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Günter
Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
II. Die
Denkschule
Bevor eine
soziale Bewegung entsteht und um sie in Gang zu bringen, bedarf es einer
Denkschule, worin die Ursprungsidee unter verschiedenen Gesichtspunkten erwogen
und entwickelt wird.
Nun kann
jede Idee sowohl eng als auch weit aufgefaßt werden. In allen sozialen
Bewegungen finden sich Engherzige und Weitherzige. Stutzen die ersteren der
Ursprungsidee gleichsam die Flügel, so stellen sie die zweiten in einen
größeren Zusammenhang.
Zur
Denkschule gehören eigentlich nur jene Persönlichkeiten, welche der
Ausgangsidee etwas hinzufügen und sie erweitern. Außerdem dürfen sie keine
Anhänger, sondern müssen persönliche oder posthume Mitarbeiter des
Ideenschöpfers sein. Im Rahmen der Denkschule kommt es gerade auf ihre
Eigenständigkeit an.
Auch die
Engherzigen können neue Gedanken beitragen, wie das etwa bei Martin Hoffmann
(Diogenes) und Paul Hasse der Fall war. Doch erweisen sich ihre zusätzlichen
Gedanken in der Regel als Abwege oder als Sackgassen.
Fraglich ist
die Position von Ernst Frankfurth. Gesell rühmte ihn als einen "der
stolzesten und freiesten Männer" (1), die er je kennengelernt. Jedoch
brachte er den Darwinismus und den Gedanken der menschlichen
"Hochzucht" in die NWO-Bewegung, was sie eingeengt hat.
So kann ich
mich mit jenen Persönlichkeiten begnügen, die stellvertretend für Richtungen in
der NWO-Bewegung waren. Ihre Kurzportraits enthalten zugleich deren
organisatorische Anfänge.
Georg
Blumenthals Bausteine
Ihm war es
vorbehalten, die Keimzellen der NWO-Bewegung zu schaffen. Georg Blumenthal,
dessen Vater ein hoher Herr gewesen ist, wuchs teils in einem ostpreußischen
Dorf bei seiner geliebten Großmutter und in der Geborgenheit eines
paradiesischen Gartens auf, wo er mit Blumen statt mit anderen Kindern spielte,
teils in Berlin bei seiner Mutter und dem groben Stiefvater, die ihn auf dem
Wohnungsflur schlafen ließen. (2) Er erlernte das Tischlerhandwerk, trat der
Gewerkschaft bei und ging auf Wanderschaft, wo er Anarchisten und unabhängigen
Sozialisten begegnete.
Später
besuchte Blumenthal die Arbeiterbildungsschule. Einer ihrer Lehrer war Benedikt
Friedländer, welcher das Buch "Der freiheitliche Sozialismus im Gegensatz
zum Staatsknechttum der Marxisten" geschrieben hatte. Über ihn kam er mit
Adolf Damaschke und dem Bund deutscher Bodenreformer in Verbindung. Blumenthal
stellte sich die Frage: Was hat der Arbeiter von der Bodenreform? Aber erst bei
Gesell fand er, was er suchte - wie ein Blitz schlug dessen Idee in ihn ein.
1909, nach
mehreren Vorträgen in anarchistischen und anarchosyndikalistischen Kreisen,
gründete er in Berlin den Verein für physiokratische Politik, ein Jahr später
den Physiokratischen Verlag, in dem ab Mai 1912 die kleine Zeitschrift
"Der Physiokrat" erschien, die ihr Gewicht durch Gesells ständige
Mitarbeit erhielt. 1916 brachte dieser Verlag in mehreren Heften die erste
Auflage der "Natürlichen Wirtschaftsordnung" heraus.
Inzwischen
hatte der Verein für physiokratische Politik Kreise gezogen. Blumenthal hielt
Vorträge, wo immer es ihm möglich war, außer in Berlin auch in anderen Städten.
In Hamburg griff der damalige Anarchist Alfred Bader seine Gedanken auf, die er
in der "Berliner Maizeitung" von 1912 gefunden. Sein Aufruf an die
Arbeiter hatte ihn ergriffen. Blumenthal ermutigte Bader, selbst einen kleinen
Vortrag zu halten. Dem Hamburger J. H. Schmidt hatte er bereits eine
Physiokratische Wanderbibliothek geschickt, die zwar nur fünf bis sechs
Schriften umfaßte, aber auch eine originelle Idee war. Blumenthal muß Tag und
Nacht tätig gewesen sein. Am 26. Oktober 1913 konnte er den kleinen Verein zur
Physiokratischen Vereinigung erweitern. Bei dessen Gründung waren, wie er
brieflich berichtete, "die allerverschiedensten Richtungen vertreten, von
den christlichen Gewerkschaften bis zu den individualistischen
Anarchisten." (3) Die Tagung soll in völliger Einmütigkeit und
gegenseitiger Achtung verlaufen sein. Blumenthal hatte das durch seine
"Flußschrift" ermöglicht, welche die freieste Organisationsverfassung
der Welt genannt werden darf.
Es gab
keinen Vorstand, jede Gruppe war autonom und konnte das Flußbett der Bewegung
nach freiem Ermessen gestalten. Den Erfolg des Kampfes sollte der freie
Wettbewerb aller Gruppen und Richtungen gewährleisten.
Zur Gründung
der Physiokratischen Vereinigung trafen Begrüßungsadressen aus Frankfurt /
Main, Braunschweig, Velten, Fürth, Uhlstädt und Schwetz a. d. Weichsel ein. Sie
hatte auch schon Anhänger in Köln und Bremen. Ihr schlossen sich Otto Maaß und
Fritz Bartels an, die eine große Rolle in der NWO-Bewegung spielen sollten. Die
erste Hamburger Veranstaltung, wo Alfred Bader sprach, fand am 24. Juni 1914
statt. Berlin und Hamburg waren die beiden Hauptstützpunkte. Daneben bildete
sich ein eigenständiger Physiokratischer Landesverband Westdeutschland, und
zwar auf Initiative von Wilhelm Groß.
Es war
GeorgBlumenthal, der die Gesellsche Idee mit der Physiokratie verknüpfte. Damit
erhielt die NWO-Bewegung eine Tradition, die von Quesney über Proudhon bis zu
Henry George reichte (der den Begriff "physiokratisch" bereits
benutzt hatte).
Blumenthal
schaute als erster nach einer großen Trägerbewegung der Gesellschen Idee aus.
Dies konnte seines Erachtens nur die gewaltige Arbeiterbewegung sein, in welche
jedoch bereits Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten ihre Ideen eingepflanzt
hatten. In dieser Situation wagte Blumenthal - war es Kühnheit oder Anmaßung? -
etwas Ungeheuerliches: der Arbeiterbewegung einen "neuen Armeebefehl"
zu erteilen. Ihre verschiedenen Kolonnen sollten die bereits ausgetretenen Wege
verlassen und auf dem gesamten Erdball geschlossen in Richtung Physiokratie
marschieren!
Blumenthals
Sprache war die eines Sozialpropheten, der in innerem Feuer erglüht: er bringe
das Schwert! In den süßen Frieden des Stumpfsinns und in die holde Eintracht
der Dummheit wolle er den sengenden Feuerbrand der Erkenntnis schleudern, daß
alles bisherige Denken und Tun der Arbeiter falsch war.
"Wir
wollen kein ,Proletariat' mehr sehen, es beleidigt unseren Schönheitssinn unser
Menschentum, unser Herz bäumtsich dagegen auf, inmitten dieses Elends, dieser
Versumpfung und Verblödung zu leben! Wir wollen das ,Proletariat' bekämpfen wie
eine Seuche - es für immer aus der Welt schaffen. Wir wollen stolze, schöne und
glückliche Menschen aus Euch machen, wollen den Tempel des höheren Menschentums
bauen auf der Grundlage der natürlichen Ordnung - der Physiokratie. Darum rufen
wir herbei alle, die mühselig und beladen sind..." (4)
So hatte
noch niemand zuden Arbeitern gesprochen. Blumenthal schmeichelte ihnen nicht,
er klagte sie vielmehr an, sich dem Schnaps zu ergeben, ihr Menschentum für ein
Linsengericht zu verkaufen, blindlings ihren Irreführern zu folgen und sich an
die Futterkrippe des Staates zu drängen. Das wollte er ihnen austreiben. Einerseits
hoffend, daß sie es selbst nicht mehr lange aushalten würden "in der
ewiggleichen Tretmühle des Proletarierlebens", ahnte er andererseits
schon: die große Masse ist gegen mich und Gesell!
Blumenthal
griff die Denkgewohnheiten der Arbeiter an der marxistischen Wurzel an. Ihre
gewerkschaftliche Streiktaktik stärke das Kapital, statt den Kapitalismus in
einem Meer von Arbeit und Kapital zu ersäufen. An die Stelle der
Arbeitsverweigerung sollte der Geldstreik treten. In Verbindung mit dem Umlauf
von Gutscheinen, die schneller als das gewöhnliche Geld zirkulieren, könne er
das Goldene Kalb nach einigen Jahren zertrümmern.
Zwei
Leuchttürme richtete Blumenthal vor den Arbeitern auf:
1. Allen die
Erde! (Statt wie bei Gesell jedem die ganze Erde)
2. Jedem den
vollen Arbeitsertrag!
1919, in den
Wirren der Revolution, schlug er gegen Gesells Rat einen totalen Neubeginn vor:
restlose Einschmelzung aller Vermögen und ihre Neuverteilung.
Blumenthal
unterstützte zwar die Vereinigung aller Gesellanhänger in einem einheitlichen
"Freiwirtschaftsbund", beteiligte sich jedoch im Januar 1924 an der
Ausarbeitung programmatischer Grundlagen für den Physiokratischen Kampfbund,
für den er auch eine Prinzipienerklärung verfaßte. Darin schrieb er, Freiwirtschaft
sei nur ein Mittel zum Zweck der Physiokratie und dürfe kein Selbstzweck
werden; alle Freiwirtschaftler sollten zum physiokratischen Ausgangspunkt
zurückkehren.
Das geschah
jedoch nicht. Blumenthal wandte sich ab. Enttäuschung färbte seine letzte
Schrift "Individuum und Allgemeinheit" (1925). Die Geschichte sei
eine Hure, Brüderlichkeit eine Phrase, Gerechtigkeit ein Wahn, rücksichtslose
Brutalität ein allgemeines Naturgesetz. Manche fragten sich: wenn das so ist,
wie unterscheidet sich dann die physiokratische Gesellschaftsordnung vom
Kapitalismus? Blumenthal wollte jedoch dem Arbeiter klarmachen: dein
wichtigstes Eigentum ist deine Persönlichkeit und Eigenart. Sein Buch "Die
Befreiung von der Geld- und Zinsherrschaft" (1917) war für die NWO-Bewegung
von ähnlich großer Bedeutung wie Engels "Anti-Dühring" für die
Kommunisten und Sozialisten. Wie schon Alfred Bader sagte, gelang ihm der große
Wurf, die Gesellsche Idee aus dem Dunkel eines kleinen und geschlossenen
Kreises "mitten in die Sonne kritischer Öffentlichkeit zu rücken".
Georg Blumenthal starb am 27. Juni 1929. Gesell hielt ihm die Grabrede.
Paulus
Klüpfel und die Weltarbeit
Der am 27.
September 1876 geborene Klüpfel wuchs als Kind schlichter Leute in einfachen
Verhältnissen auf, konnte jedoch infolge einer besonderen Gunst studieren und
Landpfarrer werden. Unerfüllte Liebe zu einer jungen Lehrerin wurde für ihn zum
mystischen Erkenntnisquell. So nahm er den Zustand der Welt als den eines
kosmischen Atheismus wahr. "Die Welt ist (noch) nicht Gottes Werk . . .
" Sie muß erst noch vergöttlicht werden, wobei ihre unterste Schicht nach
den Notwendigkeiten der obersten Emanation gebaut werden sollte. Wir sind die
Fingerspitzen Gottes, mit denen er sich auch selbst ertastet. Er kommt nur durch
den Menschen zu sich, wie dieser durch ihn vermittels des Glaubens.
Entgegen
anderen Mystikern zog sich Paulus Klüpfel nicht in seine Innerlichkeit zurück.
Wichtiger als sein eigenes Wohlbefinden waren ihm die Verlorenen und
Verelendeten. "Die Not allein führt das große Ganze weiter." Auch die
Not, vom Schöpfer losgerissen zu sein. Klüpfel sah seine Aufgabe darin, zur
Vergottung der Welt und zur Lösung der sozialen Frage vom Boden her
beizutragen. Er wollte eine Soziotechnik entwickeln, um den verhärteten Lehm
der gesellschaftlichen Institutionen wieder aufzuweichen und neu zu formen.
Doch viele
Menschen brauchen zunächst wenigstens eine warme Hand. Der Freundschaftsbund
wird zum Ersatz des Alten Bundes zwischen Gott und Mensch. Mitte 1915 gründete
Paulus Klüpfel aus seinem Freundeskreis heraus, unter anderem mit mehreren
Frauen, den Freiland-Freigeld-Bund (FFB) mit dem Sitz in Berlin-Steglitz. Laut
§ 1 seiner Satzung erstrebte er "völlige Freiwirtschaft durch Beseitigung
jeglichen arbeitslosen Einkommens in der Erkenntnis, daß ununterbrochener
Aufstieg und volle Entfaltung der Kultur nur möglich werden, wenn alle
wirtschaftlichen Hemmnisse beseitigt sind."
Für Klüpfel
war es bezeichnend, daß er den kulturellen Gesichtspunkt über den
wirtschaftlichen stellte. "Die ganze Kultur neu - aus unserem Letzten
heraus!" Aus sich selbst ist die Wirtschaft nicht zu reformieren. Sie
bedarf auch der Ehrfurcht vor dem weiblichen Seinsstrom. "Wie der Mann die
Natur, so beherrscht die Frau das Leben." Entgegen Gesell war Klüpfel der
Ansicht, nicht der freien Liebe, sondern der Monogamie gehöre die Zukunft. Aus
dem Humus von Freiland und Freigeld wird die Ehe erst wahrhaft erblühen.
Diesen
Gedanken der Partnerschaft übertrug Klüpfel auf die internationale Ebene. Die
Natürliche Wirtschaftsordnung hängt nicht allein von bestimmten Reformen ab. Es
bedarf auch des Zusammenklangs von Asien und Europa. "Dort fehlt mehr die
Arbeit, hier die Gesetzlichkeit. Asien vergaß über der Herrlichkeit des
Weltplans den Weltbaustoff und die Weltarbeit. Europa vergaß die ewige Vorlage
über dem Rohmaterial des Lehms." (5) Erst wenn göttlicher Weltplan und
menschliche Weltarbeit zusammengebracht sind, wird das Werk gelingen. Asien
kann das beschaulich Webende, Europa das aktiv Gestaltende beitragen. Auch hier
begegnen sich bei Klüpfel weibliches und männliches Prinzip.
"Wirtschaft
ist in sich frei", falls sie ihrer Eigengesetzlichkeit überlassen wird.
"Freiwirtschaft" (diesen Begriff prägte erst Klüpfel, ebenso wie den
des Freigelds), kann demnach nicht "eingeführt", sie kann nur
"freigesetzt" werden, losgerissen vom Staat und den
Industriemonopolen. Zunächst gilt es, sie als Teilgebiet einer neuen, erst noch
zu schaffenden Gesamtkultur zu begreifen und die Elemente der Ausbeutung aus
ihr zu entfernen. Den Kapitalismus faßte Klüpfel als "Wucherung an der
Arbeitsteilung mit dem Geld als Tauschmittel". Für ihn möge der Egoismus
eine wirtschaftliche Triebkraft sein. Wer ihn auch für die Triebkraft einer
Freiwirtschaft halte, stecke noch bis zum Halse in der alten Gesamtkultur, auf
die man sich überhaupt nicht mehr einlassen dürfe. Wirtschaftsreformen haben
nur Sinn, wenn sie von einer Neuen Kultur ausgehen, die das Gesamtleben wieder
ins Gleichgewicht bringt. Er hielt es für einen Irrtum Gesells, daß eine
Bedingung der Freiwirtschaft schon durch den Liberalismus erfüllt sei. Klüpfel
war Altruist. Der Mensch erwächst aus dem Treiben des Grundes, der sich unter
seinem Willen bewegt, aus dem Wollen des Ganzen, als dessen Teil er tätig wird.
Egoismus im Sinne von Selbstsucht "vergiftet die Freuden zu
Räuschen".
Wie in einer
Ahnung des Kommenden setzte sich Paulus auch mit der Vererbungstheorie und dem
Antisemitismus auseinander. Nicht die persönliche Erscheinung, nur Keimgut wind
vererbt. "Die 'Rasse' als Einheit aller Erbmerkmale gibt es nicht."
Jedoch wird der junge Mensch durch den Volkszusammenhang geprägt. Die Juden
haben den Deutschen vieles klargemacht, was diese an Dunkel- und Verworrenheit
mit sich trugen. "Ein Gärungs- und Klärungsferment ist der Jude für uns,
eine Notwendigkeit für unsere Dumpfheit; solche Leute sind nicht beliebt."
(6) Würden die Juden aus Deutschland vertrieben, nähmen wir uns selbst die
Möglichkeit der Reifegärung.
So arbeitete
Paulus Klüpfel an einer ganzen Reihe von Problemen. Das Geld sei außer Rand und
Band geraten. Seine Wiedereinfügung in den Rahmen der Schöpfung wäre ein
Beitrag zur Vergottung der Welt. Paulus war im Begriff, eine Theologie der
Natürlichen Wirtschaftsordnung zu entwerfen. Von der Kirche hatte er sich
jedoch völlig gelöst. Lehnte er 1916 den Sozialismus schlechthin als
Zwangswirtschaft ab, so begriff er ihn zwei Jahre später als das gewollte und
bewußt geordnete Miteinanderleben des Menschen. In gewisser Hinsicht war
Klüpfel der freiwirtschaftliche Franz von Assisi. Bei ihm knüpfte später die
christliche Richtung der NWO-Bewegung an. Jedoch legte er zunächst den Keim der
freiwirtschaftlichen Strömung im Unterschied zur physiokratischen, und zwar auf
dem höchsten Niveau, das nicht gehalten werden konnte.
"Die
Physiokraten haben eine Vorfrage übersehen und das, was von der reinen
Wirtschaft wahr ist, zu rasch von dem gegebenen Wirtschaften ausgesagt."
(7) In diese sei viel maskierte Gewalt eingeflochten, und es gibt noch keine
freie Konkurrenz als Selbsteuerung. "Was immer wir zu sich befreien, muß
erst bei sich sein, muß erst freiheitsfähig werden." Die jetzige
wirtschaftliche Freiheit ist die Freiheit des Tieres. Auch der 'Kampf ums
Dasein' als Bekämpfung anderer Menschen sei kein Prinzip der Wirtschaft,
sondern in diese von außen hineingetragen. Der Natürlichen Wirtschaftsordnung
liegt die Allgesetzlichkeit zugrunde. "Das Problem heißt Kosmos,
Gestaltung alles Chaotischen aus seiner Notwendigkeit zu seiner Form."
Erst durch menschliche Weltarbeit wird die Welt zum Ausdruck der in ihr
schlummernden Idee.
Paulus
Klüpfel fastete für die Beendigung des Krieges, was ihn nach den Entbehrungen
der beiden Rübenwinter schwindsüchtig machte. Er starb am 29. Juli 1918 in
einem Berliner Lazarett. Endlich hatte ihm Rathenau, mit dem er einen
Briefwechsel über die Freiwirtschaft geführt, (8) eine Besprechung zugesagt,
doch Klüpfel konnte dazu nicht mehr erscheinen.
Dem
Freiland-Freigeld-Bund schlossen sich u. a. Wilhelm Beckmann, Dr. Pfleiderer
und der Bergwerksdirektor Weißleder an. Von der Physiokratischen Vereinigung
traten Otto Maaß und andere über. Zur Gründung von Ortsgruppen empfahl der Bund
zunächst Leseabende einzurichten, auf denen wichtige Texte besprochen werden
sollten. Von Paulus Klüpfel lag am wenigsten vor, nur eine dünne Broschüre.
Erst sein jahrzehntelang verschollener Nachlaß hat gezeigt, wie intensiv tätig
er gewesen war.
Werner
Zimmermann und die Lebensreform
Er war ein
junger Lehrer, ein Feuerkopf unter den Schulreformern der Schweiz. Den Stachel
löckend gegen die Mucker und Philister, trat er für eine erlösende Erziehung
ein, die den jungen Menschen ohne pädagogisches Zwangskorsett zu sich selbst
wachsen lasse - zur Vollkommenheit hin. Doch schien ihm, eine solch freie
Erziehung setze die soziale Befreiung des Menschengeschlechts voraus.
Ende 1918
kam es in der Schweiz zu einem dreitägigen Generalstreik. Werner Zimmermann
hörte in Bern den dumpfen, donnernden Schritt der demonstrierenden
Arbeitermassen. Zugleich vernahm er ein Jauchzen im Sturmwind der Revolution.
Verkörperte nicht auch diese Zeitenwelle einen Gedanken und ein Glied in der
Kette des Weltenplans? Der neue Gedanke, das neue Glied in der menschlichen
Evolution schien Sozialismus zu heißen. Was will und fordert er? Im Wirbel der
widersprechendsten Vorstellungen und Begriffe schöpfte Werner Zimmermann aus
dem stillen Born der Natur, das Ziel des Sozialismus sei eigentlich die
Menschwerdung im Sinne der Vollkommenheit. 1919 veröffentlichte er eine
Broschüre über "Sozialismus in Freiheit":
"In
allen uns bekannten Lebenserscheinungen offenbaren sich zwei Grundrichtungen:
Selbsterhaltung und Arterhaltung. Als Einzelwesen fühlen wir uns. . . als
einePersönlichkeit, ein Ich, das in der ganzen Welt nicht ein zweites mal vorkommen
kann... Wir sind aber auch Glieder des ganzen Volkes. Unsere Seele sehnt sich
nach einer anderen Seele. Alle Schöpfung will sich nicht bloß erhalten. Über
ihr schwebt ihre Idee.Diese lebt als Streben nach aufwärts in jedem Wesen,
erhöht das Seiende in ein Werdendes. Dieser Weltenplan wandelt den trägen Trieb
der Erhaltung in den stürmenden der Erhöhung: Selbsterhöhung und Arterhöhung.
Individualismus ist das Streben nach Vollkommenheit des Einzelwesens, ist
Selbsterhöhung. Sozialismus ist das Streben nach Vollkommenheit der Art, des
Volksganzen, ist Arterhöhung." (9)
Wie Ich und
Wir keine Gegensätze sind, sondern die beiden Seiten der menschlichen Natur, so
sind auch Individualismus und Sozialismus aufeinander bezogen. Denn die
Vollkommenheit des Volksganzen ist nur zu erreichen, "wenn das Zielstreben
der individuellen Entwicklung sich ungehemmt auswirken kann . . ., wenn nicht
die Entwicklung der Einen die Verkümmerung der Anderen bedeutet".
Werner
Zimmermann hatte Gesell kennengelernt und mit ihm persönlich gesprochen. Er war
eines der ersten Mitglieder des Schweizer Freiland- und Freigeldbundes. Doch
dachte er über die Gesellsche Wirtschaftslehre hinaus. Ging es nicht um mehr
als eine Geld- und Bodenreform? Diese erschien ihm freilich unabdingbar. Alle
Übel einschließlich der Trunksucht sind Auswüchse der einen Wurzel, des
Kapitalismus. Das arbeitende Volk beugt sich und wird ausgebeutet. Aber sind
nicht auch jene Fabrikarbeiter Kapitalisten, die Ersparnisse auf der Bank haben
und dafür Zins, arbeitsloses Einkommen erhalten? Gibt es nicht außer Zins und
Grundrente noch eine dritte Form der Ausbeutung: den Spekulationsgewinn durch
ungerechtfertigte Preiserhöhung? Vereinigen sich nicht im Mittelstand die
entgegengesetzten Eigenschaften des Arbeiters und des Rentiers?
Schon der
Selbsterhaltungstrieb, der rein persönliche Egoismus, verlangt nach dem vollen
Arbeitsertrag. Er ist jedoch weder durch Sozialisierung noch durch Zerstörung
des Kapitals erreichbar. Diesen beiden Irrwegen stellte Zimmermann die Lösung
der Akratie gegenüber, wodurch er Gesell erheblich beeinflußt haben dürfte.
"Akratie stellt den Gegenpol dar zum Sozialstaate. (Sie) bedeutet
Gesetzlosigkeit in dem Sinne, daß restlos alle Menschengesetze ausgeschaltet
werden, daß nur noch die natürlichen (göttlichen), jeder Sache innewohnenden
Gesetze wirken und nicht mehr gefälscht werden. Eigengesetzlichkeit.
Herrschaftslosigkeit." Der Akrat sei nur Egoist im Sinne der
Selbstverwirklichung, ein Einziger wie Stirner. Er müsse auch Sozialist im Sinne
der Vervollkommnung des Menschengeschlechts und des Volksganzen sein.
1920 brach
Zimmermann zu einer Weltreise auf, gewann die Freundschaft Mahatma Gandhis und
erlebte die mystische Tiefe des Taoismus. Seine daraus erwachsenen Bücher
"Weltvagant" und "Lichtwärts" speisten vor allem das
hungrige und unruhig pochende Herz der Jugend. Zimmermann wurde nun zu einem
Träger der Lebensreformidee, die er in engste Verbindung brachte sowohl mit der
Wandervogelbewegung als auch mit der Physiokratie.
Unter Lebensreform
verstand er "eine umfassende Neugestaltung des menschlichen Lebens",
dessen Befreiung auf allen Gebieten zur eigenen Gesetzlichkeit. Zimmermann
hatte sogar den Mut, für eine neue Form der Sexualität einzutreten, für
Karezza, die geschlechtliche Vereinigung mit Begierdenfreiheit verbindet. Als
einer der ersten trat er auch für ökologischen Gemüseanbau ein.
Die
Lebensreform schloß für Zimmermann physiokratische Politik ein, doch diese
sollte sich, statt einen Totalanspruch zu erheben, auf den Teilbereich der
Werkzeuge beschränken. Im Reich der innerlichen Wachstumskräfte hat sie nichts
zu suchen. Ihre Aufgabe besteht darin, eine Gesundung der zwischenmenschlichen
Beziehungen dadurch zu begünstigen, daß sie die Werkzeuge der Tauschmittel und
Bodenregelung vervollkommnet sowie den Willen zu ihrer Veränderung weckt.
Politik bedarf der bewußt rationalistischen Tat, neue Lebensgestaltung hingegen
des "absichtfreien Wirkens." (10)
Schon 1920,
anläßlich der Schweizer Nationalratswahlen, war Werner Zimmermann für die
NWO-Bewegung als Wanderprediger tätig, später auch in Deutschland, wo er eine
Rednerschule einrichtete und binnen einer Woche Redner für öffentliche
Veranstaltungen ausbildete.
Wiederholt
sprach er über Autorität und Freiheit. Autorität tritt in der Regel an den
Menschen von außen heran und will ihm etwas aufzwingen. Er kann sie aber auch
in sich selbst aufrichten, etwa als Besessenheit von Idealen, denen er sich
blindlings unterwirft. Die Freiheit des Menschen ist wie ein Quell, der sich
jenseits von gut und böse seinen Weg bahnt. Der freie Mensch "fordert
keine Freiheiten, er l e b t
einfach".Triebe sollen weder unterdrückt noch überreizt werden, überreizte
müssen in die innere Harmonie zurückgebracht werden. "Freiheit erfordert
die Überwindung auch dieser Gebundenheit." (11) Die Triebe können dann zu
einem Teil unseres Wesens werden, damit der Quell wirklich strömt und nicht
mehr heraufzischt.
Jeder
Vortrag Werner Zimmermanns enthielt Klärung und Zuspruch. Er ermutigte seine
Hörer. Um ihn wehte ein frischer und freier Geist. Was er anregte, lebte er
vor. Psychologie war ihm gegen das unmittelbar Quellende. Während einer
Diskussion sagte er: vielleicht sei es notwendig,
"unwissenschaftlich", aber voller Leben zu werden. Doch die meisten
dieser jungen NWO-Revolutionäre wollten gerade eine wissenschaftliche
Ideologie.
Im Oktober
1934, während der Nacht über Deutschland, gründete Werner Zimmermann in der
Schweiz zusammen mit Paul Enz den Wirtschaftsring (WIR), eine
Selbsthilfe-Initiative, die zugleich eine praktische Form des freien
Sozialismus sein sollte. Bis ins hohe Alter blieb er ein Suchender, der
östliche Weisheit nach Europa und den christlichen Mystiker Meister Eckehart
nach Asien brachte. Werner Zimmermann war der universalste und allseitigste
schöpferische Geist innerhalb der NWO-Bewegung, deren Grenzen er oft
überschritt.
1
Gesell/Frankfurth, Aktive Währungspolitik, Erfurt 1921, S. 4
2 siehe das
Blumenthal-Portrait des Verfassers "Sozialisierung oder
Personalisierung" in: Zeitschrift für Sozialökonomie Folge 76 (1988), S.
24-32; Folge 77 (l988), S. 23-26 und Folge 79 (1988), S. 23-28
3 Georg
Blumenthals Brief vom 3.11.1913 an Alfred Bader
4 G.
Blumenthal, Neue revolutionäre Taktik, Erfurt 1929, S. 7/8
5 Vorwort
zur 2. NWO-Auflage, S. 23
6 Innen ist
der unendliche Wille der Welt. Die Aufzeichnungen des Paulus Klüpfel, vorgelegt
von Hans Vogt, Erlau / Passau 1967, S. 82. Vgl. auch das Klüpfel-Portrait des
Verfassers "Freiwirtschaft als innere und äußere Weltaufgabe" in:
Zeitschrift für Sozialökonomie Folge 87 (1990), S. 3-12
7 Klüpfels
Vorwort zur 2. NWO-Auflage, S. 21/22
8
Freiwirtschaftliches Archiv Nr. 9-12/1928
9 Werner
Zimmermann, Sozialismus in Freiheit, Bern 1919, S. 8
10 Der Ring,
Heft 2, November 1925
11 Werner
Zimmermann, Freiheit und Autorität, in: Die Neue Zeit Okt. 24.
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Bartsch: Die NWO-Bewegung
ISBN
3-87998-481-6; Lütjenburg: Gauke, 1994
Im Juni 2001 gescannt, korrekturgelesen und ins Netz gestellt von
W. Roehrig