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9 Die Bodenreform
Die nutzbare Oberfläche der Erde läßt sich kaum noch
vergrößern. Da jedoch die Zahl der Menschen ständig zunimmt,
die landwirtschaftlich nutzbare Fläche aber nicht mitwächst,
wird der pro Kopf zur Verfügung stehende Boden immer knapper und kostbarer.
Wäre es anders, würde die Zahl der Menschen beispielsweise durch
Seuchen oder Kriege ständig abnehmen, wäre es umgekehrt: Der
Ackerboden, aber auch das Grundstück für Haus und Garten, würden
dann von Jahr zu Jahr billiger werden. Nach dem Ende des Dreißigjährigen
Krieges waren in Mitteleuropa ganze Landstriche entvölkert. Land war
im Überfluß vorhanden und dementsprechend preisgünstig.
Wir sind heute geneigt, den Mangel an Land (durch Übervölkerung)
für etwas weniger gefährlich zu halten als den durch Katastrophen
geschaffenen Überfluß an Fläche (Atomkrieg - Seuchen).
Das ist auch gut so, denn beide Perspektiven sind so furchtbar, daß
es sich gar nicht lohnt, darüber zu streiten, welcher Alternative
im Zweifelsfalle der Vorzug zu geben sei. Immer dann, wenn uns das Schicksal
zwischen zwei Extremen im Stich zu lassen droht, bleibt uns aber - im Gegensatz
zu Pflanze und Tier - der Ausweg, wenigstens vorübergehend unser Gehirn
einschalten zu können. Wir kommen dann ganz von selbst darauf, daß
auch in der Bevölkerungsfrage einen goldenen Mittelweg geben muß,
der dem verfügbaren Boden die seiner Tragkraft entsprechende Zahl
von Menschen gegenüberstellt.
Das Erstaunlichste am unvermehrbaren Boden auf diesem Planeten ist die
eigenartige Neigung des Menschen, ihn besitzen zu wollen. Handelte es sich
lediglich um jene Flächen, die der Besitzer mit seinem Hintern "besitzt"
, wenn er sich einfach mal draufsetzt, könnte man es durchgehen lassen.
Kritisch wird es jedoch, wenn Grundbesitzer ernsthaft meinen, auch hektargroße
Flächen besitzen zu dürfen, obwohl sie doch mit ihrem Gesäß
immer nur eine recht kleine Fläche wirklich besetzt halten können.
Das ist nicht nur eigenartig, sondern auch relativ neu, denn in früheren
Zeiten gehörte das Land allen; den sogenannten Privatbesitz am Boden
gibt es erst seit der landesweiten Einführung des römischen Rechts
- ab dem Ende des 15. Jahrhunderts.
Wer sich heute als junger Mensch fragt, wie denn die Großgrundbesitzer
es wohl geschafft haben, sich so viel Land unter den Nagel zu reißen,
das sie bis auf den heutigen Tag frech als ihr Eigentum betrachten, dem
kann man nur raten, sich mit der Geschichte der letzten 1000 Jahre zu beschäftigen.
Wer im Mittelalter die meisten Bauern erschlagen, betrügen oder vertreiben
ließ, sicherte seinen Nachkommen bis in die Gegenwart hinein eine
mit Blut und Tränen gedüngte Erde. Von Motten zerfressene Grundbücher,
die mit Hilfe einer Flasche Schnaps oder unter Androhung von Folter "geführt"
wurden und den Besitz rein formal zu legitimieren scheinen, ändern
nichts an der Tatsache, daß so gut wie jeder Großgrundbesitz
die Folge eines längst verjährten Gewaltverbrechens ist.
Unser Grundgesetz schützt diesen Besitz und damit die Besitzer, die
traditionell immer selbst Einfluß auf die Gesetzgebung und somit
auch auf das z.Z. geltende Grundgesetz genommen haben, das übrigens
auch schon heute die Überführung von Privateigentum in Gemeinbesitz
durchaus zuläßt. Der hellhörige Leser merkt sicher schon,
daß wir uns jetzt einer besonders delikaten Sache zuwenden müssen,
um die zweite Stufe der Natürlichen Wirtschaftsordnung Silvio Gesells
aus dem Marmor der Ahnungslosigkeit herausmeißeln zu können.
Erste Anfänge einer Bodenreform gehen u.a. auf den Unternehmer Michael
Flürscheim zurück, der 1888 den Deutschen Bund für Bodenbesitzreform
gründete und seinerzeit viele Anhänger fand, die das ehrenwerte
Ziel verfolgten, den unverdienten Reichtum der Großgrundbesitzer
gerecht zu verteilen. Diese Reformer haben möglicherweise deshalb
keinen Erfolg gehabt, weil sie das Geld in seiner herrschenden Form unangetastet
ließen; und so blieb es Silvio Gesell vorbehalten, die von Flürscheim
initierte Bodenbesitzreform auf eine tragfähigere Grundlage zu stellen,
indem er sie mit einer Geldreform kombinierte. Gesell erkannte, daß
mit der Zinszertrümmerung allein die Verteilungsgerechtigkeit der
Geldvermögen noch nicht zu haben war, da die Geldbesitzer unverzüglich
dazu übergehen würden, das Land restlos aufzukaufen, um sich
dann über unverschämte Baulandpreise das zurückzuholen,
was ihnen bisher an arbeitsfreien Zinsgeschenken wunderbarerweise zugeflossen
war.
Die Bodenreform Silvio Gesells könnte sehr leicht damit eingeleitet
werden, daß Staat, Land oder Kommune ab sofort kein Land mehr verkaufen,
sondern nur noch verpachten. In einem zweiten Schritt, der natürlich
ebenfalls einer gesetzlichen Grundlage bedarf, wird allen Grundeigentümern
untersagt, ihren Grund und Boden an Privatpersonen, Firmen, Verbände
oder Konsortien zu veräußern, sondern nur noch an den Staat.
Schon durch diese Maßnahmen, die den Steuerzahler vermutlich keinen
Pfennig kosten, bricht das Bodenspekulantentum wie ein Kartenhaus in sich
zusammen.
Bisher war es doch so, daß z.B. ein Bauer sein vor München günstig
gelegenes Ackerland so teuer verkaufen konnte (natürlich nur einmal
in seinem Leben), daß die Mieter der anschließend darauf gebauten
Mietshäuser bis an das Ende ihrer Tage mit schier unglaublichen und
auch kaum noch zu bezahlenden Monatsmieten gequält wurden. Der Grundbesitzer
machte also einmal den großen Reibach, zog sich mit seinen Millionen
nach Teneriffa zurück und überließ die Mieter ihrem Schicksal.
Wer das schön findet, normal oder unabänderlich, gehört
wahrscheinlich zu den Krisengewinnlern. Die überwiegende Mehrheit
der Menschheit hat unter dieser moralisch erbärmlichen Verrücktheit
zu leiden und zwar lebenslänglich.
Viele Konflikte und Kriege wurden und werden ausgetragen, weil auf dieser
Erde die Gattung Mensch das Bodenproblem nicht gelöst hat und den
bedeutendsten Bodenreformer dieses Jahrhunderts - Silvio Gesell - einfach
nicht zur Kenntnis nimmt. Wäre es so, daß durch Privateigentum
am Boden die Bäche klarer, die Mädchen schöner und die Sandalen
haltbarer würden, könnte man das absurde (weil gemeingefährliche)
Festhalten an diesen Zöpfen ja noch verstehen. Der auch von mir geschätzte
Ökologe, Politiker und Autor Herbert Gruhl (Ein Planet wird geplündert),
der immerhin zwei ökologische Parteien aus der Taufe heben half, hätte
für die Nachwelt noch viel mehr tun können, wenn er mit seiner
völlig unbegründeten Angst vor Silvio Gesell fertig geworden
wäre. Gruhl unterlief der gleiche Fehler wie vor einiger Zeit dem
Ökologen Prof Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Beide maßten
sich über Gesell ein ablehnendes Urteil an, ohne sich mit der Natürlichen
Wirtschaftsordnung nennenswert befaßt zu haben. Weizsäcker,
immerhin Mitglied des Club of Rome, verschenkte in der Zeitschrift "natur"
(ausgerechnet zum passenden Thema Geld) die günstige Gelegenheit,
auf die unvergleichliche Bedeutung Gesells hinzuweisen, indem er vorgab,
einen ökologischen (!) Grund für das Scheitern der Natürlichen
Wirtschaftsordnung gefunden zu haben. Ich halte diese unqualifzierte Aussage
eines Professors für erwähnenswert, weil sie ein schönes
Beispiel dafür ist, daß auch ein berühmter Name weder vor
Torheit schützt noch vor der Mühe, Gesell zu lesen, bevor man
sich über ihn äußert.
Gesell schlägt also vor, daß die jetzigen Grundeigentümer
ihr Land nur noch an den Staat verkaufen dürfen. Die bisher gepflegte
Praxis, sich selbst oder einen Strohmann in das Stadtparlament zu schleusen,
um der Umwandlung des eigenen Ackers in Bauland Beine zu machen, wäre
damit beendet. Innerhalb einer Generation würde so der ganze Boden
in den Besitz der Allgemeinheit übergehen. Der Bauer wäre jetzt
nicht mehr Eigentümer, sondern Nutzer des Bodens; also ein Pächter,
der den Hof selbstverständlich problemlos an seinen Hoferben weiterreichen
könnte. Da sich der Verkauf des Bodens an den Staat über lange
Zeiträume hinziehen wird, kann diese Reform so undramatisch abgewickelt
werden wie die Umstellung der Ernährung von Hafer auf Hirse. Schade,
daß Herbert Gruhl nie bis zu diesem Punkt vorgestoßen ist,
andernfalls würden die Programme der ökologischen Parteien heute
anders aussehen. Herbert Gruhl muß doch gewußt haben, daß
man Acker und Wiese nicht mit ins Grab nehmen kann. Er scheint - wie so
viele - befürchtet zu haben, Silvio Gesell würde ihm und den
Bauern die Butter vom Brot nehmen.
Was ändert sich denn groß an der Situation der Bauern durch
diese Bodenreform? Er kann seinen Acker wie bisher nach Lust und Laune
bewirtschaften; niemand kann ihn vom Hof jagen. Sicher, er kann dann den
Boden nicht mehr beleihen, aber wozu denn auch? Er bekommt doch das Geld
auf der Bank auch ohne diese "Sicherheit", noch dazu fast ohne
Zinsen! Anstatt den Banken die Zinsen in die Tresore zu schaufeln, zahlt
er jetzt dem Staat eine angemessene Pacht und sonst gar nichts! Wie war
denn das bisher? Hatte der Bauer mehrere Kinder, wurde er durch die Erbteilung
zur Verzweiflung gebracht (von der Erbschaftssteuer ganz zu schweigen).
Der Hoferbe ist heute gezwungen, seinen Geschwistern hohe Geldbeträge
auszuzahlen, um als Erbe den Hof allein übernehmen zu können.
Wie viele Bauernhöfe sind nicht allein durch diesen Wahnwitz ruiniert
worden? Um die gesetzlichen Ansprüche der Geschwister befriedigen
zu können, müssen in der Regel Kredite aufgenommen werden, die
ihm bei hohen Zinskosten jahrzehntelang wie ein schwerer Stein am Halse
hängen (und zum Halse heraushängen)! Oft reichen zwei schlechte
Ernten oder eine Viehseuche aus, um die Zahlungsunfähigkeit des um
seine Existenz ringenden und schuftenden Bauern zu besiegeln. Und das alles
doch nur, weil er Eigentümer statt Nutzer des Bodens ist. Ein Pächter
lacht sich doch halb tot über diese hausgemachten Probleme. Weit über
eine Million Bauernhöfe sind allein in Westdeutschland nach dem zweiten
Weltkrieg durch Existenzvernichtung verlorengegangen. Schuld war keineswegs
immer die Bundesregierung oder die EU; in vielen Fällen dürften
unlösbare Erbschaftsprobleme und die damit zusammenhängenden
Zinsbelastungen den Ausschlag gegeben haben.
Eigentum am Boden nagelt den Bauern praktisch für immer an die Scholle
fest. Pächter genießen die gleichen Vorteile, ohne jedoch die
Nachteile des Eigentums am Boden erleiden zu müssen. Sagt ihm im Alter
das Klima nicht mehr zu, kann er sich im Süden nach einem Altersruhesitz
umsehen, ohne einem ganzen Stab von Erben, Rechtsanwälten, Maklern
und Spekulanten ausgesetzt zu sein. Nach der Bodenreform geht der Hof selbstverständlich
völlig reibungslos an den Hoferben über. Die Geschwister des
Hoferben sind nun allerdings keine Blutsauger mehr, sondern müssen
- wie die Kinder eines Konzertgeigers - aus eigener Kraft zu beruflichen
Ufern und finanzieller Absicherung vorstoßen. Will keines der Kinder
- wie heute üblich - den Hof übernehmen, wird der Hof und die
Pacht öffentlich an den Meistbietenden versteigert.
Heutzutage nisten sich gerne "doppelverdienende" Akademikerehepaare
in zugrundegerichteten Bauernhöfen ein, während das Land von
Großbauern übernommen wird, die es mit Kunstdünger, Gülle
und Gift in ein Produktionsschlachtfeld verwandeln. Wer dieser perversen
Besitzkultur eine Träne nachweinen will, soll das ruhig tun; wir richten
unseren Blick derweil schon mal nach vorn: Freiland und Freigeld werden
diesen wichtigsten aller Berufe auf der Erde, den des Bauern, wieder so
attraktiv machen (und nicht nur so erscheinen lassen), daß ein Teil
der von der Industrie auf die Straße geworfenen Arbeiter und Angestellten
gerne in die Landwirtschaft zurückgehen wird. Dann werden Jungbauern
auch wieder eine Frau zum Heiraten finden, anstatt - wie mir aus Nordhessen
berichtet wurde - junge Frauen aus Polen einfliegen zu lassen, damit im
Dorf endlich mal wieder die Hochzeitsglocken läuten!
Daß diese Landwirtschaft der Zukunft eine ökologische Landwirtschaft
sein wird, also auf Kunstdünger und Gift völlig verzichtet, das
Grundwasser wirklich schont und den "Naturschutz auf der ganzen Fläche"
herbeiführt, liegt auf der Hand und ließe sich in einem Abwaschen
gleich miterledigen.
Schon zu Gesells Zeiten wurde von Gegnern der Natürlichen Wirtschaftsordnung
bezweifelt, daß der Staat in der Lage sei, den ganzen Ackerboden,
Wiesen und Wälder, Kiesgruben und Bergwerke aufzukaufen. Natürlich
wäre das in der heutigen Zinswirtschaft schwierig oder gar unmöglich,
aber in einer Gesellschaft, die den Bodenwucher und die Zinsknechtschaft
überwunden hat, ist es möglich. Bei schrittweiser Einführung
der Boden- und Geldreform würden dem Staat ausreichende Geldmittel
zur Verfügung stehen, um den Grundeigentümern die Entschädigungen
auszahlen zu können. Lesen wir dazu Silvio Gesell:
"Unmittelbar gewinnt oder verliert niemand durch den Rückkauf
des Grundbesitzes. Der Grundeigentümer zieht aus den Staatspapieren
an Zins, was er früher an Rente aus dem Grundeigentum zog, und der
Staat zieht an Grundrente aus dem Grundeigentum das, was er an Zins für
die Staatspapiere zahlen muß. Der bare Gewinn für den Staat
erwächst erst aus der allmählichen Tilgung der Schuld mit Hilfe
der später zu besprechenden Geldreform. Mit Hilfe dieser Geldreform
wird es im Laufe von etwa zwanzig Jahren möglich sein, den früheren
Grundeigentümern die ihnen zustehenden Entschädigungen restlos
auszuzahlen. Da die Schulden des Staates gegenüber den ehemaligen
Grundeigentümern um so schneller abgebaut werden können, je tiefer
die Zinsen auf dem allgemeinen Kapitalmarkt sinken, macht der Staat schon
nach wenigen Jahren Gewinn, da ihm die Pachteinnahmen auf immer und ewig
entgegensprudeln, während die Ausgaben zur Befriedigung der ehemaligen
Grundbesitzer von Jahr zu Jahr abnehmen und nach ca. 20 Jahren ganz getilgt
sein werden.
Wie das jetzt im einzelnen geregelt werden soll, bleibt Expertenkommissionen
überlassen, die übrigens schon heute zusammentreten könnten,
wie die Tagungen der Freiwirte - so nennen sich die Anhänger Silvio
Gesells - seit Jahren beweisen. Mit der sonst in Wirtschaftsfragen beauftragten
Professorengarnitur wird dann allerdings nicht mehr viel Staat zu machen
sein. Diesen Experten der herkömmlichen Nationalökonomie bleibt
aber voraussichtlich noch eine ordentliche Verschnaufpause, in der sie
- wie gewohnt - erneut beweisen können, daß ihnen außer
dem Wirtschaftswachstum mit all seinen verheerenden Folgen nichts mehr
einfällt.
Werden diese Kanzlerberater noch vor der Jahrtausendwende im Büßergewand
durch die Straßen ziehen, an jeder Ampel Selbstkritik üben und
ihre Studenten dafür um Verzeihung bitten, daß sie ihnen das
Vermächtnis Silvio Gesells so lange verschwiegen haben? Sie werden
es natürlich nicht tun, sondern sich von diesen beiden Möglichkeiten
eine aussuchen. Erste Reaktionsmöglichkeit: Sie befassen sich endlich,
wenn auch zähneknirschend und nur auf Druck der Studenten, wissenschaftlich
mit der Natürlichen Wirtschaftsordnung - in der verzweifelten Hoffnung,
deren Unmöglichkeit beweisen zu können.
Das wäre mir am liebsten; ist doch davon auszugehen, daß die
Herren Professoren aus dem Staunen gar nicht wieder herauskommen werden
und schließlich vom Saulus zum Paulus konvertieren. Von der zweiten
Möglichkeit werden wohl die meisten Gebrauch machen; es ist ja auch
die naheliegendste; seit Jahrzehnten übt man sich darin: Gesell wird
einfach weiter ignoriert (Professoren sind in Deutschland unkündbar
und können sich das leisten) und seine Anhänger als weltfremde
Phantasten verhöhnt und jedes Experiment, das wie im österreichischen
Wörgl die Überlegenheit der Reformen Gesells unter Beweis stellen
könnte, als viel zu gefährlich für die Wirtschaft (und die
Profite der Krisengewinnler!) abgelehnt. Mit dieser Einstellung ist man
bisher gut über die Runden gekommen, weil sie den Erwartungen von
Presse, Politik und Kapital entspricht.
Es muß also Druck gemacht werden. Rein zahlenmäßig sind
die Krisengewinnler nicht besonders stark; überhaupt nicht zu vergleichen
mit denen, die zur Miete wohnen (70 % Zinsen!), Sozialhilfe empfangen,
arbeitslos sind oder um ihren Arbeitsplatz bangen. Da die Bodenreform -
zusammen mit der Geldreform - die Arbeiter, Angestellten, Beamten, Künstler,
Handwerker, Bauern, Unternehmer und alle sonstigen Personen begünstigen
würde, die weniger als 250 000 DM pro Jahr verdienen, wird man von
einer satten 90%-Mehrheit der Nutznießer ausgehen können. Das
will allerdings so viel noch nicht besagen, denn die restlichen 10 % haben
das Sagen und wälzen sich im Segen der Kirche, der Medien, der hohen
Politik und des großen Kapitals (darunter verstehe ich Personen,
die ohne Arbeit mehr als DM 10.000 pro Tag verdienen).
Es stehen also 90 geschwächte Mäuse zehn strammen Katzen gegenüber.
Das ist die Ausgangslage, und die ist besorgniserregend, denn eine kerngesunde
Katze läßt sich von neun Mäusen so schnell nicht vom Kurs
abbringen, geschweige denn in die Flucht jagen. Man beginnt die Resignation
derer zu verstehen, die sich nie dazu aufraffen konnten, der Übermacht
des Geldes ein Bein zu stellen. Darum schlage ich vor, daß wir Schwierigkeiten,
die uns zunächst überwältigend erscheinen, in unermüdlicher
Arbeit überwinden. Die Pässe der Alpen waren doch auch einmal
fast unüberwindlich. Erst als man daranging, Wege und Straßen
sogar unter Inkaufnahme großer Umwege in Form von Serpentinen in
die Felsen zu sprengen, wurde das Ziel erreicht. Welcher Autofahrer aus
dem Flachland denkt schon an die mühsame, gefährliche, kostspielige
und zeitraubende Arbeit dieser straßenbaulichen Meisterleistungen
und Triumphe? Man tritt auf das Gaspedal und genießt die spektakuläre
Aussicht. Das werden bestimmt auch jene einmal tun, die in den Genuß
der Natürlichen Wirtschaftsordnung kommen. Arbeitslosigkeit, soziale
Ungerechtigkeiten und Not werden dann vergessen sein.
Man wird sich dann auch nicht mehr vorstellen können, daß die
Bauern einmal vor der Alternative gestanden haben, entweder den Hof zu
zerstückeln und gleichmäßig auf die Zahl der Kinder zu
verteilen, oder sich so hoch zu verschulden, daß der Hoferbe mit
seiner Frau nur noch ein einziges Kind zu zeugen wagt, um wenigstens diesem
Erben die endgültige Zerstückelung des Hofes zu ersparen. Wer
wird sich nach erfolgreicher Durchführung der Boden- und Geldreform
noch dafür interessieren, daß die Menschen in diesem Land einmal
ihr halbes Leben lang nur für die Zinskassierer haben arbeiten müssen?
Man wird diese zurückliegende Zeit zu verdrängen suchen wie den
Holocaust. Bloß nicht mehr dran denken! Es ist schließlich
auch ein bißchen peinlich, als erwachsener Mensch so dumm gewesen
zu sein, den Reichen und Superreichen wie ein Sklave gedient zu haben,
ihnen in den Auspuff gekrochen zu sein. An derart perverse Dinge werden
die Leute mit Sicherheit nicht gern zurückdenken wollen; vielleicht
mit Ausnahme derer, die namhaften Anteil an den Reformbewegungen gehabt
haben.
Spricht es nicht für den Altruismus Silvio Gesells, daß er im
Drehbuch dieser Reform so ganz ohne Gewalt auskommen konnte und trotzdem
revolutionär blieb? Und spricht es nicht für den Gerechtigkeitssinn
dieses Erneuerers, daß er sich wünschte, die Bodenrente (Pachteinnahme
des Staates) möge den Müttern nach der Zahl ihrer Kinder ausgezahlt
werden? Gerade Mütter, die ein bevorzugtes Opfer der Bodenwucherer
und Grundstücksspekulanten sind, und oft nur wegen der unbezahlbaren
Mieten zwei bis drei Putzstellen annehmen müssen, sollen nach den
Vorstellungen Silvio Gesells Nutznießer Nr. 1 sein. Ich gebe gerne
zu, von dieser Absicht Gesells sehr überrascht gewesen zu sein und
gehe davon aus, daß es manchem meiner Leser auch so geht. Die Argumente
für ein derartiges Müttergehalt aus der Bodenrente sind jedoch
so einleuchtend, daß man sich fast schon wieder schämt, nicht
selbst auf diese Idee gekommen zu sein.
Es sind doch die Mütter, die mit ihrem Kindersegen die Nachfrage nach
Wohnraum und damit die Nachfrage nach Bau- und Ackerland begründen!
Anstatt sich wie bisher an dieser Nachfrage dumm zu verdienen, sie schamlos
zu mißbrauchen, geht jetzt das Geld, das der Staat von den Pächtern
erhebt, z.T. direkt auf das Konto der Mütter. Frauen, die bisher wegen
finanzieller Abhängigkeit die Zähne zusammenbeißen mußten
oder ins Frauenhaus flüchteten, werden dann frei darüber entscheiden
können, wie, wo und mit wem sie die Zukunft ihrer Kinder gestalten.
Auch den alltäglichen Zusammenhang zwischen Alleinerziehung und bitter
arm sein wird es dann nicht mehr geben können.
Für Gesell war es selbstverständlich, daß der wertvolle
Boden auf dieser Erde allen Müttern der ganzen Erde zur Verfügung
gestellt werden muß und nicht etwa nur in Argentinien, der Schweiz
oder Deutschland, den Ländern seines Wirkens. Zugegeben, es fällt
viel leichter, die bisherige Misere weltweit für einen unveränderlichen
Dauerzustand zu halten, als an die Durchführbarkeit dieser wünschenswerten
Reformen im eigenen Land zu glauben; aber wer sagt denn, daß wir
es uns leichtmachen sollen? Entscheidend ist doch, daß wir endlich
einsehen, daß die gesellschaftlich geduldete Gewalt gegen Mütter
aufhören muß: Auf der einen Seite arme, arbeitslose Mütter,
die von der Sozialhilfe leben und aus der Rolle des Bittstellers oft erst
im Rentenalter herauswachsen (oder auch nicht), obwohl sie Kinder aufziehen,
also die Zukunft unseres Landes mit dem wertvollsten aller Beiträge
gestalten, und auf der anderen Seite kinderlose Paare oder Singles, die
wieder einmal einen herrlichen Urlaub auf den Fidschi-Inseln verleben und
sich einen Dreck um die eigene Alters- und Pflegeversicherung kümmern,
weil es doch zuhause in engen Wohnungen noch genügend Mütter
gibt, die den Rentenzahlernachwuchs treu und brav heranfüttern.
Diese zutiefst unsolidarischen, oft sicher auch nur gedankenlosen Beziehungen
zwischen Bevölkerungsgruppen, die praktisch auf einer Stufe stehen
und sich eigentlich gemeinsam gegen das große Kapital, den lachenden
Dritten, zur Wehr setzen müßten, sind eine Tragödie und
ein Skandal. Hören wir endlich damit auf, uns auf Nebenkriegsschauplätze
und falsche Fährten locken zu lassen, die im großen Bogen an
den Goldgruben der Zinsverniedlicher vorbeiführen. Es ist ein großer,
ja ein entscheidender Irrtum, zu glauben, die Grundeigentümer und
das Grundeigentum hätten mit der sozialen Ungerechtigkeit nichts zu
tun. Dazu noch einmal Silvio Gesell: "Alle die kleinen, so selbstverständlichen
Freiheiten, deren man sich heute erfreut, wie z.B. die Freizügigkeit,
die Abschaffung der Leibeigenschaft und Sklaverei, mußten gegen die
Grundrentner erkämpft werden, und zwar mit Waffen. Denn zu Kartätschen
griffen die Grundrentner, um ihre Belange zu verteidigen. In Nordamerika
war der lange, mörderische Bürgerkrieg nur ein Kampf gegen die
Grundrentner".
Vor der Einführung des römischen Rechts gehörte das Land
der Allgemeinheit, also allen. Heute gehört uns noch das Ziehen der
Wolken, das Quaken der Frösche und das Zwitschern der Vögel;
aber das Land gehört uns nicht mehr. Durch die Bodenverstaatlichung
fallen dem Staat durch Pachteinnahmen enorme Summen zu, die das politische
Hickhack in den Parlamenten überflüssig machen. Wo heute noch
jahrelang lächerlichste Diskussionen über Selbstverständlichkeiten
wie etwa das Recht auf bezahlbaren Wohnraum, das Recht auf einen Kindergartenplatz
und das Recht auf eine angemessene Versorgung im Alter geführt werden
müssen, werden künftig ehrenwerte Fachleute (also keine gekauften
Experten) in Kommissionen zusammentreten und ein Problem nach dem andern
zügig einer finanziell abgesicherten Lösung zuführen. Es
ist eben ein Unterschied, ob das Volksvermögen über den Schleichweg
Zins auf die Konten der Reichen gespült wird oder wirklich allen Menschen
zur Verfügung steht.
Mit welcher Ruhe und Gelassenheit wird sich künftig eine Frau den
Mann fürs Leben und den potentiellen Vater ihrer Kinder aussuchen
können, wenn sie schon vorher weiß, daß ein Kind nie wieder
zu einer finanziellen Abhängigkeit vom "Ernährer" führen
kann, und mit welcher Kraft wird sie dem sich als unwürdig erweisenden
Partner ggf. den Koffer vor die Haustür stellen, anstatt sich die
schönsten Jahre ihres Lebens stehlen zu lassen!
Linke Kreise, die nicht darüber hinwegkommen, daß Karl Marx
nur ökonomischen Murks hinterlassen hat (ich kann doch auch nichts
dafür), haben den Marx-Entzauberer Silvio Gesell in die braune Ecke
zu stellen versucht; u.a. wohl auch deshalb, weil in den zwanziger und
dreißiger Jahren seitens einiger Anhänger Gesells ja auch tatsächlich
versucht worden ist, den Nazis die interessante Zinszertrümmerung
Gesells schmackhaft zu machen. Die Verherrlichung der Mutter und die Verwendung
der (zutreffenden!) Bezeichnung "Zinsknechtschaft" durch die
Nazis lassen bei sehr oberflächlicher Betrachtung durchaus so etwas
wie einen gemeinsamen Nenner erkennen, immer vorausgesetzt, daß man
sich in die eigene Tasche lügen möchte, denn die reichlich vorhandenen
Fakten besagen das Gegenteil.
Wer hat denn damals die Juden gegen den auf sie gemünzten Vorwurf
verteidigt, die Ursache der Zinsknechtschaft zu sein? Silvio Gesell war
es, der sich gegen diese ungerechtfertigte Kritik an den Juden verwahrte,
die Juden ausdrücklich in Schutz nahm und statt dessen die Finanzgewaltigen
und Kriegsgewinnler zum Volksfeind erklärte. Daß sich unter
diesen Leuten möglicherweise auch Juden befanden, gibt niemandem das
Recht, Gesell braun einzufärben. Sein Freiheitsbegriff und seine Vorstellungen
von der Würde des Menschen gehören zum Schönsten und Großartigsten,
was in diesem Jahrhundert gedacht, gesagt und geschrieben wurde. Wäre
ich nicht so ein hartgesottener Typ, ich hätte bei einigen Passagen
seines Hauptwerkes (Die Natürliche Wirtschaftsordnung) weinen können
vor Ergriffenheit, Begeisterung, Vorfreude und Wut; nicht jedoch aus Verzweiflung,
denn die Verzweiflung setzt den Zweifel voraus, und gerade den läßt
Gesell in seinen wesentlichen Aussagen nicht aufkommen.
Alles ist so klar bei ihm; es ist nicht unbedingt gleich zu verstehen,
aber unübertroffen logisch und von erstaunlicher Aktualität.
Andererseits war auch Gesell nur ein Mensch und ein Kind seiner Zeit. Seine
völlig unbefangene Einstellung zu den heute als äußerst
problematisch empfundenen Themen wie z.B. Rasse und Zucht, bringt stellenweise
leider einen Mißklang in das ansonsten so großartige Werk.
Dieses Werk ist eigentlich ein Bergwerk, ein Stollen, eine Goldader und
eine Fundgrube zugleich. Je tiefer wir darin vorstoßen, desto größer
die moralische Verpflichtung für jeden Eindringling, diese Schätze
nicht nur zu bestaunen, sondern auch heben zu helfen.
Linke und grüne Erbsenzähler haben sich bei diesen Ausgrabungsarbeiten
nicht hervorgetan, sind aber bei der Suche nach dem Haar in der Suppe fündig
geworden. Nicht ohne Stolz präsentieren sie einem den Sozialdarwinismus
eines 1930 gestorbenen Mannes und ziehen aus dieser Entdeckung die Konsequenz,
sich mit der Natürlichen Wirtschaftsordnung schon aus ideologisch-moralischen
Gründen gar nicht befassen zu dürfen. Was ich an dieser abstrusen
Einstellung fast schon wieder symphatisch finde, ist die unausgesprochene
Forderung nach dem Heiligenschein, den dieser bedeutende Pionier eben auch
noch hätte haben müssen. Diese Moralapostel trennen in der heimischen
Küche den Hausmüll liebevoll und vorschriftsmäßig
in bis zu sechs verschiedene "Fraktionen", um anschließend
mit dem Ozonlochfresser in den Urlaub zu fliegen.
So bastelt sich jeder sein Schlupfloch, um nicht in Gefahr zu geraten,
an bevorstehenden Veränderungen auch selbst einmal mitwirken zu müssen.
Sicher, man könnte die Meinung vertreten, den Geldsäcken noch
ein paar schöne Jahre zu gönnen "und dann aber Schluß".
Das hätte zumindest den Vorteil, jetzt im Moment nicht aktiv werden
zu müssen; alles könnte zunächst so weiterlaufen wie bisher.
Hat man jedoch das Schicksal arbeitsloser, alleinerziehender Mütter
vor Augen, denen doch geholfen werden müßte, so lange die Kinder
noch klein sind, dann fällt es schwer, einer ungerechten Verteilung
des Volksvermögens durch Passivität eine völlig unnötige
Dauer zu verleihen, anstatt diese Verbrechen an Kindern und Frauen so schnell
wie möglich zu beenden. Jeder Tag, den wir im Bewußtsein unserer
neuen Möglichkeiten ungenutzt verstreichen lassen, ist ein gestohlener
Tag für ein Kind. Jede Woche, die wir im Bewußtsein der Notwendigkeit
einer Geld- und Bodenreform tatenlos vergeuden, ist ein Schlag ins Gesicht
der Frauen und Arbeitslosen. Jeder Monat, den wir durch zögerliches
Abwarten sinnlos verschwenden, nagt an der Hoffnung eines Verzweifelten,
dem - das wissen wir doch jetzt - so leicht geholfen werden könnte!