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Günter Bartsch: Die NWO-Bewegung

ISBN 3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994

 

 

 

 

 

Teil 2 (1933 - 1945)

 

Zur damaligen Situation

 

Seit dem politischen Erdrutsch der Reichstagswahlen vom September 1930 gab es in Deutschland eigentlich nur noch die Alternative zwischen einer kommunistischen oder einer nationalsozialistischen Diktatur. Der Nationalsozialismus schien das kleinere Übel zu sein, auch genügend Vitalität zu besitzen, um sowohl die nationale als auch die soziale Frage zu lösen.

 

Hitlers erste Reden als Reichskanzler zerstreuten viele Befürchtungen. Auch die meisten Freiwirte ließen sich täuschen. Die politische Macht des Nationalsozialismus schien ebenso fest gegründet zu sein wie die des Kommunismus in Rußland. Auf Jahrzehnte war keine andere Sicht. Sollte man da die Hände in den Schoß legen oder versuchen, das neue System positiv zu beeinflussen?

 

Solche Überlegungen zirkulierten sowohl im FWB als auch innerhalb des FKB und anderer NWO-Organisationen. Sie bestimmten mehr und mehr ihren Kurs. An Warnungen hat es nicht gefehlt. Es gab auch den Kurs aktiven Widerstands. Der Nationalsozialismus war jedoch eine große Versuchung für viele Freiwirte. Im Mittelpunkt des NSDAP-Programms stand ja die von Silvio Gesell immer wieder geforderte Brechung der Zinsknechtschaft.

 

Zunächst konnten die NWO-Organisationen auch im Dritten Reich weiterbestehen. 1934 verbot man ihre Zeitungen. Es folgten Hausdurchsuchungen bei etwa 1.200 Freiwirten. Einige der für die Gestapo gefährlichsten Physiokraten und Freiwirtschaftler wurden ein für allemal ,kaltgestellt'. Dieses Schicksal traf mit voller Wucht Peter Bender, den Programmatiker des FWB. Er wurde in ein Konzentrationslager gebracht und starb darin. Dasselbe Schicksal war Dr. Paul Diehl zugedacht. Ihm kam jedoch ausnahmsweise zugute, daß es auch in der NSDAP Freiwirtschaftler oder freiwirtschaftlich Gesinnte gab, die sogar Vertrauensposten innehatten. Gerade an der zentralen Erfassungsstelle, in die Diehls Personalakte eingelaufen war, saß einer davon. Er vernichtete die Akte, bevor sie registriert und zu einem unverlierbaren Bestandteil des repressiven Gestapoapparats werden konnte.

 

Auch Benedikt Uhlemayr, Professor Ude und zahlreiche andere Freiwirte waren Verfolgungen ausgesetzt, die sie jedoch ungebrochen überstanden. Ein riesenhaft gebauter Freiwirt nahm Gift, als ihn die Gestapo abholen wollte: er zog den Freitod der KZ-Haft vor, die eine ständige Beleidigung seines elementaren Freiheitsanspruches gewesen wäre.

 

 

 

I. Die Wandelgänge des Fisiokratischen Kampfbundes (FKB)

 

Um ein klares Bild zu bekommen, müssen wir zunächst die FKB-Politik v o r Hitlers Berufung zum Reichskanzler betrachten.

 

 

Geringschätzung und Verachtung bis 30.1.1933

 

Der FKB bezog anfangs eine kämpferische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Sein Hauptangriffsziel war jedoch die SPD. Sie wurde mit dem ,marxistischen Bonzentum' gleichgesetzt. Getreu einer Losung Gesells wollte der FKB das revolutionäre Potential, welches sich in Wirklichkeit in der KPD gesammelt hatte, ,von links aufrollen': durch Beiseitedrängen der ADGB-Leitung und der SPD-Führung. Von gewissen Erfolgen der WÄRA-Aktion berauscht, fühlte er sich stark genug dazu. "Schon heute würde ein Verbot unserer Idee und Bewegung mehr nützen als schaden." (1)

 

Der FKB setzte Anfang 1931 noch einmal auf den Aufbau einer überparteilichen proletarischen Einheitsfront, die er sich nur noch unter seiner Führung vorstellen konnte. Sie sollte entstehen durch "organisierten antikapitalistischen Kampf mit allen Mitteln". (2)

 

Obwohl die Proletarier das Verbot der Wära-Aktion ohne jeglichen Widerstand hinnahmen, blieb diese Strategie und Taktik weiter verbindlich. Sie sollte durch die Gründung einer Freilandgesellschaft ergänzt werden, um auch die Bodenfrage auf die Tagesordnung zu stellen. Innerhalb der SPD, so hoffte man, würden Hans Schumann und Erich Mäder die Mehrzahl der Ortsgruppen und einfachen Mitglieder für physiokratische Reformen gewinnen. Schumanns Ausschluß Ende 1932 hatte nur verstärkte Attacken gegen das marxistische Bonzentum zur Folge.

 

Ein Bündnis mit der SPD gegen die NSDAP wurde nicht einmal erwogen, hatte sich doch der sozialdemokratische Parteivorstand mit Schumanns Ausschluß "für die Hochfinanz entschieden". (3)

 

Die NSDAP war vom FKB 1925 für tot erklärt (4) und sodann fünf Jahre lang ignoriert worden. Adolf Hitler schien ein politischer Clown zu sein, den man nicht sonderlich ernst nehmen brauchte. Um so weniger, als ja die physiokratische und freiwirtschaftliche Idee in ganz Europa und darüber hinaus in den Vereinigten Staaten gewaltige Fortschritte machte. Ihr Siegeszug war nicht mehr aufzuhalten!

 

Der FKB versuchte, die einfachen Mitglieder der NSDAP gegen ihre Führung auszuspielen. Er beschuldigte Hitler, die Idee des Dritten Reiches der freiwirtschaftlichen Physiokratie gestohlen zu haben. Die NSDAP sei eine kapitalistische Zins-Partei. So Hans Timm noch im Mai 1932.

 

Im August unterschied er erstmals zwischen Platzrentnern und Geldrentnern. Auf das arbeitslose Einkommen hätten es beide abgesehen. "Ganz besonders zähe sind darauf versessen die Juden und die Antisemiten. Die einen mehr auf den Kapitalertrag in Form des Zinses, die anderen mehr auf den Kapitalertrag in Form der Grund- oder Platzrente. Die Verteidiger der Platzrente sind es, die die nationale Phrase brauchen. Ihr Handlanger ist Hitler", der ihnen zu gelegener Zeit kam und den sie mit allen Mitteln großgemacht haben. Mit Hitlers Hilfe haben die Platzrentner den Kampf gegen die Geldrentner geführt. Er ist noch ihre Strohpuppe.

 

"Es war ein innerkapitalistischer Kampf. Und da das Kapital beweglich ist, d. h. von Land zu Land gebracht werden kann, mußten die benachteiligten Kapitalisten, mussten die Hängengebliebenen . . . den Kampf gegen den Geldkapitalismus als ein Kampf des Nationalen gegen das Internationale führen. Das Ziel Hitlers, der klassenlose deutsche Gemeinschaftsstaat, wurde im rechten Moment durchkreuzt durch das Feudalregime der Herren aus dem Herrenclub. Für s i e hat Hitler die Kastanien aus dem Feuer geholt, weil er nicht intelligent genug war, die ganzen nationalen Phrasen zu durchschauen, ... weil er von da ab niemals seine Sache, sondern die Sache der Kapitalisten betrieben hat." (5)

 

Im Grunde stehe der Kapitalismus rechts von Hitler. Timm hielt ihn für eine Marionette des (Platzrentner-) Kapitals, aber das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Wenn man ihm die nationalen Phrasen zu durchschauen helfe, werde er vielleicht aus dem innerkapitalistischen Kampf ausscheren und seine Sache tun - den klassenlosen deutschen Gemeinschaftsstaat errichten.

 

Auch Fox Reiner nannte die NSDAP die Partei der Bodenkapitalisten. Doch womöglich noch schlimmer sei die SPD. "Die Fahne ist rot, und die Phrasen sind rot, doch die Taten sind schwarz. Dazu wird die Phrase ja erfunden, daß der Bonze kann gesunden." (6) Entweder freiwirtschaftliche Physiokratie oder Untergang des Abendlandes!

 

Timm fand sich in einem Zwiespalt. Er befürchtete von Hitler die Schaffung eines Herdenstaats. Aber "er will die Goldwährung stürzen". (7) Den Faschismus gab es seines Erachtens schon seit 1931 in Deutschland, als unter Brünings Fittichen die ersten Arbeitsdienstlager entstanden. Angeblich bestand auch längst eine Militärdiktatur. Die Reichswehr sei "nach außen nichts, nach innen alles". (8) Hitler war im Recht, als er ein Koalitionskabinett ablehnte. (9) Man hätte ihm die Alleinregierung geben sollen.

 

Der FKB war antiparlamentarisch. Vor den Reichstagswahlen vom 31.7.1932 riet er sogar davon ab, der Freiwirtschaftlichen Partei die Stimme zu geben. Sie müsse erst einmal "den geraden Sinn der Silvio Gesellschen Idee zum Ausdruck bringen". (10) Auch bei einer antifaschistischen Aktion komme nichts heraus.

 

 

 

Vom 1.2.1933 bis zum Untergang

 

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Hans Timm kommentierte die Machtübernahme der NSDAP zwischen dem 4. und 10. 2.1933 wie folgt: "Hitler untergebracht ... Er hat seine Ziele aufgegeben und kann sich dafür seinen Mannen als am Ziele angelangt präsentieren . . . So steht er da am Fenster und schaut auf  seine ,Heils'-armee. Hinter ihm steht zwar Papen, der Manager, aber er steht immer hin v o r n e . . . Ist vielleicht Papen der eigentliche Kanzler und Hitler nur der Puffer, der die Stoßkraft der Nationalsozialisten auffangen soll?" (11) Die "Letzte Politik" (LP) arbeitete nun mit folgendem Wortspiel:

 

"Aufruf zur Sklaverei -

Der Vierjahresplan der Regierung -

Aufruf zur Freiheit."

 

"Die Sünden der Linken rächen sich nun auf eine unerbittlich grausame Art. Einen letzten Rettungsanker für das freie Deutschland bildete Hans Schumann als Kämpfer in der Sozialdemokratie. Man warf ihn hinaus. Damit war das Schicksal des sich gegen die Ausbeutung und Versklavung aufbäumenden Volkes für diesmal besiegelt." (12) Schuld an Hitlers Machtergreifung trug demnach die Sozialdemokratie.

 

Hitler sei ein deutscher Stalin, ein Nationalkommunist. "Jetzt kommt die vom Kommunismus drohende allgemeine Arbeitspflicht als nationale Sache über uns... Wir rufen zur Freiheit auf. Wir rufen auf gegen den deutschen Kommunismus sowohl wie gegen den russischen. Wir wollen Arbeitsmöglichkeit durch Absatzsicherung mit Freigeld. Wir wollen nicht Arbeitszwang mit Zinsausbeutung."

 

Mitte Februar 1933 erschien die LP unter dem Leitbalken "Alle Macht der NSDAP!"

 

Ein gewisser ,W', den niemand kannte, schrieb: "Weg mit Hugenberg und Papen. Hitler darf nicht unter Kuratel gestellt werden, damit er zeigen kann, was nationaler Sozialismus ist. Das Abwirtschaften geht dann recht schnell. Bevor vier Jahre um sind, ist alles schon vergessen." (13) Wie die KPD glaubte der FKB, die NSDAP werde wegen ihrer Unfähigkeit, die anstehenden Probleme zu lösen, bald wieder abtreten müssen. Hitler verdiene aber einen moralischen Kredit. Hugenberg und Papen wären in seinem Kabinett nur konservative Bremsklötze.

 

Hitler unter Kuratel stellen, das bedeutete für Timm und Genossen, die Abschaffung der Goldwährung zu verhindern. Er sollte i h r Erfüllungsgehilfe statt der des Grund- und Platzrentnerkapitalismus sein. Man müsse ihn zu revolutionärem Handeln zwingen. Denn bisher sei ja nichts geschehen. Die NSDAP habe sich als butterweich erwiesen.

 

"Vielleicht tun wir Hitler Unrecht. Ausser dem Sofortprogramm hat ja Hitler angeblich noch ein Geheimprogramm. Warten wir also ruhig ab. Der neue Mann muß sich erst einarbeiten." (14)

 

Im Oktober 1931 hatte Fox Reiner einen Aufruf an alle Physiokraten, Freiwirtschaftler und Antikapitalisten gerichtet. Ein Hungerwinter stehe vor der Tür. Not und Elend würden sich ins Grauenhafte steigern. "Unsere Stunde hat geschlagen!" Nun schien es, als hätte Hitlers Stunde geschlagen. Vielleicht ist er "noch ehrlicher, als wir alle denken. Gebt alle Macht Hitler. Weg mit Hugenberg und Papen!"

 

Der FKB war sich darüber klar, daß er auf diese Weise eine Diktatur befürwortete. Er setzte sich für Zwangsmaßnahmen ein. "Zwangsmaßnahmen zu unserer eigenen Rettung setzen einen Rettungsplan voraus. Hitler ist 20 Tage Kanzler. Wir haben auch jetzt noch kein Wort gehört, wie seine Regierung sich die Besserung denkt. . . Die Rettung m u ß beginnen. Es sind genug Millionen, die blind glauben. Mit dem zehnten Teil könnte jeder Fisiokrat in der Zeit, da Hitler an der Macht ist, die Wirtschaft längst angekurbelt haben... Und das eben würde eine fysiokratische Befreiungsdiktatur grundsätzlich von allen Gewaltherrschaften unterscheiden . . . Sie braucht ja nur das Geld zum Umlauf zu zwingen und in genügender Menge in Verkehr zu geben, und schon käme alles wieder in Gang." (15)

 

Hitlers Diktatur wird für eine Übergangszeit in Kauf genommen, falls sie eine Rettungs- und Befreiungsdiktatur im Sinne des Fisiokratischen Kampfbundes ist. Er hatte selber eine Massenbewegung entfachen wollen. Das war ihm mißlungen. Nun setzte er wenigstens an der Spitze auf eine andere Massenbewegung. Die Pressefreiheit könne schon nach drei Wochen wiederhergestellt sein. Doch zunächst müßten alle Zeitungen in den Dienst der Befreiungsdiktatur gestellt werden und ihre Verlautbarungen veröffentlichen. Das entsprach genau Polenskes Regierungsprogramm vom Dezember 1920, desselben Polenske, der Gesells Propagandist in der 1. Bayrischen Räterepublik gewesen war.

 

Timm glaubte allen Ernstes, Hitler habe den Nationalsozialismus wie eine Schlangenhaut abgestreift und sich dem Volkswohl verschrieben. Aus einem Parteiführer sei bereits ein nüchterner Staatsmann geworden, der "seinen Geschäftssinn schon bewiesen" habe. Nun könne man ihm die unwiderlegbare Freiwirtschaftslehre nahebringen. Timm projizierte auf Hitler den physiokratischen Heilsplan, obwohl er ihn haßte und verachtete.

 

Rolf Engert warnte. Die Nationalsozialisten hätten den Sozialismus inzwischen aufgegeben. Hitlers Geheimplan sei eine Fiktion. Doch auch die Berufung Schachts zum neuen Reichsbankpräsidenten schien Timm nicht zu beirren.

 

Hitler müsse zunächst einmal seine Schuldigkeit tun. Dann werde ein anderer Befreier kommen: Silvio Gesells Nachfolger.

 

"Eine noch kleine, aber entschlossene Schar seiner Anhänger steht bereit, seine Ideen in die Tat umzusetzen, wenn man ihr die Macht gibt! Und sie ist bereit, mit ihrem Kopfe für den raschen, rettenden Erfolg ihrer Maßnahmen zu haften, sobald man sie nur ganze Arbeit leisten läßt. Es gibt kein Zurück mehr ins Alte, Morsche, Abgelebte- jeder Schritt dahin bedeutet Untergang - sondern nur noch ein Hindurch ins Neue, ins noch nie Dagewesene!

Wo ist der Mann, der die Zeichen der Zeit richtig zu deuten vermag und danach zu handeln? Wo ist der Mann, der die soziale Frage tatmäßig löst und damit uns alle rettet? Und: W a n n wird d e r Retter kommen in diesem Lande?" (16)

 

Rolf Engert nannte in diesem Zusammenhang Ernst Niekisch, den persönlichkeitsmächtigsten Nationalbolschewisten, der in Bayern Gesells Ernennung zum Volksbeauftragten vorgeschlagen hatte und von Georg Blumenthal halbwegs für die Freiwirtschaft gewonnen worden war. Aber das lag 13 -14 Jahre zurück. Inzwischen 1932 - war Niekisch in Moskau gewesen und im Kreml empfangen worden. Er erstrebte ein Bündnis mit der Sowjetunion gegen den Westen, den er tödlich haßte und wozu er "des Kommunismus fähig war" (wie er selbst sagte).

 

Engert begann zugleich eine Artikelserie über Gesell und Stirner. Er hatte schon 1921 geschrieben, die Freiwirtschaft sei "ein praktischer Ausdruck der Stirnerschen Philosophie". (17) Es fragte sich, ob diese Philosophie mit dem strengen Ordnungsbild von Niekischs preußischem Bolschewismus zu vereinbaren wäre.

 

Im April 1933 schwenkte die "Letzte Politik" wieder um. Sie verlangte auf einmal "mehr Nationalsozialismus! . . . , Nationalsozialismus auch gegen die Goldene Internationale." Das stimmte mit dem Kurs des Lautenbachkreises überein. "Von einer nationalen Regierung erwarten wir, daß sie den Götzen Mammon vom Throne stürzt. Uns ist der Gedanke unerträglich, daß die (jüdische oder christliche) Hochfinanz sich in innerdeutsche Angelegenheiten nach wie vor einmischt, daß nichtdeutsche Mächte bestimmen, wieviel Gold in Deutschland umläuft. Soll die nationale Revolution nicht umsonst gewesen sein, so muß auch mit der ,goldenen Internationale' aufgeräumt werden." (18)

 

Andererseits mahnte ,W' zur Geduld: "Herkules hat den Augiasstall auch nicht an einem Tage ausgemistet. An Tatkraft zum Ausmisten hat es Hitler bisher nicht fehlen lassen. Immer eins nach dem anderen. Erst die Tempeldiener dann die Tempelherren. Nach der ,roten' die goldene Internationale." (19)

 

Timm wies Feders Unterscheidung zwischen raffendem und schaffendem Kapital zurück. Für ihn gab es nur raffendes. Es sei eine üble Phrase des NS-Theoretikers, daß der Schwund des Freigelds "nur die Gehalts- und Lohnempfänger träfe." (20)

 

Ostern 1933 fand in Hamburg ein Bundestag des FKB statt - ohne Nordwall, Bader und Schumann. Richard Batz referierte zwei Stunden über Mensch und Technik. Man sprach auch über die politische Lage, jedoch so, als wäre alles Routine und nichts Besonderes zu berichten. Der langlährige Geschäftsführer Alfred Bader wurde als ,Jude' bloßgestellt. Er hatte inzwischen, auch als Protest gegen die Politik des FKB, zusammen mit anderen Freiwirten eine Sozial-Fisiokratische Partei gegründet, die das ganze deutsche Volk über die wahren Ziele der Physiokratie aufklären wollte. Darüber hieß es im LP-Kommentar eines gewissen ,Bruno': "Ob sich gerade die ,deutschen Menschen', also die Antisemiten, die ,Zersetzungsarbeit' eines Juden gefallen lassen werden, oder ob gerade das aufklärend wirken sollte, war nicht klar zu kriegen." (21)

 

Im Mai 1933 ergriff wieder Rolf Engert das Wort, diesmal unter dem undurchsichtigen Pseudonym ,Maximos'. Überschrift: "Gebt dem Staate, was des Staates ist!" In einer Vorbemerkung der Redaktion hieß es, die Physiokraten hätten keine nachträgliche künstliche Gleichschaltung nötig, "da wir für unser Ziel, die volle Freiwirtschaft, j e d e politische Konstellation einsetzen können. Es kommt uns nie darauf an, w e r dieses Ziel erreicht, sondern daß es erreicht wird." (22) Dieses Vorwort stammte von Florian Geyer, d. h. von Helmut Haacke. Er stimmte mit Hans Timm darin überein, auch durch die NSDAP könne die volle Freiwirtschaft eingeführt werden.

 

Rolf Engert sprach von einer "entscheidenden Kräftigung des Staates" durch die Verstaatlichung des Geldwesens. "Ein staatliches Währungsamt, das aktive Währungspolitik betreibt ist das, was einem starken Staate zusteht." (23) Bis dahin wird er zur Ohnmacht verurteilt sein. Nun haben die Freiwirtschaftler die Gründung des neuen Deutschlands miterlebt, "an dessen Aufbau wir mitarbeiten wollen". Freigeld und Freiland - das sind ihre wesentlichen Beiträge. "Sie geben zum ersten Male dem Staate, was ihm zukommt, worüber er aber bisher noch nicht verfügte." Dem Abbau des Staates muß erst sein Ausbau durch Freigeld und Freiland vorangehen. "Gerade weil wir den Staat durch sie entscheidend stark machen, glauben wir ihn unbekümmert in vielen anderen Punkten abbauen zu können, sie wieder der privaten Initiative des Einzelnen freigebend " Dr. Hochstetter hatte in der "Schule der Freiheit" geschrieben, Nationalsozialismus und Geldbesteuerung sollten zusammenkommen. Die physiokratische Wochenzeitung meinte, ihn ergänzen und erweitern zu müssen: "Nationalsozialismus und Freiwirtschaft müssen zusammenkommen, und alle finsteren Mächte, die das bisher zu verhindern suchten, müssen lahmgelegt werden." (24) Stehe der Nationalsozialismus zur Brechung der Zinsknechtschaft als dem ,Herzstück' seines Programms, "so stehen wir zu ihm, und es kann nicht ausbleiben: wir müssen zueinanderfinden und zusammenwirken im Aufbau des neuen Deutschlands."

 

Ein klares Angebot zur Zusammenarbeit! Hans Timm war es gelungen, Rolf Engert auf seine Seite zu ziehen. Politik sei nun einmal die Kunst des Möglichen.

 

In Helmut Haacke stiegen gewisse Bedenken auf. Wenn das Freigeld von den Nationalsozialisten eingeführt wird, kann es zur Erhöhung des Geldzinses und der Grundrente mißbraucht werden. Indes empfahl er allen Physiokraten und Freiwirtschaftlern das Studium der nationalsozialistischen Wirtschaftstheorie.

 

Die Stärke und die Macht der NWO-Bewegung werden weitgehend davon abhängen, "wie dieser Ruf befolgt wird". (25) Man könne dann "bei verschiedenen Gelegenheiten zukunftsweisende Worte sagen".

 

Inzwischen begrüßte Hans Timm die Gründung der Deutschen Arbeitsfront (DAF), wodurch Hitler eine falsche Front - Arbeiter gegen Unternehmer - zerstört habe. Vielleicht komme nun eine gemeinsame Front gegen das Währungssystem zustande.

 

Rolf Engert erklärte sein Angebot: "Jede wahrhafte Diktatur ist eine Befreiungsdiktatur, denn sie befreit von falschen Menschensatzungen und setzt an ihre Stelle wieder das unbehinderte Walten der Naturgesetzlichkeiten." (26) Das klang ähnlich wie bei Spengler: "Nur ein Cäsar, der mit der Natur und ihren tiefen, einfachen Gesetzlichheiten im Bunde, kann eine aus den Fugen geratene Welt wieder einrenken". Der wahre Cäsar könne freilich nur aus physiokratischer Grundeinstellung heraus wirken. In diesem Sinne sei der FKB zur positiven Mitarbeit am Aufbau eines neuen Deutschlands, "ja einer neuen Welt" bereit.

 

Hans Timm wies auf ein tragisches Verhängnis hin. Alle bisherigen antikapitalistischen Bewegungen versagten, sobald sie vor die wirtschaftlichen Probleme gestellt waren, immer aus dem gleichen Grund: "Kämpften sie einerseits für die Freiheit, so führten sie andererseits die kapitalistische Ausbeutung, die sie beseitigen wollten, auf eben diese Freiheit zurück." Der Nationalsozialismus erwecke große Hoffnungen, weil er nicht die Masseninstinkte über individuelle Leistungen der einzelnen triumpfieren lassen, sondern das Führerprinzip außer in der Politik auch in der Wirtschaft wieder zur Geltung bringen wolle. Doch wird dies immer wieder durchkreuzt durch die Ansicht selbst führender Nationalsozialisten, daß der freie Wettbewerb zur Ausbeutung durch den Kapitalismus führe. Obwohl sich Minister Goebbels "als freiheitlicher Mensch" grundsätzlich zum Individualismus bekenne, sei auch er dieser falschen Meinung. Wessen Einkommen aus der Tüchtigkeit und eigenen Leistung entspringt, ist jedoch niemals Kapitalist. Dieser zehrt von fremder Leistung. Er beweist, daß man unabhängig von eigener Tüchtigkeit von der Arbeit anderer leben kann. Die kapitalistische Ausbeutung hat ihre Ursache nicht in der Freiheit, sondern rührt umgekehrt daher, daß der freie Wettbewerb beim Boden und beim Geld nicht zur vollen Auswirkung kommen kann. "Ist die Geldverwaltung in Ordnung, dann beseitigt er ganz von selbst die kapitalistische Ausbeutung." (27)

 

Auf einmal kehrte sich Hans Timm von seiner früheren Staatsfeindschaft ab. Der Staat könne durchaus "wieder als Hüter der Freiheit" auftreten. Er hätte dafür zu sorgen, "daß nicht nur die kapitalistischen Auswüchse, sondern der ganze Kapitalismus mit Stumpf und Stiel verschwindet." (28) Zugleich müsse er die individuelle Freiheit jedes einzelnen sichern. Dies erhoffte Timm von Hitler!

 

Norbert Zwinger (Helmut Haacke) stellte sich den Sturz der Hochfinanz als einen unblutigen Kampf vor. "Keiner Person wird ein Haar gekrümmt. Die Wirtschaft wird über Nacht umgekrempelt. Es sind keine Arbeiter-Räte oder Partei-Komissare notwendig... Es erfolgen keine organisatorischen Umbildungen. An einem einzigen Punkt wird der Hebel angesetzt: an der Geldverwaltung. . . Die Wirkungen treten ebenso rasch wie lautlos ein." (29)

 

Am 15.7.1933 erklärte ein Führer der brandenburgischen NSDAP, Dr. Schlange, in einem öffentlichen Vortrag: "Die Nationalsozialistische Partei lehnt mit aller Entschiedenheit die internationale Richtung der Freilandbewegung im Sinne Silvio Gesells ab, da sie den Tod unseres Volkstums bedeuten würde. Nicht der Geldsack, sondern die Fähigkeit, den Grund und Boden im Interesse der Gesamtheit bebauen zu können, kann allein für seinen Erwerb maßgebend sein." (30) Damit spielte Dr. Schlange auf die vorgesehene Verpachtung der Grundstücke an den jeweils Meistbietenden an. Rolf Engert nahm das zum Anlaß, noch einmal auf die Bereitschaft der Freiwirte zur positiven Mitarbeit hinzuweisen.

 

Die NWO-Bewegung sei lange vor dem Nationalsozialismus entstanden, der sich auf den Boden ihrer Grunderkenntnisse gestellt habe, als er die Zinsknechtschaft als Quelle der sozialen Übel erkannte. Die freiwirtschaftlichen Ideen lägen im Wettkampf der Geister überall vorn. Sie begännen sich auch "als die Grundtendenzen in der das heutige Deutschland beherrschenden nationalsozialistischen Bewegung klar abzuzeichnen und herauszuheben . . . Wenn nun zwei Bewegungen den gleichen Ausgangspunkt und das gleiche Ziel haben, aber in den Mitteln zur Erreichung dieses Zieles auseinandergehen, ist es dann nicht r e i n  s a c h l i c h gefordert, daß sie sich in einer endgültigen Diskussion über die Brauchbarkeit der beiderseits vorgeschlagenen Mittel auseinandersetzen und klar werden, vorausgesetzt, daß sie beide dies Ziel wirklich ernsthaft wollen?" (31) Kehre der Nationalsozialismus zur altgermanischen Auffassung des Grund und Bodens zurück, "so wird er in uns jederzeit die unentwegtesten und tatkräftigsten Mitarbeiter haben".

 

Im Januar 1934 stellte Hans Timm fest, nicht nur die Planwirtschaft habe abgewirtschaftet, auch der Gedanke des Liberalismus, daß die Wirtschaft möglichst frei bleiben sollte. "Ordnende Tat ist notwendig. Eine Regelung aber, die darauf hinausläuft, dem Stärkeren in den Armzufallen, verschlimmert nur das Übel. Sie bringt den Tüchtigen um seinen Arbeitsertrag und verringert darum auf Umwegen auch den Arbeitsertrag aller." (32) Nicht die ohnehin nur halbe Freiheit des Individuums, sondern der Kapitalismus müsse eingeschränkt und abgeschafft werden.

 

Immer mehr nationalsozialistische Begriffe schlichen sich in den Sprachstil der "Letzten Politik "ein: vom "Nährstand" bis zur "drohenden Auseinandersetzung zwischen der weißen und der farbigen Rasse". Ein Artikel trug den Titel: "Wie der Gelbe den Weißen beurteilt". Ein anderer: "Gemeinnutz geht vor Eigennutz"(allerdings mit einem etwas ironischen Unterton). Wurde der Fisiokratische Kampfbund sprachlich unterwandert? Er paßte sich politisch wie begrifflich an. Doch das nützte ihm nichts. Im Februar 1934, nach seiner Selbstauflösung, wurde seine Wochenzeitung verboten. Nur kurze Zeit haben ihn Mutterland-Bund und Wära-Bund überdauert, seine Nachfolge-Organisationen, durch die er sich fortpflanzen wollte.

 

 

 

1 Letzte Politik (abgekürzt LP) 1/31

2 ebenda

3 LP 2/33

4 Neuer Kurs 22/25

5 LP 32/32

6 LP 22/31

7 LP 32/33

8 LP 37/32

9 LP 46/32

10 LP 25/32

11 LP 5/33

12 LP 5/33

13 LP 6/33

14 LP 6/33

15 LP 7/33

16 LP 10/33

17 Rolf Engert, Die Freiwirtschaft als praktischer Ausdruck der Stirnerschen Philosophie, Erfurt 1921

18 LP 12/33

19 LP 9/33

20 LP 10/33

21 LP 16/33

22 LP 18/33

23 ebenda

24 ebenda

25 LP 20/33

26 LP 22/33

27 LP 27/33

28 ebenda

29 LP 37/33

30 Märkisches Tageblatt 16.7.33

31 LP 47/33

32 LP 1/34

 

 

 

 

 

 

 

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Günter Bartsch: Die NWO-Bewegung

ISBN 3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994

 

 

Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von W. Roehrig