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3 Kopfsalat im Tresor
Silvio Gesell wurde am 17.März 1862 in St. Vith, einem kleinen
Städtchen im deutschsprachigen Ostteil Belgiens geboren. Nach glücklicher
Kindheit im Kreise seiner acht Geschwister trat der Sechzehnjährige
zunächst in den Dienst der Deutschen Reichspost und ließ sich
später in der Firma seiner Brüder Paul und Roman in Berlin zum
Kaufmann ausbilden. Weitere Stationen seiner Aus- und Weiterbildung waren
u.a. Malaga, Hamburg und Braunschweig, ehe er 1887 nach Argentinien auswanderte,
in Buenos Aires eine Firma für Zahnarztbedarf gründete und in
wenigen Jahren ein erfolgreicher Unternehmer wurde. Dem sonderbaren Auf
und Ab der Konjunkturen jetzt aber hautnah ausgeliefert, begann Gesell
über die Ursachen von Wirtschaftsflauten und Arbeitslosigkeit nachzudenken.
Unbehelligt von der Scheuklappensicht der Autoritäten und voller Skepsis
gegenüber Karl Marx, suchte Gesell als unvoreingenommener Seiteneinsteiger
nach einem Webfehler in der Struktur des Geldes - und fand ihn! Anstatt
sich also mit der leidigen Währungsfrage zu beschäftigen, die
damals von der Wirtschaftswissenschaft geradezu ehrfürchtig als die
verwickeltste Frage der politischen Ökonomie mehr bestaunt als erklärt
wurde, ging Gesell respektlos und genial zugleich der bisher ungestellten
Frage nach, ob das vorherrschende, ja herrschende Geld auch ein dienendes
Geld sein könne. Ja, war seine frappierende Antwort, doch nur, wenn
dem Geld eine seiner Eigenschaften genommen würde.
Geld wurde vor 1914 noch mit Gold gleichgesetzt, das in den Kellergewölben
der Notenbanken bis zur Decke gestapelt wurde, um den Wert des zirkulierenden
Papiergeldes durch eine sogenannte Golddeckung zu sichern. Man versuchte
damals der Bevölkerung einzureden, daß 40-60% des umlaufenden
Geldes in Form von Goldbarren zu hinterlegen seien, um dem Papiergeld einen
garantierten Wert geben zu können. Die nach der Hyperinflation 1923
eingeführte Rentenmark war dagegen "stofflos", also ohne
Golddeckung. Trotzdem - oder gerade deswegen - bewährte sich die Rentenmark,
die durch den Grund und Boden des Deutschen Reiches gedeckt war. Der internationalen
Goldlobby war dieser Alleingang des Deutschen Reiches natürlich ein
Dorn im Auge, hielt sie doch eisern daran fest, daß eine Golddeckung
unverzichtbar sei. Sie setzte alles daran, den damaligen Reichsbankpräsidenten
Hjalmar Schacht zur Wiedereinführung der Golddeckung zu bewegen und
hatte schließlich Erfolg damit. Dadurch wurde aber die Regierung
der Weimarer Republik zu einem erpressbaren Spielball vor allem amerikanischer
Geldmagnaten, die dem geschwächten Deutschen Reich zunächst Kredite
für die Wirtschaft, aber auch zur Bezahlung der Reparationen einräumte,
diese dann aber kündigten und in Form von Goldbarren zurückverlangten.
Das wäre so schlimm nicht gewesen, denn das Gold hatte - wie Silvio
Gesell früh erkannte - dort völlig unnütz herumgelegen,
und ein Umzug des Goldes von der einen Ecke des Notenbankkellers mit dem
Schild Deutschland in die andere Ecke des Kellers mit dem Schild USA hätte
natürlich keinerlei Auswirkungen auf die Konjunktur in Deutschland
haben müssen. Nun hatte man aber Deutschland nicht nur zur Goldwährung
gedrängt, sondern auch die Gesetzgebung dahingehend beeinflußt,
daß bei einem Abzug des Goldes dem entsprechende Mengen Papiergeld
aus dem Verkehr zu ziehen waren!
Mehrere hundert Millionen Reichsmark mußten also aus gesetzlichen
Gründen(!) schlagartig dem Markt entzogen werden, der natürlich
zusammenbrach, weil plötzlich nicht mehr genügend Bargeld zur
Verfügung stand, um Waren kaufen oder Löhne und Gehälter
zahlen zu können. Geld ist nämlich das Blut im Kreislauf der
Wirtschaft. Wer diesen Kreislauf stocken läßt oder auch nur
leicht aus dem Rhythmus bringt, gefährdet die Konjunktur. Würde
man beispielsweise beim Roten Kreuz einem Blutspender versehentlich statt
der üblichen 300 ml auf einen Schlag 3 Liter Blut abzapfen, wären
ja auch nur noch zwei Fragen zu klären: Den Notarztwagen oder einen
Bestatter kommenlassen! In der Weimarer Republik versuchte man das selbst
angerichtete Unheil an der Wirtschaft durch eine Reihe von Notstandsverordnungen
(Notarztwagen) in den Griff zu kriegen, mußte dann aber doch ein
leistungsfähiges Beerdigungsinstitut (Hitler) mit dem Wegschaffen
der Demokratie beauftragen. Silvio Gesell hat das von ihm vorausgesehene
und vorausgesagte Fiasko der Wirtschaft nicht mehr erlebt; aber sein großes
Vermächtnis - Die Natürliche Wirtschaftsordnung - hätte
die Massenarbeitslosigkeit und mit ihr die Nutznießerposition der
Nazis beenden können.
Die Weimarer Republik ist also am völlig unsinnigen Golddeckungswahn
der Nationalökonomen, Bankiers und Krisengewinnler gescheitert und
nicht etwa daran, daß über sechs Millionen Arbeitslose Sehnsucht
nach den Nazis hatten. In einem letzten verzweifelten Appell (Mitte 1932)
haben der Freiwirt Johannes Schumann und der Reichstagsabgeordnete Erich
Mäder (SPD) - unterstützt von 10.000 Thüringer SPD-Genossen
- Einfluß auf die SPD-Führung zu nehmen versucht; doch es war
zwecklos, denn sie fanden kein Gehör. Die damalige SPD-Führung
ließ sich von Prof. Dr. Nölting (M.d.R.) beraten, der folgende
Ansicht vertrat: "Die Geldkrisen sind im wesentlichen interne Vorgänge
im Bereich des Kapitals, häuslicher Hader der Bourgeoisie, ein sich
in einer höheren Region vollziehendes und sich selbst aufhebendes
Kampfspiel." Dieses "Kampfspiel" hat 55 Millionen Menschen
das Leben gekostet, während der Urheber dieser dämlichen Einschätzung
den Krieg in der Emigration überlebte, nach 1945 in Nordrhein-Westfalen
sogar SPD-Wirtschaftsminister werden konnte und damit fortfuhr, Freiwirtschaftler
heftig zu bekämpfen! In seinem erschütternden Buch "Gegen
den Strom" dokumentiert Johannes Schumann das ganze Ausmaß des
Versagens und der Mitschuld der damaligen SPD-Führung am Zusammenbruch
der Weimarer Republik und am Hochkommen der Nazis.
Es blieb Silvio Gesell erspart, den totalen Zusammenbruch der deutschen
Wirtschaft und der Weimarer Republik zu erleben, denn er starb bereits
1930; aber alles, was dann geschah, ist von diesem genialen Entdecker und
Warner bereits 1918 vorhergesagt worden: "Trotz dem heiligen Versprechen
der Völker, den Krieg für alle Zeiten zu ächten, trotz der
Rufe der Millionen: "Nie wieder Krieg", entgegen all den Hoffnungen
auf eine schönere Zukunft muß ich sagen: Wenn das heutige Geldsystem,
die Zinswirtschaft, beibehalten wird, so wage ich es, heute schon zu behaupten,
daß es keine 25 Jahre dauern wird, bis wir vor einem neuen, noch
furchtbareren Krieg stehen. Ich sehe die kommende Entwicklung klar vor
mir. Der heutige Stand der Technik läßt die Wirtschaft rasch
zu einer Höchstleistung steigern. Die Kapitalbildung wird trotz der
großen Kriegsverluste rasch erfolgen und durch ein Überangebot
den Zins drücken. Das Geld wird dann gehamstert werden. Der Wirtschaftsraum
wird einschrumpfen, und große Heere von Arbeitslosen werden auf der
Straße stehen. An vielen Grenzpfählen wird man dann eine Tafel
mit der Aufschrift lesen können: "Arbeitsuchende haben keinen
Zutritt ins Land, nur die Faulenzer mit vollgestopftem Geldbeutel sind
willkommen. Wie zu alten Zeiten wird man dann nach dem Länderraub
trachten und wird dazu wieder Kanonen fabrizieren müssen, man hat
dann wenigstens für die Arbeitslosen wieder Arbeit. In den unzufriedenen
Massen werden wilde, revolutionäre Strömungen wach werden, und
auch die Giftpflanze Übernationalismus wird wieder wuchern. Kein Land
wird das andere mehr verstehen, und das Ende kann nur wieder Krieg sein".
Gesell erkannte, daß die Überlegenheit des Geldes gegenüber
den Waren und Dienstleistungen eine Eigenschaft ist, die sich in periodisch
wiederkehrenden Schüben verheerend auswirken muß. Der Franzose
Proudhon hatte ihn auf die richtige Spur gebracht. Proudhon selbst hatte
das Ziel jedoch knapp verfehlt, indem er versuchte, den Wert der Waren
auf das Niveau des Geldes zu heben. Gesell ging den umgekehrten Weg, indem
er das Geld vom Sockel der Überlegenheit auf den Teppich der verderblichen
Waren herunterholte.
Die Genialität dieses scheinbar so einfachen Gedankens erschließt
sich dem Skeptiker nicht sofort, aber dann um so nachhaltiger. Gesell entwarf
ein Freigeld , dem er die Eigenschaft nahm, ganz nach Belieben unter
der Matratze oder im Tresor gehortet werden zu können. Zum Verständnis:
Kein vernünftiger Mensch würde auf den Gedanken kommen, frische
Erdbeeren, Kopfsalat, Hühnereier oder Tageszeitungen zu horten, da
alle diese Produkte schon nach wenigen Stunden oder Tagen völlig wertlos
sind. Beim Geld sieht das anders aus: Wer Geld übrig hat, kann es
beliebig lange lagern, ohne ein Verschimmeln, Verfaulen oder Verrosten
befürchten zu müssen, denn Geld ist haltbar, viel haltbarer auch
als Kleider, die schnell aus der Mode kommen oder Computer, die von der
rasanten Entwicklung überholt werden und schon nach wenigen Monaten
die Rolle des Ladenhüters spielen. Wie wäre es denn, so wird
sich Silvio Gesell gesagt haben, wenn man ein Geld in Umlauf brächte,
das wie ein Stück Eis mit Wärme bedroht werden könnte und
pro Monat etwa ein Prozent seines Wertes verlustig ginge? Das Zurückhalten
großer Geldbeträge wäre von Stund an nicht mehr möglich!
Das Geld müßte dann zur Vermeidung von Abschmelzverlusten dem
Markt - so wie sich das gehört - zur Verfügung gestellt werden.
Aus dem herrschenden Geld wäre über Nacht ein dienendes Geld
geworden, das der ganzen Bevölkerung zur Verfügung stünde.
Den Kapitalisten wäre also das Handwerk gelegt, ohne Arbeit, nur durch
Ausbeutung der Arbeit anderer, immer reicher werden zu können. Gesell
hat in seinem System die Möglichkeit offengelassen, den Wertverlust
des Geldes durch Wohlverhalten vermeiden zu können und zwar so: Entweder
wir geben das durch Arbeit verdiente Geld gleich wieder aus , oder wir
stellen es anderen - über Banken und Sparkassen - zinslos(!) zur Verfügung.
Die dritte Möglichkeit, das Geld - wie bisher - im Tresor so lange
zu horten, bis der Zins endlich die gewünschte Höhe erreicht
hat, wäre - wie schon gesagt - dann nicht mehr möglich, da die
Kapitalbesitzer am Ende des Jahres durch Abschmelzverluste um bis zu 12
% ärmer geworden wären. Also zur Bank damit! Nun liegt der schwarze
Peter bei der Bank, die versuchen muß, die ihr zinslos anvertrauten
Geldberge zur Vermeidung eigener Abschmelzverluste so schnell wie möglich
wieder loszuwerden. Dem Geld werden also Beine gemacht, indem es unter
Wettbewerb gestellt wird - wie alle anderen Waren auch; und das könnte
so geschehen: Die Bevölkerung wird morgens beim Frühstück
in großen Zeitungsanzeigen darüber informiert, daß spottbilliges
Geld für Hausbau, Modernisierung, Solaranlagen, Brauchwassernutzung
oder was auch immer gegen die üblichen Sicherheiten am Bankschalter
abgeholt werden kann. Da die Bank den Wohlhabenden nun keine hohen Zinsen
und eines Tages überhaupt keine Zinsen mehr erwirtschaften muß,
kann sie das ihr anvertraute Geld sensationell günstig, praktisch
zinslos, weiterreichen. Lediglich zur Deckung ihrer eigenen Unkosten wird
die Bank den Kredit mit schlappen 1 bis 1,5 % belasten. Man muß kein
Prophet sein, um folgende Voraussage machen zu können: Auf Industrie,
Handwerk und Handel rollt eine Auftragswelle zu. Arbeitskräfte werden
mit der Lupe gesucht, und in den Arbeitsämtern können ganze Abteilungen
und Etagen geschlossen und einer sinnvolleren Nutzung zugeführt werden.
Das Geld wird also von seiner heutigen Aufgabe befreit, unbedingt rentabel
(= zinstragend!) sein zu müssen.
Als Freigeld muß es jetzt nur noch lohnend sein; ein
gewaltiger Unterschied, wie wir später noch sehen werden. Das an dieser
Stelle gern vorgebrachte Argument, ein solches System würde der Umwelt
durch zuviel Wachstum schaden, oder die Konjunktur müsse nach einer
Phase der Überhitzung in das andere Extrem umkippen, kann leicht widerlegt
werden: Sobald dem Geld die Streikfähigkeit genommen wird, es sich
dem Markt also auch mit sinkendem Zins anbieten muß, wird eine umlaufgesicherte
Indexwährung - im Gegensatz zu heute - für ein ausgeglichenes
Verhältnis zwischen Angebot (Ware) und Nachfrage (Geld) sorgen. Die
Deutsche Bundesbank, die doch den gesetzlichen Auftrag hat (§ 3 Bundesbankgesetz)
für Geldwertstabilität zu sorgen, wäre froh (?), das Verhältnis
zwischen Angebot und Nachfrage so exakt und wirkungsvoll steuern zu können,
wie es die Natürliche Wirtschaftsordnung Silvio Gesells ermöglicht.
Statt dessen macht sich die Bundesbank zum Hampelmann der Zinserpresser
und sieht sich gezwungen, einen allmählichen Geldwertverfall (Inflation)
zu verursachen, um der noch größeren Gefahr einer Rezession
(sinkende Preise, Firmenzusammenbrüche, noch mehrArbeitslosigkeit)
zu entgehen. Gemessen an den Vorzügen einer umlaufgesicherten Indexwährung,
die dem Wert des Geldes dauerhafte Stabilität verleiht (darum brauchen
die Sparer dann auch keine Zinsen mehr, die heute Inflationsverluste ausgleichen
helfen) sind die währungspolitischen Klimmzüge der Deutschen
Bundesbank tollpatschig bis primitiv und einer Behörde mit 18 000
(in Worten: Achtzehntausend) Angestellten eigentlich nicht würdig.
Was übrigens die Gefahr exponentiellen Wachstums betrifft, so ist
doch gerade dieses umweltzerstörende Phänomen ein Markenzeichen
und die unvermeidbare Folge der heutigen Zinswirtschaft!
Natürlich sah Gesell voraus, daß der Geldadel und das Weltspekulantentum
Himmel und Hölle in Bewegung setzen würden, um eine solche Geldreform
zu verhindern; und er sah auch voraus, daß die Kapitalisten in sogenannte
feste Werte ausweichen werden, um sich beispielsweise über die Bodenspekulation
und ein Bodenmonopol das zurückzuholen, was ihnen an Zinsgeschenken
verlorengehen wird. Daher sei schon an dieser Stelle gesagt, daß
die Natürliche Wirtschaftsordnung gerade diesem Aspekt einer drohenden
Ausbeutung die ihm gebührende Beachtung schenkt und zur Lösung
dieses Problems einen Schlüssel präsentiert, der problemlos den
Besonderheiten gegenwärtiger und zukünftiger Situationen angepaßt
werden kann.
Uns steht also eine Reform bevor, die sich von einer Revolution dadurch
unterscheidet, daß sie völlig unblutig, jedoch voller Krokodilstränen,
über die Bühne gehen wird. Die Tragik eines zweifachen Milliardärs
wird dann beispielsweise darin liegen, daß er nach sieben oder acht
Jahren immer noch zweifacher Milliardär sein wird, während er
von der heutigen Zinswirtschaft doch längst zum drei- bis vierfachen
Milliardär herangemästet worden wäre. Irgendwie werden diese
Multimillionäre und Milliardäre mitsamt ihren Familien schon
darüber hinwegkommen und unser aufrichtiges Mitgefühl entbehren
können. Wenden wir uns darum lieber den bisherigen Verlierern der
Zinswirtschaft zu.
Man versuche, sich das einmal auf der Zunge zergehen zu lassen: Arbeit
für alle! Wer unbedingt überdurchschnittlich wohlhabend werden
will, soll das ruhig tun, hat dann aber zu bedenken, daß dies nur
über Arbeit, Fleiß, Ausdauer, Tüchtigkeit und Erfindergeist
zu schaffen ist, nicht jedoch durch das arbeitsfreie Kassieren von Zinsen.
Alle Warenpreise, Dienstleistungen und Mieten werden allmählich von
darin versteckten Zinsanteilen befreit. Sie werden vom Einkommen schließlich
so viel Geld übrig lassen, daß wir vor der angenehmen Wahl stehen
werden, entweder ich arbeite bei gleichem Einkommen viel weniger, oder
ich kann bei gleicher Arbeitsleistung deutlich mehr verdienen, oder ich
arbeite etwas weniger und verdiene trotzdem etwas mehr. Helmut Creutz hat
mir diese unerhört bedeutsamen Zusammenhänge in einem Brief einmal
wie folgt geschildert: "
Wer die angenehme Aussicht, mit deutlich weniger Arbeit pro Tag seinen
Lebensunterhalt bestreiten zu können, für eine Utopie hält,
sei noch mal an den Erzbischof Antonin von Florenz erinnert, der genau
diesen Sachverhalt vor 540 Jahren nicht etwa gefordert hat, sondern als
selbstverständliche Errungenschaft der Menschen seiner Zeit erwähnen
konnte. Aber offenbar hat uns der Zinswucher geistig schon so deformiert,
daß nicht einmal mehr das Selbstverständliche wie z.B. eine
reine Atemluft, sauberes Trinkwasser oder Arbeit für alle mit Nachdruck
gefordert und vor allem auch für möglich gehalten werden kann!
Dieses untertänige Sichfügen in sogenannte Sachzwänge hat
Tradition und hat die Frage nach der Daseinberechtigung des Zinses und
des arbeitsfreien Einkommens nie zu einer Gefahr für die Maden im
Speck werden lassen. Da die Medien von der Zeitung bis zum Fernsehen ausnahmslos
von Finanzkreisen beherrscht werden, die ihre Strohmänner - wie es
das Gesetz nun einmal vorsieht - in die Aufsichtsgremien sickern lassen,
alles natürlich ganz demokratisch, kann das Vermächtnis Silvio
Gesells völlig legal unterdrückt werden. Der oft gehörte
Einwand, "wenn dieses Konzept wirklich so gut wäre, dann würde
doch der Bundeskanzler wenigstens die Massenarbeitslosigkeit längst
abgeschafft haben", ist aus der Sicht jener, die den Namen Gesell
hier vielleicht zum ersten Male hören zweifellos verständlich.
Aber darin liegt doch die Tragik dieses Jahrhunderts, daß ein schlüssiges
Konzept zur Beseitigung der Ursachen aller Wirtschaftskrisen und der meisten
Kriege gerade von denen nicht gewollt sein kann, die aus Krisen und Kriegen
grundsätzlich finanziell gestärkt hervorzugehen pflegen.
Das muß mir der Leser schon abnehmen, daß ein Schatz, von dem
über 90% der Bevölkerung nichts ahnen, weil seine Existenz mit
aller Macht verschwiegen wird, bei den Ahnungslosen dann auch keine Goldgräberstimmung
aufkommen lassen kann. Wenn selbst die Kirchen den krisen- und kriegsverursachenden
Pferdefuß des Zinses tolerieren, obwohl doch die Propheten mit erstaunlicher
Weitsicht und Deutlichkeit den Zins als den Inbegriff des Bösen an
den Pranger gestellt haben, darf man sich nicht wundern, wenn Silvio Gesell,
der Prophet des dienenden Geldes, von den Vertretern des herrschenden Geldes
zur Unperson gemacht werden konnte.