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Thomas
Betz:
Beitrag für die „Zeitschrift für Sozialökonomie“, Ausgabe Sept.
2002:
Otto Steiger und Hans-Joachim Stadermann, Professoren für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen bzw. an der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin, verstehen sich als Eigentumstheoretiker, als Protagonisten eines neuen Ansatzes innerhalb der ökonomischen Theorie. Dabei steht das Rechtsinstitut des Eigentums im Mittelpunkt der Betrachtungen: Erst durch die Schaffung von Eigentum wird auch dessen Belastbarkeit – als Sicherheit im Rahmen eines Gläubiger-Schuldner-Kontraktes – möglich und dadurch die Voraussetzung dafür geschaffen, dass über die Beibehaltung der Bewirtschaftung einer im Besitz befindlichen Ressource hinaus (z.B. des Ackers eines Bauern) per Kreditschöpfung ohne vorheriges Sparen und vor allem ohne Konsumverzicht zusätzliche Nachfragepotentiale und damit zusätzliche ökonomische Aktivitäten freigesetzt werden, die letztlich die Dynamik und Prosperität einer modernen Volkswirtschaft ausmachen. Dabei wird unser heutiges Geld als Kreditgeld eben im Rahmen des beschriebenen Prozesses in die Existenz gebracht und steht im Zentrum des ökonomischen Geschehens. In Ökonomien, in denen die entsprechenden Voraussetzungen dafür nicht geschaffen werden, gibt es weder eine vergleichbare wirtschaftliche Entwicklung noch stabiles Geld. Diese – hier dramatisch und eigentlich unzulässig verkürzten – Zusammenhänge wurden von Otto Steiger zusammen mit seinem Bremer Kollegen Gunnar Heinsohn ausführlich zum ersten Mal 1996 in Eigentum, Zins und Geld: Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaft dargelegt (die Rezension der kürzlich erschienen Neuauflage erscheint in der nächsten Ausgabe dieser Zeitschrift).
Mit der
vorliegenden Allgemeinen Theorie der
Wirtschaft erheben die Autoren nicht mehr und nicht weniger als den
Anspruch, die ökonomische Theorie und im ersten Band deren Geschichte neu zu
schreiben (in einem zweiten Band soll schließlich die Ökonomie der nominalen Verpflichtungen systematisch präsentiert
werden). Dabei wird über eine pure Krititk
der Schulökonomie insofern hinausgegangen, als gezeigt wird, wie in der Theoriegeschichte das Wissen von
der angemessenen Theorie der Geldwirtschaft frühzeitig in Ansätzen vorhanden
war, dann aber immer wieder .... überwuchert und verdrängt wurde. Denn: Die Akteure im Wirtschaftsgeschehen haben
zur Absicherung ihrer Vorhaben unter den verfügbaren wirtschaftstheoretischen
Ansätzen den gefördert, der ihre Absichten wissenschaftlich stützte. Die
gegenwärtig wahrgenommene Belanglosigkeit der herrschenden Lehre kommt in erster Linie daher, dass die neoklassischen
Modelle .... nur sich selbst genügen und keine relevanten Berührungspunkte zur
erlebbaren Wirtschaftswirklichkeit besitzen. Statt Handlungsanweisungen für die
wirtschaftlichen Aktivitäten der Einzelwirtschafter und die Wirtschaftspolitik
zu formulieren, perpetuiert die vorherrschende Theorie immer nur eine Aussage:
Die Flexibilität muss erhöht und der Wettbewerb gesichert werden .... So sind
es heute insbesondere die sozialstaatlichen Institutionen, die aufgebrochen
werden sollen. Dies werde Beschäftigung und Wohlstand für alle vermehren. Statt
sich der Realität anzunähern und sie angemessen zu begreifen, hat die
Orthodoxie das Gleichgewicht einer
fiktiven Realtauschökonomie prädeterminiert. .... Entsprechend muss Geld so in
die Theorie integriert werden, dass es „neutral“ wirkt und muss
Wirtschaftspolitik so implementiert werden, dass sie nur Hemmnisse beseitigt,
damit sich das als „natürlich“ vorempfundene Gleichgewicht in der
neoklassischen Gedankenwelt seine Bahn brechen kann.
In einem vergessenen, aber bedeutenden Theoretiker des Merkantilismus entdecken die Autoren einen Vorläufer ihrer Gedanken: 1767 veröffentlichte James Steuart seine Inquiry into the Principles of Political Oeconomy. Als führender Teilnehmer des 1745 niedergeschlagenen Jacobitenaufstandes hatte er zuvor 20 Jahre im französischen Exil verbracht. Dieser Umstand sowie der Siegeszug von Adam Smith, dessen Hauptwerk neun Jahre später erschienen war, trugen gem. den Autoren entscheidend dazu bei, dass seine originären Einsichten über das Papiergeld weitgehend unbekannt blieben. Steuart analysiert die Wirtschaft einer freien Nation nach Auflösung feudaler Regierungsformen. Er erkennt, dass diese Entwicklung ein ganz neues System der Volkswirtschaft begründet: Bürgerliche Freiheiten führen zu Handel und Gewerbe und diese zu Reichtum und Kredit. Wie sonst niemandem seiner Zeitgenossen war Steuart klar, dass das feudale System auf der Grundlage von Gewalt über unfreie Arbeiter beruhte, während das neue die Arbeit der Freien zu industriellem Unternehmergeist anreizt und eine von Geld und Kredit verursachte Nachfrage aufgrund von Bedürfnissen nach immer neuen Gütern hervorbringt. Seine Metapher „Verwandlung von Ländereien in Papiergeld“ enthält bereits eine zentrale Idee der modernen Eigentumstheorie (s.o.): Grundeigentümer A möchte Waren eines Produzenten B konsumieren, hat aber kein (edelmetallenes) Münzgeld. Deshalb emittiert er Schuldscheine im Wert der gewünschten Waren auf sein Grundeigentum und bezahlt damit B. Dieser kann nun produzieren, ohne dass A auf die Nutzung seiner Ländereien verzichten muss. Bereits für Steuart war also Investition ohne vorheriges Sparen möglich; ganz im Gegensatz zur späteren Klassik und Neoklassik. Steuart: „Nachdem diese Operation abgeschlossen ist, bleiben der Grund und Boden (des A) sowie das Gewerbe (des B) in unverändertem Zustand: bereit von neuem zu produzieren. Das also ist die Wirkung des Kredit- oder symbolischen Geldes. Und hier frage ich, ob nicht die Schuldscheine, die der A dem B gegeben hat, nicht genau so einen wirklichen Wert beinhalten, als hätte er Gold oder Silber gegeben?“
Nunmehr besteht allerdings die „Gefahr“, dass B tatsächlich zur Tat schreitet und die Schuldscheine zur Einlösung bringt. Damit wäre für A die zeitgleiche Nutzung seiner Ressource Grund und Boden verunmöglicht. Ein Ausweg aus dem Dilemma ist eine Zusatzvereinbarung zwischen A und B des Inhalts, dass B auf die Einlösung der Schuldscheine – für einen gewissen Zeitraum – verzichtet. Zu einem derartigen Verzicht ist B auch gerne bereit, aber er lässt sich diesen Verzicht bezahlen, mit einer Art Stillhaltegebühr in Höhe eines zu vereinbarenden Prozentsatzes für besagten Zeitraum. Für Steuart ist das der Zins. Er erweitert sein Modell um einen Dritten C, die Bank. Jetzt ist es grundsätzlich so, dass auf die Fälligstellung der Schuldscheine, also der Sicherheiten im Kreditkontrakt, verzichtet wird, solange die übrigen Vereinbarungen des Kontraktes eingehalten werden; sprich solange der Zins bezahlt wird. Für den Fall des Einlösungswunsches eines B muss diese Bank aber über genügend Eigenkapital verfügen und liquide sein, also eine Mindestreserve an (edelmetallenem) Münzgeld vorhalten.
Für die Autoren fällt Adam Smith dagegen weit zurück: Für ihn ist die Genese des Geldes kein Thema, sondern selbiges schlicht gegeben und ansonsten auch weitgehend nutzlos: Weder würden dadurch neue Konsummöglichkeiten noch neue Chancen der Kapitalakkumulation geschaffen. Konsequenterweise ist für ihn und in Abgrenzung zu Steuart Geld auch grundsätzlich Edelmetallgeld, also Münzen aus Gold und Silber. Interessant findet er hingegen die geldinduzierte Reduktion der Transaktionskosten der unterstellten Tauschwirtschaft, Thema der „Geldtheorie“ der Neoklassik bis zum heutigen Tage. Das Geld bildet nur die realen Tauschverhältnisse ab. Aus ihm selbst lassen sich keine wesentlichen Einsichten in die Wirtschaft gewinnen. Es liegt nur als Schleier über den wahren und als gesetzmäßig aufzudeckenden Verhältnissen. Auch der Geldzins hat für ihn seinen Ursprung in der Realsphäre, ist ein Derivat des Profits des Unternehmers und entsteht, weil ein Kapitaleigner einem mittellosen Unternehmer die Erwirtschaftung eines Profits ermöglicht.
Entsprechendes gilt für die Kredite der Banken, die für ihn die Produktion grundsätzlich nicht erhöhen können, sondern allenfalls bestehendes Kapital einer produktiveren Verwendung zuführen. Gegebene Produktionsmöglichkeiten werden durch nicht-monetäre Maßnahmen wie Arbeitsteilung und Vergrößerung der Märkte – daher die Forderung nach Freihandel – maximal genutzt. Störungen des Marktgleichgewichts können bei Smith allenfalls vorübergehender Natur sein, denn wo sich Marktkräfte bei flexiblen Preisen und Mengen frei entfalten können, kann es keine gesamtwirtschaftlich unzureichende Nachfrage und insoweit auch keine Krise geben. Die Ersparnis führt immer zu Akkumulation und Wachstum und nicht zur Unabsetzbarkeit eines Teils der produzierten Waren. Wer nicht selbst produziert, schafft stets anderen die Konsummöglichkeit. Smith geht natürlich auch davon aus, dass ein Kreditgeber, der Kreditnehmern Ressourcen zur Produktion verfügbar macht, selbst auf eben diese verzichten muss und fortan nicht mehr weiter selbst nutzen kann. Für die Autoren ist damit in der Wirtschaftswissenschaft ein bis heute andauerndes Missverständnis über die Triebkräfte des Wachstums in die Welt gesetzt worden und sie verweisen darauf, dass erst Keynes schließlich zeigen konnte, dass nicht etwa Sparen die Investition bestimmt, sondern dass vielmehr Investitionen über ein wachsendes Einkommen erst das Sparen ermöglichen. Allein: Aus eigentumstheoretischer Sicht war auch Keynes unklar, auf welcher Grundlage Investitionen zustande kommen.
Damit sind die Antagonismen der weiteren Erörterung sowie der zeitliche Rahmen derselben aufgespannt: Zwischen Steuart und Smith liegen Welten und zwischen Steuart und Keynes bzw. Friedman 2 Jahrhunderte. Die Klassik wird – neben dem bereits erwähnten – anhand ihrer namentlichen Vertreter Jean-Baptiste Say, David Ricardo, Henry Thornton, John Stuart Mill und schließlich Karl Marx abgehandelt. Mit der Ausnahme von Thornton und Say ignorieren die genannten den Zusammenhang von Geld, Kredit und Eigentum völlig. Dies trifft auch auf Karl Marx zu: Für ihn ist Geld Edelmetall, welches – ganz klassisch – zur Erleichterung des Tausches in die Welt gekommen ist. Ebenso sind für ihn Sparen und Konsumverzicht unabdingbare Voraussetzungen für die Akkumulation von Kapital; zwar Verzicht auf Konsum von per Ausbeutung erlangtem Mehrwert, aber dennoch. Die Neoklassik, die die Betrachtung des Gesamtnutzens der Klassik um die des sog. Grenznutzens ergänzt und schließlich die kardinale durch die ordinale Nutzenbetrachtung ersetzt, übersieht die Bedeutung der Sicherheiten bei der Geldschaffung noch totaler als die Klassik. Deshalb scheitert auch der Versuch einer Integration der Geldtheorie durch ihren Vetreter Knut Wicksell. Selbst beim Vollender des neoklassischen Gütermarktsystems, Alfred Marshall, sind die Banken noch immer lediglich Vermittler, die gespartes Einkommen in Investitionen transformieren. Auch für Keynes wird schließlich Unzulänglichkeit der Gelderklärung konstatiert. Sein Missverständnis von Geld als Staatszahlungsmittel (ver-)führte ihn zur Idee der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit über notenbankfinanzierte Beschäftigungspolitik. Schließlich wird eine interessante Parallele zu Milton Friedman aufgezeigt: Obzwar sich dieser als Überwinder des Keynesianismus verstand, wollte er ebenfalls durch Zinssenkung Geld in die Zirkulation drücken, um einer Unterbeschäftigung entgegenzuwirken.
Die Bedeutung des vorliegenden Werkes liegt m.E. in erster Linie in der umfassend begründeten und fundierten Zurückweisung der Orthodoxie, voran der tauschparadigmatischen Neoklassik und der von ihr unterstellten Neutralität des Geldes. Neben vielen neuen Einsichten gewinnt der Leser einen fast vollständigen dogmengeschichtlichen Überblick. Unabhängig davon, ob er allen Interpretationen und Ausführungen bis in alle Details folgen will oder kann, muss er ohne jeden Zweifel anerkennen, dass die wirtschaftstheoretische Erschließung und Würdigung des Rechtsinstituts Eigentum im Mittelpunkt einer Geldwirtschaft und die Thematisierung eines eben gerade nicht neutralen Geldes von einer Bedeutung ist, die mit der des üblichen „Output“ der Disziplin auch nicht im Entferntesten verglichen werden kann. Zusammen mit der sehr aufwendigen äußeren Gestaltung des Buches mag damit auch der ebenfalls bedeutende Anschaffungspreis (€ 69,-) gerechtfertigt sein.