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Thomas Betz:
Keynes "International Clearing Union"
Modell für den Markt von morgen
Vortrag im Rahmen des Symposiums
„Regionalisierung einer globalen
Wirtschaft durch neutrales Geld“
am Sa., 29.Juni 2002 im Lebensgarten
Steyerberg
“Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist
es die Freiheit, die unterdrückt,
und das Gesetz, das
befreit.“
Die soziale Polarisierung auf unserem
Planeten wächst kontinuierlich. Die Reichen werden immer reicher und die Armen
werden immer ärmer. Die Zahl der Armen ist in den vergangenen Jahren rapide
gestiegen: 1,2 Milliarden Menschen weltweit müssen mit weniger als einem Dollar
am Tag auskommen. Das UNDP (United Nations Development Programme) berichtet,
dass in gut einhundert "Entwicklungsländern" das Pro-Kopf-Einkommen
heute niedriger ist als noch vor 10, 20, ja manchmal dreißig Jahren und dass
1,6 Milliarden Menschen schlechter leben als noch zu Beginn der 1980er Jahre.
Auch im früheren Ostblock (einschließlich Russland) stieg die durchschnittliche
Rate der absoluten Verarmung – die mit 4 US-$ pro Tag definiert wurde – seit
der Wende von 4% auf über 40%. Die Zahl der sogenannten LDC (Least Developed
Countries) hat sich in den vergangenen 30 Jahren auf 49 verdoppelt. Dabei beschleunigt
sich die Konzentration, die Ungleichverteilung der Einkünfte und Vermögen immer
weiter: Der Reichtum der drei reichsten Männer des Globus übertrifft das BIP
der 48 ärmsten Entwicklungsländer. Die reichsten 200 Personen der Welt haben
ihr Nettovermögen zwischen 1994 und 1998 auf mehr als eine Billion Dollar
verdoppelt und besitzen damit fast so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der
Menschheit. 20% der Weltbevölkerung verfügen über 85% des Reichtums. Vor knapp
5 Jahren lag das Verhältnis noch bei 20 zu 76. Während die Einkommensschere
zwischen armen und reichen Ländern für 1960 bei einem Verhältnis von 1:30 lag,
betrug der Abstand 1990 1:60 und 1997 1:74.
Aber warum ist es so, wie es ist und
warum führt die vielbeschworene Globalisierung nicht – wie versprochen – zu
einem Angleichungs-, sondern sehr viel mehr zu einem Polarisationsprozess?
Globalisierung ist zuallererst eine
Globalisierung des Geldes, d.h. des Kapitals, denn die Mobilisierungskosten
sind hier vergleichsweise gering. Dank gewaltiger Fortschritte in der Informationstechnologie
hat sich in den letzten 30 Jahren die Geschwindigkeit, mit der immer mehr
Kapital grenzüberschreitend transferiert werden kann, sehr stark erhöht. Dieses
Kapital fließt bevorzugt dorthin, wo echte (oder auch nur vermeintliche)
Renditechancen am höchsten und Kapitalverkehrskontrollen am geringsten
ausgeprägt sind. Dadurch entsteht ein Angleichungsprozess nationalstaatlicher
Kapitalverkehrskontrollen; und zwar nach unten. Nationalstaaten haben also
tendenziell immer weniger Möglichkeiten, auf Kapital zuzugreifen, das über ihr
Territorium transferiert wird. Versuchen sie es dennoch, sinkt die
Attraktivität des Kapitalstandortes und das Kapital fließt zu anderen, weniger
regulierten Standorten. Dieser Prozess wurde in den 80-er Jahren durch eine von
weltpolitischen Entscheidungen induzierte Liberalisierung der weltweiten
Kapitalmärkte noch verstärkt, welche wiederum auf eine gewisse ideologische
Lufthoheit von Neoklassik, Monetarismus und Neoliberalismus zurückzuführen ist.
Entsprechend dieser Lehren hat eine sog. "optimale Allokation der Ressourcen"
– zu Deutsch: eine Zuführung von Ressourcen an die effektivste Verwendung –
eine maximale Freiheit der Märkte, und somit eben auch der Kapitalmärkte, zur
Voraussetzung.
Die Konkurrenz der Volkswirtschaften um
Kapital führt aber auch dazu, dass dessen Renditechancen überall möglichst hoch
sein müssen. Um als Standort attraktiv zu werden oder zu bleiben, sind die
Staaten zunehmend gezwungen, Vorleistungen zu erbringen, die die Renditechancen
erhöhen, sei es direkt durch aufwendige Infrastrukturmaßnahmen oder indirekt
durch sinkende Steuern auf Unternehmensgewinne. Auch hier ist international ein
Angleichungsprozess der Wirtschaftspolitiken festzustellen. Dazu gesellen sich
die immer intensivere Steuerflucht (der IWF schätzt solche Fluchtgelder als
aktuelle Bestandsgröße international auf ca. 8 Bio. US-$) sowie ein Effekt
namens "tax degradation", der umschreibt, dass die multinationalen
Konzerne, die ja zwei Drittel des Welthandels bestreiten, immer mehr Möglichkeiten
nutzen, Gewinne und Kosten "steueroptimal" so auf dem Globus zu
verteilen, dass möglichst wenig und im Idealfall überhaupt keine Steuern mehr
gezahlt werden. Die hohe Mobilität des Kapitals beeinträchtigt nun die soziale Leistungsfähigkeit
selbst der wirtschaftlich erfolgreichsten Nationalstaaten. Denn die Staaten
sind nunmehr gezwungen, die weniger mobilen Produktionsfaktoren stärker zu
besteuern, insbesondere die Arbeit. Folgerichtig hat der Anteil der
Kapitalbesteuerung an den Steuereinnahmen der EU-Staaten innerhalb von 14
Jahren um ca. 30% ab- und im gleichen Zeitraum der Steueranteil von Arbeit um
ca. 14% zugenommen – mit entsprechenden Konsequenzen einerseits für die
Arbeitslosigkeit und andererseits für die Realeinkommen. In Deutschland
erbrachten die Steuern auf Kapitaleinkommen im Jahre 1960 noch fast die Hälfte
des gesamten Steuereinkommens; im Jahre 2000 waren es nur noch 15%. Damit nun
Niedriglohnempfänger nicht schlechter gestellt werden als Sozialhilfeempfänger,
wird immer mehr auch im sozialpolitischen Bereich und auch bei Programmen, die
der sozialen Grundsicherung dienen, gekürzt. Kein Staat kann im Alleingang aus
diesen Zugzwängen aussteigen.
Wo die Marktkräfte gegenüber der Politik
extrem dominieren, wie in den USA, setzen sich die neuen Verteilungsrelationen
gewissermaßen naturwüchsig durch. Die Folge sind steigende Kapitaleinkommen,
stagnierende oder rückläufige Arbeitseinkommen, zunehmende Lohndifferenzierung
und sich ausbreitende Armut. (Man spricht in den USA bereits von den sog.
"working poor": Das sind die, die arbeiten und trotzdem arm sind.) Wo
aber, wie in den europäischen Sozialstaaten, Politik und Gewerkschaften noch
stärker an Verteilungspolitik orientiert sind, stagniert die Beschäftigung und
steigt die Arbeitslosigkeit insbesondere bei den gering qualifizierten
Arbeitskräften mit der zusätzlichen Folge, dass die hohen Kosten der
Massenarbeitslosigkeit auch die Finanzierungsbasis der sozialen
Sicherungssysteme bedrohen. Politik und Gewerkschaften stehen hierzulande vor
dem Dilemma, entweder den weiteren Anstieg der Massenarbeitslosigkeit zu
begünstigen oder aber durch aktives politisches Handeln die
verteilungspolitischen Konsequenzen der neuen Lage selbst durchzusetzen.
Das sozialpolitische Ziel
"allgemeine Wohlfahrt" wird also durch die Beschleunigung wirtschaftlicher
Transaktionen in Frage gestellt und aus der Unterwerfung unter das Regime der
Finanzmärkte wird ein Anschlag auf die Demokratie: Zwar hat weiterhin jeder
Bürger eine Stimme und die Politiker müssen noch immer den Interessenausgleich
zwischen allen gesellschaftlichen Schichten suchen, um Mehrheiten zu bekommen.
Aber nach der Wahl entscheidet das monetäre Stimmrecht, demzufolge bei
Renditeerwartungen von 15% für Lohnerhöhungen kein Platz ist. Auch durch die
immer augenscheinlichere Käuflichkeit politischer "Entscheidungen"
verliert das Regierungssystem Demokratie in seiner bisherigen Form an
Glaubwürdigkeit und .... Legitimität: Demokratische Entscheidungen der Politik
werden entweder durch die Märkte ersetzt oder es entsteht der Ruf nach weniger
Staat, der aber eigentlich meint: weniger Demokratie.
Wir müssen konstatieren: Das
demokratische Korrektiv des real existierenden Kapitalismus, das denselben vor
sich selbst geschützt hat, indem es der systemimmanenten Neigung zum
Nachfrageausfall durch Stärkung der Gewerkschaften, progressive Umverteilung
(also von oben nach unten), staatliche Nachfrage und entsprechende Steuer- und
Geldpolitik entgegenwirkte, ist verlorengegangen. In einer Welt der
globalisierten Ökonomie besteht auch keine wirkliche Chance auf
Wiedererrichtung dieses Korrektivs auf nationalstaatlicher Ebene. Deshalb ist
es logisch konsequent, dem globalen Kapitalismus ein globales demokratisches Korrektiv
gegenüberzustellen und deshalb ist es so richtig, was eine – globale! –
Bewegung wie attac versucht und so wichtig, was sie leistet.
Die These, ein völlig deregulierter und
"freier" Kapitalmarkt garantiere die "optimale Allokation der
Ressourcen", ist kein neoklassisches Märchen. Für die betroffenen Menschen
der brachliegenden Ressource Arbeitskraft in den von der Asien-Krise
geschüttelten Ländern und aktueller noch in Argentinien ist sie ein
neoklassischer Alptraum: Über Nacht haben diese Krisen die Erfolge einer
Generation zunichte gemacht: Breite Bevölkerungsschichten bis in die städtische
Mittelschicht hinein wurden betroffen und in absolute Armut zurückgeworfen.
Allein in Indonesien ist die Zahl der unter Hunger bzw. Mangelernährung
leidenden Menschen von 20 auf 100 Mio. gestiegen. Eine neu entstandene
gesellschaftliche Mittelschicht, die auf 20-40 Mio. geschätzt wurde, ist
komplett weggebrochen. Arbeitslosigkeit, Verzweiflung, Hunger und Gewalt
führten zu politischen Unruhen und massiver Staatsgewalt. Wachstumseinbrüche
und Auftragsrückgänge hatten Konkurse, Schließungen und Massenentlassungen zur
Folge und resultierten in Rückgängen des Bruttosozialprodukts um bis zu 20%.
Nicht besser erging es Argentinien: Der Handel berichtet von Umsatzeinbußen von
bis zu 60% gegenüber dem Vorjahr; ähnliche Zahlen werden für Importe wie
Exporte vermeldet. Gesundheitswesen und Bildung sind zerfetzt respektive
“liberalisiert“; d.h. nur noch einer kleinen zahlungskräftigen Oberschicht
zugänglich. Hunderttausende ehemalige Angestellte des öffentlichen Dienstes
stehen auf der Straße; nur zum geringsten Teil “Wasserkopf-Beamte“, sondern
gerade Kräfte aus den Bereichen Bildung, Erziehung, Gesundheit und Soziales.
Von den 36 Millionen Argentiniern leben 14 Millionen offiziell unter der
Armutsgrenze! Der mittlere Lohn derer, die noch eine Arbeit haben, ist
gegenüber 1974 nur noch die Hälfte wert.
George Soros, der erfolgreichste
Spekulant der letzten 30 Jahre und einer, der die Weltfinanzmärkte kennt wie
kein anderer, selbst studierter Ökonom und lange Jahre gläubiger Anhänger der
herrschenden neoklassischen Lehre, kommt in seinem Buch Die Krise des globalen
Kapitalismus zu dem Schluss, dass "der Stand der Dinge pathologisch
und unhaltbar ist. Die Finanzmärkte sind ihrem Wesen nach instabil; und bestimmte
gesellschaftliche Bedürfnisse lassen sich nicht befriedigen, indem man den
Marktkräften freies Spiel gewährt." Er wirft der Neoklassik vor, eine
grundfalsche Vorstellung davon zu haben, wie Finanzmärkte funktionieren, da die
Gleichgewichtstheorie in der Ökonomie einer völlig verfehlten Analogie zur
Physik entspringe. Die Preisbildung auf den Finanzmärkten folgt nicht den
Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage, sondern richtet sich nach
Zukunftserwartungen und psychologischen Faktoren. Finanzmärkte spiegeln
demzufolge die Realität bzw. die sog. Realsphäre der Güter und Dienstleistungen
nicht etwa passiv wieder, sondern sie erschaffen aktiv die Wirklichkeit, die
sie ihrerseits reflektieren. Dadurch entsteht das Phänomen sich selbst
verstärkender und eskalierender Prozesse, in denen die Erwartungen über die
Zukunft wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Zukunft haben, die
ihrerseits wiederum die künftigen Erwartungen prägt. Nicht Wissen, sondern
Vorurteile liegen den Handlungen der Marktteilnehmer zugrunde. Die sog.
reflexive Rückkopplung kann die Vorurteile so verstärken, dass die Märkte sich
immer weiter vom Gleichgewichtszustand entfernen, ohne eine Tendenz zur
Rückkehr zum Ausgangspunkt zu zeigen. Dabei spielt es längst keine Rolle mehr,
dass sich die Einschätzungen der Marktteilnehmer immer weiter von den
Fundamentaldaten entfernen. Selbst der Umstand, dass den Marktteilnehmern ihre
eigenen "Fehleinschätzungen" zunehmend bewusst werden, kann daran
nichts ändern. Ein vergleichsweise nichtiger Anlass sorgt nun für ein
Umspringen der Boom- in eine Bust-Phase – die Seifenblase platzt – und der
Markt bewegt sich ab sofort in der Gegenrichtung, typischerweise viel schneller
als in der Boom-Phase, schießt weit über den Gleichgewichtspunkt hinaus und stürzt
in’s Bodenlose.
Soros beobachtet in diesem Zusammenhang
ein häufig sich wiederholendes Muster, demzufolge das Kapital sich zunächst in
den Zentren des globalen Geldsystems sammelt und dann in die Peripherie – also
in die dritte Welt – gepumpt wird, um nach Platzen der Seifenblase in die
Zentren zurückzufluten. Er vergleicht solchermaßen das internationale
Finanzsystem in seinen Auswirkungen auf ganze Volkswirtschaften mit einer
Abrissbirne, die ein Gebäude nach dem anderen in Trümmer legt.
2. Stufen eines möglichen Therapieplanes
2.1. Eine Reform des IWF
2.2. Stabilisierung der Wechselkurse
zwischen den 3 Leitwährungen US-Dollar, Euro und japanischem Yen respektive die
Schaffung eines Zielzonensystems würde dem internationalen Spekulationskapital
eine weitere Geschäftsgrundlage entziehen.
2.3.
De-Deregulierung/Kapitalverkehrskontrollen
Den Nationalstaaten muss die Möglichkeit
erhalten bleiben, sowohl hereinströmendes als auch "auswanderndes"
Kapital im Einklang mit den Prioritäten der nationalen Wirtschaftspolitik zu
regulieren. Bedrohte Staaten sollten sogar politisch dazu ermutigt werden, sich
durch Kapitalverkehrskontrollen auf nationaler Ebene gegen kurzfristigen
Geldzufluss aus dem Ausland abzuschirmen. Der selektive Einsatz solcher
Kontrollen ist nicht nur ein legitimes Instrument, das nicht länger
stigmatisiert werden darf. Die jüngsten Erfahrungen Chiles und Malaysias, die
Kapitalverkehrskontrollen wiedereingeführt, aber auch Chinas und Indiens, die
sie nie abgeschafft und ihre Binnenmärkte nur sehr vorsichtig geöffnet haben,
zeigen auch, dass durch Kapitalverkehrskontrollen effektiv dazu beigetragen
werden kann, die nationale Ökonomie vor den Ansteckungsgefahren internationaler
Finanzkrisen zu schützen. Selbst die Europäische Union hat sich im Vertrag von
Maastricht den Rückgriff auf Kapitalverkehrskontrollen vorbehalten.
2.4. Einführung der Tobin-Steuer
Bereits in den 70-er Jahren kam der
amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger James Tobin zu dem Schluss, dass ein
deregulierter Kapitalfluss mit seinen abrupten Richtungsänderungen und
chaotischen Kursausschlägen der sog. Realsphäre der Wirtschaft schadet. Er
empfahl deshalb, auf alle Devisentransaktionen einen Steuersatz von einem
Prozent zu erheben. Der Satz erscheint vielleicht zunächst niedrig, hätte aber
durchschlagende Wirkung: Denn damit wäre die kurzfristige Devisenspekulation
von einem Moment zum anderen erledigt, da in diesem Bereich nur winzige
Arbitrage-Margen "erwirtschaftet" werden. Hedge-Fonds und
anderweitiger Missbrauch von Finanzderivaten müssten dann gar nicht eigens
verboten werden. Aber auch das Geschäft mit den Zinsdifferenzen zwischen den
verschiedenen Märkten und Ländern würde sich nur noch in Ausnahmefällen lohnen,
weil ja bei einer derartigen Operation mindestens 2% an den Fiskus abzuführen
wären. (Berücksichtigt man, dass in diesem Bereich hauptsächlich auf extrem
kurzfristige Papiere mit einer Laufzeit von 3 Monaten spekuliert wird, so
könnten sich die Nationalstaaten Abweichungen vom "herrschenden"
Zinsniveau bis zu 8% "leisten", ohne sich in
(Spekulations-)"Gefahr" zu begeben.) Insgesamt würden sich die
spekulativen Umsätze drastisch vermindern und die Kursentwicklungen würden sich
eher an realen und fundamentalen volkswirtschaftlichen Daten orientieren.
Die Notenbanken könnten wieder unabhängig
voneinander das Zinsniveau auf nationalen Märkten steuern, so wie es der
jeweiligen Wirtschaftslage ihrer Länder angemessen ist. Auch wenn in den USA
die Konjunktur brummt, könnten die in der Rezession gefangenen Europäer ihr Geld
deutlich billiger ausleihen als die Fed (was z.B. im Moment nicht so ohne
weiteres möglich ist). Notenbankinterventionen gewännen wieder an Gewicht und
die Notenbanken hätten bessere Möglichkeiten, Kurse zu stabilisieren. Die
Unmenge auf der Suche nach kurzfristiger Rendite vagabundierenden Kapitals
würde in klassische Rendite-Projekte zurückgezwungen und dadurch auch eine
Absenkung des allgemeinen Zinsniveaus induzieren. Nicht zuletzt ist der
mögliche fiskalische Ertrag zu nennen, der bei heutigen und unveränderten
Umsätzen weltweit bei rund 4 Billionen US-Dollar jährlich liegen würde;
allerdings geht man ja von dann geringeren Devisenumsätzen aus und schätzt
entsprechend den fiskalischen Ertrag global auf ca. 1 Billion US-Dollar;
immerhin 1.000 Mrd. US-Dollar, mit denen sich so manches Staatsbudgetdefizit
ausgleichen ließe.
3. Weitergehende Maßnahmen zur
Depolarisierung der Weltwirtschaft
(Würden diese genannten Reformvorschläge
erst einmal realisiert, wäre die Welt zwar eine relativ bessere, aber noch keine
ganz gute. Warum?)
Die hochproduktiven Volkswirtschaften der
Industrieländer sind in einer Aufbauphase – beispielsweise in Deutschland nach
dem 2. Weltkrieg – zunächst durch hohe Gewinne und hohe Einkommen
gekennzeichnet. Mit zunehmender Sättigung der Märkte werden Gewinne wie
Einkommen zunehmend nicht mehr sofort konsumiert. Diese Unterkonsumption,
dieser Nachfrageausfall führt zu einer Unterauslastung der Ressourcen
einschließlich der Ressource Arbeitskraft und mithin zu Arbeitslosigkeit. Nun
kommt es zu Selbstverstärkungsprozessen: Der Druck auf die Reallöhne wird
größer, ebenso die Nachfragelücke, die Unterauslastung der Ressourcen, die
Arbeitslosigkeit u.s.w. (Durch die stärker werdende Ungleichverteilung wird die
(aggregierte) Gesamtnachfrage noch weiter verringert.) Die Wachstumsraten des
Sozialproduktes gehen zurück. (Was für Marx der tendenzielle Fall der
Profitrate, war für Keynes die sinkende Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals.)
Schließlich fallen die Wachstumsraten der sog. Realsphäre der Ökonomie unter
die Wachstumsraten des Geldes, also des Zinses. Die sog. monetäre Sphäre
entkoppelt sich von der realen. In einer solchen Situation – und das ist die
gegebene für die modernen Industriestaaten nunmehr seit Jahren – sind die
Verteilungseffekte eindeutig und stark regressiv, d.h. es findet eine
Umverteilung von unten nach oben statt: Die Schuldner – und dazu gehören
insbesondere auch Unternehmen – verarmen, während der Reichtum von
Geldvermögensbesitzern extrem zunimmt.
Der Anstieg des Geldvermögens, d.h. die
Ansammlung von Einkommensüberschüssen und Ersparnisbildung über Zinsen und
Renditen in den Industrieländern übersteigt die Wachstumsraten der sog.
Realsphäre, also der Güter und Dienstleistungen gemessen im sog.
Brutto-Inlands-Produkt BIP, bereits seit langem. Man muss nur einmal die
täglich neu veröffentlichte sog. Umlaufrendite in Deutschland – d.i. die
Durchschnittsrendite öffentlicher Anleihen, die eine Art Mindeststandard für
Renditeerwartungen setzt – mit der deutschen Wachstumsrate des BIP vergleichen:
So liegt die Umlaufrendite derzeit bei 4,8%, das Wachstum des BIP aber bei
allerhöchstens 2% und das auch nur, wenn alles glatt läuft. Gemäß
OECD-Statistik gilt auch global bereits seit Jahren, dass die realen Zinsen
oberhalb der realen Wachstumsrate des BIP und sogar oberhalb der Wachstumsrate
der Faktorproduktivität liegen. Die heimischen Vermögens- und Kapitalbesitzer
(und auch die der anderen Industrieländer) sehen zu Hause keine ausreichenden
Verwertungsmöglichkeiten für ihr Kapital. Zum einen unterbleiben dadurch in den
heimischen Ländern gesellschaftlich wichtige Zukunftsinvestitionen in den
Bereichen Umwelt, Jugend, Ausbildung, Kultur. Zum anderen aber sucht das
ständig schneller anwachsende Anlagekapital nunmehr auf den Weltmärkten nach
höchstmöglicher Verwertung, d.h. Kapitalverzinsung: 1980 betrug dieses
Anlagekapital etwa 5, 1992 bereits 35 und 2000 80 Billionen US-$. Die
langfristigen Wachstumspotentiale in den bevölkerungsreichen Schwellen- und
Entwicklungsländern sind aber weit höher als die in den Industrieländern und
sorgen deshalb für entsprechende Anlageattraktivität. Neben den
Renditeerwartungen sind aber auch die Risikoprämien und entsprechend die
Zinssätze sehr hoch. Im Ergebnis zahlen Entwicklungsländer mehr für Zinsen und
Tilgungen an die Gläubigerländer als sie an Krediten und Entwicklungshilfe von
diesen erhalten. Die Nettokapitalströme verlaufen von Süd nach Nord und nicht
etwa umgekehrt! Weil aber Geldvermögen und Geldschulden 2 Seiten ein und
derselben Medaille sind und sich die Kapitalanhäufung der Gläubiger in den entwickelten
Industrieländern vollzieht, die Entwicklungs- und Schwellenländer aber die
Schuldner sind, führen entsprechende Krisen auch vorzugsweise dort zu
Wirtschaftskatastrophen. Spätestens dann aber, wenn im Zuge einer solchen
Katastrophe die dortigen Währungen dramatisch abgewertet wurden und sich die
Auslandsschulden dadurch nochmals schlagartig vergrößert haben, wird deutlich,
dass unter diesen Umständen eine Kapitalbildung und ein langfristig sicheres
Wachstum in der Peripherie gar nicht möglich sind. Kapitalakkumulation und
Wohlstandsmehrung in den Armutsländern wird verhindert und fortgesetzte
Abhängigkeit von Auslandskapital perpetuiert. Eine Eindämmung des Wachstums des
Geldvermögens in den Industrieländern ist daher notwendige Voraussetzung dafür,
eine Kapitalbildung in den Entwicklungsländern überhaupt erst zu ermöglichen.
Um den Selbstvermehrungsmechanismus, der dem Geldvermögen innewohnt,
abzubremsen, um die wachsende Ungleichverteilung zwischen Schuldnern und
Geldvermögensbesitzern zu stoppen und die Explosivwirkung von Armut und Elend
auf der einen und maßlosem Reichtum auf der anderen Seite zu entschärfen,
müssen die realen Zinssätze global gegen Null gedrängt werden.
Wie sollte so etwas möglich sein?
4. Keynes’ Bancor-Plan
Seit nunmehr 58 Jahren (!) wird ein
entsprechender Plan so erfolgreich totgeschwiegen, dass teilweise selbst
Universitätsprofessoren davon noch nie etwas gehört haben. Dieser Plan wurde
vom bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts auf der bedeutendsten Konferenz
des 20. Jahrhunderts vorgestellt: Von John Maynard Keynes in Bretton Woods im
Jahre 1944, wo die Sieger des 2. Weltkrieges über die Weltwirtschaftsordnung
der Nachkriegszeit berieten und befanden.
(Grundlegende Gedanken eines derartigen
Systems lassen sich bereits in dem von Silvio Gesell im Jahre 1920
unterbreiteten Vorschlag einer Internationalen Valuta-Assoziation (IVA) finden:
Dabei sollte neben den weiterexistierenden preisstabilen nationalen Währungen
eine von allen an der Assoziation teilnehmenden Ländern als vollgültiges
Zahlungsmittel akzeptierte internationale Währung, die “Iva“, umlaufen, deren
Wert wiederum zu den nationalen Währungen fixiert sein sollte. Kommt es nun zu
Preiserhöhungen bzw. -senkungen in den einzelnen Ländern – etwa aufgrund einer
Änderung der umlaufenden (nationalen) Geldmenge oder aber der
Umlaufgeschwindigkeit derselben – so hätte dies entsprechende Abflüsse bzw.
Zuflüsse von Iva-Noten aus dem bzw. in das betreffende Land zur Folge, was
wiederum korrigierend auf das Preisniveau zurückwirken würde. In einer
Situation aber, in der eine Erhöhung des nationalen Notenumlaufs die Iva-Noten
aus dem betreffenden Land restlos “vertreibt“, nunmehr also die
Außenhandelsbilanz nicht mehr zum Ausgleich gebracht werden kann, entsteht –
administrativ – die Verpflichtung einer Zinszahlung (!) gegenüber der die
Iva-Noten ausgebenden Verwaltung bzw. selbige gibt neue Iva-Noten an das
betreffende Land nur noch gegen Agio aus. Dies erzwingt schließlich eine
Rücknahme der nationalen Notengeldmenge, welche schließlich zu Preisrückgängen
und endlich zu einem entsprechenden Ausgleich der Außenhandelsbilanz führt. Als
letztes Mittel sind Interventionen bzw. das Recht auf “Anweisungen“ an die
einzelnen Nationalstaaten durch die IVA vorgesehen. Nicht durch eine
Internationalisierung des gesamten Geldumlaufs sollte also die Stabilität der
Wechselkurse herbeigeführt werden, sondern dadurch, dass man einer beschränkten
Anzahl Noten oder Münzen (Gesell sprach von 20%) internationale Gültigkeit
verleiht.[2] Gesell war im
Hinblick auf die von ihm geforderte endgültige Loslösung des Notengeldes vom
Goldstandard seiner Zeit weit voraus, blieb andererseits aber im Hinblick auf
seine mangelnde Bereitschaft (weniger sein Unvermögen), Giralgeld als Geld zu
denken, Kind seiner Zeit. Insoweit ist es auch utopisch, seine seinerzeitige
Idee bruchlos auf heutige Verhältnisse zu übertragen.
John Maynard Keynes hat sich nachweislich
sehr intensiv mit Gesell auseinandergesetzt. In seinem Hauptwerk, der “General
Theory“, widmet er ihm neben vielen Hinweisen ein ganzes Kapitel.[3] Deshalb
womöglich nicht ganz von ungefähr lassen sich Parallelen zur IVA-Idee im
bereits erwähnten Keynes-Plan entdecken, der – nun gewollt oder auch nicht –
als die modernere Weiterentwicklung der IVA gelten kann:)
Der sog. Keynes-Plan oder Bancor-Plan sah
die Gründung einer Union für den internationalen Zahlungsverkehr, der sog.
"International Clearing Union", vor, die auf einem internationalen –
gewissermaßen virtuellen – Bankgeld, dem sog. Bancor, beruht. Der Bancor sollte
in einem festen (aber nicht für alle Zeit unveränderlichen) Austauschverhältnis
zu den teilnehmenden Währungen stehen, dabei aber selbst nicht in Notengeldform
oder anderweitig als Zahlungsmittel für die Wirtschaftssubjekte in Erscheinung
treten. Die Zentralbanken der Mitgliedsländer sollten bei der International
Clearing Union Konten unterhalten, die es ihnen ermöglichen, ihre
Leistungsbilanzen untereinander, definiert in Bancor-Einheiten, auszugleichen.
Für Länder mit einer positiven Leistungsbilanz (die also mehr Güter und
Dienstleistungen exportieren) würde bei der Clearing Union ein Bancor-Guthaben
ausgewiesen werden, für solche mit einer negativen Bilanz ein entsprechendes
Soll. (Im ehemaligen innerdeutschen Handel gab es auf bilateraler
Ebene einmal etwas ganz Ähnliches: den sog. Swing, eine Art zinsloser Kontokorrent-Kredit
für die DDR; die "Währung" war damals die VE (Verrechnungs-Einheit),
welche jedoch wertmäßig der DM entsprach.)
Das Ganze würde von Maßnahmen begleitet
sein, die einer unbegrenzten Anhäufung von Guthaben sowie von Schulden
entgegenwirken: Für jeden Mitgliedstaat wird zunächst die Höhe seiner maximal
erlaubten Verschuldung gegenüber der Union festgelegt: die sog. "Quote",
welche jedoch in regelmäßigen Abständen überprüft und angepasst werden kann.
Übersteigt nun der jährliche Durchschnitts-Saldo eines Mitgliedsstaates ein
Viertel seiner Quote, so soll vom entsprechenden Differenzbetrag eine Gebühr
von 1% an den sog. Reserve-Fonds der "Clearing Union" gezahlt werden;
und zwar unabhängig davon, ob es sich nun um einen Haben- oder Schuldensaldo
handelt. Übersteigt der Saldo die Hälfte der Quote, so erhöht sich die Gebühr
auf 2%. Mitgliedsstaaten, die Schulden haben, können aber nunmehr auf Grundlage
gegenseitiger Vereinbarungen aus den Guthaben der Mitgliedsstaaten, die über
solche verfügen, Anleihen aufnehmen, wodurch beide, die Schuldner wie die
Gläubiger, ihre Gebühren an die Clearing Union vermeiden können. Dabei ergibt es
sich markt-logisch, dass die Konditionen für diese Anleihen bei Zinssätzen
unter 1% bzw. unter 2% liegen werden, da die Schuldner selbstverständlich nicht
bereit sein würden, mehr zu bezahlen als sie an Gebühren an die Clearing Union
zu entrichten hätten. Auf der anderen Seite sind die Gläubiger ebenfalls froh,
keine Gebühren entrichten zu müssen und geben sich im Idealfall mit einem Zinssatz
nahe oder sogar gleich Null zufrieden. Unter den gegebenen Bedingungen ist es
ebenso vorstellbar, dass sich Gläubiger – zumindest vorübergehend – mit leicht
negativen Zinssätzen einverstanden erklären, da sich ihre Position dadurch
immer noch günstiger darstellte, als wenn sie Strafgebühren entrichten müssten.
Bei Überschreiten des Schuldkontos um
mehr als ein Viertel der Quote sind die Mitgliedstaaten zunächst nur
berechtigt, den Kurs ihrer Währung gegenüber dem Bancor anzupassen. Bei
Überschreitung um mehr als die Hälfte kann die Clearing Union eine bestimmte
Abwertung der Währung des Mitgliedstaates verlangen sowie der Regierung des
Mitgliedstaates "interne Maßnahmen empfehlen, die dessen inländische
Wirtschaft beeinflussen und die zweckmäßig erscheinen, um seine internationale
Bilanz wieder ins Gleichgewicht zu bringen" . Übersteigt das
Schuldenkonto eines Mitgliedslandes schließlich mehr als drei Viertel seiner
Quote, so kann die Clearing Union vom Mitgliedstaat noch weiter gehende
Maßnahmen verlangen. Falls es dem Mitgliedstaat nicht innerhalb von 2 Jahren
gelingen sollte, sein Schuldenkonto unter die betreffende Marke zu senken, so
kann ihn die Clearing Union schließlich auch für zahlungsunfähig erklären und
ihm die Berechtigung entziehen, weiterhin sein Konto zu belasten.
Aber auch die Gläubiger(-staaten) sollen
zur Rechenschaft gezogen werden können: Übersteigt bei einem Mitgliedstaat das
Guthabenkonto die Hälfte seiner Quote, so "soll er mit dem Vorstand
(der Clearing Union) besprechen, welche Maßnahmen zweckdienlich sein könnten,
um das Gleichgewicht seiner Außenhandelsbilanz wiederherzustellen".
Hierzu gehören
a) Maßnahmen
zur Steigerung der Inlandsnachfrage,
b)
Aufwertung seiner Landeswährung gegenüber dem Bancor oder aber – ergänzend bzw.
alternativ – ein Anheben der Geldlöhne,
c) die
Reduzierung von Importzöllen und anderen Importhemmnissen,
d)
internationale Darlehen für die Entwicklung zurückgebliebener Länder.
Über den Welthandel hinaus sollte der
Bancor auch allerlei segensreiche Wirkungen für andere internationale Aufgaben
entfalten. So nannte Keynes in seinem Entwurf die Einrichtung[4]
–
internationaler Körperschaften, die sich mit Nachkriegshilfe,
Sanierungsprogrammen und Wiederaufbau befassen,
–
einer übernationalen Ordnungsmacht, “der die Pflicht zur Erhaltung des
Friedens und zur Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung auferlegt ist“,
–
einer internationalen Investitionsgesellschaft,
– einer
internationalen Körperschaft, die mit der Steuerung der Rohstoffversorgung befasst
ist und beispielsweise Rohstoffläger finanziert.
Die genannten Institutionen sollten sehr
eng mit der ICU zusammenarbeiten[5] und damit
(nunmehr “klassisch keynesianisch“) die Übel des Konjunkturzyklus durch die
Ausübung von Dämpfungs- oder Wachstumsimpulsen auf das Gesamtsystem oder auf
einzelne Bereiche zu bekämpfen. Die Finanzierung der eher konsumtiven Ausgaben
(Ordnungsmacht, Aufbauprogramm) könnte dabei durch den Reserve Funds erfolgen.
Die fundamentale Eigenschaft der ICU ist also die einer
Institution, die multilateral barter trading (z. dt. Kompensationsgeschäfte)
organisiert und auf Basis eines "Geldes" verrechnet, das lediglich
bei der Verbuchung gelieferter Leistungen auf der Aktivseite des Lieferanten
und auf der Passivseite des Verbrauchers in Erscheinung tritt, auf Geldverkehr
im üblichen Sinne also völlig verzichtet. Man könnte sie also durchaus mit
einem Tausch-Ring der Nationalstaaten vergleichen. In Bank-Termini ausgedrückt,
handelt es sich also um eine "Bank", die sich einer nicht
konvertiblen Währungseinheit bedient, kein Liquiditätsproblem kennt, immer
zahlungsfähig ist, nicht zusammenbrechen und dementsprechend auch auf Reserven
verzichten kann. Insofern kann auch darauf verzichtet werden, dass einzelne
Mitgliedstaaten Vermögenswerte zur Verfügung stellen, um einen Kapitalstock für
einen Fond zu bilden, der Kredite vergibt (wie das bei IWF und Weltbank der Fall
ist). Die Bereitstellung der Liquidität würde in genau der zur Finanzierung des
Handels erforderlichen Größenordnung erfolgen. Im Verhältnis zum Bedarf wäre
also nie zuviel oder zuwenig internationales Geld vorhanden. Die internationale
Währung wäre ausschließlich von endogenen Prozessen bestimmt und nicht abhängig
von Goldfunden, vom Vertrauen in eine Leitwährung bzw. vom Grad der durch das
Leitwährungsland zur Verfügung gestellten Liquidität. Das in der Praxis häufig
hochproblematische Dilemma zwischen der Verwendung der Leitwährung als
einerseits nationaler Währung und andererseits internationaler Liquidität und
Zentralbankreserve wäre aufgelöst.
Keynes selbst betonte, dass ein weiterer
bedeutender Vorteil des Systems darin besteht, dass dabei nicht mehr Liquidität
über Hortungsmechanismen dem Markt entzogen (insbesondere sollte auch die
Konvertibilität des Bancor in Gold explizit ausgeschlossen werden) und dadurch
deflationärer Druck mit Kontraktionswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft
ausgeübt werden kann. Er betonte bei seinem System auch den multilateralen
Charakter des Beziehungsgeflechts von Handelsströmen, denn ein Land ist immer
im Soll oder Haben mit der ICU als Ganzer und muss nicht etwa warten, bis sein
Gläubiger bzw. Schuldner seine Waren nachfragt bzw. ihm welche liefert. Dies
war in der Tat zu Zeiten von Bretton Woods weniger selbstverständlich als dies
heute der Fall ist: Zum einen war der Anteil des internationalen Handels am
Handel insgesamt weit geringer; zum anderen war internationaler Handel oft bilateral
gebunden und – soweit multilateraler Natur – häufig/typischerweise
Gold-vermittelt.
Wir haben heute einen funktionierenden,
wenn auch nicht gleichgewichtigen multilateralen Welthandel ohne Bancor, der
auch nicht mehr durch Gold vermittelt ist. Aber an die Stelle des Goldes traten
die sog. Leitwährungen, insbesondere der US-Dollar. Das war aber genau, was
Keynes verhindern wollte: "Und damit Pfund Sterling und Dollar nicht
als Konkurrenz zum Bancor in Zentralbankreserven auftreten können, müssten die
Gründerstaaten übereinkommen, dass sie die Reserveguthaben anderer
Zentralbanken .... nicht anerkennen werden...." .
Man muss kein Moralist sein, um das
heutige System der Leitwährungen für ungerecht zu halten: Ökonomischen
Disparitäten wird dadurch nicht etwa entgegengewirkt, sondern sie werden im
Gegenteil verstärkt. Dazu einige Zusammenhänge: Die Unternehmen und Banken im
Leitwährungsland können in der heimischen Währung kalkulieren, Kosten für
Kurssicherungsgeschäfte und Wechselkurs-Provisionen entfallen für sie völlig
und werden auf das Ausland abgewälzt. Der übrige Welthandel muss – auch für den
Handel untereinander – in der Leitwährung liquide sein, denn 90% des gesamten
Welthandels werden in den 3 Leitwährungen US-$, DM bzw. jetzt Euro und Yen
abgewickelt. Die Leitwährungen setzen sich schließlich auch als internationales
Wertaufbewahrungsmittel durch: Nicht nur werden 60% der Hartwährungsvorräte
aller Notenbanken in US-$ gehalten, sondern auch beinahe die Hälfte der
gesamten privaten Ersparnisse. Selbst chinesische Bauern sammeln Überschüsse in
$-Noten. (Deshalb weiß die amerikanische Fed bei ihrer Stabilitätspolitik stets
die halbe Welt auf ihrer Seite, auch wenn sie dadurch den Rest der Welt zu
einer restriktiven Geldpolitik zwingt, die dem selben Rest der Welt gar nicht
so zuträglich ist.)
Durch die genannten Zusammenhänge wird
ein Nachfrageschub nach Leitwährung induziert, der bequem mit einer Ausweitung
der Geldmenge in Leitwährung beantwortet werden kann, ohne dass dadurch unmittelbare
Inflationsgefahren für das Leitwährungsland drohen. Denn das Geld wird ja
"draußen" gebraucht und ist insofern im Inland nicht
nachfragewirksam. Der dadurch entstandene zusätzliche Notenbankgewinn kommt
aber natürlich dem Leitwährungsland zugute. Als solches lässt es sich
schließlich auch dann noch gut leben, wenn man vom internationalen Gläubiger
zum internationalen Schuldner mutiert ist (wie im Falle der USA geschehen).
Denn die Verschuldung in der eigenen Währung gestaltet sich vergleichsweise problemlos:
"We just print the money!"; z.Dt.: "Wir drucken
einfach das Geld!"
Was Keynes am Ende seines Lebens
verhindern wollte, war genau die Absicht seiner Kontrahenten. Bekanntermaßen
konnte er sich in Bretton Woods nicht durchsetzen. Der US-amerikanische
Delegationsleiter äußerte damals: “Wir haben nicht den Krieg gewonnen, um
uns einer Horde Bankiers zu unterwerfen!“ Statt dessen kam der
amerikanische "White-Plan" zum Zuge, ein System fester Wechselkurse
mit dem US-Dollar im Mittelpunkt, indirekter Goldbindung (über den Dollar) und
selbstverständlich einer positiven Verzinsung der Überschüsse. Keynes
kommentierte den White-Plan mit den Worten: "Das ist kein Währungssystem
mehr, sondern eine Kneipe, in der der bezechte Wirt seine Gäste verführt
mitzuhalten. Wer unangemessen nüchtern bleiben will, fliegt raus. Der
beschwipste Wirt setzt ihn eigenhändig vor die Tür."
Die USA waren nicht nur die
wirtschaftliche Siegermacht des 2. Weltkrieges, sondern auch seit 1917 in der
Position eines Weltgläubigerlandes. Somit entsprach der "White-Plan"
den ökonomischen und politischen Interessen insbesondere der USA. Deshalb – und
nicht etwa, weil er nicht praktikabel gewesen wäre – wurde der Keynes-Plan in
Bretton Woods verworfen. Keynes selbst hat bewusst betont, dass sein System
nicht nur eine schöne Idee sein soll, sondern auch in der Praxis anwendbar ist.
Und zwar unabhängig von der jeweiligen Regierungsform und den Prinzipien der
Wirtschaftspolitik der betreffenden Mitgliedstaaten. In diametralem Gegensatz
dazu steht die heutige Praxis der obligatorischen Einflussnahme des IWF auf die
Verwendung der Kredite, die die notleidenden Empfängerländer erhalten.
Genau um der Gefahr einer Praxis wie der
des heutigen IWF entgegenzuwirken, wollte Keynes eine epochale Änderung und "....nicht
nur dem Schuldnerland, sondern auch dem Gläubigerland eine Mitverantwortung für
die Wiederherstellung der Ordnung auferlegen. .... Die Absicht ist, dass es dem
Gläubiger nicht erlaubt sein sollte, vollkommen passiv zu bleiben. Denn wenn er
das ist, wird dem Schuldnerland, das aus diesem Grund sowieso schon in der
schwächeren Position ist, eine nicht zu verantwortende Last aufgebürdet."
Was könnte eine an Keynes orientierte
Weltwährungsordnung für die Welt leisten?
n Eigenständige Einzelstaaten mit eigenen,
binnenwirtschaftlich stabilisierten Währungen, die mit einem neutralen
Bindeglied verkoppelt werden.
n Gerechtere und ausgleichendere
Währungsverhältnisse in den einzelnen Ländern, die für langfristig stabile und friedfertige
Verhältnisse als notwendig vorausgesetzt werden müssen.
n Gute währungspolitische Voraussetzungen für
eine echte realwirtschaftliche Konvergenz. An die Stelle der bisherigen
Polarisationsprozesse treten Angleichungsprozesse.
n Ein System, das sich offen zeigt für die
freiwillige Teilnahme von Ländern aus allen Erdteilen, die Stück für Stück
unter Zuhilfenahme der ihnen gewährten zinslosen Darlehen (s.o.) ihr
Wirtschaftspotential allmählich und behutsam ausbauen, ohne über
Schuldenspiralen in wirtschaftsimperialistische Abhängigkeitsverhältnisse zu
geraten.
Es grenzt an Blasphemie, wenn heute –
teilweise sogar an Universitäten – so getan wird, als seien die sog.
Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und IWF irgendwie auf Keynes zurückzuführen.
Einer, der es besser weiß, ist der deutsche Ökonom Wilhelm Hankel, der die Auffassung
vertritt, dass die Umsetzung des Keynes-Planes nie so wichtig war wie gerade
heute. Hankel sieht darin die einzige Möglichkeit, dem Finanz-Globalismus – wie
er ihn nennt – "Schach zu bieten, ihn unter Kontrolle zu stellen, zu
zähmen und betriebssicher zu machen, die internationale banking community
wieder an die Leine zu nehmen und Kredithaien und Hasardeuren Einhalt zu
gebieten".
Ich meine: Wir sollten jedenfalls zu
einem Konsens darüber zurückfinden, dass die sog. Marktwirtschaft nicht
Selbstzweck sein darf, sondern auch und gerade im Zeitalter der Globalisierung
im Dienste der Bedürfnisse der Menschen stehen muss. Und dass deshalb auch
nicht der Mensch um des Weltmarkts willen, sondern allenfalls der Weltmarkt um
der Menschen willen da sein muss. Wer den globalen Markt will, muss auch eine
globale Rahmenordnung des globalen Marktes wollen – oder wenigstens
akzeptieren.
Keynes’ Plan weist ihn einmal mehr aus als einen Welt-Ökonomen,
der von einem gesunden wohlfahrtspolitischen Instinkt getragen war und nach
seinem Tode zu Unrecht auf einen “Mr. Deficit Spending“ reduziert wurde. Seine
Ideen und Gedanken können gerade heute wegweisend sein für Entwürfe, die
ökonomische Vernunft mit Interessen des Gemeinwohls verbinden.
Am Ostermontag 1946 ist John Maynard
Keynes einem Herzinfarkt erlegen. Sein Plan ist sein Vermächtnis für die “Eine
Welt“. Er ist sein Testament für uns geblieben. Bis zum heutigen Tage.
[1]zit. nach Lafontaine 2001
[2] vgl. Gesell, S. 192
[3]dort findet sich auch der Satz „Die Welt wird von Silvio Gesell noch mehr lernen als von Karl Marx.“
[4] vgl. ebda, S. 344 f
[5]beispielsweise sollte die internationale Ordnungsmacht die Möglichkeit bekommen, zusammen mit der ICU über die weitere Verwendung des Verrechnungskontos eines säumigen Teilnehmerstaates zu befinden et.c.