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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
IV. Die
"Schule der Freiheit" des Otto Lautenbach
Bekenntnis
zur Nationalen Revolution
Im Frühjahr
1933 erhielten 3000 Freiwirtschaftler und Physiokraten einen Prospekt im
zierlichen Taschenformat zugeschickt: die Ankündigung einer neuen Zeitschrift
unter dem Titel "Schule der Freiheit". Als ihr Herausgeber war Otto
Lautenbach genannt, von dem auch der Text des Werbeprospektes stammte:
"Unsere
Generation erlebt einen scharfen Umbruch der Zeit..., in unseren Tagen
äußerlich dokumentiert und für alle sichtbar in der Nationalen Revolution von
1933. Vergängliches vergeht, Vergängliches entsteht. Der ewige Drang der
Einzelnen und der Gemeinschaften zur Freiheit ist das einzig Beständige . . .
In unseren
Tagen ist ein politisches System zusammengebrochen, das ,auf der freiesten
Verfassung der Welt' aufgebaut war. Und doch gibt es nur wenige, die diesem
System von Weimar nachtrauern. Die Mehrheit des Volkes hat mit Hilfe dieser
Verfassung gegen die Freiheit optiert, hat einer starken Führung durch diesen
Entscheid die Freiheit des Handelns gegeben . . . Aber solange es Menschen gibt
und solange es Menschen geben wird, war die Freiheit das höchste ldeal und sie
wird ewig . . . das Ziel des Menschen bleiben. In diesen ewigen Kampf stellt
sich die Schule der Freiheit." (1)
Sie sei die
lebendige Zeitschrift des geistigen Menschen, dessen bewußt, daß Freiheit im
Kampfe errungen werden will. Nicht die des "schalen Liberalismus",
der "in ihrem Namen zucht- und verantwortungsloses Handeln zur Lebensform
erheben will", sondern die "Freiheit wozu?" im Sinne
"Friedrich Nietzsches. Doch gemach: Die neue Zeitschrift werde für eine
"natürliche soziale Ordnung" durch die Freiwirtschaft Silvio Gesells
kämpfen. Sie erstrebe eine Lebenswelt für Volk und Individuum, "in der
alle Kräfte sich ihrer Bedeutung nach in Freiheit entwickeln können".
Was sollte
das in den engen Verhältnissen des nationalsozialistischen Systems heißen, und
warum wurde Nietzsche vor Gesell genannt? Der Herausgeber bekannte sich zur
"Nationalen Revolution" Adolf Hitlers, jedoch sollte die "Schule
der Freiheit" eine unabhängige Zeitschrift sein. Sie werde Fragen
erörtern, für die "jeder organisatorische Rahmen zu eng" sei, diene
aber in gleicher Weise der freiwirtschaftlichen Idee und den freiwirtschaftlichen
Organisationen. Allerdings in dem Glauben, "daß dieser Dienst unabhängig
von den Organisationen am besten geleistet werden kann". (2) Im übrigen
erstrebe die Zeitschrift einen Sozialismus in Freiheit (wie ihn Werner
Zimmermann schon vor langer Zeit dargestellt). Sie wolle weder eine neue
Organisation gründen noch lehne sie sich an eine bestehende an. Er - Otto
Lautenbach - sei schon 10 Jahre aktiv für die Freiwirtschaft tätig und wolle
nun einen wertvollen Beitrag zu ihrer Verwirklichung leisten "Soweit es
meine Zeit und Kraft erlaubt, werde ich auch weiterhin der Bewegung zur
Verfügung stehen".
Schon im
ersten Leitartikel schlug Lautenbach einen anderen Ton als im Werbeprospekt an.
Die Nationale Revolution habe das im November 1918 aufgerichtete System der
Scheinfreiheiten liquidiert. Mit Adolf Hitlers Bewegung "marschierte die
neue Zeit. Der neuen Zeit wird die neue Form gegeben. Anstelle des
parlamentarisch-liberalistischen Systems tritt die universalistische Ordnung
der Bindung". Wie sie wissenschaftlich seit etwa 20 Jahren durch Othmar
Spann fundiert, ausgebeutet und aktualisiert worden sei. Man müsse aber
aufpassen:
"Beim
System von Weimar haben wir erlebt, wie gute Form zerbricht, wenn kein
entsprechender, kein würdiger Inhalt gegeben wird. Hier liegt auch die
Problematik des neuen Deutschland. Wie schaffen wir die Grundlagen für das
lebendige Leben innerhalb dieser neuen politischen Form?" (3)
Dies also
war das weitgespannte Ziel. Lautenbach wollte kein Herrenvolk, aber "ein Volk
der Herren, der selbstbewußten und selbseverantwortlichen Menschen" im
Rahmen einer echten, organisch gewachsenen nationalen Gemeinschaft. Es handele
sich darum, für Generationen eine neue Lebenswelt zu formen. Da dürfe keiner
achtlos abseits stehen, am wenigsten ein Freiwirt.
Die 10
Grundsätze Lautenbachs
Für den
Versuch, innerhalb des NS-Systems eine lebendige Form zu schaffen, die sich zu
einer Natürlichen Ordnung entwickeln könne, skizzierte Otto Lautenbach im Juli
1933 10 Grundsätze:
1. Raum und
Zeit. Die Gegenwart nicht überschätzen. Das Leben besteht bereits
Jahrmillionen, im Vergleich zu denen die 250 Generationen menschlichen Denkens
und Handelns verschwinden. Räumlich ist die Erde nur ein Sandkorn innerhalb
unseres Sonnensystems.
2. Die
allumfassende Natur. Der Mensch und seine Welt ist nur ein kleiner Bestandteil
von ihr, deren Gesetze ihn und seine Welt beherrschen.
3.
Herrschaft des Riesen Zufall. Über der ganzen Menschheit waltete bisher der
Ohne-Sinn. Die Welt ist eine "ungeheure Experimentierwerkstätte"
(Nietzsche), in der unsäglich Vieles mißrät und nur Einiges gelingt. Die
Menschheit steckt noch in den Kinderschuhen.
4.
Sinngebung des Sinnlosen. Innerhalb der historischen Entwicklung besteht die
Aufgabe aller Freiwirtschaftler darin, ihrem Erkenntnisvermögen und ihrer Kraft
nach "in die Speichen des Rades der Geschichte zugreifen", es
vorwärts zu drehen und die Sinnlosigkeit zu beenden. Sie haben eine Umwertung
der Werte zu vollbringen, Kämpfer und Schaffende zu sein.
5. Freiheit
wozu? In der Weimarer Republik sei sie zu Zucht- und Verantwortungslosigkeit
entartet. "Die Freiheit des Einzelnen und der Gemeinschaft hat nur dann
einen Sinn, wenn sie im Einklang mit den Gesetzen der Natur bleibt."
6.
Autoritärer Staat. "In Zeiten des Umsturzes und Aufbaus braucht man eine
starke Macht, um all das selbst gegen die Herde durchzuführen, was notwendig
ist." (4)
7.
Gesellschaft contra Gemeinschaft. Die Politik wird von Bindungen bestimmt, in
die Mensch und Volk hineingezwungen sind. Jeder, der an ihr teilnehmen und in
sie eingreifen will, muß sich wohl oder übel an die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen halten. In den Gemeinschaften werden die Natur- und
Menschengesetze wirksam, in der Gesellschaft entscheidet der Verstand. Er hat
dafür zu sorgen, daß die zwangsmäßigen Bindungen dem Leben dienen und "die
natürlichen Kräfte in der Gemeinschaft zu immer höheren Lebensformen
führen".
8. Die
nationalsozialistische Revolution. Sie hat die Macht erobert und im Sturmschritt
einen neuartigen Ständestaat geschaffen, um mit diesem eine soziale Revolution
durchzuführen. "Die Freiheit des kompromißlosen Handelns nach innen ist
gegeben, die Benutzung dieser Freiheit Verpflichtung der Geschichte gegenüber.
Hier wird die letzte Entscheidung fallen."
9. Geld und
Boden. Der Staat ist für alle Menschen notwendig, die neue politische und
soziale Ordnung noch im Fluß. Durch eine Neuordnung des Bodenrechts im Sinne
von Freiland muß das Vaterland dem Volke zurückerobert werden, "um aus
ihm, im Sinne Nietzsches und Silvio Gesells, ein Mutter- und Kinderland zu
machen". Sodann ist die arbeitsteilige Wirtschaft zu ordnen. Hier bietet
Silvio Gesells Freigeld-Festwährung "das Mittel, um die Programmforderung
der nationalsozialistischen Revolution nach Brechung der Zinsknechtschaft zu
verwirklichen".
10.
Herrschaft der Edlen. Wer glaubt, mit der Geld- und Bodenreform wäre alles
Notwendige getan, bräche eine Lanze für den lebensfremden Historischen
Materialismus von Marx.
"Die
Arbeit an der Höherentwicklung des Einzelnen und der Gemeinschaft kann erst n a
c h der sozialen Neuordnung richtig beginnen." Bis dahin wird die
menschliche Kraft im Kampf um das tägliche Brot aufgebraucht. "Dann hängt
alles davon ab, über welche ererbten und im Kampf mit sich selber erworbenen
Fähigkeiten der einzelne Mensch verüigt und welche Kräfte in den
Volksgemeinschaften vorhanden sind und entwickelt werden können." Die
soziale Ordnung des vergangenen Jahrhunderts hat das Minderwertige an die Oberfläche
gespült, in der neuen sozialen Ordnung sollen die edelsten und wertvollsten
Menschen bestimmen.
Mit diesen
10 Punkten legte Otto Lautenbach auch sein Glaubensbekenntnis dar. Es keimte
aus der Wirtschaftslehre Silvio Gesells, war jedoch in Nietzsches Weltsicht
eingebettet und auf die universalistische Staatslehre Othmar Spanns gegründet.
Die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft stammte von Tönnies.
Anscheinend war Lautenbach der Ansicht, sein Credo könne zum neuen Richtmaß der
gesamten Freiwirtschaft werden. Er wiederholte es in einem besonderen Artikel
"Über Freiheit und Bindung", der im "Almanach" des Jahres
1937 nachgedruckt wurde. Das war der rote Faden, an dem sich seine Politik
entlangschlängelte.
Der Einfluß
Nietzsches
Jener Wille
zur Macht, der laut Nietzsche allen Lebewesen und insbesondere dem Menschen
eingeboren ist, erschien bei Lautenbach als ,Welt-Wollung', ja als
,Welt-Anschauung' seiner Schule der Freiheit. Sie sollte dem Riesen Zufall das
Feld streitig machen und an seine Stelle die bewußte Gestaltung setzen, dem
Ohne-Sinn "die Herrschaft entreißen und den Sinn der Erde erfüllen".
Doch dies
könne nur ein mächtiger Staat wie der nationalsozialistische, dem freie Fahrt
gegeben werden müsse, um den Auftrag des Weltwillens zu vollziehen. Die Schule
der Freiheit fühlte sich als "winziges Glied des Ganzen", aber auch
als Schub- oder Triebkraft der deutschen Entwicklung. Sie wollte durch
Denkschriften und Vorschläge Einfluß gewinnen. Schon im Juli 1933 unterbreitete
sie der Reichsregierung den Vorschlag, eine Indexanleihe zur Finanzierung
öffentlicher Arbeiten aufzulegen.
Dies war der
erste Versuch, einer Zwangsverwaltung der Wirtschaft vorzubeugen. Wegen des von
Göring angekündigten Vierjahresplans sollte die NS-Regierung davon abgehalten
werden, wie in Rußland eine Planwirtschaft einzuführen.
Gespannt
wartete die SdF-Redaktion auf das Echo des ersten Heftes, von dem über 3000
Freiwirte Freistücke erhalten hatten. Sie war sich dessen bewußt, daß die große
Mehrheit des Abonnenten nur aus dem NWO-Bereich kommen konnte und aus anderen
Kreisen vorerst sehr wenig einlaufen würde. Doch die Rechnung ging auf
"Wir haben mehr Anerkennung gefunden, als wir zu hoffen wagten." Otto
Lautenbach sah sich freilich veranlaßt, folgende Beruhigung zu veröffentlichen:
"Mitglieder des FWB. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich bin nach wie
vor Mitglied des Freiwirtschaftsbundes und gehöre seit dem Bundestag an
Pfingsten 1933 dessen Pressekommission an." (4)
Das zweite
Heft befaßte sich mit dem Ende der Völkerdemokratie, Goethes mit dem Chaos,
Friedrich Hebbel und Bernhard Harms. Wo vom Kampf um die Indexwährung die Rede
war, schien er nun allein auf den Schultern der SdF-Redaktion zu liegen.
Allerdings hätten sich auch schon "viele Kämpfer die Nationalen
Revolution" für sie ausgesprochen. Im Zeitspiegel verwies das zweite Heft
auf die volkstümliche Gesetzgebungssprache der Männer von heute. "National
und international liegt das demokratische Prinzip in den letzten Zügen. Vergleichen
wir den Elan Hitlers, mit dem er die Staatsmacht eroberte und ausbaute, mit den
Vorgängen in jenen Tagen, in denen Bürokraten Staatsführung durch ein Netz von
Paragraphen glaubten ersetzen zu können, so begreifen wir die Hilflosigkeit der
bleichsüchtigen deutschen Demokratie... Zuvor eroberte der Faschismus Italien
und Ungarn. Heute sehen wir in der alten Demokratie Englands die Faschisten
Owald Mosleys . . . marschieren. In Frankreich ruft man nach autoritärer
Staatsführung. Selbst die Schweiz hat eine starke antidemokratische Bewegung. .
. Das Volk ist um eine Illusion ärmer und eine Erfahrung reicher."
Auch die
restlichen Bastionen der Demokratie würden fallen! Auf die Dauer könnten sie
dem vehementen Angriff der neuen autoritären Staaten nicht widerstehen, mit
denen die Revolution und der Zeitgeist sei. "Wir sind wieder in einem
Stadium der Weltpolitik, die ohne Tarnung darauf beruht, die nationalen
Interessen . . . des einen auf Kosten des anderen auszubauen. Dieser Zustand
ist zu begrüßen, denn er befreit Völker von der Illusion".
Für
völkisch-soziale Revolution
Hinter dem
politischen Geschehen sah Lautenbach den "Aufstand der vergewaltigten
Grundrente gegen den Zins. . . Die Interessen der Grundrentner erfordern starke
Nationalstaaten" (5)
Der offen
ausgebrochene Kampf zwischen Grundrente und Zins, nunmehr überall in Politik
umgesetzt, habe den Scheinfrieden einer verlogenen Völkerdemokratie beendet.
Über diese
Zwangsläufigkeit hinaus führt ein Weg, den zu gehen dem nationalsozialistischen
Deutschland vorbehalten scheint:
"Die
Nationale Revolution hat sich in den Kampf zur Brechung der Zinsknechtschaft
begeben, um die deutsche Arbeit frei zu machen von den goldenen Ketten
internationaler Bankiers. In diesem Kampf wird sie auf eine Währungsreform und
ein Geld mit Umlaufzwang nicht verzichten können. Das wäre das eine. Das andere
ist, daß sich die Nationale Revolution eindeutig gegen das volksfremde römische
Bodenrecht wendet, das den größten Teil des Volkes heimat- und vaterlandslos
gemachthat. . . Dieser entscheidende Schlag gegen den nationalen und
internationalen Volksfeind wird die Nationale Revolution zur größten aller
Zeiten machen, wird endlich aus dem Kreislauf der Geschichte in einen Aufstieg
führen. Den Zinsherren wird die Macht über die Arbeit zerschlagen, die sie
unter Mißbrauch von Völkeridealen ausübten, den Grundrentnern wird unmöglich
gemacht, das Vaterland, wie es im Grundbuch steht, zu Handels- und
Ausbeutungszwecken zu benutzen . . . An die Stelle papierner Verträge tritt die
lebendige Tat, phantastische Ideale werden gelebte Wirklichkeit." (6)
Dieser
Gedanke, der Nationalsozialismus sei die machtpolitische Avantgarde im Kampf
gegen das internationale Finanzkapital, wurde im Jahre 1936 noch vertieft,
diesmal von Kurt Becker unter dem Pseudonym ,Martin Hardt'. Deutschland müsse
einen internationalen Zweifrontenkrieg führen: gegen den westlichen
Wirtschaftskapitalismus und den russischen Staatskapitalismus, die nicht in
allen Ländern mit den gleichen Waffen anzugreifen und zu besiegen sind. Es
gilt, "die Waffen neuer Erkenntnis . . . anderen Völkern zu übermitteln.
Ein weltgeschichtlicher Sinn liegt heute in dem Wort: "Die Deutschen an
die Front!" Paul Krannhals habe mit seinem organischen Weltbild den Weg
gewiesen. Die organische Idee ist sowohl dem Bolschewismus als auch der
westlichen Plutokratie überlegen. Sie läßt auch ein gesundes Freiheitsstreben
zu. Das Entscheidende einer organischen Wirtschaftsreform ist weder die tote
Maschine noch der Betrieb, sondern der lebendige ungehemmte Austausch aller
Arbeitserzeugnisse, ganz gleich, ob sie materieller oder geistiger Art sind.
Lautenbachs
wichtigster Mitarbeiter war Kurt Becker. Diesem zufolge wurde die soziale Frage
vom nationalsozialistischen Staat durch Arbeitsbeschaffung gelöst. Die
sozialistische Volksgemeinschaft sei "im Blute verankert". Dessen
Reinhaltung erfordere einen "dauernden Auslese- und Ausmerzeprozeß".
(7) Ausmerze - das war ein neuer Begriff aus dem SS-Jargon. Es war Himmler, der
die "natürliche Auslese" Darwins durch die Ausmerze (des ,schlechten
Bluts') ergänzt hatte. Becker machte Othmar Spann, obwohl er seinen
Universalismus bejahte, zum Vorwurf, die Verankerung der völkischen
Gemeinschaft im Blute übersehen zu haben.
"Bildlich
gesprochen hat jedes Volk einen Kern, in dem die lebensfördernden und
erhaltenden Kräfte am stärksten ausgeprägt sind. Daran grenzen die Gebiete, in
denen mehr oder weniger stark die artfremden, minderwertigen und
lebenshemmenden Kräfte vorherrschen. Der ständige Kampf dieser Gegensätze gibt
dem völkischen Dasein das Gepränge. Es geht um den Sieg des lebenbejahenden
oder des nivellierenden Typs. Am deutlichsten ausgeprägt ist das Wirken der
nivellierenden Kraft vielleicht beim jüdischen Menschen, der von einer Lebensganzheit
nichts erkennen läßt." (8)
Der
lebensfördernde und -erhaltende Typus erschien Becker am stärksten im
Nationalsozialismus ausgeprägt, welcher die Fackel völkischer Befreiung von den
Minderwertigen auch in andere Länder trage. Die deutschen Armeen und
SS-Legionen waren ihm "Revolutionsarmeen" (Hitler), auf deren
Bajonetten die Freiwirtschaft bis nach Rußland getragen werden sollte.
Becker trat
jedoch für die Achtung der persönlichen Eigenart ein und wandte sich gegen die
totale Verstaatlichung des gesellschaftlichen Lebens, welche ebenso ein Merkmal
des Bolschewismus wie die Heiligkeit des Zinses das der Plutokratie sei.
Beide
mißbrauchen den Staat zu einer völkischen Vergewaltigung. "Höchste
Verwirklichung der völkisch-sozialen Idee ist der Sozialismus in
Freiheit!"
Der
Nationalsozialismus dünkte Becker als Bewußtseinsträger einer Neuen Welt.
Seiner Idee müßten Opfer gebracht werden. Dazu sei jeder Deutsche verpflichtet.
"Rußland
hat die marxistische Idee der Weltrevolution, Italien die historische Idee des
römischen Imperiums, Deutschland die organische Idee der völkischen
Geschlossenheit." (9)
Ohne den
Sieg der deutschen Waffen könne die Geld- und Bodenfrage nicht gelöst werden.
Sie sei mit den Substanzwerten des Volkes - Nation, Rasse, Arbeit und Ehre -
verknüpft.
In Namen der
SdF-Leserschaft begrüßte Becker die Bildung einer ,Internationalen
Rechtskammer' durch die Juristenverbände der Achsenmächte, welche zur Befreiung
der Völker vom plutokratischen Joch beitragen wollte. Die Ausbeutung des
Menschen durch den Menschen kam ihm zufolge erst auf, als sich ein bestimmtes
System herausbildete, das in widernatürlicher Weise den Minderwertigen
gestattete, die Hochwertigen in ihre Abhängigkeit zu bringen. So entstanden die
Plutokratie auf der einen und der Bolschewismus auf der anderen Seite. Die
völkisch-soziale Idee stehe nun beiden "in einem Entscheidungskampf auf
Leben und Tod gegenüber". (10) Der Zweite Weltkrieg ist eine Auslese ganz
großen Stils.
Becker trug
raumpolitische Gedanken in die SdF hinein. Er verknüpfte sie mit der
"Geopolitik" Karl Haushofers, woraus schließlich eine
"Kriegsgemeinschaft" der beiden Zeitschriften hervorging. Machiavelli
hat s. E. die Naturgesetze der Politik entdeckt. Das Wesen der Politik ist der
Wille zur Macht.
Zwei andere
Mitarbeiter Lautenbachs waren Dr. Franz Hochstetter und Hans Uhle, der erstere
ein angesehener, der zweite ein eher anrüchiger Nationalsozialist. Hochstetter
wurde in der SdF zunächst aus seinem Buch über "Leihkapital und Goldwährung"
zitiert, worauf er sich intensiv mit Gesells "Natürlicher
Wirtschaftsordnung" zu beschäftigen begann. In der NSDAP hätten
"Demagogen und Phraseure Oberhand bekommen" (11), die eine gänzlich
verschwommene Vorstellung von der sozialen Frage in sich herumwälzten. Nur von
freiwirtschaftlicher Seite aus "drangen neue Erkenntnisse und Strebungen
ein".
Der
Nationalsozialist Hochstetter war von diesen neuen Erkenntnissen so ergriffen,
daß er das Gespräch mit Lautenbach suchte. Mit Gesells Hauptwerk hatte seines
Erachtens "die Auseinandersetzung zwischen zwei Welten begonnen. Sie muß
zu Ende geführt werden". Dazu wollte Hochstetter auf Seiten der
Gesellianer beitragen. Er selbst mauserte sich zu einem davon. War er doch
schon 1936 überzeugt: "Durch den Geldumlaufzwang läßt sich das Urübel
unserer Zeit heilen".
Im
Verhältnis zu dem stillen und versonnenen Hochstetter wirkte Hans Uhle wie ein
Schreihals, der ab und zu mechanisch die Hacken zusammenknallte und ,Heil
Hitler!' brüllte. Den deutschen Angriff auf Frankreich am 10. Mai 1940 begrüßte
er als Beginn des "Schicksalskampfes um den Bestand des völkischen
Lebensrechts" sich dafür auf Machiavalli berufend. Infolge der
"jüdischen Revolte des Novembers 1918" sei in Deutschland eine geistige
und seelische Leere eingetreten, wodurch das deutsche Volk zum "Spielball
fremder Mächte" wurde, "die mit den jüdischen Novemberverbrechern
Hand in Hand arbeiteten". Erst Adolf Hitler", das große Wunder
unserer Geschichte", füllte die Leere aus und gab dem Volk wieder eine
Führung. Dessen Dank sollte die Ausweitung des Befreiungskampfes zu einem
Volkskrieg sein.
Die Taten
des Führers sind die Verkörperung des Volkswillens. "Es bedarf keiner
Betonung, daß wir unverbrüchlich an ihn glauben. Diese Bewegung eines
80-Millionen-Volkes, das seiner schicksalhaften Sendung gewiß ist, kann keine
Macht der Welt aufhalten, denn es ist das Leben selbst, das auf den Straßen des
deutschen Sieges marschiert." (12) Soweit Hans Uhle, der sich in den
SdF-Spalten auch über Persönlichkeit und Gemeinschaft ausließ. Über die
Sowjetunion hieß es in ihrem Zeitspiegel vom August 1941: "Juden sind es,
die in erster Linie den Partei- und Staatsapparat beherrschen, die die
Propaganda bestimmen und die Wirtschaft lenken. Die Leitung des Rates der Volkskommissare
liegt gleichfalls in jüdischen Händen." (13) Nach der Wahrheit wurde nicht
geforscht.
Wie im
"Schwarzen Korps" der SS konnte man in der SdF lesen: "Die enge
Verbindung von Plutokratie-Weltjudentum-Bolschewismus kann heute nicht mehr
geleugnet werden, auch nicht das Ziel einer Weltherrschaft und der Krieg als
Mittel zu diesem Zweck." (14) Immer wieder träte das Doppelgesicht der
Juden hervor, sowohl Mammonisten als auch Bolschewisten zu sein. "Sie
beherrschen nicht nur die Wallstreet, sondern auch Roosevelt und seine
Politik." (15)
Paul Hasse
schrieb 1938, der bevorstehende Kampf um den Lebensraum sei auch ein Kampf der
mongoliden Rasse, deren Waffen hohe Bevölkerungsvermehrung und große
Bedürfnislosigkeit sind. "So vollzieht sich innerhalb der von Europäern
besiedelten Erdräume der unheilvolle Vorgang einer Gegenauslese, in dem die
Träger der wertvollen Erbanlagen von den Trägern der geringwertigen Anlagen
verdrängt werden . . . Nur eine dem Wesen des nordischen Menschen gerecht
werdende Ordnung in den europäisch bevölkerten Teilen der Erde kann diese
Gebiete vor dem kulturellen Untergang retten." (16)
Durch diesen
Aufsatz wurde der Marsch deutscher Armeen und SS-Divisionen nach Osten im
voraus gerechtfertigt. Der Bundesführer des Bundes für krisenlose
Volkswirtschaft konnte sich über 21 Seiten verbreiten, was Lautenbach keinem
anderen Autor zugestand. Er stellte ihm de facto ein ganzes Heft zur Verfügung.
Dabei vertrat Hasse die Ansicht, nur der wahrhaft nordische Mensch habe
innerhalb des deutschen Volkes einen ausgesprochenen Sinn für das übergeordnete
soziale Ganze, der dem ostischen Typ völlig fehle. Man müsse allerdings
beachten, daß ein Mensch, der in seinem Erscheinungsbild nordisch ist, seiner
Seelenhaltung nach ostisch sein könne. Dies bezog sich auf einen bestimmten
Vorfall. Ein Angehöriger der SS-Garde im Leibregiment ,Adolf Hitler war des
Diebstahls überführt worden. Himmler hatte es nicht glauben wollen. Blaue
Augen, blonde Haare und ,nordischer Wuchs' schlossen seinem Weltbild nach
solche Gemeinheiten aus.
In der SdF
und ihrem Almanach standen auch einige kritische Artikel über die
Vererbungslehre. Beispielsweise hieß es: "So groß auch das Erbteil sein
mag. . ., so groß ist andererseits die Tendenz, über die früheren Generationen
hinaus zu kommen und, auf ihren Schultern stehend, neue Daseinsmöglichkeiten zu
gestalten. Diesem Fortschrittsprinzip entspricht die Unfertigkeit bei der
Geburt und die lange Dauer der Jugend". (17)
Selbst
Physiokraten aus dem FKB konnten für die Mitarbeit gewonnen werden: Hans
Schumann, Fox Reiner, Rolf Engert und einige andere. Im allgemeinen hielten sie
sich an die orthodoxe Linie der ursprünglichen Freiwirtschaft, doch gerade der
bekannteste - Hans Schumann - entgleiste zweimal. Die goldene Brakteatenzeit
wäre wie die anderen Hochzeiten Deutscher Geschichte sicher unmöglich gewesen
"ohne das stolze Fürstengeschlecht der Hohenstauffer und ohne die
Erbanlagen, die in der deutschen Rasse schlummern: Fleiß, Geschicklichkeit,
Ausdauer, Unternehmungslust und Tatkraft". (18) Marxisten und Christen
würden systematisch Feigheit züchten, "womit man allerdings schließlich
eine Herde entarteter Lebewesen erzielt". Auch der letzte Rest von
Liberalismus müsse beseitigt werden; der Widerstand gegen seine Machtansprüche
"wurzelt seit Urzeiten im nordischen Menschen". (19) Während der
Bolschewismus "die einzelwirtschaftliche Initiative völlig vernichten und
die Menschen zu willenlosen Sklaven eines von Juden beherrschten Weltstaats
machen" wollte, erstrebe der Deutsche Sozialismus "die Freiheit des
einzelnen, ihrem Volke - und nur ihrem Volke - durch ihre Leistung zu
dienen". Er sei, wie einmal Dr. Ley gesagt habe, die Synthese zwischen
staatlicher Lenkung, Selbstverwaltung und privatwirtschaftlicher Initiative.
Den Kampf einer solchen Weltanschauung müsse man unterstützen.
Das
Gesellsche Gedankengut trat in den Hintergrund. Die in der Schweiz erschienene
Neuauflage der NWO wurde von Otto Lautenbach nur noch mit einem einzigen Satz
bedacht. Eine Neuauflage von Nietzsches relativ unbedeutender Schrift über
"Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben" erhielt hingegen 43
Zeilen. So ungleich waren nun die Gewichte verteilt.
Die SdF
erschien zunächst als Monatszeitschrift im Nürnberger Zitzmann-Verlag. Bereits
im August 1933 lagen 1800 Bestellungen vor. Sie schlug derart ein oder hatte so
freigiebige Finanziers, daß sie ab 1. Juli 1934 - schon nach einem Jahr -
wöchentlich und im kleinen Zeitungsformat herausgegeben werden konnte. Einige
Jahre später mußte sie auf das ursprüngliche Maß und auf eine 14-tägige
Erscheinungsweise zurückgeschraubt werden, der wieder eine monatliche folgte.
Inzwischen hatte Otto Lautenbach längst einen eigenen Verlag in Berlin-Wannsee
gegründet, der schließlich nach Uchtdorf in Pommern verlegt wurde.
Lautenbach
gab den nationalsozialistischen Machthabern Anfang der 40er Jahre zu verstehen,
die deutsche Wirtschaft könne eine staatliche Zwangslenkung nicht länger
ertragen, ohne ihre schöpferische Kraft einzubüßen. Nun wollte er die Unternehmer
hinter sich bringen. Er veröffentlichte einen Aufsatz von Georg Hanisch, der
die ketzerische These enthielt, die Arbeiter erhielten im Kapitalismus den
vollen Arbeitsertrag. Der Hinweis auf arbeitslose Einkommen könne "diese
Feststellung nicht erschüttern". (22) Gleichzeitig stellte der alte
Freiwirtschaftler Hanisch die Theorie der drei Produktionsfaktoren in Frage.
Produzieren täte nur die Natur, auch ohne den Menschen, der lediglich arbeiten
könne. Nicht einmal Boden und Arbeit wären Produktionsfaktoren im strengen
Sinne des Wortes: "Ihr Vorhandensein setzt die Produktion bereits voraus,
sie sind ja selbst aus dem Zusammenwirken von Boden und Arbeit
hervorgegangen."
Herbert
Müller schrieb zur Grundrente, ihre Wegsteuerung im nationalsozialistischen
Staat würde sich als eine "einseitige Vermögensbeschlagnahme zu Lasten der
jeweiligen Bodeneigentümer auswirken und wäre in seiner letzten Konsequenz
gleichzusetzen mit der in der UdSSR durchgeführten sogenannten Nationalisierung
des Grund und Bodens". Auch Gesells Vorschlag einer Bodenverstaatlichung
durch Aufkauf sei kaum noch akzeptabel. "Der gleiche Erfolg ist auch ohne
den schwerfälligen Weg der Verstaatlichung durch die von mir vorgeschlagene
volle Wegsteuerung der absoluten und relativen Grundrentensteigerungen zu
erzielen." (23) Der erdverbundene Bauer würde eine Verstaatlichung des
Bodens "als willkürliche Zerreißung des Bandes zwischen Blut und Boden
auffassen und sich dagegen auflehnen". Nicht die Methode, das Ziel sei
entscheidend.
Indem Lautenbach
solchen Äußerungen Raum gab, zeigte er, daß er kein Dogmatiker, eher ein
Pragmatiker war. Bemühte er sich um eine Weiterentwicklung der
freiwirtschaftlichen Theorie?
Der
Freiwirtschaft wurde eine neue Ideologie übergestülpt, die aus dem Universalismus
abgeleitet war und eine Brücke zum Nationalsozialismus schlug. Den Schlußstein
lieferte Jo van Kampen in einem gedankenreichen Aufsatz über Volks- und
Machtstaaten. Die Volksmacht beruhe auf dem "Einklang der
Volkszugehörigkeit in rassischer, religiöser, rechtlicher, besitzmäßiger
Hinsicht". Sie habe sich bei den frühen Römern, Griechen, Iranien,
besonders aber bei den in Germanien lebenden Völkern herausgebildet, die sie
"begeistert priesen als einen Nachhall des Goldenen Zeitalters". (24)
Daneben sei
jedoch eine Gewaltmacht entstanden, die auch auf Deutschland übergriff. Sie
vernichtete die Volksmacht durch die Einführung des Römischen Rechts und die
Unterwerfung der Bauernschaft.
Beide
Systeme, der Volks- wie der Machtstaat, haben ihnen zugehörige Formen des
Besitzes, des Rechts, der Wirtschaft und der Religion hervorgebracht. Aus der
Volksmacht entstand "eine natürlich wachsende (organische) Kultur",
aus der Gewaltmacht die künstliche Zivilisation, ein "hochgezüchteter seelenloser
Technizismus". Die erstere sei auf biologische Vorzüge gegründet, die
zweite auf gesellschaftliche Vorrechte und das arbeitslose Einkommen. Entstand
die frühere Gewaltmacht aus dem Landkapitalismus (Feudalismus), so die neuere
aus dem Wirtschaftskapitalismus. Für Jo von Kampen sah es so aus, daß der
Nationalsozialismus den Ansatz zu einer neuen Volksmacht geschaffen hatte,
diese aber noch der Vollendung durch freiwirtschaftliche Reformen bedurfte.
Dies war, abgesehen von ihren "biologischen Vorzügen" im wesentlichen
dasselbe, was Otto Lautenbach schon im ersten Heft seiner "Schule der
Freiheit" geschrieben oder angedeutet hatte. Jo von Kampen lieferte den
systematischen Grundriß nach. Aber vertrug sich die Freiwirtschaft mit einem
auf die Rassenlehre gegründeten Staat? Und war dieser keine Gewaltmacht?
1 Aus dem
Prospekt der Lautenbachschen Zeitschrift
2 Schule der
Freiheit (SdF) Nr. I/1, S. 40
3 SdF I/1, S. 5
4 SdF I/2-3,
S. 104
5 ebenda, S.
47
6 ebenda, S.
48
7 SdF
21-22/41, S. 401
8 ebenda, S.
399
9 SdF 3-37, S. 40
10 SdF 9-10/41, S. 118
11
SdF-Almanach 1937, S. 69
12 SdF
3-4/41, S. 49
13 ebenda,
S. 43
14 SdF Juni 1943, S. 455
15 SdF 15-16/42, S. 298
16 SdF 6/38, S. 87
17 SdF 10.7.1938, S. 28
18 SdF 5/38, S. 143
19 SdF 5/37, S.133
20 SdF Juli
1939, S. 42
21 SdF 22/34, S.161
22 SdF 29/35, S. 208
23 SdF
10/41, S. 207
24 SdF Juni
1943, S. 463
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Bartsch: Die NWO-Bewegung
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3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von
W. Roehrig