System beginnt zu stocken.

[23] ebda, S. 338

[24] vgl. Suhr, S. 123 ff

[25] Einige Zusammenhänge: Die Unternehmen und Banken im Leitwährungsland können in der heimischen Währung kalkulieren, Kosten für Kurssicherungsgeschäfte und Wechselkurs-Provisionen entfallen für sie völlig und werden auf das Ausland abgewälzt. Der übrige Welthandel muß - auch für den Handel untereinander - in der Leitwährung liquide sein, die sich schließlich auch als internationales Wertaufbewahrungsmittel durchsetzt. Dadurch wird ein Nachfrageschub nach Leitwährung induziert, der bequem mit einer Ausweitung der Geldmenge in Leitwährung beantwortet werden kann, ohne daß dadurch unmittelbare Inflationsgefahren für das Leitwährungsland drohen. Denn das Geld wird ja „draußen“ gebraucht und ist insofern im Inland nicht nachfragewirksam. Der dadurch entstandene zusätzliche Notenbankgewinn kommt aber natürlich dem Leitwährungsland zugute.

Als Leitwährungsland läßt es sich auch dann noch gut leben, wenn man vom internationalen Gläubiger zum internationalen Schuldner mutiert ist (wie im Falle der USA geschehen). Denn die Verschuldung in der eigenen Währung gestaltet sich vergleichsweise problemlos: „We just print the money!“

[26] Keynes, S. 335