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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Ergänzende
Zusammenfassung
Die
NWO-Bewegung hat verschiedene Phasen durchlaufen, durch die sie sich gliederte
und entwickelte. Sie waren zeitlich nicht scharf voneinander abgegrenzt, liefen
vielmehr ineinander über. Jede neue Phase begann schon in der vorangehenden, so
daß sich fließende Übergänge ergaben.
Inkubationsphase
- von 1891 bis 1912
,Inkubation'
nannte man den Tempelschlaf der antiken Mysterienschüler, auch die Bebrütung
von Vogeleiern. In unserem Falle handelte es sich um die allmähliche
Herausbildung des Gedankensystems, das der Natürlichen Wirtschaftsordnung im
Sinne von Silvio Gesell zugrundeliegt, also um die schrittweise Entstehung
eines theoretischen Gewebes, an dem womöglich auch andere beteiligt waren.
Der Kern des
NWO-Denkens von Silvio Gesell war seine originale Idee einer ,rostenden
Banknote', die er erstmals 1891 formulierte: in seinem Buch über die
Reformation des Münzwesens. Die rostende Banknote wurde von ihm ,Reformgeld'
genannt. Später kam dafür der Begriff ,Schwundgeld' auf. Unter dem Einfluß von
Paulus Klüpfel ging hieraus das ,Freigeld' hervor. Es soll der
Warenverderblichkeit angepaßt, mit einer Schwundgebühr belastet und frei von
Zins sein.
Bis 1903
erstrebte Gesell nur eine Geldreform. 1904 kam die Freilandidee hinzu. Gesell
übernahm sie anscheinend von Henry George und Theodor Hertzka, der durch seinen
Zukunftsroman eine erste Freilandbewegung ausgelöst hatte. Aber er übernahm sie
in der Fassung von Michael Flürscheim, welcher die Freilandreform auf Bodenverstaatlichung
gründen und bereits mit einer Währungsreform verbinden wollte. Gesell gab ihr
freilich eine andere Begründung. Der Boden sei unvermehrbar, unterliege aber
einer Eigentumssperre, obwohl jeder Mensch Anspruch auf die ganze Erde habe.
Die Kapitalrentner würden aufs Land gehen, sobald ihr arbeitsloses Einkommen
durch Freigeld bedroht sei, was die Bodenspekulation hochtreiben könnte. Dem
müsse durch Verstaatlichung des gesamten Bodens vorgebeugt werden.
Durch die
Verkopplung des Freigelds mit solcher Freiland-Auffassung kam ein tiefer
Widerspruch in die Gesellsche Systembildung hinein. Gegenüber den
Privatunternehmern war er eigentumsfreundlich, gegenüber den Bauern (entgegen
ersten Aussagen) jedoch eigentumsfeindlich. Sie sollten zwar ihre Häuser und
Ackerbaugeräte behalten dürfen, aber zum Bauernhof gehört untrennbar der eigene
Grund und Boden. Die Bauernschaft fühlte sich durch die Freiwirtschaftler in
den Grundlagen ihrer Existenz bedroht, zumal der Boden an den jeweils
Meistbietenden verpachtet werden sollte. Daher konnte die NWO-Bewegung fast nur
in den Städten Wurzeln fassen. Vor allem in Deutschland war sie eine
,Großstadtpflanze'. Das Beharren auf Bodenverstaatlichung vereitelte auch ein
Bündnis mit der Bodenreform-Bewegung. Umso stärker wurde der Einfluß Stirners
und jener Freiwirte, die aus dem Anarchismus kamen.
1912 folgte
ein dritter Schritt - möglicherweise auf Anregung von Theodor Hertzka: die
Mütterrente. Gesell begründete sie wie folgt. Der Wert des Bodens steige mit
wachsender Bevölkerungszahl, was vor allem den Müttern gutzuschreiben sei.
Daher soll ihnen die Grundrente, nach der Zahl ihrer unmündigen Kinder,
ausgezahlt werden. Sie wären dann wirtschaftlich unabhängig, was endlich freie
Liebeswahl und durch diese eine körperlich-seelische Regeneration der
halbverkümmerten Menschen in den Industrieländern zur Folge haben würde,
letztlich eine neue Kulturblüte.
Freigeld,
Freiland und Mütterrente - erst die Kombination dieser drei Ideen ergab das
NWO-Gedankensystem. Sie wurden in eine Art Tempelschlaf versetzt und wie
Vogeleier bebrütet. Gesell ergänzte das dreigliedrige System durch eine
monetäre Geschichtsauffassung, die dem Historischen Materialismus von Marx
gegenübertrat und auf der Grundthese fußte, daß die Währungsfrage der Schlüssel
zum Untergang der früheren Kulturen und Reiche sei. Die Inkubationszeit umfaßte
über zwei Jahrzehnte.
Freiland-Freigeld-Bewegung
- von 1909 bis 1923
Im Jahre
1909 gründete Georg-Blumenthal den Verein für physiokratische Politik, ein
erstes Sammelbecken für die Anhänger Silvio Gesells. Ein Jahr später folgte der
Physiokratische Verlag. Ab Mai 1912 erschien die Zeitschrift "Der
Physiokrat". Damit war eine Infrastruktur für die sich bildende
NWO-Bewegung geschaffen. 1913 wurde der Physiokratische Verein auf erweiterter
Grundlage in die Physiokratische Vereinigung umgebildet, welche sich auch in
anderen Städten etablieren konnte. Das Wort ,Politik' war nun gestrichen. Damit
schien eine Streitfrage wegzufallen. Trotzdem gab es Spannungen innerhalb der
neuen Organisation. Manchen Anhängern und Mitarbeitern Gesells erschien
Blumenthals Linie zu radikal, auch zu einseitig auf die Gewinnung der
Arbeiterschaft orientiert. Paulus Klüpfel gründete den Freiland-Freigeld-Bund,
Helmut Haacke den Bund für Freiwirtschaft. Allmählich schieden die
Freiwirtschaftler von den Physiokraten. Innerhalb der jungen NWO-Bewegung
bildeten sich auf diese Weise zwei Grundströmungen, in deren Mitte die
lebensreformerische entstand.
Auf der
geistigen Ebene rangen in ihr Anarcholiberalismus und Staatssozialismus um die
Vorherrschaft. Werner Zimmermann versuchte eine Synthese, die er Freien
Sozialismus nannte, mit dem sich in dieser Zeit die meisten Freiwirte
identifizierten. Freiwirtschaft schien die letzte Etappe des sozialistischen
Kampfes gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu sein. Als Übergangsform wurden
Freistaaten erwogen, die der Einführung von Freiland und Freigeld geneigt
waren.
Gesell
propagierte eine sozialistische Einheitsfront, jedoch kam nur die Vereinigung
der verschiedenen NWO-Organisationen zum Freiwirtschaftsbund zustande.
Die
Freiland-Freigeld-Bewegung war unpolitisch und parteipolitisch neutral. Sie
stellte es ihren Anhängern frei, einer beliebigen Partei beizutreten. Mit der
Begründung, die von ihr angestrebten Reformen wären rein wirtschaftlicher
Natur. Damit sollte auch einer Spaltung vorgebeugt werden. Die
NWO-Organisationen verstanden sich als Aufklärungsbünde, welche vor allem durch
Denkschriften, Zeitungen und Zeitschriften wirken wollten, ohne in das
politische Geschehen einzugreifen. Aber Silvio Gesell hatte als
Volksbeauftragter der 1. Bayrischen Räterepublik durchaus einzugreifen
versucht. Für die meisten Freiwirte was das ein Fehler. Doch als Resultat
dieser Beteiligung gliederte sich die Forderung nach einem teilweisen Abbau des
Staates in das NWO-System ein.
Die
FFF-Bewegung - von 1921 bis 1934
Während der
Inflation wandten sich viele Tausend Menschen der NWO-Bewegung zu. Diese schien
zu einer Volksbewegung zu werden. Das erweckte die Hoffnung, ja teilweise die
Erwartung und feste Überzeugung, bei einem Volksentscheid und bei
Parlamentswahlen die Stimmenmehrheit gewinnen zu können. Silvio Gesell setzte
sich so entschieden für die Politisierung der NWO-Bewegung ein, daß der
Freiwirtschaftsbund auf seinem Berliner Bundestag von 1921 erstmals ein
Politisches Programm beschloß. Ad hoc verankerte er darin auch Freie Liebe und
Abschaffung der Standesämter, Zankäpfel, die als solche in der euphorischen
Stimmung zunächst gar nicht wahrgenommen wurden.
Der
Volksentscheid mißlang. Bei den Reichstagswahlen vom Mai 1924 erhielt der
Freiwirtschaftsbund nur rund 1 % der Stimmen. Die maßlose Enttäuschung darüber
führte noch im gleichen Monat zu seiner Spaltung. Er zerfiel in eine physiokratische
und eine freiwirtschaftliche Richtung.
Die
Physiokraten machten die "Befreiungsdiktatur" und "Diktatur der
Not" zu ihrem Programm. Sie gründeten den Physiokratischen Kampfbund, der
es notfalls gewaltsam durchsetzen und als revolutionärer Stoßtrupp tätig sein
wollte, was er auch in der Schweiz, in Österreich und in den USA versuchte.
Seine linke Fraktion sonderte sich 1926 als "Proletarischer Block"
ab, der die bolschewistische Methode der Machteroberung für die
erfolgversprechendste hielt und Lenin neben Gesell stellte.
Die
Freiwirtschaftler gründeten einen neuen Freiwirtschaftsbund. Auch er kehrte dem
Parlamentarismus seine Rückseite zu. Auf der pragmatischen Suche nach neuen
Wegen bildeten sich in ihm vier Tendenzen heraus:
1. zur ,Wirtschaftsdiktatur'
(Wilhelm Merks),
2. zur
,Selbsthilfe der Arbeit' (Dr. Hunkel),
3. zur
Umwandlung in eine politische Partei (Eugen Graske),
4. die
Tendenz, aus völkischer Gesinnung auf Hitler und den Nationalsozialismus zu
setzen (Paul Hasse).
Alle fanden
ihre mehr oder weniger öffentlichen Ausdrucksformen. Insbesondere die
Selbsthilfe der Arbeit durch Schaffung eigener Unternehmen und 1931 die
parteipolitische Tendenz durch Gründung der Freiwirtschaftlichen Partei
Deutschlands (FPD). Die vierte Richtung sonderte sich ab und wurde zum Bund für
krisenlose Volkswirtschaft; dieser rechte Flügel hatte zwar die schwächste
Organisation, aber die breitesten Kontakte. Als Reaktion auf die Flügelbildung
rückte die Mitte des FWB zusammen. Diese, um Bertha Heimberg formiert,
distanzierte sich von allen vier Tendenzen. Im "Befreienden
Regierungsprogramm" von 1932 legte sie ihre Vorstellungen nieder. Die
Regierung ging darüber hinweg. Das war eine neue große Enttäuschung.
Für alle
Richtungen der NWO-Bewegung wurde die Festwährung zu einem weiteren
Programmpunkt neben Freiland und Freigeld, zunächst als dritter. Da er in der
Öffentlichkeit die größte Beachtung fand, trat er allmählich nach vorn.
Um 1929
bildete sich ein FFF-Kartell, das die verschiedenen NWO-Organisationen zu einer
Arbeitsgemeinschaft zusammenführen und schließlich wiedervereinigen wollte,
jedoch trotz gewisser Erfolge an ihrem Gruppenegoismus scheiterte. Entweder
lösten sie sich selber auf, nachdem Hitler im Januar 1933 zur Macht gekommen war,
oder sie fielen schließlich der NS-Diktatur zum Opfer. Eine gemeinsame
Abwehrfront kam nicht zustande. Sie war schon unmöglich geworden.
Während eine
Richtung warnende Artikel schrieb und öffentliche Versammlungen über die Gefahr
des Faschismus abhielt, führte eine andere Richtung interne Besprechungen mit
führenden Nationalsozialisten durch, um sie für Gesellsche Reformen zu gewinnen
und so im voraus die Regierungspolitik der NSDAP zu beeinflussen, deren
Machtergreifung offenbar schon in Kürze bevorstand.
Dem ging ab
1929/30 eine geistige Umorientierung des Freiwirtschaftsbundes voraus. Aus dem
Versuch, konträre Tendenzen durch eine organische Weltanschauung zu
überbrücken, ergab sich eine Abkehr vom Individualismus und die Hinwendung zum
Universalismus Othmar Spanns. Der bis dahin vertretene Eigennutz stand auf
einmal als fragwürdig da, obwohl er formal noch immer als wirtschaftliche
Handlungsmaxime galt. Die Freiwirtschaft geriet in Widerspruch zu sich selbst.
Anpassung
und Widerstand - von 1933 bis 1945
Unter den
deutschen Kabinetten der Notverordnung (von Brüning bis Schleicher) begann die
Auflösung aller demokratischen Werte. Die bestehenden Organisationen und
traditionellen Parteien starben "von innen her ab" (H. Rauschning).
In diesem Sog ging auch die Freiwirtschaftliche Partei unter. Der
Freiwirtschaftsbund, 1932 wieder eine große Organisation, schmolz 1933 auf ein
Drittel seines damaligen Bestandes zusammen. Unter dem Einfluß Otto Lautenbachs
bot er der ,nationalen Regierung' Adolf Hitlers seine Mitarbeit an.
Der
Fisiokratische Kampfbund schien zwar unerschütterlich zu sein, jedoch wurde er
gleichsam sprachlich durch Begriffe aus dem NS-Jargon unterwandert. Zwei
leitende Mitarbeiter seiner Zeitung "Letzte Politik" plädierten in
langen Artikeln für eine Arbeitsgemeinschaft von Freiwirtschaft und
Nationalsozialismus zur Lösung der sozialen Frage. Es gab aber auch
Physiokraten, die sich kompromißlos gegen den Nationalsozialismus wandten.
Beispielsweise Hanna Blumenthal die allerdings 1929 mit anderen Mitgliedern vom
FKB ausgeschlossen worden war.
Vom
Freiwirtschaftsbund ging Bertha Heimberg in den Untergrund, von wo aus sie das
NS-System fünf Jahre lang bekämpfte, bis ihr die Flucht nach England gelang.
Andere übten passiven Widerstand. Manche fanden den Tod im Konzentrationslager.
Weitere kamen aus diesen schwerkrank zurück.
Offene
Kollaboration betrieb Wilhelm Radecke. Er faßte die in die NSDAP eingetretenen
oder ihr nahestehenden Freiwirte im Rolandbund zusammen, der sich am 1. Mai
1933 etablierte. In einem Sammelruf an alle ,Volksgenossen' rief er dazu auf,
die nationalsozialistische Regierung zu unterstützen. Zur Verteidigung ihrer
Unabhängigkeit müsse die deutsche Volkswirtschaft auch militärisch gerüstet
sein. Das Symbol des Rolandbundes war ein Schwert unter dem Hakenkreuz. Er
verstand sich als neuer Sammelpunkt aller Freiwirte, die in Adolf Hitler ihren
Feldherrn erkennen sollten.
Otto
Lautenbach, einst Vorstandsmitglied des FWB, sah nach dem Machtantritt der
NSDAP seine Stunde gekommen. Zusammen mit Kurt Becker und anderen Freiwirten
gab er die Zeitschrift "Schule der Freiheit" (SdF) heraus, die trotz
zweimaligen kurzen Verbots bis Mitte 1943 erscheinen konnte, zeitweilig sogar
als Wochenzeitung in einem eigenen Verlag. Bei dem rechten Flügel um Paul
Hasse, bei Nietzsche und der sogenannten Nationalen Revolution anknüpfend,
vertrat Lautenbach einen Deutschen Sozialismus freiwirtschaftlicher Färbung. In
seiner "Schule der Freiheit" wurde der Antisemitismus zunächst abgelehnt
und als geschmacklos kritisiert, doch im Laufe der Zeit fiel dieser Vorbehalt
weg. Kurt Becker feierte den Zweiten Weltkrieg als große Auslese.
Als sich
alle Versuche, auf Hitler und seine Regierung einzuwirken, damit sie die Ketten
der Goldenen Internationale zerrissen, als fruchtlos erwiesen, ging ein Teil
der SdF-Mitarbeiter 1938 in Opposition. Daraus entstand ein vor allem auf Karl
Walkers Schriften sich stützender Widerstandskreis, der ein Programm für die
Nachkriegszeit ausarbeitete, das Pfingstprogramm von 1943.
Viel
ernsthafter war jedoch der Widerstand aus den Reihen des Freiwirtschaftlichen
Jugendverbandes, der zum Teil trotz Verbot intakt und aktiv blieb.
Die
Festwährungs-Bewegung - von 1945 bis 1966/67
Die
Aufarbeitung des Nationalsozialismus erfolgte zögernd und war sehr begrenzt.
Über das eigene Verhalten im Dritten Reich verloren die meisten Freiwirte kein
Wort. Am stillsten waren jene, die sich am lautesten hätten an die Brust
schlagen müssen. Ausgerechnet Wilhelm Radecke und Otto Lautenbach wurden an die
Spitze neuer Organisationen gewählt, als hätte die NWO-Bewegung ihr Gedächtnis
verloren. Sie entstand abermals aus dem Nährboden einer zerrütteten Währung.
Volle und überfüllte Versammlungssäle begünstigten die Illusion, nun sei
endgültig die Stunde der Freiwirtschaft gekommen. Sie brach jedoch nach der
Währungsreform (1948) zusammen, als das Masseninteresse jäh abflaute.
Die
Radikal-Soziale Freiheitspartei (RSF) konzentrierte sich auf die Millionen
Flüchtlinge und Heimatvertriebenen, denen sie Land für eine Neuansiedlung
versprach, der neue Freiwirtschaftsbund (FWB) auf die studierende Jugend und
ein Bündnis mit dem Neoliberalismus. In der RSF wurde die physiokratische
Tradition fortgeführt, im FWB die freiwirtschaftliche. Dazwischen entstand der
Neue Bund als Repräsentant lebensreformerischer Bestrebungen und
aktionistischer Selbsthilfe. So waren alle drei Grundströmungen der
NWO-Bewegung wieder vertreten. Das galt außer für Deutschland auch für die
Schweiz und Österreich, ja selbst für überseeische Gruppen, wie klein sie auch
waren.
Weder die
Ostflüchtlinge und Heimatvertriebenen noch die Studenten konnten in
nennenswerter Zahl gewonnen werden. Dafür ging aus dem Bündnis von
Freiwirtschaftsbund und Neoliberalismus die Soziale Marktwirtschaft der
Bundesrepublik Deutschland hervor. Ein solches Bündnis gab es auch in der
Schweiz, wo es jedoch nicht dasselbe Ergebnis hatte. Otto Lautenbach verstand
wie kein anderer, selbst Minister zu interessieren und sich der Medien -
erstmals auch des Rundfunks - zu bedienen.
Richard Batz
schien den Grundwiderspruch des Gesellschen Systems löschen zu wollen, fiel
aber auf die alte Position der Bodenverstaatlichung zurück und resignierte.
Will Noebe entfachte den freiwirtschaftlichen Funken selbst in der sowjetischen
Besatzungszone, bis er bei einer erneuten Vortragsreise durch diese verhaftet,
drangsaliert, verurteilt und ins Archipel Gulag deportiert wurde, von wo er
erst 1955 zurückkam. So war der standhafteste Mann nicht zur Stelle, als
wichtige Entscheidungen getroffen wurden.
Die
Freisoziale Union ging formal aus der Radikal-Sozialen Freiheitspartei hervor,
legte jedoch deren physiokratische Ziele ad acta. Der Begriff ,Freiwirtschaft'
wurde durch ,freisoziale Ordnung' ersetzt. In der Weimarer Republik hatten die
meisten Freiwirte die Bildung einer politischen Partei abgelehnt oder nur als
eine Facette der NWO-Bewegung unterstützt. Die Freisoziale Union nahm den Kampf
um die politische Macht auf und versuchte, in den Machtkampf alle Freiwirte
hineinzuziehen, da er der einzig realistische Weg sei.
Die drei F
wichen dem Balkenkreuz. Das dritte F - Festwährung - trat seine geistige
Herrschaft in der gesamten NWO-Szene an, dazu in der Form einer Indexwährung,
über die einige der bedeutendsten Freiwirte kritisch nachzudenken begannen. Am
schöpferischsten war Karl Walker, aber sein WIR-Ring wurde von den meisten
Freiwirten im Stich gelassen. Dr. Winkler entwarf ansatzweise ein
wissenschaftlicheres NWO-Modell als Silvio Gesell das jedoch im Vorwurf des
,Revisionismus' unterging.
Die
Festwährung schien eine gemeinsame Plattform aller Freiwirte zu sein, es gab
davon jedoch bereits 14 Varianten, und auf keine konnte man sich einigen.
Zwischen
Altfreiwirten und Jungfreiwirten brach ein Konflikt über Gesells Rolle und die
Gültigkeit seiner NWO auf, der ebenfalls nicht beizulegen war, trotz eines
öffentlichen Disputs zwischen Arthur Rapp und Paul Kristof. Rapp versuchte
unermüdlich, aber vergebens, innerhalb der FSU eine Umorientierung auf die
Arbeiterschaft und eine massenpsychologisch wirksame Werbemethode
durchzusetzen. Hans Schumann drosselte auch neue Gedanken ab, die von Tristan
Abromeit und anderen an die FSU herangetragen wurden. Diese versuchte, alle
Richtungen und Tendenzen der NWO-Bewegung in ihre Untergliederungen zu
verwandeln (so die Sozialwissenschaftliche Gesellschaft und den Bund
freisozialer Lebensreformer).
Die
Sozialwissenschaftliche Gesellschaft konnte sich zwar verselbständigen,
enttäuschte jedoch größtenteils die in sie gesetzten Hoffnungen. Weit
erfolgreicher war das Seminar für freiheitliche Ordnung, in dem auch ein
starker anthroposophischer Impuls zutage trat und sogar zu dominieren schien.
Die schärfste Korrektur der früheren physiokratisch-atheistischen Tendenz
erfolgte in der Arbeitsgemeinschaft freiwirtschaftlicher Christen (AfC),
derzufolge wir Menschen in die Schöpfung hineingeboren und daher für sie
verantwortlich sind.
Erosion und
Wandlungszeit von 1967 bis 1992
Aus der
neuen NWO-Bewegung war seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts eine in der
Öffentlichkeit kaum noch beachtete NWO-Szene geworden, die im großen und ganzen
geistig erstarrte, auch mangels Nachwuchs zu vergreisen schien.
In diese
Szene fuhr wie ein Wirbelsturm die historische Zäsur der Jahre 1967/68. Sie
legte die Keime einer ökologischen und zugleich spirituellen Kultur jenseits
des bisher vorherrschenden Ökonomismus und Materialismus, denen auch die
Freiwirtschaft verhaftet war. Aus der antiautoritären Weltstudentenrevolte
gingen in mehreren Schüben eine ökologische, eine spirituelle, eine
feministische, eine alternative und eine neue, weil bewußt gewaltfreie
Friedensbewegung hervor. Parallel dazu begann die Umwertung aller Werte, wobei
weibliche in den Vordergrund traten und eine Achsenverlagerung einleiteten. Die
alten sozialen Bewegungen wurden erneuert, aber auf ihre Grundlagen überprüft
und ihre weltlichen Heilslehren in Frage gestellt, hierarchische
Organisationsstrukturen zum Teil schon durch Netzwerke ersetzt.
So kamen
auch die Gesellsche Sozialutopie und die freiwirtschaftlichen
Organisationsformen ins Schwimmen. Aber es waren zunächst nur Einzelgänger und
kleine Gruppen wie der Arbeitskreis Dritter Weg, die von den neuen Werten -
Umweltfreundlichkeit, Vielfalt, Arbeit an sich selbst, Sensibilität,
Eigenverantwortung erfaßt wurden. Sie versuchten, die freiwirtschaftlichen
Organisationsformen aufzulockern oder neue zu schaffen, die basisnäher und
elastischer waren. Sie tauchten in die Grüne Bewegung ein und übernahmen ihre
Maßstäbe, paßten z. T. auch ihre Lebensweise der ökologischen Ethik an, was
eine neue Ausdrucksform der früheren Lebensreform war. Die New-Age-Bewegung
warf einen Reflex in die NWO-Szene, der durch verschiedene Gestaltungen
hindurchging, ebenso wie ein Reflex der Ökologiebewegung. Innerhalb der
Freiwirtschaft entstanden Bürgerinitiativen. Oppositionelle Regungen und
Kritiken der Freisozialen Union erstarkten. Die zusammengeschrumpfte
Arbeitsgemeinschaft freiwirtschaftlicher Christen konnte neubelebt werden.
Seitens der Sozialmissenschaftlichen Gesellschaft wurden die Mündener Gespräche
eingeführt. Das Seminar für freiheitliche Ordnung fand große Resonanz in der
Öffentlichkeit. Karl Walker überprüfte die Grundlagen der freiwirtschaftlichen
Theorien, deckte ihre Konstruktionsfehler auf, verwarf Gesells Wertnihilismus
und zeigte die unheilbaren Schwächen der Indexwährung. Die
Sozialwissenschaftliche Gesellschaft wollte seine Anregungen aufgreifen,
unterließ es aber. Zwar konnte die "Zeitschrift für Sozialökonomie"
manche Probleme beleuchten, doch bis auf den Grund tauchte sie nicht. Dadurch
wäre das abgelagerte Sediment der Freiwirtschaft aufgewirbelt worden. Über
Walkers Erkenntnisse fiel ein Schleier herab.
Gleichwohl
war ein gewisser Wandel nicht mehr aufzuhalten. Der Zusammenbruch des
kommunistischen Systems in der DDR und in Osteuropa gab der Freiwirtschaft auch
in diesen Ländern wieder eine Chance, die jedoch kaum genutzt werden konnte.
Das unbereinigte und widerspruchsvolle NWO-System sprach dort nur wenige
Menschen an; sie hatten die Folgen der Bodenverstaatlichung am eigenen Leibe
erlebt.
Die
Internationale Freiwirtschaftliche Union stellte mangels Masse ihre Tätigkeit
ein. Sie war von Anbeginn nur eine zwischennationale Dachorganisation gewesen,
von der kaum noch etwas übrig blieb. An ihre Stelle trat nach einigen Jahren -
auch hier machte sich eine Belebung bemerkbar - die Internationale Vereinigung
für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO), zuerst als Mitgliederverband der
Reste früherer Organisationen, sodann als potentielle neue Internationale mit
nationalen Landesgruppen, von denen erst einige bestehen. Die Gründung der INWO
zeigte eine Verlagerung des Schwerpunkts der NWO-Szene aus der Bundesrepublik
in die Schweiz an, die auch in geistiger Hinsicht angesichts der neuen Gedanken
Bruno Jehles und Matina Hämmerlis gerechtfertigt schien.
Die Neuen
Sozialen Bewegungen mit ihrem nüchternen Denkstil wirkten sich auf neue
Theoretiker der Freiwirtschaft aus. Insbesondere auf Helmut Creutz, der die
ideologischen Formeln beiseite warf und Statistiken sprechen ließ. Professor
Suhr prägte den Begriff "Neutrales Geld" und schnitt mit seiner
rechtswissenschaftlich geschärften Verstandesklinge auch Verfassungsprobleme
auf. Seine Bereicherung der freiwirtschaftlichen Theorie war noch einmal dem
Bündnis mit dem Neoliberalismus zu verdanken.
Einen
beträchtlichen Anteil an der Ernüchterung hatten die beiden Bücher des Japaners
Yoshito Otani, der auch wieder den atheistischen Standpunkt einbrachte und wie
Marx erklärte, Religion sei Opium für das Volk, aber aus einer vitalistischen
Sichtweise. Das Gegenstück war Hans Joachim Führers religiös gefärbtes Buch
"Friedensfalken", worin er die Freiwirtschaft apokalyptisch umdeutete
und mit der katholischen Kirche zu verknüpfen suchte. Werner Onken nährte sich
zwar auch von dem religiösen Bewußtseinsstrom, ließ sich jedoch umgekehrt von
einer Heilserwartung tragen und führte die harmonikale Denkmethode ein, schon
jenseits des Marxschen Historischen Materialismus, dem Führer noch einen
Historischen Idealismus entgegengebaut, der Silvio Gesells Werk philosophisch
krönen sollte. Wie Walker ging Onken an eine Überprüfung der Grundlagen
Gesellschen Denkens heran.
Bei Margrit
Kennedy vereinigt sich ein neues freiwirtschaftliches Engagement mit dem
organischen Wachstum einer Neuen Kultur sowie mit dem ökologischen und
feministischen Impuls. Die Neue Denkschule, breiter angelegt als die früheren,
ist kein ,Trabant der traditionellen Freiwirtschaft', denkt vielmehr über diese
hinaus. Sie wird, was schon einige NWO-Grüne der 70er Jahre begannen, ihres
Absolutheitsanspruchs entkleidet und in eine universelle Aufbruchsbewegung
eingeordnet, ohne ihre Besonderheiten einzubüßen.
Ob sie den
Ansprüchen dieser gewaltigen und vielströmigen Aufbruchsbewegung gerecht werden
kann, ist noch die Frage. Womöglich wird sie von ihr überflüssig gemacht, weil
andere Gruppierungen, die unbefangener, aktionsfähiger und unbelasteter sind,
die noch fruchtbaren Ideen auf neue Art realisieren. Dafür sprechen
beispielsweise das LET-System in den USA, Kanada und England, die
Barter-Clearing-Information in München sowie anthroposophische oder ökologische
Gemeinschaftsbanken mit fast zinslosen Krediten. Sie bewirken jedoch ihrerseits
eine Reaktivierung des freiwirtschaftlichen Spektrums, in dem ebenfalls neue
Ideen (wie OA-Bank, Hilfsgeld, Bonus-System) gären sowie um Klarheit und Praxis
ringen.
Außerdem
erinnert sich die Öffentlichkeit allmählich Silvio Gesells. In verschiedenen
Zeitschriften ist er als Sozial- und Geldreformer wiederentdeckt worden.
Manchmal dien er nur als Aufhänger, manchmal aber als Anreger. In einem Fall
urteilte Dr. Winkler, es handele sich um eine "vereinfachte und effiziente
Weiterentwicklung der Freiwirtschaft", die der von Theophil Christen
vorgeschlagenen Doppelwährung "in vollständiger Konsequenz"
entspreche.
Der
Konstanzer INWO-Kongreß vom September 1991 zeigte eine Öffnung der
Freiwirtschaft an, die zwar nicht durchgängig war, auch den Grundwiderspruch
des NWO-Systems noch unberührt ließ, jedoch viele Freiwirte mit neuer Hoffnung
erfüllte. Erste Früchte der Kooperation mit anderen Strömungen brachte die
Konferenz über Alternative Geldsysteme vom November 1992 in Aarau/Schweiz.
Womöglich
hat bereits 1988/89 eine neue Phase begonnen. In der Gesellschen Form war die
Natürliche Wirtschaftsordnung anscheinend nicht oder nur im kleinen Maßstab
realisierbar, in anderer Form könnte sie tatsächlich zu einem Faktor der
globalen Transformation werden. Sollte jedoch die Konstanzer Öffnung und
Entdogmatisierung lediglich einer größeren Flexibilität gedient haben oder von
den retardierenden Kräften gar wieder rückgängig gemacht werden, so wird die
Freiwirtschaft voraussichtlich in Bedeutungslosigkeit versinken und sich
auflösen.
Über meine
Quellenarbeit
Die
Quellenlage war befriedigend, gut allerdings nur für die Zeit ab 1945. Über die
Inkubationsphase lagen außer den Büchern Silvio Gesells und seiner gemeinsamen
Schrift mit Ernst Frankfurth nur einige Artikel im "Physiokrat" sowie
Briefe vor. Die während der Zeit des NS-Systems bei Haussuchungen und
Verhaftungen beschlagnahmten Papiere wurden von der Gestapo vernichtet. Viele
andere Dokumente fielen zwischen 1942-45 den Brandbomben der alliierten
Bombengeschwader zum Opfer, z. B. das Privatarchiv von Hanna Blumenthal mit
vielen Briefen Silvio Gesells. Dennoch war es schließlich möglich, aus
Tausenden von Details ein wohl so gut wie lückenloses Mosaik aufzubauen.
Hierbei halfen mir folgende Quellen:
1.
Physiokratische und freiwirtschaftliche Zeitschriften ("Physiokrat",
"Freiwirtschaftliche Zeitung" (FZ), "Tau", "Neue
Arbeiterpolitik", "Freiwirtschaft", "Freiwirtschaftliches
Archiv", "Schule der Freiheit", "Fragen der Freiheit",
"Dritter Weg", "SG-Kommentare", "Zeitschrift für
Sozialökonomie").
2.
Physiokratische und freiwirtschaftliche Zeitungen ("Befreier",
"Entscheidungskampf", "Freies Volk", "Letzte
Politik", "Freiwirtschaftliche Presse", "Freisoziale
Presse", "Evolution" u. a. m.).
3.
Broschüren (insbesondere die "Wissenschaftliche Schriftenreihe der
Freiwirtschaftlichen Zeitung", über 30 Titel umfassend, ferner von Georg
Blumenthal, Gustav Simons, Otto Weißleder, Theophil Christen, Wilhelm Beckmann,
Dr. Ernst Winkler, Werner Zimmermann, Wilhelm Groß, Prof. Ude, Bertha Heimberg,
Arthur Rapp u. a.).
4. Bücher
von Silvio Gesell, Theophil Christen, Werner Zimmermann, Prof. Hans Sveistrup,
Will Noebe, Karl Walker, Margrit Kennedy, Yoshito Otani, Dr. Winkler und
anderen (allein von K. Walker lagen 10 Bücher vor).
5. Archive
("Freiwirtschaftliche Bibliothek" Varel, "Freiwirtschaftliches
Archiv" Aarau, Privatarchiv A. Rapp, Privatarchiv Winkler, Privatarchiv G.
Bartsch; in Varel und Aarau habe ich jeweils mehrere Tage gearbeitet).
6.
Briefwechsel mit ca. 45 Freiwirten, in einigen Fällen über 10-15 Jahre hinweg.
7.
Zahlreiche Gespräche mit Freiwirten über die Geschichte der NWO-Bewegung.
8.
Flugblätter und Faltblätter, Sonderdrucke zu Werbezwecken.
9. Interne
Rundbriefe und Protokolle, darunter von FSU-Parteitagen und verschiedenen
Konferenzen, auch von Bertha Heimberg, Hans Schumann, Arthur Rapp u. a.,
zuletzt der INWO Schweiz.
10. Interne
Mitteilungsblätter des Freiwirtschaftsbundes FFF und des Fisiokratischen
Kampfbundes.
11.
Unveröffentlichte Manuskripte (so von Paulus Klüpfel, Werner Onken und Arthur
Rapp).
12.
Unveröffentlichte Korrespondenz (so Gesell-Schwarz, Klüpfel-Blumenthal,
Engert-Blumenthal, Holze-Christen, Georg Blumenthal mit einer Reihe anderer
Personen).
13.
Teilnahme an einem SG-Seminar, an einer Konferenz in Neviges sowie an einer
Generalversammlung der INWO-Schweiz.
14.
Auskünfte der Freiwirtschaftlichen Bibliothek und der Sozialwissenschaftlichen
Gesellschaft. Onken wird von meinen Anfragen einen ganzen Aktenordner füllen
können.
15.
Mitteilungen der Internationalen Freiwirtschaftlichen Union (IFU); auch die
vertraulichen Berichte und Vorstands-Protokolle.
16. Außerdem
mußten alle Sekundärquellen über Gesell und die Freiwirtschaft geprüft werden,
auch die wissenschaftlichen Studien, angefangen von Dr. W. Wegelin.
17. Zu
prüfen war auch alles, was von Freiwirten über Silvio Gesell und die
NWO-Bewegung geschrieben worden ist.
18. In
biographischer Hinsicht haben mir einige der unveröffentlichten biographischen
Skizzen Werner Onkens geholfen, von denen er rund 100 angefertigt hat.
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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von
W. Roehrig