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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
V. Die
physiokratische Grundströmung
Der
Fisiokratische Kampfbund (FKB)
Der aus der
Spaltung vom Mai 1924 hervorgegangene Fisiokratische Kampfbund trat zunächst
weiterhin als Freiwirtschaftsbund in Erscheinung, um dessen Erbmasse einzuheimsen:
Mitglieder, Zeitschrift, Kasse, Büro. In einem ersten Rundbrief an alle
Ortsgruppen des FWB wurden jedoch jene Mitglieder ausgegrenzt, die das
physiokratische Programm nicht unterschreiben wollten. Der Rundbrief war von
Timm und Cilbach unterschrieben.
Indes gelang
es dem Kampfbund nicht einmal, alle Physiokraten für sich zu gewinnen. Um so
schärfer zog er die Trennlinie zum sich erneuernden Freiwirtschaftsbund, der
als verwaschene Organisation bürgerlicher Reformer hingestellt wurde. Das
erhellte freilich nur sein Selbstverständnis als Kaderorganisation bewußter
Revolutionäre proletarischen Stils.
Gesell
hoffte, er würde sich zu einer Massenbewegung entwickeln, wozu in ihm das
proletarische Element so stark vorherrschen müsse, daß es sich im FKB stets zu
Hause fühle. Freiberufliche, Lehrer, Chemiker, Ingenieure, Handelsreisende,
welche im Freiwirtschaftsbund den Ton angäben und ihn durch ihre
antirevolutionäre Gesinnung von direkten Aktionen abhielten, dürften nicht den
Grundstock der NWO-Bewegung bilden. "Es muß sich im sozialen Aufbau des
FKB genau umgekehrt verhalten." (1) Sonst erwarte ihn nichts als Streit
und politische Ohnmacht. Gesell führte im Aktionsausschuß des FKB den Beschluß
herbei, die Mitgliederwerbung im Bürgertum einzustellen, "bis wir im
Proletariat ernstlich Fuß gefaßt haben". Die bestehenden Arbeiterparteien
SPD und KPD sollten zerschlagen werden, "um aus ihren Trümmern den Stoff
für die Einheitsfront zu schaffen".
Gesell nahm
also die Losung der proletarisch-sozialistischen Einheitsfront wieder auf. Nun
sollte sie durch den Fisiokratischen Kampfbund realisiert werden, und deshalb
trat er ihm bei. Jedoch lehnte er die von verschiedenen Physiokraten erneuerte
Blumenthalsche Forderung nach Allgemeiner Enteignung (und Neuverteilung) als
"bolschewistisch" ab. Um aus den befreiten Knechten echte Menschen zu
machen, mußten sie erst durch die Schule des Eigentums, der Selbständigkeit und
Selbstverantwortung gehen, was sie allmählich zu höheren Kultur und
Gesellschaftsformen befähigen würde. Gesell wandte sich auch gegen die von
anderen Physiokraten erhobene Forderung einer weitgehenden Sozialisierung der
Produktionsmittel zum Zwecke einer politischen Schwächung des Gegners. Bevor
die enteigneten Produktionsmittel dem Staat, der doch radikal abgebaut werden
müsse, zu seiner Stärkung und zur Korruption aller Arbeiterführer überantwortet
würden, wäre es besser, sie "in Flammen aufgehen zu lassen". (2)
In diesem
Rahmen gehörte Gesells Äußerung, Kirche und Staatsschule wären Institute
"zur Idiotisierung der Massen": Der Kampfbund sollte einen Umsturz
herbeiführen. Sein Zweck war die Eroberung der politischen Macht durch Gewalt,
da andere Mittel keinen Erfolg mehr versprächen. Doch warnte Gesell vor der
ungeduldigen Masse. Sie sei noch zersplittert und müsse unter physiokratischer
Führung zunächst kampfbereit gemacht, ja zur überwältigend großen Masse
überhaupt erst zusammengeballt werden.
Diese großen
Pläne standen im krassen Mißverhältnis zu den geringen Mitteln, über die der
Fisiokratische Kampfbund verfügte. Auch zu seinen Fähigkeiten, in der
Arbeiterschaft Wurzeln zu schlagen und ihre politische Grundstimmung zu
verändern. Entgegen dem vorgetäuschten Schein, hinter ihm stünden 90 Prozent
der Mitglieder des ehemaligen Freiwirtschaftsbundes, dürfte er zunächst nur 150
- 200 für sich gewonnen haben. Selbst für weitere Rundbriefe fehlte es an
Portogeld.
Diese
Schwächen sollten durch eine neuartige Organisationsform ausgeglichen werden,
welche effektiver war als die des Freiwirtschaftsbundes. An die Stelle von
Ortsgruppen traten Zehnerkameradschaften (jedenfalls auf dem Papier), an die
Stelle des Vorstands trat der Aktionsausschuß, in den Silvio Gesell, Bur Suhren
und Hanna Blumenthal gewählt wurden. Föderalismus und Zentralismus schienen ausgewogen
zu sein. Timm hielt allerdings das Organisationsproblem für unlösbar. Selten
finde man die richtigen Leute dort, wo sie am meisten gebraucht würden. Aber
nun stand ja Gesell an der Spitze. Was konnte da noch schiefgehen? Sein
Beitritt im September 1924 wurde groß herausgestellt.
Doch Gesell
konnte nur gelegentlich an den Sitzungen des Aktionsausschusses teilnehmen. Er
fuhr wieder für längere Zeit nach Argentinien, wodurch dieses dreiköpfige
Gremium weitgehend lahmgelegt war; man wollte ihn ja bei keinem Beschluß
übergehen. Infolgedessen schob sich die Geschäftsführung nach vorn. Der Apparat
übernahm die organisatorische Macht. Er wurde ungewöhnlich ausgebaut. Während
sich der weit größere FWB mit zwei Personen begnügte, setzte sich das Büro des
FKB schon 1925 aus vier Personen zusammen:
Geschäftsführer:
Hans Timm
Kassenführer:
Sigmar Cilbach
Stellv.
Geschäftsführer: Martin Hoffmann
Stellv.
Kassenführer: Grete Siermann.
Hans Timm
wurde de facto zum Generalsekretär. Er machte Silvio Gesell fast zur
Gallionsfigur vor dem Bug des FKB, brachte es aber gleichwohl fertig, ein gutes
Einvernehmen mit ihm aufrechtzuerhalten. Anscheinend war Gesell sogar froh, daß
er sich mit organisatorischen Fragen nicht weiter befassen mußte; sonst hätte
er gewiß protestiert.
Der
Fisiokratische Kampfbund war antiparlamentarisch eingestellt. Er beschritt den
Weg direkter Aktionen, die aber nur das klassenbewußte Proletariat erfolgreich
anwenden könne. Seinem "Endkampf" geht eine Heerschau voraus: in
befristeten Teilstreiks und Geldstreiks, um die Kampfbereitschaft immer
weiterer Arbeitsgruppen zu erproben. "Zeigt es sich, daß die Aufklärung
weit genug fortgeschritten ist, wird zum letzten, entscheidenden Schlag
ausgeholt. Alle führenden Köpfe verpflichten sich noch einmal, bedingungslos
zum Programm zu stehen, so daß mit Übernahme der politischen Macht jede interne
Meinungsverschiedenheit von vornherein ausgeschaltet ist. . . Der Endkampf
besteht in einem umfassend organisierten Generalstreik. Bei diesem Kampf ist
jedes Mittel recht, was den Sieg des Proletariats fördert." (3)
Er sollte so
lange fortgesetzt werden, bis jeder Widerstand gebrochen war. Dann würde die
proletarische Kampforganisation - anscheinend der FKB - eine Anzahl von
Personen mit "diktatorischen Vollmachten" versehen und mit der
Durchführung des Freigeld-Freiland-Programms beauftragten. Und das Proletariat?
"Gleich nach Einsetzung der Diktatur kehrt alles zur gewohnten Arbeit
zurück." Doch die Volksbeauftragten können alle Mittel anwenden, welche
ihnen erforderlich erscheinen. "Die Diktatur erlischt, sobald das Programm
in die Wirklichkeit umgesetzt ist."
Hans Timm,
seiner weltanschaulichen Herkunft nach ein Stirnerianer, gab eine
Kriegserklärung an den Staat ab. Er wandte sich gegen die FWB-These, zunächst
müsse die Mehrheit des Volkes gewonnen werden. Es genüge, die Mehrheit der
entschiedenen Kämpfer zu gewinnen. Timm distanzierte den FKB aber sowohl vom
Kommunismus als auch vom Anarchismus. Während der Kommunist glaube, den
Menschen durch Zwangsmaßnahmen zum Guten erziehen zu können und ihm somit
schließlich das Heil bringen zu können, glaube der Anarchist, gerade durch
Beseitigung aller Zwangsmaßnahmen "ihn gleich für die Freiheit gut zu
machen." (4) Beide gingen von ihren Idealen statt von der egoistischen
Natur des Menschen aus, die sie scheitern lasse. Timm ließ jedoch seine
Sympathie für die Anarchisten durchblicken, deren Ansicht "schon viel
richtiger" als die der Kommunisten sei.
Der
Kampfbund wurde gegründet, weil man glaubte, kurz vor einer neuen Revolution zu
stehen. "Je kräftiger unsere Brandbomben einschlagen, um so eher werden
wir zum Sturm blasen können"; schrieb der Physiokrat Adolf Heinke. Mit den
Brandbomben meinte er die Flugblätter des Kampfbundes. Sie sollten ohne Umschweife
direkt und anfeuernd auf den proletarischen Befreiungskampf wirken. Der FKB
verstand sich als Spitzenorganisation der Arbeiterklasse und erhob für diese
den Alleinvertretungsanspruch. Dementsprechend sollten in allen
Industriezweigen Betriebsgruppen aufgeboten werden. Das ist jedoch nur in
einigen Großbetrieben des Ruhrgebiets gelungen.
Die Satzung
des Fisiokratischen Kampfbundes bestand aus lediglich sechs Paragraphen. § 2
lautete:
"Die
Bundesmitglieder schließen sich zu selbständigen Kampfgruppen, diese wieder zu
freien, unabhängigen Ortsgruppen zusammen. Auf je zehn Mitglieder entsenden sie
einen Vertreter zum Bundestag." (5)
Die
Grundeinheit des FKB sollte also jeweils eine Kampfgruppe sein, eine
Zehnerkameradschaft. Darüber gab es eine lange Diskussion, auch ob die Führer
der Kampfgruppen gewählt werden oder sich selber herausschälen müßten. Die
Zehnergruppen ermöglichten, in Privatwohnungen statt in Clubzimmern von Lokalen
zusammenzukommen, für die Miete zu bezahlen war. Sie förderten auch eine
persönlichere Beziehung und die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens, da man
sich in so kleinen Gemeinschaften viel besser kennenlernte. Schließlich hätten
sie in einer Zeit der Verfolgung leichter untertauchen können.
Die Idee der
Kampfgruppen setzte jedoch voraus, daß alle ihre Mitglieder aktiv sein würden,
obwohl die Aktivisten erfahrungsgemäß immer in der Minderheit sind.
Vorausgesetzt wurde auch ihre Eigeninitiative.
In Frankfurt
/ Main bildeten sich die Zehnerkameradschaften aus einer Untergliederung der
Stadtteilgruppen (statt umgekehrt). Sie kamen ein- bis zweimal wöchentlich
zusammen: rundum in den verschiedenen Privatwohnungen ihrer Mitglieder.
"Epikur" (ein Revolutionsname für Hanna Blumenthal) idealisierte sie
als herrschaftslose Organisationskerne, die sich gleichwohl der freiwillig
anerkannten Autorität unterordnen und denen gegenüber die Regierung machtlos
sei. Die Zehnerkameradschaften sollten in die Parteien eindringen, um diese
"zu untergraben und zu sprengen". (6)
Regional war
der FKB wie der FWB nach Himmelsrichtungen aufgebaut. Am 9. November 1924
bildete sich zunächst in Essen der Landesverband West aus Vertretern von 16
Ortsgruppen. Die Essener Konferenz vereinigte hauptsächlich frühere
Kampfbündler von Rhein und Ruhr, deren Organisation sich am 4. Oktober 1924
aufgelöst hatte. Ein Teil ihrer Mitglieder kehrte zum FWB zurück, der andere
schloß sich dem FKB an. Vergebens hatte Richard Batz für einen geschlossenen
Beitritt zum Fisiokratischen Kampfbund plädiert. Die Essener Konferenz nahm
eine Resolution an, welche "Meister Gesell" beteuerte, die
versammelten Physiokraten würden "unter keinen Bedingungen jemals in eine
Abbiegung oder Abschwächung seiner kristallklaren, erlösenden Lehre
einwilligen", auch nicht ruhen und rasten, "um das Licht seiner
Erkenntnis weiter zu tragen und das Feuer der Empörung gegen Unrecht und
Unterdrückung auflodern zu lassen, bis der letzte befreiende Kampf gewagt und
bestanden sein wird." (7) Die Sprache der Resolution war sozialreligiös
und der politischen Wirklichkeit entrückt. Auch in ihr spiegelte sich eine
fieberhafte Erwartung der Revolution. Da sie ausblieb, schlug die
aufgespeicherte revolutionäre Energie gleichsam rückwärts nach innen um. Sie
verwandelte sich in fraktionelle Aggression.
Der
Proletarische Block
Im Juli 1926
fand eine Tagung des FKB-Westverbandes statt, auf der es zu turbulenten
Auseinandersetzungen um die politische Linie kam. Die linke Opposition um
Martin Hoffmann (Diogenes) verlas eine offenbar wohlvorbereitete 4-Punkte
Erklärung, worin sie sich gegen die "klassenlose Betrachtungsweise"
der Timmschen Geschäftsführung wandte, welche praktisch eine
"Unterstützung der Bourgeoisie" wäre und vom "abstrakten
Individuum" ausginge. Die Physiokraten müßten sich auf den
Klassenstandpunkt des Proletariats stellen und ihrem Verhalten dessen
Interessen zugrundelegen.
"Wir
sehen in der proletarischen Klasse nicht nur das Werkzeug, das wir zur
Zertrümmerung der kapitalistischen Gesellschaft benötigen, sondern auch den
Träger der von uns erstrebten klassenlosen Gesellschaft." (8)
Nachdem sie
diese Erklärung abgegeben hatte, verließ die linke Opposition geschlossen den
Tagungsraum und konstituierte sich als Fisiokratischer Kampfbund
(Proletarischer Block), der die Timmsche Richtung ausgeschlossen habe.
In der Tat
wollte der FKB das Proletariat nur als Werkzeug benutzen, als revolutionären
Rammblock, um das Tor zur Macht aufzubrechen. Dann sollte es wieder an seine
Arbeitsstätten zurückkehren und die physiokratischen Volksbeauftragten, denen
es in den Sattel geholfen, regieren lassen. Der Proletarische Block machte
einen Strich durch diese simple Rechnung. Er erklärte sie einfach für falsch
und eigensüchtig. Insofern befand sich ein wahrer Kern in seiner Opposition. Er
kritisierte auch die endlosen theoretischen Diskussionen. Jedoch sollte er
darin den FKB noch übertreffen.
Die
Gegensätze zwischen beiden Richtungen um Hans Timm und Martin Hoffmann schienen
unüberbrückbar zu sein. Beide beriefen sich jedoch auf das Berliner
physiokratische Programm vom Mai 1924. Um Timm scharten sich Richard Batz,
Alfred Bader, Helmut Haacke, um Martin Hoffmann, Hans Schumann, Kurt Seidler,
Hans Dornemann und andere.
Martin
Hoffmann trat jetzt nur noch unter seinem Revolutionsnamen "Diogenes"
in Erscheinung. Er reiste umher, hielt Vorträge, gab schriftliche Richtlinien
heraus und verfaßte mehrere Broschüren. Marxismus und Freiwirtschaft waren in
seinen Augen reine Wirtschaftstheorien.
Lenin hatte
die Wirtschaftstheorie des Marxismus durch eine revolutionäre Strategie und
Taktik ergänzt. Dasselbe müßte nun für die Freiwirtschaft geschehen. Darin sah
Diogenes seine Mission. Er hatte einen messerscharfen Intellekt, war indes ein
geistig abhängiger Kopf. Die Denkmethode des Proletarischen Blocks sollte der
dialektische und historische Materialismus vom Marx sein.
Marx-Lenin-Gesell:
das sind nach Diogenes die drei Klassiker des Sozialismus, jene genialen
Persönlichkeiten, die dessen Entwicklung von der Utopie zur Wissenschaft
ermöglicht haben. Gesell habe allerdings in Argentinien die revolutionäre Rolle
des Proletariats übersehen und sei dort den Fehlern der primitiven utopischen
Sozialisten verfallen. Auch verkannte er die generelle Richtigkeit der
Marxschen Arbeitswerttheorie. Aber ungeachtet dessen griff seine
Kapitalismus-Analyse tiefer und bereicherte sie um die Erfahrung mit dem
Monopolkapitalismus. Insofern habe Gesell einerseits den Marxismus dialektisch
überwunden, ihn aber andererseits auf eine höhere Stufe gehoben und ergänzt.
Sogleich
nach seiner Gründung schlug der Proletarische Block in seinem Aufruf an das
schaffende russische Volk der sowjetischen Regierung folgende Maßnahmen vor:
"1. Die
geregelte Verwaltung des russischen Papiergelds, derart, daß der Warenindex
ständig auf gleicher Höhe bleibt.
2.
Einführung einer Geldsteuer, um den geregelten Umlauf des Geldes zu erzwingen .
. .
3.
Verpachtung des gesamten Grund und Bodens auf Grund des öffentlichen
Meistbietverfahrens und Verwendung der so erzielten Grundrente zu sozialen
Zwecken." (9)
Von einer
Auszahlung der Grundrente an die Mütter war keine Rede.
An die
Erfüllung seiner Vorschläge knüpfte der Proletarische Block folgende
Hoffnungen:
1. Die von
Zins und Grundrente befreite russische Volkswirtschaft werde "zwangsläufig
blühen und gedeihen".
2. Die
ausländischen Kredite zu zehn oder mehr Prozent Zinsen könnten sofort in barem
Gelde zurückgezahlt werden, so daß die ausbeuterische "Mithilfe" der
"internationalen Börsenjobber und Industrieritter" überflüssig würde.
3. Die
Belebung der russischen Wirtschaft riefe die Arbeiterschaft der ganzen Welt
nach Sowjetrußland. "Die Weltrevolution begänne sich vorzubereiten, denn
ein Volk mit diesem Reichtum und solch einer vorbildhaften Wirtschaft ist wirklich
imstande, die Arbeiterschaft der ganzen Welt zum revolutionärem Endhampf
anzufeuern..." (10)
Doch
gegenwärtig zögen die Profitgeier über Rußland immer engere Kreise. Deshalb
wandte sich der Proletarische Block an das schaffende Volk der Sowjetunion. Es
sollte seine Regierung unter Druck setzen und die Öffnung der russischen
Grenzen für alle Arbeiter erzwingen. Die Sowjetunion stünde am Wendepunkt:
entweder das freie Amerika des freien Arbeiters zu werden oder das Amerika der
Trustmagnaten und Hochfinanz.
Richard Batz
hatte in der "Letzten Politik" vom tiefen Wesensunterschied zwischen
Marxismus und Physiokratie gesprochen. Diogenes bestritt einen solchen. Die
Marxisten würden nur mit veralteten Waffen kämpfen.
Hans
Schumann nannte die Timmsche Richtung anarchistisch und die Richtung Diogenes
bolschewistisch. Der Proletarische Block sei "unbelastet von
individualistischen Besessenheiten". (11) Nun gelte nur noch die Tat.
Ein
Thesenentwurf des Proletarischen Blocks sah unter anderem vor, sämtliche
Schulen der Kontrolle des Proletariats zu unterstellen und die Kirche restlos
zu enteignen. Kurt Seidler bezeichnete die Religion als "atavistisches
Überbleibsel längst vergangener Wirtschaftsepochen". Damit müsse endlich
aufgeräumt werden.
Obwohl
Diogenes gegenüber dem Marxismus formal einen individualistischen Standpunkt
bezog, setzte sich im Proletarischen Block die Ansicht Ernst Gebhardts durch,
daß er kollektivistisch vorgehen müsse und eine auf hoher Plattform stehende
Zentrale brauche, "ein Gehirn, das die Beobachtungen verarbeitet und die
Befehle an die Muskeln weitergibt". (12) Man entschied sich für den
"Demokratischen Zentralismus", das Organisationsprinzip der
Kommunistischen Parteien.
Es gelang
dem Proletarischem Block, die bisher unabhängig gebliebene Berliner Gruppe der
Physiokratischen Vereinigung einzuschmelzen. Auch konnte er den Ring der
Revolutionären Jugend (RJR) auf seine Seite ziehen. Seine Geschäftsstelle
befand sich in Essen. Die Orts- und Bezirksführer "wählte" eine erste
Reichskonferenz: sie wurde also von oben eingesetzt. Dieselbe Reichskonferenz
beschloß die Gründung einer Physiokratischen Internationale. In einer
Kundgebung (Entschließung) wandte sie sich an alle "Klassengenossen"
in der ganzen Welt. Der Klassenkampf sei "die durch den Kapitalismus
bedingte Form des Kampfes ums Dasein", welcher die Triebfeder allen
individuellen und gesellschaftlichen Handelns wäre.
Als der
Proletarische Block die Gründung einer weltweiten Physiokratischen
Internationale beschloß, hatte er erst 14 Stützpunkte und Ortsgruppen. Er blieb
auf Deutschland beschränkt und war die physiokratische Variante des
Weltbolschewismus (im Unterschied zum Nationalbolschewismus Niekischs und
anderer).
Die KPD
beschuldigte den Proletarischen Block eines Spaltungsversuchs. Schumann
antwortete in seinem Namen: sobald das Moskauer Volkskommissariat für Finanzen
die kapitalistische Goldwährung abschafft, stellen wir die Spalterei ein. Die
russische Revolution sollte weitergetrieben werden, bis sie bei Gesell ankäme.
Die
Mitglieder des Proletarischen Blocks nannten sich "Genossen". Außer
dem Boden sollten auch die industriellen Großbetriebe enteignet werden, um die
Revolution zu sichern. Nicht die Freiheit der Persönlichkeit, sondern die
Solidarität des Proletariats sei der Weisheit letzter Schluß. Die Reichswehr
sollte aufgelöst und durch eine deutsche Rote Armee ersetzt, das gesamte
Erziehungssystem in die Hände des proletarischen Staates gelegt werden. Der
Zielplan sah ferner vor, alle maßgebenden Stellen im Staatsapparat durch
zuverlässige Physiokraten zu besetzen. "Zuverlässig" war aus der
Sicht von Diogenes nur noch ein Mitglied des Proletarischen Blocks.
Doch dessen
Mitgliederzahl ging höchstwahrscheinlich nie über 200 - 250 hinaus. Dazu kamen
einige Sympathisanten in der Schweiz und in den USA.
Was Bertha
Heimberg für den FWB und Hanna Blumenthal für den FKB, war Luise Dornemann für
den PB. Sie bemühte sich um die Schaffung einer Frauenorganisation, brachte
jedoch nur eine kleine Arbeitsgemeinschaft zustande.
Der
Proletarische Block bestand nur zwei Jahre: von 1926 bis 1928. Dann löste er
sich fast spurlos auf.
Die
Fregosten
Auf der
anderen Seite des FKB gab es die Fregosten (Freie Egoisten), für die ein
solcher Zentralismus und eine solche Disziplin wie im Proletarischen Block
völlig unerträglich war. Sie kamen durchweg von Max Stirner, dessen Hauptwerk
"Der Einzige und sein Eigentum" ihr Evangelium zu sein schien. Wie
die Individualisten am Rande des Anarchismus waren sie entweder Einzelgänger
oder sie bildeten lose Gruppen am Rande des Fisiokratischen Kampfbundes, dem
sie wegen seiner akratischen Gesinnung am nähesten standen. Sie zahlten
natürlich weder Beiträge noch ließen sie sich in Aktionen einspannen. Dafür
waren sie unermüdliche Diskutierer und theoretisierten gern. Was immer sie
taten, es mußte freiwillig sein und aus ihnen selber kommen. Ihr Gott war das
ICH. Die Fregosten verachteten die kleinen Freiheiten um der Großen Freiheit
willen, ein völlig ungebundenes Leben zu führen. Der Egoismus war ihnen die
ultima ratio des Antidogmatismus. Sie sprachen "immer und allerorts im
eigenen Namen" (Engert). Wollten sie doch demonstrieren, daß sie ihr Leben
ganz auf sich selbst gestellt hatten. Doch waren sie auch Gesellianer, und im
weiten Sinne auch Physiokraten. Nicht abgespalten vom FKB, bildeten sie
vielmehr Zirkel innerhalb desselben.
Einen
solchen Zirkel gab es beispielsweise in Berlin-Südost, weshalb er sich
SO-Fregosten nannte. Er kam jeden zweiten und vierten Mittwoch zu Vortrag und
Diskussion zusammen. Federführend war Max Klenner. In Dortmund trafen sich die
Fregosten ab Januar 1932 regelmäßig mit den Physiokraten und Freiwirten jeden
Samstag, wobei nacheinander Referenten der drei Gruppierungen sprachen, so am
24. Januar 1932 der Fregost Birnitzer über das Ich-Bewußtsein. Im allgemeinen
traten die Fregosten nicht als besondere Richtung in Erscheinung, sondern sie
mischten sich gleichsam unter die Leute, weit gewichtiger durch ihren Einfluß
als durch ihre Zahl.
Ihr Sprachrohr
und Ideologe ist Rolf Engert gewesen. Er hatte am 1. Europäischen
Individualisten-Kongreß teilgenommen und bei dieser Gelegenheit über "Die
Freiwirtschaft als praktischer Ausdruck der Stirnerschen Philosophie"
gesprochen. Der Titel sagte schon alles. Stirner hatte laut Engert erkannt, daß
in der Arbeiterbewegung "in der Hauptsache ein dumpfer egoistischer
Instinkt und nur noch in den seltensten Fällen ein klares egoistisches
Bewußtsein wirksam wird." (14) Zu diesem klaren Bewußtsein sei erst die physiokratisch-freiwirtschaftliche
Bewegung vorgedrungen. "Kommunismus und Sozialismus werden abgetan, die
Wirtschaft ganz individualistisch auf den Eigennutz des Einzelnen gegründet. .
. " (15) Auch an anderer Stelle sagte Engert, Gesell habe die Natürliche
Wirtschaftsordnung, sein gesamtes Wirtschaftssystem auf das Prinzip des
Egoismus gebaut.
Damit löste
er eine Diskussion in der NWO-Bewegung aus, die nie zur Klärung kam und sie
tief zerklüftete. Egoismus oder Altruismus, Eigennutz oder Gemeinnutz, Individualismus
oder Sozialismus? Die Geister schieden sich, auch in verschiedene
Organisationen. Sollte die NWO-Bewegung an der individualistischen Philosophie
ihres physiokratischen Flügels gescheitert sein, insbesondere am erklärten
Egoismus des Fisiokratischen Kampfbundes, den die Fregosten kultivierten?
1 Silvio
Gesell, Die Allgemeine Enteignung im Lichte der physiokratischen Ziele, Potsdam
1925, S. 55
2 ebenda, S.
7
3 FW 10-1924
4 FW 11-1924
5 FW 10-1924
6 FW 15-1924
(Hier stimmt
im gedruckten Buch leider etwas nicht mit den Fußnoten! WR)
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Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von
W. Roehrig