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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Zum Geleit
Durch die
Herausgabe der "Gesammelten Werke" Silvio Gesells werden alle
Ursprungstexte seines theoretischen Ansatzes einer nachkapitalistischen
Marktwirtschaft wieder zugänglich. Damit werden detaillierte wissenschaftliche
Forschungen über dieses Modell einer Alternative zu Kapitalismus und
Kommunismus möglich. Nach der Wende in Mittel- und Osteuropa und dem
scheinbaren Sieg der westlichen Wirtschaftsform im Wettkampf der Systeme ist es
notwendiger denn je geworden, nach solchen Alternativen zu suchen.
Parallel zum
Erscheinen der letzten Bände von Gesells Gesamtwerk beginnt mit diesem Buch die
Herausgabe einer neuen Buchreihe "Studien zur Natürlichen
Wirtschaftsordnung", die auf dem Fundament des Gesamtwerkes aufbaut. Die
äußere Gestaltung dieser Buchreihe soll den Zusammenhang mit dem Gesamtwerk
sichtbar machen. Und ihr Name soll, indem er sich an den Titel von Silvio
Gesells Hauptwerk "Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und
Freigeld" anlehnt, auch die innere Kontinuität herstellen. Diese zweifache
Anknüpfung soll freilich keine kritiklose Wiederholung all dessen bedeuten, was
Silvio Gesell im Laufe seines 40jährigen sozialreformerischen Wirkens in seinen
Veröffentlichungen niedergelegt hat. Ausgehend von einer hohen Wertschätzung
für seine großen Leistungen soll diese Buchreihe der kritischen Erforschung
ihres ökonomischen, politischen, philosophischen und historischen Gehalts
ebenso dienen wie der Erhellung seines biographischen und zeitgeschichtlichen
Hintergrunds.
In den
"Studien zur Natürlichen Wirtschaftsordnung" (abgekürzt:
"NWO-Studien") sollen außerdem die Geschichte der von Silvio Gesell
begründeten Denkschule, ihr Innenleben sowie ihre Wechselbeziehungen mit
verwandten und anderen sozialen Bewegungen kritisch aufgearbeitet werden. Und
schließlich sollen in dieser Buchreihe Monographien und Aufsatzsammlungen
erscheinen, worin Gesells Werk im Dialog mit Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlern, Juristen, Politologen, Theologen, Philosophen und
Historikern kritisch gesichtet, aktualisiert und weiterentwickelt wird.
Die
Aufzeichnung der eigenen Geschichte ist von den Nachfolgern Silvio Gesells
versäumt worden. Während des Aufbaus einer "Freiwirtschaftlichen
Bibliothek" und der Herausgabe der "Gesammelten Werke" regte sich
deshalb die Hoffnung, dazu beitragen zu können, daß diese schmerzliche Lücke
einmal geschlossen wird. Durch meine langjährige gute Zusammenarbeit mit Günter
Bartsch bei der inhaltlichen Gestaltung der "Zeitschrift für
Sozialökonomie" wuchsen sowohl eine über die gemeinsame Arbeit
hinausgehende persönliche Freundschaft als auch das Vertrauen, daß er als
freiberuflich tätiger, unabhängiger Historiker der am besten geeignete Autor
für eine umfassende Geschichte der NWO-Bewegung sein könnte, zumal er diese Bewegung
schon 1946 als ganz junger Mann kennengelernt und in seinen Veröffentlichungen
verschiedentlich darüber geschrieben hatte.
Als ein
besonders glücklicher Umstand erschien mir, daß Günter Bartsch zwar ein
wohlwollender Beobachter, aber kein Anhänger der NWO-Bewegung ist. Als Anhänger
wäre er der Versuchung ausgesetzt gewesen, eine beschönigende Heldengeschichte
zu schreiben, deren Glaubwürdigkeit zweifelhaft wäre. Außerdem ist Günter
Bartsch ein durch zahlreiche Veröffentlichungen ausgewiesener Kenner des
Gesamtkomplexes der sozialen Bewegungen. Seine große Übersicht gestattet ihm,
die Wirksamkeit einzelner Personen und die Fülle von einzelnen Ereignissen in
ihrer Bedeutung für die NWO-Bewegung als Ganzes ebenso zu erkennen wie
Parallelen zu anderen sozialen Bewegungen. Wer hingegen nur von der
NWO-Bewegung etwas versteht, versteht in Wirklichkeit auch davon nur wenig.
Günter
Bartsch hat ein sehr feines Gespür für den Stellenwert von Details und für
große Zusammenhänge. Hochachtung verdient seine geistige Spannkraft, ohne die
sich eine solche Fülle von historischem Quellenmaterial nicht hätte
durcharbeiten lassen. Und eine große Anerkennung gebührt seiner Bereitschaft,
eine so umfangreiche Arbeit für eine Gegenleistung zu vollbringen, die weit unterhalb
der Honorierung lag, die für solche Leistungen im normalen Wissenschaftsbetrieb
üblich wäre. Forschungszuschüsse haben in erster Linie die
Sozialwissenschaftliche Gesellschaft und die Internationale Vereinigung für
Natürliche Wirtschaftsordnung gegeben. Ferner haben die Christen für gerechte
Wirtschaftsordnung, die Freie soziale Union Essen und eine kleine Zahl privater
Spender zur Entstehung dieses Buches beigetragen. Allen Förderern sei an dieser
Stelle herzlich gedankt. Alles in allem konnte die NWO-Bewegung die Existenz
des Autors in bescheidenem Umfang nur während eines Viertels der dreieinhalb
bis vier Jahre sichern, die für die Arbeit an diesem Buch nötig waren. Daß
Günter Bartsch diese Arbeit, die zeitweise wie ein schweres Bleigewicht auf ihm
lastete, dennoch zu Ende führte, stellt für die NWO-Bewegung ein Geschenk von
unschätzbarem ideellen Wert dar. Er verdient deshalb den größten Dank.
Als mir
Günter Bartsch im Herbst 1992 sein fertiges Buchmanuskript übergab, waren seine
Erleichterung und innere Befreiung deutlich spürbar. In der Freude über das
fertige Werk fragte ich ihn, was ihn letztlich bewogen habe, unter so widrigen
Umständen ein so umfangreiches Buch über eine soziale Sonderbewegung zu
schreiben, die von den Historikern zumeist übersehen wird. Seine Antwort
spiegelte am besten seine zugleich von Wohlwollen und kritscher Distanz
geprägte innere Einstellung zu dem NWO-Gedankengut. Und sie gibt Auskunft über
das Selbstverständnis des Autors als Historiker. Gleichsam als ein Selbstzeugnis
sei sie an dieser Stelle wiedergegeben: "Isoliert betrachtet ist die
Freiwirtschaft nicht zu verstehen - entweder wird sie überschätzt oder für
bedeutungslos gehalten. Sowohl ihre Grundzüge als auch ihre Besonderheiten
empfing sie aus dem Komplex der sozialen Bewegungen, dem sie angehörte und aus
dem sie sich herausarbeitete. Zuweilen erschien sie mir wie ein Übungsfeld
kommunistischer, anarchistischer, sozialistischer und sozialdemokratischer
Ideen, die freilich auch mit ihrem Individualismus zusammenstießen. Für mich
war die Beschäftigung mit ihr die letzte Strecke eines mehr als 30jährigen
Studiums der sozialen Bewegungen, in denen ich nacheinander selbst tätig
gewesen bin. Was Geschichte ist, hat sich 1989/90 gezeigt. Ihr dunkler Faden
und ihr Gorgonenhaupt wird meist nur im revolutionären Blickstrahl sichtbar.
Der Historiker muß Licht darüber werfen. Auch die Geschichte der sozialen
Bewegungen und Sonderbewegungen ist zumeist untergründig. Nur selten ans
Tageslicht tretend, muß sie wie ein Riesenmosaik aus kleinen Steinchen
zusammengesetzt werden. Auch die Geschichte der NWO-Bewegung lag wie ein
Trümmerfeld vor mir, und ich mußte sie aus vielen Tausend Details wieder
aufbauen. An diesem Werk habe ich über drei Jahre gearbeitet, abgesehen von den
Vor- und Nebenstudien, die es erforderte. Nicht von der Ganzheit konnte ich
ausgehen, nur von den winzigen Teilen, von den Splittern, die wie die Scherben
einer Vase herumlagen. Sie mußten sorgsam zusammengeleimt werden, ohne eine
Lücke offenzulassen. Es leitete mich eine Ahnung, daß es für die kommenden
Geschlechter wichtig sein könnte, die Geschichte dieser kleinen Bewegung
aufzuschreiben, sie einfach nachzuerzählen mit allen ihren Licht- und
Dunkelstellen."
Etwas mehr
als 100 Jahre nach der Entstehung der NWO-Bewegung liegt uns eine umfassende
Übersicht über die Wege vor, auf denen die sozialreformerischen Gedanken Silvio
Gesells über einen zunächst kleinen und später zeitweise größeren Kreis von
Menschen in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gelangt sind. Günter Bartsch
vermittelt ein eindrucksvolles Bild von den handelnden Personen und dem bunten
Spektrum von Organisationen, von besonderen Strömungen und Flügelkämpfen. Als
Schlüssel zur Vergangenheit der NWO-Bewegung und ihrer selbstkritischen
Aufarbeitung ist dieses Buch auch ein Wegweiser in ihre Zukunft. Es ist
gleichsam ein Spiegel, der vor allem jenen Menschen vorgehalten wird, die sich
dieser Bewegung zugehörig fühlen - in der Hoffnung, daß sie nach dem
l00jährigen Bestehen der NWO-Gedanken innehalten und sich im Bewußtsein ihrer
Verantwortung für diese Gedanken fragen: Was war, was ist und wie soll es in
Zukunft weitergehen? Anders als Schneewittchens Stiefmutter im Märchen sollten
sie beim Blick in diesen Spiegel nicht nur die Bestätigung dafür erwarten, daß
sie "die Schönsten im ganzen Land" sind. Eitelkeit und das Verdrängen
eigener Fehler verhindern allzuleicht eine realistische Selbsteinschätzung und
beeinträchtigen die Außenwirkung des eigenen Handelns. Von menschlichen
Schwächen ist freilich niemand ausgenommen. Überall, wo Menschen gemeinsame
Ziele verfolgen, handeln sie unvollkommen und bewirken sowohl Gutes als auch
Böses bis bin zu Hexen- und Schauprozessen, Kreuzzügen und Stasi-Terror. Noch
folgenschwerer als solche Verfehlungen selbst ist die Weigerung, selbstkritisch
zurückzublicken, verkrustete Formen des Handelns abzustreifen und einen
Neubeginn zu wagen. In diesem Sinn bietet Günter Bartschs historische Übersicht
über die NWO-Bewegung eine große Chance zur Überwindung von 'Kinderkrankheiten'
und zur Umkehr von Irrwegen. Sie ermöglicht auch eine Wiederentdeckung
verschütteter Gedankenkeime, die noch Entwicklungsmöglichkeiten in sich bergen,
wie sie beispielsweise bei Paulus Klüpfel, Karl Walker, Johannes Ude oder
Friedrich Salzmann zu finden sind.
Die
Geschichte als Lehrmeisterin zu Rate zu ziehen bedeutet nicht, einzelne Akteure
vor einen Richterstuhl zu zerren. Es geht auch nicht um eine Säuberung im
totalitären Sinne, bei der selbsternannte Chefideologen mißliebige Personen
ausschalten. Vielmehr soll der geschichtliche Rückblick der NWO-Bewegung einen
Anstoß geben, sich auf der Grundlage eines freien unbehinderten
Gedankenaustausches zu läutern und sich selbst zu reinigen. So soll dieses Buch
jene Menschen, denen Silvio Gesells Sozialreformansatz am Herzen liegt, und
auch jene, die sich in Zukunft damit beschäftigen, in Aufregung versetzen; denn
nur in Augenblicken der inneren Unruhe und der Verunsicherung kann man
eingeschliffene Denkbahnen überprüfen und sich neu orientieren. Eine offene
Aussprache über den von diesem Buch ausgelösten Prozeß des Nachdenkens kann in
den folgenden Bänden der "NWO-Studien" stattfinden. Nachdenklichkeit
will Günter Bartsch auch mit kritischen Anfragen an einige Grundlagen der
NWO-Bewegung wie die Forderung nach einer Verstaatlichung des Bodens oder die
Quantitätstheorie des Geldes erzeugen. Solche Fragen nicht zuzulassen, wäre ein
Zeichen von geistiger Unfreiheit gewesen. Zur geistigen Freiheit innerhalb der
"NWO-Studien" gehört jedoch gerade die Bereitschaft, solche
Herausforderungen anzunehmen und sie zum Anlaß zu weiterem Bemühen um sachliche
Klärungen zu nehmen. Allein dadurch kann die mit dem vorliegenden Band
eröffnete Buchreihe ihren Sinn erfüllen.
Werner Onken
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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von
W. Roehrig