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Günter Bartsch: Die NWO-Bewegung

ISBN 3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994

 

 

 

 

 

II. Die neuen Organisationen

 

Wiederum entrollte sich das Problem, ob die Natürliche Wirtschaftsordnung eine Frage der politischen Macht oder des allmählichen Aufbaus von unten her sei. Im Unterschied zur früheren NWO-Bewegung entschieden sich nun die meisten Freiwirte für den politischen Weg, zumal er kürzer als je zu sein schien, bis nach der westdeutschen Währungsreform von 1948 ein jäher Rückschlag eintrat. Die Flut des Masseninteresses und Massenandrangs wich einer Ebbe, welche nicht mehr weichen wollte. Dennoch fühlten sich maßgebende Freiwirte nach wie vor ,100 m vor dem Ziel'.

 

Es kam auch abermals die Frage auf, ob die Natürliche Wirtschaftsordnung einer weltanschaulichen Begründung bedürfe oder ihr Genüge in Strukturreformen finde. Sie wurde in gewisser Hinsicht dadurch gekappt, daß man nicht mehr nur von einer neuen Wirtschaftsordnung, sondern auch von einer natürlichen Gesellschaft und Kultur sprach, womit Otto Lautenbach den Anfang gemacht. Das ,organische Denken' war nun integriert, doch auf der intellektuellen und wirtschaftlichen Ebene setzte sich abermals der Individualismus durch. Einzelne Persönlichkeiten spielten wieder eine große, sogar übermächtige und ausschlaggebende Rolle. Sie ergriffen die Initiative und formten die verschiedenen Organisationen nach ihrem eigenen Bild. Indes entstand nun eine freiwirtschaftliche Internationale, die diese Organisationen ein wenig abzugleichen, auch innerlich zu demokratisieren versuchte.

 

 

 

 

 

Der Freiwirtschaftsbund (FWB)

 

Neuanfänge

 

Zunächst bildete sich ein Arbeitskreis aus Mitarbeitern jener "Schule der Freiheit", die als Zeitschrift zwischen 1933-43 erschienen und aus der schließlich auch ein Widerstandskreis hervorgegangen war. Die ersten Ortsgruppen wurden in Stuttgart und Esslingen gegründet, in Esslingen und andernorts zunächst als politische Partei, doch setzte Otto Lautenbach mit seinen Rundbriefen bald einen einheitlichen Organisationsrahmen durch. Weitere Ortsverbände entstanden in Ulm, Vaihingen, Frankfurt/Main, Heidelberg, Mosbach, Heidenheim und anderen Städten. In Nürnberg bildete sich zunächst ein NWO-Bund, in München gleich ein Freiwirtschaftsbund, der erst am 9.6.1947 genehmigt wurde - als inoffizielle Arbeitsgemeinschaft von etwa 50 Freiwirten und Interessenten, die monatlich zusammen kamen, hatte er längst ein reges Leben entfaltet.

 

Am 7.4.1946 fand in Ludwigsburg mit 69 Delegierten aus 32 örtlichen Vereinigungen die erste Zonentagung statt. Hauptredner war Otto Lautenbach. Er führte aus, entscheidende Grundlagen wären bereits 1932 auf dem Comburg und 1943 durch das Pfingstprogramm gelegt worden. Daran könne man anknüpfen und weiterbauen. Die Tagung beschloß die Gründung eines neuen Freiwirtschaftsbundes und wählte einen Zentralausschuß für die amerikanische Zone, der Otto Lautenbach, Dr. PaulDieh, Walter Hoch, Paul Jahnson und Otto Schiefer umfaßte. Er sollte die Genehmigung beantragen. Die nachgewiesene illegale Tätigkeit einiger seiner Mitglieder ermöglichte eine ziemlich rasche Anerkennung durch die Militärregierung. Über Lautenbach verhängte sie allerdings wegen bestimmter Artikel in der NS-Zeit ein Publikationsverbot. Er trat am meisten hervor, war aber auch am meisten umstritten. Einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit dem NS-System wich er aus. Über Hitler verlor er kein einziges Wort.

 

Irgendwie gelang es Otto Lautenbach, die Aufhebung des Publikationsverbots zu erreichen, so daß er schon 1946 als Herausgeber und Chefredakteur jener "Blätter der Freiheit" in Erscheinung treten konnte, die zum Organ des neuen FWB werden sollten. Er schuf sich auch den Vita-Verlag.

 

Die offizielle Gründung des neuen FWB erfolgte im September 1946. Sie wurde eingeleitet von einer öffentlichen Kundgebung im Stuttgarter Schauspielhaus. Das Württembergische Staatstheater spielte die Overtüre zu Mozarts Oper "Figaros Hochzeit".

 

Anschließend rezitierte Harald Bender den "Olympischen Siegesgesang" von Rolf Engert, dem Gedächtnis Silvio Gesells gewidmet. Nach diesem Prolog zogen sich die rd. 300 Freiwirte, davon 100 aus der britischen, französischen und russischen Besatzungszone, zu ernster Arbeit in andere Räume zurück. Diese Arbeit wurde hauptsächlich in sechs Kommissionen geleistet:

 

- Programmkommission

- Kommission für Satzungsfragen und Organisationsaufbau

- Kommission für wirtschaftswissenschaftliche und soziologische Forschung

- Kommission für Presse und Werbung

- Kommission für Gewerkschafts- und Parteiarbeit

- Kommission für praktische freiwirtschaftliche Arbeit, die Unternehmen mit freiwirtschaftlichem Firmenschild überprüfen wollte.

 

Otto Lautenbach war Obmann der 6. und letzten Kommission. Ihr legte Will Noebe seinen Siedlungsplan und Hugo Kreidel sein Projekt eines freiwirtschaftlichen Unternehmerrings vor. Lautenbach begrüßte es zwar, daß von Freiwirten Tauschringe und Siedlungsgenossenschaften gegründet würden. Nur dürften sie nicht mit dem Anspruch eines freiwirtschaftlichen Unternehmens auftreten und müßten vom FWB säuberlich getrennt werden. (So war schon der alte FWB mit Hunkels "Selbsthilfe der Arbeit" verfahren.) Die Kommission machte es von ihrer Genehmigung abhängig, ob sich ein Unternehmen freiwirtschaftlich nennen könne.

 

Im Plenum des 1. Bundestags sprach zunächst Werner Zimmermann über Fortschritte der freiwirtschaftlichen Idee in der Schweiz und den angelsächsischen Ländern. Das programmatische Grundsatzreferat hielt Otto Lautenbach. Er wandte sich gegen die irrtümliche Auffassung des Kapitalismus als einer einheitlichen wirtschaftspolitischen Macht. In Wahrheit handele es sich nicht um ein System, sondern um eine Interessenverflechtung der verschiedensten Menschen, Stände und Berufsgruppen.

 

Lautenbach warnte auch vor einer trügerischen Darstellung der Freiwirtschaft als Ostwestsynthese, als einer Legierung von historischen Sozialismus und historischen Liberalismus. Sie bedeute vielmehr eine völlig neue Sicht der Dinge und bewirke in beiden Lagern eine Scheidung der Geister quer durch alle Parteien. Allerdings könne sie nicht mehr in derselben Darstellungsweise und mit denselben Argumenten vertreten werden wie vor 1930. Die Welt hat sich seit dem Wirken von Keynes und Beveridge, seit dem Abkommen von Bretton Woods und der Gründung einer Weltbank entscheidend verändert. Der Kapitalismus konsolidiert sich in der neuen, widerstandsfähigen Form einer staatlichen Investitutions-Planwirtschaft, die ohne Gefährdung von Zins und Rente Vollbeschäftigung garantiert. "Nur bei klarer Erkenntnis und Berücksichtigung dieser realpolitischen Gegebenheiten können wir zielbewußt den Weg gehen zur Verwirklichung der Freiwirtschaft." (1)

 

Der erste Bundesvorstand des neuen FWB ging aus geheimen Wahlen hervor und setzte sich wie folgt zusammen:

 

Dr. Paul Diehl (50 Stimmen)

Otto Lautenbach (46 Stimmen)

Dr. Hermann Stolting (45 Stimmen)

Walter Hoch (36 Stimmen)

Hanna Blumenthal-Führer (32 Stimmen)

Otto Schiefer (27 Stimmen)

Wilhelm Beckel (27 Stimmen).

 

Lautenbach genoß zwar die Unterstützung der meisten Delegierten, doch das größere Vertrauen wurde Dr. Diehl entgegengebracht.

 

 

Struktur und Arbeitsweise

 

Im Entwurf der Bundessatzung war ein Präsident vorgesehen. Die Delegierten entschieden sich jedoch für ein dreiköpfiges Präsidium, das zugleich als Geschäftsführung fungierte.

 

Der FWB erhielt eine neuartige Struktur, die freilich erst nach einigen Jahren ausgereift war:

 

Ehrenpräsident: Prof. Dr. Paul Diehl

Präsidium: Otto Lautenbach, Walter Hoch, Walter Großmann

Bundesvorstand: fünf Mitglieder

Sieben Kommissionen, die permanent tätig waren.

 

Bundesrat, zusammengesetzt aus den Mitgliedern des Vorstands und der Kommissionen.

 

Dem Freiwirtschaftsbund angeschlossen waren die Akademie Schule der Freiheit, die Gesellschaft für wirtschaftswissenschaftliche und soziologische Forschung sowie Lautenbachs Vita-Verlag.

 

Das Sekretariat der Akademie Schule der Freiheit befand sich in Heidelberg-Ziegelhausen, wo auch Lautenbachs Vita-Verlag residierte. Das "Darmstädter Echo" schrieb über die Eröffnung der Akademie, angesichts des hohen Niveaus ihrer ersten Vorträge sei zu hoffen, "daß sich in Heidelberg ein geistiger Quellpunkt bildet, dessen Einflüsse auf das öffentliche Leben in Deutschland nicht unbemerkt bleiben dürften". (2) Auch weitere 30 Zeitungen und Zeitschriften berichteten über die erste Tagung positiv. Die Akademie diente als Diskussionsforum und Begegnungsstätte, aber auch als Schulungszentrum für FWB-Führungskräfte. Die Gesellschaft für wirtschaftswissenschaftliche und soziologische Forschung ging aus der gleichnamigen Kommission hervor. Sie sollte eine Forschungsstätte sein und enge Beziehungen zu wissenschaftlichen Kreisen knüpfen, um diese zur Rezeption der Gesellschen Lehre zu bewegen. Ihre offizielle Gründung als eingetragener und rechtsfähiger Verein fand erst am 8.11.1952 statt. In den Vorstand wurden gewählt:

 

 Prof. Dr. Hans Bernoulli; Basel

 Hans Brodbeck, Luzern

 Dr. Paul Diehl Gräfeling

 Prof. Dr. Olga von Plotho, Göttingen

 Karl Walker, Berlin

 Dr. Ernst Winkler, Gräfeling.

 

In einem ersten Rundschreiben an die Mitglieder der Gesellschaft hieß es, zunächst sei die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel nötig, um eine Schriftenreihe herauszugeben. Es erschienen jedoch nur Dr. Winklers "Theorie der natürlichen Wirtschaftsordnung" und Karl Walkers Broschüre "Das Buchgeld", beide in Lautenbachs Vita-Verlag.

 

Die drei F des früheren FWB wurden gestrichen. An ihre Stelle trat als neues Bundessymbol das Kreuz im Ring. Dieser Beschluß folgte einem Antrag von Hanna Blumenthal-Führer.

 

Der neue Freiwirtschaftsbund konstituierte sich als Bund für natürliche Ordnung in Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft. Lautenbach polemisierte gegen die Radikal-Soziale Freiheitspartei von einem grundsätzlichen Standpunkt aus. Seines Erachtens konnte die Freiwirtschaft als Partei mit den großen Parteien nicht konkurrieren, als eine überparteiliche Bewegung hingegen auch quer durch diese Einfluß gewinnen. Dies erwies sich als richtig. Bereits für die "Aktion Warenmark" konnten zahlreiche außerhalb des FWB stehende Persönlichkeiten gewonnen werden, von denen eine ganze Reihe der CDU, SPD oder FDP angehörten.

 

Ihre öffentliche Resonanz war erstaunlich groß. Über die Warenmark als Brücke zur Währungsordnung wurde in zwei Vortragsreihen von Wilhelm Merks und Otto Lautenbach in ca. 50 Städten gesprochen, wo sie überall auf sehr lebhaftes Interesse stießen. Es war eine starke Beteiligung der Behörden und der Wirtschaft festzustellen. Mehrere öffentliche Ämter und die Spitzen einiger großer Industriebetriebe sollen geschlossen erschienen sein. Fast alle Zeitungen berichteten über den Warenmarkplan. In den Geschäftsstellen des Freiwirtschaftsbundes liefen Hunderte von Zuschriften und Zustimmungserklärungen ein, darunter von Sparkassen und der Badischen Kommunalen Landesbank (Girozentrale). Keine freiwirtschaftliche Initiative hat die Gemüter so bewegt wie die Warenmark-Aktion.

 

Noch 1946 brachte der Freiwirtschaftsbund in hoher Auflage sechs Flugschriften heraus. Nr. l stand unter dem Titel "Unserer Jugend eine freie Zukunft", Nr. 6 "Planwirtschaft - die Sklaverei des 20. Jahrhunderts". Laut dieser Flugschrift, von Prof. Diehl verfaßt, weicht das volkswirtschaftliche Prinzip des höchsten Nutzeffekts für den Konsumenten dem Prinzip des höchsten Gewinns, sobald sich Kartelle oder staatliche Monopole bilden.

 

 

 

 

Ziel und Weg

 

Das Programm des FWB wurde in Ziel und Weg unterteilt. Das Ziel war ein Natürliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, "die freie Welt von Morgen ohne Vorrechte . . . in der soziale Gerechtigkeit mit einem Höchstmaß von persönlicher Freiheit verbunden ist". Es sollte die Grundbedingung für eine von der äußeren Welt ungehemmte Entwicklung freier, selbstverantwortlicher Menschen sowie für das natürliche Wachstum einer wahren Gemeinschaft geschaffen werden.

 

Der neue FWB übernahm in wesentlichen das Programm des alten, nur ersetzte er die festen Standbegriffe Freigeld, Freiland, Festwährung durch flüssige und dehnbare Formulierungen:

 

1. Rückkauf des gesamten Grund und Bodens in das Eigentum der Gesellschaft und seine Verpachtung zur freien Bewirtschaftung;

 

2. Verteilung der Grundrente auf die Mütter je nach der Zahl ihrer Kinder unter 16 Jahren;

 

3. Regelung der Menge des umlaufenden Geldes durch ein Währungsamt, daß unter allen Umständen einen gleichbleibenden durchschnittlichen Preisstand aller Waren zu gewährleisten hat nach dem Großhandelsindex;

 

4. Beherrschung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Die Geldzeichen werden durch geeignete technische Mittel unter Umlaufzwang gestellt.

 

Diese vier Maßnahmen würden das arbeitslose Einkommen beseitigen, den einzelnen befreien und der Menschheit eine höhere Entwicklung eröffnen.

 

Von einer Verstaatlichung des Bodens war keine Rede mehr, doch die "Kasse der Gesellschaft", in welche die Grundrente zunächst einfließend sollte, konnte nur die Staatskasse sein.

 

Erstmals widmete ein freiwirtschaftliches Programm der Außenpolitik einen besonderen Abschnitt. Sie sollte, sobald in freiwirtschaftlicher Hand, die ungehemmte Durchführung der innenpolitischen Forderungen sichern. Zur Richtlinie wurde gemacht: Freihandel, Ablehnung jedes internationalen Währungsabkommens, Gründung zwischenstaatlicher Noteninstitute und Förderung des internationalen Warenaustauschs.

 

Der Freiwirtschaftsbund behauptete, seine Grundsätze wären "unbestreitbare und weithin anerkannte Ergebnisse wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Forschung". Er betreibe eine wissenschaftlich abgesicherte Politik (was sonst nur die Marxisten in Anspruch nehmen).

 

Was seinen Weg betraf, so wollte der FWB die Mitte finden "zwischen Umsturz und Entwicklung". Sein revolutionäres Wirken werde sich auf das Grundsätzliche beschränken, auf die radikale Umgestaltung des Geld- und Bodenrechts.

 

Dafür gebe es drei Voraussetzungen:

 

1. "eine revolutionäre Situation"

 

2. "geistige Durchdringung der Umwelt mit unserer Idee"

 

3. "eine zu politischem Handeln geeignete und gewillte Organisation, die nach der Natur ihres Ziels nur ein überparteilicher politischer Kampfbund sein kann".

 

Der FWB glaubte, er befinde sich bereits in einer revolutionären Situation, welche mit allen zweckdienlichen Mitteln genützt werden müsse. Es liege an den Freiwirten, die zweite und dritte Bedingung zu schaffen. "Dann findet uns die nächste revolutionäre Situation bereit zur bewußten und gewollten Tat, die allein die natürliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu gestalten vermag." Lautenbach war sich klar, daß die potentiell revolutionäre Nachkriegssituation bald abklingen würde, aber er rechnete bereits mit einer zweiten revolutionären Welle, auf der die Freiwirtschaft zur Macht reiten könne.

 

Wie in der "Schule der Freiheit" zwischen 1933-43 sollte wieder ein organisches Denken den harmonischen Ausgleich zwischen menschlicher Willensfreiheit und der "Unerbittlichkeit ewiger Gesetze" sichern, "welche die belebte und unbelebte Natur durchwalten. Indes war nun auch vom "heiligen Menschenrecht der persönlichen Freiheit" die Rede. Abermals konnte man von einem "Aufstand des Lebens" lesen, nur war sein Träger diesmal nicht der Nationalsozialismus, sondern das Individuum. Der neue Freiwirtschaftsbund hoffte eine Volksbewegung zu werden", die durch die Parteien hinweg und durch die Parteien hindurch sich entfaltet". Unabhängig von den politischen Gestaltungen der Gegenwart trage der FWB eine Kraft in sich, die ihn des Zwangs enthebe, zu jedem politischen Geschehen Stellung zu nehmen, sich in den politischen Tageskampf verwickeln oder gar seine Politik vorschreiben zu lassen. Er behielt sich vor, zur Erreichung seines Ziels "alle zweckdienlichen Mittel" anzuwenden, darunter - wie im Programm des Fisiokratischen Kampfbundes von 1924 - den Generalstreik. Nur waren ihm die meisten Mittel nicht zugänglich. Notgedrungen mußte er sich mit Aufklärung begnügen.

 

 

 

 

Organisatorischer Aufbau - schließlich ein Orden

 

Der Bundesvorstand setzte sich aus einem dreiköpfigen Präsidium und einem fünfköpfigen Beirat zusammen. Die Ortsgruppen hatten einen dreigliedrigen Vorstand, die Kreis- und Landesverbände sollten einen fünfgliedrigen haben.

 

Auch die Mitgliedschaft wurde dreigegliedert. Die Passiven bildeten den äußersten Ring, der gleichsam ein Puffer war, die Aktiven den inneren Verbindungsring, die Vertrauenswürdigsten und die führenden Köpfe sollten schließlich in einem Orden zusammengefaßt werden, der den innersten Ring und den Kern des Ganzen gebildet hätte. Natürlicher wäre es gewesen, mit der Kernbildung zu beginnen. Zur Gründung des freiwirtschaftlichen Ordens kam es nicht mehr. Dieser Plan sank mit Otto Lautenbach in Grab.

 

Alle Mitglieder, auch die passiven, wurden zum Bezug der "Blätter der Freiheit" verpflichtet. Für die Aktivisten erschienen gedruckte "Verbindungsbriefe".

 

Zu Funktionen im FWB konnte nach der revidierten Satzung vom November 1950 nur noch gewählt werden, wer wenigstens 6 Monate Mitglied eines Verbindungsrings war. Solche Ringe wurden den Vorständen aller Ortsgruppen "beigeordnet". Sie sollten ihm die organisatorische Arbeit erleichtern und den Kontakt zu den einfachen Mitgliedern vermitteln. Praktisch waren solche Ringe nur in den Großstädten möglich. In Stuttgart bestand er aus etwa 20 Aktivisten. Von je 10 Mitgliedern war im Durchschnitt nur einer aktiv.

 

Außer Ortsgruppen und Kreisverbänden gab es im FWB auch Arbeitsgemeinschaften, für die jeweils ein Vertrauensmann verantwortlich sein und die Verbindung zum Bundesvorstand aufrechterhalten sollte. Eine davon wurde zum wichtigsten Vehikel des FWB.

 

An der Spitze wurden Kommissionen gebildet, die den Hauptvorstand berieten, aber auch ein eigenständiges Leben führen sollten. Sie konnten sich durch die Zuwahl von Fachleuten ergänzen und bestanden in der Regel aus sieben Mitgliedern.

 

Schließlich wurde ein Bundesrat eingeführt, zusammengesetzt aus den vom Bundestag gewählten Mitgliedern der Kommissionen und des Bundesvorstands.

 

Im Vergleich zur früheren Organisationsform gab es also vier neue Elemente: die Verbindungsringe, die Arbeitsgemeinschaften, die Kommissionen und den Bundesrat. Otto Lautenbach war in organisatorischer Hinsicht ebenso beweglich wie Hans Timm; mir scheint, er hat einiges von diesem gelernt.

 

Keine NWO-Organisation war so systematisch aufgebaut wie der neue Freiwirtschaftsbund, keine auch so ausgeklügelt. Bis ins kleinste durchdacht, schien er für die Ewigkeit geschaffen zu sein. Dabei hing er ganz und gar von der Person Otto Lautenbachs ab.

 

 

 

 

 

Disziplin, Demokratie und der Geist Silvio Gesells

 

Im Programmentwurf war die "uneingeschränkte Pflicht" der Mitglieder gefordert, sich "vorbehaltlos" und "in der Öffentlichkeit sichtbar" zu Ziel und Weg des FWB zu bekennen. Gegen diese Formulierung Otto Lautenbachs und Kurt Sellins erhoben Wilhelm Brude, Karl Scherer, Hanna Blumenthal-Führer, Heinrich Wick und Ludwig Schultheiß ernste Bedenken: sie ließe sich mit den Grundsätzen der Demokratie und persönlichen Freiheit nicht vereinbaren. So fiel denn die besagte Forderung unter den Tisch. Nicht in allen Punkten hat sich Otto Lautenbach durchsetzen können. Er war gleichwohl bestimmend für die Grundlinie des Programme und den Kurs des Freiwirtschaftsbundes, nach Hans Joachim Führer aber "zu egozentrisch, viel zu sehr Machtmensch und nicht geeignet, die Freiwirtschaft nach außen zu vertreten". (3)

 

Heinrich Wick beantragte, in die Präambel des Zielprogramms einzufügen, daß der FWB seinen Kampf für eine natürliche Ordnung "auf demokratischer Grundlage" führe. Dieser Antrag wurde einer Kommission überwiesen und auf diese Weise abgebogen.

 

Dem unteilbaren Ziel einer natürlichen Ordnung diene nur eine wesensgemäße natürliche Taktik: die direkte Aktion, und zwar "in allen Abstufungen von der bloßen Aufklärung bis zum unmittelbaren Eingriff in den politischen Machtkampf". Es wurden genannt: Flugblätter, Plakate, Schreiben an führende Persönlichkeiten, Eingaben an Parlamente, Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen, Generalstreik, Erzwingung und Beeinflussung eines Volksentscheids. "Bei zentraler Leitung wird die Wirksamkeit solcher Aktionen erhöht. . . " Direkte Aktionen unter zentraler Leitung! - das war ein Widerspruch in sich. Örtliche Initiativen sollten mit dem Bundesvorstand abgesprochen werden.

 

Entsprechend dem Gepräge eines politischen Kampfbunds verlangte das Programm straffe Bundesdisziplin. Die von den Bundestagen und vom Bundesvorstand gefaßten Beschlüsse hätten für alle Mitglieder bindende Kraft. Den Minderheiten wurde "weitestgehende Toleranz", aber keine Fraktionsfreiheit versprochen. Opposition und Toleranz fänden dort ihre natürliche Grenze, wo die Einheit des Bundes nach außen gefährdet sei. Das war anscheinend auch schon durch die Infragestellung der Mütterrente der Fall.

 

Lautenbach sagte, das Programm sei zeitlos gültig, die Art seiner Durchführung abhängig von den gegebenen Wirklichkeiten. Seine Reden rissen viele Zauderer und Skeptiker mit. In § 2 der Satzung hieß es, der Bund erstrebe die Verwirklichung einer natürlichen Ordnung "in Übereinstimmung mit den Lehren Gesells in der Formulierung des Bundesprogramms". Dieses galt als modernisierte und aktuelle Ausdrucksform der NWO.

 

Unter den Mitteln unterschied das Programm zwischen drei Methoden

 

1. der logisch-pädagogischen durch wissenschaftliche Darstellung der Freiwirtschaftslehre,

 

2. der praktisch-wirtschaftlichen Methode durch das soziologische Experiment; von der Anschauung und dem praktischen Nutzen her werde es das Interesse weiterer Kreise wecken,

 

3. die politisch-agitatorische Methode durch Propaganda und direkte Aktion, um die Bevölkerung mit der freiwirtschaftlichen Idee zu durchdringen und in ihr den Willen zu politischem Handeln zu wecken.

 

Durch die drei Methoden sollten also stufenweise immer mehr Menschen erfaßt werden: von den Intellektuellen bis zur Arbeiterschaft.

 

 

 

 

Mitbegründer der Sozialen Marktwirtschaft

 

Die Warenmark-Aktion hatte das Ziel der Indexwährung. Eine ihr zugrundeliegende Denkschrift des FWB vom Januar 1947 erklärte, auf der derzeitigen Währungsgrundlage mit offener Inflation könne der Übergang zu einer freien Wirtschaft wegen der damit verbundenen wirtschaftlich-sozialen Gefahren "nicht angeraten werden, obwohl ein Fortschreiten auf dem gegenwärtigen Wege der totalen Bürokratisierung für die deutsche Wirtschaft noch schädlicher ist". (4)

 

Eine zweite Denkschrift, nun über wirtschaftliche Neuordnung, schlug eine Währungsbereinigung, eine Finanzregelung und eine Bodenverwaltung vor, was nach Dr. Winkler nichts anderes war als die "Anwendung des freiwirtschaftlichen Zielprogramms auf die aktuelle Situation".

 

Die dritte Denkschrift des Freiwirtschaftsbundes verlangte auch eine "neue soziale Ordnung", wobei sie sich auf das Sofortprogramm von 1944 berief.

 

Am erfolgreichsten war die "Aktion Sozialer Marktwirtschaft". Sie ging aus der Gesellschaft für wirtschaftswissenschaftliche und soziologische Forschung hervor, die sich einfach umbenannte. In ihr hatte man sich Walter Euckens erinnert, der in Freiburg ein gewichtiges Werk veröffentlicht, worin er sich weit umfassender und konsequenter als Keynes für eine freie Wirtschaft ausgesprochen. Euckens Werk war inzwischen zum Keimpunkt des Neoliberalismus und zur Grundlage seiner Freiburger Schule geworden. Es enthielt einen Satz, der auch von Silvio Gesell hätte stammen können: "Ohne Freiheit der Person die soziale Frage zu lösen, ist unmöglich". Eucken vertrat allerdings den Standpunkt, die besten Züge der Goldwährung müßten beibehalten werden - ihr automatischer Charakter, die strengen Regeln, stabile Wechselkurse. Trotz dieser Differenz entschloß sich der Freiwirtschaftsbund zur Zusammenarbeit mit der Freiburger Schule. Ihr stand auch Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard nahe; er war selbst ein Neoliberaler, las die Denkschriften des FWB und gewährte den "Blättern der Freiheit" ein Interview. Lautenbach scheint mehrere Gespräche mit dem Wirtschaftsminister geführt zu haben. Gemeinsam gaben sie die Zeitschrift" Währung und Wirtschaft" heraus. Euckens Neo-Liberalismus wollte der Wirtschaft eine rechtliche Rahmenordnung geben und die Konzerne abbauen. Lautenbachs Freiwirtschaftsbund setzte sich zum Ziel, in Westdeutschland eine freie Wirtschaft mit minimalem Kapitalismus zu begründen, die durch Vollbeschäftigung sozial abgesichert und gegen den östlichen Kollektivismus kommunistischer Prägung immunisiert war.

 

Die direkte Kontaktaufnahme zwischen der freiwirtschaftlichen und der neoliberalen Schule erfolgte wohl 1949. Im öffentlichen Teil der FWB-Bundestage von 1951 und 1952 sprachen auch prominente neoliberale Gäste: die Professoren Rüstow und Böhm, Dr. Hellwig und Dr. Strickrodt. Die "Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft" von 1951 wurde bereits von beiden Schulen getragen, obwohl ihre Federführung bei den Freiwirten lag. Die Zusammenarbeit gestaltete sich immer enger. Am 23.1.1953 erfolgte in Heidelberg die Gründung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktschaft (ASM). Sie schuf den organisatorischen Rahmen für die Kooperation mit den Neoliberalen. Im Vorstand der ASM nahmen 4 Freiwirtschaftler (Lautenbach, Hoch, Winkler, Schwab) und 4 Männer der Wirtschaft (Blum, Meier-Lenior, Kalbfleisch, Lang) Platz. Unter den 9 Mitgliedern des Beirats befanden sich je 3 Freiwirte und Neoliberale. Die Aktionsgemeinschaft veröffentlichte eine Aufruf zur wirtschaftspolitischen Entscheidung, der insbesondere an die Bundesregierung gerichtet war. Sie erklärte ihre Absicht, "jenseits von Parteien und Interessengruppen für die Verwirklichung der Sozialen Marktwirtschaft zu arbeiten", wofür ein Grundgesetz der Wirtschaftsordnung vorgeschlagen wurde. Der freie Leistungswettbewerb sei unvereinbar mit monopolitischen Machtgebilden, dafür gebunden an Freizügigkeit für Menschen, Geld, Kapital, Waren und Dienstleistungen. Das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter und Angestellten in den Betrieben könne zwar bejaht werden, es dürfe aber weder die wirtschaftlichen Entscheidungen der Unternehmer beschneiden noch durch betriebsfremde Funktionäre ausgeübt werden.

 

Die Leitsätze der ASM fußten auf Kompromissen zwischen Freiwirtschaft und Neoliberalismus. Laut Dr. Winkler war jedoch in ihnen "implizit die ganze Freiwirtschaftslehre enthalten", welche im Laufe der theoretischen Entwicklung und praktischen Realisierung mit innerer Notwendigkeit immer klarer hervorzutreten versprach. Seines Erachtens hätte das geistige Ringen um eine neue Wirtschaftsordnung unter der geschickten Regie Otto Lautenbachs "zugunsten der freiwirtschaftlichen Position entschieden werden können". (5)

 

In Wirklichkeit war die günstigste Situation längst verpaßt, als die ASM gegründet wurde, und sie konnte nur scheinbar wiederhergestellt werden. Die Währungsreform vom Juni 1948 hatte die Weichen in anderer Richtung gestellt, als sie der FWB (und die RSF) gestellt haben wollten. Eine weitere Währungsreform hätte nur noch mit diktatorischer Gewalt durchgesetzt werden können. Auch im Volk bestand kein Bedarf mehr nach freiwirtschaftlichen Reformen. Adenauers Parole "Keine Experimente!" schlug ein. Dennoch hat der FWB die Soziale Marktwirtschaft mitgegründet.

 

Die Aktionsgemeinschaft wurde zur angesehensten wirtschaftswissenschaftlichen Vereinigung in der Bundesrepublik. Männer von internationalem Ruf - Rüstow und Röpke, Franz Böhm und Carl Nipperdey - traten ihr bei.

 

Wilhelm Röpke führte die gewandteste Feder unter den Neoliberalen und schrieb viele Leitartikel des Wirtschaftsteils der "Frankfurter Allgemeinen". Er wollte "gegen die Gefahr des Jakobinismus einen Damm von Einrichtungen bauen" (6), damit die Freiheft nicht der Gleichheit geopfert werde. Dem stimmte Otto Lautenbach zu. Der Freiwirtschaftsbund wollte keine plebiszitäre Demokratie, obgleich etwas mehr als die Neoliberalen - eine neue Währungsreform und ein soziales Bodenrecht.

 

Eine erste Arbeitstagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft fand am 20./21.5.1953 in Bad Nauheim statt. Wiederum wurde die Bundesregierung zur "Entscheidung für die Freiheit" gedrängt. Die politische Demokratie hänge in der Luft, solange sie noch keine freie Wettbewerbsordnung und Soziale Marktwirtschaft zur Grundlage habe. Von der Freiburger Schule sprach Johann Lang über die wirtschaftlichen Ursachen der Vermassung des Menschen und die Notwendigkeit einer Befreiung.

 

Die zweite öffentliche Arbeitstagung der ASM fand am 18./19.11.1952 in Bad Godesberg statt, nahe dem Bonner Sitz der Bundesregierung. Referenten waren Lang, Rüstow, Lautenbach, Böhm, Schmölders, Forberg, Hellwig, Lutz, Ilau und Meier-Lutz. Den Höhepunkt bildete jedoch eine Ansprache des Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard, die nach Winkler grundlegende Bedeutung für die Begriffsbestimmung der Sozialen Marktwirtschaft hatte.

 

An der zweiten Arbeitstagung der ASM nahmen über 600 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft teil! Ihre "Godesberger Erklärung" enthielt eine programmatische Zusammenfassung der hauptsächlich freiwirtschaftlichen Forderungen. Das publizistische Echo war gewaltig. Selbst die sonst reservierte "Frankfurter Allgemeine" stellte fest: "Hier wurde nicht zum Fenster hinaus geredet. Die Arbeitsgemeinschaft unter Leitung von Otto Lautenbach hat sich zunächst einmal in den Vordergrund des so wichtigen vorparlamentarischen Rahmens gespielt". (7) Sie werde von der Öffentlichkeit ernst genommen. Wenn sie ein außerparlamentarischer Wachhund bliebe, der bei Gefahren laut belle, so wäre das für alle ein Gewinn.

 

Doch der Wachhund schlief ein. Eine schwere Krankheit warf Lautenbach um und ließ ihn hoffnungslos dahinsiechen. Er hatte sich kurz vor dem Ziel gesehen, auch dem persönlichen Ziel. Nun raffte ihn der Tod im Juli 1954 hinweg, erst 51 Jahre alt. Worauf die Vertreter des FWB aus der Arbeitsgemeinschaft hinauskomplimentiert wurden; man legte ihnen in aller Höflichkeit den Rücktritt nahe.

 

Paul Diehl schrieb, die eigentliche Problematik, eine den Fortbestand der freien Welt garantierende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, sei seit dem frühen Tod Otto Lautenbachs "mehr und mehr als allzuheißes Eisen in den Hintergrund getreten" (8) Auch die Neoliberalen resignierten schließlich. Sie zogen sich aus dem Vorstand der ASM in den Beirat zurück.

 

 

 

 

 

 

Das Ende des Freiwirtschaftsbundes

 

Der Freiwirtschaftsbund schien - wie die Anthroposophische Gesellschaft - eher ein Organismus als eine Organisation zu sein. Und doch war er nur ein Mechanismus, ein fein ausgeklügeltes Uhrwerk, in dem die Rädchen ineinandergriffen und um einen gemeinsamen Mittelpunkt kreisten. Sobald derjenige ausfiel, der dieses Uhrwerk geschaffen hatte und aufzuziehen pflegte, surrte es ab und verstummte. Er gehorchte nur seiner Hand. Sobald Lautenbachs Energie erschöpft war, mußte auch der Apparat zum Stillstand kommen. Er war so findig, daß andere Initiativen, insbesondere von unten, überflüssig zu sein schienen. Alles ging auf ihn zurück. Das Nervensystem des Freiwirtschaftsbundes lag in einem einzigen Kopf, der wie ein Haupt auf seinen Rumpf gepfropft war. Obwohl er eine ausgefächerte Struktur besaß, die sich von ihrem Urheber loslösen und verselbständigen konnte, gewann er kein Eigenleben. Daher brach er nach Otto Lautenbachs Tod lautlos zusammen. Es fanden zwar noch mehrere Vorstandssitzungen statt, die auch über die Einberufung eines neuen Bundestags berieten, doch dazu kam es nicht mehr. Auch die Gesellschaft für wissenschaftliche und soziologische Forschung, das Kuratorium Schule der Freiheit sowie der Vita-Verlag und all dessen Periodika gingen nach kurzer Zeit ein.

 

Eine Denkschrift über Otto Lautenbach, die in der letzten Bundesvorstandssitzung angeregt wurde, fand nicht die nötige Unterstützung. Jedoch wurde eine angebliche Verleumdung des Verstorbenen durch Bertha Heimberg, deren diesbezügliche Äußerungen "ans Pathalogische grenzten", mit einer letzten Kraftanstrengung zurückgewiesen. So endete der Fall Otto Lautenbach mit einem Mißklang.

 

Der Freiwirtschaftsbund war zu zentralistisch aufgebaut und wurde zu individualistisch geführt, als daß er seinen Gründer länger als einige Monate hätte überleben können. Er hatte schätzungsweise 3.500 Mitglieder. Diese Erbmasse konnte nur zum kleineren Teil von der Freisozialen Union eingeheimst werden. Ein anderer Teil verstreute sich auf andere NWO-Organisationen, der größere verschwand spurlos. So wiederholte sich noch krasser, was schon bei Übergang von RSF in die FSU geschehen war.

 

 

 

 

 

 

 

H.-J. Führer in Opposition - Politiker oder Utopisten?

 

Hans-Joachim Führer, der Beziehung zwischen Jenny Blumenthal und Silvio Gesell entsprossen, hatte dessen Lehre schon als Knabe wie Muttermilch eingesogen und die NWO wie im Fieber gelesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, wo er als Sanitäter über die Schlachtfelder ging und im Blut waten mußte, war er für die Amerikaner als Chefdolmetscher tätig. In dieser funktionalen Eigenschaft baute er ein Dolmetscherbüro auf, das später von ihm in eine Genossenschaft umgewandelt und schließlich den Mitarbeitern überlassen wurde.

 

Von 1946-48 war H.-J. Führer ehrenamtlicher Geschäftsführer für den Kreisverband Stuttgart des FWB. Nach seinen Angaben hatte der Kreisverband 1946 240, 1948 480 Mitglieder, auch einen besoldeten Angestellten namens Parschke. Zum Vertrauensring der Aktivisten gehörten allerdings nur ca. 20 meist jüngere Leute; er bereitete öffentliche Versammlungen vor, klebte Plakate und kam in kürzeren Abständen als die gewöhnliche Mitgliedschaft zusammen, zeitweise wöchentlich. Die öffentlichen Veranstaltungen des Kreisverbandes waren bis zur Währungsreform gut besucht. Er hatte einen Mäzen, der viel Geld in die Kasse fließen ließ.

 

Zu Otto Lautenbach, der in seinen Augen Generalsekretär des Freiwirtschaftsbundes, aber zu arrogant und überheblich war, geriet Hans-Joachim Führer bald in ein kritisches Verhältnis. Ihm mißfiel, daß es neben dem offiziellen Bundesvorstand einen zentralen Kreis mehr privater Art gab, der die Karten im Hintergrund mischte - bestehend aus Lautenbach, Hoch und Recke.

 

Emmy Wagner, eine Freiwirtin, die im KZ geschmachtet hatte, veröffentlichte aufgrund ihrer darin gesammelten Erfahrungen ein Buch unter dem Titel "Liebesmacht bricht Machtliebe". Darüber wurde im privat-zentralen Kreis gewitzelt. H.-J. Führer kam gerade hinzu, als Otto Lautenbach höhnisch sagte: "Diese Ziege mit ihrer ,Liebesmacht'!" Hock und Recke stimmten in sein spöttisches Gelächter ein.

 

Führer fühlte sich abgestoßen. Dies um so mehr, als er 1948, bis dahin Atheist, zur Katholischen Kirche konvertiert war. Als Lautenbach noch sagte, die Emmy Wagner sei wohl "eine Verrückte", stellte er sich die Frage: "Bin ich nicht bei den falschen Leuten?" Otto Lautenbach war für ihn ein typischer Nihilist und Materialist, das genaue Gegenstück zu Otto Schiefer, jenem vollbärtigen und gehäbigen Stuttgarter Freiwirt, der, vom heiligen Glauben erfüllt, daß die Rettung der Menschheit in den Gesellschen Reformen liege, sich unermüdlich für die Freiwirtschaft betätigte und ihn selbst in den Kreisverband eingeführt hatte. Führer entschloß sich zum offenen Auftreten gegen Otto Lautenbach.

 

Ein erster Schritt war sein Vortrag über Freiwirtschaft und Utopismus, der kopiert und verbreitet wurde. Im Juli 1947 vor der Stuttgarter Ortsgruppe des FWB gehalten, diente er gleichsam als Kriegserklärung, freilich als eine indirekte. Sei es nicht ein Hohn, daß in eine Bewegung, die für sich den Anspruch reinster Wissenschaftlichkeit erhebe, seit mehr als drei Jahrzehnten keine klare Linie habe gebracht werden können? Was machte die Freiwirte zu verlachten Sektierern? Wieso wurde die Kraft ihrer Organisationen durch Streit und Hader zerfressen? Dabei wollten und wollen sie doch im Grunde alle dasselbe.

 

"Wir müssen ergründen, wo das Gift liegt, das uns unsere klare Besinnung raubt. Wir müssen die Natur des Dynamits erkennen, das uns trotz unserer theoretischen Einigkeit immer wieder auseinandersprengt, die Besten aus unseren Reihen treibt, die anderen aber zur Beute macht von Groll, Mißmut und Hoffnungslosigkeit". (9)

 

H.-J. Führer ging wie ein Historiker an diese Fragen heran. Die Wurzeln des Versagens der NWO-Bewegung hätten in der geschichtlichen Situation gelegen, die Gesell bei seinem ersten Auftreten in der Öffentlichkeit vorgefunden. Dem Marxismus war es bereits gelungen, bedeutende Volksmassen gegen den liberalen Kapitalismus auf die Beine zu bringen. Die Leiden der gequälten Massen wurden entpersonifiziert und bekamen durch seine Lehre einen hoffnungsvollen Sinn. "Die trostlose Gegenwart erschien als ein historisch notwendiges Stadium auf dem Weg in eine goldene Zukunft." Marx feuerte durch einfache und verständliche Formeln an. Die im Banns des Marxismus aufbrechenden Massen waren taub für die komplizierte Theorie der Freiwirtschaft, jedoch die herrschenden Klassen mit Hilfe des Staates und der Kirchen mächtig genug, feste Dämme gegen die rote Flut zu errichten und ihren Kampfeswillen durch Kompromisse zu zersplittern.

 

Gesell hätte Führer zufolge eher auf die Unterstützung der Reaktionäre als auf die der Linken rechnen können. Ihm war der Anschluß an die Hauptströmungen seiner Zeit verwehrt. So blieb nur mühsame Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit. Doch die Politiker verstopften sich ihre Ohren, und die proletarischen Massen waren mit materiellen Versprechen schon durch den Marxismus gesättigt.

 

Unter diesen Umständen mußte Gesell zufrieden sein, daß er in Deutschland wenigstens von einer kleinen Männergruppe mit offenen Armen empfangen wurde. Diese Männer, überwiegend Anarchisten und Utopisten, drückten der entstehenden NWO-Bewegung ihren Stempel auf. Sie waren hauptsächlich Anhänger Max Stirners und lebten in einem geistigen Vakuum, das auszufüllen die Freiwirtschaftslehre imstande war. Gesell, von ihnen als Erlöser begrüßt, schien nicht zu ahnen, welche Gefahren in dieser Verbindung schlummerten. Ihm ging es nur um die Verwirklichung seiner Geld- und Bodenreform. "Wie und mit wessen Hilfe war ihm gleich." Doch durch ihre Verbindung mit Stirner schnitt sich die Freiwirtschaft jeden Weg zu einer Verständigung mit dem religiös denkenden Teil des Volkes ab.

 

Sie "verlor den letzten Boden unter den Füßen". Damit nicht genug, unterstrich sie schon durch ihre äußere Aufmachung das Sektiererhafte der NWO-Bewegung. Gesell machte unverantwortliche Konzessionen. "Anarchistische Forderungen nach Abbau des Staates wurden aufgenommen." Er verneinte auch die Ehe und schuf damit Zwietracht unter seiner Anhängerschaft. Im "Abgebauten Staat" von 1927 ließ sich Gesell vollends auf den Anarchismus ein. Gedanklich mag er einen großen Schritt getan haben. Von seinem eigentlichen, ursprünglichen Ziel - voller Arbeitsertrag und Brechung der Zinsherrschaft - war er "weiter entfernt denn je". Durch die Übernahme anarchistischer Forderungen verließ er den sicheren Boden der Wissenschaft, öffnete er zugleich dem Streit und Hader das Tor.

 

Auch die Lebensreformer spielten laut Führer in der NWO-Bewegung eine bedenkliche Rolle. Angeblich sahen sie in der Freiwirtschaft nur ein Mittel zum Zweck, ihren Ideen Geltung zu verschaffen. Ein finanzstarker Verleger mit politischen Ambitionen hatte nach dem Besuch eines freiwirtschaftlichen Vortrages gesagt: "Solange des Publikum bei ihren Veranstaltungen zusammengesetzt ist aus Menschen mit langen Haaren, Schillerkragen, Sandalen, Dirndlkleidern und Wandervogelkostümen, werde ich mich hüten, auch nur einen Pfennig in ein so hoffnungsloses Unternehmen zu stecken".

 

Führer gab zu, daß sich in dieser Hinsicht viel geändert hatte. Indes wären die Lebensreformer, wenn auch nicht mehr der vorherrschende Typus, noch sehr stark in der NWO-Bewegung vertreten. Ihren klarsten Niederschlag finde das im Mangel am politisch-kämpferischen Willen. Der Lebensreformer ruft nur zur inneren Umkehr auf, zur Besinnung, nicht zur Tat. Aufgabe des Politikers ist es hingegen, "eine Gemeinschaft in dem gemeinsamen Willen zu einer nach außen gerichteten Tat zusammenzuschmieden". Die Personalunion von Lebensreformern und Politikern hat sich verheerend ausgewirkt "und unserer ganzen Bewegung ihr charakteristisches Gepräge gegeben". Bezeichnenderweise setzt sich der FWB eine natürliche Ordnung von Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft zum Ziel. "Kann die natürliche Ordnung der Kultur, der Gesellschaft jemals die Aufgabe einer politisch-revolutionären Tat sein?" Handelt es sich nicht vielmehr um einen allmählichen Prozeß, "dessen Voraussetzung die innere Umkehr des Einzelnen ist"? Dies aber heiße, Jahrzehnte zu warten, bis zum Abschluß des menschlichen Reifeprozesses, statt in kühner politischer Tat die Geld- und Bodenreform durchzuführen, gegen welche Widerstände auch immer.

 

Auf diese Weise warf Hans Joachim Führer Otto Lautenbach vor, einen gänzlich falschen Kurs zu verfolgen. Er sei kein Politiker, sondern ein verkappter Lebensreformer, folglich auch ein Utopist! Vor seinen Hörern beschwor Führer "den Grabeshauch des Utopismus, unter dem jede Bewegung erstarren muß". Er setzte ihn auch weitgehend mit Anarchismus gleich. Schon einmal habe die NWO-Bewegung durch die "Verquickung von Freiwirtschaft und Anarchismus resp. Lebensreform" den zweifelhaften Ruf bekommen, utopistischen Traumbildern nachzujagen. Hier liege der Keim ihrer Uneinigkeit und die Ursache ihres Versagens, den Glauben an den realen Machtanspruch der Bewegung zu erwecken.

 

Führer richtete seine Kritik auch gegen die Radikal-Soziale Freiheitspartei, deren Wurzeln in der Fisiokratie lägen. Alle Freiwirte hätten Grund, sich an der politischen Aktivität und dem Draufgängertum der RSF zu erfreuen. Ihr Verfassungsentwurf für ein stockkatholisches Land fordert jedoch die Legalisierung der freien Liebe. Aus geistigem Hochmut und stirnerischer Borniertheit wird eine ganze Generation an ihrem wundesten Punkte gepackt und der Feigheit beschuldigt. Davon verspricht man sich die Gewinnung der Massen!

 

Aber auch der FWB hat noch nicht die letzte Konsequenz aus den Fehlern der Vergangenheit gezogen. Sein Warenmarkplan, die Finanzbereinigung, eine 75 %ige Vermögensabgabe - "hier wie dort wühlt der utopische Gedanke weiter". Führer verlangte eine sofortige, geballte Kraftanstrengung, und "den toten Punkt mit einem Schlage zu überwinden und durch greifbare Erfolge der Bewegung neuen Schwung und Auftrieb zu geben". Alle utopisch wirkenden Programmpunkte und Forderungen müßten ausgemerzt werden. Erforderlich sei eine angriffsfreudige Taktik, die politische Breitenwerbung und Breitenwirkung erziele. Dann werde der Durchbruch nicht lange auf sich warten lassen. Freiwirtschaftliche Programme dürften weder eine philosophische Dissertation noch der Abriß einer sich in fernen Zeiten vielleicht herausbildenden vollkommenen Gesellschaftsordnung sein - der "Welt von morgen". Sie müßten vielmehr den Bedürfnissen des Gegenwartsmenschen in der heutigen Welt entsprechen und sich auf die Grundpfeiler der künftigen Ordnung beschränken. "In unserem Falle also Geld- und Bodenreform". Ein weltanschauliches Programm halte alle anders orientierten Menschen - obwohl sie wertvolle Bundesgenossen sein könnten - von der aktiven Beteiligung ab.

 

Führers Vortrag war eine Herausforderung Otto Lautenbachs. Er stellte dessen Führungsanspruch und Politik so radikal in Frage, daß ein Gegenschlag nicht ausbleiben konnte.

 

Zuvor schoß Hans Joachim Führer noch einen zweiten Pfeil ab. Auf einem Bundestag des FWB sprach er sich gegen die Mütterrente und für die Streichung dieses Programmpunktes aus. Die Mütterrente gehöre nicht zu den Kernforderungen und sei in gewisser Hinsicht utopistisch. Bewußt oder unbewußt gekoppelt mit der freien Ehe und Liebe, locke diese den Abenteurertyp in die Bewegung, was sie nur belaste. Er entstehe die verantwortungslose Haltung: illegitime Kinder bezahlt der Staat, ich selbst brauche keine Alimente aufzubringen. Damit dürfe sich der FWB nicht länger diskreditieren.

 

Führers Antrag - hinter ihm stand der Stuttgarter Kreisverband - fand ein breites Echo. Hanna Blumenthal-Führer, Hans-Joachim Führers Halbschwester, hielt das Korreferat. Es herrschte aber die Stimmung vor, gegen Lautenbach kommen wir nicht auf. Der Vorschlag wurde mehrheitlich abgelehnt. Bald darauf ging ein Ausschlußantrag um. Hans Joachim Führer kam dem Ausschluß durch seinen Austritt aus dem Freiwirtschaftsbund zuvor.

 

 

 

 

 

Die Ketzerei des Dr. Ernst Winkler

 

Führers Ausscheiden aus dem Freiwirtschaftsbund, dessen Bundesvorstand er als eigenwilliger Interpret seines Vaters Silvio Gesell heftig angegriffen, konnte um so leichter verschmerzt werden, als Otto Lautenbach in Dr. Ernst Winkler kurz zuvor einen ebenso eifrigen wie loyalen Mitarbeiter gefunden hatte. Mathematiker und theoretischer Physiker mit philosophischen Interessen, aber Laie auf dem Gebiet der Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft (die er als solche in Frage stellte), war er zunächst erst recht allergisch gegen eine vermeintliche Sekte (den FWB) gewesen, die anscheinend ein wirtschaftliches Sonderprogramm zur Weltanschauung erheben wollte.

 

Winkler pflegte jedoch freundschaftlichen Umgang mit Dr. Paul Diehl, einer bedeutenden Persönlichkeit, die schon in der Weimarer Republik für Gesells Ideen gestritten und schließlich sogar ihr Leben eingesetzt hatte. Freilich hätte er die Gespräche am liebsten auf philosophische Probleme und künstlerische Ereignisse beschränkt. Statt dessen wurde Winkler von Diehl immer häufiger mit Freiwirtschaft traktiert. Er fand das sehr lästig. Wirtschaftliche Fragen, die sich zudem laufend enger um das Geld drehten, mißfielen ihm. Dagegen sträubte sich sein philosophische Natur. Diehl - so schien es - drängte ihm geradezu monomane Ideen auf, mit Berufung auf einen unbekannten, aber angeblich genialen Sozialreformer namens Silvio Gesell, der anscheinend ein seltener Querkopf gewesen war. Diehls Behauptung, das Geld sei naturwidrig, dünkte ihm ebenso primitiv wie unglaubhaft. Und geradezu absurd die angebliche Folge, der lächerliche Zinsfuß von 4 oder 5 % sei die Queue sozialer Ungerechtigkeit, aller Kriege und kulturellen Niedergänge. Nein, das konnte ihm nicht aufgeredet werden. Dieser Gesell war offenbar einer fixen und dubiosen Idee verfallen.

 

Aber Diehl blieb hartnäckig, und als alle Versuche mißlangen, den penetranten Gesprächen eine andere Wendung zu geben, beschloß Winkler im Stillen, den Stier bei den Hörnern zu packen. Er entlieh Gesells "Natürliche Wirtschaftsordnung", den 1. Band des Marxschen "Kapitals" sowie Schriften von Keynes, Böhm-Bawerk und Walker. In fünf Wochen, Tag und Nacht lesend, war er durch. Dr. Winkler hatte die wirtschaftswissenschaftliche Begründung der abenteuerlichen Freiwirtschaftslehre prüfen und ad absurdum führen wollen. Nun stellte er fest, daß die unterschiedlichen Zinstheorien der meisten Autoren von ihren Vorurteilen durchsetzt waren. Eine interessante, aber logisch unhaltbare Ausnahme fand er lediglich in der Zinstheorie Silvio Gesells. Unhaltbar insofern, als Gesell den Zins auf die gleiche Stufe wie die Preise stellte, obwohl es grundsätzlich verschieden Arten von Angebot und Nachfrage sind, welche auf dem Warenmarkt die Preise, auf dem Kapitalmarkt die Zinsen bestimmen. Es war seines Erachtens ein grober Gedankenfehler Gesells, nicht zwischen Warenmarkt und Kapitalmarkt unterschieden zu haben.

 

"So war ich denn auf mein eigenes, mathematisch und naturwissenschaftlichgeschultes Denken angewiesen." Dr. Winkler fragte nach den immanenten Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft, wobei er sich auf den nach seiner Überzeugung zuverlässigen Boden der mit statistischen Gesetzen arbeitenden Naturwissenschaft begab. Das grundlegende Gesetz sei ein im marktwirtschaftlichen Rahmen zweckmäßiges, im Sinne des berechtigten Eigennutzes bedachtes Verhalten der weit überwiegenden Mehrheit der Wirtschaftsteilnehmer, die im fairen Wettbewerb für ihre eigene Leistung ein Optimum an Gegenleistung zu erhalten wünschen. Ein selbstsüchtiges Verhalten zum Schaden anderer müsse durch entsprechende Gesetze unterbunden werden. Die Selbstlosigkeit, Verschenken statt Verkaufen, wäre innerhalb der Wirtschaft so selten, daß sie davon nicht beeinträchtigt würde. Ihre Funktionsfähigkeit hängt demnach, jenseits von Selbstsucht und Selbstlosigkeit als den beiden Extremen, vom eigennützigen Verhalten der meisten Menschen ab.

 

Winkler wertete zahlreiche Notizzettel aus, die er während seiner Lektüre beschrieben. Er arbeitete mit schrittweisen Gedankenexperimenten, wobei er sich nur zum Abschluß jedes Kapitels eine sozialpolitische Wertung erlaubte. Seine Stufenfolge Urwirtschaft, kapitalfreie Geldwirtschaft, geldfreie Kapitalwirtschaft und kapitalistische Geldwirtschaft mündete in eine ideale Wirtschaftsordnung. Zu seinem Erstaunen entsprach sie im wesentlichen dem Konzept von Silvio Gesell. Dr. Winkler hatte diesen im Zuge des eigenen Denkens und Forschens nicht überwunden, sondern überhaupt erst entdeckt! Auch vor seinem geistigen Auge war das Urbild der NWO aufgeleuchtet.

 

Deshalb ließ er sich von Otto Lautenbach überreden, sein Manuskript unter dem Titel "Theorie der Natürlichen Wirtschaftsordnung" zu veröffentlichen. Was den falschen Eindruck erweckte, er habe Gesells Hauptwerk nur kommentiert. Zunächst blieb das Manuskript allerdings jahrelang bei Otto Lautenbach liegen, bis es dieser bei nochmaligem Durchblättern geeignet fand, eine Brücke zwischen Freiwirtschaft und offizieller Wirtschaftswissenschaft zu schlagen. 1952 veröffentlichte er es in seinem Vita-Verlag. Das Buch schlug tatsächlich eine Brücke, allerdings nur zu einzelnen Wirtschaftswissenschaftlern, die es recht wohlwollend besprachen. In der "Freisozialen Presse" hingegen wurde es ungünstig und fast herabsetzend rezensiert, was den Verkauf nahezu blockierte. Ein großer Teil der Auflage blieb liegen.

 

Dem lag zugrunde, daß Dr. Winkler einen eigenwilligen Denkweg beschritten und es gewagt hatte, Gesell zu revidieren, was als eine Art Majestätsbeleidigung ausgelegt wurde. Winkler sprach von einem Denkfehler Gesells, der den Zins fälschlich aus dem Geldkapital statt aus dem Realkapital abgeleitet habe, wodurch er in Verlegenheit geriet, die Höhe seines Fußes zu bestimmen. Der volle Arbeitsertrag sei ein utopistisches Ziel, realistisch nur der Leistungsertrag. Gesells theoretische Zinserklärung ist unhaltbar, seine pragmatische - den Zins "in einem Meer von Kapital ersäufen" - wirklichkeitsnahe.

 

Der Autor glaubte in seiner Bescheidenheit, zur Ausgestaltung der Natürlichen Wirtschaftsordnung als wissenschaftliche Theorie nur einen unzulänglichen Anfang gemacht zu haben. Er unterschätzte sich selbst und demzufolge auch seine Arbeit. Karl Walker würdigte ihn freilich als den "bedeutendsten Kopf unter den deutschen Freiwirten der Nachkriegszeit".

 

Winkler begründete den seines Erachtens selbständigen Charakter des Produktionskapitals durch das Modell einer geldlosen Tauschwirtschaft. Er relativierte auch Gesells These von der grundsätzlichen Überlegenheit des Geldes über die Ware. Sie habe nur Gültigkeit für die Zeit der Wirtschaftsdepression, welche in der Tat als Auswirkung der Überlegenheit des Geldes die schleichende Krankheit des Kapitalismus sei. "Demgegenüber ist die Inflationsperiode gerade umgekehrt charakterisiert durch die im Tauschsinn verstandene Überlegenheit der Ware über das von Kaufverlust bedrohte Geld." (10)

 

Was für Gesell die Ursache des Zinses, ist laut Winkler ein Hindernis für dessen Verschwinden. Er bescheidet sich aber. Gesell habe als erster die entscheidenden und praktisch wirksamen Zusammenhänge des Wirtschaftslebens durchschaut. Für die Wirtschaftswissenschaft bedeute er dasselbe "wie der schwäbische Arzt Robert Mayer für die Physik". Unser heutiges Leben sei undenkbar ohne die moderne Technik, welche auf der seinerzeit verlachten Erkenntnis Robert Mayers von der Erhaltung und Umwandlung der Energie beruhe. Eine gleich große Bedeutung könne die ebenfalls verlachte Erkenntnis Silvio Gesells "nicht nur für die Wirtschaftswissenschaft, sondern für eine tiefgreifende Umgestaltung des gesamten menschlichen Lebens und Zusammenlebens haben". (S. 169)

 

Auf einmal gab es zwei Varianten der Freiwirtschaft nebeneinander - eine Gesell sche und eine Winklersche. Beide waren aus eigenständigem Denken und Forschen hervorgegangen. Das wurde jedoch bei Winkler nur vereinzelt anerkannt. Seine Revision Gesells machte viele Freiwirte unruhig - unter ihren Füßen begann gleichsam der Boden zu wanken. Die Unruhe war verständlich. Sie entlud sich jedoch in dem sektiererischen Vorwurf, Dr. Winkler sei ein Ketzer, der sich an Gesells Werk versündigt habe. Bertha Heimberg erklärte von London aus, gleichsam als Dogma in Person: "Ich kenne zwar Winklers Buch nicht, aber es ist auf jeden Fall falsch!" Es brauche und sollte daher nicht gelesen werden.

 

Winkler stand auf einmal, weil er die wissenschaftliche Methode des Hinterfragens auch auf Gesell angewandt, als ,Besserwisser' da, dem wie einem schwarzen Kater nicht über den Weg getraut werden dürfe. Dabei hatte er der Freiwirtschaft ein wissenschaftliches Fundament geben wollen. Es blieb jedoch eine Frage, ob er der ,dogmatischen' NWO Gesells tatsächlich eine ,dynamische' gegenübergestellt. War seine Theorie nicht eher neoliberal als freisozial? Und konnten mathematische Gesetze mehr als Durchschnittswerte beweisen?

 

Ein freiwirtschaftlicher Rezensent hielt Dr. Winkler für "schlimmer als Rosa Luxemburg" So tief wurde ihm sein Fehltritt nachgetragen, als wäre er ein roter oder gelber Infiltrant. Er hatte Gesell vom Denkmalssockel gestürzt und scheinbar auch seiner wissenschaftlichen Würde beraubt. Dabei wollte er dessen Zinstheorie eigentlich nur "bereinigen". Sein Anliegen war ferner

 

"1. die geniale Entdeckung Gesells zu verteidigen gegen dessen eigene fehlerhafte Theorie (die notwendigerweise den Volkswirtschaftlern den Zugang zu dieser Erkenntnis versperrt)

 

2. das geniale Gesamtkonzept zu verteidigen gegen die banalisierende Auslegung durch seine (zumeist recht blinden) Anhänger." (11)

 

Als echter Wissenschaftler war Dr. Winkler (wie Karl Walker) außerstande, die Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells als ein Patentrezept zu akzeptieren, "dessen Einführung (und sei es durch einen Diktator wie Stalin oder Hitler) mit einem Schlag alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme löst, unbegrenzte wirtschaftliche Dauerkonjunktur, ewigen sozialen und politischen Frieden, also mit einem Wort das Paradies auf Erden schafft". Das erschien ihm zwar lieb und gut gedacht, aber angesichts der widerborstigen Menschheit praktisch unmöglich. Wie Bernstein den Marxschen Utopismus desillusioniert, so desillusionierte Winkler den Gesellschen - beide in Hochachtung vor ihrem Meister, und als ideologisch unbestechliche Wissenschaftler, die zwischen Prophetie und Wahrscheinlichkeit zu unterscheiden wußten. Silvio Gesell war für Dr. Ernst Winkler paradoxerweise "durch falsche Schlüsse zu einem richtigen Ergebnis gekommen". Die klassische Freiwirtschaftslehre stand demnach auf dem Kopf. Von seiner eigenen meinte Winkler, sie stünde auf den Füßen. Die Hortbarkeit des Geldes sei nicht die Ursache des Zinses, wohl aber der Grund für dessen Nichtverschwinden. Der Kapitalzins quelle nicht aus der Unvergänglichkeit des Geldes, wie Gesell behauptet, vielmehr aus der Sachkapitalrendite. "Insofern hat die offizielle Wirtschaftstheorie recht gegenüber der Freiwirtschaftslehre." Winkler wollte ihr die Möglichkeit des Rechthabens nehmen. Er gedachte die Freiwirtschaftslehre hieb- und stichfest zu machen. Im Zuge seines 5-Wochen-Studiums war er innerlich vom Saulus zum Paulus geworden, für die Außenwelt jedoch vom dilettantischen ,Philosophen' zum ideologieverdächtigen ,Wirtschaftswissenschaftler'. So saß er nun zwischen zwei Stühlen. Mit seinem Buch war Dr. Winkler ans "Licht der Öffentlichkeit" getreten, freilich in der höchst unerquicklichen Doppelrolle "als Außenseiter der offiziellen Wirtschaftswissenschaft und als Ketzer der Freiwirtschaft". (12)

 

Innerhalb des Freiwirtschaftsbundes wurde er zum getreuen, immer dienstbereiten Gehilfen Otto Lautenbachs, dessen bester Formulierer" für immer weiter greifende Ideen und Pläne, jener Mann, der das theoretische Fundament des neuen FWB und die geistige Gestaltung schuf, ohne sie mit dem eigenen Namen zu siegeln. Er verfaßte eine Reihe Grundsatzartikel und Grundsatzreferate, versuchte auch, die Natürliche Wirtschaftsordnung durch eine natürliche Ethik zu ergänzen. Zunächst geschah das unter dem Pseudonym Karl Jung.

 

Als sich Dr. Winkler endlich zum eigenen Namen bekannte, war ein Teil seiner geistigen Spur schon verwischt. Indes stieg er schließlich bis zum dreiköpfigen Präsidium des Freiwirtschaftsbundes auf. Er war auch Mitverfasser jener "Charta der Sozialen Marktwirtschaft" die in gewissen Grenzen Geschichte gemacht. So wurde Winkler aus einem bloßen Theoretiker zu einem Mann der Tat. Als der Bogen seiner Aktivitäten überspannt war und zu brechen drohte, zog er sich zurück, doch die Freiwirtschaft holte ihn wieder ein. Nach dem Tode Otto Lautenbachs, dessen qualvollem Sterben er hilflos zusehen mußte, war Dr. Winkler in der Arbeitsgemeinschaft freiwirtschaftlicher Christen und im Seminar für freiheitliche Ordnung tätig. Bis er endlich in seine Klause flüchtete, um noch ein Buch über Einstein zu schreiben und seine Relativitätstheorie weiterzudenken.

 

Otto Lautenbach, dessen Abgründigkeiten ihm nicht verborgen blieben, war in seinen Augen "ein genialer Politiker, der den Freiwirtschaftsbund als Mittel und Sprungbrett zur Verwirklichung seiner weitausschauenden, freiwirtschaftlich inspirierten Ideen gegründet hatte", jedoch die revolutionäre Situation der ersten Nachkriegsjahre ungenützt verstreichen ließ. Vergebens hatte Winkler auf eine Synthese von Macht und Geist gehofft, die aus seiner Zusammenarbeit mit Lautenbach sprießen sollte. Schließlich mußte er einsehen, daß auch Wort und Tat nur bei Gott identisch sind. Er hatte die taktischen Richtlinien des FWB entworfen, wofür er in den Hauptvorstand gewählt worden war.

 

In einem Rundbrief am 5.11.1956 teilte er einer Reihe von Freiwirten mit, daß er sich nicht länger an einen freiwirtschaftlichen Terminkalender festschmieden lasse. Aus eigenem Entschluß und in freier Wahl wolle er zwar weiterhin, "je nach Gelegenheit und Möglichkeit", soweit es seine Zeit und Kraft erlaube, "mit Wort und Schrift im Dienst der freiwirtschaftlichen Idee" tätig sein, lehne jedoch grundsätzlich jede Art von Dauerverpflichtung ab. Dr. Winkler gedachte, endlich aus sich selber heraus zu leben. Aber die Freiwirtschaft ließ ihn nicht gänzlich los.

 

Noch immer stand er zu seinem Buch, ja er ergänzte es durch sehr wichtige Aussagen, zuerst im Anschluß an Nell-Breuning, dann in einem Aufsatz über die mögliche Mutation des kapitalistischen Wirtschaftssystems.

 

Dr. Winkler unterschied nun zwischen Darlehns-, Kapital- und Wucherzins, die geschichtlich aufeinander gefolgt wären. Davon sei nur der Wucherzins verwerflich, ihn zu verbieten wäre berechtigt.

 

Der Darlehnszins dient dem Zweck, die Geldverlegenheit oder Notlage eines anderen Menschen zu überbrücken. Den Kapitalzins zahlen Unternehmer, deren Eigenkapital nicht ausreicht, etwa eine Fabrik zu gründen. Bei Beanspruchung von Fremdkapital ist es für Winkler "selbstverständlich, auch moralisch berechtigt, daß der Geldgeber einen vernünftigen Anteil an der zu erwartenden Rendite in Form eines Zinses verlangt, als Gegenleistung für seine Kapital-Investition". (10) Diese Gegenleistung muß auch mehr als 2 % betragen, weil dem Kapitalgeber sonst die Liquidität, die freie Verfügbarkeit über sein Geld, wichtiger ist. Es würde einen schwerwiegenden und hemmenden Eingriff in den Wirtschaftskreislauf bedeuten, wollte man den Kapitalzins auf die gleiche Stufe stellen wie den Wucherzins. Dieser tritt in der Regel erst dann stark vermehrt auf, wenn die fortgesetzte Wirtschaftsexpansion sich dem Sättigungspunkt nähert. Nun wird nicht mehr die Notlage eines Einzelnen ausgenutzt wie eventuell bei einem Darlehn, sondern die Notlage der gesamten Wirtschaft. Erst in diesem Falle, so Winkler, haben wir es mit einem kapitalistischen Zins zu tun, dem ein Schwundsatz oder eine Sondersteuer auferlegt werden könnte.

 

Das war eine starke Einschränkung der Gesellschen Theorie, die den Zins schlechthin ausschalten wollte, wenngleich sie ihn nicht - wie manche seiner glühendsten Anhänger - für ,verbrecherisch' erklärte.

 

Dr. Winkler stellte auch Gesells Kurzdefinition des Kapitalismus als ,Zinswirtschaft' in Frage. Der Zins sei nicht an den Kapitalismus gebunden, durch den er nur eine besondere, ausbeuterische und wucherische Form erhalte. So wurde in die Freiwirtschaftslehre die Geschichte eingeführt, welche von Gesell ausgeklammert worden war, als er davon sprach, daß die soziale Frage durch seine Reformen ein für allemal gelöst werde.

 

Was den Kapitalzins betrifft, so wird er nach Winkler auch in einer Natürlichen Wirtschaftsordnung notwendig sein! Gesell hat ihm zufolge den Fehler gemacht, den Kapitalzins mit dem Wucherzins über einen Leisten zu schlagen. Der erstere ist jedoch produktionsfördernd, der zweite produktionshemmend. Man sollte also die jeweiligen Erscheinungsformen des Zinses nach ihrer Rolle im Wirtschaftskreislauf prüfen, statt ihn einfach schlechthin zu verwerfen. Auch dies war historisch gedacht.

 

Vom historischen Standpunkt aus kommt es auf klare Begriffe und Unterscheidungen an, die jedoch nie absolut gedacht, vielmehr dem Fluß der Erscheinungen unterworfen werden müssen.

 

Laut Winkler ist der Unternehmergewinn im Gegensatz zum Profit ("Zinsertrag des unternehmerischen Eigenkapitals oder Zinseinkommen des funktionslosen Investors") ein reines Leistungseinkommen, dessen Bedeutung auch die Kapitalbildungsprämie habe. Der Freiwirtschaft wird seines Erachtens das organische Ergebnis einer Mutation unseres Wirtschaftssystems sein, falls der begonnene Prozeß des wissenschaftlichen Umdenkens weitergehe und sich auch der Politik bemächtige. Für ihn ist sie jedoch ein idealtypisches Modell der nachkapitalistischen Marktwirtschaft. Dieses wird im Unterschied zu den Vorstellungen von Adam Smith nur mit einer "gesetzlichen Rahmenordnung", andererseits "ohne staatlichen Dirigismus" funktionsfähig sein. Bei ihrer Verwirklichung setzte Winkler weniger auf die Freiwirte als "auf den gesellschaftlichen Bewußtseinswandel und die Neuen Sozialen Bewegungen. Das hat er mit den erwähnten Ergänzungen seines Buches freilich erst 1984 näher ausgeführt. Schließlich in einem gewissen Überschwang, mit einem Rückrutsch in die Sozialutopie: "An die Stelle des Arbeitsmarktes und des abwegigen Lohnverhältnisses treten neue Formen wirtschaftlicher Kooperation . . . Sie werden die alten institutionalisierten Formen ablösen, die unter dem Diktat des Profits entstanden sind gegenwärtig an den durch sie erzeugten Widersprüchen . . . zu zerbrechen beginnen. Das krasseste Beispiel ist die geradezu absurde Erscheinung der Arbeitslosigkeit; sie ist unmöglich und undenkbar in einer nachindustriellen Gesellschaft".

 

Aber vielleicht sind manche Sozialutopien schon wirklichkeitsgesättigter als die für unumstößlich gehaltenen Realitäten noch. Wir leben in einer Umbruchssituation, die durch insgeheime Kräfteverschiebungen ungeheuren Ausmaßes gekennzeichnet ist. In der Jahrtausendwende werden sie sich offenbaren.

 

 

 

 

Der Neue Bund (NB)

 

Will Noebe schlug sich aus der Tschechoslowakei teils auf offener Straße, teils auf Schleichwegen bis nach Neustrelitz in Mecklenburg durch. Doch die Gebäude seiner Verlagsbuchhandlung und Vorratslager waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Das Bankguthaben von 50 000 RM hatten die Russen gesperrt, seine Verwalterin konnte ihm jedoch aus Wohnungsmieten einige Tausend Mark übergeben. Damit brach er nach Berlin zur dortigen Zweigniederlassung seines einstigen Verlags auf, die seit Sommer 1945 im amerikanischen Sektor lag. In der erhaltenen Kellerwohnung eines ausgebombten Hauses gab Noebe die Zeitschrift "Telos" zunächst in der Form vervielfältigter Rundbriefe, in einer spärlich geheizten Küche mit geliehener Schreibmaschine und einer Hilfskraft von neuem heraus.

 

In derselben Küche gründete Will Noebe Ende 1945 zusammen mit Karl Walker und anderen Freiwirten den Neuen Bund. Mittels Zeitungsannoncen und öffentlichen Anschlägen erhielt er die Adressen von 300 alten Lesern und freiwirtschaftlichen Gesinnungsgenossen.

 

"So bescheiden die Anfänge aber auch materiell waren, ideell hat es kaum eine Arbeitsperiode gegeben, die dankbarer gewesen wäre. Denn der sich stetig auf bald rd. 1000Personen erweiterte Kreis alter Leser und neuer Freunde erwies sich trotz Kälte, Trümmern und Lebensmittelknappheit als begeisterungsfähig und einsatzbereit." (13)

 

Will Noebe erwirkte für sich eine gesamtdeutsche Redelizenz. Er begann alsbald mit Fahrten durch die sowjetische Besatzungszone, wo er im weiten Schwung des Sämanns erneut die Gesellschen Samenkörner streute. Schon nach einem Jahr bestanden in allen Großstädten der SBZ sowie in einer Reihe kleiner Städte Gruppen oder Stützpunkte des Neuen Bundes, mit denen Noebe durch Vertrauensleute und "Telos"-Rundbriefe in ständigem Kontakt blieb.

 

Die offizielle Gründung des Neuen Bundes sollte mit einem öffentlichen Paukenschlag erfolgen. Dafür schien im Herbst 1947 die Zeit gekommen. In Erwartung der Lizenz versammelten sich mehr als 1000 Menschen im damals größten Saal Westberlins. Ein bekanntes Orchester spielte klassische Musik. "Wir saßen in Mänteln, der Putz fiel von den Wänden, aber die Augen leuchteten." (2) Die von einer Kontrollratssitzung des gleichen Tages erwartete Lizenz blieb jedoch aus; man mußte ergebnislos auseinandergehen. Es gab keine einvernehmliche Sitzung des Alliierten Kontrollrates mehr. Aber Will Noebe gab nicht auf.

 

Der NB ließ sich im Berliner Vereinsregister als Idealverein eintragen, worunter man Vereinigungen versteht, welche die Verwirklichung einer Idee erstreben. In diesem Falle die Idee einer Natürlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Natürlich in dem Sinn, daß sie der Natur des Menschen entspricht und die volle Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet. "Diese Gewähr ist nur gegeben, wenn sich in ihr das Höchstmaß persönlicher Freiheit mit dem Höchstmaß sozialer Gerechtigkeit verbindet". Da das weder im Kapitalismus noch im Kommunismus der Fall sei, müsse die erstrebte Ordnung sowohl die Ursachen der Unfreiheit als auch die der sozialen Ungerechtigkeit überwinden - die Urmonopole Geld und Boden. Nur wache, denkende und mit sozialem Gewissen begabte Menschen würden sich für diese sozialökonomische Gesamtlösung einsetzen - wie seit jeher für bahnbrechende Ideen. Diese Elite zieht schließlich die träge Masse mit.

 

Der NB wollte den ganzen Menschen erfassen, weil nur der innerlich Ergriffene sich freudig und freiwillig mit Gesinnungsfreuden zusammenschließt. Hinsichtlich der weiteren Schritte bekannte er sich zur direkten Aktion. Deren erste war die Bildung einer Freilandgenossenschaft m.b.H. Sie entsprang der Ansicht, eine Natürliche Ordnung lasse sich am besten in demokratischer Freiheit aus den Ansätzen selbstverantwortlicher Gruppeninitiativen entwickeln, was nur allmählich und gewaltlos geschehen könne.

 

Der Neue Bund sollte keine Organisation im herkömmlichen Sinne sein, sondern auf geistiger Verwandtschaft beruhen und dem Abbau der Vermassung dienen. Da Noebe und Walker überzeugt waren, der Mensch sei mehr als ein homo ökonomicus, begnügte sich sein Programm nicht mit einer neuen Wirtschaftsordnung:

 

"Der NEUE BUND erstrebt eine Lebensordnung, in welcher die veräußerlichen Menschenrechte der Freiheit mit den Grundprinzipien der sozialen Gerechtigkeit in Übereinstimmung gebracht werden." (14)

 

Diese neue Lebensordnung würde, wenn auf ewige Gesetze gegründet, in lebendiger Zwanglosigkeit sich entwickeln. Sie bedürfe der Bindung, "die im Kleinen wie im Großen von ungezwungen entscheidenden Menschen auf der Basis gegenseitiger Übereinkunft anerkannt werden".

 

Das Ziel war eine umfassende Reorganisation des gesellschaftlichen Lebens. Auf dem Weg dazu sollten Teilaufgaben realisiert und entsprechende Unternehmungen geschaffen oder beraten werden, da die neue Lebensordnung nicht übergangslos durch einen Akt der Gesetzgebung dekretiert werden könne. Sie wachse vielmehr aus der Freiwilligkeit vorbildlichen Handelns. Mitglied konnte jedermann ohne Rücksicht auf seine Parteizugehörigkeit werden, doch sollten es nur Wahlverwandte und Gebildete sein. Der erste Bundesvorstand bestand aus Will Noebe, Paul Diehl und Herbert Hahn.

 

Noebes Energiestrom konnte sich außerhalb Berlins nur in die Sowjetische Besatzungszone ergießen. Hier wurden die Lockerungen der ersten Nachkriegszeit wieder aufgehoben. Schritt um Schritt vollzog sich eine forcierte Bolschewisierung. Die UdSSR zwang der sowjetischen Besatzungszone entgegen den Versprechungen der neugegründeten KPD ihr politisches System auf. Sie bediente sich außerdem des ,kapitalistischen' Saugrohrs der Aktiengesellschaft zur maximalen Ausbeutung der deutschen Arbeiterschaft, um entgegen dem Potsdamer Abkommen der Siegermächte einen Großteil der laufenden Produktion nach Rußland zu pumpen. Die KPD Piecks und Ulbrichts speiste ihre unruhig werdenden Genossen mit der Losung ab: "Was die Sowjetunion stärkt, stärkt auch uns!"

 

Gegen diesen Staatskommunismus stalinistischer Prägung holte Will Noebe zum Gegenschlag aus. Er verschaffte sich einige tausend Exemplare von Werner Zimmermanns Broschüre "Sozialismus in Freiheit" und verteilte sie während seiner Reisen durch die spätere DDR.

 

Schon der Titel dieser Broschüre war eine Herausforderung der sowjetischen Besatzungsmacht. Sie setzte ihre Jagdhunde auf Noebes Spur. Er reiste inkognito durch die Lande, selbst manchen Freiwirtschaftlern nur als ,Dr. X.' bekannt. Es dauerte einige Zeit, bis die auf ihn angesetzten menschlichen Jagdhunde herausgefunden hatten, vor welcher Tür die Spur des Gesuchten endete. Telefonisch informierten sie den NKWD-Chef der sowjetischen Besatzungszone, der sogleich ein Sonderkommando zusammenstellte und durch die Nacht rasen ließ.

 

Am 11. 5.1948 wurde Will Noebe im Morgengrauen verhaftet und wie ein Schwerverbrecher ins NKWD-Hauptquartier gebracht. Zuvor war in Westberlin versucht worden, ihn aus seiner Wohnung zu locken und nach Ostberlin zu entführen. Er hatte gespürt, daß sich über seinem Kopf etwas zusammenzog und deshalb die Vertrauensleute des Neuen Bundes in der Sowjetischen Besatzungszone rechtzeitig gewarnt. Die meisten der besonders exponierten konnten rechtzeitig nach Westberlin oder in die Bundesrepublik fliehen. Dennoch wurden noch 16 verhaftet. Ein sowjetisches Militärgericht verurteilte sie fast durchweg zu 25 Jahren Zwangsarbeit. Drei wurden wegen ,Spionage' vor Gericht gestellt.

 

Unter diesen vermeintlichen Spionen befand sich die 19-jährige Hannelore Kleine. Zwischen ihr und dem Ankläger des sowjetischen Militärtribunals entspann sich

folgender Dialog:

 

"Was hat Sie veranlaßt, gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung aufzutreten?"

 

"Die Überzeugung, daß die sozialistische Gesellschaftsordnung eine Ordnung des Zwangs und der Unterdrückung ist."

 

"Worauf gründet sich Ihre Überzeugung?"

 

"Auf die Erkenntnis, daß Sie und Ihre Genossen zwar dauernd angeben, nach den Lehren von Karl Marx zu handeln, aber die Praxis das genaue Gegenteil beweist!"

 

"Das können Sie doch gar nicht beweisen. Wir haben den Sozialismus genau so aufgebaut, wie es theoretisch nach den Büchern festgelegt wurde. Nehmen wir zum Beispiel die Frage der Kollektivierung in der UdSSR. Diese große sozialistische Maßnahme wurde unter freiwilliger Mithife der Bauern durchgeführt Kein Bauer wurde gewaltsam gezwungen, in eine Kollektivwirtschaft einzutreten . . . "

 

"Dann müßte der sowjetische Dichter Scholochow ein Lügner sein!"

 

"Wieso? Was hat Scholochow damit zu tun?"

 

"Haben Sie noch nie etwas von seinem Roman ,Neuland unter dem Pflug' gehört? In diesem Roman schildert Scholochow, wie die Bauern mit Gewalt in die Kollektivwirtschaft hineingezwungen wurden."

 

"Das mag schon sein, daß Scholochow das geschrieben hat. Aber er hat ja dieses Buch auch unter damaligen Verhältnissen geschrieben, als er noch nicht frei von kapitalistischer Denkweise war. . . Nun zu etwas anderem. Warum sind Sie gegen die Planwirtschaft? Bei uns gibt es keine Ausbeutung mehr. Oder sind Sie da anderer Meinung?"

 

"Selbstverständlich. Die Ausbeutung ist gerade in der Sowjetunion größer als anderswo. Denn hier hat der Staat den höchsten Zinsfuß festgesetzt, den es gibt, und diese Zinsen müssen die einfachen Arbeiter aufbringen." (15)

 

Auch die beiden anderen wegen ,Spionage' angeklagten Freiwirte waren standhaft. Zusammen mit Hannelore Kleine bildeten sie eine Art Vertrauensrat des NB in der SBZ. Vom Netz der Vertrauensleute, das Will Noebe drei Jahre lang geknüpft, blieben nur wenige, aber immerhin einige Menschen übrig. Nun stand er selbst vor dem Tribunal. Der Vernehmungsoffizier betrachtete ihn lange. Er hatte einen großen Hecht aus dem Karpfenteich der SBZ gefischt, der ein für allemal unschädlich gemacht werden mußte. In die Berliner Zentralgruppe des Neuen Bundes war ein Spitzel eingeschleust worden, der belastendes Material vorlegte. Noebe hatte ihn enttarnt und aus dem Arbeitskreis verjagt, doch das machte ihn selber noch verdächtiger, eine antisowjetische Untergrundorganisation aufgezogen zu haben. Er sollte die Namen seiner Helfer und Helfershelfer nennen. Noebe weigerte sich. Ein Verhör nach dem anderen mußte erfolglos abgebrochen werden. Anscheinend konnte dieser Konterrevolutionär nur durch eine Sonderbehandlung zum Reden gebracht werden.

 

Sie bestand in einem Monat schwerem Karzer. Noebe wurde nackt in eine Betonhöhle hineingestoßen, deren Temperatur unter dem Gefrierpunkt lag. Er konnte bestenfalls auf den Fersen hockend schlafen. Eine ständig glühende starke Birne brannte ihm beinahe die Augen aus. Die Ernährung war auf das äußerste Minimum reduziert.

 

Der Vernehmungsoffizier hatte Noebe 8 Quartbogen und einen Bleistift mitgegeben. Doch statt ein Geständnis schrieb er darauf in winziger Schrift seinen Roman "Hakon Tornquist". Den Schweren Karzer überstand er im festen Glauben an die Wahrheit und Sieghaftigkeit der Lehre Silvio Gesells. Ohne diesen sozialreligiösen Glauben wäre der Hirnverletzte in der eisigen Betonzelle höchstwahrscheinlich zugrundegegangen.

 

Das Hohe sowjetische Militärgericht verurteilte Will Noebe zu dreimal 25 Jahren Zwangsarbeit. Das kam einem Todesurteil gleich. Es bestand keine Aussicht, jemals wieder freigelassen zu werden. Dennoch blieb Noebe zuversichtlich. Im Zuchthaus Bautzen ermutigte er seine Leidensgenossen durch Gedichte, Vorträge und sonntägliche Feierstunden. In Sibirien mit Berufsverbrechern zusammengeworfen, gewann er sogar deren Achtung, statt daß sie ihn beraubten und erschlugen. Die Lageradministration sah nach siebeneinhalb Jahren ein, daß sie den Unbeugsamen entweder erschießen oder freilassen mußte. Selbst in Sibirien warb und gewann er neue Anhänger Silvio Gesells, mit denen er freiwirtschaftliche Zukunftspläne schmiedete.

 

Nach seiner Entlassung und Rückkehr mußte Will Noebe zum 4. Mal aus dem Nichts beginnen. Er gründete wieder einen Verlag. Der Berliner Freundeskreis war dezimiert, das Verlagsbüro von NKWD-Mitarbeitern geplündert. Doch letzte Freunde hatten 800 Adressen und eine Schreibmaschine gerettet. Noebe setzte sich hin und verfaßte einen achtseitigen Rundbrief, den er in 10 000 Exemplaren verschickte, darunter an etwa 200 Haftkameraden, die er in Gefängniszellen und Arbeitslagern "mit der freiheitlichen Sozialordnung (Silvio Gesells) bekanntgemacht".

 

Das war die erste Veröffentlichung des neugegründeten Verlags, ermöglicht durch einen Vertrauenskredit des Druckers. Sie erbrachte einen Lesergrundstock für die Neuherausgabe der Zeitschrift "Telos" - und den "Ansporn, die Arbeit auch aus dem faktischen Bettelzustand herausfortzusetzen". (16) Der Neue Bund, dessen Leitung Karl Walker während Noebes erzwungener Abwesenheit übernommen - am 4.12.1952 hatte in Berlin-Charlottenburg sogar ein Bundestag stattgefunden - wurde reaktiviert. Er scheint aber nie über 80 -100 Mitglieder hinausgekommen zu sein und blieb nunmehr auf Westberlin beschränkt.

 

Lautenbachs Freiwirtschaftsbund hatte erklärt: "Wir bauen die freie Welt von morgen!" Dem setzte der Neue Bund entgegen:

 

"Die Welt von morgen beginnt heute!" Und er fuhr fort: "Nur Narren lernen nicht aus der Erfahrung. Die Erfahrung der Menschheit ist ihre Geschichte. Immer wieder senkt sich ihre Waage, jedes Abwärts der Untergang einer Kultur. Gewogen also und zu leicht befunden?

 

Der Mensch ist kein mißlungenes Experiment der Geschichte. Mißlungen sind bis heute allein seine Experimente, sich eine seiner Natur gemäße Ordnung des Zusammenlebens zu schaffen. Daher blieb er der Macht und ihrem Mißbrauch überantwortet. . . Die Risse im Fundament erkennen, ist daher das Erste, das Wesentliche, das Zweite, die Mauer des absichtvollen Schweigens zu brechen, das verächtliche Geschwätz zu beenden, den Protestierenden und Hungernden das Ziel zu weisen . . . "

 

Dieser Aufruf des Neuen Bundes wurde in 10 000 Exemplaren verbreitet. Sein Vorstand setzte sich nun aus folgenden Personen zusammen:

 

Vera Bauer

Will Noebe

Paul Diehl

Felix Rochalski

Herbert Hahn

Hermann Speelmann

Emmy Wagner

 

Noebe faßte die Freiwirtschaft sowohl selbsthelfend als auch esoterisch auf, praktisch und seelenkundlich zugleich. Gesell hatte für ihn den Umriß eines neuen Weltbildes geschaffen, "welches wir in den Grundlagen bereits i n u n s gestaltet haben und das es nunmehr auszubauen gilt". Die Natürliche Wirtschaftsordnung war für ihn zunächst eine innerliche, seelische Struktur. Sie müsse aus der Seele herausgesetzt und in der Außenwelt nach dem inneren Modell erbaut werden. Dagegen wehren sich die Bequemlichkeit und die Trägheit, auch in den Freiwirten selbst. Die Freiwirtschaft "entsteht nicht kampflos in uns". Das Leben sei stets ein Überwinden von Gegensätzen. Aber gerade daraus erwachse jene innere Reife, auf die das äußere Fundament der Natürlichen Lebensordnung sich stützen muß.

 

Martin Buber sagte einmal, in allen Kämpfen stünden sich heute zwei Menschengruppen gegenüber. "Solche, die die ,Verhältnisse' bessern wollen und andere, die den ,Menschen an sich' bessern wollen. "Es gab diese beiden Gruppen auch in der NWO-Bewegung, Lautenbach und Batz gehörten zur ersten, Noebe zur zweiten, obwohl er durchaus dazu neigte, an beiden Enden zugleich anzusetzen.

 

 

 

 

 

 

Die interzonale Zusammenarbeit und der Menschheitsbund

 

Am 19.8.1946 fand eine erste interzonale Besprechung in Ludwigsburg statt. Es erschienen dazu 20 Freiwirte aus den drei Westzonen. Aus der sowjetischen Besatzungszone hatte niemand kommen können. Aber auch der Zentralausschuß der Radikal-Sozialen Freiheitspartei (RSF) war nicht vertreten. Er hatte mit der durchsichtigen Begründung abgesagt, die Einladungsfrist wäre zu kurz gewesen und man hätte sich vorher über die Tagesordnung einigen müssen. Trotzdem kam es zu einer fruchtbaren Aussprache. Es wurde angeregt, in der französischen Zone ebenso zu arbeiten wie in der amerikanischen, womit sich Hein Beba und Friedrich Brobeck einverstanden erklärten.

 

Die zweite interzonale Beratung am 15.12.1946 sollte in einem größeren Rahmen stattfinden, jedoch kamen nur 17 Freiwirte. Dafür hatte diesmal auch die RSF Delegierte geschickt: Richard Batz, Alois Kokaly und Albert Leckebusch aus der britischen Zone, ferner Paul Knickenberg als Vorsitzender der Kölner RSF. Vom Freiwirtschaftsbund der amerikanischen Zone waren Otto Lautenbach, Paul Diehl, Hanna Blumenthal-Führer und Otto Schiefer da, außerdem als ,Gäste und technisches Personal' Paul Jahnsohn, Kurt Sellin und Ernst Winkler. Aus der französischen Zone kamen Hein Beba, Friedrich Brobeck, Herbert Haaf, Diether Vogel und Wilhelm Bäurle. Der letztere wurde einstimmig zum Verhandlungsleiter gewählt. Das Ergebnis der 2. Tagung war die Einigung, einen Interzonalen Ausschuß zu bilden, der möglichst bald konstituiert werden sollte.

 

Ein 3. Treffen fand am 23.3.1947 in Köln statt. Zuvor hatte die RSF eine scharfe Erklärung gegen die Warenmarkaktion des FWB veröffentlicht, die theoretisch unfundiert und ohne ihr Einvernehmen in Gang gesetzt worden sei, weshalb sie sofort zurückgezogen und jegliche Propaganda dafür eingestellt werden müsse. "Sollte der Freiwirtschaftsbund dieser Erwartung nicht stattgeben, würde sich der Zentralausschuß der RSF zu seinem Bedauern gezwungen sehen, das bereits angenommene Abkommen über die interzonale Zusammenarbeit wieder zu kündigen." (7)

 

Diese ultimative Erklärung wurde durch eine offizielle Antwort des FWB-Bundesvorstands zurückgewiesen und die Warenmarkaktion in persönlichen Briefen richtiggestellt.

 

Nach Köln kamen Batz, Sonnenschmidt und Thielen von der RSF, Lautenbach, Hoch und Dr. Diehl vom FWB, Beba und Rapp vom Freiwirtschaftsbund der französischen Zone, als ,Gäste' Hamelbeck, Hoffmann, Kierdorf, Zitter, Dr. Winkler, Knickenberg und zeitweise Heinrich Schwab. Als Verhandlungsleiter wurde einstimmig Karl-Heinz Sonnenschmidt gewählt.

 

In dem Protokoll von Dr. Winkler heißt es: "Zu Beginn der Sitzung ließen die Delegierten der RSF durchblicken, daß die persönliche Zusammensetzung des Bundesvorstands oder wenigstens der Delegierten des Freiwirtschaftsbundes in der amerikanischen Zone die Zusammenarbeit erschwere. Auf Dr. Diehls Aufforderung zu offener Aussprache erhoben Richard Batz und Peter Thielen Einwände gegen die Person Lautenbachs. "

 

Lautenbach bestritt die gegen ihn erhobenen politischen Vorwürfe energisch. Winkler, Hoch, Schwab und Knickenberg traten ihm zur Seite. Die Zumutung der RSF-Delegierten wurde als unberechtigte Einmischung in die inneren Angelegenheiten des FWB abgelehnt. Worauf die 3. Tagung in eine sachliche Beratung eintrat. Der Interzonale Ausschuß wurde konstituiert, jedoch behielt sich die RSF die Ratifizierung dieses Abkommens durch ihren nächsten Parteitag vor.

 

In die internationale Zusammenarbeit einbezogen werden wollte unerwartet der Menschheitsbund Bremen (den es schon vor 1933 gegeben hatte und der damals vom FKB als ,Verwandte Bewegung' bezeichnet worden war). Bereits 1945 von der englischen Militärregierung genehmigt, strahlte er nach Hamburg, Ostfriesland und Hannover aus. Nun bestand sein Ziel in der "Vereinheitlichung der Freiwirtschaftsbewegung durch Gründung einer umfassenden Organisationsform". An seiner Ostertagung 1947 nahmen je 1 Vertreter des FWB (Lautenbach), der RSF (Junge) und des Neuen Bundes (Noebe) teil. Am nähesten stand der Menschheitsbund dem Neuen Bund; er schlug vor, diesen Namen auch der umfassenden NWO-Organisation zu geben.

 

Otto Lautenbach äußerte Bedenken. Auf diesem Wege könne die bedauerliche Zersplitterung der deutschen Freiwirtschaftsbewegung kaum überwunden, durch das Hinzutreten einer weiteren Organisation nur vertieft werden. Der einzige derzeit praktisch mögliche Weg zur Vereinheitlichung der NWO-Bewegung führe über den Interzonalen Ausschuß. Diese These setzte sich in einer längeren Aussprache allgemein durch. Der Bremer Menschheitsbund wurde in den Interzonalen Ausschuß aufgenommen und durch ihn erweitert. Außerhalb blieben jedoch der NWO-Bund Rudolf Zitzmanns und der Neue Bund (insbesondere wegen der besonderen Lage Berlins).

 

Der RSF-Parteitag ratifizierte das Abkommen nicht. Kaum konstituiert, hing der Interzonale Ausschuß in der Luft. Zur Vereinheitlichung der NWO-Bewegung war er außerstande. Ihre weitere Entwicklung und Degeneration verlief über die verschiedenen Organisationen. Erst mit der Freisozialen Union schien sich eine Konzentration zu vollziehen. Doch in Berlin bestanden 1957 drei NWO-Organisationen nebeneinander: der Neue Bund, die FSU und ein besonderer Freiwirtschaftsbund, gebildet von unabhängigen Freiwirten.

 

 

 

 

 

 

 

Die Radikal-Soziale Freiheitspartei (RSF)

 

In der britischen Besatzungszone entstanden nicht weniger als fünf freiwirtschaftliche Parteien. Ihre weitere Entwicklung wurde von der stärksten und lebenskräftigsten bestimmt.

 

Richard Batz, der im Fisiokratischen Kampfbund eine große Rolle gespielt hatte, verwarf nun die Bundesreform. Gemeinsam mit Alois Kokaly und Peter Thielen (der zunächst Bedenken gehabt), gründete er am 27.1.1946 in Düsseldorf die Radikal-Soziale Freiheitspartei (RSF). Dies war der Kern, um den sich die anderen vier Parteien ansetzten. In der RSF gingen sie allesamt auf. Aus einer lokalen Gründung breitete sich diese durch ihre Aufsaugung in der gesamten britischen Zone aus. Aufgesaugt wurden:

 

die Radikal-Sozialistische Freiheitspartei (Bottrop),

die Freiwirtschaftliche Partei (Aurich),

die Deutsche Friedenspartei (Köln) und

die Freiwirtschaftspartei (Solingen).

 

Der Vereinigungsparteitag fand bereits im Februar 1946 statt. Er beschloß ein Zielprogramm, das folgende Forderungen verkündete:

 

1. Überwindung aller Absatzstörungen und der Arbeitslosigkeit durch Einführung des Freigelds.

 

2. Überführung des unverdienten Zinseinkommens privilegierter Nutznießer in die Löhne und Gehälter der Schaffenden.

 

3. Freiland für alle und Aufhebung der privaten Grundrente, die den Müttern entsprechend ihrer Kinderzahl gehört.

 

4. Ausschaltung des Staates aus allen wirtschaftlichen und persönlichen Angelegenheiten einschließlich der Ehe.

 

5. Abbau des Staates und Durchführung aller noch verbleibenden öffentlichen Aufgaben durch eine demokratische Selbstverwaltung.

 

6. Sicherung des Friedens durch völlige Freizügigkeit der Menschen und Güter.

 

 

Entsprechend der NWO-Tradition erwog die RSF zwar noch immer die Verstaatlichung des Grund und Bodens, jedoch sollte für jene Bauern, die ihren Acker selbst bebauten, eine Ausnahme gemacht und das Privateigentum beibehalten werden können. Das war ein großer und mutiger Schritt über das Sozialisierungsschema hinaus. Es stand zu erwarten, daß er bei rechtgläubigen Freiwirten vom Typus Bertha Heimberg auf Widerspruch stoßen würde.

 

Mit diesem Programm beteiligte sich die RSF 1946 an den ersten Wahlen in der britischen Besatzungszone. Ihre Versammlungswelle erreichte auch die kleine Industriestadt Peine, in der ich damals lebte. Ich erinnere mich noch an ihre Plakate. An der Peiner RSF-Versammlung nahmen etwa 450 Hörer teil. Der Referent sprach gut und vor einem vollen Saal, aus dem keinerlei Zwischenrufe kamen. Doch die Rede lief ihm allzuglatt aus dem Mund. Er dozierte wie vor Studenten. Mir schien als ob er die komplizierten Nachkriegsverhältnisse ungebührlich vereinfache. Freigeld und Freiland sollten genügen, um Kriege und Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und Inflation ein für alle Mal zu verhindern, was von heute auf morgen möglich sei.

 

Aber wenn das so einfach und genial war, warum hatten sich dann die freiwirtschaftlichen Forderungen nicht längst durchgesetzt? Der Redner sprach von einem gewissen Silvio Gesell, der sie längst einwandfrei und wissenschaftlich begründet. Ich hatte, wie wohl die meisten Versammlungsbesucher, diesen Namen noch nie gehört oder gelesen. Niemand meldete sich zur Diskussion oder stellte eine Frage. Alle waren stumm und irgendwie betroffen. Es brach ein geradezu peinliches Schweigen aus, wie ich es noch in keiner Versammlung erlebt hatte. Sonst ging es bei politischen Veranstaltungen ja immer recht lebhaft zu. Doch der RSF-Redner hatte uns irgendwie eingeschüchtert, wohl durch seinen Anspruch auf unumstößliche Wahrheit und Wissenschaftlichkeit. Gegen seine Argumente konnte es keinen Widerspruch geben. Sie schienen unwiderleglich, aber dennoch nicht realisierbar. Der einleuchtenden Theorie standen offenbar unüberwindbare Hindernisse entgegen. Mit diesem Gefühl verließ ich die Wahlversammlung.

 

Die RSF hatte sich einen wissenschaftlichen Beirat gewählt, der ihrer Politik den Anschein äußerster Gründlichkeit geben sollte. Im August 1946 legte er ein provisorisches und höchst umfangreiches Sofortprogramm vor, das nicht weniger als 31 Seiten bedeckte. Die Präambel rechnete mit dem Dritten Reich unter dem Gesichtspunkt eines "Finanzskandals" ab, da sich der Bargeldbestand auf das 20-fache erhöhte. Das Hitler-Regime habe den größten Teil des deutschen Volksvermögens "nutz- und sinnlos vergeudet". Dann hieß es: "Der frivole Versuch, die im ehrlichen Wettstreit errungene Größe des deutschen Volkes durch Verführung und Terror zum überheblichen Weltherrschaftsanspruch zu steigern, hat uns in eine verzweifelte Lage gebracht. Nur die kälteste Entschlossenheit, aus den unabänderlichen Tatsachen die . . . notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen, kann den vom Krieg hinterlassenen wirtschaftlichen Zustand überwinden." Das Sofortprogramm verlangte:

 

1. Ungerechtfertigte Kriegs- und Schiebergewinne müssen vorab abgeschöpft werden.

 

2. Ordnung der Geldverwaltung, u. a. durch "Erfassung der illegalen Bargeldbestände".

 

3. Gerechte Verteilung des Geldes.

 

4. Stabilisierung der Reichsmark.

 

5. Fundierung der öffentlichen Schulden.

 

6. Ausgleich des Staatshaushalts.

 

 

Alle Zahlungsmittel sollten mit einer Frist von 14 Tagen aufgerufen und möglichst bald in umlauffeste umgetauscht werden.

 

Barabhebungen in neuen Noten müßten beschränkt sein:

 

"a) für Löhne und Gehälter bis zum Höchstbetrag von monatlich 200 Mark für jeden Lohn- und Gehaltsempfänger, zuzüglich 50 RM für jede Person, die von ihm unter halten wird;

 

b) die gleichen Beträge für den persönlichen Bedarf der Nicht-Lohn- oder Gehaltsempfänger;

 

 c) für Sonderzwecke auf Grund besonderer Genehmigung". (18)

 

Die Neuausgabe der Noten und sonstigen Geldzeichen sowie die laufende Regelung des Geldumlaufs sollte durch ein zu schaffendes Währungsamt erfolgen. Um der Durchkreuzung seiner währungspolitischen Maßnahmen entgegenzuwirken, sei eine Geldsteuer in Höhe von monatlich 1 % einzuführen (also jährlich von 12 %) und fortlaufend auf jeden einzelnen Geldschein zu entrichten (durch Aufkleben von Steuermarken oder Barzahlung).

 

Durch Anpassung der Geld-Umlaufmenge an die Warenmenge hoffte die RSF, wieder eine freie Lohn- und Preisbildung zu ermöglichen und jegliche Preisüberwachung überflüssig zu machen. Die Zwangswirtschaft müsse radikal abgebaut werden.

 

Batz glaubte, die politische Macht durch den Stimmzettel erobern zu können. In Hamburg erhielt die RSF bei den Wahlen von 1946 jedoch nur 20034 Stimmen - 0,07 %. Dabei hatte sie in dieser Stadt, die eine ihrer Hochburgen war, 1200 Mitglieder. In dem Dorf Sebexen (bei Osterode) erhielt sie hingegen 52 % der Stimmen, jedoch nur, weil ihr Kandidat ein sehr beliebter Lehrer war. Insgesamt wurde die RSF von den Wählern bitter enttäuscht.

 

Sie gab eine kleine Schriftenreihe und die Wochenzeitung "Der freie Mensch" heraus. Um 1948 auch ein Historisch-politisches Handbuch, das zu den schönsten Blüten der NWO-Literatur gehört. Es wurde allerdings nur als Manuskript gedruckt. Doch ist es noch heute staunenswert, mit welchem Fleiß darin die verschiedensten politischen, sozialen und geistigen Strömungen der Vergangenheit aufgearbeitet wurden. Es stellte insbesondere die geschichtliche Entwicklung des Liberalismus und der sozialen Bewegung dar, enthielt auch ein indirektes Bekenntnis zum Universalismus Othmar Spanns. Jedoch brachte die RSF es weder zu einem eigenen Verlag noch zu einer eigenen Zeitschrift.

 

Darüber erregte sich Richard Batz auf dem 2. Parteitag am 13. Juni 1948 in Hamburg. Die Schuld daran gab er einer widersinnigen Demokratie, dem politischen Ränkespiel derselben Parteirichtungen, die das deutsche Volk der NS-Diktatur ausgeliefert und ins Unglück hineingetrieben hätten. Nun erschleichen sie sich das Privileg für die Wahrnehmung der allgemeinen Belange. "Die Presse wurde für die alten Parteien mit Beschlag belegt." Solch eine ,Demokratie' könne keinen Bestand haben. Sie werde in dem Augenblick zusammenbrechen, da die Besatzungstruppen abzögen.

 

Richard Batz sprach auf diesem Parteitag vom Aufstieg zu einem neuen und reineren Menschentum, sobald es gelungen sei, das Führerhaus derer aufzubrechen, die zu irrsinnigen Vernichtungsmitteln ihre Zuflucht nehmen wollten. Der Kommunismus habe seinen Höhepunkt überschritten, aber auch der Westen lebe in einer vorsintflutlichen Gesellschaftsform, welche allein durch die Gesellschen Reformen modernisiert werden könne. Auf jeden Fall hatte Batz immer weltpolitische, wenn nicht weltrevolutionäre Perspektiven parat, die er wie Eierkuchen in die Luft zu werfen und zu wenden pflegte. Einige Altfreiwirte haben ihn mir gegenüber eine ,charismatische Persönlichkeit' genannt.

 

Bei den Bundestagswahlen von 1949 erhielt die RSF in der britischen Zone, in Bremen und Stuttgart 217 267 Stimmen. In Bremen, wo sie im Juli 1947 einen Landesverband gründen konnte, war es ihr allerdings im Vergleich zur letzten Senatswahl gelungen, ihren Stimmenanteil zu verdreifachen. Dies wurde propagandistisch gehörig ausgeschlachtet, konnte aber über den sonstigen Mißerfolg nicht hinwegtäuschen. Als politische Partei hatte die RSF im Grunde schon ausgespielt.

 

Richard Batz hielt sie jedoch für die Avantgarde ganz Europas. In ihrem Namen bekannte er sich zur Gewaltlosigkeit. Die NWO sei das Licht der Welt:

 

"Eine wirklich befreiende und reinigende Idee, eine saubere Schlussfolgerung menschlicher Vernunft bedarf der Gewalt zu ihrer Verbreitung nicht. Sie wird sich im Streite der Geister die Herzen und Köpfe der Menschen erobern, bis jeder Widerstand gegen sie sinnlos wird, bis einfach kein anständiger Mensch mehr bereit ist, sich für dunkle Interessen einzusetzen, die das Licht wirklicher Erkenntnis nicht vertragen können." (19)

 

Die RSF sollte die Partei aller anständigen Menschen gegen die Dunkelmänner des 20. Jahrhunderts sein. Ihr Hauptfeind sei der Kommunismus, dessen wahres Gesicht in der Zuflucht zu Demagogie und Gewalt zutage trete. Er könne die ganze Welt und das deutsche Volk in seinen Untergang mit hineinreißen. Für den umgekehrten Fall, daß sich die Menschheit noch rechtzeitig zur NWO bekehren lasse, verhieß ihr Batz eine kulturelle Blüte ohnegleichen. Die KPD bilde den äußersten rechten Flügel, die RSF den äußersten linken Flügel der deutschen Parteien. Einige Freiwirte bemerkten dazu sarkastisch: "Radikalsozialismus und Nationalsozialismus sind nur feindliche Zwillingsbrüder." Sie hatten kein Verständnis für die Eigenart der RSF.

 

Zwischen der RSF und dem FWB entspann sich ein harter Konkurrenzkampf. Beide sprangen aus ihren Besatzungszonen auch in die anderen über. So rief der FWB seine Freunde in der britischen Zone ebenfalls zur Gründung des Bundes auf, wogegen die RSF heftig protestierte. Sie versäumte aber nicht, sich auch in Stuttgart zu organisieren, und veröffentlichte einen Aufruf: "RSF für ganz Deutschland". Beide Seiten wollten alle Freiwirte vereinigen und spalteten sie doch.

 

Allerdings gab es 1947 den Versuch, einen Zentralausschuß der deutschen NWO-Bewegung zu bilden, der alle freiwirtschaftlichen Bestrebungen koordinieren, Meinungsverschiedenheiten klären, Vorschläge austauschen und zur Entscheidung wichtiger Fragen eine wissenschaftliche Kommission wählen sollte. An diesem Versuch wirkten mit: Helmut Haacke vom FWB, Karl Walker vom Neuen Bund, Rudolf Zitzmann vom NWO-Bund und Bernhard Hamelbeck von der RSF. Obwohl für den Zentralausschuß bereits ein Satzungsentwurf vorlag, ist daraus nichts geworden.

 

Daß die RSF von der öffentlichen Meinung ernst genommen wurde, zeigte ein Artikel des Hamburger Journalisten Karl-Heinz Beuershausen über ihre Ziele. Ihr Vorschlag die Wirtschaftslähmung durch ,Kreditsteuerung' zu überwinden, gleiche jedoch dem Versuch, ein Auto zu steuern, dem man die Räder gestohlen. Ihre Absicht, das gehortete Geld durch neue Banknoten zu ersetzen, führe zur Inflation, wenn eines Tages die gehorteten Gelder panikartig auf den Markt zurückströmen. Der Arbeitszwang, den sie über ein ,Zentralwirtschaftsamt' einführen wolle," führt zur bolschewistischen Sklaverei". (20)

 

Richard Batz verfaßte einen Rundbrief an alle Parteimitglieder, um diese gegen solche Argumente zu immunisieren. Die RSF setze sowohl die soziale als auch die liberale Bewegung fort. "Ursprünglich waren diese Bestrebungen eins. Erst der marxistische Irrtum hat sie auseinandergerissen. Die Freiwirtschaft fügt sie wieder zusammen." (21)

 

Aber ein Teil der Parteimitglieder wolle offenbar die marxistische Klassentheorie noch enger fassen als die Kommunisten. Er äußerte sich hochmütig über Intellektuelle und Akademiker. Diese würden jedoch in die RSF gar nicht aufgenommen. Am hoffnungsvollsten für die Radikal-Soziale Freiheitspartei war, daß sie viel jugendlichen Zuspruch hatte. Sie gründete einen Freisozialen Jugendverband.

 

Die RSF warb hauptsächlich um die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge aus den Ostgebieten. Schon die nächsten Wahlen würden ihnen Gelegenheit geben, ihre Macht mit dem Stimmzettel in die Waagschale zu werfen.

 

Im Januar 1950 legte die Radikal-Soziale Freiheitspartei auch ihr neues Aktionsprogramm vor: "zur Befreiung des deutschen Volkes aus einer unhaltbaren Lage" sowie zur Überwindung der "durch Währungsschwindel und Spargutverschiebung hervorgerufenen unmenschlichen Not der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge . . . "

 

Eine vierköpfige Delegation der RSF, bestehend aus Richard Batz, Alois Kokaly und zwei anderen Mitgliedern des Parteivorstandes, nahm Gespräche mit dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) auf. Es kam zu einer Vereinbarung für die bevorstehenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Sie wurde aber kurz darauf vom Vorsitzenden des BHE widerrufen. Trotzdem veröffentlichte die RSF-Zeitung am 30.4.1950 einen auch von den BHE-Vertretern Dr. Baur und Dr. von Rheinbaben unterzeichneten Aufruf an alle Heimatvertriebenen und Entrechteten, welcher den Eindruck erweckte und erwecken sollte, der gesamte BHE stünde dahinter.

 

Die RSF klagte an, allein in Schleswig-Holstein gebe es 494 ,Elendslager' für Flüchtlinge und Heimatvertriebene, für ein einziges Arbeitsamt wären jedoch 600000 DM bewilligt, um einen weiteren ,Büropalast' zu errichten.

 

Den Entrechteten zuliebe wurde Punkt III/6 des neuen Aktionsprogramms revidiert, das die "Umwandlung der ehemals deutschen Gebiete in internationales Freiland unter dem Protektorat der UNO" gefordert. Nun war von der "Verwirklichung des völkerrechtlichen Anspruchs jedes Menschen auf seine angestammte Heimat und sein Eigentum" die Rede. "Der Weg zurück in die alte Heimat" sei eine Volksabstimmung unter den Heimatberechtigten über ihre endgültige Staatsangehörigkeit nach dem Vorbild der Saarabstimmung von 1935. Bis dahin sollten die umstrittenen Gebiete einer internationalen Verwaltung - nicht mehr der polnischen - unterstehen.

 

Hein Beba, der die Tradition des Freiwirtschaftlichen Jugendverbandes eingebracht und fortgeführt hatte, legte im Januar 1950 den FSJ-Vorsitz nieder. Abgelöst durch Fredi Kürten, zog er sich auf den Posten des Auslandsreferenten zurück. Beba war mit der RSF unzufrieden. Am 15.8.1950 schrieb er an Artur Rapp: " . . . ich nehme die Namensfrage nicht mehr allzu tragisch, die Hauptsache, das RSF kommt weg".

 

Zahlreiche Freiwirte, darunter einige der aktivsten, traten zu Richard Batz in Opposition. Die RSF wurde sowohl wegen ihres Namens als auch wegen ihrer Politik in Frage gestellt.

 

Ihr letzter Parteitag fand im September 1950, nach Ausbruch des Korea-Krieges, in Bielefeld statt. Batz hielt eine rein außenpolitische Einführungsrede, worin er die eigentliche Schuld am Korea-Krieg dem ,Kapitalismus' zuwies. Ob es den Kommunismus gebe, sei dafür nicht ausschlaggebend; falls er verschwinde, werde man einen anderen Feind erfinden, der zu bekriegen sei. Aus dem Kapitalismus werde auch der Dritte Weltkrieg wie die Pflanze aus der Knospe brechen. Doch der Endsieg sei den Freiwirten sicher.

 

"Wenn die Welt nicht vom Zufall regiert werden soll, wenn in der ganzen Weltentwichlung noch ein höherer Sinn ist, dann kann es gar nicht ausbleiben, daß die Vernunft, die mit Silvio Gesell einmal in die Weltgekommen ist, dann auch siegt!" (25)

 

Batz appellierte an den Einheitswillen der Freiwirte. Er wollte ein gutes Beispiel geben. In Bielefeld verschmolzen drei NWO-Parteien:

 

- die Radikal-Soziale Freiheitspartei

- die Freie Soziale Partei, gegründet in der französischen Zone

- die Soziale Freiheitspartei, hervorgegangen aus einer Opposition im Freiwirtschaftsbund.

 

Das Ergebnis der Vereinigung war die Freisoziale Union (FSU).

 

 

 

 

 

 

Die Freiwirtschaftsbewegung FdFF Bertha Heimbergs

 

Bertha Heimberg hatte die Arbeiter und Angestellten innerhalb des Weimarer Freiwirtschaftsbundes vertreten, der sie 1929 zu seiner Geschäftsführerin erwählte. Silvio Gesell sah in ihr eine Gewähr.

 

Sie wurde jedoch im Nachhinein scharf kritisiert. Hans Schumann schrieb mir: "Bertha Heimberg beherrschte den Freiwirtschaftsbund ziemlich selbstherrlich und verhinderte die Bildung einer eigenen politischen Partei." (26) Für Hans-Joachim Führer war sie rechthaberisch und eitel. In Werner Schmids Gesellbiographie wird Bertha Heimberg als eine geschwätzige und zudringliche Person abgefertigt, die sich Gesell am liebsten an den Hals geworfen hätte und der sie sich auf ironische Weise vom Leibe zu halten wußte. Durch seine Korrespondenz mit ihr schwingt jedoch ein warmer Ton. Er verglich Bertha Heimberg mit Rosa Luxemburg: Dazu fehlte es ihr freilich noch an theoretischem Schliff und revolutionärer Erfahrung, wenngleich nicht an rhetorischem Talent und an verwegenem Mut. Fünf Jahre kämpfte sie im Untergrund gegen das braune NS-System.

 

Als die nationalsozialistische Diktatur samt ihren Plänen zur Hochzüchtung der germanischen und nordischen Rasse endlich zerschlagen war, beobachtete Bertha Heimberg von London aus mit größter Aufmerksamkeit, was sich in Deutschland tat. Sie folgte jedem Schritt der RSF und des neuen FWB.

 

Am kritischsten der RSF gegenüber, da eine Freiwirtschaftspartei nach wie vor verfehlt sei, unterzog sie erst deren Zielprogramm, sodann auch ihr Sofortprogramm einer scharfen Kritik. Die darin enthaltenen Fehler und Abbiegungen vom geraden Kurs der Freiwirtschaftsbewegung würden sich bitter rächen "und ohne Zweifel zum Versagen der Gesellschen Entdeckungen" führen.

 

Die RSF ersetze das Freigeld durch eine Geldsteuer - da dürfe man sich nicht wundern, wenn der Finanzminister eines Tages den Schwundsatz nach den Bedürfnissen der Staatskasse festsetze. Wird das Privateigentum an Grund und Boden für Bauern erlaubt, wie es die RSF vorhabe, so müßte das gleiche Zugeständnis dem Hausbesitzer, dem Handwerker für seine Werkstatt, dem Unternehmer für seine Fabrik gemacht werden. "Was bleibt dann noch für Freiland übrig?" Nur das verschuldete Grundeigentum. Und was bliebe für die Mütterrente? Nichts.

 

Kurz darauf kehrte Bertha Heimberg nach Deutschland zurück und trat dem Freiwirtschaftsbund bei, dessen Vorstand sie ihre Mitarbeit anbot. Er nahm das widerstrebend und sehr kühl zur Kenntnis. Otto Lautenbach vertrat die Spitzenlinie der Beeinflussung führender Persönlichkeiten, Bertha Heimberg die Massenlinie einer Volksbewegung von unten. Dieser Gegensatz führte zu starken Spannungen. Der Bundesvorstand löste sie dadurch, daß er die Widerstandskämpferin 1950 aus dem FWB ausschloß.

 

Sie war jedoch voller Tatendrang und einer Anhängerschaft sicher. Die Entrüstung über ihren Ausschluß veranlaßte eine Reihe von Freiwirten, deren namhafteste Finckh und Pfister waren, zum Austritt aus dem FWB. Mit ihnen gründete Bertha Heimberg die "Freiwirtschaftsbewegung FdFF" (Freiwirtschaft durch Freigeld und Freiland), welche den Anspruch erhob, eine jeglicher Bürokratisierung vorbeugende Organisationsform gefunden zu haben. Ihr kurzes Programm ging auf die Essentalien der Gesellschen Sozialreform zurück und wollte sie ohne Kompromisse mit dem neuen Zeitgeist realisieren.

 

Die Heimbergsche Organisation, welche auch als Freiwirtschaftsbewegung Deutschland e.V. in Erscheinung trat, war der Internationalen Freiwirtschaftlichen Union nicht angeschlossen. Anscheinend hat sie keinen Aufnahmeantrag gestellt. Ihr Aktionsradius war sehr begrenzt und kam über das Ruhrgebiet kaum hinaus. Als Periodikum veröffentlichte sie monatlich den "Freiwirtschaftlichen Zeitspiegel", der hauptsächlich kurze Kommentare enthielt. Bertha Heimberg schrieb einen Grundriß der Lehre Silvio Gesells. Sie versah das Vorwort Gesells zur 3. Auflage der NWO mit einer langen Einleitung, was wiederum eine Broschüre ergab. Außerdem ließ sie eine Neuauflage seiner zweiten Denkschrift für die Gewerkschaften drucken. Bertha Heimberg setzte ihr voran, daß die Wirtschaftskrisen, welche als Verfall des Kapitalismus angesehen würden, "in Wirklichkeit seine Gesundungszeiten" sind. "Ohne sie, bei ununterbrochener Fortsetzung der Konjunktur, müßte der Zins bei Null ankommen und auf diesem Wege automatisch die Zinswirtschaft überwinden." Dagegen kämen die Gewerkschaften nicht an. "Die Verzinsung des Kapitals ist ein Sperrgürtel, der keine oder nur kurzfristige Zugeständnisse zuläßt." (28) Die Gewerkschaften könnten jedoch durchsetzen, daß sich alle Löhne und Gehälter automatisch an den Großhandelsindex anpassen. Betriebliche Mitbestimmung würde sie hingegen in die kapitalistische Wirtschaftsordnung einflechten. Ihr Vertrauensverlust könne nur durch einen Befreiungskampf zur Sprengung des Geld- und Bodenmonopols wettgemacht werden. Ihr Sinn bestehe darin, den Kapitalismus durch die Freiwirtschaft zu überwinden.

 

Die drei Broschüren hatten sämtlich Taschenbuchformat. Sie wurden aus einem Gesell-Heimberg-Fond finanziert. Darüber hinaus veröffentlichte Bertha Heimberg ihre Briefe an 20 Staats- und Ministerpräsidenten. Sie hielt zahlreiche Vorträge, litt jedoch an einer schweren Zuckerkrankheit und starb am 28.4.66 in Essen.

 

Bertha Heimberg wollte die Freiwirtschaftslehre aus Überwucherungen retten und vor weiteren Deformationen schützen. Sie war durch und durch Puristin, auch in ihrem einfachen Lebensstil. Ihr Verzicht auf persönliches Glück machte sie bitter, in gewisser Hinsicht auch unerbittlich.

 

Bernhard Pfister war laut Hein Beba "ihr ergebenster Paladin", die rechte Hand Bertha Heimbergs, welche "durch ihre Arbeit sicherlich nicht zum Wohle unserer Bewegung beiträgt". (22) Diese Ansicht scheint typisch für viele Freiwirte gewesen zu sein. Schließlich wurde von anderen ein Komitee zur Ehrenrettung Bertha Heimbergs gebildet.

 

 

 

 

 

 

Die Freisoziale Union (FSU)

 

Äußerlich gesehen ist die Freisoziale Union problemlos aus einer Umbenennung der Radikal-Sozialen Freiheitspartei entstanden, die sich nur ein anderes Kleid zugelegt. Sie bekannte sich jedoch im Unterschied zu dieser sogleich zu einem Dritten Weg. Das ging mit einer Umgestaltung einher, welche von Hamburger Freiwirten eingeleitet wurde, insbesondere von Johannes Schumann.

 

Nur scheinbar gab es einen glatten Übergang von der einen zur anderen Partei. In Osterode hatte die RSF über 100 Mitglieder. Nach ihrer Umgestaltung fiel der Kreisverband - außer dem Ortsverband "zum Teil sehr starke Gruppen", "sang- und klanglos auseinander". (30) Das war kein Einzelfall. Der Osteroder Ortsverband verabschiedete eine Stellungnahme gegen die politische Linie der Freisozialen Union.

 

Die Freiwirtschaft sei die einzige Alternative zum Kapitalismus, der auch in den kommunistischen Ländern herrsche. Deshalb gäbe es keinen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, nur ein entweder-oder.

 

Diese Stellungnahme war hauptsächlich verfaßt von Hans Kühn, der aus Protest gegen die Politik der FSU eine Freiwirtschaftliche Bewegung gründete (aber nur wenige aktive Mitarbeiter fand). Seines Erachtens maßen viele Freiwirte dem kommunistischen Experiment allzugroße Bedeutung zu, obwohl sein Kernstück die Beibehaltung des Dauerwertgeldes sei. Wie Kühn wollten auch andere RSF-Mitglieder nicht in die FSU übernommen werden. Die RSF hatte rund 5000 Mitglieder, wahrscheinlich entzog sich ein Drittel davon der neuen Partei, in manchen Kreisverbänden sogar die Hälfte.

 

In Niedersachsen hatte es 80 Ortsgruppen der RSF gegeben. Alle wurden angeschrieben und um Abführung der Beiträge gebeten. Nur 13 antworteten, nur eine schickte etwas Geld, (2,- DM), nur zwei forderten Redner an. Der FSU-Landesgeschäftsführer Hermann Müller hatte sich einen Überblick verschaffen wollen, "wo noch gearbeitet wird". (31) Das Ergebnis war niederschmetternd. Nach anderthalb Jahren war die ehemalige RSF in Niedersachsen auf ein Drittel oder gar ein Viertel ihres früheren Bestandes zusammengeschrumpft.

 

Die FSU ging Listenverbindungen ein, weil sie Schwierigkeiten hatte, die nötige Zahl von Unterschriften für eine eigene Liste zu sammeln. So kam in Niedersachsen der Parteifreund Weeke auf einer Liste der Niederdeutschen Union in den Landtag, wo sie ihm einen Sitz im Wirtschaftsausschuß anbot. Viele FSU-Mitglieder erhofften nun Wunder, andere waren für Wachsamkeit, um das freiwirtschaftliche Gedankengut "nicht verunreinigen zu lassen". Sie verlangten, daß sich Weeke sofort nach der Wahl als FSU-Abgeordneter erkläre. Hermann Müller antwortete: "Laßt ihm doch Zeit. Er kämpft im Vorfeld".

 

Ende 1952 trat Richard Batz als Vorsitzender der FSU zurück, weil er die Mehrheit der Partei nicht mehr hinter sich wußte. Zum Nachfolger wurde Wilhelm Radecke gewählt, der 1933 den Rolandbund unter dem Hakenkreuz aufgezogen hatte.

 

Im September 1952 kam es zur Vereinigung der FSU mit dem Nauheimer Kreis um Professor Ulrich Noack. Der gemeinsame Block der Mitte stellte sich im Ulmer Manifest auf den Boden des Primats der nationalen Wiedervereinigung. Die deutsche Einheit sollte nun auch das ,Hauptanliegen' der FSU sein. Allzulange hätten sich die Jünger Gesells dem politischen Tageskampf ferngehalten, "um vom hohen Piedestal über das Alltagsgetriebe hinweg der Fernsicht zu fröhnen . . . Sie betonten das Ich und erstrebten die Menschheit, und in diesem Streben fand die Nation nur geringen Raum. Die Nation ist heute in Gefahr. Sie ist zweigeteilt und muß wieder zur Einheit werden. Dieses Gefahr macht uns heute zu nationalen Kämpfern und gibt uns den politischen Impuls, der unserem Ruf in den weiten, die Gefahr instinktiv erfassenden Kreisen unseres Volkes lauten Widerhall verschaffen soll". (32)

 

Prof. Noack, in den FSU-Vorstand kooptiert, übernahm für den Nauenheimer Kreis die freisozialen Forderungen nach einer Änderung des Geld- und Bodenrechts.

 

Seine konziliante Art ermöglichte im April 1953 ein Wahlbündnis mit der Gesamtdeutschen Volkspartei Gustav Heinemanns: GVP - Block der Mitte - FSU. Noack, eine eindrucksvolle Persönlichkeit, zog mit seinen öffentlichen Reden Tausende an, was die FSU als ihren Erfolg buchte; er verließ sie jedoch im Juni 1953, so daß auch die Essener Vereinbarung mit der GVP nicht mehr zum Tragen kam.

 

Die FSU stand wieder allein. Radecke gab Kurs auf ihren inneren Ausbau. Er vertröstete seine Parteifreunde auf eine neue revolutionäre Situation. Im Februar 1954 unterschied er das vorbereitende Wirken der FSU von ihrem späteren Durchbruch, der eine "Umsturzbereitschaft bei weiten Volksschichten" (33) voraussetzte, die dann auch genutzt werden müsse. Die vorbereitende Phase sollte durch Schulung, Ausbildung des Nachwuchses und Volksaufklärung ausgefüllt werden. Der Kaptalismus habe nur Vorfeldstellungen aufgegeben. Die maßgebenden Leute wollen sich nicht in Richtung Gesell entwickeln. Wirtschaftsminister Erhard nehme der Freiwirtschaft viel Wind aus den Segeln, doch "die Friedenssehnsucht gibt uns Propagandastoff". (34)

 

Werner Zimmermann warnte Radecke: "Alles, was parteimäßigen Anstrich hat, wirkt weithin abstoßend. Es führt dann zu Stagnation, Rückgang. Wir müssen die innere Kraft aufbringen, umzukehren". (35)

 

Radecke fuhr jedoch fort, Parteipolitik zu betreiben. 1955 steuerte er in Nordrhein-Westfalen einen Wahlpakt mit der Deutsch-Sozialen Union (DSU) Otto Straßers an, wiederum unter dem Primat der Wiedervereinigung, nunmehr mit nationalistischem Zungenschlag. Auch dieses Wahlbündnis platzte, bevor es in Kraft treten konnte. Damit war Radeckes Konzept der großen Sammlung endgültig gescheitert. Als 1. Vorsitzender der FSU wurde er von Albert Bartels abgelöst, unter dem die Rückbesinnung auf das soziale Anliegen der Partei und eine Neuorientierung begann. Der nationale Impuls trat allmählich wieder hinter den sozialen zurück.

 

Dieser Wandlungsprozeß wurde 1958 unter dem Vorsitz von Dr. Ernst Schröder stabilisiert. Der Einschnitt des Radecke-Kurses hinterließ jedoch eine tiefe Spur im Kollektivbewußtsein der FSU. Sie drückte sich in geringschätzigen Äußerungen über die deutsche Vergangenheitsbewältigung und die Entnazifizierung aus. Der Zweite Weltkrieg sei auf jene ausländischen Politiker zurückzuführen, die "Hitlers maßvolle Vorschläge" abgelehnt hätten; das "angebliche Tagebuch der Anne Frank" liefere keinen stichhaltigen Beweis für eine millionenfache Judenvernichtung. Solche Argumente gaben den Schweizer Freiwirten sehr zu denken. Wer das ,Schmach-Diktat' von Versailles und die zerbombten deutschen Großstädte beklage, sollte die zerbombte englische Stadt Coventry ebensowenig vergessen wie Dresden und Hamburg.

 

Die FSU nannte sich nun Partei der Demokratischen Mitte. Sie sei "in der Lage

 

1. das Problem des Machtmißbrauchs durch Machtverteilung aufzuheben,

2. die soziale Frage durch Sicherung des vollen Arbeitsertrages für alle arbeitenden Menschen zu lösen,

3. den Grundstein für ein freies Geistes- und Kulturleben zu legen". (36)

 

 

Zur Bundestagswahl 1965 trat die Freisoziale Union unter der Parole an: "Vollbeschäftigung ohne Inflation". Diesmal wollte sie sich in direkter Konfrontation mit den großen Parteien profilieren. Anscheinend glaubte ihr nunmehriger Vorsitzender Dr. Kurt Keßler, seine Partei habe ihr vorbereitendes Wirken hinter sich und sei in die Phase des Durchbruchs eingetreten. "Freisoziale Politik und freisoziales Denken sind entweder universell oder überhaupt nicht. Wir stehen unter dem Gesetz des alles oder nichts."

 

Das Ergebnis war katastrophal. Hatte die RSF bei den Bundestagswahlen von 1949 0,9 % der Wählerstimmen erhalten, so entfielen auf die FSU im Jahre 1965 0,0 % (lediglich 10.000 Stimmen).

 

Erwähnenswert ist auch, daß sich die FSU um die Lebensreformer bemühte und sie einzubinden versuchte. Georg Otto gründete einen Bund freisozialer Lebensreformer. Dieser Bund hat jedoch nach seiner Auskunft kein eigenständiges Leben innerhalb der FSU entfalten können.

 

Wie sah die Freisoziale Union 1966 im Spiegel eines kritischen Sympathisanten aus?

 

Dies läßt sich einer Art Denkschrift von Tristan Abromeit entnehmen.

 

Einer seiner ersten Eindrücke war, das Wollen der FSU-Mitglieder decke sich anscheinend nicht mit ihrem Handeln. Die FSU wirkte auf ihn wie eine Sekte mit dem Anspruch auf Alleinseligmachung, obwohl die Freiwirtschaft nur eine von mehreren Möglichkeiten sei, die anstehenden Probleme zu lösen.

 

"Die FSU-Mitglieder (auch andere freiwirtschaftliche Gruppen) haben um einen Kern wirtschaftstheoretischer Wahrheit eine feste Schale aus Mystik und Ignoranz geschaffen, die den Kern am Keimen und Wachsen hindert." (37)

 

Die Teilhabe an einer Wahrheit verführe die FSU zur Überheblichkeit und zu der Anmaßung, den Schlüssel zur Lösung aller gegenwärtigen und zukünftigen Probleme zu besitzen. Angeblich verhindern nur dunkle internationale Mächte ihren Erfolg, in Wahrheit Gruppen mit anders gelagerten Interessen "und die eigene Beschränktheit". Die FSU ist geistig isoliert. Sie betreibe ihre Politik hinter einem Rauchvorhang und verlange von ihren Mitgliedern ein Glaubensbekenntnis bezüglich der Freiwirtschaft. Rationale Argumente spielen innerhalb dieser Weltanschauungs-Gemeinschaft eine unbedeutende Rolle. Als politische Partei ein Gernegroß, verfüge sie über keinen Apparat, der ihr eine laufende Einflußnahme ermöglichen würde. Ihre Tabus untergrüben ihre Wirksamkeit, ihre Veröffentlichungen zeugten oft für Intoleranz und Aggression.

 

Dieses Urteil wurde nach fünfjähriger Beobachtung in kritischer Distanz gefällt. Trotz aller Schärfe war es wohlwollend. Ihr Urheber wollte die FSU geschmeidiger und schlagkräftiger machen. Er war selber ein Freiwirt.

 

Auf dem Bundesparteitag 1967 lag ein Antrag des Kreisverbandes Solingen vor, er möge beschließen, den Namen Freisoziale Union ab sofort (wieder) in Radikal Soziale Freiheitspartei abzuändern. Die "vornehme Tour der Anpassung an den Stil und das Gehabe der großen Parteien" habe der FSU nur geschadet und ihr Profil verwischt. Ein typisches Beispiel sei die Wahlparole von 1965 gewesen. "Nicht in der Anpassung liegt die Chance der Partei, sondern heute einzig und allein nur noch in der harten Provokation." (38)

 

Der Parteivorstand empfahl die Ablehnung dieses Antrags, der aus dem linken Flügel kam. Er drückte jedoch eine Stimmung aus, die auch in anderen Kreisverbänden zu gären begann.

 

 

 

 

 

 

 

Der Mensch ist in die Schöpfung hineingeboren -
Freiwirtschaftliche Christen (AfC)

 

Die freiwirtschaftlich-physiokratische Bewegung zwischen 1913 - 33 war so ausgeprägt sozialreligiös, daß eine christliche Richtung in ihr noch keinen Platz hatte. Paulus Klüpfel, Pfarrer Burri, Dr. Ude und Benedikt Uhlemayr bahnten ihr den Weg. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg fand sie einen organisatorischen Ausdruck in der Arbeitsgemeinschaft freiwirtschaftlicher Christen (AfC). Burri bescheinigte der christlichen Kirche, sie sei "über 1000 Jahre radikal antikapitalistisch" gewesen, dann jedoch mit der Aufhebung ihres Zinsverbots dem "zweiten Sündenfall" (39) zum Opfer gefallen. Darüber hinaus hätte sie sich mit ihrer Kapitulation vor dem Zins allen Dämonen ausgeliefert. Diese Thesen machten den Grundbestand der AfC aus.

 

Die Arbeitsgemeinschaft freiwirtschaftlicher Christen wurde am 22.10.1950 gegründet. Ihr hauptsächlicher Initiator war Wilhelm Vahrenholt, unterstützt von Paul Bauschulte, Walter Bischof, Dr. Hamelbeck und anderen. Dem Gründungsbeirat gehörten Fr. Schmutzler, P. Hornscheidt, Fr. Schmiedt sowie H. Sindermann an.

 

Der erste Vorstand setzte sich wie folgt zusammen:

 

1. Vorsitzender P. Bauschulte

2. Vorsitzender E. Nieland

Geschäftsführer W. Vahrenholt

 

Als Inspirator und ,geistlicher Protektor' galt von Anbeginn bis zu seinem Tode Johannes Ude. Seine Persönlichkeit war von großer Anziehungskraft. Die Mitgliederzahl stieg innerhalb eines Jahres nach der Gründung auf 80, in den 50er Jahren auf über 100, fiel jedoch 1967 auf 60 ab. Protestanten und Katholiken bildeten anerkannte Meinungsgruppen.

 

Zu ihren Jahrestagungen kamen jeweils etwa 40 Personen. 1960 und 1962 hielt Ude öffentliche Vorträge, die als "herausragende Ereignisse" empfunden wurden. Er hatte einen legendären Ruf.

 

Die AfC wandte sich in zahlreichen Eingaben an die Kirchenleitungen, an bestimmte Bischöfe und Kardinäle, an Kirchentage und das Konzil. Ihrer Darstellung nach ist die Natürliche Wirtschaftsordnung eine christliche und als solche gleichsam die Basis für das Reich Gottes auf Erden.

 

Eine bedeutsame Rolle innerhalb der AfC spielte Alex Elfes, der in ihrer Zeitschrift "Glaube und Tat" eine Studie über die Demokratisierung der Wirtschaft veröffentlichte. Hierbei geht es um die Freiheit des Menschen, "sein Leben in eigener Verantwortung gestalten und darüber hinaus nach seinen Anlagen und Kräften an der Gestaltung des sozialen Ganzen mitwirken zu können". Dies sei auch ein Anliegen der Natur, welche den Menschen im Modus der Freiheit hervorgebracht hat. "Die Natur stellte ihn in eine Ordnung hinein, die diesem Modus gemäß ist."

 

In die Schöpfung hineingeboren, trägt der Mensch die Verantwortung für sie. Seine Gebundenheit und Abhängigkeit ist eine Voraussetzung seiner Freiheit. Sie soll die äußeren Bedingungen schaffen, damit die Schöpfung das Gute verwirklichen kann.

 

Dazu muß der gefallene Mensch befähigt werden, trotz seiner Gefallenheit hohen Werten und Idealen zu folgen. Höchststufe ist die Kosmogenese. Der Mensch sollte sich bewußt und aus innerem sittlichen Antrieb in ihren Dienst stellen.

 

Unter Kosmogenese verstand Elfes eine von Natur gegebene ausgleichende Gesetzmäßigkeit, die im Bereich der Wirtschaft durch das Geld- und Bodenmonopol verfälscht worden ist. Geld und Zins stünden außerhalb der Ordnung von Raum und Zeit. Mit dem Boden wird auch der Mensch zu einem Zubehörbesitz derer, die seine Eigentümer sind. Das Geld macht zwei konträre Gesetzmäßigkeiten wirksam: ein der Wirtschaft selbst innewohnendes Gesetz des gegenseitigen sozialen Ausgleichs und das jenem Ausgleich entgegenwirkende Rentabilitätsgesetz.

 

"Von diesen beiden einander entgegenwirkenden Gesetzen wird unsere Wirtschaft in einem ständigen Wechsel von Konjunktur und Krise gehalten. Die Konjunktur bringt das . . . Gesetz der gegenseitigen Angleichung mehr und mehr zur Wirksamkeit. Die Bildung bzw. das Angebot an Sachkapital nimmt stärker zu als die Nachfrage nach ihm, wodurch dann schließlich die Kapitalrente zum Sinken gebracht. . . wird. Dann wird das der Wirtschaft eigene Gesetz von dem Gesetz unseres Geldes, dem Rentabilitätsgesetz, abgelöst. Die Wirtschaft wird einem ,Gesundschrumpfungsprozß' unterworfen, d. h. die in der Konjunktur begonnene Vermögensbildung in den breiten Volksschichten wird wieder rückgängig gemacht. Denn die Rente lebt von der Armut, d. h. dem Mangel an Kapital. Die Vermögensbildung muß deshalb in den Grenzen der Rentabilität gehalten bzw. auf diese Grenzen immer wieder zurück- ,geschrumpft' werden. Durch dieses Schrumpfen wird der Mangel an Sachkapital, damit seine Marktüberlegenheit und mit ihr die Rentabilität . . . wiederhergestellt." (40)

 

Demzufolge entspricht das Gesetz der Rentabilität nicht der Wirtschaft, sondern dem Gelde, und durch dieses bricht es das der Wirtschaft eigene Gesetz des sozialen Ausgleichs. Es verhindert auch den gerechten Lohn, eine der eigenen Leistung gleichwertige Gegenleistung, die eigentlich in den Dingen selbst liegt und daher selbstverständlich sein sollte.

 

Die soziale Gerechtigkeit verfehlt ihre Erfüllung, wenn das mir Zustehende dem anderen abgerungen und abgezwungen wird, statt mir von ihm in Freiheit als das Meine zugestanden. Die Demokratisierung der Wirtschaft sollte ihre vom Staat blockierte Eigengesetzlichkeit wiederbeleben.

 

Elfes leitete die Natürliche Wirtschaftsordnung aus der Schöpfung ab. Wir Menschen sind berufen, der Wirtschaft zu der in ihr angelegten, d. h. gottgewollten Ordnung und Demokratie zu verhelfen. Demzufolge können die Gesellschen Reformen als Schöpfungsaufträge betrachtet werden. Der Mensch ist nicht als Einzelwesen gedacht, sondern in der Bezogenheit zum Ganzen der Schöpfung und Gesellschaft.

 

Er ist somit abhängig von Gott und jener Ordnung, in die er von Natur auf besondere Weise hineingesetzt. Je mehr ein Wesen an Geschöpflichkeit empfangen, desto tiefer hat ihn Gott in Bindungen eingepflanzt. Selbst seine Vernunft legt ihm eine größere Abhängigkeit auf als dem Tier. In ihrem Erkennen ist sie nur "soweit wahr, als sie mit der Wahrheit dieser Schöpfungswirklichkeit in Übereinstimmung" steht. Eine kollektive Mitbestimmung der Arbeiter in den Betrieben müsse zur Kollektivierung der Wirtschaft führen.

 

Eine individuelle Mitbestimmung entspräche hingegen dem Freiheitsmodus des Menschen und "immer höherer Entfaltung seiner Persönlichkeit".

 

Elfes gedankenreiche Abhandlung wurde in der AfC-Zeitschrift "Glaube und Tat" veröffentlicht, die ab 1955 sechsmal jährlich erschien. Als sozialethischer Rundbrief hauptsächlich für die Mitglieder und Interessenten bestimmt, erreichte sie kaum die Öffentlichkeit. Allmählich schmolz die Zeitschrift von 16-20 auf 8 Seiten zusammen und nahm den Charakter eines Informationsblattes an. Der Tenor war, daß der Mensch nicht gleichzeitig Gott und dem Mammon dienen könne.

 

Die AfC wendete moralische Maßstäbe auf vorgegebene gesellschaftliche Einrichtungen an und wollte Modelle zur Verbesserung fehlerhafter Gesellschaftsstrukturen erarbeiten. Ihre Richtschnur erblickte sie zum einen in der christlich begründeten Sozialethik, zum anderen in wissenschaftlich abgesicherten Forschungsergebnissen der Sozialökonomie. Sie verstand sich als eine Vereinigung christlicher Männer und Frauen, die den von totalitären Mächten bedrohten demokratischen Rechtsstaat durch Vervollkommnung der marktwirtschaftlichen Grundlagen schützen und entwickeln wollte.

 

Innerhalb der AfC bildete sich 1955 eine Aktionsgruppe um Paul Bauschulte, deren Ziel in der Schaffung einer zinslosen Spar- und Kreditbank auf gemeinnütziger Grundlage bestand. Die Veröffentlichung dieses Projektes in der FSU-Presse fand ein überwiegend negatives Echo. Ein Teil der Kritiker schrieb, nur wenige Menschen wären reif, ein soziales Werk durch eigene Opfer zu tragen. Andere meinten, die Beseitigung des Zinses sei weder durch Zwangsverbote noch durch freiwillige Verzichte zu erreichen. Die härtesten Kritiker sprachen von einer Verfälschung der Gesellschen Lehre. Man könne sogar von einer Persiflage (Verspottung) sprechen.

 

Anfänglich hatte sich der damalige AfC-Vorsitzende Dr. Hans Zinner persönlich wie auch in einem Rundschreiben vom 12.12.1955 sehr warm für das Projekt eingesetzt und seine eigene Opferbereitschaft bekundet. Angesichts der massiven Kritik aus der FSU wich er unter dem Motto zurück, demokratisch handeln heiße, der besseren Einsicht zum Siege zu verhelfen. Er fühle sich verpflichtet, die von ihm verehrte Aktionsgruppe um Paul Bauschulte zu bitten - "gäbe es in der Bundesrepublik doch ein paar Millionen solch prächtiger Streiter um hohe Ideale" - von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen. "Die Einheit und Geschlossenheit der freiwirtschaftlichen Bewegung ist ein hohes Opfer wert." (41)

 

Die Aktionsgruppe habe es an nüchternem Realismus fehlen lassen. Das Raubsystem des Zinskapitalismus müsse f r o n t a l angegriffen und überwunden werden durch das Wohlstandssystem einer vom Zinszwange befreiten Wirtschaft. "Die Aktionsgruppe Bauschulte ist in diesem notwendigem Ringen unentbehrlich, Mann für Mann. Den Mahnern und Warnern in dieser Auseinandersetzung aber sei Dank gesagt! Sie haben eine wichtige Funktion - erfolgreich - ausgeübt." Gleichzeitig mußte Dr. Zinner bekanntgeben, für das Projekt einer zinslosen Spar- und Kreditbank seien "in den letzten Wochen zahlreiche Zustimmungserklärungen und kleine Geldspenden eingegangen ".

 

Angesichts der schwachen NWO-Kräfte mußte man sich fragen, ob es wirklich erfolgversprechender war, das "Raubsystem des Kapitalismus" frontal anzugreifen oder im Stillen einen neuen Anfang zu setzen. Auch in der sozialistischen, kommunistischen und anarchistischen Bewegung hatte diese Frage viele Gemüter erregt. Die Kommunisten waren der Ansicht, es sei unmöglich, eine rote Insel im kapitalistischen Meer zu errichten und zu behaupten, vielmehr müsse erst die Staatsmacht erobert und sodann die neue Ordnung von dieser Zentrale aus durchgedrückt werden. Demgegenüber empfahl der Anarchist Gustav Landauer ein sofortiges Beginnen von unten her. Die Arbeiter sollten ihr Geld zusammenlegen und sozialistische Siedlungen gründen, innerhalb deren Freigeld vielleicht das beste Zirkulationsmittel wäre.

 

 

 

 

 

 

1 Dr. Ernst Winkler, Grundbuch Geschichte des FWB bis September 1947, II/8-9

2 Darmstädter Echo 7.4.1949

3 Ziel und Weg (Programm des FWB), S. 9

4 Die Warenmark als Brücke zur Währungsordnung, Denkschrift vom 21.1.1947

5 Dr. E. Winkler, Freiheit?, S. 75

6 W. Röpke, Das Kulturideal des Liberalismus, S. 20

7 Frankfurter Allgemeine 272/1953

8 P. Diehl, Macht oder Geist?, 1970, S. 12

9 H.-J. Führer, Freiwirtschaft und Utopismus, außer im Anhang eines Rundbriefs von A. Rapp bisher unveröffentlicht

10 Dr. W. Winkler, Theorie der natürlichen Wirtschaftsordnung, S. 168

11 Dr. Winkler am 3.8.1987 an den Autor

12 Dr. Winkler, Autobiographische Notizen, S. 6

13 Telos-Dokumentation Nr. 8

14 Der Neue Bund, Programm und Satzung

15 Hannelore Kleine - Acht Jahre in sowjetzonalen Zuchthäusern, Hamburg o. J., S. 7-9

16 Telos-Dokumentation Nr. 8, S. 13

17 Dr. Winkler, Grundbuch III/7

18 Die Gefährten, August 1946

19 Richard Batz, Der Weg in die Freiheit, S. 6

20 Die Welt vom 13.8.1949

21 RSF-Rundbrief 11/1949: Um die Linie unserer Partei

22 ebenda

23 RSF-Rundbrief 6/1947

24 IFU-Mitteilungen 2

25 Der freie Mensch 38/1950

26 J. Schumann am 13.3.1984 an den Autor

27 Bertha Heimberg am 28.3.1948 an den Wissenschaftlichen Beirat der RSF

28 B. Heimbergs Vorwort zur 2. Denkschrift Gesells für die Gewerkschaften, S. 6 29 Hein Beba am 15.8.1950 an Arthur Rapp

30 Hans Kühn am 28.11.1991 an den Autor

31 Niedersächsischer FSU-Rundbrief 12/51

32 Freisoziale Presse 42/52

33 ebenda

34 W. Radecke im Febr. 1954 auf dem IV. IFU-Kongreß in Interlaken (1954) Protokoll S. 14

35 IFU-Mitteilungen 17, S. 15

36 Flugblatt: Was will die Freisoziale Union?

37 Tristan Abromeit, Dokumentation A 4

38 Anträge zum Bundesparteitag 1967, vorgelegt vom Parteivorstand

39 Eduard Burri, Der Zins vom Standpunkt der christlichen Ethik, der Moral und der Volkswirtschaft (mit Fritz Schwarz), Bern 1935, S. 7

40 Alex Elfes, Demokratisierung der Wirtschaft, in: Glaube und Tat Nr. 5/1969, S. 7

41 Dr. Hans Zinner, Rundbrief vom 8.1.1956

 

 

 

 

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Günter Bartsch: Die NWO-Bewegung

ISBN 3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994

 

 

Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von W. Roehrig