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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
VI. Auftrieb
in der Schweiz
Während in
Deutschland ein Niedergang der NWO-Bewegung zu verzeichnen war, schien sie in
der Schweiz erst recht zu erblühen. Selbst Markus Schärrer berichtete vom SFB,
seit Ende 1932 und Frühjahr 1933 sei "ein sprunghafter Anstieg seiner
Aktivitäten und Publikumswirksamkeit" (1) zu verzeichnen gewesen, freilich
"absolut synchron mit den faschistischen und parafaschistischen Fronten
und Bünden". War diese anzügliche Gleichsetzung berechtigt? Es handelte sich
eher um eine analoge als um eine synchrone Entwicklung, ähnlich dem
gleichzeitigen Anwachsen der NSDAP und KPD-Wählerschaft in Deutschland.
Allerdings haben Schweizer Freiwirtschaftler ein Gespräch mit Mussolini
geführt, um ihn von den Vorzügen der Freiwirtschaft auch für Italien zu
überzeugen. Durch ihre größere Bodenständigkeit und Volksverbundenheit sowie
durch ihr positives Verhältnis zur Schweizer Geschichte waren sie jedoch weit
weniger der Versuchung des Faschismus ausgesetzt als ihre deutschen
Gesinnungsfreunde durch das Wirtschaftsprogramm der NSDAP.
Der
Schweizer Freiwirtschaftsbund (SFB) führte im Frühjahr 1933 jede Woche, vor
allem in der deutschen Schweiz, bis zu 10 Vortragsveranstaltungen durch, die
selbst "in kleinen Dörfern regelmäßig über 100 und in den größten Städten
nicht selten über 500 Zuhörer zu mobilisieren vermochten". (2)
Hans Konrad
Sonderegger, damals noch protestantischer Pfarrer im Engadin, verstand es
besonders gut, die recht schwierige Zins- und Geldtheorie Gesells
allgemeinverständlich darzulegen. Aus dieser Vortragskampagne gingen die
freiwirtschaftlichen Freischaren hervor, deren Leitung Sonderegger übernahm. Es
handelte sich hierbei nicht um ein Freikorps oder um eine SA-ähnliche Formation
- wie Markus Schärrer unterstellte - vielmehr um freiwillige Aktivisten, die
organisatorische Kleinarbeit übernahmen.
Sie wurden
nicht für den Machtkampf auf der Straße gedrillt, wie das in Deutschland mit
den SA-Leuten geschah. Vielmehr entlasteten sie innerhalb der Ortsgruppen die
gewählten Vorstände. Es waren meist junge Leute, die das Gelöbnis ablegten
"für das hohe Ziel der Freiwirtschaft zu wirken und zu kämpfen mit aller
Kraft und aller Hingabe, treu den Kameraden, gehorsam den Führern, unerbittlich
den Gegnern, bis unser Ziel erreicht ist, um des arbeitenden Volkes willen . .
. " (3)
Das war ein
sozialreligiöser Schwur, dazu bestimmt, innerhalb der Schweizer NWO-Bewegung
einen festen Kern von Zuverlässigen zu schaffen, die nicht wanken und nicht
weichen würden, wie heftig die politischen Stürme auch blasen mochten.
Allerdings
hatten die Freischaren einen geheimbündlerischen Zug und mit ihrem
Gehorsamsschwur auf Sonderegger auch einen autoritären Charakter, der
mißbraucht werden konnte.
Eine große
Rolle spielte die Delegiertentagung vom Mai 1933 in Wintherthur, wo sich der
SFB eine festere Form gab und zur Ausarbeitung eines Politischen Programms
entschloß. Grundgedanke dieses Programms war die demokratische Erneuerung der
Schweiz. Man konnte sie sich zwar nur im Rahmen einer freiwirtschaftlichen
Ordnung vorstellen - Geld- und Bodenreform galten als elementare Voraussetzung
demokratischer Renaissance - aber dieses Ziel setzte andere Akzente als in
Deutschland, wo sowohl der FKB als auch der FWB zu glauben schienen, die Zeit
der Demokratie sei vorüber.
Der SFB
bekannte sich in seinem Politischen Programm zum Primat des Geistes über die
Materie, woraus sich eine sittliche Fundierung des freiwirtschaftlichen
Strebens ergab. Die Schweizer Bürger sollten nicht nur zu den unabänderlichen
Gesetzen der Natur, sondern auch zu einer natürlichen solidarischen Ethik
zurückkehren: "Treue Pflichterfüllung gegenüber Mitmenschen, Familie und
Staat ist das Erste, was wir von jedem Volksgenossen verlangen müssen".
Der SFB proklamierte die Rechte des arbeitenden Volkes:
Schutz vor
Ausbeutung
Recht auf
vollen Arbeitsertrag
Gesichertes
Auskommen durch Arbeit
Schutz vor
wirtschaftlichen Folgen von Krankheit und Not
Möglichkeit
der Weiterbildung
Recht auf
Eigenheim und Land
Gesicherte
Altersversorgung
Sicherung
von Besitz und Ersparnissen.
Der
Schweizer Freiwirtschaftsbund wollte eine Front der Arbeit für Freiheit,
Gerechtigkeit und Demokratie schaffen. Er kämpfe "für die Rechte des
arbeitenden Volkes gegen die Mächte der Hochfinanz".
Der
Programmentwurf des Vorstandes wurde in den Ortsgruppen breit und lange
diskutiert. Auch in der Schweiz erhoben sich Bedenken gegen eine Politisierung
des Freiwirtschaftsbundes. Bei den Berner Kantonalwahlen vom Mai 1934 entfielen
auf die freiwirtschaftliche Liste mit Fritz Schwarz an der Spitze 4,9 % der
Wählerstimmen, im Wahlkreis Interlaken erhielt Werner Zimmermann auf einer
unabhängigen Liste sogar 6,8 %. Davon konnten die deutschen Freiwirtschaftler
mit ihren 1 % nur noch träumen. Bei den Bernischen Kantonalratswahlen vom Juli
1934 entfielen auf Sonderegger fast 35 % der Stimmen; bei einer Zweitwahl
schnitt er noch besser ab und zog ins eidgenössische Parlament ein. Die
folgenden Wahlen brachten dem SFB weniger Stimmen, doch eroberte er zwei Sitze
im Berner Gemeinderat.
Hauptzweck
der Wahlbeteiligung war, den Freiwirtschaftsbund allen Kantonen bekannt zu
machen. Das schlechte Abschneiden seiner meisten Kandidaten konnte die
Zuversicht nicht erschüttern. Er hatte sie im Programm von 1935 festgeschrieben:
"Wir sind keine Partei, sondern sind und bleiben eine Bewegung, die in
Bälde das ganze Schweizervolk umfassen wird".
Die
Schweizer Freiwirtschaft schien tatsächlich eine Volksbewegung zu werden. Es
gelang dem SFB, in die Breite und Tiefe vorzustoßen. Dafür sorgten insbesondere
die FFF-Landgemeinden-Volksversammlungen auf Anhöhen und hochgelegenen Wiesen,
die Festivalcharakter hatten. Es war nicht zuletzt Werner Zimmermann zu
verdanken, daß der SFB Volksfeste arrangieren konnte, die Freiwirtschaft und
Wandervogel mit dem Gefühlserbe der urschweizerischen Landgemeinden
verknüpften, welche eine lange Tradition in der Schweizer Geschichte hatten.
Zwischen
1933 und 1935 fanden drei solche Festivale statt, besucht von jeweils 1500 bis
4000 Menschen, die aus der weiten Umgebung zusammenströmten. Im Mittelpunkt
stand jeweils der zündende Vortrag eines populären Freiwirtschaftlers. Er
pflegte mit einem Appell zu schließen, worauf eine Resolution verlesen und
darüber abgestimmt wurde. Für die Musik sorgten örtliche Blaskapellen. Der
ansässige Pfarrer hielt eine Feldpredigt (was in Deutschland, soviel ich weiß,
nur bei Großveranstaltungen des Jungdeutschen Ordens üblich war). Auch
Volkstanzgruppen traten auf Es gab Gesprächs-Hocks. An langen Tischen konnte
man essen und trinken. So wurden der Verstand, das Ohr und der Gaumen
gleichermaßen angesprochen.
Vom Erfolg
der ersten Landgemeinde ermutigt, entschloß sich der SFB zur Herausgabe einer
freiwirtschaftlichen Tageszeitung für die gesamte Schweiz, die in einer eigenen
Druckerei hergestellt werden sollte. Die erste Nr. der "Eidgenössischen
Nachrichten" erschien im November 1933. Auf die Frage, wer
dahintersteckte, antwortete die Redaktion:
"Zunächst
steckt hinter den ,Eidgenössischen Nachrichten' ein ziemlicher Haufen Schweizer
Goldfranken. Das Geld, das zur Gründung der neuen Zeitung gegeben wurde, ist
Schweizergeld im besten Sinne des Wortes; denn es sind Schweizer Bürger, die es
zusammengelegt haben.
Und wer sind
diese? Es sind Bürger, die alle dem großen Stande des arbeitenden Volkes
angehören . . . Keine religiöse oder politische Glaubensgemeinschaft steckt
dahinter." (4)
Die größten
deutschen NWO-Organisationen - FWB und FKB - waren durchaus politische
Glaubensgemeinschaften. Der SFB hatte einen anderen Charakter, obwohl der
utopische Impuls auch in ihm nicht fehlte. Die Schweizer Freiwirte wollten alle
wirtschaftlichen Vorrechte beseitigen, "damit dann die Arbeit auf dem
Throne der Ehre sitzt". Ihre drei Grundwerte hießen Freiheit, Gerechtigkeit
und wahre Demokratie.
Der
großangelegte Versuch einer freiwirtschaftlichen Tageszeitung ließ sich nur
fünf Monate durchhalten, wonach er trotz der Bildung eines Garantenvereins
eingestellt werden mußte. Hinter ihm standen nicht genügend Schweizerfranken.
Und obwohl für Januar - Februar 1934 die Bildung von 14 neuen Ortsgruppen
gemeldet werden konnte, war auch die Basis des SFB zu schwach, um eine
Tageszeitung zu tragen. Zumal Sonderegger als Chefredakteur ein nicht
aufbringbares Gehalt beanspruchte.
Immerhin war
es möglich, die "Freiwirtschaftliche Zeitung" weiter auszubauen. Ab
November 1934 erschien sie zweimal wöchentlich. Ihre Abonnentenzahl konnte auf
4000 erhöht werden.
Ab Januar
1933 brachte der SFB auch eine Zeitschrift heraus, die Monatsschrift "Geld
und Arbeit". Im Unterschied zum "Freiwirtschaftlichen Archiv"
des deutschen FWB veröffentlichte sie nur selten theoretische Artikel, verlegte
sich vielmehr auf das gefühlsmäßige Ansprechen ihrer Leser durch Illustrationen.
Im Mai 1936 mußte sie wieder eingestellt werden.
Dafür stieg
die Mitgliederzahl des Schweizer Freiwirtschaftsbundes von 1000 im Jahre 1933
auf 3000 im Jahre 1935, die Zahl seiner Ortsgruppen sogar von 15 auf 150. Durch
die FFF-Landgemeinden erzielte er einen großen Eindruck in der öffentlichen
Meinung, die sich mit einer eventuellen Freiwirtschaft in diesem oder jenem
Kanton abzufinden begann. Bereits Ende 1933 schrieb die führende Schweizer
Zeitung:
"Falls
einmal die Freigeldler ein Gesuch um Bewilligung des Experiments einreichen,
dass sich auf eine eindeutige Willenskundgebung eines Landesteils stützt, so
sollte dieses Wagnis nur gestattet werden, sofern mindestens die nachstehenden
Bedingungen eingehalten werden:
1. das
Freigeld muß als einzige Währung in einem selbständigen, abgeschlossenen
Wirtschaftsgebiet zirkulieren . . .
2. das
Freigeldgebiet muß unbedingt auch zollpolitisch gegenüber der Schweiz als
Ausland gelten . . .
3. das
Experiment sollte mindestens die Dauer einer Konjunkturperiode haben." (5)
Sofort
mischte sich der deutsche Physiokrat Rolf Engert ein: solche Bedingungen wären
nicht zu fürchten, sondern zu begrüßen. Hingegen fand Hans Timm die
zollpolitische Abgrenzung eines Freigeldgebietes bedenklich. Wattmann warnte
vor zu großen Erwartungen. Es ist auch nichts daraus geworden. Der SFB erklärte
sich zwar am 9.12.1933 in einem Brief an die "Neue Züricher Zeitung"
grundsätzlich bereit, einen praktischen Versuch "in dem von Ihnen
geforderten Rahmen und unter den von Ihnen geforderten Bedingungen
durchzuführen und die Verantwortung für diesen Versuch zu übernehmen."
Doch fehlte ihm die nötige Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit eines
Kantons. Wattmann erwog öffentlich, ob sich die dynamische Doppelwährung
Christens für ein solches Experiment nicht besser eigne als das eigentliche
Freigeld Silvio Gesells. Das fanden Timm wie Engert bedenklich - im übrigen
müsse in dem besagten Gebiet auch Freiland eingeführt werden.
Nach der
Aufstiegsphase kam wieder eine Abstiegsphase, die den SFB schwächte. Seine neue
Wochenzeitung "Freies Volk" sollte "im Dienste der
Freiwirtschaft" das heißt des Bundes stehen. Sonderegger wollte als
Redakteur jedoch nicht "unter Berner Zensur" arbeiten. Er schien im
Juni 1940 auch auf ein Arrangement mit den Achsenmächten aus zu sein, damit die
Schweiz bei der Neuordnung Europas beteiligt werde, was nach Umbildung der
Landesregierung "nur noch ein Freiwirtschaftler besorgen" (6) könne.
Hans Hoffmann nannte ihn einen "Feuerkopf". (7) Der Bundesvorstand
des SFB erklärte ihm sein Mißtrauen, als er es einstimmig ablehnte, Sonderegger
als Kandidat für den Schweizer Bundesrat aufzustellen.
Zu weiteren
Zwistigkeiten führte der allzu knappe Mehrheitsbeschluß vom Sommer 1941, den
SFB in eine politische Partei umzuwandeln. Er wurde daher bis auf die
Nachkriegszeit verschoben.
Am
fruchtbarsten erwies sich eine Initiative von Werner Zimmermann und Werner Enz.
Im Oktober 1934 gründeten sie den Wirtschaftsring (WIR) - eine Selbsthilfe, die
zugleich eine praktische Form des freien Sozialismus sein sollte.
Die Zeitung
"Freies Volk "verlor ihr freiwirtschaftliches Gesicht. Sie ordnete
sich in die demokratische Presselandschaft der Schweiz ein. Über die
NWO-Bewegung wurde kaum mehr berichtet. Ein frischer Leser konnte sogar daran zweifeln,
ob es in der Schweiz noch einen Freiwirtschaftsbund gab. Eine Ausnahme war die
Nr. 10/43, welche ausführliche Berichte über ihn brachte. Sonst herrschte ein
neutraler Ton vor. Beispielsweise konnte man aus der Zeitung "Freies
Volk" erfahren, dass Prof. Bernoulli im Winter 1942/43 in Zürich einen
Vortragszyklus über Städtebau und Landesplanung hielt.
Der SFB ging
bei den Nationalratswahlen von 1943 so gut wie leer aus. "In Zürich geht
der Misserfolg der freiwirtschaftlichen Liste eindeutig auf das Konto der
dissidenten Sonderegger-Freunde." (8) Diese hatten sich vom
Freiwirtschaftsbund abgespalten und eigene Kandidaten aufgestellt.
1 Markus
Schärrer, Geld und Bodenreform als Brücke zum sozialen Staat, Die Geschichte
der Freiwirtschaftsbewegung in der Schweiz 1915 - 52, Zürich 1983, S. 199
2 ebenda S.
160
3 Gelöbnis
der freiwirtschaftlichen Freischaren
4
Eidgenössische Nachrichten Nr. 1 vom 25.11.1933
5 Neue
Züricher Zeitung Nr. 2157
6 H. K.
Sonderegger, Brief an Andreas Gadient v. 4.7.1940
7 Hans
Hoffmann, Bern 1987, S. 114 - er nannte ihn auch "den wahren Gegensatz zum
bedächtigen Fritz Schwarz".
8 Freies
Volk 5.11.1943
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ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von
W. Roehrig