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7 Warum Wachstum ?
Wenn sich ein deutscher Bundeskanzler im Fernsehen zur Lage der Nation
oder zur Wirtschaft äußert, fällt schon nach wenigen Sekunden
das Wort Wachstum oder Wirtschaftswachstum. Und dann geht es Schlag auf
Schlag: Wachstum, Wirtschaftswachstum, Wachstum usw. Ich wollte mal mitzählen,
aber das hätte mir ja doch keiner geglaubt, also unterblieb es, und
so wissen wir bis auf den heutigen Tag nicht genau, wie oft sich das Wort
Wachstum in einer Rede des Bundeskanzlers unterbringen läßt.
Da auch die Interviewpartner des Kanzlers bei diesem magischen Wort jedesmal
in Ehrfurcht versinken und ganz blanke Augen kriegen, sollte man davon
ausgehen können, daß Wachstum eine feine Sache ist, besonders
natürlich das Wirtschaftswachstum. Hätten wir nur genug davon,
gäbe es kaum Probleme, ist die einhellige Meinung der "Experten",
und die Mehrheit der Bevölkerung scheint das auch zu glauben.
Gemeint ist ein ständiges Wachstum, das von keiner Stagnation unterbrochen
wird. 1995 Wachstum, 1996 Wachstum, 1997 noch mal Wachstum und ab 1998
dann schießlich nur noch Wachstum. Also Wachstum auf Wachstum. Ein
solches Wachstum, das wie beim Jesuspfennig durch den Verdoppelungseffekt
die Umwelt zerstört, bevor es absurde Ausmaße angenommen hat,
entzieht sich der menschlichen Vernunft und kann daher die instinktive
Gefahrenabwehr, den Selbsterhaltungstrieb des Menschen, heimtückisch
unterlaufen, vergleichbar mit einem tödlichen Virus, dem es gelingt,
das menschliche Immunsystem zu überlisten.
Seit Donella und Dennis Meadows 1972 in ihrem Buch "Die Grenzen des
Wachstums" die Ahnungslosen mit diesem Schlagwort konfrontierten,
haben Politiker nicht aufgehört, eben diese Grenzen zu verschweigen
und zu ignorieren. Haarsträubende Beispiele wie der Jesuspfennig oder
die bekannte indische Geschichte mit dem Schachbrett und den Weizenkörnern
haben eben den Nachteil, daß man schnell zu der beruhigenden Einsicht
gelangt, es sei ja nur ein Gedankenspiel, das mit der Wirklichkeit wenig
zu tun habe. Wer sich die Sache mit den Gefahren des Wachstums so einfach
macht, sollte mit dem Bundeskanzler unverzüglich Brüderschaft
trinken; der denkt nämlich auch so. Bevor der Jesuspfennig die nicht
mehr vorstellbare Größe in Gold angenommen hat, zerstört
er die Lebensgrundlagen der ganzen Menschheit, vergleichbar mit einem Krebsgeschwür,
das ja nur deshalb nicht weiterwächst, weil es mit dem Tode des Patienten
seinem eigenen Wachstum eine Grube gräbt. Eine weitere Gefahr liegt
darin, daß der Mensch von Natur aus linear zu denken gewohnt ist
und keinen Instinkt besitzt, der ihn vor den Gefahren exponentiellen Wachstums
warnen könnte. "Immer schön der Reihe nach". Wer kennt
ihn nicht, diesen sympathischen, treudeutschen Spruch. Wir lernen in der
Schule eins, zwei, drei, vier, fünf und können damit im Leben
ja auch wirklich etwas anfangen. Was wir dagegen nicht lernen, ist, uns
vor folgender Zahlenreihe in acht zu nehmen; sie beginnt übrigens
genau so harmlos wie die erste Zahlenreihe: Eins, zwei, vier, acht, sechzehn,
zweiunddreißig usw. Mit dieser nach hinten offenen Zahlenreihe haben
es jene zu tun, die sich ein ständiges Wirtschaftswachstum mit gleichbleibenden
Prozentsätzen wünschen, weil sie offenbar zu wenig Verstand haben,
um sich die Konsequenzen ihrer perversen Wünsche vorzustellen. Darum
sollte man den unverbesserlichen Anhängern eines ständigen Wirtschaftswachstums
mildernde Umstände einräumen, denn sie wissen offenbar nicht,
was sie tun. Wer dagegen die respektable Meinung vertritt, der Bundeskanzler
z.B. habe durchaus genug Verstand und wisse sehr wohl um die tödlichen
Gefahren exponentiellen Wirtschaftswachstums, der kommt dann auch nicht
umhin, ihn für einen gefährlichen Krisenverursacher zu halten,
den man so schnell wie möglich aller seiner Ämter entheben sollte.
Hat nicht auch er einmal geschworen, "den Nutzen des Volkes zu mehren
und Schaden von ihm abzuwenden"? Selten ist ein Schwur - trotz hingehaltener
Bibel - leichtsinniger dahingeplappert worden.
Für den jetzigen Kanzler spricht allerdings, daß er schon einmal
- im Parteispendenskandal - durch einen amtlich bestätigten Blackout
davor bewahrt wurde, wie sein Spendenkollege Graf Lambsdorf, rechtskräftig
verurteilt zu werden. Man sollte sich aber nicht zu lange damit aufhalten,
darüber nachzudenken, ob er in schicksalhaften Wirtschaftsfragen diesen
Blackoutbonus schützend vor sich herschieben darf, würde doch
dies auf eine Narrenfreiheit hinauslaufen, die in letzter Konsequenz einem
öffentlich geduldeten Staatsverbrechen gleichkäme.
Bevor wir zur Entlastung des Bundeskanzlers zu der Frage vorstoßen,
weshalb er und seine Lobby eigentlich so scharf auf Wirtschaftswachstum
sind, sei das Thema Wachstum noch mal von einer anderen Seite aus beleuchtet:
Wer Kinder heranwachsen sieht, macht normalerweise eine freudige Erfahrung:
Sie hören mit etwa 20 Jahren auf zu wachsen. Selbst wenn man sie mit
Steaks und Kuchen regelrecht mästen würde, das Längenwachstum
ist mit zwanzig beendet. Da nützen keine Pillen und auch keine Streckübungen;
es ist aus und vorbei damit. Selbst der Kanzler wird mir in diesem Punkt
zustimmen. Spezielle Gene sorgen dafür, daß uns drei bis vier
Meter hohe Kinder erspart bleiben, für die es nur im Zirkus eine sinnvolle
Verwendung geben würde. Auch Bäume hören irgendwann einmal
auf, in die Höhe zu wachsen. Bäume - das ist bekannt - wachsen
nicht in den Himmel.
Wachstum ist vielleicht das Wunderbarste an der ganzen Schöpfung.
Darum verstehe ich einerseits auch den Kanzler, der ja einer betont christlichen
Partei angehört, wenn er von diesem göttlichen Wachstum gar nicht
genug kriegen kann. Wunderbarerweise sind dem Wachstum in der Natur jedoch
Grenzen gesetzt, die wir alle kennen, die uns auch nicht stören, die
wir ganz im Gegenteil begrüßen und erfolgreich zu nutzen wissen.
Zwar ist es denkbar, daß Genforschern Versuchsratten durch die Lappen
gehen, die beim Wiedereinfangen die beachtliche Größe einer
Wildsau erreicht haben, aber schön und wahrscheinlich ist diese Vorstellung
nicht. Nur wenn eine Stadt durch ein Erdbeben oder ein ganzes Land durch
den Krieg zerstört wurde, ist Wachstum vorübergehend wünschenswert
und notwendig. Ganz ohne Zweifel war es angebracht, den Wiederaufbau Deutschlands
nach dem zweiten Weltkrieg durch das berühmte Wirtschaftswunder, also
durch Wachstum beschleunigt zu haben. Doch wie ein Baum, der mit 50 Metern
das Längenwachstum einstellt und dann nur noch etwas in die Breite
geht, hätte das Wirtschaftswachstum Mitte der sechzigerJahre einem
"qualitativen Nullwachstum" weichen müssen.
Statt dessen geriet die damalige Bundesregierung in Panik, erlebte die
erste Wirtschaftskrise, versuchte, sich mit einer großen Koalition
Luft zu verschaffen und spendierte sich das verrückte "Gesetz
zur Förderung des Wachstums und der Stabilität der Wirtschaft",
auch Stabilitätsgesetz genannt. Was war geschehen? Eigentlich nichts
Ernstes. Die Bundesbürger hatten sich an der Freßwelle überfressen,
die Plüschsofa- bzw. Einrichtungswelle gerade noch geschafft und waren
dann etwas müde geworden, hatten es zur Abwechslung mal etwas langsamer
angehen lassen. Eigentlich eine sehr vernünftige Reaktion, wie sie
beispielsweise auch nach einem allzu üppigen Essen ärztlicherseits
empfohlen wird, um aus dem Rülpsen und Furzen möglichst bald
wieder herauszukommen.
Die Leute hatten sich endlich mit dem Nötigsten versorgt und begannen
sich darauf einzurichten, vor dem Fernsehapparat das Erreichte zu genießen.
Industrie und Werbung erkannten damals, daß man von der Bedarfsdeckung
ganz schnell zur Bedarfsweckung übergehen müsse, um ab sofort
auch völlig überflüssige oder unsinnige und sogar schädliche
Produkte verkaufen zu können. Helmut Creutz hat diese Zusammenhänge
wie kein anderer vor ihm erkannt und in seinem Buch "Das Geldsyndrom"
in eindrucksvoller Weise dargestellt. Was für ein Ramsch in den sechziger
und siebziger Jahren mit Hilfe der Reklame - heute heißt es Werbung
- tatsächlich verkauft werden konnte, ist heute noch an Sperrmülltagen
auf dem Gehsteig zu bestaunen. Durch künstliche Bedarfsweckung - und
das war neu - konnte also eine zweite Kaufrauschwelle ausgelöst werden,
die aber schon bald an ihre Grenzen stieß, da den Konsumenten das
nötige Kleingeld ausging und der Einkauf auf Pump noch nicht so gesellschaftsfähig
war wie heute. Die Industrie blieb also erneut auf einem Teil ihrer Waren
sitzen und baute erstmalig nach dem Krieg Arbeitsplätze in größerem
Umfang wieder ab. Vom bisherigen Wachstum verwöhnt und selbstverständlich
davon ausgehend, daß dies immer so weitergehen würde, standen
Industrie, Gewerkschaften und Regierung den 500.000 Arbeitslosen ziemlich
ratlos gegenüber. Daß sich diese - heute niedlich anmutende
- Zahl Mitte der neunziger Jahre fast verzehnfachen würde, ahnte damals
noch keiner. Da es sich jetzt für das große Kapital plötzlich
nicht mehr lohnte, in eine stagnierende Industrie zu investieren, wurden
große Geldmengen auf den Kapitalmarkt geschwemmt, was natürlich
die Zinsen nach unten drückte. In einer derartigen Situation greifen
Kapitalisten zum bewährten Mittel der Geldhortung, um durch Kapitalmangel
die Wirtschaft zu zwingen, das Geld mit hohen Zinsgeschenken aus den Rattenlöchern
der Spekulanten wieder hervorzulocken. Kommt die Wirtschaft dieser Erpressung
der Kapitalisten nicht oder nicht schnell genug nach, gerät das Land
an den Rand der Rezession, denn wie dem Leser schon mehrfach dargestellt,
bringen schon kleinste Stokungen im Geldumlauf den Kreislauf der Wirtschaft
in größte Gefahr.
Mit dem oben schon erwähnten Stabilitätsgesetz zur Ankurbelung
des Wachstums wurde 1967 eine vom großen Kapital begeistert gefeierte
Möglichkeit geschaffen, Milliardenbeträge gegen hohe Zinsen von
den Tresoren der Zinserpresser ohne Risiko auf das Schuldenkonto des Staates
zu lenken. In der Stunde der Not und zur Abwendung einer Katastrophe können
Schulden durchaus sinnvoll sein, doch hier ging es zum ersten Male in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland um den perversen Plan, ohne Rücksicht
auf natürliche Sättigungstendenzen für unaufhörliches
Wachstum zu sorgen. Der Staat spielte sich zum Arbeitgeber auf, indem er
das geliehene Geld der Reichen in Großprojekte fließen ließ
und damit, wenn auch nur vorübergehend, neue Arbeitsplätze schuf
Atomkraftwerke, Autobahnen, sinnlose Kanalbauten, Weltraumforschung und
der Aufbau einer nach dem Kriege nicht für möglich gehaltenen
Rüstungsindustrie konnten ohne Rücksicht auf das Gesetz von Angebot
und Nachfrage mit gepumptem Geld aus dem Boden gestampft werden.
Da alle diese Projekte wenig oder keinen Gewinn abwarfen und außerdem
mit gewaltigen Zinsforderungen der Kapitalgeber belastet waren, blieb dem
Staat nur der Ausweg, diesen Zuschußbetrieb durch Steuererhöhungen
zu finanzieren. An dieses "Wachstum" hatten Arbeitnehmer und
Gewerkschaften natürlich nicht gedacht, und so forderten diese als
Ausgleich entsprechende Lohnerhöhungen, die nun ihrerseits die Arbeitgeber
zwangen, die Preise zu erhöhen und/oder das Exportgeschäft gewaltig
auszuweiten. Deutschland wurde Exportweltmeister aller Staaten dieser Erde;
Jahr für Jahr konnten neue Rekorde aufgestellt werden - ohne Rücksicht
auf Mensch und Natur; aber auch ohne Rücksicht auf jene Länder,
die unsere Exportüberschüsse mit entsprechenden Importüberschüssen
zu bezahlen hatten; d.h. wir verkauften auf Deubel komm raus, ohne diesen
Ländern entsprechend viel von ihren eigenen Erzeugnissen abgekauft
zu haben.
Von der Bevölkerung zunächst gar nicht bemerkt, unterließ
es der Staat, in Zeiten der Hochkonjunktur die Schulden abzutragen, was
in den ersten Jahren durchaus noch möglich gewesen wäre. Statt
dessen beschränkte sich der Staat darauf, immer neue Schulden aufzunehmen
(das Wort Neuverschuldung entstand) und den Kapitalgebern die Zinsen pünktlich
und korrekt zu überweisen. In seinem Buch "Das Geldsyndrom"
stellt Helmut Creutz dazu fest: "Garantierte Abnahmemengen bei garantierten
Preisen und Gewinnen machten die Rüstungsproduktion zu einer Wachstumsbranche
ersten Ranges. Für die Industrie wurde es viel einfacher und sicherer,
ein Dutzend Politiker für einen neuen Panzer zu gewinnen, als Millionen
Verbraucher für ein neues Produkt." Wenn also der Staat dazu
übergeht, selbst in guten Zeiten Schulden aufzunehmen statt diese
abzubauen, dann wird auch verständlich, daß die ungeheuerliche
Absicht besteht, diese Schulden niemals wieder zu tilgen, weil es dafür
inzwischen zu spät ist. Die verantwortlichen Politiker haben erkannt,
daß die durch Schulden mitverursachte Wachstumsspirale nur noch in
eine Richtung gedreht werden kann, und das bedeutet, daß zur Vermeidung
des Staatsbankrotts ständig neue Schulden zu den bereits vorhandenen
Schulden aufgenommen werden müssen. Den Verantwortlichen ist bekannt,
daß der unweigerlich bevorstehende Staatsbankrott für die Bevölkerung
um so schlimmer sein wird, je länger er durch "Neuverschuldung"
hinausgezögert wird. Das ist wie beim Bergsteigen ohne Seilsicherung:
Je höher man steigt, desto tiefer der Fall. Noch einmal Helmut Creutz:
"Hinter vorgehaltener Hand wird einem häufig bestätigt,
daß ein solches ständiges Wachstum natürlich nicht fortzusetzen
sei. Aber heute - heißt es im gleichen Atemzug - könne man darauf
noch nicht verzichten."
Was sind das für Gründe, die fortgesetztes Wachstum und die damit
einhergehende Verschuldung scheinbar erzwingen? Aus der Sicht der verantwortlichen
Politiker und ihrer Berater ist Wachstum mit Wohlstand gleichzusetzen.
Daß dieser Wachstumszwang aber in Wirklichkeit eine Zwillingsschwester
des Vermögenswachstums (der Reichen!) durch Zinsen ist und den Lebensstandard
von über 90% der Bevölkerung tödlich bedroht, wird uns verschwiegen.
Vor Jahren hieß es, Wachstum sei die Voraussetzung dafür, daß
wir der Dritten Welt beistehen können. Heute wissen wir, daß
die Entwicklungshilfe nicht einmal zum Bezahlen der Zinsen reicht, die
unsere Kapitalexporte aus diesen armen Ländern herauspressen. Im Klartext:
Die Entwicklungshilfe kommt dort gar nicht an, weil sie vorher mit den
Zinsverpflichtungen dieser bedauernswerten Länder banktechnisch verrechnet
wird! Als diese Masche nicht mehr zog, hieß es plötzlich: Wir
brauchen Wachstum, um die durch das Wachstum angerichteten schweren Umweltschäden
wieder beseitigen zu können. Das ist ungefähr so, als würde
man den Mörder, der das Opfer gerade niedergestochen hat, an Ort und
Stelle feierlich zum Notarzt befördern. Kann es noch dümmer kommen?
Da kam der frühere Bundesminister Volker Hauff der Sache schon etwas
näher, als er zugab, daß sich das kapitalistische Wirtschaftssystem
(gemeint war die Zinswirtschaft!) ständig ausweiten müsse, wenn
es funktionieren solle. Aber damit ist immer noch nicht gesagt, weshalb
es denn - zum Donnerwetter noch mal - ständig wachsen muß! Es
ist der Zins; das muß man sich mal vorstellen! Der unscheinbare,
von Menschen erdachte und gemachte Zins tanzt der Wirtschaft auf der Nase
herum und bricht ihr schließlich das Genick. Die Unterschätzung
dieser Gefahr beginnt bereits in der Schule, wo einflußreiche Kräfte
seit über hundert Jahren dafür sorgen, daß der Lehrer die
Kinder nur den Zinsgenuß berechnen läßt, nicht jedoch
die verheerende Wirkung der Zinslast. Nun aber endgültig: Warum ist
Wachstum im kapitalistischen System unvermeidbar und in diesem unmenschlichen
System sogar notwendig? Wer einen Kredit zurückzahlt, muß bekanntlich
zusätzlich zur Kreditsumme Zinsen bezahlen, das dürfte klar sein.
Dadurch verringert sich das Einkommen des Schuldners, da er um den Betrag
ämer geworden ist, um den er den Kreditgeber reicher machte. Auch
das dürfte unstrittig sein. Unter diesen Bedingungen findet aber noch
kein Wachstum statt, denn dem Minus des Schuldners steht ein gleichhohes
Plus des Kreditgebers gegenüber. Um aber dieser schmerzhaften Ausplünderung
durch den Zinsnehmer zu entgehen, sind Privatleute, Unternehmer aber auch
der Staat, Städte und Gemeinden gezwungen, ihre Leistungen wenigstens
so zu steigern, daß der Zins damit bezahlt werden kann. Helmut Creutz
bringt diese fundamentale Ursache des Wachstums auf den Punkt: "Entweder
führt der Zins zur Verarmung der Werteschaffenden, oder er zwingt
zu höherer Leistung." Erzwungene Leistungssteigerung ist also
der Motor des umweltverschlingenden Wachstumszwangs. Gäbe es genügend
Geld, das sich auch ohne Zinsen freiwillig und bereitwillig zur Verfügung
stellt und nicht mehr in der Lage wäre, zu streiken, entfiele der
Wachstumszwang und wir würden nicht länger vor die grauenhafte
Alternative gestellt, entweder die Umwelt oder die Wirtschaft zu ruinieren.
Wie uns der Jesuspfennig gezeigt hat, bringt sich der Mensch an den Rand
einer Katastrophe, wenn er einer unaufhörlichen Vermehrung des Kapitals
durch den tödlichen Zinseszinseffekt tatenlos zusieht. Und genau das
geschieht in unserer so hochgelobten kapitalistischen Demokratie! Um die
exponentiell anschwellenden Einkommen der Kapitaleigner wieder in den Geldkreislauf
zu locken (sie reißen hier ein Loch, das gestopft werden muß!),
sind Staat und Gesellschaft gezwungen, den geforderten Zins zu zahlen,
andernfalls würde die Wirtschaft durch besagte Hortungsschäden
in eine schwere Wirtschaftskrise gerissen. Andererseits haben viele Häuslebauer
und Unternehmer keine Lust mehr, sich dieser Zinserpressung zu beugen.
Der eine verzichtet dann lieber auf das Eigenheim, der andere auf die Modernisierung
seines Betriebes und riskiert damit, den Anschluß an die Konkurrenz
zu verlieren. Da die Einkommen der Superreichen viel schneller wachsen
als das Bruttosozialprodukt, kann der Markt das überschäumende
Geld schon gar nicht mehr aufnehmen. Sicher, zu einem günstigen Preis
(Zins) wäre das Geld der Reichen spielend unterzubringen, denn überall
fehlt es ja am Geld. Aber von den Zinslasten anschließend erdrosselt
zu werden, das schreckt ab, und so bleiben die Krisengewinnler erstmal
- sollte man meinen - auf ihrem Geld sitzen.
Das ist jedoch ein Irrtum, denn der Staat wird vom großen Kapital
vor die Wahl gestellt, entweder das angebotene Geld stellvertretend für
die Wirtschaft anzunehmen (und sich damit zu verschulden!) oder das Opfer
einer durch Hortung verursachten Rezession zu werden. Das die Deutsche
Bundesbank Hortungsschäden durch vermehrtes Gelddrucken vermeiden
bzw. gerade noch rechtzeitig ausgleichen kann, ist ein frommer Wunsch,
denn diese Behörde ist noch nicht einmal in der Lage, das Horten von
größeren Geldbeträgen rechtzeitig zu erkennen. Darum läuft
die Bundesbank der eigenen Geldmengenprognose voraus (vorsichtshalber)
und der tatsächlichen Situation hinterher. Gegenüber dem großen
Kapital verhält sich der Staat wie ein eingeschüchtertes Kind,
das von einem Triebtäter sexuell bedrängt wird. Es müßte
eigentlich laut schreien, tut es aber nicht, weil der Verbrecher damit
droht: "Dann bringe ich dich um!" Wie lange kann so etwas "gutgehen"?
So lange der Staat in der Lage ist, für die ihm aufgedrängten
Milliarden Löcher zu finden, die man übrigens auch Geldgräber
nennt. Geldgräber sind Projekte, die so viel Geld vom Kapitalmarkt
nehmen, daß Geld immer knapp bleibt und der Zins dadurch nie unter
5% sinkt! Das begann einmal "ganz harmlos" mit dem Bau von Atomkraftwerken.
Viele werden sich noch daran erinnern, daß eigentlich jedes Jahr
mindestens ein Atomkraftwerk ans Netz gehen sollte; dreißig bis vierzig
zusätzliche Atomkraftwerke standen auf der Wunschliste aller Bundesregierungen,
damit uns die Lichter nicht ausgehen. Wir verdanken der Anti-AKW-Bewegung
- und nur ihr, daß dieser perverse Wunschtraum des großen Kapitals
nicht in Erfüllung gegangen ist.
Neue Geldgräber waren aber schnell gefunden: Wackersdorf, Rhein-Main-Donau-Kanal,
Autobahnen, Magnetschwebebahnen usw. Nur mit der bemannten Raumfahrt, einem
besonders schönen Geldgrab, hat es bisher noch nicht so richtig geklappt,
aber vom Tisch ist dieser Sarg noch nicht. Ideale Geldgräber sind
in der Rüstungsindustrie zu finden, denn die Bundeswehr ersetzt laufend
völlig einwandfreie Waffensysteme und Gerätschaften, weil sie
angeblich immer auf dem neuesten Stand sein muß, in Wirklichkeit
aber durch das frisch nachdrängende Geld in Zugzwang gerät. Geradezu
phantastisch als Geldgrab geeignet - und darum seit Jahrhunderten in einschlägigen
Kreisen so beliebt - sind Kriege einschließlich der in letzter Zeit
immer interessanter werdenden "Kriegsfolgenbeseitigung". Gäbe
es keine Kriege oder wenigstens Spannungsgebiete, man müßte
sie erfinden, denn Erdbeben treten aus der Sicht des großen Kapitals
einfach zu selten auf und lassen bei der Schadensbilanz oft doch sehr zu
wünschen übrig. So lag das Epizentrum eines Erdbebens erst kürzlich
wieder 80 km vor der Küste im Meer, das muß man sich mal vorstellen.
Kriege sind da ergiebiger; und wie nett es dabei zugehen kann, belegt eine
Episode aus dem Golfkrieg:
Aus London noch in letzter Minute eingeflogene Industrievertreter machten
den Kuweitis damals klar, daß englische Firmen (und nicht nur amerikanische)
bevorzugt am Wiederaufbau der kuweitischen Ölraffinerien beteiligt
werden müßten, man setze schließlich auch das Leben englischer
Piloten für Kuweit aufs Spiel. "Aber sicher , soll der kuweitische
Verhandlungsführer gebremst haben, "nur laßt sie (die Iraker!)
doch erst einmal die Raffinerien zerstören." Zum Glück wurden
die Raffinerien in den folgenden Tagen dann auch tatsächlich zerstört
(von welcher Seite ist in diesem Zusammenhang völlig egal), andernfalls
hätten die gutgekleideten Herren aus London unverrichteter Dinge wieder
nach Hause fliegen müssen.
Wachstum muß sein
Kinder, Hühner, die Wirtschaft und Bäume müssen wachsen.
Aber plötzlich ein Stillstand, alle haben irgendwann einmal ihren
höchsten Punkt erreicht.
Kirchturmhohe Hühner, die uns die Kinder in der großen Pause
wie Körner vom Schulhof wegpicken, bleiben uns erspart. Gott sei Dank!
Nur die Wirtschaft soll angeblich immer weiterwachsen können. Bis
zu den Wolken, dann bis zum Mond. Und das funktioniert?
Nein; aber so lange die Bevölkerung dumm genug ist, an diesen perversen
Unsinn zu glauben, können Wachstumsfanatiker in der Politik ihre Wahlchancen
wachsen lassen: Je dümmer desto schlümmer!