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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
IV.
Einheitsfront und freiwirtschaftliche Grundströmung
Die deutsche
Novemberrevolution und der Volksbeauftragte Gesell
Bis Oktober
1918 gab es nur kleine organisatorische Ansatzpunkte für eine NWO-Bewegung.
Erst die deutsche Novemberrevolution blies Wind in ihre aufgespannten Segel.
Nun fanden Gesells Zinstheorie, Blumenthals physiokratisches Gedankengut und
Klüpfels Idee der Freiwirtschaft einen Resonanzboden, der sie selbst in
Schwingungen versetzte. Sprungartig stieg die Zahl der Interessenten,
Sympathisanten und Organisations-Mitglieder an, was die Herausgabe regulärer
Zeitschriften ermöglichte.
Die
Novemberrevolution 1918 verebbte erst fünf Jahre später. Eine ihrer Flutwellen
trug auch Silvio Gesell empor. Auf Vorschlag Gustav Landauers, der sich 1910
für Freigeld in sozialistischen Siedlungen ausgesprochen hatte, (1) wurde er im
März 1919 zum Volksbeauftragten für Finanzen in der bayrischen Räterepublik
bestellt. Gesell rief sogleich alle Ministerialbeamten des neuen
Volksfinanzhauses (Ministeriums) zusammen und eröffnete ihnen zu ihrem größten
Erstaunen, daß er keine Unterschriften geben werde. "Ich ermächtige Sie
hiermit, ein für allemal diesen Krimskram selber zu erledigen." (2) Damit
hatte er sich von Formalitäten freigemacht für seine Aufgabe, in Bayern eine
absolute, auf Freigeld basierende Währung zu schaffen, wodurch "der
Kapitalismus restlos beseitigt und am Wiedererstehen mit absoluter Sicherheit
verhindert" (3) würde. Ihm zur Seite standen Dr. Christen und Professor Polenske.
Jedoch war zu wenig Zeit, nur eine Woche. (4) Dann nahmen die Kommunisten das
Heft in die Hand und setzten einen Willfährigen an die Stelle Gesells.
Kurz vor dem
Ende der Bayrischen Räterepublik vereinbarten Landauer, Gesell und andere die
Gründung eines Sozialistischen Freiheitsbundes. (5) Landauer wurde jedoch kurz
darauf umgebracht und Gesell wegen Beihilfe zum Hochverrat vor Gericht
gestellt. Obwohl freigesprochen, trug die direkte Teilnahme an der Bayrischen
Räterepublik und seine Fühlung mit den revolutionären Betriebsräten wesentlich
zur Radikalisierung der politischen Ansichten Gesells bei. Von diesem Zeitpunkt
war er für eine proletarische Einheitsfront und für eine "Diktatur der
Not". (6)
Im übrigen
erschien es ihm gleichgültig, von welcher Regierung und unter welcher
Staatsform seine umwälzenden Reformen in die Tat umgesetzt würden - das könne
auch durch Lenin in Rußland geschehen. Diese Indifferenz ging einher mit
wachsender Skepsis gegenüber der Demokratie und ihrer parlamentarischen Grundform,
obwohl er sie auch einmal die denkbar beste und am wenigsten schlechte
Staatsform nannte.
Zum Kern der
proletarischen Einheitsfront, die selbst Dr. Hunkel bejahte, sollte eine
Einheitsorganisation aller NWO-Anhänger werden. Die erstere zu schaffen war
objektiv und subjektiv unmöglich. Deshalb konzentrierten sich alle
Anstrengungen auf die Gründung der Einheitsorganisation.
Ihre
Vorbereitung übernahm "Der Befreier" die erste NWO-Zeitung. Er sollte
eigentlich "Kettenbrecher" heißen. Mit seiner Herausgabe war die
Absicht verbunden, zunächst die Physiokratische Vereinigung und den
Physiokratischen Landesverband Westdeutschland dessen Haupt Wilhelm Groß war,
zusammenzuschließen. Darauf sollte ein "Befreiungsbund" aller
Physiokraten und Freiwirtschaftler entstehen. Blumenthal schlug vor, Gesell zu
seinem Präsidenten zu wählen. Aus Sontra, anscheinend von Hunkel, wurde Prof.
Polenske für den Vorsitz des Einheitsbundes empfohlen. Es kam aber anders.
Blumenthal
redigierte die Zeitung unentgeltlich, doch sie hatte - wie er sagte 1000
Abonnenten zu wenig, um wirklich alle NWO-Anhänger zu erreichen und das
Zentralorgan eines Befreiungsbundes zu werden. Die ersten vier Nummern
erschienen allerdings in einer Auflage von 25 000 - 30 000 Stück, ihr Verkauf
war indes so gering, daß ein Defizit von 30 000 Mark entstand. Nach der
siebenten Nummer wurde sie von Silvio Gesell eingestellt, weil ihr Zweck
erreicht sei. War er tatsächlich erreicht? Oder konnte "Der Befreier"
nicht länger finanziert werden?
Nun hatten
sich bereits am 14. September 1919 in Arnstadt Klüpfels Freiland-Freigeld-Bund
und Haackes Bund für Freiwirtschaft zum Deutschen Freiland-Freigeld-Bund
verschmolzen. Zu dessen Vorsitzenden war Otto Maaß gewählt worden. Aus seiner
Feder floß eine Broschüre über "Die Befreiung aus der
Ententeknechtschaft". Darin schlug Maaß sowohl nationale als auch
revolutionäre Saiten an:
"Die
Abschüttelung des Versailler Friedensvertrags, die Zertrümmerung der
Entente-Ausbeuterfront ist möglich ohne Waffengewalt, ohne Blutvergießen,
allein mit wirtschaftlichen Maßnahmen großzügigster Art. Die Durchführung der
Freiwirtschaft setzt Deutschland in den Stand, durch gewaltige
Produktionssteigerung und Warenlieferungen an die Entente diese in schwerste
wirtschaftliche und soziale Unruhen zu bringen und damit die Ententearbeiter
vor die Notwendigkeit und Möglichkeit zu stellen, ihre kapitalistischen
Regierungen zu stürzen und unter Aufhebung des Versailler Friedensvertrags
gemeinsam mit dem deutschen Volke den Wiederaufbau des Abendlandes
vorzunehmen."
Die
Realisierung der Freiwirtschaft in Deutschland sollte friedlich erfolgen, aber
ganz Westeuropa revolutionieren, um auf diesem Umwege die Aufhebung des
Versailler Diktats durch eine Massenbewegung zu erreichen. Otto Maaß dachte etwas
gewunden. Seine nationale Tonart mißfiel den Physiokraten, die sich in der
Physiokratischen Vereinigung sowie in einem westdeutschen Landesverband
zweckverbunden hatten. Außerdem gab es noch den Freiwirtschaftsbund
Deutschlands unter Führung von Fritz Bartels. All diese Organisationen waren
nach der Novemberrevolution ins Kraut geschossen.
Georg
Blumenthal lud die "Herren Ortsgruppenvorsitzenden" zu einer
gemeinsamen Tagung ein. Doch zuerst sollten sie außerordentliche
Mitgliederversammlungen einberufen, den Organisationsplan von Wilhelm Groß und
den Satzungsentwurf von Friedrich Suhren beraten sowie Delegierte wählen.
Ortsgruppen, die aus finanziellen Gründen keine Delegierten auf die Reise
schicken konnten, sollten sich direkt an Gesell wenden (der die Fahrkarten aus
eigener Tasche bezahlte).
Die
Einheitsorganisation entstand im Mai 1921 auf einer Tagung in Kassel. Sie
beschloß ein provisorisches Programm, das auf einer Postkarte Platz gehabt
hätte:
Bundesprogramm
"Der
Freiwirtschaftsbund sucht das gesamte schaffende Volk zu vereinigen, zum
gemeinsamen Kampfe gegen die Ausbeutung in jeder Form.
Der Bund
erstrebt zu diesem Zwecke die Durchführung seiner wirtschaftlichen Forderungen,
und zwar:
1.
Überführung des Bodenzinses in Allgemeinbesitz (Freiland)
2.
Umwandlung des Geldes in reines Tauschmittel (Freigeld)
3. Festigung
der Kaufkraft des Geldes (Festwährung)."
Doch die
starke Berliner Gruppe der Physiokratischen Vereinigung schloß sich der
Einheitsorganisation nicht an. Auch ein beträchtlicher Teil der Mitglieder des
Landesverbandes Westdeutschland blieb dem FWB fern.
Die
Festlegung auf den Namen Freiwirtschaftsbund bedeutete eine Einengung, als gäbe
es keine Physiokraten mehr. Viele von diesen fühlten sich überfahren. Sie nahmen
es Georg Blumenthal übel, daß er einer solchen Vereinigung zugestimmt hatte.
Das war allerdings nicht ohne Bedenken geschehen, mehr Gesell als der
gemeinsamen Sache zuliebe.
Der
Freiwirtschaftsbund FFF bis zur Spaltung im Mai 1924
Da er seinen
höheren Sinn nicht erfüllen konnte, zum Ferment einer sozialistischen
Einheitsfront zu werden, mauserte sich der neue Freiwirtschaftsbund FFF
überraschend schnell zum Selbstzweck. Es fragte sich jedoch, welchen Weg er
einschlagen würde.
Gustav Simons,
einer der ersten Anhänger Gesells, war von Anbeginn für politisches Denken
gewesen, da ein Nur-Wirtschaftertum den Problemen nicht beikommen könne.
Professor Polenske hatte Ende 1920 sogar ein Regierungsprogramm entworfen und
veröffentlicht, das den jetzigen Zwangsstaat in einen Freistaat umwandeln
sollte. Mittels einer zehnjährigen Befreiungsdiktatur unter der Leitung Silvio
Gesells, die sich selbst überflüssig machen sollte. Zuverlässige
Freiwirtschaftler müßten eine "Übergangsregierung (Befreiungsdiktatur)"
bilden, welche von allen Zeitungen "in der ihnen aufgegebenen Weise
Aufklärungshilfe" (7) erwarten und sie dazu verpflichten könne. Die
Meinungsfreiheit sollte jedoch gewahrt bleiben. Polenskes Idee einer
Befreiungsdiktatur schlug tiefe Wurzeln in der NWO-Bewegung, obwohl sie dem
marxistischen Schema entsprach und wahrscheinlich auch entlehnt war.
Auf seiner
Bundesvertreterversammlung vom 11. September 1921 in Hannover beschloß der
Freiwirtschaftsbund FFF, von bloßer Aufklärung in die Politik einzutreten.
Fritz Schwarz aus der Schweiz warnte, da unter den gegebenen Umständen eine
Wirkung ganz aussichtslos sei. Trotzdem wurde das von Silvio Gesell vorgelegte
Regierungsprogramm angenommen. Es war allerdings mehr eine politische
Willenserklärung und vermied den Begriff "Befreiungsdiktatur". In
aller Öffentlichkeit sollte aufgezeigt werden, daß der Freiwirtschaftsbund -
wie Bader sagte "jederzeit die Regierung übernehmen könne". (8)
Auf dieser
Tagung wurde Wilhelm Groß einstimmig zum Hauptgeschäftsführer gewählt. Gemäß
seinem Vorschlag beschloß sie die Einführung einer Bundesnadel mit drei weißen
F im Strahlenkreuz, die von allen Mitgliedern getragen werden sollte. Übrigens
stellte sich heraus, daß der FWB auch ausländische Mitglieder hatte. Lebenslängliche
Mitglieder mußten einmalig 1000 Mark Beitrag an den Bund zahlen, Hans Timm
wollte dem Vorstand keine Machtbefugnisse geben. Wilhelm Beckmann schlug vor,
zwar eine Spitze zu bilden, aber eine Form zu finden, die Autokratie unmöglich
macht, wie das bereits im Mittelgau der Fall sei. Man einigte sich auf eine
dezentrale Organisationsform. Es sollte keine "Ortsgruppen", sondern
örtliche Freiwirtschaftsvereinigungen geben, die durch diesen Namen sowohl ihr
Ziel als auch ihre Unabhängigkeit von einer Zentrale kundtun könnten. Zum
Bundesleiter wurde Fritz Schulze gewählt, bald auf stille Weise durch Wilhelm
Merks abgelöst. Laut Beckmann war die weiterbestehende Physiokratische
Vereinigung grundsätzlich gegen eine Einigung. Bader erklärte seinen Austritt.
Bur Suhren wurde ausgeschlossen. Weißleder setzte sich dafür ein, in die
Einheitsfront aller Schaffenden auch die Völkischen einzubeziehen.
Gesell,
Beckmann und Freitag wurden in eine Kommission zur Durchberatung des
Regierungsprogramms gewählt, das in einer Auflage von 100 000 Stück
veröffentlicht werden sollte, wofür eine freiwillige Spende von 15 000 Mark
nötig sei. Vogel sagte dazu kritisch: "Wichtiger als die Propaganda in
Wort und Schrift sind praktische Maßnahmen, z. B. Einführung des Freigelds in
kleinen Städten und Unterstützung der Wöchnerinnen vom Ertrag". Dieser
leise Einwand ging in der lauten politischen Aufbruchstimmung unter.
Der folgende
Bundestag in Berlin (1922) beschloß die Beteiligung des Freiwirtschaftsbundes
an den Parlamentswahlen (ohne sich zum Parlamentarismus zu bekennen). Die
Programmkommission verabschiedete ein Politisches Programm, das den bestehenden
Staat als "eine Organisation zur Sicherung der Grundlagen der
kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung" bezeichnete. Ihr
würden auch die Einrichtungen zur Beherrschung des Geistes dienen, durch die
sich der Staat in die persönlichsten Angelegenheiten einmische. Ein Punkt im
Abschnitt Innere Politik erhielt daher folgende Fassung:
"4.
Freiheit in allen Kulturfragen. Schule, Fachbildung, Heilkunde, Kirche,
Wissenschaft, Kunst, Ehe usw. sind vom Staat und dessen Einflüssen zu
trennen." (9)
Mehreren
Mitgliedern der Programmkommission kamen sogleich Bedenken. Von neun Personen
waren zwar fünf für die freie Ehe, aber vier dagegen. Vom demokratischen
Standpunkt aus hätte der Beschluß noch einmal überprüft werden müssen. Zumal
zwei Mitglieder der elfköpfigen Programmkommission bei der Abstimmung fehlten.
Alle
Bedenkenträger waren der Ansicht, die freie Ehe und Liebe gehöre nicht in das
Politische Programm. Sie sei Privatsache und würde dem Freiwirtschaftsbund in
der breiten Öffentlichkeit nur schaden. So Otto Maaß im Gegensatz zu Hans Timm.
Um diese beiden Männer bildeten sich auf dem Berliner Bundestag von 1922 zwei konträre
Strömungen, die unschwer als eine freiwirtschaftliche und eine physiokratische
zu erkennen waren, obwohl Wilhelm Groß nun zur ersten gehörte. Die
freiwirtschaftliche Richtung hatte einen konservativen, die physiokratische
einen revolutionären Zug. Zugrunde lagen substantiell unterschiedliche Staats-
und Lebensauffassungen, die noch hinter gegensätzliche Wegvorstellungen
zurücktraten.
Diesmal
konnte der aufgebrochene Konflikt zugedeckt werden. Das Politische Programm
ließ den Weg noch offen. Ihn festzulegen im Sinne der einen oder der anderen
Strömung - darum ging nun das weitere Ringen vor und hinter den Kulissen.
Zunächst
züngelte ein Disput zwischen dem FWB-Vorstand und Will Noebe auf, der mit
dessen Ausschluß endete. Noebe, dessen Auffassung der NWO national gefärbt war,
wurde in eine Außenseiterposition hineingedrängt, die er fruchtbar zu nutzen
verstand. Unter dem Titel "Land und Stadt" erschien ab 1. Juni 1923
in Mecklenburg eine freiwirtschaftliche Tageszeitung, deren Chefredakteur er selber
und deren Herausgeber Paul Hasse war. Sie hatten Silvio Gesell aufgesucht und
um seine Mitarbeit gebeten. Er sagte zu, hielt es aber für ratsam, seine
Beiträge vorerst "nicht mit dem eigenen Namen zu zeichnen" (10), weil
Mecklenburg der reaktionärste Teil des deutschen Reiches sei und dort seine
Tage als Volksbeauftragter der Bayrischen Räterepublik wohl am wenigsten
vergessen wären. Sein Offener Brief an den Reichspräsidenten erschien denn auch
mit den Unterschriften von Hasse, Noebe, Kurt Templer und Eduard von Engel.
Die deutsche
Inflation begann zu galoppieren. "Vieles schien damals für einen
Durchbruch zu sprechen." (11) Noebe schrieb täglich seinen Leitartikel
gegen eine Währungspfuscherei, die in 40 Papierfabriken und 70 Druckereien
täglich ungeheure Massen von Papiergeld herstellen ließ. Seine redaktionellen
Mitarbeiter waren Prof. Polenske, Peter Bender, Ernst Zahn, Peter Stein. Die
Vertriebsleitung übernahm Paul Denkmann. Das Redaktions-Team konnte sich auf
die Ortsgruppe des Freiwirtschaftsbundes in Neustrelitz / Neubrandenburg
stützen. Noch weit gewichtiger war die Unterstützung des Bundes der
Kleinlandwirte von Mecklenburg. Zum ersten- und einzigen Mal faßte die NWO-Idee
auf dem Lande Wurzeln. Es gelang, den Bund der kleinen Landwirte für das
freiwirtschaftliche Reformprogramm zu gewinnen und in ganz Mecklenburg einen
Sturm zu entfesseln. Allabendlich fanden in den verschiedenen Städten
öffentliche Versammlungen mit vollbesetzten Sälen statt. Aufgeboten waren die
besten Redner, zu denen auch Paul Hasse, Prof. Polenske und Paul Kuhlmay
gehörten. In der Redaktion von "Land und Stadt" läutete das Telefon
den ganzen Tag über, besonders massiert um 15 Uhr mit der Anfrage, ob die neue
Ausgabe schon erschienen sei. Der Landwirtebund stellte für die Wahlen im
mecklenburgischen Zwergstaat freiwirtschaftliche Kandidaten auf. Einer davon -
Eduard von Engel - wurde gewählt und war für vier Jahre das Zünglein an der
Waage zwischen je 20 rechts- und linksstehenden Abgeordneten.
Gleichwohl
zeigte sich nach Noebe, daß die Welt lieber unterhalten als belehrt werden
will. Obwohl manche Besucher der öffentlichen Versammlungen stehen mußten, weil
sie keinen freien Platz mehr fanden, gab es in der Regel nur Achtungsbeifall.
"Was den Hörern geboten wurde, war zwar überaus einleuchtend und wurde
durch die täglichen Vorgänge bestätigt. Doch das Programm des Auswegs
erforderte Mitdenken und war offensichtlich für die Mehrzahl eine zu schwere
Kost." (12)
Doch das
allein hätte - wie Noebe meinte - nie den Ausschlag gegeben, wäre nicht auch
die Staatsanwaltschaft gegen ihn und seine Zeitung mobil gemacht worden. Bei
einer Kundgebung der Zentrumspartei mit Außenminister Stresemann war er auf die
Bühne gesprungen und hatte demonstrativ gefragt: "Herr Minister, sind Sie
für die Wiedereinführung der Goldwährung und die Beibehaltung des bestehenden
Bodenrechts, ja oder nein?" Stresemann, etwas erschrocken über den jungen
Feuerkopf, der kochend vor seinem Rednerpult stand und seine Frage fast schrie,
hatte "Ja" gesagt, worauf am nächsten Tage ein Brandartikel in
"Land und Stadt" erschien, der zur Beschlagnahme und zu einem
zeitweiligen Schreibverbot für den blutjungen Chefredakteur führte.
Aus
"Land und Stadt" wurde später die Monatsschrift "Das Ziel"
(Telos). Noebe ließ sich niemals entmutigen. Er arbeitete für die Gesellsche
Idee so fieberhaft "wie ein Geisteskranker". Seine Devise lautete:
nun erst recht!
Zum
Bundestag des Freiwirtschaftsbundes vom Mai 1923, der in Leipzig tagte,
erschienen über 100 Vertreter seiner Ortsgruppen. Er faßte einige sehr wichtige
Beschlüsse.
Auf Antrag
von Hans Timm und anderen wurden Definitionen beschlossen, die ein für allemal
festlegen, ja festschreiben sollten, was unter Freiwirtschaft, Freiland,
Freigeld und Festwährung zu verstehen sei:
"Freiwirtschaft
ist eine Wirtschaft, in der alle Vorrechte beseitigt sind und der freie
Wettbewerb in vollem Umfange verwirklicht ist. Freiwirtschaft bedeutet daher
zunächst und hauptsächlich die Beseitigung und Unterlassung aller staatlichen
Eingriffe in die Wirtschaft. Außer diesen rein negativen Merkmalen gehören zur
Freiwirtschaft zwei positive: Freiland und Freigeld.
Freiland ist
die Verwirklichung des Gedankens, daß jedem einzelnen Menschen die ganze Erde
gehört. Freiland ist daher die Erde, die in niemandes Sondereigentum steht,
auch nicht im Eigentum eines Staates, Volkes oder anderer Zusammenfassungen von
Menschen, und über die auch kein Staat Sonderrechte ausübt. Freiland ist die
Erde, deren Erzeugnisse frei und unbehindert überall gebracht werden können . .
. Freiland ist Grund und Boden, den jeder Mensch der ganzen Welt dadurch, daß
er in öffentlicher Pachtversteigerung für ihn die höchste Pacht bietet, in
Nutznißung nehmen kann . . . Freiland ist Grund und Boden, dessen Pacht gleichmäßig
und restlos unter alle Mütter nach der Zahl der Kinder verteilt wird.
Freigeld ist
ein Geld, das mit einem Nennwertverlust belastet ist, der in bestimmten
Zeitspannen eintritt und vom jeweiligen Besitzer des Geldscheins zu tragen ist,
und das staatlich von einem Währungsamt, zwischenstaatlich von der
internationalen Valuta-Assoziation in der Weise verwaltet wird, daß der
Warendurchschnittspreis (Index) immer derselbe bleibt (Festwährung)." (13)
Sämtliche
Definitionen, insbesondere die beiden ersten, hatten eine antistaatliche
Tendenz und waren von Physiokraten ausgedacht. Die Festwährung stand am
Schwanze, ohne daß ihr ein besonderer Abschnitt eingeräumt worden wäre, sollte
jedoch bald in den Vordergrund rücken.
Der
Leipziger Bundestag entschloß sich auch zur Politisierung des
Freiwirtschaftsbundes. Er faßte in dieser Hinsicht folgende Beschlüsse:
1.
Herbeiführung eines Volksbegehrens und nötigenfalls eines Volksentscheids für
FFF.
2.
Beteiligung an Wahlen.
3. In den
Wahlkampf unter dem Kennwort Soziale Freiheitspartei einzutreten, die aber erst
von den gewählten Abgeordneten gegründet werden sollte.
4. Zur
Ausarbeitung eines politischen Aktionsprogramms einen Programm-Ausschuß zu
bilden (in den Gesell, Alve, Timm, Dr. Tuercke und Dr. Uhlemayr berufen
wurden).
5. Neben den
Bundesvorstand einen Aktionsausschuß zu setzen, dessen Hauptaufgabe die
energische Politisierung des FWB sei.
6. Für die
Wahlen eine besondere Abteilung im Bundesvorstand unter Leitung von Wilhelm
Merks einzurichten.
7. Die
Reichswahlleitung der Ortsgruppe Stettin zu übertragen.
Eine
unbefangene Betrachtung dieser Beschlüsse zeigt die Aufsplitterung der
Wahlvorbereitungen auf nicht weniger als drei Körperschaften, was unweigerlich
zu Kompetenzstreitigkeiten und einem Durcheinander führen mußte.
Das Ziel des
Volksbegehrens war ein "Gesetz betreffend Stabilisierung der Mark durch
Stillegung der Notenpresse ohne Hilfe des Auslandes". Die Einzeichnung in
Unterschriftslisten sollte bis zum Jahresende 1923 erfolgen. Wilhelm Merks
ordnete an, möglichst in allen Orten, selbst in kleineren und kleinsten
Gemeinden Arbeitsgemeinschaften für Volksbegehr zu gründen. Diese sollten sich
dann weiter verzweigen. In seinen Propaganda-Richtlinien hieß es:
"Bei
den Angaben über den Inhalt unseres Volksbegehrens ist mit diplomatischem
Geschick zu verfahren. In den Vordergrund ist die ,Festwährung' zu
stellen." (14)
Aus
taktischen Erwägungen soll über Freiland und Freigeld geschwiegen werden; sie
sind schwerer zu begründen. So verschob sich die gesamte Definitionsgrundlage,
kaum beschlossen, schon mit dem ersten politischen Schritt. Merks kehrte
gleichsam das Unterste zum Obersten um. Dahinter stand der Gedanke, die
Arbeitsgemeinschaft für Volksbegehr auf einer Grundlage, die alle Menschen
bejahen könnten, ohne schon Gesellianer zu sein, in Ortsgruppen des
Freiwirtschaftsbundes umzuwandeln. Es bildete sich jedoch kaum ein Dutzend
solcher AfV, - belegt sind nur sieben. Auch zeichneten sich so wenig Leute in
die ausgelegten Unterschriftenlisten ein, daß der FWB das Volksbegehren wieder
abblasen mußte. Dabei hatte der Berichterstatter über den Leipziger Bundestag
geschrieben, er sei ein Zeichen dafür, "wie alle Kräfteströme der heutigen
Zeit ein gemeinsames Bett finden im FFF". (15) Selbsteinschätzung und
politische Wirklichkeit klafften weit auseinander. Die Ortsgruppen des FWB
wurden mit einer Fülle von Aufgaben überbürdet, von denen sie meist kaum eine
lösen konnten.
Das war auch
bei den Vorbereitungen zu den Reichstagswahlen von 1924 der Fall. Die Stettiner
Reichswahlleitung sah sich genötigt, für viele Wahlkreise selbst
Kandidatenlisten zusammenzustellen; in den meisten waren nicht einmal 60 - 70
Wähler bereit, Freiwirtschaftler durch ihre Unterschrift zu unterstützen. Der
FWB konnte keinen einzigen Reichstagskandidaten durchbringen, sein Wähleranteil
lag unter einem Prozent.
Ein
niederschmetterndes Ergebnis. In Erwartung des sicheren Erfolgs hatten viele
Ortsgruppen Anleihen aufgenommen und Schulden gemacht.
Silvio
Gesell wollte einen revolutionären Freiwirtschaftsbund und daher ein möglichst
radikales Aktionsprogramm, das als Scheidewasser wirken und alle bürgerlich
Gesinnten abstoßen sollte: genau entgegengesetzt der Absicht von Wilhelm Merks.
Unter dem Eindruck, Kapitalismus und Staat wären untrennbar miteinander
verfilzt, bestand er auch auf persönlicher Freiheit in allen Kulturfragen.
Nun sprachen
sich auch drei der fünf Vorstandsmitglieder des FWB - Merks, Bartels und
Scheffer - gegen die freie Ehe aus. Für April 1924 beriefen sie nach Magdeburg
einen außerordentlichen Bundestag ein, wo allen Ortsverbänden und
Einzelmitgliedern empfohlen wurde, im Programmentwurf das Wort "Ehe"
und darüber hinaus alle Kulturforderungen zu streichen, wofür die "Versorgung
aller aus der heutigen Ausbeutungswirtschaft übernommenen
Unterhaltsbedürftigen" (16) gesetzt war.
Silvio
Gesell schickte dem Magdeburger Tagungspräsidium Leitsätze zu, die verlesen
werden sollten, jedoch ebenso verheimlicht wurden wie Marx' Kritik des Gothaer
Programms der SPD von 1875 den Delegierten der Lassalleaner und Bebelianer.
In den
Leitsätzen Gesells hieß es zum Erschrecken der konservativ Gesinnten:
"Da der
Zutritt zu den Massen von rechts her durch die Sozialdemokratie gesperrt ist. .
. , so bleibt nur der Zutritt von der äußersten Linken offen.
Die
proletarische Front ist nur von links aufzurollen, d. h. in eine Einheitsfront
zu verwandeln.
Das Werben
in anderen Volksschichten in offizieller, diesen Schichten angepaßter Form
steht den Notwendigkeiten der Werbung in den proletarischen Kreisen im Wege.
Wenn wir das
Vertrauen der linksstehenden Arbeitermassen gewinnen wollen, so müssen wir auf
die Frage, mit welchen Mitteln wir die politische Macht zur Durchführung
unserer Forderungen erreichen wollen, eine eindeutige Antwort geben.
Deshalb
müssen wir die Bewaffnung des Proletariats fordern oder zum Mindesten die
völlige Entwaffnung der Reichswehr, bzw. die Unterstellung der Reichswehr unter
das Kommando proletarischer Vertrauensmänner.
Die
Verbindung mit Sowjetrußland muß mit allen Mitteln angestrebt werden. Die
wirtschaftlichen Maßnahmen der Sowjets müssen mit dem Wohlwollen der
Überlegenheit kritisiert werden.
Das
Völkische, soweit es in Politik ausgeartet ist, muß bis aufs Messer bekämpft
werden. Der Klassenkampf muß bis zur Strecke ausgefochten werden." (17)
Gesell hielt
also noch immer an der proletarischen und sozialistischen Einheitsfront fest,
die vom Freiwirtschaftsbund bestenfalls als Einheitsfront aller Schaffenden
akzeptiert werden konnte. Aber nun verfolgte er in den Augen von Maaß, Merks,
Isenberg und Bartels eine probolschewistische Politik, die der KPD in die Hände
spielte - etwa durch die Bewaffnung des Proletariats.
Auch in
ihrem Namen stellte Scheuffler Gesells Leitsätzen andere gegenüber:
"Bei
der Werbung der Massen müssen wir uns an die Gesamtheit des Volkes wenden.
Einzelne ‚Klassen' dürfen nicht bevorzugt werden. Die Freiwirtschaftslehre
kennt keine Proletarier der marxistischen Prägung. Sie sieht die Ausgebeuteten
überall da, wo arbeitsloses Einkommen frißt. . . Mit aller Schärfe müssen wir
den versöhnenden Charakter der Freiwirtschaft betonen. Die Freiwirtschaft wirkt
klassenzersetzend und parteiauflösend; sie gibt den Punkt der Mitte, um den sich
die Schaffenden scharen.
Die
Freiwirtschaftsbewegung muß, da sie vom Bürgerfrieden zum Völkerfrieden kommen
will, zuerst das ,eigene Volk' retten.
Jeder
Versuch, die Freiwirtschaftslehre im ,eigenen' Lande gewaltsam, d. h. schon
dann durchsetzen, wenn noch nicht ein starker, im Volksleben beachtlicher Block
dahintersteht, ist unorganisch und daher als Glücksspiel zu verwerfen. Die
Freiwirtschaftsbewegung führt. . . keinen Klassenkampf. . . Sie ist klassenlos.
Sie will die Klassen zerschlagen und braucht in diesem Bemühen nicht in das
schmutzige Gewand einer Klasse schlüpfen. Sie darf es auch nicht, wenn sie
klassenbefreiend wirken will." (18)
Deutlicher
konnten die Unterschiede und Gegensätze kaum herausgeschält werden. Innerhalb
des Freiwirtschaftsbundes zeichneten sich zwei Strategien und Weltbilder ab.
Scheuffler hielt es übrigens für eine Gesellsche Illusion, die Freiwirtschaft
könne mit einem Schlage in der ganzen Welt ein- und durchgeführt werden. Viel
wahrscheinlicher sei, daß die Welt "allmählich, gleichsam Stufe um Stufe,
geistig und materiell davon Besitz ergreift, ohne daß dann jeweils die
freiwirtschaftliche Idee als Urheber davon genannt wird."
Wie es in
der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zwei Strömungen gab, von denen die eine
den Sozialismus gewaltsam durch Enteignung durchsetzen wollte, während die
andere auf sein organisches Hineinwachsen in das Bestehende und dessen
Umwälzung von innen her setzte, so gab es parallele Strömungen in der
NWO-Bewegung, die sich in gleicher Weise polarisierten. Was in der
Sozialdemokratie Kautsky und Bernstein, waren in der NWO-Bewegung Timm und Maaß
(oder auch Batz und Scheuffler). Gesell legte sein Gewicht in die Waagschale
der Radikalen, die daraufhin nach unten sank.
Das
entsprach jedoch nicht dem tatsächlichen Kräfteverhältnis. Die Radikalen
befanden sich eigentlich in einer Minderheitsposition. Das wurde durch Gesells
Parteinahme vorübergehend verhüllt. Auf der Herrnhauser Tagung vom Mai 1924
veranlaßte er viele Freiwirtschaftler durch das Gewicht seiner Persönlichkeit,
sich zunächst auf die Seite der Physiokraten zu stellen und damit ungewollt zur
Spaltung des FWB beizutragen. In Herrnhausen wurde die Einheitsorganisation zu
Grabe getragen.
Der
Freiwirtschaftsbund zwischen 1925 - 33
Schon im
Februar 1925 stellte Fritz Bartels fest, mit dem Freiwirtschaftsbund gehe es
überall wieder voran. Er hatte allerdings nur den Westverband bereist.
Alle dem FWB
angeschlossenen Gruppen durften anfangs eigene Satzungen aufstellen. Doch im
August 1925 wurde um "unbedingte Einheitlichkeit" gebeten. Der FWB,
von dem Bertha Heimberg sagte, auf der Grundlage völlig neuartiger Satzungen
würden die Schattenseiten jedweder Organisation weitestgehend vermieden,
zentralisierte sich zusehends. Viele Mitglieder und ganze Ortsgruppen
reagierten auf diese Entwicklung mit einem Beitragsstreik.
Die Partei
der Arbeit (PdA)
Auf dem
Erfurter Bundestag vom April 1926 beantragte die starke und einflußreiche
Flensburger Ortsgruppe, der Freiwirtschaftsbund möge sich wieder
entpolitisieren. Sie forderten seine Aufgliederung in Arbeitnehmer und
Arbeitgeber. Für die Arbeitnehmer sollte die Beckmannsche Partei der Arbeit als
eine Art Gewerkschaft zuständig sein, "für die Arbeitgeber muß sofort ein
Gegenstück aufgebaut werden." (18) Auch die Ortsgruppen Gladbeck und
Gelsenkirchen hielten die Gründung einer freiwirtschaftlichen Gewerkschaft für
nötig.
Wilhelm
Beckmann war der öffentlich bekannteste und populärste deutsche
Freiwirtschaftler. Die sozialdemokratische Reichsregierung hatte ihn wegen
seines großen Ansehens auch innerhalb der Arbeiterbewegung in den Vorläufigen
Reichswirtschaftsrat berufen, der die Sozialisierung vorbereiten sollte. Aus
nächster Nähe konnte er den Kampf der Parteien im Reichstag beobachten.
Beckmann sah sich vor die Frage gestellt, warum im Parlament nicht die
führenden Geister der Nation, sondern die Geschäftspolitiker und
Phrasendrescher den Ton angaben, wie die Korruption zustandekomme und weshalb
sich die schaffenden Volksschichten in den verschiedensten Parteien
zersplitterten. Seines Erachtens war zur Gesundung der deutschen Politik nur
Ehrlichkeit erforderlich. Damals gab es 27 politische Parteien. Beckmann hielt
die meisten für überflüssig. Er schlug eine Konzentration auf drei Parteien
vor, die den drei Produktionsfaktoren entsprechen sollten:
- eine
Partei der Arbeit,
- eine
Partei des Bodens,
- eine
Partei des Kapitals.
Das Rückgrat
der Arbeitspartei sollten die Gewerkschaften sein. Beckmann rief sie auf, ihre
parteipolitische Neutralität preiszugeben, da die letzten Ziele der
Arbeiterbewegung einschließlich der katholischen nur durch die Besitzergreifung
der politischen Machtmittel erreicht werden könnten. Darüber schrieb Beckmann
1925 ein langes Manifest, um den Boden für eine deutsche Partei der Arbeit
vorzubereiten. Sie sollte sich das Ziel setzen, den vollen Arbeitsertrag zu
erkämpfen und das arbeitslose Einkommen - zusammengesetzt aus Geldzins,
Grundrente und Konjunkturgewinn - abzuschaffen:
"Die
Mittel hierzu sind
Geldreform
(Sozialgeld anstatt Dauergeld)
Bodenreform
(Sozialland statt Privatgrundbesitz)
Währungsreform
(Sozialwährung statt Goldwährung)
Die
Verwirklichung dieser Ziele ist gleichbedeutend mit der Lösung der sozialen
Frage, soweit sie wirtschaftlich bedingt ist." (20)
Man beachte
die Umformulierung der freiwirtschaftlichen Standardbegriffe unter dem sozialen
Gesichtspunkt. Die Partei der Arbeit (PdA) war als Dachorganisation der
verschiedenen Gewerkschaften und Berufsverbände gedacht. Das Vorbild der
englischen Labour-Party sollte auf die deutschen Verhältnisse übertragen
werden. Zunächst gelte es aber, die Einzelmitglieder der verschiedenen
Gewerkschaften auf neuer Grundlage zusammenzuführen; ihre Verbände würden dann
folgen.
Entgegen
Silvio Gesell, der den Parlamentarismus und damit auch die Demokratie in Frage
stellte, war Wilhelm Beckmann davon überzeugt, das parlamentarische System sei
durchaus funktionsfähig, wie England beweise. Man würde das Kind mit dem Bade
ausschütten, wollte man es für die Fehler und Mißstände der Parteien
verantwortlich machen, deren Vielzahl und grundsätzliche Einstellung zur
Politik der Kern des Übels sei. Diese Gedanken durchdrangen einen Teil des
Freiwirtschaftsbundes. Der andere Teil symphatisierte mit Hunkels Selbsthilfe
der Arbeit (SdA). Wilhelm Beckmann blieb nicht bei Worten stehen. Er war
Vorsitzender der Deutschen Angestelltengewerkschaft oder einer ihrer
wichtigsten Sekretäre. Auf dem Stettiner Kongreß der Angestellten-Gewerkschaft
konnte er von 140 Delegierten 62 von seiner Ansicht überzeugen. Mit diesen
gründete er die Partei der Arbeit, welche sich auf den Boden des
freiwirtschaftlichen Bundesprogramms stellte.
Der Erfurter
Bundestag vom Oktober 1927 entschloß sich weder für Beckmanns Partei der Arbeit
noch für Hunkels SdA. Die Programmkommission empfahl den neuen Programmentwurf
von Peter Bender, in dem zwei andere Möglichkeiten ins Auge gefaßt wurden:
"revolutionäre Diktatur oder legitime Generalvollmacht" (21) Um sein
Programm von dem des Fisiokratischen Kampfbundes abzugrenzen, fügte Bender
anzüglich hinzu, die menschheitsbefreiende Wirtschaftsordnung werde "nicht
in Moskau und Sowjets, sondern in London-New York und Sterlin-Dollarzahlen
vorbereitet" Sein Entwurf umfaßte 37 Druckseiten. Er begann mit einem
Abschnitt über die (bald zu erwartende) freiwirtschaftliche Regierung. Zur
Durchführung der drei FFF gehöre die volle Regierungsgewalt. Die
Entpolitisierung des FWB wurde abgelehnt.
Die
SdA-Diskussion
Der Gießener
Bundestag Pfingsten 1929 befaßte sich ausführlich mit demVerhältnis des FWB zu
Hunkels Selbsthilfe der Arbeit. Es traten recht verschiedene Ansichten zutage;
gleichwohl konnte beschlossen werden, "dass zwar der Bund als Körperschaft
von der SdA klar getrennt bleiben soll, jedoch die einzelnen Bundesmitglieder
sehr wohl auch Mitglieder der SdA sein bzw. werden können." (22) Selbst
eine Personalunion von Vorstandsmitgliedern beider Organisationen sei möglich.
Erst der
Essener Bundestag Ostern 1931 brachte einen gewissen Aufschwung. Er änderte die
Satzung und regelte den Beitrag neu. Zu seinem Auftakt marschierten mehrere
Gruppen der Freiwirtschaftlichen Jugend mit Wimpeln und grünen Fahnen in den
Tagungssaal, Kampflieder singend. Ihre Sprechchöre kündeten den Willen zur Tat.
Dann hielten Dr. Uhlemayr und Wimber Gedenkreden auf den inzwischen
verstorbenen Silvio Gesell. Professor Sveistrup wurde mit der offiziellen
Vertretung des Freiwirtschaftsbundes in Berlin beauftragt. Im Oktober 1931
konnte festgestellt werden, daß seit Pfingsten 500 Neuaufnahmen und 13 neue
Ortsgruppen hinzu gekommen waren. Auch der eingeschlafene Werbering nahm seine
Tätigkeit wieder auf. Bertha Heimberg, die neue Geschäftsführerin, hatte die
Organisation gestrafft und ihre Vorgehensweise vereinheitlicht, allerdings auf
Kosten der Initiative von unten.
Zwei
Parteigründungen
Immer wieder
stellten sich Freiwirtschaftler die Frage, ob es nicht notwendig sei, den
Freiwirtschaftsbund in eine politische Partei umzuwandeln. Schon 1929, nachdem
der Gießener Bundestag einen diesbezüglichen Antrag mehrheitlich abgelehnt
hatte, war in Berlin auf Initiative von Eugen Graske und Bernhard Globisch die
Volkspartei der Mitte gegründet worden, merkwürdigerweise mit rein
wirtschaftlichen Forderungen. Sie wollte den Artikel 151 der Weimarer
Verfassung mit Leben füllen, jenen Artikel, demzufolge die Wirtschaft nach den
Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Gewährleistung eines
menschenwürdigen Daseins für alle gestaltet werden sollte. Die freiwirtschaftliche
Volkspartei hatte vor, eine Mitte zu bilden zwischen Privatkapitalismus und
Staatssozialismus, blieb jedoch auf Berlin beschränkt.
Als auch der
Essener Bundestag einem Antrag zur Parteibildung widersprach, sonderten sich
deren Befürworter ab und gründeten 1931 die Freiwirtschaftliche Partei
Deutschlands (FPD), in welcher die "Volkspartei der Mitte" aufging.
Sie baute eine Brücke zwischen den politischen Realitäten und den von Gesell
vorgeschlagenen Strukturreformen. Solange diese noch nicht durchgeführt sind
und sich noch nicht voll ausgewirkt haben, "muß die FPD im Rahmen der
Mangelwirtschaft den Fürsorgegedanken notgedrungen anerkennen, muß eine
ausreichende Unterstützung für Erwerbslose, für Inflations- und
Deflationsgeschädigte, Kriegsopfer und Arbeitsunfähige bejaht werden."
(23)
Das war eine
zweite Konzession an die Sozialstaatsidee und gewiß nicht im Sinne Gesells.
Eugen
Graske, nun auch ein denkender Kopf der neuen Partei, holte zu einer scharfen
Kritik am Freiwirtschaftsbund aus. Er beklagte dessen mangelnden Willen zur
Macht, ohne den die Freiwirtschaft ewig Utopie bleiben werde.
"Die
wirkliche Aktivität wurde stets von Theoretikern gedrosselt. Rücksichtnahme auf
Beruf und Gesellschaft spielten mit. Niemals wäre die nationalsozialzstische
Bewegung hochgekommen, wenn die freiwirtschaftliche p o l i t i s c h e Führer
gehabt hätte, Führer, die durch dick und dünn gehen, die etwas wagen. Unserer
Bewegung fehlte der Impuls, die gefühlsmäßige Einstellung; das reißt mit. . .
Mut und Kampfgeist bringen eine Bewegung vorwärts, nicht das Tüfteln um
Kleinigkeiten." (24)
Für Graske
stand die Frage so: kämpfen oder untergehen? Daß man auch kämpfend untergehen
könne, kam ihm nicht in den Sinn. Er empfahl keineswegs den revolutionären Weg,
der für längere Zeit aussichtslos sei. Vielmehr den evolutionären durch das
Parlament:
"Von
der Tribune des Parlaments aus kann den Menschen eingehämmert werden, wie sie
betrogen und belogen werden, wie sie von ihren Führern nur als Stimmvieh
benutzt werden, so daß sie zu uns kommen." (25)
Die
Freiwirtschaftliche Partei Deutschlands forderte u. a. eine freie Wirtschaft
unter Ausschaltung aller Vorrechte, die das Geld- und Bodenmonopol geschaffen,
den "Schutz des Bauernstandes vor dem rigorosen Leihkapital", den
Aufstieg des Proletariers zum Vollbürger und "absolute Freiheit in allen
Kulturfragen" (ohne die Ehe zu erwähnen). Sie veröffentlichte den Entwurf
einer "Notverordnung der freiwirtschaftlichen Regierung". An erster
Stelle stand die Schaffung eines Währungsamts (das Gesell im "Abgebauten
Staat" fallengelassen). Vom Eigennutz war keine Rede mehr. Der Entwurf
schloß: "Volksgenossen, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Beamte! Es geht um das
Gesamtwohl, für die Volksgemeinschaft! Für den Bürger- und Völkerfrieden: für
Freiheit und Wohlstand! Helft alle!" (26)
Binnen
kurzer Zeit konnte die FPD eine eigene Reichsorganisation aufbauen, also zur
dritten Kraft neben FWB und FKB werden. Ihr war jedoch nur eine kurze
Lebenszeit beschieden. Schon Ende 1932 nach dem Ausschluß von Paul Regnault,
den viele Mitglieder für unberechtigt hielten, kam es zu einer schweren Krise
der Freiwirtschaftlichen Partei. Der Ausschluß hielt neugegründete Ortsgruppen
davon ab, sich der FPD anzuschließen, während er alte veranlaßte, ihre Beitragszahlungen
einzustellen. Im ersten Halbjahr 1933 lösten sich die meisten Ortsgruppen
selber auf. Auch deshalb, weil eine Wahlgesetzänderung dem ursprünglichen
Gründungsgedanken die Grundlage zu entziehen schien. Im Juli 1933 blieb Oskar
Harnisch nur noch übrig, die Auflösung der FPD bekanntzugeben. Wobei er dunkel
erklärte, ein außerordentlicher Parteitag, der über den Weiterbestand hätte
entscheiden können, sei "unmöglich gemacht worden." (27) Unmöglich
gemacht durch das NS-System oder die Flucht der meisten Vorstandsmitglieder von
ihren Ämtern?
Das
"befreiende Regierungsprogramm"
1932 tagte
der Freiwirtschaftsbund auf dem Comburg, wo er sich endlich Rechenschaft
ablegte über die bedrohliche Situation in Deutschland. Er beschloß eine Versammlungswelle
gegen die braune Flut und schlug den Kurs zur Vereinigung mit dem
Fisiokratischen Kampfbund ein.
Die Krise
der Regierung Papen im Herbst 1932 - erstmals wurde ein General als
Reichskanzler in Erwägung gezogen - veranlaßte den FWB zur Ausarbeitung einer
umfangreichen Denkschrift, die unter dem Titel "Das befreiende
Regierungsprogramm" veröffentlicht und den deutschen Staatsmännern
zugesandt wurde. Sie sollten den Freiwirtschaftsbund "gegebenenfalls durch
Unterschrift oder durch Erwerbung der Mitgliedschaft unterstützen"! Sein
Bundesvorstand forderte den Reichspräsidenten Hindenburg in einem Telegramm
auf", mit der kommenden Regierungsarbeit nur Personen zu beauftragen, die
gewillt sind grundsätzlich neue Wege auf wirtschaftspolitischem Gebiet zu
beschreiten, da alle bisherigen Pläne dem schaffendem Volke nicht gerecht
wurden." (28)
Die
Denkschrift befaßte sich mit vier Problemen: Wirtschaftskrise und
Arbeitslosigkeit, Fehlbeträge im öffentlichen Haushalt, innenpolitische
Befriedung und äußere Gleichberechtigung des deutschen Volkes. Der Inflation
wurde auf einmal eine heilsame Wirkung zugeschrieben: sie ieß das Millionenheer
der rückkehrenden Soldaten in die Arbeitsstätten verschwinden und sorgte für
einen immer rascheren Geldumlauf. Nun müsse der fortgeschrittenen Technik des
Angebots eine entsprechende Technik der Nachfrage gegenübergestellt werden. Zu
diesem Zweck sei das Geld unter Umlaufzwang zu stellen. Falls das nicht
geschähe, sollte neben die Reichsmark (RM) eine Binnenmark (BM) gesetzt werden.
"Die RM wird nur gegen ein Aufgeld in die BM zu haben sein" (29), um
ihre Hortung zu verhindern. Im übrigen dürfe es für die Geldausgabe keinen
anderen Maßstab geben als den durchschnittlichen Preisstand.
Pfingsten
1933 sollte in Bonn eine große Arbeitstagung aller Freiwirtschaftler und
Physiokraten stattfinden. Doch schon die nächste Bundestagung des FWB -
vorgesehen für Ostern 1933 in Hamburg, wohin auch der FKB seinen Kongreß
vorverlegt hatte - wurde von den NS-Behörden verboten. Das war jedoch kein
Verbot des Freiwirtschaftsbundes.
1 Gustav
Landauer, Aufruf zum Sozialiamus, Köln 1923, S. 121/22
2 Wolfgang
Leonhard, Völker, hört die Signale
3 An alle!
Das Proletarische Finanz- und Wirtschaftsprogramm des Volksbeauftragten der 1.
bayrischen Räteregierung
Silvio
Gesell. Berlin 1919, 1. öffentl. Bekanntmachung, S. 5
4 Rolf
Engert, Silvio Gesell in München 1919, Hann.-Münden (jetzt Lütjenburg) 1986
5 Über den
Sozialistischen Freiheitsbund mehr in: Zeitschrift für Sozialökonomie Folge 71
(1986), S. 34
6 Silvio
Gesell, Die Diktatur der Not, Erfurt 1922
7 siehe das
Polenske-Portrait des Verfassers wie Anm. 2 zu Kapitel II. und FW 12-1920
8 Protokoll
in FW 10-1921
9
Politisches Programm des Freiwirtschaftsbundes in FW 5-1924
10
Dokumentation, telos-Sonderdruck Nr. 8, S. 5
11 ebenda
12 ebenda,
S. 6
13 FW 5-1923
14 FW 6-1923
15 FW 5-1923
16 Was will
der FWB-FFF? (Flugblatt)
17 Gesells
Leitsätze in FW 8-1924
18 Freies
Volk Nr. 17-1924
19 FWB
Mitteilungsblatt 5
20 Wilhelm
Beckmann, Die Partei der Arbeit, Hamburg 1925, S. 9
21 Peter
Benders Progammentwurf: Wie kann der Freiwirtschaftsbund seine Forderungen
verwirklichen? FWB-M1/28, S. 17
22 FWB-M
April/Mai 1929
23 Hugo
Luczak, Geschichtliches zur FFF-Bewegung in Deutschland, S. 41
24 Eugen
Graske, Der politische Freiheitskampf gegen Kapitalismus und Marxismus, Erfurt
1932, S. 43
25 ebenda,
S. 43
26 ebenda,
S. 47
27 Letzte
Politik 28-1933
28 Das
befreiende Regierungsprogramm (Denkschrift des FWB), Vorwort
29 ebenda,
S. 47/48
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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von
W. Roehrig