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Auf dem Höhepunkt der Inflation 1923 konnte man für 1 Billion Mark gerade mal noch ein Brot kaufen, in so astronomische Höhen waren die Preise gestiegen. Bis im November 1923 eine Währungsreform stattfand und die alte Währung im Verhältnis 1 Billion : 1 in die neue »Rentenmark« umgerechnet und umgewechselt wurde. Von dieser Umrechnung waren alle Geldgrößen betroffen, Geldvermögen ebenso wie Schulden, auch Staatsschulden, die der Staat u. a. zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs aufgenommen hatte. Durch die große Inflation und anschließende Währungsreform hat sich demnach der Staat auf "elegante" Art, aber mit dramatischen Folgen, seiner gigantischen Staatsschulden entledigt, im wahren Sinne des Wortes »für'n Appel und 'n Ei« - denn mehr waren die Staatsschulden und ihre Rückzahlung nicht mehr wert.
Die Inflation hatte die Forderungen derjenigen, die dem Staat freiwillig oder per Zwangsanleihe Geld geliehen hatten, aufgefressen. Die Leidtragenden waren die Inhalber von Sparguthaben, von Lebensversicherungen und anderen Geldvermögen, deren Kaufkraft praktisch auf Null zusammengeschrumpft waren; und die Gewinner waren die Schuldner und die Eigentümer von Realvermögen (Boden, Mietshäuser, Fabriken oder andere Wertgegenstände), die all dies unbeschadet über die Inflation hinüberretten konnten. Und wer vor der Inflation über große Geldvermögen verfügte, war früh genug in Sachwerte umgestiegen, im Unterschied zu den kleinen Sparern und Lebensversicherten, denen derartige Möglichkeiten verbaut waren.
Der verdeckte Staatsbankrott, abgewickelt über die galoppierende Inflation, ging mit einer dramatischen Umverteilung einher, deren Opfer insbesondere das Kleinbürgertum war. Seine Existenzgrundlagen wurden in einer Welle von faktischen Enteignungen zerstört, während das große Kapital davon profitierte. Daß zunächst vor allem das Kleinbürgertum in der Weimarer Republik anfällig für faschistische Ideologie war, lag auch in dessen ökonomischem Absturz und in seiner dadurch verursachten Identitätskrise begründet.
Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wurde der sich erneut anbahnende Staatsbankrott auf andere Weise verschleiert. Die über Geldschöpfung »finanzierten« gigantischen Rüstungsprogramme trugen zunächst zu einer »Belebung der Wirtschaft« bei (welche Sprachverwirrung!). Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen wäre die Folge eines wachsenden Nachfrageüberhangs - nach Auslastung der Produktionskapazitäten - eine Inflation gewesen; und unter demokratischen Verhältnissen hätten die Gewerkschaften um einen Inflationsausgleich gekämpft. Beides fand unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus nicht statt: Die Gewerkschaften wurden zerschlagen, und der Wirtschaft wurde ein Lohn- und Preisstop aufgezwungen. Dadurch kam die Inflation nicht an die Oberfläche, sondern- blieb "zurückgestaut« und brach erst durch, nachdem die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zusammengebrochen war - nach dem Zweiten Weltkrieg.
Hier erst wurde mit einiger Verzögerung offensichtlich, daß die Währung nichts mehr wert war. Die Konsequenz davon war die Währungsreform 1948, bei der eine Umstellung der alten Reichsmark auf die neue D-Mark in den drei westlichen Besatzungszonen im Verhältnis 10: 1 (zum Teil 6,5: 1) erfolgte. Und wiederum waren Geldvermögen und Schulden gleichermaßen entwertet, zum Nachteil der Inhaber von Geldvermögen und zum Vorteil der Schuldner. Der Staat hatte sich zum zweiten Mal durch Bankrott aus seinen Schulden herausgestohlen, hatte sich durch den Zusammenbruch der Währung entschuldet - aber mit keinem Wort bei den Geschädigten dafür entschuldigt, geschweige denn sie dafür entschädigt.
So ist es eben bei einem Bankrott: Der eine kommt seinen Verpflichtungen nicht mehr nach, und andere haben davon ihren Schaden und müssen auf die Einlösung ihrer Forderungen ganz oder teilweise verzichten. Und wenn es nicht ganz so schlimm kommt, können sie sich noch aus einem Teil der Konkursmasse bedienen. Aber was ist denn eigentlich die Konkursmasse des Staates, wenn er bankrott macht? Und wird der Laden danach wirklich dicht gemacht, wie beim Konkurs eine Privatunternehmens? Irgendwie scheint es doch Unterschiede zu geben zwischen dem Bankrott eines Privatunternehmens und einem Staatsbankrott. Aber worin liegen sie, und worin sind sie begründet? Und was zum Teufel hat die Staaten immer wieder in den Bankrott getrieben, und wird sie vielleicht auch künftig dahin treiben?
Was bleibt einem privaten Unternehmen angesichts des drohenden Konkurses? An zwei Seiten kann die Sanierung ansetzen, nämlich an der
- Senkung der Kosten und/oder
- Steigerung der Erlöse.
Was die Kostenseite anlangt, läuft es vielfach auf Rationalisierung und entsprechende Senkung der Arbeitskosten hinaus, z. B. durch Kurzarbeit oder Entlassungen. Auch Material- und Maschinenkosten geraten unter Druck und erzwingen Material- (und Energie-) Einsparungen und die Erschließung billiger Bezugsquellen. Oder unrentable Teile des Unternehmens werden ganz stillgelegt. Nur bei den Finanzierungskosten läßt sich relativ wenig einsparen, weil sie sich aus den "Altlasten" des Schuldenbergs und dem über Jahre hinweg aufzubringenden Schuldendienst ergeben.
Ein vom Konkurs bedrohtes Unternehmen könnte natürlich auch versuchen, anstelle der unangenehmen Sanierungsmaßnahmen neue Kredite aufzunehmen, um die Lücke zwischen Erlösen und Kosten zu schließen. Aber es wird dafür kaum Banken finden, die unter solchen Bedingungen bereit wären, ihm Kredit zu geben. Denn die Banken achten in der Regel sehr genau darauf, daß ihre Kredite auch mit Zinsen bedient und zurückgezahlt werden, und sie sichern sich ihre Kredite mit dinglichen Sicherungen wie Grundstücken, Häusern und Produktionsanlagen ab. Im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wird auf solche Sicherheiten zurückgegriffen, sie werden versilbert, d. h. verkauft und in Geld verwandelt, und aus dem Erlös werden die Ansprüche der Banken bedient. Ihre Forderungen werden sozusagen mit Unbarmherzigkeit eingetrieben, und sei es denn, daß das Unternehmen selbst dabei auf der Strecke bleibt und sich die Banken aus dem Unternehmensleichnam noch ihre Teile herauspicken - natürlich auch im Interesse der Geldanleger, die ihnen ihr Geld gegen Sparzinsen überlassen haben.
An die Rolle des Zinses - des Kreditzinses wie des Sparzinses - haben wir uns alle gewöhnt. Und dennoch verbindet sich mit ihm eine Dynamik, die in vieler Hinsicht langfristig verheerende Wirkungen hervortreibt und die eine wachsende Zahl privater Unternehmen und auch den Staat in Richtung Bankrott treibt wobei sich die Abwicklung des Staatsbankrotts allerdings grundsätzlich von der des Unternehmensbankrotts unterscheidet. Wir kommen später darauf zu sprechen.
Indem das angelegte Geldvermögen als Kredit weiterverliehen wird, begründet es an anderer Stelle eine entsprechende Verschuldung. Deren Bedienung (Tilgung plus Zinsen) führt zu vergrößerten Rückflüssen, und die auf diese Weise vergrößerten Geldvermögen suchen sich neue Schuldner, usw. Als Schuldner kommen in Frage: private Unternehmen, private Haushalte und Staat im Inland sowie »das Ausland«.
Betrachtet man die Entwicklung der Verschuldung im Verhältnis zur Entwicklung des Sozialprodukts in der Bundesrepublik von 1950 - 1993, so zeigt sich (ebenfalls nach Creutz) ein ungleich viel schnelleres Anwachsen der Schulden: Während sich das Sozialprodukt in diesem Zeitraum um das 8-fache erhöht hat, ist die Verschuldung (von Unternehmen, Haushalten und Staat zusammen) auf das 18-fache angestiegen.
Der wachsende Schuldenberg fordert in wachsendem Maße seinen Tribut in Form von Zinslasten, die von den Schuldnern im Durchschnitt immer schwerer aufzubringen sind, die immer größere Teile des Sozialprodukts beanspruchen und an die Geldvermögensbesitzer bzw. an die Banken fließen.
Es gibt aber auch für den Staat gute Gründe, sich zu verschulden, insbesondere dann, wenn damit langfristige Zukunftsinvestitionen finanziert werden, deren Früchte auch noch von späteren »Generationen« von Steuerzahlern als öffentliche Leistung in Anspruch genommen werden (z. B. Verkehrssystem, Bildungssystem). Würden derartige Investitionen allein aus Steuermitteln finanziert, so müßten die jetzigen Steuerzahler für etwas aufkommen, was zum erheblichen Teil auch von späteren Generationen genutzt wird, und im übrigen ließe sich ein Großteil dieser Investitionen ohne Kredite gar nicht finanzieren und müßte entsprechend unterbleiben. Ohne Verschuldung könnte der Staat demnach einen wesentlichen Teil seiner Funktionen gar nicht erfüllen, und ob diese Funktionen hinreichend durch privatwirtschaftliche Aktivität erfüllt werden könnten, ist äußerst fraglich. Durch Kreditfinanzierung werden die Lasten auch auf spätere Steuerzahler verteilt. Denn zur Verzinsung und Tilgung der Staatsschulden bedarf es späterer Steuereinnahmen, die über die späteren laufenden Staatsausgaben hinausgehen.
Das Aufbringen wachsender Steuereinnahmen und die Bedienung der Staatsschulden ist solange kein Problem, wie das Sozialprodukt entsprechend wächst - und mit ihm (selbst bei gleichbleibenden Steuern und konstanten Steuersätzen) das Steueraufkommen. Angesichts der Dynamik der Zinseszinses und der entsprechend exponentiell wachsenden Zinslasten müßte aber das Sozialprodukt auf Dauer ebenfalls exponentiell anwachsen, was aus besagten Gründen unmöglich ist. Mit nachlassendem Wirtschaftswachstum fallen aber die Steuereinnahmen geringer aus, als es für die Bedienung der Staatsschulden erforderlich wäre. Damit gerät auch der Staat in die Schuldenklemme.
- Steuererhöhung und/oder
- Staatsausgabensenkung (Sparprogramme)
Bezüglich der Einnahmenerhöhung befindet sich der Staat in einer prinzipiell anderen Situation als die privaten Unternehmen, denn er kann die Steuererhöhung hoheitlich durchsetzen. Aber es schafft politische Konflikte, und in demokratischen Gesellschaften ist die Regierung spätestens bei den nächsten Wahlen auf ausreichende Mehrheiten angewiesen - oder in laufenden Legislaturperioden auf das Mitziehen von Koalitionspartnern bzw. auf ausreichende Mehrheiten im Parlament. Was die Ausgabenkürzungen anlangt, sieht es ähnlich aus. Auch sie schaffen politische Konflikte, wenn auch an anderen Stellen, und auch hier geht es um die Angst vor dem Verlust an Wählerstimmen und Mehrheiten.
Was also liegt für die Regierungen näher, als sich eines anderen Mittels zu bedienen, das den Privatunternehmen so nicht zur Verfügung steht: der wachsenden Neuverschuldung, diesmal aber nicht nur zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen, sondern zum Teil auch zur Bedienung der Altschulden. Früher aufgenommene Kredite werden teilweise mit neu aufgenommenen Krediten zurückgezahlt - eine scheinbar elegante Lösung. Die Politik vermeidet auf diese Weise das Austragen der sonst unvermeidlichen Konflikte an der Einnahmen- bzw. Ausgabenfront. Nur: das Problem der Staatsverschuldung und ihrer Bedienung wird dadurch nicht gelöst, sondern in die Zukunft verlagert - und vergrößert. Und wenn in den folgenden Jahren der gewachsene Schuldenberg einen wachsenden Schuldendienst fordert, der nun noch weniger aus den laufenden Steuereinnahmen gedeckt werden kann, dann wird die Neuverschuldung eben noch weiter erhöht. Und so fort.
Sie vertrauen darauf, daß der Staat zur Bedienung der Schulden - anders als Privatunternehmen - notfalls die Steuern erhöhen und/oder die Staatsausgaben senken kann. Und wenn sich nicht genügend private Geldanleger finden, bleibt immer noch die Zentralbank (von der bisher überhaupt noch nicht die Rede war). Sie braucht im Prinzip nur den Geldhahn aufzudrehen, zusätzliches Geld zu drucken und dieses Geld an den Staat fließen zu lassen, damit dieser zusätzliche Staatsausgaben tätigen oder alte Schulden bedienen kann. Vornehm ausgedruckt heißt das: »Der Staat hat sich bei der Zentralbank verschuldet«, oder: »Die Zentralbank hat im Zuge ihrer Offenmarktpolitik Staatspapiere angekauft«.
Rein technisch bestehen seit Abkoppelung des Geldes vom Gold keinerlei Schwierigkeiten oder Grenzen für eine solche Art von zusätzlicher Geldschöpfung, der kein entsprechendes Sozialprodukt gegenübersteht. Und die Zentralbanken der westlichen Industrieländer haben nach dem Zweiten Weltkrieg auch mehr oder weniger davon Gebrauch gemacht - mit der Folge schleichender Inflation in den 60er und 70er Jahren. Das war die Blütezeit des Keynesianismus, einer auf Keynes zurückgehenden Wirtschaftspolitik, die mit geldschöpfungsfinanzierten Defiziten im Staatshaushalt (deficit spending) die Konjunktur ankurbeln wollte - und es anfangs auch geschafft hat.
Nur: Über Risiken und Nebenwirkungen gab es damals keine Packungsbeilage, und auch keinen Arzt oder Apotheker, den man diesbezüglich hätte fragen können. Die Nebenwirkung des Keynesianismus, die schließlich immer mehr zum Hauptproblem wurde, war die schleichende Inflation. Das System war süchtig geworden nach Geldspritzen, die zur Überwindung oder Vermeidung wirtschaftlicher Depression von den Zentralbanken verabreicht wurden - und die anfänglich tatsächlich wie Wunder wirkten (z. B. in der Bundesrepublik bei der Überwindung der ersten Nachkriegsrezession 66/67). Allerdings, wie das bei Drogen so ist: Nach einer Weile läßt die Wirkung nach, und um erneut die gleiche Wirkung zu erzielen, muß die Dosis gesteigert werden; und dadurch werden die Nebenwirkungen immer bedrohlicher.
Ausgerüstet mit monetaristischer Munition führte Ronald Reagan 1980 seinen Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft, forderte drastische Sparmaßnahmen und einen Abbau von Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit und wurde zweimal zum Präsidenten der USA gewählt. Das Resultat seiner 8-jährigen Amtszeit bestand darin, daß im sozialen Bereich rigorose Kürzungen durchgezogen wurden, während der Rüstungshaushalt ins Gigantische gesteigert wurde - und damit insgesamt das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung sich nicht verminderten, sondern im Gegenteil dramatisch anwuchsen. Darüber hinaus wechselten die USA ihre Rolle vom bis dahin größten Auslandsgläubiger zum größten Auslandsschuldner.
Sollte gar die für 1999 geplante Europäische Währungsunion mit einer Europäischen Zentralbank Wirklichkeit werden (was ich bezweifle und worin ich - sollte sie doch realisiert werden - große Gefahren für Europa sehe), dann ist mit einer Stabilitätspolitik nach Art der Bundesbank sowieso nicht mehr zu rechnen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Euroäische Zentralbank ihren Sitz ebenfalls in Frankfurt/Main haben soll. Als hinge die Qualität der Geldpolitik vom geografischen Standort der Zentralbank ab!
Dazu gehören nicht etwa die kleinen und mittleren Sparer und Geldanleger, die sich über ihre jährlichen Zinserträge freuen und dabei gar nicht merken, daß ihnen - über unsichtbare Zinsanteile in den Preisen, Mieten und Steuern - pro Jahr eine viel größere Summe an Zinslasten auferlegt und aus der Tasche gezogen wird. Offizielle Zahlen darüber gibt es bezeichnenderweise nicht, und deshalb ist man bislang auf Schätzungen angewiesen. Helmut Creutz schätzt den Anteil der Zinskosten, den die Unternehmen auf die Preise überwälzen und in die Preise einkalkulieren, auf durchschnittlich ungefähr 1/3 der Konsumgüterpreise. Um zu den Gewinnern des Zinssystems zu gehören, müßte man also jährlich Zinserträge beziehen, die 1/3 der eigenen jährlichen Konsumausgaben übersteigen. Und das sind in der Bundesrepublik nur ganze 10 % der Einkommensbezieher. Bei weiteren 10% halten sich Zinserträge und unsichtbare Zinslasten in etwa die Waage, und 80% der Einkommensbezieher zahlen drauf, tagtäglich, unsichtbar, unbewußt - und tragen auf diese Weise mit dazu bei, daß sich die Geldvermögen in den Händen dieser 10% immer weiter vergrößern - während Teile der Wirtschaft, der privaten Haushalte und der Staat von der gleichermaßen wachsenden Schuldenlast immer mehr erdrückt werden. Der Vergleich mit einem wachsenden Tumor drängt sich immer mehr auf.
Und irgendwann bleibt nur noch der Schnitt: Einschnitte ins soziale Netz oder - als Endstation einer galoppierenden Inflation - der Währungsschnitt, die Währungsreform. Oder der Staat erklärt offen seine Zahlungsunfähigkeit, aber nicht nur - wie in jüngerer Zeit mit drastischen Sparmaßnahmen - gegenüber den sozial Schwachen, sondern auch gegenüber denjenigen, von denen er sich das Geld für seine Staatsschulden geliehen hat: indem er die Schulden nicht mehr bedient und für sich einen teilweisen oder vollständigen Schuldenerlaß verkündet.
Und selbst wenn der Staat bankrott macht: Er wird als Staat nicht verschwinden, sondern nach dem Bankrott wie Phönix aus der Asche steigen - mit einer neuen Regierung, vielleicht sogar mit einer neuen Staatsform und Verfassung, vielleicht auch als mehrere neue Staatengebilde, in die der alte Staat zerfallen ist; aber in seiner Funktion als Staat bleibt er erhalten. Und von allen Schulden (wenn auch nicht von aller Schuld) befreit, kann er das makabre Staatstheater mit dem Finale »Staatsbankrott« von neuem beginnen - mit einer Spieldauer von einigen Jahrzehnten. Die ökonomischen und sozialen Spannungen, die sich im Gefolge dieses Prozesses immer weiter erhöhen, tendieren dahin, sich nach außen und/oder innen gewaltsam zu entladen. Optimale Allokation der Ressourcen? Nein - Destruktion! Die dazu notwendigen Objekte des Hasses sind bisher noch immer gefunden worden, und die dazu notwendigen Rechtfertigungen auch. Das Zinssystem schafft Pulverfässer, weltweit, und der Zinssatz wirkt wie ein sozialer Sprengsatz. Aber kaum einer schaut hin. Obwohl die Sprengsätze tagtäglich mitten unter uns, direkt vor unseren Augen, gelegt werden wie bei »Biedermann und die Brandstifter«.
Vielmehr sollte das Geld auf andere Weise als mit dem destruktiven Zins in Umlauf gehalten werden: durch eine sogenannte konstruktive Umlaufsicherung des Geldes, durch eine Art Parkgebühr für gehortetes Geld. Diese Liquiditätsgebühr sollte etwas höher sein als die Liquiditätsvorteile des Hortens (die sich z. B. aus Spekulationsmöglichkeiten ergeben). je länger das Geld durch Horten dem Kreislauf entzogen und dadurch seiner öffentlichen Funktion als Tauschmittel beraubt wird, umso höher sollte die Gebühr werden. Unter solchen Bedingungen würde das überschüssige Geld nicht erst dann zum Kapitalmarkt weiterfließen, wenn es einen hinreichenden Zins bekommt, sondern allein schon deshalb, um der "Umlaufsicherungsgebühr" zu entgehen. Als Folge dieses wachsenden Geldangebots am Kapitalmarkt würde der Zins ganz von selbst immer weiter absinken - und mit ihm die vielfältigen destruktiven Tendenzen, die er langfristig hervortreibt.
Angesichts der eskalierenden Staatsverschuldung, aber auch anderer Krisensymptome, die durch das Zinssystem hervorgetrieben bzw. verstärkt werden und sich derzeit in atemberaubendem Tempo immer weiter zuspitzen, scheint es mir dringend geboten, am bislang so wohl gehüteten Zins-Tabu zu rütteln und die Problematik des Zinssystems verstärkt in die öffentliche Diskussion zu rücken. Auch wenn die Grundlagen dafür schon vor 100 Jghren gelegt wurden, sind die entsprechenden Gedanken nicht veraltet, sondern werden im Gegenteil von Tag zu Tag aktueller. Es ist an der Zeit, sie wieder aufzugreifen und bezogen auf die heutigen Verhältnisse weiterzuentwickeln.
Helmut Creutz: Das Geldsyndrom - Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft, Ullstein-Taschenbuch 34556, Frankfurt/Main, Berlin 1995
Margrit Kennedy: Geld ohne Zinsen und Inflation, Goldmann-Taschenbuch, Wilhelm-Goldmann-Verlag, München 1993
Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung, Gesammelte Werke, Band 1 1, Gauke-Verlag, Lütjenburg 1991
Der Dritte Weg - Zeitschrift für die natürliche Wirtschaftsordnung, Feldstr. 46, 20357 Hamburg