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Weitere Texte von T. Betz

 


Thomas Betz:

 

 

 

Beitrag für das Lexikon der ökonomischen Werke:

 

 

(I)

 

Hans Christoph Binswanger:

 

 

 

Geld und Magie

 

Deutung und Kritik der modernen Wirtschaft

anhand von Goethes Faust

 

 

Weitbrecht-Verlag, Stuttgart,
Erstausgabe 1985, unveränderte Neuauflagen 1993 und 1997
 (ISBN: 3-522-70140-2)
Englische Ausgabe: „Money and Magic“, University of Chicago Press, 1994

 

 

 

(II)

 

Hans Christoph Binswanger ( geb. 1929) war von 1969 bis 1994 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und ist Autor bzw. Herausgeber zahlreicher herausragender, auch populärer Bücher: Wege aus der Wohlstandsfalle (1978), Arbeit ohne Umweltzerstörung (1983), Geld und Natur (1992), Geld und Wachstum (1994) – siehe unter (V):

 

 

(III)

 

Binswanger interpretiert Goethes Faust ökonomisch. Ausgehend von der Tatsache, dass der historische Faust selbst Alchemist war, sieht er im berühmtesten deutschsprachigen Theaterstück (zusammen mit C. G. Jung) ein alchemistisches Drama. Nur vordergründig geht es in der Alchemie um das Herstellen von Gold aus Blei. Der tiefergehende und spirituelle Aspekt ist der Versuch, vom Vergänglichen (symbolisiert durch Blei) zur unvergänglichen Ewigkeit (symbolisiert durch Gold), zur „Erkenntnis des Wegs zur Erreichung unvergänglicher Glückseligkeit im Sinne des Guten“ zu gelangen. Dieser spirituelle Aspekt der Alchemie ist allerdings immer mehr verblasst, während der materielle in den Vordergrund getreten ist.

 

Gegenstand der Wette zwischen Faust und Mephistopheles ist, ob es Mephistopheles gelingt, Faust im diesseitigen Leben eine Steigerung seines Lebensgefühls erreichen zu lassen derart, dass er es verewigen möchte. Im 2. Teil des Dramas gelingt der 2. Versuch des Mephistopheles, mit Hilfe des künstlichen Goldes – des neugeschaffenen Papiergeldes nämlich – Fausts Vision des wirtschaftlich-technischen Fortschritts Wirklichkeit werden zu lassen. Faust bekennt den Genuss des höchsten Augenblicks, verliert damit die Wette und stirbt. Die wirtschaftliche Tat hat Faust das gegeben, was ihm die Liebe (im 1. Teil) nicht zu geben vermocht hat.

 

Die Alchemie des modernen Wirtschaftsprozesses, den Faust erlebte und selbst inszenierte, besteht nun darin, dass tatsächlich Geld (Gold) „erzeugt“ wird, ohne dass es vorher durch eine entsprechende Anstrengung verdient werden musste, ein kontinuierliches Wachstum der Produktion ohne eine entsprechende Erhöhung des Leistungsaufwandes erreicht werden kann, also eine Wertschöpfung erfolgt, die an keine Begrenzung gebunden und in diesem Sinne Zauberei oder Magie ist. Mit dieser – von Binswanger so konstatierten – Auffassung stellt sich Goethe allerdings in diametralen Gegensatz zur klassischen Nationalökonomie.

 

Goethe war Zeitzeuge der Geburt dreier Phänomene, auf denen für Binswanger (und nach ihm auch für Goethe) unsere heutigen Volkswirtschaften aufgebaut sind: Die moderne Papiergeldschöpfung, der römisch-rechtliche Eigentumsbegriff, der insbesondere durch Napoleon verbreitet und durchgesetzt wurde sowie Maschinisierung und Industrialisierung. Dies ist eine interessante Parallele zu Heinsohn und Steiger, für die ebenfalls Eigentum und Geldschöpfung die ökonomischen Grundlagen bilden; allerdings dergestalt, dass sie diese kausal miteinander verknüpfen (vgl. Besprechung von Eigentum, Zins und Geld (1996) auf SeiteXXXX....), was Binswanger nicht versucht.

 

Auf Fausts Vorschlag hin entledigt sich der Kaiser seiner Schulden durch die Ausgabe von Papiergeld, welches durch seine Unterschrift legalisiert und durch noch nicht gehobene „Goldschätze“ im Boden gedeckt wird. Ein Boom ist die Folge der Imagination, dass man im Ernstfall vom Kaiser verlangen könne, die im Boden vergrabenen Schätze zu heben. Der alchemistische Prozess der Geldschöpfung dehnt sich so auf die gesamte Wirtschaft aus, die gemäß dem Prinzip der Geldschöpfung expandiert, wächst.

 

Als Dank für Unterstützung im Krieg überlässt der Kaiser Faust einen Küstenstreifen zu Eigentum, dieses aber nicht im Sinne eines „patrimonium“ (Erbgut), das von den Vätern ererbt wiederum an die Kinder vererbt wird und deswegen genutzt werden darf, aber auch gehegt und gepflegt werden muss, sondern als „dominium“, als Herrschaftseigentum römischen Rechts, das dem Dominus, dem Herrn, absolute Verfügungsgewalt über sein Eigentum verleiht. Damit hat er das Recht zum Gebrauch wie zum Verbrauch wie zum Missbrauch seines Eigentums und insofern handelt es sich um einen – und das ist neu – Herrschaftsanspruch gegenüber der Natur. So wird das Recht zum Verbrauch der Natur zur 2. Säule alchemistischer Wachstumszauberei der modernen Wirtschaft. Die 3. Säule ist die Naturkraft selbst, die Energie, die Faust für sein Meliorationswerk nutzt, die aber auch – bis heute – in immer größer werdendem Umfang in die Produktionsprozesse einfließt.

 

Der „Stein der Weisen“, also der alchemistische Begriff für den Stoff, der den Wandel, die Erhöhung, (Wert-)Vermehrung letztlich vollbringt, ist das Geldkapital, das, selber Geld, über Zinsen wiederum Geld schafft und dadurch aber einen Zwang (auf die Realsphäre) ausübt, dass ein realer Zins bezahlt bzw. ein realer Gewinn erwirtschaftet wird, dass das Ganze also immer mehr wird. Dies ist nun noch nicht zwangsläufig ein Nachteil (und zu Goethes Zeiten sicher noch viel weniger), aber eben doch eine Problematik. Als regelrechte Verluste, die die Menschheit im Zuge des wirtschaftlichen Fortschritts erleidet, arbeitet Binswanger (bzw. ihmzufolge Goethe im Faust) heraus: Den Verlust der Schönheit, den der Sicherheit infolge der von der Technik heraufbeschworenen Gefahren sowie die Unfähigkeit, den Reichtum, den man erzeugt, auch wirklich zu genießen. Denn mit dem Reichtum nimmt auch die Sorge zu.

 

Der Ökonom Binswanger kommt aber auch noch auf die Bedeutung des Dramas für Wissenschaft und Kunst zu sprechen und schließt mit einer Darstellung und Erörterung der Auseinandersetzung Goethes mit ökonomischer Theorie und Praxis seiner Zeit. Unabhängig davon, ob man Binswangers Interpretationen bis in alle Details folgen will, ist zweifellos anzuerkennen, dass er mit seinem Essay dazu beigetragen hat, Goethes Genie auch der Ökonomie und den Ökonomen zu erschließen.

 

 

(IV)

 

Das Buch wurde von der Germanistik und der mehrheitlichen Goethe-Interpretation sehr kontrovers diskutiert, aber von Ökologen und Kritikern der orthodoxen Ökonomie sehr positiv aufgenommen.

 

 

(V)

 

1. Binswanger, Hans Christoph: Geld und Natur, Das wirtschaftliche Wachstum im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie, Stuttgart 1991

2. Binswanger, Hans Christoph: Geld und Wachstum, Zur Philosophie und Praxis des Geldes, Stuttgart 1994

3. Binswanger, Hans Christoph: Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen, München 1998