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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
VII.
Streiflicht aus Österreich und Udes Gesellrevision
Der
Österreichische Freiwirtschaftsbund schein zunächst ein Ableger des deutschen
Bundes für krisenlose Volkswirtschaft zu sein, zumal er sich im Untertitel
ebenfalls so nannte. Im Unterschied zu den national-völkischen Freiwirten des
Nachbarlands verteidigte er jedoch den ehemaligen Volksbeauftragten Gesell. Er
habe sich in Deutschlands verworrenster Zeit zur Verfügung gestellt, was für
"sein hohes Pflichtgefühl und seine Selbstlosigkeit gezeugt". (1) Es
gab in ihm auch keine Spur von Antisemitismus.
Der
österreichische FWB nannte das Freigeld eine Geldsteuerpeitsche, die den
unsozialen Geldbesitzer treffen werde "der unter allen bisherigen
Umständen den Zins aus der todkranken Wirtschaft herausschinden wollte".
(2)
Doch war hin
und wieder eine leichte Anpassung an das autoritäre Regime Schuschniggs
festzustellen, der die Nachfolge des am 25.7.1934 von Nationalsozialisten
getöteten Bundeskanzlers Dollfuß angetreten hatte und sich um die Bewahrung der
Unabhängigkeit Österreichs bemühte - unter stiller Anrufung Mussolinis als
Schutzherr gegen Hitler. Im Oktober 1935 sprach Schuschnigg in Linz über den
Aufbau eines neuen Staates, für den er drei Voraussetzungen nannte: die
Gerechtigkeit als Grundbedingung des sozialen Friedens, die Autorität als
Fundament sozialer und staatlicher Ordnung, die Freiheit als Wurzel sozialen
Lebens, nachdem die Autorität im Heimatboden fest verankert sei. In der Zeitung
des ÖFB war dazu zu lesen, auch die freiwirtschaftliche Ordnung bedürfe einer
"festen Autorität" (3), um das Geldwesen sowie die Verwaltung von
Grund und Boden neu zu ordnen.
Wie den
deutschen war den österreichischen Freiwirten die Staatsform egal. Zuweilen
spotteten sie über gewisse Vorfälle im Parlament. Es sei ganz nebensächlich, ob
Volksvertreter existieren: "Wir betonen immer wieder, wie gleichgültig die
Staatsform für das Gedeihen eines Volkes ist." (4) Diese Indifferenz
sollte sich im März 1938, als deutsche Panzer die österreichische Grenze
überrollten, bitter rächen. Doch 1935 wurde die Auffassung vertreten,
"erst wenn ein Volk Bescheid weiß im Geldwesen, wird es in der Lage sein,
Vertreter zu entsenden mit ganz besonderen und eindeutigen Aufträgen". (5)
Mit anderen Worten: erst wenn das Volk die Freiwirtschaftslehre studiert und
akzeptiert hat, ist es reif für eine Demokratie. Darauf konnte man natürlich
lange warten.
Die mit
einer aufklärerischen Gesinnung gewürzte politische Indifferenz äußerte sich
auch in der Aufgabenstellung für die Wochenzeitung "Freiwirtschaft":
"Es kann nicht Aufgabe des Blattes sein, politisch einzugreifen und
politische Gedankengänge zu verfechten; es kann nur seine Aufgabe sein,
wirtschaftliche Erkenntnisse zu verbreiten und zu vertiefen. Und das - nicht
mehr und nicht weniger - ist ja auch die Aufgabe des Österreichischen
Freiwirtschaftsbundes und seiner Ortsgruppen." (6)
Die
Schriftleitung des Wochenblatts lag in den Händen des Ingenieuers Anton Dietl
aus Innsbruck, der gleichzeitig Verbandsvorsitzender war und seine Leitartikel
mit A.D.I. zu unterzeichnen pflegte. Im Gegensatz zum österreichischen
Finanzminister hielt er nicht den Nationalsozialismus, sondern den Mammonismus
für den Todfeind der abendländischen Kultur.
Dietl
verteidigte den Persönlichkeitswert und die Persönlichkeitsrechte gegenüber der
Massenpsychose. Er wandte sich gegen einen antikommunistischen Kreuzzug, der
nur den Kapitalismus retten würde. Seine Position war die der Mitte jenseits
von rechts und links. "Der Bedrücker Zins ist für den Arbeiter derselbe
Blutsauger wie für den Bauern und Gewerbemann." (7)
Im Januar
1936 wandte sich Dietl gegen die Losung "Volk ohne Raum": "Mit
diesem Schlagwort glaubt man schlechte Wirtschaft und daraus entspringende
Schwierigkeiten und schließlich auch frivol heraufbeschworene Kriege
rechfertigen zu können. Auch der Angriffskrieg Italiens gegen Abessinien wird
damit zu rechfertigen versucht." (8)
Es fehlte
jedoch eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und
Faschismus, die wie heiße Eisen umgangen wurden. Gläubig pries die
Wochenzeitung den künftigen Freilandstaat als "Vaterland des
Friedens"; er werde seine finanziellen Mittel, statt sie in die Rüstung zu
stecken und zu verpulvern, "restlos dem Schutz des Landes vor
Naturgewalten und Katastrophen zur Verfügung stellen". Um sich nicht dem
Vorwurf des Pazifismus oder gar des Defaitismus auszusetzen, war in diesem
Zusammenhang von einer "Freiwirtschaftlichen Landwehr" die Rede. Den
Rahmen des Freilandreiches sollte ein sozialer Rechtsstaat bilden. Allen
produktiven Ständen zuliebe müsse das Geld seiner Vorrechte entkleidet werden.
Dadurch würde die Wirtschaft "von mammonistischen Hemmungen befreit".
Es gibt in der Gesellschaft nur e i n e Kluft: die zwischen der Hochfinanz
einerseits und den produktiv Tätigen andererseits. "Alle anderen
Differenzen werden in einer freiwirtschaftlich geregelten Wirtschaft . . . nur
von untergeordneter Bedeutung sein." (9) Solche Regelung sei lediglich
eine ökonomische und monetäre Frage, keine politische. Darin hing eine mehr
oder minder ständestaatliche Auffassung.
Selbst
Dietls rebellischer Geist war zuweilen von Resignation überschattet.
"Unsere Sache ist es nicht, in Österreich Politik zu machen. Deren
Trägerin ist die Väterländische Front." (10) Doch diese stand unter dem
Patronat von Schuschnigg. So ordnete sich der ÖFB bis zu einem gewissen Grade
in die Vaterländische Front ein. Es ist jedoch zu beachten, daß er im
autoritären Schuschnigg-System nut einen "halblegalen Status" (11)
hatte und in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt, wenn nicht gar "zu einem
Schattendasein verurteilt" war. Das galt für die Zeit von 1934 - 38.
Außerdem verband ihn ein seelischer Faden mit dem untergegangenen Habsburger
Reich. Eines seiner Flugblätter begann mit der Anrede: "Euer
Wohlgeboren!" In welchem anderen Lande Europas wäre dies noch 1935 möglich
gewesen?
Im November
1936 hatte der ÖFB folgende Ortsgruppen: Wien, Graz, Linz, Wattens, Westendorf,
Dornbirn, Höchst, Lustenau, Nödling, Wörgl, Innsbruck, wozu später noch Wels,
Salzburg und Michelsdorf kamen. Es gab Landesleitungen für Voralberg,
Oberösterreich, Steiermark und Wien. Die Verbandsleitung saß in Innsbruck.
Büromäßig scheint sie nur aus Anton Dietl und einer Sekretärin bestanden zu
haben. Dem Bundesvorstand gehörten 1935 auch Gustav Linert und Emil
Lichtenegger an, ferner Karl Zdenek als Schriftführer und Georg Reis als
Schatzmeister. Auf der Hauptversammlung vom 6. Dezember 1936 in Innsbruck
legten die Vorstandsmitglieder Lichtenegger, Linert und Reis ihre Ämter nieder.
Sie traten zurück, "weil sie eine weltanschauliche Untermauerung des
Verbandes für unumgänglich notwendig halten und ihrer Anschauung im bisherigen
Aufbau des Verbandes nicht entsprochen scheint". (13)
Offenbar
wünschten diese drei Physiokraten, der ÖFB möge sich bei der Mitgliederwerbung
künftig hauptsächlich an die Arbeiter wenden, wie das Silvio Gesell schon
1924/25 empfohlen hatte. Lichtenegger, Linert und Reis erhielten die nötige
Zeit, um auf dem Verbandstag ihre Anschauung ausführlich darzulegen. Dietl
befürchtete ganz außerordentliche Schwierigkeiten für die weitere Entwicklung
der freiwirtschaftlichen Lehre in Österreich, wenn ihrem Antrag entsprochen
würde. Der ÖFB dürfe nicht zu einer Sekte werden, zu ihm kämen Menschen aus
allen Lagern. Gerade die Freiwirtschaftslehre sei geeignet, "den
verschiedenen weltanschaulich politischen Einstellungen, sofern sich diese
sozialgerechte Zustände zum Ziel stecken, eine wirtschaftliche Untermauerung zu
verleihen". (13)
Dietls
Anschauung setzte sich durch. Er wurde vom Verbandstag abermals zum 1.
Vorsitzenden, der Ingenieur Victor Berger zum 2. Vorsitzenden und
Stellvertreter gewählt, der Bankbeamte Karl Zdenek wieder zum Schriftführer und
Ludwig Mach zum Zahlmeister.
Zwei Wochen
später mußte Michael Unterguggenberger, Altbürgermeister von Wörgl, der am
19.12.1936 einem alten Leiden erlag, zu Grabe getragen werden. Seine
erfolgreiche Freigeld-Aktion hatte Wörgl 1932 in ganz Europa und darüber hinaus
auch in den USA bekannt gemacht. Davon konnte der ÖFB noch immer zehren. Soweit
es in ihm Auseinandersetzungen gab, fanden sie mehr auf der Gemütsebene als
(wie in Deutschland) auf der Ebene des Intellekts statt, was ihnen den Stachel
nahm. Der Österreichische Freiwirtschaftsbund hatte eine gemütliche und
wienerisch tolerante Ader.
Seine
Mitglieder nannten sich Bundesfreunde (Bf.). Sie waren in ,ordentliche' und
,unterstützende' eingeteilt. Die ordentlichen Mitglieder zahlten einen
Monatsbeitrag von 50 Groschen, die unterstützenden lediglich die Hälfte.
Studenten und Arbeitslose brauchten ab Dezember 1936 nur 10 Groschen zu zahlen.
An der
Spitze aller Ortsgruppen stand jeweils ein Obmann, kein Vorstand. Nur die neue
Ortsgruppe Wels wählte als provisorische Leitung ein dreiköpfiges Gremium.
Gewöhnlich kam man monatlich, manchmal auch 14-tägig zusammen. Neben der
zentralen "Freiwirtschaft" erschienen mehrere regionale Blätter. Der
"Ausweg" von Voralsburg nannte die österreichischen Freiwirte eine
"soziale Freiheitsarmee", die in Stadt und Land immer mehr
Gefolgschaft finde. Das war jedoch Zweckoptimismus.
Der ÖFB
verstand sich als ein Aufklärungsbund und Schulungsverein. In Österreich gab es
keine Versuche zur Gründung einer Freiwirtschaftspartei. Gleichwohl lag in
Dietls schroffer Unterscheidung zwischen Geldmenschen und Arbeitsmenschen eine
Radikalität, die sich auch politisch zuspitzen konnte. Das eigene Schrifttum
beschränkte sich zunächst auf eine Broschüre von Luis Grissemann - "Die
Arbeitsdienstpflicht des Geldes". So war man gezwungen, die Schriften
deutscher und Schweizer Freiwirtschaftler zu empfehlen.
Zurückgegriffen
wurde auf ein 1895 vorgetragenes "Volksgeld" des damaligen
Reichstagsabgeordneten Prof. Schlesinger. Er sei ein "unerhört gebliebener
Mahner im alten Österreich" gewesen und sehr weit "mit den
freiwirtschaftlichen Vorschlägen Hand in Hand" (14) gegangen. Anscheinend
genügte Schlesingers Ablehnung der Goldwährung, um ihn zu einem Vordenker der
Freigeldlehre zu machen. Gesells Vorschläge lagen auf einer anderen Ebene.
Das
Paradepferd des Österreichischen Freiwirtschaftsbundes war Prof. Dr. Johannes
Ude. Seine Rede vor dem Schwurgericht in Graz vom 7.2.1935 erregte großes
öffentliches Aufsehen. Der ÖFB veröffentlichte sie trotz ihrer Länge im vollen
Wortlaut, zunächst als 4-seitiges Flugblatt im Großformat, sodann als
Broschüre.
Udes
kämpferische Rede hatte einen revolutionären Klang. Er griff den Staatsanwalt
an, weil er zwei seiner Broschüren hatte beschlagnahmen lassen. Er fragte die
Richter und Geschworenen, ob sie sich auf die Seite der entrechteten
Proletarier stellen oder die Sache des Kapitalismus vertreten wollten. Dr. Ude
führte sich nicht als Angeklagter, sonder als Ankläger auf. Den italienischen
Feldzug gegen Abessinien bezeichnete er als Raubkrieg. Die Kriege wären letzten
Endes nichts anderes als "schlau berechnete Geschäftsunternehmungen des
international-organisierten, vaterlandslosen Finanzkapitals". Dessen
verbrecherischste Form sei der Rüstungskapitalismus. Ude rief im Gerichtssaal
aus:
"Nieder
mit dem Kapitalismus! Brechung der Zinsknechtschaft! Hinweg mit dem heute
geltenden Bodenrecht! Denn die kapitalistische Wirtschaft ist, und mag der Herr
Staatsanwalt diesen Satz noch so sehr beanstanden, wahrhaft eine
Verbrecherwirtschaft, weil sie die Gerechtigkeit auf das Schwerste
verletzt!" (15)
Obwohl sich
die österreichische Verfassung in ihrer Präambel auf Gott den Allmächtigen
berufe, stünden sich im Gerichtssaal die christliche und die heidnisch-römische
Weltanschauung gegenüber. Er selbst sei ein christlicher Volkswirtschaftler,
während der Staatsanwalt als Verteidiger des jetzigen Bodenrechts die
heidnisch-römische Anschauung verträte.
Ude wurde
ebenso freigesprochen wie Gesell 1919, konnte jedoch in Österreich nichts mehr
veröffentlichen. Mussolini verlangte von Schuschnigg wegen dem Vorwurf des
Raubkriegs gegen Abessinien einen zweiten Prozeß.
Der ÖFB
arrangierte mehrere öffentliche Vorträge, wobei er Ude als "priesterlichen
Gelehrten" vorstellte. Dieser sprach am 22. und 24.1.1936 in vollbesetzten
Sälen Wiens, am ersten Tage über Charakter und Charakterbildung, am zweiten
über die sozialen Pflichten des Eigentums. Darauf folgte am 8.2.1936 in Linz
ein Vortrag über das Geld, wobei Ude die Zwiebelwährung auf der Südseeinsel Marquesas
als natürliches Schwundgeld bezeichnete, zumal da auch die Mitgift der Braut in
Zwiebeln ausgezahlt würde.
Professor
Ude war eine unabhängige Persönlichkeit, die auch freimütige Ansichten vertrat.
In einer 1934 veröffentlichten Schrift warf er Gesell und so manchem Anhänger
der Freiwirtschaft vor, allzu einseitig sich von unbeschränkter Gütererzeugung
und der Beseitigung gewisser Mißstände des Kapitalismus alles versprochen zu
haben. "Man brauche nur die drei F restlos durchzuführen, so sagt man uns,
und das Wirtschaftsparadies werde erstehen." Als ob ein menschenwürdiges
Dasein nur davon abhängt, daß recht viele Güter erzeugt werden und jeder sich
in ihren Besitz setzen kann. Viel wichtiger ist, w a s produziert wird."
Die drei F würden unter Umständen den ausschweifendsten Genüssen, dem reinsten
Luxus und der Verschwendung Tür und Tor öffnen" (16), wenn das
warenökonomische Problem qualitativer Bedarfsdeckung ungelöst bliebe. Das
Freigeld lasse es ungelöst. Deshalb sei es nötig, Gesells Lehre in folgender
Hinsicht zu ergänzen und zu korrigieren:
1.
Ausschaltung jedweder schädlichen, unnützen und überflüssigen Gütererzeugung.
2.
Einführung einer sozialen Planwirtschaft, um die Bedarfsdeckung aller auf der
Grundlage sittlich einwandfreier Arbeit sicher zu stellen.
3. Zur
technischen und organisatorischen Gestaltung der Wirtschaft durch die drei F
muß die (katholische) Sittenlehre richtungsweisend hinzutreten.
4. Die
fortwährende Berufung auf den Eigennutz stößt alle Christen ab; stattdessen
müsse die Wirtschaft neu auf Gerechtigkeit und Nächstenliebe gegründet werden.
5. Eine
ständische Gliederung der Gesellschaft sei nötig, zumal sie der Natürlichen
Wirtschaftsordnung am gemäßesten wäre und viel zum planmäßigen Ausbau der
Wirtschaft mit einwandfreier Bedarfsdeckung beitragen könne.
Die
Gesellschen Reformen würden nur dann ein Segen für die Menschen sein, wenn sie
eine sittlich einwandfreie, auf vernünftiger Bedarfsdeckung eingestellte,
christlich orientierte und auf eine ständische Gesellschaftsgliederung
gestützte Planwirtschaft eingebunden wären.
Ude hielt
Gesells fundamentale Behauptung, der Wirtschaft komme Eigengesetzlichkeit zu,
für einen schweren Irrtum. Eine sittlich einwandfreie Wirtschaftsform war für
ihn nur denkbar, wenn die katholische Soziallehre zur Richtschnur genommen
würde. Die von ihm vertretene Planwirtschaft sei keineswegs mit einer
Beschlagnahme der gesamten Wirtschaft durch den Staat identisch. "Nicht
der Staat soll wirtschaften, sondern die Wirtschaft besorgen die
Staatsbürger." (17)
Wie das im
einzelnen geschehen sollte, sagte Ude nicht. Entschieden trat er dem Streben
nach wirtschaftlicher Autarkie entgegen, das sich im nationalsozialistischen
Deutschland besonders stark regte. Es müsse der Zusammenschluß aller
Volkswirtschaften zur Weltwirtschaft angestrebt werden.
Den frühen
Proudhon wendete Ude so: nicht Eigentum, sondern Zins sei Diebstahl. Wie Gesell
war er jedoch gegen das Privateigentum an Grund und Boden, den "Gott allen
Menschen umsonst zum Gebrauch übergeben".
Er beruhigte
jene Bauern, die sich zunächst durch die Verstaatlichung des Grund und Bodens
enteignet fühlen würden. Sie sei im Sinne eines päpstlichen Rundschreibens,
wonach "bestimmte Arten von Gütern der öffentlichen Hand vorzubehalten
werden können". Die Bauern sollten auf ihr Eigentum an Grund und Boden im
Vertrauen auf die Kirche verzichten! Ihnen stünde aber ein Sondereigentum an
ihren Produkten zu.
Trat bei
Paulus Klüpfel ein freies Christentum zutage, das sich außerhalb der Kirche
stellte und nach neuen Formen suchte, so bei Johannes Ude ein gebundenes, doch
gewiß kein traditionell ausgerichtetes.
Die
NWO-Bewegung ragte damals, wenigstens in der Schweiz, auch in die katholische
Kirche hinein. Dafür zeugte das Empfehlungsschreiben des Bischofs von St.
Gallen für Johann Udes Schrift "Geld und Gold", der "tiefer
sittlicher Ernst und das Bewußtsein der großen katholischen Verantwortung
gegenüber den ungeheuren Nöten unserer Zeit" bescheinigt wurde. Zwar
entwickle der Verfasser auch einige noch strittige Lehrpunkte, aber aus einem
hohen Verantwortungsgefühl. Seine Broschüre könne eine fruchtbare Diskussion
über die entscheidenden Probleme der Gegenwart auslösen. "Ude befindet
sich in Gesellschaft einer ganzen Reihe von namhaften katholischen Autoren, die
ebenfalls den Zins als arbeitsloses Einkommen verurteilen und in der heutigen
Entwicklung des Zinsinstituts eine Hauptursache des ungeheuren sozialen Elends
erblicken." In seiner "Soziologie" hatte sich Ude auch gegen die
Todesstrafe und für das Recht, ja die Pflicht zur Kriegsdienstverweigerung
ausgesprochen, da es unter den heutigen Verhältnissen einen gerechten Krieg
nicht mehr gäbe. Im allgemeinen war die NWO-Bewegung jedoch nicht pazifistisch.
Bezeichnend
für Ude war, daß er die Freiwirtschaftslehre als "eine ganz folgerichtige
Anwendung des von der thomistischen Wirtschaftslehre aufgestellten
Gleichheitsgrundsatzes" (18) betrachtete. Er führte Silvio Gesell auf
Thomas von Aquin zurück und hielt ihn für dessen Schüler, wenn auch für einen
eigenwilligen und freigeistigen.
Ude trat
jedoch gegen die darwinistische Tendenz in der Freiwirtschaft an. In Wort und
Schrift wandte er sich auch gegen die populär werdende darwinistische
Auffassung, daß der Mensch vom Tier abstamme. Er unterstützte die
Abstinenzbewegung und setzte sich für die Einrichtung alkoholfreier
Speisehäuser ein, über deren Bedeutung und Notwendigkeit er eine bald
vergriffene Broschüre schrieb. Sein Leitmotiv war die Lösung der sozialen Frage
durch Christus. Der monistischen Weltanschauung, die auch in der NWO-Bewegung
um sich griff, setzte er eine teleologische entgegen. Die Jugend sollte zur
Selbstbeherrschung erzogen werden, statt daß ihr - wie durch Gesell im
"Abgebauten Staat" auch den Erwachsenen - freies Ausleben in Aussicht
gestellt würde. Udes Schriften erschienen meist außerhalb der
freiwirtschaftlichen Verlage als die eines Einzelgängers, waren aber
erstaunlich schnell vergriffen und mußten oft mehrmals wieder aufgelegt werden.
"Rauchsklaverei und Kultur" erlebte vier Auflagen; dennoch konnte die
Nachfrage nicht befriedigt werden. Udes freiwirtschaftliche Gesinnung war
durchtränkt sowohl von der Lebensreformidee als auch von der katholischen
Soziallehre.
1
Freiwirtschaft 11/35
2 ebenda
28/35
3 ebenda
41/35
4 ebenda
5 ebenda
6 Rundbrief
der Verbandsleitung in Nr. 5/36
7
Freiwirtschaft 32/36
8 ebenda
3/36
9 ebenda
41/35
10 ebenda
I1 Gerhard
Senft, Weder Kapitalismus noch Kommunismus, Berlin 1990, S.199
12
Freiwirtschaft 41/35
13 ebenda
42/36
14 ebenda
44/36,
vergl.
Gerhard Senft in: Zeitschrift für Sozialökonomie Juni 1990: Vom ,Volksgeld' zum
,Mefo-Wechsel'.
15
Broschüre: Dr. Ude vor Gericht, S. 19
16 J. Ude,
Geld und Gold, S. 28 (siehe such seine Broschüre: Soziale Planwirtschaft)
17 ebenda,
S. 29
18 ebenda S.
8
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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von
W. Roehrig