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Jørgen Sneis (Mainz)



Karin Hoff / Anna Sandberg / Udo Schöning (Hg.) (2015): Literarische Transnationalität. Kulturelle Dreiecksbeziehungen zwischen Skandinavien, Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann. 293 Seiten, kart. 39,80 €.

Karin Hoff / Udo Schöning / Frédéric Weinmann (Hg.) (2016): Internationale Netzwerke. Literarische und ästhetische Transfers im Dreieck Deutschland, Frankreich und Skandinavien zwischen 1870 und 1945. Würzburg: Königshausen & Neumann. 350 Seiten, kart. 48,00 €.


Die beiden Sammelbände, die sich mit Skandinavien, Deutschland und Frankreich als Koordinaten eines literarischen und ästhetischen Netzwerks im 19. und frühen 20. Jahrhundert befassen, sind personell und thematisch eng miteinander verbunden und entstammen einem größeren Arbeitszusammenhang. Aus einer Göttinger Arbeitstagung im Juni 2012 war im Jahr darauf der Sammelband Kulturelle Dreiecksbeziehungen. Aspekte der Kulturvermittlung zwischen Frankreich, Deutschland und Dänemark in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervorgegangen. Gleich eingangs war dort von einem "Projekt" die Rede (Hoff/Schöning/Øhrgaard 2013: 7), eine Bezeichnung, an der die Involvierten weiterhin festgehalten haben (vgl. Hoff/Sandberg/Schöning 2015: 11).1 An diesen ersten Sammelband schließen sich die hier besprochenen Bände an, so dass man bereits von einer kleinen "Reihe" sprechen kann (vgl. Hoff/Schöning/Weinmann 2016: 11). Auch diese beiden Bände gehen auf Arbeitstagungen zurück, die jeweils in Kopenhagen und Paris abgehalten wurden. Das zentrale Anliegen des Projekts besteht darin, zwei an sich relativ gut erforschte bilaterale Beziehungen, nämlich zwischen Frankreich und Deutschland einerseits und Deutschland und Skandinavien andererseits, "im trilateralen Zusammenhang und in einem weiteren europäischen Rahmen zu erkunden" (Hoff/Sandberg/Schöning 2015: 7), und zwar vor dem Hintergrund, dass sich dieses kulturelle Dreieck "durch intensivierte Austauschbeziehungen" (Hoff/Sandberg/Schöning 2015: 11) im 19. Jahrhundert konstituiert. Von dieser Herangehensweise verspricht man sich – zu Recht – eine veränderte Sicht auf die kulturellen Vermittlungs- und Transformationsprozesse in dieser Zeit sowie auf die Internationalität der Literatur und des literarischen Lebens in den jeweiligen Ländern.




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Da die einzelnen Beiträge in der hier gebotenen Kürze kaum detaillierter zu besprechen wären und die Einleitungen der beiden Sammelbände ohnehin eine knappe Zusammenfassung und Einordnung der darin enthaltenen Aufsätze bieten, beschränke ich mich im Folgenden auf einige Anmerkungen zur übergreifenden Konzeption sowie zu ausgewählten Beiträgen.

Der 2015 erschienene Band Literarische Transnationalität verfolgt im Sinne einer Verflechtungsgeschichte das Ziel, "den kulturellen Austausch zwischen den Kulturräumen Skandinavien, Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert unter Berücksichtigung der beteiligten Individuen, Gruppen, Institutionen, Medien, Kanäle wie auch der materiellen und ideellen Objekte in ihrem Zusammenwirken zu definieren, zu analysieren, funktional sowie historisch zu interpretieren und Ergebnisse gegebenenfalls strukturell miteinander zu vergleichen" (Hoff/Sandberg/Schöning 2015: 12). Hatte der Vorgängerband einen Schwerpunkt auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts gesetzt, so steht nun ausdrücklich, im Sinne einer thematischen und chronologischen Fortführung, die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts im Fokus. Dieser Zeitraum mag dabei insofern von besonderem Interesse sein, als die skandinavische Literatur in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts neben der russischen und eben auch französischen zu einer Leitliteratur in Deutschland avanciert (vgl. Paul 2007: 1627). In den einzelnen Beiträgen kommt es hierbei teils zu einer Auffächerung des vielfältigen und komplexen Gegenstandsbereichs, teils zu Überschneidungen durch eine gewisse Konzentration auf einzelne Autoren und Texte. Ein Personenregister, das nicht nur hier, sondern auch in dem folgenden Band fehlt, wäre für die Erschließung dieser internen Zusammenhänge unter Umständen hilfreich gewesen. Die Beiträge widmen sich jeweils dem Vaudeville als besonders verbreiteter Gattung im Europa des 19. Jahrhunderts (Antoine Guémy); dem gleichsam als Literaturagenten tätigen Diplomaten Maurice Prozor und der Globalisierung des nordischen Theaters (Sylvain Briens); der Internationalität des modernen Theaters am Beispiel von Henrik Ibsens Drama Gengangere (Magnus Qvistgaard); den länderübergreifenden Arbeiten des norwegischen Malers Edvard Munch für das Theater (Karin Hoff); Dublin als Knotenpunkt einer europäischen Moderne am Beispiel Ibsens und Maeterlincks (Joep Leerssen); Herman Bang und seinem spezifischen Werdegang als Vermittlerfigur zwischen Skandinavien, Deutschland und Frankreich (Anna Sandberg); den skandinavischen Hypotexten von Rainer Maria Rilkes Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (Heinrich Detering); der vielgestaltigen Wagner-Rezeption in Frankreich und Dänemark im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts (Matthias Teichert); den Reiseberichten und der




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Kriegsberichterstattung Theodor Fontanes und dem problematischen Verhältnis von politischen und kulturellen Grenzen (Birthe Hoffmann); der Literaturgeschichtsschreibung in Frankreich und Deutschland, die trotz eines gemeinsamen Objekts, nämlich der französischen Literaturgeschichte, wie zwei getrennte Projekte daherkommen (Udo Schöning); dem Stellenwert der dänischen Literatur in deutschen und französischen Geschichten der Weltliteratur im späten 19. Jahrhundert (Frédéric Weinmann). Wie auch die Herausgeber in der Einleitung bemerken, wird in mehreren Beiträgen das Theater als wichtige Vermittlungsinstanz benannt. Es fungiert als realer oder gleichsam virtueller Treffpunkt für eine Vielzahl von Akteuren (Autoren und Verleger, Regisseure und Schauspieler, Kritiker und Journalisten, Agenten und sonstige Vermittler), die mit zum Teil recht unterschiedlichen Zielen und Interessen verschiedentlich am kulturellen Austausch mitwirken. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf den Beitrag von Sylvain Briens verwiesen, in dem erstmals der Briefbestand des Fonds Prozor der Bibliothèque Nordique umfassend untersucht wird. Hier verbindet sich also die Rekonstruktion eines heterogenen Akteur-Netzwerks mit der Aufarbeitung neuer Quellen.

Konzeptionell unterscheidet sich der 2016 erschienene Band Internationale Netzwerke ein wenig von den beiden vorhergehenden. Eingeleitet wird der Band von drei methodologischen Beiträgen zum Netz als Konzept (Claude Raffestin) und zur Netzwerktheorie (Sylvain Briens) sowie zu dem Begriff 'Kulturtransfer' (Michel Espagne). Letzterer ist dabei die deutsche Übersetzung eines original auf Französisch verfassten, für die Kulturtransferforschung der letzten Jahre bedeutsamen Aufsatzes, der hiermit zum ersten Mal einer deutschen Leserschaft zugänglich gemacht wird. Die darauf folgenden historischen Fallstudien behandeln Georg Brandes als eminenten Kulturvermittler, hier besonders zwischen Frankreich und Deutschland (Udo Schöning); das Verhältnis zwischen Brandes und dem Philosophen Harald Høffding (Jean-François Battail); Herman Bang als Zeitungskorrespondent in Paris (Anna Sandberg); Skandinavien im Spiegel französischer Zeitschriften nach dem verlorenen Krieg gegen Deutschland im Jahr 1871 (Laurence Rogations); die Spuren der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm bei Maeterlinck und Strindberg (Karin Hoff); den internationalen Charakter künstlerischen Schaffens in den Romanen Forskrevet von Holger Dachmann und Stilpe von Otto Julius Birnbaum (Antoine Guémy); die Zirkulation von Informationen in gebildeten Kreisen in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts und Jacques Copeau als gut vernetzten Beobachter der Pariser Kunstszene (Frédéric Weinmann); Herman Bang, Thomas Mann und ihren gemeinsamen Bezug zu Frankreich (Heinrich Detering); Georg Brandes und seine Weigerung einer Parteinahme für Deutschland oder Frankreich während des Ersten Weltkrieges (Christian Bank Pedersen); den Linguisten Louis Hjelmselv, die Kopenhagener




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Schule und die Bedeutung internationaler Kongresse zwischen den Kriegen (Anne-Gaëlle Toutain); die Internationalität des Films, in diesem Fall des aufkommenden Science-Fiction-Films mit seinem spezifischen ästhetischen Potential (Matthias Teichert); außenpolitische Einflüsse auf das kulturelle Leben in Dänemark in der Zeit zwischen den Weltkriegen (Per Øhrgaard); die politische Dimension des publizistischen Schaffens von Asger John (Raphaëlle Jamet); Brechts Produktionsverhältnisse während seines dänischen Exils im Lichte eines gescheiterten Projekts: der Diderot-Gesellschaft (Francine Maier-Schaeffer); den Nobelpreisträger Verner von Heidenstam und die etablierte These, er habe mit dem Nationalsozialismus sympathisiert (Martin Kylhammar). Mit dem Untersuchungszeitraum, der 1870 ansetzt und sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts erstreckt, finden so unter anderem mediale Entwicklungen wie das Aufkommen des Films und das bisweilen komplizierte Verhältnis von Kultur und Politik verstärkt Berücksichtigung. Der Band schließt mit einem Bericht des schwedischen Übersetzers und Schriftstellers Ulf Peter Hallberg über seinen Roman Paris des Nordens, der das international gestaltete literarische Leben im Kopenhagen der 1880er Jahre poetisch verarbeitet. Um die mehrsprachig geführte Diskussion der Arbeitstagung abzubilden, sind die Beiträge dieses Bandes teils in deutscher, teils in französischer Sprache verfasst (skandinavische Beiträge wurden hierbei ins Deutsche oder Französische übersetzt). Als Service für den Leser gibt es jedoch die Einleitung zweimal: einmal auf Französisch, einmal auf Deutsch. Auch in diesem Band finden sich Beispiele dafür, dass der sprach- und länderübergreifende Blick in Kombination mit der Sichtung neuen Quellenmaterials besonders ertragreich ist. So kann etwa Martin Kylhammar den Fall (in seiner Terminologie: den cold case) Verner von Heidenstam einer Revision unterziehen. Als ein etwas andersartiges Beispiel für eine interessante Perspektivierung kann der Beitrag von Anna Sandberg genannt werden, der das ephemere, publizistische Werk von Herman Bang und somit den manchmal schnelllebigen Charakter von Kulturvermittlung in den Fokus rückt.

Insgesamt können die Beiträge der beiden Sammelbände die Fruchtbarkeit des übergreifenden Ansatzes unter Beweis stellen. In der Tat lässt sich mit Blick auf diese Dreiecksbeziehung im 19. und frühen 20. Jahrhundert von einer "bislang von der Forschung vernachlässigten, aber de facto äußerst produktiven kulturellen Interaktion" sprechen (Hoff/Sandberg/Schöning 2015: 20). Überzeugend ist vor allem der Impuls, über eine monokausal anmutende und daher simplifizierende Einflussgeschichte hinauszugehen, zugleich aber "die Ideengeschichte auf eine reale Grundlage" zu stellen (Hoff/Schöning/Weinmann 2016: 7). Wie gleich mehrere




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Beiträge vor Augen führen können, bedeutet das in vielen Fällen, sich auf die kollektive, kollaborative oder auch gänzlich unkoordinierte Dimension von Kulturvermittlung einzulassen, die oftmals verzweigt und nur schwer zu rekonstruieren ist. Für eine transnational ausgerichtete Literaturwissenschaft, die neben der Deutung einzelner Texte auch um die historische Erschließung von Vermittlungsformen und dem literarischen Leben überhaupt bemüht ist, kommt hierbei Zeugnissen wie etwa Korrespondenzen und anderen Archivalien sowie der zeitgenössischen Tagespresse ein hoher Quellenwert zu. Diese Einsichten mögen zugleich als Antrieb für die weitere Erforschung des Themas dienen. So fällt es auf, dass man sich einer grundsätzlichen Ausweitung des Blickfeldes zum Trotz nicht selten doch auf einige wenige und letztlich immer wieder auf dieselben herausragenden Persönlichkeiten konzentriert (mit Blick auf Skandinavien etwa Brandes, Bang, Ibsen oder Strindberg). Ferner wäre für anschließende Studien trotz beachtlicher Vorleistungen auf diesem Feld womöglich eindringlicher als bisher zu fragen, welche Rolle Vermittlerfiguren wie Übersetzer oder auch Verleger spielen bzw. welche Selektions- und Überformungsmechanismen den übersetzten Text entstehen lassen, den ein fremdsprachiges Publikum rezipieren kann. Wie die Herausgeber des Bandes Internationale Netzwerke betonen, ist Kulturtransfer oftmals eine Frage der Sprachkompetenz: der Mehrsprachigkeit der Beteiligten oder des Angewiesenseins auf Übersetzungen (vgl. Hoff/Schöning/Weinmann 2016: 16). Dabei könnte gerade eine Sozialgeschichte des übersetzten Textes womöglich weitere, komplementäre Einblicke in die intrikaten Mechanismen des Literaturtransfers gewähren.


Bibliographie

Hoff, Karin/ Udo Schöning (2013): "Kulturelle Dreiecksbeziehungen–Einleitung", in: Dies. und Per Øhrgaard (Hg.): Kulturelle Dreiecksbeziehungen. Aspekte der Kulturvermittlung zwischen Frankreich, Deutschland und Dänemark in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Würzburg: Königshausen & Neumann, 7–30.

Paul, Fritz (2007): "Die übersetzerische Entdeckung europäischer Literaturen: Skandinavienschwelle", in: Kittel, Harald (u.a.): Übersetzung. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung, Bd. 2, Berlin/New York: De Gruyter, 2007, 1625–1634.


Anmerkungen

1 Dieses Projekt schreibt dabei einige größere Vorgängerprojekte fort, unter anderen den Göttinger Sonderforschungsbereich 529 "Internationalität nationaler Literaturen" (1997–2001); siehe hierzu die Hinweise der Herausgeber in der erwähnten Einleitung.