Zur Startseite von geldreform.de

 

Zum Gästebuch von geldreform.de

 

Günter Bartsch: Die NWO-Bewegung

ISBN 3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994

 

 

 

 

 

 

 

VI. Eine neue und diesmal echte Internationale?

 

Schweiz - von der LSP zur INWO

 

Die Liberalsozialistische Partei der Schweiz bestand weiter. Sie war sogar sehr regsam und bienenfleißig, aber fast nur noch an der Spitze. Jedes Jahr arbeitete die Geschäftsleitung Stellungnahmen zu 20-24 Abstimmungsvorlagen des Nationalrats und in den Kantonen aus. Die Aktivität war eine hauptsächlich administrative. (1) Sie brachte das Parteivolk nicht mehr in Schwung.

 

Die Wochenzeitung "Freies Volk" ging ein. Sie hatte nach dem Tode von Fritz Schwarz zuviel Abonnenten verloren. An ihre Stelle traten monatlich "Mitteilungen aus Politik und Wirtschaft". Daraus wurde schließlich die Monatsschrift "Evolution". Sie erschien aber als gemeinsames Organ der Liberalsozialistischen Partei und der Freiwirtschaftlichen Bewegung. So war doch ein Bindeglied geblieben oder neu geschaffen.

 

Soweit es noch Initiativen von unten gab, waren sie in der Regel auf Einzelpersonen beschränkt. So veröffentlichte A. Binggeli, Schwarzenburg, ein "Wirtschaftlexikon für alle", von dem 1974 eine zweite Auflage erschien. Schon auf den ersten Seiten konnten kundige Augen feststellen, daß der Autor wohl ein Freiwirt war, hieß es doch vom Geld, mit seiner Prägung in Edelmetalle sei "die bisherige Eigenschaftsgleichheit der Verderblichkeit durchbrochen" (2) worden.

 

Erfolge blieben aus. Die Sektion Männedorf / Stäfa verlangt eine Namensüberprüfung, unterstützt vom Kantonalverband Zürich. Vielleicht genüge es, sich in "Liberalsoziale" umzubenennen, doch der diskreditierte Begriff ,sozialistisch' müsse fallen.

 

Die Geschäftsleitung der LSP erklärte, bei Abschluß der Vorarbeiten für ein neues Parteiprogramm sollte unbedingt auch die Frage des Namens geklärt werden. Doch der Parteivorstand sprach sich am 23.3.1983 in Zürich mit 11 : 8 Stimmen gegen eine Namensänderung aus. Auf dem LSP-Parteitag vom Mai 1984 lag ein Antrag der Sektion Kreuzlingen auf Namensänderung vor. Er wurde abgelehnt, schwelte aber unter der Decke weiter. "Schon lange war einem Teil der Mitglieder" - wie die Zeitung "Evolution" schrieb - "unser Name ein Dorn im Auge. Die einen wehrten sich immer dagegen, eine Partei zu werden oder betrachteten diesen Akt als Sündenfall und als Auslöser eines schleichenden Niedergangs. Andere wiederum stört der Inhalt unseres Namens, genauer gesagt der Teil ,sozialistisch'". Die Befürworter einer Namensänderung argumentierten, der Begriff ,sozialistisch' sei von vornherein abstoßend und ein rotes Tuch, das zu Angriffen reize. Außerdem wären die Freiwirte keine Sozialisten im landläufigen Sinn. Ihre Ansprechchancen würden mit einem anderen Namen deutlich steigen. Die Gegner der Namensänderung machten geltend, der Begriff ,liberalsozialistisch' sei treffend wie ehrlich. "Unsere Bodenrechtsvorstellungen sind ebenso sozialistisch wie unsere Vorschläge im Bereiche des Geldwesens." (3)

 

In der Schweizer Freiwirtschaft bürgerten sich abseits von der Liberalsozialistischen Partei Freundes- und Seniorentreffen ein. Das 8. dieser Treffen wurde von dem alter Freiwirt Otto Wölfle vorbereitet. Dazu erschienen 38 Gesinnungsfreunde. Wölfle gründete aus eigener Initiative Anfang der 80er Jahre eine Studiengemeinschaft für Wirtschaftsreformen. Sie wurde von einem Freundesteam getragen. Ihr Leitspruch lautete: Die Frucht der Gerechtigkeit wird der Friede sein. Auf einem Seniorentreffen sprach der Pfarrer Willi Kobe über das Thema: "Was leisten die Friedensbewegungen: der schweizerische Friedensrat und der schweizerische Versöhnungsbund?"

 

Das Sekretariat der Studiengemeinschaft befand sich zuerst in Sissach und sodann in Muttenz. Es diente auch zum Vertrieb freiwirtschaftlicher Literatur. Besonders empfohlen wurden Ludwig Stadelmanns "100 Fragen und Antworten" sowie Ernst Wahlis "Einführung in die Volkswirtschaft". Das Sekretariat gab auch Stellungnahmen zu bestimmten Fragen heraus. Etwa zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben. Wie Archimedes einen fester Punkt verlangt hatte, von dem aus er die Erde bewegen könne, so müßten die Arbeitnehmer nun fordern: "Schafft einen dauernden stabilen Geldwert und ihr werdet großen sozialen Fortschritt erleben". Ein anderes Merkblatt befaßte sich mit der Frage, ob Waffenausfuhr ein Arbeitsbeschaffungsmittel sein dürfe.

 

In Opposition zum Liberalsozialismus gründete Hans Wanner die Vereinigung für eine sichere Welt, welche angeblich 50 Mitglieder und 200 Sympathisanten hat. Er veröffentlichte 1986 ein Buch: "Stop, Umdenken, Logisch denken, Bio-logisch denken", in dem Silvio Gesell zwar eine große Leistung bescheinigt, aber auch nachgesagt wird, weder Geld noch Kapital schlüssig definiert zu haben. Seine NWO müßte eigentlich umgeschrieben werden. Gesells Freigeld und Steiners Kaufgeld sind für Wanner Vorstufen seines Bio-Kybernetik-Geldes. Schon in der Zeit der Gotik hätten zwei Währungen nebeneinander bestanden: die Augustalen und die Brakteaten (von den Augustalen war bei anderen Freiwirten nie die Rede). Wanner ist für eine neue Doppelwährung, die den Staat "zum größten Teil überflüssig" machen würde. (4) Sein Buch enthält ein Kapitel über drei Glaubensfehler der Jünger Silvio Gesells:

 

1. Das gute Geld ist durch schwundartiges Freigeld zu ersetzen.

2. Die Goldwährung trägt Schuld am Elend der Menschen.

3. Der Grund und Boden muß verstaatlicht werden.

 

Was Gesell erreichen wollte, könne man weit billiger haben und zugleich die Feindschaft der Bauern vermeiden, denen durch Verstaatlichung der Boden unter den Füßen weggezogen würde.

 

1. Neben dem heutigen Geld wird ein Wirtschaftsgeld eingeführt, das jedes Jahr nur einige Monate unbeschränkt gültig ist, worauf 1 % des Nennwerts in Rechnung gestellt wird.

 

2. Aus dem Goldschatz werden neue Münzen geprägt, nicht mit Wert-, sondern mit Gewichtsangabe, damit der Franken gleich Franken bleibt.

 

3. Boden soll nicht nur gepachtet, vielmehr auch gekauft werden können, wenn er selber und allein für den Eigenbedarf genutzt wird.

 

Durch diese Korrekturen könne endlich die nicht zu überbietende Theorie Silvio Gesells an den Mann und an die Frau gebracht werden. Hans Wanner fühlt sich als Reformator der Freiwirtschaft, wird jedoch von den meisten Schweizer Freiwirten als arroganter Besserwisser abgelehnt, auch als politischer Demagoge, da er als "Ersatz für die sogenannte Demokratie" ein "Demokratisches Management" vorgeschlagen hat, das sich auf eine Zivilverwaltung, eine Militärverwaltung und auf Gerichte stützen soll. Die Zivilverwaltung soll in der Hand von Managern liegen, die Militärverwaltung in der Hand von drei gewählten Generälen.

 

Die Liberalsozialistische Partei war nach den Kantonen der Schweiz gegliedert und daher föderalistischer aufgebaut als die Freisoziale Union der Bundesrepublik. Ihr Hauptvorstand hatte mehr den Charakter eines koordinierenden Zentrums als den einer dirigierenden Zentrale. Die größte geschlossen geführte Organisation stellte der Kantonalverband Bern dar. An ihm läßt sich auch am besten der Niedergang des Liberalsozialismus demonstrieren. 1950 hatte er rund 700 Mitglieder, verteilt auf 18 Sektionen, 1990 nur noch 120 Mitglieder in 4 Sektionen. Dabei kamen Austritte selten vor. In einem Rechenschaftsbericht des Kantonalpräsidenten der LSP heißt es: "Die einzelnen Sektionen dezimierten sich im Laufe der Jahre durch Todesfälle und mußten mangels Beständen Schritt für Schritt aufgelöst werden".

 

Ähnlich sah es in den anderen Kantonalverbänden aus. Bereits 1982 hatte der Niedergang ein solche Ausmaß erreicht, daß der LSP-Präsident Ernst Weber seinen Rücktritt anbot. Am außerordentlichen Parteitag vom 24./25.4.1982 in St. Gallen nahmen nur noch 65 Mitglieder (und einige Gäste) teil. Eine Reihe der wichtigsten Persönlichkeiten ließ sich entschuldigen. Inhaltlich behandelte der Parteitag fast nur noch vereinsartige Formalien. Der jährliche Mitgliederbeitrag wurde von 20 auf 24 Fr. erhöht. Niemand war bereit, anstelle von Ernst Weber die Präsidentschaft zu übernehmen, weshalb sich dieser notgedrungen noch einmal für ein Jahr zur Verfügung stellte. Von der Geschäftsleitung erklärten F. Manz, G. Merz und E. Muster ihren Rücktritt. Wiedergewählt wurden: U. Allemann, H. Barth, Dr. P. Günter (Nationalrat), O. Haag, H. J. Krebs, U. Metzger, W. Wäckerling und E. Wahli. Neu in die Geschäftsführung kamen: Werner Klee, Vreni Meier und Werner Rosenberger. (5) Der letztere war schon 1981 zur Teilnahme an den Geschäftsleitungs-Sitzungen eingeladen worden. Auf ihm ruhten die größten Hoffnungen. Würde er sie erfüllen können? Mir selbst erschien er, als ich ihn kennenlernte, als eine kraftvolle Persönlichkeit.

 

Werner Rosenberger ist ein 1924 geborener Volksschullehrer mit dem Hobby Volkswirtschaft. Alljährlich kamen die Geschwister Klara und Albert Fluck, Freunde der Mutter, in sein Elternhaus, wo sie die ganze Familie von der Freiwirtschaftslehre zu überzeugen versuchten. So auch im Januar 1944. Sie erklärten, wie das umlaufgesicherte Geld funktionieren würde. Werner sagte impulsiv, an den familiären Aktienbesitz denkend: "Bei einem solchen System würde ich mein Geld in Boden anlegen". Da sprang Klara Fluck auf und schüttelte ihn freudig an beiden Schultern: "Er hat es erfaßt! Er sieht die Zusammenhänge! Die Reform des Bodenrechts gehört unabdingbar zur Geldreform! Er wird ein Freiwirtschaftler!" (6)

 

Und so war es in der Tat. Schon bei seinem nächsten Gang durch die Stadt Zürich sah Werner Rosenberger im Schaufenster eines Antiquariats wie zufällig "Die Natürliche Wirtschaftsordnung" von Silvio Gesell. Er kaufte das Buch für 8 Fr. und las es gründlich. Worauf er sich leidenschaftlich für Wirtschaftspolitik zu interessieren begann und die verschiedensten politischen Vorträge besuchte.

 

Als Student hielt es bereits selbst Vorträge über eine neue Geld- und Bodenordnung. Sein Stadtpraktikum konnte er auf besonderen Wunsch bei dem freiwirtschaftlichen Nationalrat Werner Schmid absolvieren. 1950 trat Werner Rosenberger der LSP bei, zog sich jedoch nach Ablehnung ihrer Kaufkraft-Initiative durch eine Volksabstimmung von der aktiven Politik wieder zurück. Nun war ja das Wirtschaftswunder Trumpf. Ab 1955 als Verwaltungsratsmitglied und Präsident verschiedener kleiner Unternehmen in der Wirtschaft tätig, lernte er Handel, Immobilien und Banken aus nächster Nähe kennen, was ihn schließlich zur Niederlegung seiner Verwaltungsratsmandate bewog. In der LSP-Geschäftsleitung, wo jahrelang vergeblich an einem Programm gearbeitet worden war, entwarf er in einigen Wochen jene "Leitlinien '86" der LSP, die 1985 von ihrem Parteitag beschlossen und 1986 der Presse vorgestellt wurden. Sie brachten jedoch nicht den erhofften Aufschwung für die LSP. Den Grund suchte Werner Rosenberger in ihrer hemmenden politischen Konstitution. Er war daher nach seiner eigenen Darstellung" ab 1989 die treibende Kraft, welche die Umwandlung in eine nichtpolitische Organisation anstrebte". (7)

 

Die Liberalsozialistische Partei wollte den Gemeinden "die ihnen zustehende Vorzugsstellung auf dem Bodenmarkt" verschaffen, um die Bodenspekulation zu unterbinden. Daraus entwickelte sich die Stadt-Land-Initiative. Aber auch sie scheiterte. Die "Evolution" beklagte "riesige Vermögensverschiebungen". (8)

 

Immerhin war es der Bodenrechtskommission der LSP schon 1981/82 gelungen, sich in die neutrale Gesellschaft für ein neues Bodenrecht (SGNB) zu integrieren.

 

Deren Präsident war Heiner Ott, Professor der Theologie. Die Gesellschaft gab 45 Hefte der "Blätter für ein neues Bodenrecht" heraus. Sie veranstaltete einige Tagungen, auf denen zuletzt Frau Dr. Maja Wicki über einen feministischen Weg des neuen Bodenrechts sprach. Christoph Dejung unterschied innerhalb der Gesellschaft christliche, sozialistische, freiwirtschaftliche und naturschützende (grüne) Bodenrechtler. Sie löste sich im März 1990 selber auf. Gleich der Liberalsozialistischen Partei erstrebte sie die Überführung des Bodens in Gemeinbesitz.

 

In der Gesellschaft für ein neues Bodenrecht arbeitete außer Werner Rosenberger auch Hans Hoffmann mit, der bereits als Jüngling in Kontakt mit der Freiwirtschaftsschule kam - durch zwei Söhne von Professor Bernoulli, von denen der eine sein Mitschüler, der andere sein Mitstreiter in der Jugend-Abstinenzbewegung war. Er verehrte Hans Bernoulli wegen dessen vornehmer Denkart. Unter seinem väterlichen Einfluß trat Hans Hoffmann alsbald dem Freiwirtschaftsbund bei und erwählte sich die Sekretärin von Fritz Schwarz zur Frau. Diese doppelte Verheiratung - mit dem Freiwirtschaftsbund und dessen Sekretärin - schmiedete den Freier unlöslich an die Gesellsche Idee. Sie faszinierte ihn "auf Anhieb" und ließ ihn nicht mehr los.

 

Ein Vierteljahrhundert war Hans Hoffmann Präsident des Kantonalverbandes Bern, wobei er den Kontakt zur Schweizer Nationalbank pflegte und gelegentlich von einem ihrer Direktoren zum Frühstück eingeladen wurde. Bei den alten Freiwirten, die das nicht immer gern sahen, konnte er sich auf eine erstaunliche Kontinuität und Beharrlichkeit verlassen. An den halbjährlichen Kantonaltagungen nahmen in der Regel 40 - 45 % aller Mitglieder teil. Trotzdem verfiel, wie schon gesagt, eine Sektion nach der anderen, bis nur noch vier übrig warm.

 

Auf dem Parteitag der LSP von 1989 kam es zu einer Kontroverse. Es ging um den Bestand der Schweizer Armee. Hans Hoffmann war Hauptmann oder Major der Reserve. Die alternative Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) erreichte nicht nur eine Volksabstimmung über diese heikler Frage, es stimmten ganz unerwartet fast 36 % der Bürger für die Abschaffung des Militärs (eine Weltsensation!).

 

Hans Hoffmann beantragte, angesichts einer so wichtigen Entscheidung einen Sonderparteitag der LSP einzuberufen. Der ordentliche Parteitag lehnte diesen Antrag ab, unter anderem wegen des Einspruchs von Bruno Jehle, der den Standpunkt vertrat, es sei nicht Sache der LSP, sich für oder wider die Volksabstimmung zu erklären. Da Hoffmanns Antrag nicht einmal auf die Tagesordnung kam, verabschiedete er sich vom Platz weg. Aus seiner Sicht war es eine "unausgesprochene Feigheit" des Parteitags, "durch Handerheben sich gegen die Armee bloßstellen zu müssen". (9) Worauf er im Februar 1990 von Amt des Kantonalpräsidenten der LSP zurücktrat.

 

Sein Nachfolger H. Leuthold konnte für die nächste Zukunft keine großen Würfe ankündigen, teilte jedoch allen Mitgliedern und Sympathisanten mit, "dass Bestrebungen im Gange sind, die LSP zu verändern: der ,Inhalt' bleibt, aber die Form soll modernisiert werden . . . Wenn dann die neue Organisation beschlossene Sache ist, müssen wir mit Volldampf auf Mitgliedersuche! Wir müssen unseren Mitgliederbestand unbedingt verjüngen, sonst werden wir in absehbarer Zeit infolge höherer Gewalt von der Bildfläche verschwinden". (10) Auch die Geschäftsleitung der Kantonalpartei sie überaltert. "Kennen Sie vielleicht einen Interessenten mit Jahrgang 25 oder jünger für diese Ämter?"

 

In Wahrheit hatte sich bereits ein Dutzend Jüngere eingestellt: Bruno Jehle, Matina Hämmerli, Thomas Guidon und andere. Sie waren allerdings nicht auf Ämter und Funktionen scharf. Ihnen lag an einer Modernisierung und Aktivierung der Freiwirtschaft, damit die Schweiz zu einem gerechten Geld komme.

 

Die jüngeren Leute bildeten eine Art Reformflügel und wirkten ebenso wie Werner Rosenberger auf eine Umwandlung der Liberalsozialistischen Partei hin. Bruno Jehle gehörte einer Kommission an, welche einstimmig ihre Auflösung vorschlug. Zugleich sollte die Spaltung der Schweizer Freiwirtschaft in Parteileute und Bewegungsleute überwunden werden. Auch wäre es ratsam, die Lösung der anstehenden wirtschaftspolitischen Probleme mit einer Reorganisation der gesamten NWO-Bewegung zu verbinden.

 

In diesem Geiste entstand aus der LSP am 30.9.1990 in Zürich die INWO Schweiz als Internationale Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung, genauer: als deren Bestandteil. Die "Freiwirtschaftliche Bewegung" verharrte wider Erwarten in ihre Sonderexistenz. Gleichwohl konnte ein hoffnungsvoller Neubeginn starten. Selbst Hans Hoffmann, obwohl er die INWO zunächst als farblos empfand, schloß sich ihr an.

 

Die INWO Schweiz wählte Matina Hämmerli zu ihrer Präsidentin. Erstmals ist eine Frau an der Spitze, eine selbstbewußte Vertreterin des weiblichen Geschlechts. Sie hatte seit April 1988 der LSP-Geschäftsleitung angehört.

 

Bei einem ersten INWO Treffen in Aarau zeigte sich zwar reges Interesse, aber auch ein Mangel an Strukturen und an Kapazität, um es aufzunehmen und zu koordinieren. Anscheinend war die abgestreifte Organisationsform zu undurchsichtig, um genügend Bereitschaft zur Mitarbeit zu wecken. Die Präsidentin verfaßt einen Rundbrief, der ganz neue Gedanken und Vorstellungen enthielt:

 

"Die INWO muß ein Glashaus werden, wo jede/r im Vorbeigehen sehen kann, was und wie gearbeitet wird. Wer zu diesem Haus gelangt, sollte Lust verspüren, da mitzumachen.

Die INWO darf also kein Labyrinth sein, in dem jede/r für sich durch die Gänge irrt und sich dabei im Knäuel wirtschaftlicher Detailfragen verheddert. Wer sich unsicher fühlt, soll einen Schulungskurs besuchen können, wer den Drang zur Aktion verspürt, soll Zugang zu Gruppen finden, die Aktionen planen, wer an Theorie und Modellen weiterarbeiten will, soll in der ,Denkfabrik' Möglichkeiten zum Austausch haben usw." (11)

 

Am dringlichsten schien die Schaffung einer mehrgleisigen Struktur zu sein. Die INWO Schweiz wurde daher in vier Arbeitsbereiche gegliedert:

 

1. Forum (Denkfabrik). Darin sollen die überlieferten Theorien Silvio Gesells diskutiert und im Licht der heutigen Zeit betrachtet, aber auch neue Ideen gesammelt und geprüft werden.

 

2. Aktion Schweiz. Sie soll die Öffentlichkeitsarbeit betreiben und geeignete Aktionen vorbereiten, um die Öffentlichkeit aufzurütteln. Die INWO müsse künftig in den Medien, in der Kultur und Politik stets präsent sein. "Nahestehende Personen, Fachleute und Organisationen werden kontaktiert." (12)

 

3. Verwaltung. Ihr sind Infrastruktur, Sekretariat und Archiv (Dokumentation) zugeordnet. Das Sekretariat ist vorerst nur halbtags besetzt, in das Archiv sollen unabhängige Wissenschaftler Einsicht nehmen können (was schon geschah).

 

4. Internationale Zusammenarbeit. Die INWO Schweiz ist zwar hauptsächlich im eigenen Lande tätig, sieht sich jedoch in einem weltweiten Zusammenhang des Gebens und Nehmens. Es wird die Zusammenarbeit sowohl mit Gleichgesinnten als auch mit Kritikern des Auslands angestrebt. In dieser Richtung hat sich insbesondere Karl Frigg betätigt.

 

Die vier Tätigkeitsbereiche werden von einem 10-köpfigen Vorstand koordiniert, der monatlich zusammentritt und in der Regel jeweils sechs Stunden berät.

 

Das Verhältnis zu Silvio Gesell ist ein relativ freies, ja recht unbefangenes. Die Zeit der fertigen, in sich geschlossenen Denksysteme sei vorüber. "Wir leben im Zeitalter des Dialogs und der Veränderung. . Es gibt keine Patentrezepte, die sich ein kluger (männlicher...) Kopf in seinem Zimmer ausgedacht hat. Wir können nicht auf eine allgemein gültige Lösung warten, die auf alles anwendbar wäre." (13) Auch das sind neue und erfrischende Gedanken.

 

In den Statuten der INWO Schweiz ist ihr Zweck zwar darauf festgelegt, Ideen und Aktivitäten zu fördern, die zu einer Natürlichen Wirtschaftsordnung im Sinne des Wirtschafts- und Sozialreformers Silvio Gesell beitragen. Jedoch wird zugleich "die Weiterentwicklung dieses Gedankenguts" (14) angestrebt. Das arbeitsfreie Einkommen soll verringert werden. (Vom vollen Arbeitsertrag ist in den Statuten keine Rede.) Es wird zwischen Aktiv- und Passivmitgliedern unterschieden (die letzteren sind nicht in den Vorstand wählbar). Sie können sich zu rechtlich selbständigen Regionalgruppen zusammenschließen.

 

Die Statuten wurden von der ersten Generalversammlung am 30.9.1990 gebilligt. Das publizistische Organ der INWO Schweiz ist die von der LSP übernommene Monatsschrift "evolution" deren Gesicht und Inhalt sich bisher kaum verändert hat.

 

Von der INWO Schweiz ging und geht ein starker Impuls aus, ähnliche neue Strukturen auch in anderen Ländern anzuregen. Karl Frigg, ein Elektroingenieur, unternahm zu diesem Zweck bereits mehrere Reisen. Die Schweizer INWO ist zum Modell geworden. Ihre wichtigsten Persönlichkeiten haben den Eindruck gewonnen, daß die Probleme, wie sie die INWO formuliert, "von praktisch allen Engagierten als brennend anerkannt werden. Die Zeit ist reif". (15) Dieses Selbstbewußtsein wirkt sich aus. Es hat eine resignierende Stimmung überwunden.

 

Das war nicht zuletzt auch Thomas Guidon zu verdanken, dem Verantwortlichen für die Denkfabrik, der sehr aufgeschlossen für neue Gedanken ist, insbesondere für sozialökologische Impulse. Er kommt aus einer freiwirtschaftlichen Familie. Sein Großvater Walter Guidon stellte der INWO Schweiz seine Altersweisheit und den Rest seines Lebens zur Verfügung. So wirken Generationen mit. Auch Pierre Tapernoux, Otto Haag und Fridolin Pfister verdienen es, erwähnt zu werden. Die Schweizer Freiwirtschaft hat meines Erachtens mehr sozialen Humus als die deutsche. Sie denkt weit über ihre Eigeninteressen hinaus und wirft dadurch kulturellen Mehrwert für das ganze Volk und Land ab. Auch einige Künstler wirken in ihr mit.

 

Die Generalversammlung der INWO Schweiz vom 21.4.1991 in Zürich erwies sich als offen für neue und kritische Gedanken, obwohl es dazu auch einige fragende Zwischenrufe gab. Sie war erstaunlich gut besucht. Für die Aktivmitglieder wird ein interner Rundbrief herausgegeben. Er ist für jene bestimmt, die intensiv mitarbeiten oder wenigstens mitdenken wollen. Im ersten Rundbrief stellte sich Willy Hirt als Sekretär der INWO Schweiz vor. Die Rundbriefe mit ihren Vorschlägen und kritischen Überlegungen dienen insbesondere zur Vorbereitung der Vorstandssitzungen, die mir durch eine seltsame Symbiose von Vereinsbetrieb und Netzwerk auffallen. Beispielsweise wird immer erst das Protokoll der vorangegangenen Sitzung vorgelesen und zur Behandlung aktueller Fragen erst geschritten, nachdem es von allen Teilnehmern genehmigt worden ist.

 

Das Manifest der INWO Schweiz sieht keine Verstaatlichung des Grund und Bodens, jedoch dessen Kommunalisierung vor. Dem Recht auf Eigentum wird ein Recht auf Miteigentum aller an der Erde gegenübergestellt, obwohl es aus ihm wenn überhaupt - nur abgeleitet werden könnte. Die geschichtliche Erfahrung besagt: wo "allen alles" gehört, da gehört niemandem etwas.

 

Die INWO Schweiz erklärte das Manifest allerdings zu einem Entwurf, mit dessen konkreten Vorschlägen allen Lesern Mut gemacht werden solle, mit ihr in eine neue Zukunft aufzubrechen. "Wir stehen erst am Anfang." Für die alten schweizerischen Freiwirte begann der Anfang schon 1915.

 

 

 

 

 

 

 

 

Wiener Dornröschen aus dem Schlaf geweckt?

 

In Österreich gab es nur noch die Freiwirtschaftliche Union. 1969 legte Alois Dorfner, ihr langjähriger Obmann, nachdem er 76 Jahre alt geworden war, seine Funktion in jüngere Hände. Er gab auch die Schriftleitung der "Neuen Ordnung" ab. Doch die Jungen stellten sich so ungeschickt an, daß er nach einem Jahr des Schweigens wieder mit Rundbriefen anfangen mußte, "um noch zu retten, was zu retten war". (16) Er brachte auch die "Neue Ordnung" wieder heraus, wegen seines Alters aber nicht mehr lange.

 

Zeitweilig schien es, als würde Peter Hodina in die Bresche springen. Er war vom Leitbild Udes fasziniert und stieg selbst wie ein Komet auf. Hochbegabt und bereit, überall zu reden, wohin man ihn rief, sprach er z. B. auch in München. Das Sprechen brachte sein Denken und Schreiben in Fluß. Er hielt sogar einen Vortrag vor der Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft. Die österreichischen Freiwirte kooptierten ihn in ihren Vorstand. Aber eines Tages war er spurlos verschwunden und ließ nichts mehr von sich hören. Arthur Rapp, mit dem er in Briefwechsel gestanden, hatte Peter Hodina für einen genialen Kopf gehalten und sich von ihm viel für die gesamte Freiwirtschaft erhofft. Er selbst war zwischen philosophierender Mystik und sozial-politischer Aktivität hin- und hergerissen. Die Freiwirtschaft reizt seinen Geist, befriedigte aber nicht seine Sinne. In dieser Hinsicht war Hodina sogar ein exemplarischer Fall.

 

Erst eine öffentliche Diskussion über die internationale Stagflation, welche ihren Schatten auch auf Österreich warf, brachte die Freiwirtschaft wieder in Erinnerung, nicht zuletzt Johannes Ude, der am 1. Mai 1961 zusammen mit namhaften Wissenschaftlern vor jeglicher Nutzung der Atomenergie gewarnt hatte. Die Neuen Sozialen Bewegungen veränderten das gesellschaftliche Klima. Aus den Grünen und Alternativen stießen junge Leute zur Freiwirtschaft. Neue NWO-Blätter erschienen: "In ,Freiheit und soziale Gerechtigkeit' (herausgegeben in Bad Goisern 1974 bis 1979) und in der ,Freiwirtschaft' (als Nachfahre der ,Neuen Ordnung' 1984 bis 1988) griffen die Anhänger Gesells u. a. die ‚Schrittmacher der Naturzerstörung' - den Zinsmechanismus und die Vermarktung des Bodens - von neuem an."

 

Nach Gerhard Senft, einer neuen Kraft, die aus dem Individual-Anarchismus kam, hat die Denkrichtung Gesells als eigenständige Schule in Österreich inzwischen eine erstaunliche Verbreitung erfahren. Zum einen durch die überparteiliche Antizinsplattform und zum anderen durch einen Arbeitskreis für Neutralgeld (der seit dem Frühjahr 1991 besteht). "Es hat den Anschein, als ob die soziale Realität die Freiwirtschaft auf ein Neues aus ihrem Dornröschenschlaf holen wollte." (17)

 

In Wien hat sich um Adolf Paster, Präsident der Entwicklungshilfe-Organisation Hilfe für alle (HIFA) die Sektion Österreich der INWO gebildet. Es bleibt abzuwarten, ob die drei neuen Keime zusammenfinden werden. Schon in der Weimarer Republik gab es einen Antizinsbund, der mit den Freigeldleuten ebensowenig zu tun haben wollte wie diese mit ihnen (obwohl Gesell auf Zusammenarbeit drängte).

 

 

 

 

 

 

 

Von der IFU zur INWO-International - Wendepunkt Konstanz?

 

Die Internationale Freiwirtschaftliche Union (IFU) schlief ein. Spätestens 1977 war klar, daß sie keine Existenzberechtigung mehr hatte. Doch was sollte an ihre Stelle treten? Es gab immerhin einzelne Freiwirte in einer ganzen Reihe von Ländern, abgesehen von verschiedenen Organisationen und zwei freiwirtschaftlichen Parteien (LSP und FSU).

 

So kam der Gedanke auf, als Bindeglied eine Internationale Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO) zu bilden. Doch von freiwirtschaftlichen Parteien hatte man genug. Die Idee einer neuen internationalen Vereinigung, welche das Kernanliegen der NWO-Bewegung wieder aufgreifen sollte, ging von Hein Beba und Otto Haag aus.

 

Sie breitete sich über die Schweiz, die Bundesrepublik, Österreich, Belgien und Luxemburg aus. Eine erste Konferenz von Freiwirten aus diesen Ländern, die am 20./21. 5. 1978 in Konstanz stattfand, beschloß die Auflösung der IFU. Aus einer zweiten, die im Mai/Juni 1980 wiederum zu Konstanz tagte, ging das Gründungskomitee der INWO hervor. Die Gründung selbst wurde recht umsichtig vorbereitet. Sie war das Ergebnis eines vierjährigen Denk- und Vorbereitungsprozesses. Die Konstituierung der Internationalen Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung fand am 16.5.1982 in Kreuzlingen/Schweiz statt. An ihr nahmen ca. 100 deutsche, österreichische, belgische und luxemburgische Freiwirte teil. Zum Vorsitzenden der INWO-International wurde Prof. Felix Binn aus der Bundesrepublik gewählt, zum Sekretär der Schweizer Altfreiwirt Otto Haag: War die IFU ein Dachverband nationaler Organisationen gewesen, so entstand die INWO als potentiell weltweite Mitgliederorganisation. Sie will sich aber auch in den Ländern für die volkswirtschaftlichen Reformen Silvio Gesells einsetzen, wo es noch keine Freiwirte gibt.

 

Vor allem in der Schweiz bestand ein Bedürfnis nach dieser neuen Organisationsform, waren doch nach dem Absterben zahlreicher Sektionen der Liberalsozialistischen Partei vorwiegend Einzelmitglieder übriggeblieben und im ganzen Lande verstreut. Man wollte sie auf einer neuen Grundlage zusammenfassen. Hans Hoffmann charakterisierte ihre desolate Lage wie folgt: "Kein Fachwissen, alles Gefühl und grenzenlos, liebenswürdige Treue zur Sache. Schriftum Null". (1)

 

Die INWO stellt wie Silvio Gesell die volkswirtschaftlichen Belange den privatwirtschaftlichen gegenüber. Werner Rosenberger schrieb zu seinem Vorschlag einer Vorkaufsrecht-Initiative der Gemeinden 1989: "Es würde bei Annahme jedoch die Vorherrschaft des Privateigentums gebrochen . . . " (2) Zwar bezog sich das auf Grund und Boden, aber sinngemäß nicht auf diesen allein.

 

Nachdem Prof. Binn überraschend bei einem Unfall ertrunken war, wurde Werner Rosenberger zum Vorsitzenden der INWO-International gewählt. Er forderte unter anderem die Sozialisierung des Wassers und der Luft, wenngleich unter Obhut der UNO, da die Staaten gefährliche Machthaber sind. Sein Entwurf einer nachkapitalistischen Wirtschaftsordnung stellt voran, die meisten Menschen auf der Erde wären derzeit "nur geduldet" und müßten sich ihre Lebensgrundlagen "von den Besitzenden erkaufen". Daraus zieht er im Namen der INWO höchst gewichtige Konsequenzen: "Privates Eigentum darf nur sein, was der Mensch einbringt mit seinem Geist, seiner Initiative, seiner Arbeitskraft.

 

Öffentliches Eigentum muß alles sein, was von der Natur gegeben ist: die Lebensgrundlagen Luft, Licht, Wasser, Boden, Bodenschätze, Energie, Freiräume für Tiere und Pflanzen . . . " (3)

 

Alle Menschen hätten ein Recht auf Miteigentum an den naturgegebenen Lebensgrundlagen. Das Wirtschaftssystem sei so zu gestalten, daß jeder Arbeitswillige Arbeit finde, seine Fähigkeiten entwickeln könne und den vollen Arbeitsertrag erhalte.

 

Der Boden gehöre in die besondere Obhut der Öffentlichkeit. Falls sie ihn nicht selbst gebraucht", soll er privaten oder juristischen Personen zur Nutzung abgegeben werden. Hierfür sei jeweils ein Nutzungs- und Baurechtsvertrag abzuschließen, eventuell langfristig für eine Dauer bis zu 100 Jahren. Er soll unter anderem die Art der Nutzung festlegen, verbunden mit sozialen und ökologischen Auflagen. Obwohl der Boden "nicht markttauglich" ist, soll er "nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen" durch eine demokratisch gewählte Konzessionsbehörde an die Nutzer abgegeben werden (d. h. an den jeweils Meistbietenden). Die Nutzungsgebühren, periodisch dem Lebenskostenindex angepaßt, fließen in die Kassen der Öffentlichkeit. Sie würden "automatisch" über den Markt der Allgemeinheit zugutekommen, wodurch das anteilmäßige Recht des Individuums auf Boden verwirklicht wäre.

 

Zugleich entstünde die Möglichkeit für eine aktive Bodenpolitik der Öffentlichkeit. Die Gemeinden sollen den Boden aufkaufen und einer weiteren Zersiedelung der Erde entgegenwirken. Durch Raumplanungsgesetze müsse endlich, vor allem in stark besiedelten Gebieten, Ordnung geschaffen und eine möglichst umweltgerechte Nutzung des Bodens erreicht werden. Auch kaum oder nicht bewohnte Flächen hätten als "öffentliches Gut" zu gelten. Wo der Boden Privateigentum ist, soll er durch ein Vorkaufsrecht der "Öffentlichkeit" allmählich in deren Eigentum überführt und so weiterer Spekulation entzogen werden.

 

Anders als in Industriegebieten wird davon ausgegangen, daß in Landgebieten "eine ökologisch und sozial verantwortbare Raum- und Nutzungsplanung nur auf öffentlichem Grund effizient durchgeführt werden kann". (4)

 

Die ,freie Marktwirtschaft' (durch Rosenberger in Klammern gesetzt) funktioniert nicht vorstellungsgemäß. Der Kapitalismus verfälsche den Markt laufend systembedingt; der Staat müsse korrigierend eingreifen. Die INWO oder viellmehr Werner Rosenberger schlägt vor, die Rolle des Staates in der Wirtschaft von Grund auf zu überdenken und seine Tätigkeit auf das Wesentliche zu beschränken. Er soll jedoch für gute Rahmenbedingungen sorgen:

 

- umweltschonende Nutzung der Lebensgrundlagen, z. B. durch Förderung des Biologischen Landbaus;

 

- Erhebung marktgerechter Konzessionsgebühren für die Nutzung von Boden, Wasserkräften und Bodenschätzen;

 

- Schaffung eines neuen, neutral funktionierenden Geldes, bei dem der Annahmezwang mit einem Weitergabezwang versehen ist. Eine Umlaufgebühr, z. B. 0,5 % monatlich, soll den Angebotsdruck erhöhen. Damit würde die Geldmenge steuerbar und die Kaufkraft des Geldes stabilisierbar.

 

Durch geeignete Maßnahmen sei ein Druck auf das Kapital auszuüben, damit es sich der Wirtschaft immer mehr zur Verfügung stellt. "Statt den Reichen Zinsen zu vergüten, damit sie das Geld zurück in den Umlauf geben, sollen sie mit einer geringen Gebühr belastet werden, wenn sie das Geld vom Umlauf zurückhalten." (5) Nur die Reichen? Alle.

 

Durch Neutrales Geld (ein Begriff von Prof. Suhr) würde der Kapitalismus beseitigt. Als Übergang sei eine Niedrigzinspolitik denkbar. Selbst bei quantitativem Nullwachstum der Wirtschaft müsse der Kreislauf des Tauschmittels Geld gewährleistet sein und geschlossen werden. Unter ,Nullwachstum' versteht Rosenberger ein der menschlichen Entwicklung angepaßtes qualitatives Wachstum frei vom systembedingten und zwanghaften Wachstum durch Zinsen.

 

Seitens der INWO wird verlangt, die Gewichte von Arbeit und Maschine anders zu verteilen: "Im heutigen System erscheint es ökonomischer (rentabler), menschliche Arbeitskraft durch den Einsatz energiefressender Maschinen und Apparate zu ersetzen. Daraus ergibt sich einerseits ein steter Verlust von Arbeitsplätzen (Arbeitslosigkeit) und andererseits verantwortungslose, wachsende Ausbeutung von unwiederbringlichen Ressourcen. Der Kostenfaktor Arbeit ist im Konkurrenzkampf mit der Maschine durch große Soziallasten benachteiligt... Die Soziallasten sind... neu den Energiekosten anzurechnen... Das Energiesparen würde ökonomisch lohnend". (6) Die INWO schlägt vor:

 

1. die Versicherungsbeiträge zu senken und durch eine entsprechende Abgabe auf Primärenergie und Rohstoffe auszugleichen;

 

2. diese so zu verteuern, daß die Industriewerke zum Energiesparen gezwungen und weniger umweltbelastend sind;

 

3. die erneuerbaren gegenüber den nicht erneuerbaren Rohstoffen zu bevorzugen und entsprechende Rahmenbedingungen zu gestalten;

 

4. Umweltbelastungen zu minimieren und in den Preisen niederzuschlagen;

 

5. bei der UNO eine Abteilung für Energie und Rohstoffe einzurichten, die eine Weltenergie- und Rohstoffbuchhaltung führt.

 

Das Nord-Süd-Gefälle soll durch eine "Aktion Null-Zins" - Verzicht auf alle Zinszahlungen und -aufrechnungen bis zum Jahr 2000 - eingeebnet werden. Spendengelder könnten durch Revolving-Fonds für zinslose Darlehen und langfristige Kredite ausgegeben werden. Die Hilfsorganisationen sollen gemeinsam ein Hilfsgeld schaffen, das mit einer Umlaufsicherung ausgestattet und mit einer bescheidenen Gebühr zurückrufbar ist. Es würde in Notstandsgebieten aus Angst, gebührenpflichtig zu werden, ununterbrochen zirkulieren. Die Spendengelder könnten dann nicht mehr in den Taschen korrumpierter Machthaber verschwinden.

 

Ihre Wirkung würde sich verdoppeln und verdreifachen. Das so bewährte Hilfsgeld soll ein "Muster für das Tauschmittel des ganzen Landes dienen". (7) Es wäre Freigeld für die Entwicklungsländer und entspräche dem Neutralen Geld der Industriestaaten.

 

Abschließend heißt es, die Veränderung des Systems werde auch eine Veränderung der menschlichen Verhaltensweise mit sich bringen. Andere Freiwirte denken in umgekehrter Reihenfolge.

 

Rosenbergers Entwurf einer nachkapitalistischen Wirtschaftsordnung ist in leicht überarbeiteter Form von der INWO übernommen worden, auch von ihrer schweizer Sektion, deren Vorstand er ebenfalls angehört. Dadurch erhielt er eine offizielle Note, die anderen Entwürfen zum gleichen Thema fehlt.

 

Als Ziel der INWO wird eine gerechte Wirtschaft verkündet, die auf der Schaffung eines kaufkraftbeständigen Geldes und eines neuen Bodenrechts beruht, das den spekulativen Warencharakter des Bodens aufhebt und ihn in die Hände der Gesamtheit zurücklegt. Hinsichtlich der Geldordnung müsse "endlich auch das biblische Zinsverbot beachtet werden". (8) Auf einer graphischen Darstellung verschwinden Macht, Geld, Inflation, Zinsen, Krieg, Kapital, Überproduktion und Unrecht allesamt im Trichter der Natürlichen Wirtschaftsordnung. Allerdings wird nicht wie früher behauptet, Inflationen würden ein für allemal verschwinden, sondern nur: "Inflation kann besser vermieden werden". Auch der ,Sturz des Götzen Mammon' ist einer weicheren Formulierung gewichen: "Das Geld verliert seine Götzenstellung".

 

 

 

 

Der Konstanzer Kongreß - Öffnung- und Wendepunkt?

 

Ein erster INWO-Kongreß fand 1983 in Wörgl statt, ein zweiter 1987 in St. Vith, dem Geburtsort von Silvio Gesell. Beide dienten der Erinnerung. Der dritte mehr oder winiger öffentliche INWO-Kongreß tagte 1991 in Konstanz, und zwar unter dem Leitthema "Gerechtes Geld- Gerechte Welt". Obwohl diesmal ein 100-jähriges Jubiläum zu feiern war - Gesell hatte 1891 sein erstes Buch veröffentlicht -, trug er weit mehr einen Arbeitscharakter. Außerdem wirkten alle freiwirtschaftlichen Organisationen und Institutionen zusammen, auch das Seminar für freiheitliche Ordnung und die Freisoziale Union. Von der Aversion Hans Schumanns gegen die INWO war in Konstanz nichts zu spüren; auch Otto Schönbeck hielt sich im Rahmen, Hans Kühn vervollständigte seinen Video-Film.

 

Von einer ,internationalen' Tagung ließ sich freilich kaum sprechen, da die allermeisten der rund 180 Teilnehmer Deutsche waren. Auch die INWO ist, wie die IFU, nur eine transnationale Organisation.

 

Nach drei einleitenden Vorträgen von Helmut Creutz, Werner Onken und Werner Rosenberger teilte sich die Konferenz in insgesamt 17 Arbeitsgruppen auf - 7 entfielen auf ,Geldordnung', 3 auf ,Bodenordnung und weitere Bausteine', 7 auf ,Umsetzung'. Über den ersten Punkt wurden Kontroversen zur Zinstheorie ausgetragen. Hugo Godschalk entwarf regionale Modelle eines neutralen Geldes. Noch könnten sich viele Leute kein Geld ohne Zins in der Praxis vorstellen. Das würden Pilotprojekte ändern. Brigitte Voß und Bettina Zewu-Xose sprachen über praktische Alternativen im Umgang mit Geld, eingeleitet durch ein ,Spiel ohne Grenzen'. Jeder soll Geld, das er nicht zu Befriedigung der eigenen Bedürfnisse benötigt, einer Bürger- oder Schenkungsgemeinschaft zur Verfügung stellen und damit eine neue Form der Preisabsprache eröffnen. Die Freiheit des Welthandels bringe nur einen Nutzen für die kapitalstarken Länder. Geld könne den Charakter verderben, aber auch Freu(n)de machen. Die Gegenüberstellung enthielt auch: Geld als Statussymbol - Sein statt Haben. Über das Buchgeld konnte unter den Teilnehmern des betreffenden Arbeitskreises kein Einvernehmen erzielt werden. Die Befürworter der Bargeldumlaufsicherung gingen von einem festen Geldbegriff aus und leiteten davon ihre Forderungen ab, während sich für andere aus der laufenden Beobachtung des Wirtschaftsgeschehens ergab, "was wie Geld wirkt", (9) wie es mißbraucht werden kann und auf welche Weise dieser Mißbrauch ausschaltbar wäre.

 

Vergleicht man die verschiedenen Stellungsnahmen zur Geldordnung, so zeichnen sich zwei Pole ab. Die einen wollen alles von oben her regeln, gleichsam durch Dekret, den anderen geht es darum, selbst zu erproben, ob ein anderer Umgang mit dem Geld möglich ist und ob diese Erfahrungen die Grundlage für den Aufbau einer gerechten Wirtschaftsordnung sein können. Der Dekretismus setzt politische Macht voraus, die Selbsterfahrung kann binnen kurzer Zeit gemacht werden.

 

Hinsichtlich der Bodenordnung wurde dem Menschenrecht auf Eigentum ein Recht auf vererbbare Nutzung gegenübergestellt. Hier gab es am wenigsten Bewegung, die geringste Aufgeschlossenheit für neue Gedanken. Es ist allerdings ein Unterschied, ob die "besten Bewirtschafter" oder die "Meistbietenden" den Boden erhalten.

 

Geistig regsam waren die Arbeitsgruppen zur Umsetzung der Freiwirtschaftstheorie. Zwar wurde auch hier altes Stroh gedroschen, aber der Verantwortungsethik und einer Strategie der kleinen Schritte das Wort geredet. Peter Knauer deutete die Frage an, ob die Freiwirtschaft bislang nicht kontraproduktiv war und sich in einer falschen Sicherheit wiegte, die Lösung der Grundprobleme schon längst gefunden zu haben. "Auch die bestgemeinten Maßnahmen können sich noch immer als falsch erweisen. Man kann nur über die Unrichtigkeit einer Handlung definitive Gewißheit erlangen, nicht über ihre Richtigkeit. Diese Einsicht schützt vor falscher Sicherheit."

 

Besondere Aufmerksamkeit erregten die Arbeitsgruppen 13 und 17, deren Gesprächsleiter schweizer Freiwirte waren, zum einen Thomas Guidon und Benno Luthiger, zum anderen Matina Hämmerli und Bruno Jehle.

 

Die Arbeitsgruppe 13 unterschied zwischen statischen und dynamischen Zielen. Statisch waren die klassischen freiwirtschafdichen Ziele Freiland, Freigeld, Festwährung. In ihrer Formulierung gradlinig und fix, konnten Veränderungen der Wirklichkeit nicht nachvollzogen werden. Außerdem hielten sie sich, obwohl nur Ausdruck einer spezifischen Konstellation von Erfahrung und Wissen, für die einzig mögliche Lösung. Wenn aber die freiwirtschaftlichen Ziele nur eine von vielen möglichen Lösungsansätzen sind, könnten andere zeitgemäßer und praktikabler sein. Das müsse geprüft werden.

 

Der erste Schritt zu einer natürlichen Wirtschaftsordnung bestehe darin, Ziele zu formieren, die sowohl relativierende als auch dynamische Elemente enthalten.

 

"Das Ziel ist, daß keine gesellschaftlich relevante Diskussion mehr ohne Einbeziehung einer aufgeklärten freiwirtschaftlichen Sichtweise ablaufen kann.

 

Dieses Ziel geht von einer sehr aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft aus. Es wird nicht mehrpostuliert, daß die freiwirtschaftlichen Lösungen die richtigen sind. In diesem Verständnis reicht es, daß die freiwirtschaftlichen Vorschläge im Gespräch sind. Stellt sich heraus, daß diese Vorschläge in einer bestimmten Konstellation lösungswirksam sind, so werden sie umgesetzt, so lang, bis sie aus irgendwelchen Gründen an ihre Grenzen stoßen." (10)

 

Man müsse aber auch für andere offen sein und sie einbeziehen. Die Freiwirtschaft dürfe nicht länger in der eigenen Nabelschau versinken. Sie soll die Leute einfühlsam und mit einem gesunden Selbstvertrauen dort abholen, wo sie sich gerade befinden.

 

Von der Arbeitsgruppe 13 sonderten sich für eine kurze Stunde 9 Teilnehmer ab, die neben dem theoretischen Forum ein pragmatisches bildeten. Ihre Gesprächsleitung übernahmen Harro Scheibe und Dorothee Pestalozzi. Sie gingen nach dem Dreischritt-Verfahren der Zukunftswerkstatt Robert Jungks vor: Kritik, Phantasie, Realisierung.

 

Binnen 15-20 Minuten stellte die pragmatische Gruppe eine Liste zusammen, zu der die NWO-Bewegung in 80 Jahren nicht imstande gewesen war.

 

"1. Kritikphase.

 

Weshalb wurde die NWO während 100 Jahren nicht verwirklicht?

 

- Die Utopie erschien unrealistisch neben dem das Ego anziehende Wirtschaftswunder.

- Freiwirtschaft ist zu theoretisch und wird ,zu langweilig' vorgetragen.

- Die Motivation war unklar, vermochte nicht zu berühren.

- Die Erfolglosigkeit der praktischen Anwendungen führte noch mehr ins theoretische Denken, zu neuen Strukturen!

- Keine Ideen waren vorhanden, wie Wirtschafts- und Geldmächten entgegenzusteuern ist.

- Wie sollten politische Aktionen in Gang gebracht werden, ohne Feindbilder aufkommen zu lassen.

- Es war kein Konzept für NWO- bzw.INWO-Werbung vorhanden, besonders im Hinblick auf Studierende.

- Es werden stets dieselben Medien benutzt. Bücher, Bücher und Schriften.

- Es fehlt an Kampfgeist für die Realisierung der NWO, an lustvoller Phantasie.

- Taktik und Werbung heutiger Interessengruppen und Strukturen werden nicht deutlich analysiert, um daraus Gegentaktik, Gegenwerbung, Gegenlobbys im Weltmaßstab aufzubauen.

 

2. Phantasieebene.

 

- Infos durch Comics.

- Phantasievolle Demos vor Zentralbanken.

- Spielfilme mit freiwirtschaftlichem Inhalt.

- Kabarettvorstellung über NWO.

- Geschminkte Schauspielschüler/innen für Aktionen anheuern.

- Solarmobile mit freiwirtschaftlicher Werbung ausstatten.

- Tagungen stets mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen verbinden.

- Positives Werbekonzept aufstellen und verbreiten.

- Konkrete Aktionen überall zugleich lancieren (wie z.B. die 4 Vorschläge von Werner Rosenberger), auch wenn sie aussichtslos erscheinen, um festgefahrene Meinungen zu unterminieren.

- Unterricht für Abiturienten/innen in Volkshochschulen.

- Vernetzung mit allen ähnlich denkenden Organisationen (Liste aufstellen) soll die schrittweise Realisierung ermöglichen, z. B. Austausch von Delegierten bei themenähnlichen Tagungen, Unterschriftensammlung-Austausch.

- Einmischung in Politik durch Briefe an Nationalrat, Parteien usw." (11)

 

Für die Realisierungsphase blieb nicht mehr genügend Zeit. Es wurde jedoch empfohlen, eine Liste von Argumenten aufzustellen und zur besseren Verteilung der Aufgaben die verschiedenen Begabungen der Mitglieder wahrzunehmen. Übrigens tagte die praktische Gruppe im Freien, wodurch schöpferisches Denken anscheinend leichter möglich war. Die Atmosphäre im Saal, wo Themenabschweifungen oder zu lange Wortbeiträge sofort unterbrochen wurden, behagte ihren Teilnehmern nicht.

 

Die Arbeitsgruppe 17 besprach neue Vorschläge zur Entwicklungshilfe. Diese beruhe noch auf Almosen vom Tisch der reichen Länder, auch auf Barmherzigkeit. Aber "Geschenke zerstören den Markt". Sie schaffen verzerrte Verhältnisse, begünstigen auch die Korruption. Geschenke und Subventionen lassen eine Problemlösung von außen erwarten, sie lähmen die Eigeninitiative. Abhängigkeit führt zum Verlust der Würde. Bei Not ist einmalige und bedingungslose Hilfe am Platz. In der Entwicklungshilfe steht Geld zur Verfügung, das Gerechtigkeit sucht, jedoch erweist es sich immer wieder als sehr schwer, mit diesem Geld Gerechtigkeit zu schaffen.

 

Statt es zu verteilen, sollte es in eine Schuld umgewandelt werden, die durch Arbeitsleistung abgetragen werden kann. Anstatt wie bisher zu kumulieren, würde es zirkulieren. Die praktische Umsetzung des von Bruno Jehle konzipierten Bonus-Systems muß gut durchdacht und auf die jeweilige lokale Situation abgestimmt werden. Beispielsweise kann für Geld, das Gerechtigkeit sucht, eine Stiftung gegründet werden, die Projekte unterstützt, deren Zielsetzung bestimmte Bedingungen erfüllt: etwa auf dem Land zu liegen, Arbeit zu schaffen, die Gegend ökologisch zum Blühen zu bringen und demokratisch strukturiert zu sein. In all diesen Projekten sollte neben dem ortsüblichen Lohn in der Landeswährung zusätzlich alternatives Geld ausgezahlt werden, mit dem ihre Produkte und Dienstleistungen eintauschbar sind. Eine spezielle Umlaufsicherung ist wegen der regionalen Begrenzung des Tauschmittels voraussichtlich überflüssig. Um unnötige Machtkonfrontationen zu vermeiden, sollte das alternative Geld anfangs keinen hohen Attraktionswert haben.

 

Bruno Jehle und Matina Hämmerli breiteten diesen Vorschlag auf der Grundlage ihrer achtjährigen Indienerfahrung aus. Sie konnten darauf hinweisen, daß sich am 7.9.91 in Lenzburg/Schweiz 13 Leute zu ersten Vorbereitungen für ein Seminar "Zirkulation statt Kumulation" getroffen hatten, das auch eine Vernetzung mit anderen Hilfsorganisationen erstrebt.

 

In Österreich ist die Hilfe für Alle (HIFA-Austria) schon 1971 entstanden, nicht zuletzt auf Initiative des Freiwirts Adolf Paster. Sie hat die Gründung einer Musterfarm in Nigeria ermöglicht und Schul-Patenschaften übernommen. Genehmigte Projekte werden in einem Mehrstufensystem finanziert. Zu prüfen sei inwieweit ‚Wörgler Erfahrungen' in das Alternativmodell Revolvingfonds eingebracht und mit diesem erfolgreich verbunden werden können. Auch für Adolf Paster besteht der große Vorteil dieses Modells darin, daß sich die geförderten Projektwerber nicht als Almosenempfänger verstehen, sondern durch ihre Eigenleistung das Bewußtsein erwerben, an der Entwicklung ihrer Länder entscheidend mitzuarbeiten. Er stellt es in Konstanz vor. In der Hifa-Austria wird überlegt, wie große Spargelder aus Europa solchen Entwicklungsprojekten zuleitbar und im Sinne des Revolvingfonds nutzbar sind.

 

Werner Rosenbergrer hatte in seinem Eingangsvortrag eine Freigeldstrategie der INWO entwickelt, die das jetzige "suchtbildende Geldsystem" schrittweise ausschalten soll. Wodurch?:

 

- Hilfsgeld in Projekten der Entwicklungsländer, versehen mit Umlaufsicherung;

- Entwicklung dieses Hilfsgelds zu einer "Subwährung-" neben der offiziellen;

- Ersetzung der offiziellen Währung durch ein neues, autonomes Tauschmittel.

 

Da die Umlaufsicherung zu einem steten Rückfluß der Hilfsgelder führen würde, die laufend zu neuer Kreditgewährung eingesetzt werden könnten, wären sicher alle Leute und selbst die Behörden dafür geneigt zu machen. Das Hilfsgeld dürfte trotz zentraler Landesbank willkommen sein. Als Beitrag zur Lösung der Schuldenkrise "müßte die Erprobung eines solchen Modells weltweit auf größtes Interesse stoßen". (12) Allerdings sollte die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt werden, daß nicht die Schulden, sondern die Zinsen das Hauptproblem sind. Rosenberger schlug vor, das Hilfsgeld als ,Wörgler Modell 3. Welt' zu deklarieren. Er retardierte zur Tradition der Freiwirtschaft.

 

Es gab in Konstanz auch eine Arbeitsgruppe über politische Chancen und Hemmnisse der Freiwirtschaft, gesprächsgeleitet von Hans-Joachim Führer und Wilhelm Schmülling. Führer wandte sich bei dieser Gelegenheit gegen die Darstellung der Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells als einer ,neuen Sozialtechnik'. Ihre Hemmnisse ergäben sich aus der Verflechtung des Falschen Ichs der Menschen mit den kapitalistischen Herrschaftsstrukturen, die unterlaufen und ausgeschaltet werden müßten, ihre Chancen aus dem Wahren Ich. Die Freiwirtschaft soll sich gegenüber allen lebensbejahenden Kräften der Gesellschaft öffnen, da sie nur zusammen oder gar nicht verwirklicht werden könne. Das Falsche Geld- und Bodenrecht sei lediglich eines von unzähligen Untergangssymptomen, die miteinander vernetzt, aber nicht aufeinander zurückführbar sind. "Wenn wir eigensinnig darauf bestehen, alle unsere tödlichen Miseren einzig und allein auf das falsche Geld- und Bodenrecht zurückzuführen . . ., schließen wir uns aus der Solidargemeinschaft Lebensliebe aus und verurteilen auch diesen letzten Aufbruch zum Scheitern." (13) Auch Führer hatte dazugelernt und sich geöffnet, obwohl er zu den ältesten Freiwirten gehörte.

 

Beachtung verdient, was der Österreicher Gerhard Senft über das wechselseitige Verhältnis von Freiwirtschaft und universitärer Schulökonomie sagte. Entgegen oberflächlicher Ansicht sei Gesell beträchtliches Lob aus den Reihen der Fachwissenschaft zuteil geworden. Gerhard Senft gab einen theoriegeschichtlichen Exkurs - von der moralischen Ökonomie des Mittelalters bis zum Monetarismus - wobei er kurz, aber bündig auch die französischen Physiokraten skizzierte.

 

Der Konstanzer INWO-Kongreß war von zwei Ausstellungen umrahmt. Er endete mit einer Podiumsdiskussion, die von manchen Teilnehmern als Höhepunkt empfunden wurde. Daran beteiligten sich die Theologen Prof. Ulrich Duchrow und Prof. Peter Knauer, die Geldberaterin Brigitte Voß, der Ökonom und Geldtheoretiker Hugo Godschalk, der FSU-Vorsitzende Bernhard Zill und der schweizer Altfreiwirt Hans Hoffmann, die jeweils ein Eingangsstatement gaben. Dr. Duchrow bezeichnete sich als ,Bundesgenosse' der Freiwirtschaft in der Zielsetzung, stellte an diese jedoch auch kritische Fragen. Für Dr. Knauer ist das herkömmliche Geld mit einem Systemfehler behaftet, aber vielleicht würde es genügen, Zinseszinsen auszuschließen. Brigitte Voß, Mitbegründerin der Trion-Geldberatungsgenossenschaft sowie des Trion-Instituts, das die Zusammenhänge von Ökologie und Ökonomie beleuchtet, hat Anregungen aus der alternativen Ökonomie, der Anthroposophie und verschiedenen Philosophen gezogen. Gesell und die Freiwirtschaft gerieten erst 1990 in ihr Blickfeld. "Wichtig für mich ist, daß jedem Suchenden der größtmögliche Freiraum zur Verfügung steht und nicht der eine Weg den anderen ausschließt. (14)

 

Auf diese drei Persönlichkeiten war hauptsächlich bezogen, was der Moderator des Podiumgesprächs, Prof. Geitmann, einleitend sagte: neue Ideen sind Wegzehrung, auch für den, der sich seines freiwirtschaftlichen Lösungsversuchs allzu sicher war - er befinde sich ebenfalls erst auf dem Wege und sollte nach Gefährten aus anderen Bereichen Ausschau halten. "Wir sind nur dann bündnisfähig, wenn wir uns als Weggefährten erkennen, nicht aber, wenn der eine meint, die Lösung, für alles bereits gefunden zu haben und diese dem anderen überstülpen will." (15)

 

Solch freimütige Ansicht wurde nicht nur von dem FSU-Vorsitzenden beanstandet. Auch Werner Rosenberger meinte nach Abschluß des Podiumsgesprächs, einige Teilnehmer noch an Silvio Gesell erinnern und mahnen zu müssen. Dies engte den errungenen geistigen Freiraum wieder ein.

 

Zum Schluß, am 21. 9. 1991, fand eine interne Tagung der INWO-Mitglieder statt. Hierbei wurde der Vorstand von INWO-International neu gewählt. Als Kandidatin war auch Bettina Zewu-Xose aufgestellt, eine Ethnologin und Kollegin von Brigitte Voß. Werner Rosenberger fragte unverblümt: "Wie stehen Sie zu Silvio Gesell?" Bettina Zewu-Xose antwortete, natürlich fände sie es gut, was Gesell geschrieben habe, aber es gebe wohl auch noch andere ... Die INWO bekennt sich in ihrer Selbstvorstellung ausdrücklich zu Silvio Gesell, dem sie sich "insbesondere verbunden fühle"; er habe schon 1891 damit begonnen, geistige Grundlagen für eine der Natur angepaßte Ordnung der Wirtschaft zu legen. Ihre Mitglieder träten als seine Nachfolger an. Diese Selbstdarstellung läßt aber für andere Denker wenig Raum.

 

Die Mitgliederversammlung der INWO-International wählte folgende 10 Persönlichkeiten in ihren neuen Vorstand:

 

Werner Rosenberger, Schweiz

Hein Beba, Deutschland

Adolf Paster, Österreich

Hilde Beba, Deutschland

Roland Geitmann, Deutschland

Helmut Creutz, Deutschland

Thomas Guidon, Schweiz

Ernst Dorfner, Österreich

Betting Zuwu-Xose, Deutschland

Karl Frigg, Schweiz.

 

Die INWO-International gab 1992 an, bereits Sektionen in der Schweiz, Bundesrepublik, Österreich, England und Mexiko zu haben. Indes sind vorerst nur die ersten drei erwähnenswert. Bei den anderen handelt es sich um Stützpunkte.

 

Am stärksten und arbeitsfähigsten ist die INWO in der Schweiz. In Deutschland steht ihr die Freisoziale Union im Wege, die keineswegs an Selbstauflösung denkt. Zur Vorsitzenden der deutschen Sektion wurde Wera Wendnagel gewählt, die Geschäfte führte Hein Beba. Er war auch Organisationsreferent der INWO-International. In dieser gibt es gewisse Spannungen zwischen Zentralisten und Föderalisten. Den Zentralisten kommt es auf möglichst große Einheitlichkeit an, weshalb die Ländergruppen nur ,Sektionen' sein sollen. Den Föderalisten liegt an möglichst großer Eigenständigkeit der einzelnen Ländergruppen, die nur koordiniert, aber nicht dirigiert werden sollen. Sie möchten keinen ,König der INWO' aufkommen lassen. Dieser Konflikt ist wohlbekannt. Schon die Internationale Arbeiterassoziation (1864-72) war ihm ausgesetzt und wurde davon auch gespalten. Die Auseinandersetzung zwischen den Tendenzen nach Einheit und Vielfalt scheint unvermeidlich zu sein. Auch hier handelt es sich um Pole, die fruchtbar gemacht werden oder sich in Gegensätze verwandeln können.

 

 

 

 

 

 

 

Kooperativ-Konferenz über Alternative Geldsysteme

 

Man hatte höchstens 60-80 Teilnehmer erwartet. Es kamen jedoch 350. Die Konferenz stieß "an die Grenzen der Infrastruktur" (wie es in einem Bericht der Zeitschrift "Zeit-Punkt" hieß, die zu ihren Trägern und Organisationen gehörte). In gewisser Hinsicht war sie eine Fortsetzung des Konstanzer Kongresses auf erweiterter Grundlage.

 

Im Präsidium saßen:

 

Matina Hämmerli - Präsidentin der INWO-Schweiz

Bruno Jehle - Ideenträger des Bonus-Systems

Werner Rosenberger - Präsident der INWO-International

Margrit Kennedy - Autorin eines Bestsellers über Geld und Zins

Susi Stockheimer - Initiantin von geldlosen Hausfrauengruppen

Christoph Pfluger - Herausgeber des "Zeit-Punkt"

Marguerite Mistell - Nationalrätin der Grünen Partei/SO

Felix Bührer - Prokurist der Freien Gemeinschaftsbank Dornach

Kerstin Petersson aus Kanada - Vertreterin des LET-Systems

Hugo Godschalk - deutsch-holländischer Bankenberater.

 

Diese Persönlichkeiten referierten größtenteils auch. Hauptreferentin war Margrit Kennedy. Nach Hugo Godschalk ist ein alternatives Geldsystem wie das Telefon um so nützlicher, je mehr Teilnehmer es hat. Das größte und erfolgreichste alternative Geldsystem der Welt sei der Schweizer WIR-Ring; dieser habe sich aber auf die Selbsthilfe mittelständischer Unternehmen eingegrenzt. Spontan entstand eine Arbeitsgruppe WIR-Frühling, die diese Beschränkung überwinden und den Gedanken eines zinsfreien Geldes in alle Bevölkerungsschichten tragen will. Eine zweite Arbeitsgruppe wird die praktische Umsetzung alternativer Geldsysteme in der Dritten Welt prüfen, ausgehend von der Idee des Bonus-Systems. Eine dritte überlegt, wie durch sinnvolle Adaption LET-Systeme auch in der Schweiz aufgebaut werden können. So hat die Tagung mehrere Anstöße für weitere Aktivitäten gebracht. Ihr Erfolg ist anscheinend weniger auf eine Organisation als auf geistige Ausstrahlungskraft zurückzuführen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Schweiz: von der LSP zur INWO

 

1 Ich stütze mich u. a. auf Hans Hoffmann und dessen Brief vom 31.1.92

2 A. Bungeli, Wirtschaftslexikon für alle, S. 3

3 evolution Nr. 4/1985

4 Hans Wanner, Stop, Feuerthalen 1986, S. 143

5 Protokoll des ordentlichen Parteitags der Liberalsozialistischen Partei 24/25.4.1982 in St. Gallen, S. 1

6 Werner Rosenberger, Kleiner biographischer Abriß, S. 1

7 ebenda, S. 2

8 evolution 3/89

9 Hans Hoffmann 17.2.92 an den Autor, der ihm verschiedene Fragen zur Sache stellte.

10 Rundbrief des neuen Kantonalpräsidenten vom 3.3.1990

11 Rundbrief an alle Freunde/innen der INWO, März 1991

12 Aus dem Faltblatt der INWO Schweiz

13 ebenda

14 Statuten der INWO Schweiz

15 Rundbrief März 1991

 

 

Wiener Dornröschen aus dem Schlaf geweckt?

 

16 Alois Dorfner am 1.9.1975 an A. Rapp

17 Gerhard Senft, Chronik einer Legende, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, Heft 91/1991, S. 27

 

 

Von der IFU zur INWO international

 

1 Hans Hoffmann am 31.1.92 an den Autor

2 Werner Rosenberger am 20.2.92 an den Autor

3 Die Welt im Umbruch - Entwurf einer nachkapitalistischen Wirtschaftsordnung, Aarau 1991, S. 8

4 ebenda, S. 14

5 ebenda, S. 23

6 ebenda, S. 34

7 ebenda, S.38

8 so auf einem Faltblatt der INWO

9 Gerechtes Geld - Gerechte Welt. Auswege aus Wachstumszwang und Schuldenkatastrophe, Beiträge zur Tagung in Konstanz 1991, Lütjenburg 1992, S. 96

10 ebenda, S. 134

11 ebenda, S. 136/37

12 ebenda, S. 58

13 ebenda, S. 148

14 ebenda, S. 167

15 ebenda, S. 158

 

 

 

Zur Startseite von geldreform.de

 

Zum Gästebuch von geldreform.de

 

Günter Bartsch: Die NWO-Bewegung

ISBN 3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994

 

 

Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von W. Roehrig