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Thomas Betz:
Beitrag für die „Zeitschrift für Sozialökonomie“, Ausgabe März 2003:
Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, Professoren für Humanwissenschaften bzw. Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen, haben ihre 1996 zum ersten Mal unter gleichem Titel dargelegten Gedanken erneut aufgelegt. Der Text des nunmehr etwas kostengünstigeren Paperbacks aus dem Marburger Wissenschaftsverlag ist durchgesehen, aber unverändert, weil seine grundlegenden Aussagen nicht zu revidieren sind. Unverändert sind die Autoren auch der Auffassung, dass die Grundelemente des Wirtschaftens bis heute nicht verstanden sind. Eine wissenschaftliche Lehre, die den Namen ökonomische Theorie verdienen würde, gibt es noch nicht. Für sich selbst nehmen sie nicht mehr und nicht weniger in Anspruch, als die Grundlegung derselben zu versuchen.
Im Vordergrund ihrer umfassenden Kritik steht die herrschende Schule der neoklassischen Theorie und deren Tauschparadigma, welches die Autoren aber auch bei der Klassik (einschließlich des Marxismus), beim Neokeynesianismus, beim Monetarismus und bei der Neuklassik verorten: Damit gemeint ist eine bestimmende Prämisse über der ökonomischen Orthodoxie, der zufolge alles Wirtschaften letztlich auf Tauschvorgänge reduziert werden kann, wobei Geld die neutrale Rolle eines effizienten Tauschvermittlers einnimmt, welcher sich als „Geldschleier“ über den Realtausch legt. Entsprechend wird auch davon ausgegangen, dass in der Genese der Menschheit und ihres Wirtschaftens das Phänomen des Tausches dem des Geldes chronologisch vorausgeht. Diese grundlegende Fundamentierung der Neoklassik greifen Heinsohn und Steiger nunmehr massiv an, indem sie extensiv Erkenntnisse und Einsichten von Historik und Völkerkunde heranziehen, um schließlich zu resümieren:
Zur Verblüffung der neoklassisch
inspirierten Gelehrten ist nach einer mehr als hundertjährigen Suche in
Stammes- und Feudalgesellschaften ein sogenannter vormonetärer
Äquivalententausch in der Menschheitsgeschichte nicht belegbar. Er erweist sich
vielmehr als ein Stück wirtschaftswissenschaftlicher Folklore. .... Die seriöse
ethnologische Forschung hat die Winkelzüge der Neoklassik niemals mitgemacht,
aber bei ihr kein Gehör gefunden. .... Wir behaupten somit, dass wir
Wirtschaftstheorie treiben, wohingegen die sich als Theorie verstehenden
Positionen lediglich historische Fehlannahmen in ökonomische Begriffe kleiden.
Dagegen lasse sich ein zeitgleiches Auftreten der Phänomene Eigentum, Zins und Geld sowie ökonomisches Wachstum und Prosperität ohne weiteres nachweisen. Die Autoren belassen es aber nicht beim Konstatieren einer Korrelation, sondern stellen Kausalzusammenhänge her. Die Menschheit kenne drei gesellschaftliche Grundstrukturen:
(1) die Solidargesellschaft des Stammes,
(2) die Befehlsgesellschaft des Feudalismus und Realsozialismus
(3) die Eigentumsgesellschaft der Freien.
Solidar- wie Befehlsgesellschaft kommen über eine bloße Beherrschung von Ressourcen zur materiellen Reproduktion nicht hinaus. Erst die Eigentumsgesellschaft finde zur Bewirtschaftung von Ressourcen. Der Übergang zur Eigentumsgesellschaft erfolgt dabei jeweils durch Revolution bzw. durch revolutionären Akt:
Verläßt man sich im Gegensatz zur
herrschenden Lehre von neuem auf die antiken Historiker und die archäologische
Evidenz, dann ergibt sich ohne Schwierigkeit, dass die Aufteilung feudaler
Güter durch Revolutionäre (die legendäre roma quadrata des Romulus) das
Grundeigentum in die Welt bringt. Sie wollten durch diese „Bodenreform“ ihre
priestfeudalistischen Herren loswerden. Dieses Ziel erreichten die
Revolutionäre. Dadurch brachten sie zugleich aber eine über die bloße
Beherrschung von Gütern hinausgehende Bewirtschaftung von Ressourcen, das
Wirtschaften also, in die Welt.
Neben dem postfeudalen Rom werden die postfeudalen griechischen Stadtstaaten der Antike sowie die modernen – ebenfalls postfeudalen – Nationalökonomien der Neuzeit als Eigentumsgesellschaften erkannt. Dabei ist ein Rückfall in feudale Verhältnisse ohne weiteres möglich, wie die vorübergehend „sozialistischen“ Staaten der Ostblocks zeigen, die Heinsohn und Steiger ohne weiteres unter Feudalismus subsumieren. Aber: Erst die Ausschaltung eines herrschaftlichen Zugangs zu Gütern erzwingt das Wirtschaften als Konsequenzen des Eigentums. Wie erklärt sich nun die überlegene und augenscheinliche ökonomische Dynamik der Eigentumsgesellschaften? Was ist die konstitutive ökonomische Rolle des Eigentums?
Zunächst wird
das Eigentum eindeutig und präzise – und durchaus im Sinne der modernen
Rechtsbegriffe – gegen den Besitz abgegrenzt: Besitz bedeutet immer Rechte zur Verfügung über und damit die physische
Nutzung von bestimmten Gütern und oder Ressourcen und ist unabhängig davon, ob
Eigentum existiert oder nicht. Die Stammes- wie die Befehlsgesellschaften
antiker wie neuzeitlicher Couleur kennen den Besitz ohne weiteres, nicht jedoch
das Eigentum und dessen volle Dispositionsfreiheit,
die im Belasten, Verpfänden und Verkaufen ihre wichtigsten Elemente hat.
Diese Dispositionsfreiheit ermöglicht es nun einem Eigentümer, mit einem zweiten einen Gläubiger-Schuldner-Kontrakt einzugehen dergestalt, dass der Gläubiger sein Eigentum belastet, indem er Anrechtsscheine auf sein Eigentum – eben Geld – dem Schuldner aushändigt, während dieser im Gegenzug sein Eigentum gegenüber dem Gläubiger als Sicherheit verpfändet. Geld wird also in und uno actu mit einem Kreditkontrakt geschaffen. Damit ist die Voraussetzung dafür gegeben, dass über die Beibehaltung der Bewirtschaftung einer im Besitz befindlichen Ressource hinaus (z.B. des Ackers eines Bauern) per Kreditschöpfung – ohne vorheriges Sparen und ohne Konsumverzicht – zusätzliche Nachfragepotentiale und damit zusätzliche ökonomische Aktivitäten freigesetzt werden, die die Dynamik und Prosperität in der Eigentumsgesellschaft mitbedingen: Eigentum setzt eine Beziehung zwischen Gläubigern und Schuldnern in Gang, die das Wirtschaften hervortreibt.
Die genannte Dispositionsfreiheit ist also eine Art immaterieller Mehrwert und wird Eigentumsprämie genannt. Kommt es nun zum Kontrakt zwischen zwei Eigentümern, so geht sie auf beiden Seiten verloren. Allerdings erhält der Schuldner im Zuge des Kontraktes Geld und gewinnt damit neue Dispositionsfreiheit. Der Gläubiger hingegen bekommt erst einmal nichts und lässt sich deshalb die verlorene immaterielle Eigentumsprämie materiell ersetzen – durch den Zins: Ein Schuldner, der die Eigentumsprämie des Gläubigers in Zins umzuwandeln hat, wird dazu gezwungen – in Konkurrenz mit anderen Schuldnern – mehr Geld zurückzuzahlen, als er im Kreditkontrakt erhalten hat. Der Schuldner muß also seinen geliehenen Geldvorschuß, das Kapital, in einer ganz besonderen Weise verwerten. Er wird so zur Ökonomisierung von Ressourcen gezwungen: Mehrarbeit stößt jedoch an eine natürliche Grenze, da die absolute Länge des Tages jenseits menschlicher Einflussnahme bleibt. Eine solche Grenze gibt es jedoch prinzipiell nicht für das Zinserwirtschaften durch produktivere Technik, für die lediglich der Einfallsreichtum der Eigentümer, nicht aber die Zeit eine Schranke setzt. .... Technischer Fortschritt entspringt also der ständigen Notwendigkeit einer Verringerung der Verschuldung von Eigentümern.
Der für die Erlangung von Geld, also der Schuldendeckungsmittel zur Auflösung der Kreditkontrakte, notwendige Verkauf hat also nichts mit einem geldvermittelten atemporalen Gütertausch – wie die Neoklassik meint – zu tun. Die Produktion neuer, also erst zu schaffender Waren erfolgt auch nicht aus der Nutzung zeitweise überlassener Ressourcen, die per se produktiv sind, im Rahmen einer physischen Güterleihe – wie es orthodoxe Lesart ist –, sondern weil der Schuldner Eigentum verpfändet hat und mit im Kredit überlassenem Geld sich Ressourcen aneignen und in mehr Eigentum verwandeln kann. Die Transaktionen auf dem Warenmarkt bilden also den notwendigen Abschluß einer Operation, die in der Eigentumsprämie ihren Ausgangspunkt hat. .... Hier wird durch bloßen Rechtsakt die Weltgeschichte zur Wirtschaftsgeschichte transformiert. Ohne irgendeine physische Veränderung wird die bedeutendste Reichtumsquelle der Geschichte, die Eigentumsprämie, geschaffen. .... Es ist aber der Zins, der erst die Produktion von Reichtum erzwingt, und es ist die Verpfändung von Eigentum, die erst die Produktion von Reichtum ermöglicht.
Die Auseinandersetzung mit dem genannten – und insbesondere durch das Tauschparadigma gekennzeichneten – orthodoxen Block, Marxismus inklusive („Die Klassik lieferte mit dem Marxismus die Begründung für die Abschaffung der Eigentumswirtschaft, die sie nicht verstand.“), wird vervollständigt durch das Ringen mit dem (Keynes’schen) Keynesianismus in seiner Urform und dem Monetärkeynesianismus der Berliner Schule. Dabei sieht man sich ersterem näher als der Neoklassik und wiederum letzterem näher als ersterem, aber die Abgrenzung bleibt dennoch deutlich und unmissverständlich. Die Autoren nehmen auch die etymologische Wurzel des Begriffs der ‚Ökonomie’ selbst für den eigentumstheoretischen Ansatz in Anspruch: Das stammesgriechische und auch das feudalmykenische Haus (oikos), das lediglich genutzt wurde, wird .... in der Polis als „Eigentum“ einem Netz von Vertragsrechten (nomoi) unterworfen, das nun jene Wirtschaft herbeizwingt, die der Öko-Nomie ihr Thema stellt.
In der Konkurrenz der Gläubiger resultiert aus den unterschiedlich starken Eigentümerpositionen eine Rangordnung in der Akzeptanz der von ihnen emittierten Gelder als Zahlungsmittel. Der stärkste Eigentümer ist schließlich der Emittent mit dem besten Geld. Er nötigt dadurch die schwächeren Gläubiger in die Rolle der Einleger und wird somit zur Bank. Gleichwohl ist damit die Bank nicht etwa Vermittler zwischen Gläubiger und Schuldner – was der konventionellen Vorstellung entspräche –, sondern tritt ihrerseits gegenüber Schuldnern als Gläubiger auf, eben im Kreditkontrakt. So wird von den individuell emittierten zu den überindividuell emittierten Geldern vorangeschritten. Ganz analog entsteht später auch die Zentralbank auf nationalstaatlicher Ebene, die mit ihrem einheitlichen Zahlungsmittel die Gelder der konkurrierenden Notenbanken ersetzt.
Daß der
Eigentumsprämie bzw. dem ihr logisch nachgeschalteten Zins ein Wachstumszwang
erwächst, wird deutlich gesehen, aber offenbar nicht als (evtl. ja
ökologisches) Problem erachtet und jedenfalls keine Alternativen oder
Lösungsmöglichkeiten diskutiert. Statt dessen wird die wohlmeinende, ökonomisch
aber orthodox gebliebene Wachstumskritik ad absurdum geführt: Daß hier nicht eine kollektive Neurose,
sondern der eiserne Zwang der Eigentumswirtschaft alle Betroffenen ganz
unabhängig von ihrer individuellen Charakterstruktur in Bewegung hält, können
die Öko-Ökonomen nicht einmal vermuten, weil sie gegen ihre neoklassische
Schule zwar aufbegehren, ihr aber analytisch nicht zu begegnen wissen.
In der Krise der Eigentumsgesellschaft wird haftendes Eigentum entwertet und Beleihungsgrenzen nach unten gefahren. Nicht zuletzt deshalb müssen sich die Investoren nunmehr zurückhalten. Die Geschäftsbanken, deren Verpflichtungen in unveränderter Höhe bestehen, deren Sicherheiten aber im Wert gefallen sind, neigen jetzt eher dazu, ihre Verbindlichkeiten bei der Zentralbank glattzustellen als Geld für neue Investitionen zu kreditieren. Eine Kontraktion der Geldmenge und insofern ein noch weitergehendes Schrumpfen der Nachfrage ist die Folge. Die Versuche der Zentralbank, die Refinanzierung zu erleichtern (vornehmlich durch Zinssenkungen) und damit das Kreditvolumen wieder zu erhöhen, scheitern typischerweise daran, dass die Zentralbank keine Möglichkeit hat, die potentiellen Schuldner mit Haftungseigentum auszustatten, auf dem die Geschäftsbanken natürlich bestehen. Das beste Beispiel für eine solche Konstellation ist das erdrückende Volumen fauler Kredite in Japan und seine Deflation, die keine andere ökonomische Schule ähnlich überzeugend interpretiert.
Ein
entscheidendes Problem der Eigentumsgesellschaft, nämlich die eigentlich
unausweichliche Tendenz zu Konzentration und Vermachtung von Eigentum, wird
nicht nur deutlich gesehen, sondern auch deutlich mit der Staatsverschuldung in
Verbindung gebracht und schließlich ebenso deutlich eine Lösung des Problems
aufgezeigt. Die Wirtschaft neigt u.a. deshalb immer mehr zur Krise und der
Staat u.a. deshalb immer mehr zur Verschuldung, ....weil die Eigentumskonzentration die Verschuldungsfähigkeit von
Bürgern zerstört und somit den Staat solange in die Position eines
stellvertretenden Schuldners nötigt, wie er eine Neuverteilung von Eigentum
umgeht. Die steigende Staatsverschuldung in den letzten beiden Jahrzehnten hat
hierin womöglich einen bisher übersehenen Grund.
Und schließlich
– logisch konsequent und gar nicht zimperlich: Am Ende bleibt für die Bekämpfung der Krise in einer
Eigentumsgesellschaft kein anderer Weg als bei der Etablierung dieses Systems.
Der Staat müsste wie ein Romulus handeln, also durch die radikale Verteilung
von Eigentum die Verschuldungsfähigkeit wiederherstellen.
Dass die Geldmenge einer Volkswirtschaft keine exogen gegebene – etwa von einer Zentralbank autonom und administrativ gesetzte – Größe ist, sondern endogen zu fassen, eben weil Geldentstehung wie Geldvernichtung über Kreditschöpfungsprozesse in einem interdependenten Sinne mit der sog. Realsphäre verwoben sind, ist eine unabdingbare Erkenntnis, von der nicht nur etablierte ökonomische Schulen, wie die Neoklassik, aber auch weniger etablierte, wie der Marxismus, profitieren würden, sondern auch die Diskussion um eine Reform der Geld- und Bodenordnung; auch wenn dadurch alles noch komplizierter wird. Interessanterweise werden die in Eigentum, Zins und Geld aufgezeigten Zusammenhänge am besten nachvollzogen von Menschen, die in systemischem Denken trainiert sind – Physikern oder Ingenieuren etwa, aber gar als Selbstverständlichkeiten erachtet (jedenfalls in Teilen) von Praktikern und Bankfachleuten; unter der Voraussetzung allerdings, dass sie keine akademische Ausbildung genossen haben, jedenfalls keine volkswirtschaftliche: „Der Banklehrling weiß, wo das Geld herkommt. Der Volkswirtschaftsprofessor weiß es nicht!“, so brachte es Gunnar Heinsohn einmal auf den Punkt und machte damit auch einmal mehr deutlich, wie recht Keynes hatte, als dieser darauf hinwies, dass es weit weniger schwierig ist, eine neue Theorie zu verstehen, als den Kopf freizumachen von den Vorprägungen durch die Orthodoxie. Keynes Weisheit macht auch vor der Freiwirtschaftslehre nicht halt, nicht vor ihrer Funktion als neue Theorie, aber auch nicht vor ihrer Rolle als Orthodoxie.