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Günter Bartsch: Die NWO-Bewegung

ISBN 3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994

 

 

 

 

V. Im Widerstand

 

Der freiwirtschaftliche Widerstand gegen das NS-System konzentrierte sich um zwei Persönlichkeiten: um Will Noebe und Bertha Heimberg: Als Einzelgänger müssen auch Johannes Ude und Benedikt Uhlemayr erwähnt werden. Schließlich ist Otto Lautenbach in einer allerdings zweifelhaften Rolle zu bedenken.

 

 

Will Noebes Strategie und Kampf

 

Will Noebe der aus dem Geist des Frontsoldatentums zur NWO-Bewegung gestoßen war, entwarf 1933 eine neue Strategie. Er setzte bei dem griechischen Philosophen und Feuerkopf Heraklit an, der den Kampf für den Vater aller Dinge gehalten und gepriesen hätte. Auch das freiwirtschaftliche Weltbild sei im Kampf mit anderen Weltbildern entstanden. Jeder Freiwirt sollte nun im Ringen mit fremder Anschauung eine individuelle Synthese bilden. "Verharren wir im Gegensatz, so werden wir Fanatiker oder zerbrechen". (1) Geist ist nicht Intellekt und Ratio, sondern das, was uns zu neuen Taten, zur Lebendigmachung unserer besten Kräfte, "was uns zu Kämpfern des Lebens befähigt und über uns selbst hinausstreben läßt".

 

Doch viele Freiwirte hängen im Gegensatz von Ich und Du. Aus Mangel an Geist bleiben sie am Ich haften. "Viele lebendige Leichen hat der missverstandene Individualismus in unserem Lager auf dem Gewissen." Frei wollen sie sein, aber nicht dafür kämpfen. Lieber sitzen sie in verräucherten Versammlungslokalen herum, wo sie einander ihre abgrundtiefen ,Erkenntnisse' bestätigen. Wären sie doch frei von ihrem übergroßen Ich, von sich selbst und ihrer Maske, die ihnen schon angewachsen ist! Der Geist führt vom Ich zum Du und Wir. In der geschichtlichen Gegenwart steht der Übergang von einer Ichordnung zu einer Wirordnung an.

 

Doch die meisten Freiwirte wähnen sich im Besitz ,glasklarer Begriffe', und über diese kommen sie nicht hinaus zur Tat. Indes gehört es zum geistseelischen Umbruch der 30er Jahre, vom Formaldenken der rationalen Erkenntnis zum Universalismus der magischen Schau überzugehen. Die Frontsoldaten sind als Wir-Menschen zurückgekommen. In der NWO-Bewegung herrscht noch der Ich-Mensch vor. Vielen Freiwirten mangelt es sowohl an Kameradschaft als auch an der Bereitschaft zur Selbstaufopferung für den anderen. Daran krankt die gesamte Bewegung. In dieser Verfassung ist sie außerstande zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus und sein Wirtschaftssystem. "Ich-Menschen kämpfen vergebens gegen den Kapitalismus an, der in ihnen selber steckt. Nur der Wir-Mensch wird ihn niederzwingen." (2)

 

Das Freiheitsprogramm Gesells konnte laut Noebe bisher nicht durchdringen, weil es zwar einen dichten Haufen überzeugter Anhänger, aber nur vereinzelte Kämpfer hatte. Der deutsche Frontsoldatengeist und Gandhis Methode zeigen den Ausweg aus diesem Dilemma. Wie an der Front müssen sich die Gesellianer zum Sturmangriff auf den Kapitalismus sammeln. "Welle auf Welle wollen wir vorstürmen. Die letzte wird den Übergang vom Ich zum Wir vollziehen." Dabei wird jeder Freiwirt zeigen können, ob er bereit ist, "sich im äußersten Falle bedingungslos mit Leib und Leben für unsere Sache einzusetzen".

 

Den Schlüssel zum Erfolg sah Noebe in folgender Taktik: "Durchdringung unserer Bewegung mit dem Geist der Frontkämpfer von 1918, Durchdringung der Frontgeneration mit dem Wissen der Freiwirtschaft". (3) So griffe die NWO-Bewegung ins Rad der Geschichte, und trüge dazu bei, die Ichzeit zur Wirzeit umzugestalten.

 

Noebes Leipziger Verlag wurde 1934 beschlagnahmt. Er selbst sollte verhaftet werden, konnte sich jedoch der Festnahme durch Flucht zunächst nach Österreich und sodann in die Tschechoslowakei entziehen. Hier brachte er, finanziell unterstützt durch den siebenbürgischen Industriellen Peter Westen, zwei Periodica heraus: die "Neue Freiwälder Zeitung" und "Der neue Tag". Außerdem gründete er in der Tschechoslowakei den Bund für krisenlose Volkswirtschaft, der unabhängig vom gleichnamigen Bund in Deutschland war, auch eine andere Politik verfolgte. Mit den beiden Zeitungen und dieser Organisation entstand ein neuer Kristallisationskern der Freiwirtschaftler in Österreich, Rumänien, Jugoslawien und der Tschechoslowakei.

 

Der Sitz dieses Kristallisationskerns befand sich im Sudetendeutschen Teil Mährens. Er hatte sich der sudetendeutschen Nationalsozialisten um Konrad Henlein zu erwehren. Auch die tschechoslowakischen Behörden machten Noebe zunehmend Schwierigkeiten. Er verlegte seinen Verlag nach Schönlinde in Böhmen. Gleichwohl mußten die beiden Zeitungen eingestellt werden.

 

Noebes Glück war, daß er in Prag die tschechoslowakische Jüdin Eliska Beranova kennengelernt. Sie wurde seine engste Mitarbeiterin. 1936 stellten sie gemeinsam eine 3. Auflage von Silvio Gesells Broschüre "Die Wunderinsel" her. Ein Teil davon war für die Parlamentsabgeordneten der tschechischen Volkssozialisten sowie für die Köpfe der deutschen Exil-SPD bestimmt. Den größten Teil brachten Eliska Beranova und einige andere Vertrauensleute unter großen persönlichen Gefahren über die scharfbewachte Grenze; er wurde von Mittelsmännern in Deutschland verteilt. Die 1922 geschriebene Broschüre Gesells erschien Noebe bedeutsam für alle Freunde der Freiheit. Unter dem Druck der politischen Umstände konnten die Fahnenabzüge der illegalen Auflage nur flüchtig gelesen werden; sie enthält daher zahlreiche Druckfehler.

 

Eine weitere Widerstandsorganisation, für die er zahlreiche Persönlichkeiten der NWO-Bewegung gewinnen konnte, baute Will Noebe in Österreich auf. Sie hieß Zielgemeinschaft und gliederte sich in drei Aktions- oder Arbeitskreise. Mit ihr verwirklichte der Gründer seine Idee einer neuen Organisationsstruktur, die gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen tätig sein sollte. Wie es scheint, ist die Zielgemeinschaft schon 1938 von der Gestapo zerschlagen worden.

 

Offenbar wurde Noebe vom Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Tschechoslowakei überrascht. Diesmal konnte er nicht rechtzeitig fliehen. 1939 verhaftet, gelang es ihm dennoch, bald wieder freigelassen zu werden.

 

Trotz politischer Aufsicht und Vorzensur gelang es ihm, in einer neuen Folge der Zeitschrift "Telos" die auch reichsdeutschen Beziehern zugesandt wurde, einen Artikel über "Die kommende Revolution" zu veröffentlichen. Eliska Beranova wurde 1941 verhaftet. Sie überlebte die Lagerhaft in den Konzentrationslagern Auschwitz und Ravensbrück. 1948 ging sie nach Neuseeland. Noebe sah sie nie wieder.

 

 

 

 

 

 

 

Bertha Heimberg im Untergrund

 

Bertha Heimberg war über die Gewerkschaften und Wilhelm Beckmann zur Freiwirtschaft gekommen, in deren Verwirklichung sie bald den Sinn ihres Lebens erblickte. Ihres Erachtens sollte die Freiwirtschaft zu einer sozialen Partei der Arbeit, aber nicht zu einer politischen Partei werden, wohin ganze Ortsverbände des FWB drängten. Den nationalsozialistischen Parolen stand sie von Anbeginn ablehnend gegenüber, nicht weil sie eine Jüdin war, sondern weil sie ihre Demagogie durchschaute und die Arbeiterbewegung vertrat. Wenn Hitler von Gemeinnutz sprach, pries er die ,Gemeinnützigkeit' seiner Partei. Wenn er von Brechung der Zinsknechtschaft sprach, meinte er lediglich das jüdische Kapital und dessen Enteignung zugunsten eines NS-Staates.

 

Als Bertha Heimberg 1929 zur Geschäftführerin des Freiwirtschaftsbundes gewählt worden war, schien dessen Anti-Hitler-Kurs gewährleistet zu sein. Doch als Hitler mit seiner NSDAP zur Macht gekommen war, schien sie als Geschäftsführerin untragbar zu sein. Für sie selbst war der Bundesvorstand, weil er mehrheitlich auf Kollaborationskurs ging, untragbar geworden. Es muß damals zu schweren Auseinandersetzungen in der Führungsspitze gekommen sein. Bertha Heimberg unterzeichnete noch das "Befreiende Regierungsprogramm" des FWB, aber nicht mehr dessen Angebot, unter der nationalen Regierung und dem neuen Reichskanzler an der Lösung des sozialen Problems mitzuwirken. Nach dem Verbot des FWB wies sie mit Verachtung seine Kapitulationserklärung zurück, keinen Widerstand leisten zu wollen.

 

Sie selbst war zum Widerstand bis zum Letzten entschlossen. Ihres Erachtens konnte sich nur noch darin die Treue zu Silvio Gesell erweisen. Sein Vermächtnis erfüllen hieß, unbeugsam zu sein.

 

Gemäß dieser Entschlossenheit und diesem Verständnis ging Bertha Heimberg in den Untergrund. Sie organisierte heimliche Versammlungen ehemaliger Mitglieder des Freiwirtschaftsbundes, verbreitete auch Flugblätter und Aufrufe, die sie selber geschrieben. Fünf Jahre lang führte Bertha Heimberg das Leben einer Illegalen, gehetzt und verfolgt. Erst 1938, als die Gestapo auf ihrer Spur war, floh sie nach England ins Exil, von dort brieflich zu weiterem Widerstand ermutigend. Sie wußte, nicht die europäische Demokratie, sondern das nationalsozialistische Regime war dem Untergang geweiht. Bertha Heimberg begriff und erlebte den Nationalsozialismus als einen Neuausbruch der Barbarei. Aus seiner Machtergreifung eine Verwirklichungs-Chance für die Freiwirtschaft abzuleiten, erschien ihr absurd. Doch wenn es so wäre, müßte die Freiwirtschaft dann selbst verabscheuungswürdige, barbarische Züge tragen. Das war ihr klar. Sie rang um eine freie Freiwirtschaft, die ihr Gesicht nicht zu verhüllen brauchte, die sich später nicht zu schämen brauchte vor dem deutschen Volk und anderen Völkern, weil sie aus dem Kampf mit den totalitären Mächten unbefleckt hervorgegangen war.

 

 

 

 

Hanna Blumenthal als Kämpferin und Dichterin

 

Hanna Blumenthal hatte dem Aktionsausschuß des Fisiokratischen Kampfbundes angehört, war jedoch 1929 wegen ihrer Opposition gegen die Politik von Hans Timm und wegen kritischer Worte über die WARA-Aktion ausgeschlossen worden.

 

Dennoch hielt sie an ihrer fisiokratischen Überzeugung fest und versuchte weiterhin, die Freiwirtschaftslehre zu vertiefen. Zunächst mußte sich Hanna Blumenthal mit ihrer Einsamkeit abfinden. Im Jahre 1934 oder 1935 schloß sie sich einer Widerstandsgruppe gegen das NS-System an, der sie ein theoretisches Fundament zu geben versuchte. Das geschah durch einen Aufsatz unter dem Titel "Eigeninteresse und Objektivität", der auch unter Freiwirtschaftlern zirkulierte.

 

Das Eigeninteresse sei die Summe alter Triebe, die das eigene Ich entwickeln wolten, auch die treibende Kraft im Kampf um Macht und Wissen. Durch seine Übersteigerung entwickelte es aber Hemmungen, die der objektiven Erkenntnis und ihrer Anwendung entgegenstehen. Der subjektive Egoismus muß mit der objektiven Erkenntnis Hand in Hand gehen, um seine Widerstandskraft voll zu entfalten

 

Warum griff Hanna Blumenthal gerade diese scheinbar abgelegene Frage auf? Gegen die drückende Machtsphäre des NS-Systems spielte sie die elementare Machtsphäre des Ichs aus, das schon um Kinder ein Kraftfeld bilde. Der Nationalsozialismus errichtete ein kollektivistisches System, durch das unzählige Menschen gebündelt und verstaatlicht wurden. In ein solches System kann der Egoismus kleine, aber empfindliche Lücken sprengen. Während sich viele Freiwirte den Parole "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" anpaßten, ging Hanna Blumenthal der umgekehrten Weg der Distanzierung. Möglichst viele Egoismen sollten wie pulvergefüllte Patronen in der erzwungenen "Volksgemeinschaft" explodieren. Gegen die Ansaugkraft des neuen politischen Systems wurde die individuale Fliehkraft möglichst vieler Menschen mobilisiert. Gleichzeitig rief Hanna Blumenthal zur ungetrübten Erkenntnis sach da auf, "wo die Erkenntnis schmerzt", weil man sich eigene Versäumnisse vorwerfen muß. Das war ein Aufruf zur Selbstüberprüfung aller Freiwirtschaftler und Physiokraten.

 

Hanna Blumenthal fand noch einen anderen Weg, sich mit dem ihr verhaßten nationalsozialistischen System auseinanderzusetzen. Durch ihre Gedichte.

 

 Klar ist des Eigenen Bahn

 mitten in Lüge und Wahn

 brennt er in reiner Glut.

 Hassen ihn neidvolle Knechte,

 wahrt er die ewigen Rechte,

 wahr'er Freiheit und Mut.

 

 Besser im Kampfe vergehen

 als durch Verrat bestehen,

 der alles Große zerreißt.

 Lache und singe und weine,

 steige ins Hohe und Reine:

 Fliege, gefangener Geist!

 

 Sieh, wie der Seeadler schwebt,

 wie er zur Sonne sich hebt,

 selig in Freiheit und Licht.

 Fremd sind ihm Käfig und Netz -

 einzig das eigne Gesetz

 ist ihm beglückende Pflicht.

 

 

Solche Gedichte tun ihre Wirkung auch dann, wenn sie nicht veröffentlicht werden. Sie teilen sich der Atmosphäre mit und lockern sie auf. Hanna Blumenthal fand die Kraft zu dauerhaftem Widerstand offenbar durch ihre Rückbindung zur Natur. Durch die Gedichte konnte sie auch ihre Einsamkeit fruchtbar machen.

 

 

 

 

Die TAU-Kreise Werner Zimmermanns

 

Werner Zimmermanns Zeitschrift "TAU" erschien bis ins Jahr 1937 hinein. Die deutschen TAU-Kreise wichen zwar dort, wo sie sich bisher politisch betätigt hatten, in unpolitische Tätigkeiten wie Sprachunterricht aus, blieben jedoch Stätten der Besinnung. Als Leserkreise, in denen Menschen verschiedener Art und Überzeugung in vielen Großstädten regelmäßig zusammentrafen, gehörten sie inmitten des Dritten Reiches zur Subkultur einer neuen Epoche. Ihre Devise hieß "Lichtwärts". Einige TAU-Gruppen dürften die Einstellung der Zeitschrift überlebt haben. Obwohl sie sich niemals auf Freiwirtschaftler beschränkten, drückte sich in ihnen die Lebensreform-Tendenz der NWO-Bewegung aus, auch ein esoterischer Zug.

 

 

 

 

Der Freiwirtschaftliche Jugendverband

 

Von Widerstand im vollen Sinne dieses Wortes - als aktive Infragestellung des NS-Systems mit dem Ziel seines Sturzes - läßt sich nur bei einzelnen Freiwirtschaftlern und einigen Gruppen des Freiwirtschaftlichen Jugendverbandes sprechen. Die Reichsleitung des FJVD unter Franz Langenscheid gab zunächst dem Druck des hitleristischen Systems nach. Er rühmte sich der Anerkennung durch Baldur von Schirach. "Der Verband erkennt das Führerprinzip an . . . " (5) Doch zumindest an Rhein und Ruhr blieb die demokratische Struktur des Jugendverbandes erhalten. Die dem politischen Regime erwünschte Selbstauflösung des Verbandes wurde mehrheitlich verworfen. Man entschied sich dafür, weiterzumachen. Das Verbot des FJVD ließ zwar nicht auf sich warten, doch die Struktur war so fest, "daß der Zusammenhalt unter den Mitgliedern noch sehr lange erhalten werden konnte". (6) Im Untergrund fanden illegale Versammlungen mit Werner Zimmermann, Heinrich Frenking und anderen Freiwirten statt, "von denen einer zur Tarnung immer in einer SA-Uniform erschien".

 

Das Zentrum des freiwirtschaftlichen Jugendwiderstands lag in Neviges, wo eine Freilichtbühne entstanden war. Hier wurde dem NS-Massen-Kollektismus die rebellische Eigenverantwortung gegenübergestellt. In Neviges kam es auch zu einem Aktionsbündnis mit Teilen der Bündischen Jugend, bis die braune Woge über allem zusammenschlug.

 

 

 

 

Durch mehr Freiheit zur größeren Leistung (Wolter)

 

Einen gewissen Widerstand aus der NSDAP heraus versuchte Christian Wolter. Er war einer der ersten 100 000 Nationalsozialisten, Sozialreferent und Bezirksstadtrat in Berlin-Weißensee. Im Mai 1935 brachte er in mehreren tausend Exemplaren eine gedruckte Denkschrift in Umlauf.

 

"Wir Nationalsozialisten hatten uns das herrliche Ziel gesteckt, der Arbeitslosigkeit den Garaus zu machen. Flugs sind Leute da, deren angeblich auch nationalsozialistisches Wirken uns um den Erfolg bringt... Die Reichsmark wird merkwürdigerweise ohne Gebühr ausgegeben und gehört jeweils dem, der es nun gerade hat. Er kann nach Belieben damit machen, was er will, es dem Markt entziehen, es verschatzen oder gar vernichten." (7)

 

Wolter sprach in Namen des " w a h r e n Nationalsozialismus". Er wollte den Blick der ,leitenden Parteigenossen' auf eine Drohnenschicht lenken, die auch im Dritten Reich Adolf Hitlers tätig sei. Von Drohnen könne nichts als Ausbeutung, Standesdünkel, Dekadenz und Leichtsinn erwartet werden.

 

"Wenn wir - und das ist das Furchtbare - den Angelpunkt und die Erfordernisse des Lebens nicht richtig erkennen, verzerren sich die Dinge: der Nationalismus entartet wieder zum Patriotismus, der Sozialismus endet in patriarchalischer und bürokratischer Bevormundungssucht." (8)

 

Die zu straff angezogenen Zügel müßten wieder gelockert werden, da Zwang kein Leistungsantrieb sei. Bei mehr Freiheit würden die Volksgenossen um so mehr in ihren Betrieben und Werkstätten leisten. Es handelte sich um eine freiwirtschaftliche Denkschrift unter dem Deckmantel der NSDAP und unter Anrufung Hitlers. Doch der Freiwirt Wolter war auch ein überzeugter Nationalsozialist, der den Zins als einen Volksschädling betrachtete. Im Anhang seiner Denkschrift wies er auf sieben "besonders empfehlenswerte Schriften" hin. Drei davon waren von Werner Zimmermann (darunter "Sozialismus in Freiheit"). Die anderen hatten Walter, Dr. Uhlemayr, Prof. Sveistrup oder Dr. von Schoenaich zum Verfasser. Aus dem ersten Heft der Zeitschrift "Schule der Freiheit" waren alle darin erschienenen Aufsätze genannt.

 

 

 

 

Der Lautenbach-Walker-Kreis

 

Es erscheint unglaubhaft, daß derselbe Mann, der zu Hitlers Wirtschaftsberater hatte aufsteigen wollen, bereits 1938 zum Widerstandskämpfer geworden sein soll. Eine gewisse Skepsis ist auch angebracht. Indes erfolgte seine Wandlung unter dem Einfluß von Karl Walker (bis zu einem gewissen Grade auch von Paul Diehl). Dieser war der Spritus rector des Widerstandskreises, der sich innerhalb seiner Schule der Freiheit herausbildete.

 

Bei Lautenbach selbst ist zu beachten, daß er eine gespaltene Persönlichkeit hatte. Durch das eine Auge sah er Hitler als die bedeutendste Gestalt des 20. Jahrhunderts, die ihm fähig erschien, auch dem nächsten Jahrtausend sein Siegel aufzudrücken. Mit dem anderen durchschaute er seine Fragwürdigkeit und aufgeblasene Größe. Außerdem verging ihm der anfängliche Optimismus.

 

Ein erstes Zeichen der Besinnung war seine 1937 veröffentlichte Broschüre "Die Welt am Kreuzweg" Otto Lautenbach suchte wieder Tuchfühlung zur abgetauchten oder nur noch virtuell bestehenden NWO-Bewegung. So erwähnte er Zuschriften

von optimistischen "Anhängern der Indexwährung".

 

Er schlug eine Weltwirtschaftskonferenz vor und entwarf für diese ein 3-Punkte-Programm:

 

1. Sämtliche Länder geben ihre Wechselkurse frei;

 

2. sie verpflichten sich, ihren binnenländischen Preisstand stabil zu halten;

 

3. die Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich gibt eine eigene Welthandelsnote (WHN) aus, von welcher jedes Land 20 % des nationalen Notenumlaufs erhält.

 

 

Doch am 23.11.1937 hielt Hitler auf der Ordensburg Sonthofen eine Geheimrede, in der er seine Absicht ankündigte, durch einen Krieg die deutsche Grenze noch selber bis nach Rußland hinein zu erweitern. Innenpolitische Erfolge habe der Nationalsozialismus genug erreicht, doch außenpolitisch, in der Raumfrage, sei noch keine Lösung angebahnt. Zugleich gab Hitler dem ausgewählten Zuhörerkreis sein Ziel der Weltherrschaft bekannt. "Weltreiche werden nur aus revolutionären Kräften geboren." Das Großdeutsche Reich sollte nur eine Etappe auf dem Wege zum nordischen Weltreich sein.

 

Otto Lautenbach hielt den Nationalsozialismus für eine weltrevolutionäre Kraft. Er ging hauptsächlich wegen seiner staatsinterventionistischen Wirtschaftspolitik in Opposition. Auch fühlte er seine Existenz durch Planungen bedroht, die verlegerische und journalistische Berufstätigkeit radikal einzuschränken, die Reste der Pressefreiheit aufzuheben und alle Periodika noch schärfer zu kontrollieren.

 

Schon 1934 war - man weiß nicht warum - die "Schule der Freiheit" verboten worden. Binnen 17 Tagen konnte Lautenbach die Aufhebung des Verbots erreichen.

 

Im Jahre 1938 erfolgte ein zweites Verbot. Nun hatte es Lautenbach erheblich schwerer, bei der Reichsschrifttumskammer die Widerzulassung zu erbitten. Erst daraufhin entschloß er sich zum Widerstand.

 

Nach dem Münchner Abkommen, im Oktober 1938, bildete sich ein Freiwirtschaftlicher Arbeitskreis (FAK). Er beriet zunächst über die Bedingungen der wirtschaftlichen und sozialen Gesundung Deutschlands unter den vom Nationalsozialismus bestimmten Verhältnissen. Seine wichtigsten Köpfe waren Otto Lautenbach, Karl Walker, Prof. Diehl und Dr. Franz Hochstetter.

 

Allmählich wurde der Arbeitskreis zu einer zwar unregelmäßig tagenden, aber doch ständigen Körperschaft. Lautenbach zog sich, obwohl er nach wie vor sehr Bedenkliches schrieb, allmählich aus dem Vordergrund seiner Zeitschrift zurück, wodurch diese allerdings in die Hände von Kurt Becker glitt.

 

Ende 1943, als Hitlers System vor dem Niederbruch stand, entwarfen Walker, Lautenbach und Hochstetter ein Sofortprogramm zur finanziellen und wirtschaftlichen Überwindung der Kriegsfolgen. Es wurde vom Freiwirtschaftlichen Arbeitskreis auf einer Tagung im Sommer 1944 angenommen und zum Beschluß erhoben. Der FAK war nun die Rudimentärform eines Freiwirtschaftlichen Bundestages; obwohl hinter ihm nicht die kleinste Organisation stand, nahm er doch einen neuen Freiwirtschaftsbund in nuce schon voraus. Walker und Lautenbach hatten dem Bundesvorstand des alten FWB angehört.

 

Das Pfingstprogramm von 1943 begann mit einer Präambel: "Wir bauen die freie Welt von Morgen ohne Vorrechte, in der jeder einzelne Mensch, gleichgültig woher er kommt, an den Platz für Leben und Wirken gelangt, der seinen angeborenen und im Lebenskampf erworbenen Fähigkeiten und den damit vollbrachten Leistungen entspricht. . . Wir schaffen damit die unerläßliche Voraussetzung für die von der äußeren Welt ungehemmte Entwicklung freier, selbstverantwortlicher Menschen, für das natürliche Wachstum einer wahren Gemeinschaft, für die Gestaltung einer natürlichen Gesellschaftsordnung. . . " (16) (mit einer natürlichen Wirtschaftsordnung wollte man sich nicht mehr begnügen).

 

Innenpolitisch wurde die Rückführung des gesamten Bodens in das Eigentum der Gesellschaft, die Schaffung eines Währungsamtes, der Umlaufzwang des Geldes und die Überführung der privaten Grundrente an die Mütter gefordert, außerdem Freiheit für Wort und Schrift, Presse- und Rede-, Religions- und Glaubensfreiheit, nicht zuletzt die Beseitigung aller staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft. Außenpolitisch sprach sich das Pfingstprogramm für Freihandel, für freie Wechselkurse nach den Kaufkraftparitäten sowie für ein zwischenstaatliches Noteninstitut aus, das "ein eigenes, dem Außenhandel dienendes Zahlungsmittel" haben sollte.

 

Der genaue Wortlaut des Pfingstprogramms ist leider nicht überliefert und auch kaum noch festzustellen. Es wurde nur in jener Form veröffentlicht, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Grundlage für den neuen Freiwirtschaftsbund dienen konnte. Zwar sollen "nur geringfügige, vorwiegend stilistische Änderungen und kleinere Streichungen vorgenommen" worden sein, jedoch ist eine gewisse Retusche zu befürchten.

 

Das Pfingstprogramm 1943 wurde von folgenden Persönlichkeiten unterschrieben:

 

Otto Lautenbach

Wilhelm Bäurle

Dr. Paul Diehl

Walter Hoch

Dr. Franz Hochstätter 

Paul Jahnsohn

Karl Walker.

 

Diese sieben Männer sollen der Kern einer freiwirtschaftlichen Widerstandsgruppe gewesen sein, die im Zentrum der NWO-Bewegung entstand "und über alle Teile des damaligen Deutschlands und Österreichs verbreitet" (13) war. Was Österreich betrifft, so gibt es nicht den geringsten Beweis für die Wahrheit dieser Behauptung.

 

Aus dem Pfingstprogramm entstand 1944 ein Sofort-Programm zur finanziellen und wirtschaftlichen Überwindung der Kriegsfolgen. So schält sich der Eindruck ab, als hätte der Lautenbachkreis die kontinuierlichste Widerstandsarbeit geleistet. Programmatisch war das ab 1938 anscheinend tatsächlich der Fall, ob auch politisch, sei dahingestellt.

 

 

1 TAU 115, Monatsblätter Für Erkenntnis und Tat, S. 9 Aufsatz von Will Noebe: Krieg-Geist-Liebe: die gestaltenden Kräfte der neuen Zeit

2 ebenda, S.18

3 ebenda, S. 22

4 Dokumentation, Telos-Sonderdruck Nr. 8, S. 10

5 Freiwirtschaftliche Presse 4/34 Jugendbeilage

6 Silvio Gesell und Silvio Gesell-Heim, Feurrede Hein Bebas

7 Christian Wolter, Um die Freiheit der Leistung. Die Konsequenz des Nationalsozialismus (Denkschrift)

8 ebenda

9 Otto Lautenbach, Die Welt am Kreuzweg, S. 25

10 Hans Schulz, Grundlagen der Freiwirtschaftslehre, S. 25

11 ebenda, S. 29

12 ebenda, S. 26

13 ebenda, S. 25

 

 

 

 

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Günter Bartsch: Die NWO-Bewegung

ISBN 3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994

 

 

Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von W. Roehrig