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Jaroslav Březina (Prag)



Über Sinn und "Unsinn" des Metapherngebrauchs im Wirtschaftsjournalismus (Finanz- und Börsenrubriken)



The purpose of metaphor in stock exchange journalismus in german-speaking countries
Stock exchange reports in the German press are a very interesting area in terms of the use of metaphoric means of expression, metaphorical models and phrasemes. There are a lot of theories, describing metaphors as an important cognitive element, and many theories characterising metaphors only as an ornate element without any significant function. The question whether metaphors must only be seen as an instrument of linguistic creativity or as an instrument that plays a significant cognitive role is still open. This article attempts to answer some of the questions arising from these interesting linguistic issues.



Die Frage nach der Funktion von Metaphern in der Sprache des Wirtschaftsjournalismus verdient es – allein wegen der Frequenz, mit der sie gestellt wird – als ein selbständiges Forschungsvorhaben angesehen zu werden. Im Rahmen der fachsprachlichen Forschung sind in der Tat viele durch ein betrachtliches Volumen an analysiertem Material unterstützte Studien und theoretische Ansätze entstanden, die sich mit der Existenz und Funktion von Metaphern befassen. Dabei wird die Herangehensweise an den Forschungsgegenstand durch die Tatsache erschwert, dass die explizite Formulierung des Metapher-Phänomens wegen seiner durch alle Zeiten und auf alle Kulturen erstreckten Natur eher unmöglich erscheint. Eine einheitliche Metapherntheorie ist offensichtlich nicht vorhanden. Schon 1964 stellte Lieb (1964: 12) 124 voneinander abweichende Metapherndefinitionen fest.

Ziel dieses Aufsatzes ist es, nicht unbedingt eine umfassende Abhandlung über den Metapherneinsatz und dessen Funktion in den Wirtschaftskommentaren mit Schwerpunkt auf den Finanz- und Börsenrubriken vorzulegen, sondern die in Bezug auf das Phänomen bereits formulierten Ansichten und Theorien miteinander zu konfrontieren, sie aufgrund der vorgenommenen Analyse aufs Neue auszuwerten und um neue Aspekte zu erweitern.

Die Metaphernforschung hat eine lange Tradition, die bis auf Aristoteles zurückzuführen ist.




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Die ursprünglich überwiegend zur rhetorischen und poetischen Ausschmückung der Rede gedachte Figur gewann allmählich an Begriffskomplexität, deren Ursache unter anderem auch in der Entwicklung aller Bereiche der menschlichen Tätigkeit und damit verbundener Spezialisierung der Sprache liegt. Aus der Komplexität des Metaphernbegriffs resultierten zahlreiche Auffassungen, die mehr oder weniger stark voneinander abweichen.

Die systematische Erforschung der Metaphern im Bereich der Fachsprachen und im Rahmen der Wissenschaftssprache kann keine so lange Tradition aufweisen und auch hier scheint die Debatte noch lange nicht an ihr Ende gekommen zu sein. Das Interesse an Metaphern in den Fachsprachen wird durch verschiedene Aspekte motiviert. Nach Ickler

  • ist die Metaphorisierung eins der Verfahren, die den Wortschatz, auch in Fachsprachen bereichern;
  • ist der stärkere bzw. schwächere Metapherneinsatz signifikant für einzelne Fachtextsorten und als solcher kann er als ein differentialdiagnostisches Mittel funktionieren;
  • sind die Metaphern trotz eines umstrittenen Metaphernverbots in den Wissenschaftsprachen auch da unvermeidlich und leisten nicht nur für den Ausdruck sondern auch für das Denken unentbehrliche Dienste (vgl. Ickler 1993: 94).

Bezüglich des Metapherneinsatzes in den fachsprachlichen Texten wird man mit einer Menge an Studien konfrontiert, die oft relativ unterschiedliche Ergebnisse liefern. Noch in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts verweist Ickler (1993: 94) auf die paradoxe Situation in der Fachsprachenforschung, die einerseits die Metaphorik im Wissenstransfer als einen Fall des Normverstoßes betrachtet, dennoch wird sehr oft auf ihre Allgegenwart hingewiesen. Beim Recherchieren nach entsprechenden Forschungsergebnissen findet man sowohl Positionen, die den Metapherneinsatz in den Fachsprachen anzweifeln oder sogar kategorisch ablehnen, als auch solche, die den Metaphern eine durchaus wichtige Rolle zuschreiben.

Schon Aristoteles betrachtete den Metapherneinsatz kritisch, der sie als Abweichungen vom normalen Sprachgebrauch verstand und davor warnte, sie in nicht persuasiven – besonders nicht in wissenschaftlichen – Texten zu verwenden (vgl. Gohlke 1952: 139b–140 a, 158 b). Zurück in der neueren Phase der fachsprachlichen Forschung verbindet Störel die Metaphern mit störenden Nebenassoziationen, die zur Verschlechterung der Kommunikationsbedingungen führen könnten. Das hindere die Metaphern daran, völlig in wissenschaftliche Texte eingebürgert zu werden (Störel 1997: 41). Stoschus hebt den Unterschied zwischen der vagen Bedeutung der Metaphern und der klar definierten Bedeutung der Fachbegriffe hervor.




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Während man dem wissenschaftlichen Terminus als Begriffsform die Eindeutigkeit zuschreibt, wird für die Metapher die Polysemie charakteristisch (Stoschus 2005: 13–14). Ähnlich denkt auch Pinkal (1981: 13), der die Metaphern als Mittel der semantischen Unbestimmtheit betrachtet, die für die ungewollte Mehrdeutigkeit und dadurch erschwerte Verständlichkeit innerhalb der fachsprachlichen Texte verantwortlich sind. Milde Kritik an der Metaphernverwendung in den Fachtexten übt Roelcke (2005: 67). Er gibt zu, dass Metaphern Anlass zu Missverständnissen geben könnten, da sie kontextabhängig seien, jedoch im Rahmen seiner Überlegungen zum Stellenwert der Metaphorik von Fachwörtern hebt er zugleich ihren kognitiven Wert hervor.

Ickler zählt die Metaphern zum festen Inventar der fachsprachlichen Ausdrucksmittel, stellt sich jedoch skeptisch zu den Auffassungen, die den Metaphern kognitiven Wert zuschreiben. In der Metapher sieht er eher ein stilistisches Phänomen und Element der Redetechnik und zweifelt daran, dass die Metaphern an der Spitze der Forschung unvermeindlich oder auch nur nützlich seien (vgl. Ickler 1993: 107f.). Ähnlich kommentiert die Situation Kretzenbacher (1999: 29):

Obwohl metaphorisch gebildete Fachwörter in wissenschaftlichen Texten häufig auftauchen, wird Metaphern in der wissenschaftlichen Kommunikation kein argumentativer Wert zugestanden. In den modernen Wissenschaften hat Analogie allenfalls eine heuristische Berechtigung aber keine Beweiskraft.

Haidacher (2015: 199) fasst die Abneigung und Kritik der früheren Fachsprachenforschung gegen die Metaphernverwendung in der Wissenschaft zusammen:

Zum einen wurden Metaphern von der Systemlinguistik als kontextabhängig erachtet und galten demnach erst im Rahmen sprachlicher Äußerungen fassbar. Ein vermeintliches Faktum, das gegen eine Metaphorik von Fachwörtern spricht. Zum anderen wurden Metaphern lange Zeit als ausschließlich von den persönlichen Vorstellungen des Nutzers geprägt gesehen, was dem Gebot der Anonymität fachsprachlicher Äußerungen widerspricht.

In der neueren Entwicklung der Fachsprachenforschung weicht die kritische Einstellung den Metaphern gegenüber allmählich und man begegnet Forschungsansätzen, die den Metaphern in der fachsprachlichen Kommunikation eine gewisse wissenschaftliche Stellung zuerkennen. Eckardt führt an, dass in den Fach- und Wissenschaftssprachen in den letzten Jahrzehnten ein Umdenken stattgefunden hat, was die Entstehung neuer Metapherntheorien zur Folge hatte. Das führte wiederum zu neuen Erkenntnissen und einer höheren Akzeptanz der Metapher im Rahmen der Fachsprachen (vgl. Eckardt 2004: 219).




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Niederhauser sieht die nach ihm berechtigte Existenz der Metaphern in den Wissenschaftssprachen als ein wichtiges linguistisches Thema und ruft zu einer eingehenden Beschäftigung mit diesem Phänomen im Bereich der Fachsprachenlinguistik auf. Enorm wichtig sei die Lösung der Frage nach deren Funktion und Rolle innerhalb der wissenschaftlichen Kommunikation (vgl. Niederhauser 1995: 297). Die Notwendigkeit einer intensiven Beschäftigung mit den Metaphern auf dem Gebiet der Fachkommunikation verspürt auch Steudel-Günther. Als Argument führt sie große Diskrepanzen in der Bestimmung des Orts der Metapher im wissenschaftlichen Diskurs bzw. deren Stellenwert in den Fachsprachen an (vgl. Steudel-Günter 1995: 4). Geist ist der Auffassung, dass die Wissenschaft neben dem traditionellen (logisch-rationalen) Inventar auch andere Erkenntnisquellen und Vermittlungsinstrumente als gleichberechtigt einbeziehen sollte (Geist 1992: 264). Die selbe Einstellung nimmt auch Oksaar ein, wenn sie schreibt, "... dass man ohne Metaphern nicht auskommt, auch in der Wissenschaft nicht, von der Sprache der Kernphysik bis zur grammatischen Terminologie" (Oksaar 1988: 91) und Stoschus ergänzt, dass sogar die expliziten Metapherngegner die Metaphern in ihren Schriften nicht vermeiden könnten (vgl. Stoschus 2005: 14). Debatin schreibt der Metapher die Rolle eines Hypothesengenerators zu. Dies begründet er mit der Fähigkeit der Metaphern, dem Betrachter einen neuen Zugang zum Gegenstand seines Interesses zu verschaffen, indem sie neue Aspekte des analysierten Objekts beleuchten. Ein Vergleich mit dem Hypothesengenerator ist nach Debatin berechtigt, wenn dieser Prozess in der Wissenschaft systematisch für die Innovation der traditionellen Herangehensweise an den Forschungsgegenstand eingesetzt wird (vgl. Debatin 1995: 143f.). Fraas sieht in den Metaphern einen wichtigen Mechanismus der Wortschatzerweiterung in den Fachsprachen und ergänzt, dass die Terminologisierung von Wörtern der Gemeinsprache ein immer häufigeres Verfahren der Wortschatzerweiterung werde (Fraas 1999: 435). Für den bewussten Einsatz von Metaphern, jedoch nur für ausgewählte fachsprachliche Bereiche, plädiert auch Gessinger. Die Metaphern seien für die wissenschaftliche Kommunikation immer dann ideal, wenn eine Präzision der Aussage nicht möglich sei oder der Proponent es vorziehe, auf eine mögliche präzise Formulierung seiner Aussage zu verzichten, etwa um die eingefahrenen Wege des gemeinen Verstandes zu verlassen (vgl. Gessinger 1992: 29). Nach Haidacher werden durch die Metaphern sprachliche Lücken – v. a. in den Fachsprachen – gefüllt, wenn für einen Gegenstand oder Sachverhalt noch keine Benennung vorhanden ist. Sie sind somit für die Entstehung neuer Wörter und deren Lexikalisierung von grundlegender Bedeutung (vgl. Haidacher 2015: 203). Damit widerspricht Haidacher den Ansichten (vgl. Weinrich 1976), die die Rolle und Funktion der Metaphern strikt von ihrer Konzeptgebundenheit ableiten. Nach Haidacher (2015: 201) gibt es bereits auf der Ebene des Wortschatzes eine Vielzahl lexikalisierter fachsprachlicher Metaphern und sie bedürfen keiner Einbettung in einen konkreten Kontext, da sie als Lexeme verständlich sind.




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Beschränkt auf das Segment der Börsensprache stellt man fest, dass den Metaphern auch in den Börsenberichterstattungen genug Platz eingeräumt wird. Nach Fluck besteht die Fachlichkeit der Börsenberichte u. a. eben in der Anhäufung von Metaphern. Die Sprache ist so hochverdichtet, dass sie nur für Eingeweihte, die Börsianer, zu verstehen ist (vgl. Fluck 1985: 61).

Für die Börsensprache ist sicher spezifisch, dass die Informationen vom Börsenparkett meist durch die Übertragungskanäle, vor allem dann überregionale Zeitungen an das interessierte Publikum weitergeleitet werden. Und gerade unterwegs, in den Zeitungsredaktionen, werden die durch konzeptuelle Übertragung entstehenden Metaphern verwendet. 'Das Produkt Börsensprache' erreicht so sein Publikum in einer bereits modifizierten Form, der die Regeln des Wirtschaftsjournalismus aufgezwungen werden. Warum dies so häufig passiert, welche Rolle den Metaphern in den Börsenberichten zugeschrieben werden soll und wie sich der Einsatz dieser stilistischen Mittel auf die Verständlichkeit auswirkt, sind die ganz häufig gestellten Fragen im Bereich der Fachsprachenforschung.

Die Sprachforscher selbst sind sich in der Frage des relativ häufigen Metapherneinsatzes in den Börsenberichterstattungen nicht einig. In der früheren Phase der Fachsprachenforschung betrachtet Arnold ihre Verwendung kritisch, der in seine Analysen auch den sozialen bzw. ideologischen Aspekt einschließt und die Börsensprache unter anderem auch wegen des Metapherneinsatzes einer gewissen Verschleierung der Kapitalinteressen beschuldigt. Der Großteil der Bevölkerung hat demnach Schwierigkeiten mit der Entschlüsselung dieser Informationen und übergeht lieber die Wirtschaftsteile der Zeitungen (vgl. Arnold 1973: 96). Lüger schreibt den Metaphern aufgrund einer umfangreichen Untersuchung der deutschen Wirtschaftstexte die Fähigkeit zu, die Aufmerksamkeit der Leser auf sich zu ziehen und sie von der Richtigkeit der angeführten Informationen zu überzeugen. Daraus kann man auf eine gewisse Manipulierungsstendenz der Metaphern schließen (vgl. Lüger 1996: 84). Eine ähnliche Ansicht vertritt auch Schmitt: "... sie (die Metaphern) tragen dazu bei, den Wirtschaftsprozeß zu verschleiern, da bei dieser Darstellungsform der Handelnde, der Verantwortliche nicht beim Namen genannt wird ..." (Schmitt 1988: 124). Schmitt vermag zu zeigen, "dass die Metaphern in den wirtschaftsjournalistischen Texten, aufgrund ihres evokativen und emotionalen Wertes gezielt dazu eingesetzt werden, den Leser oder Rezipienten zu vereinnahmen, ihm eine bestimmte Auslegung des Sachverhalts oder eine gewisse Sicht der Dinge nahezulegen, ihn eventuell gar zu manipulieren, da selten in den hier behandelten Fällen der evozierte Bildbereich eine tatsächliche Affinität zum behandelten Sachbereich besitzt" (Schmitt 1988: 117). An dieser Stelle muss man ergänzen, dass Schmitts Ausführungen in der neueren Phase der Fachsprachenforschung auf heftige Kritik stoßen.




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Besonders kritisiert wird die Tatsache, dass man die Untersuchung lediglich auf die journalistische Wirtschaftspresse reduzierte, die auf wirtschaftlichen Themen basiert, aber kein fachsprachliches Korpus darstellt. Nach Haidacher zeigen die nicht fachsprachlichen, sondern wirtschaftlich-journalistisch ausgerichteten Texte eine Metaphernverwendung, die von (reiner) Fachliteratur divergiert und bei denen die Sprachbilder Funktionen wahrnehmen, die fast auschließlich rhetorisch-manipulativer Natur sind (vgl. Haidacher 2015: 218).

Ebenfalls die Ergebnisse der Untersuchungen der Metaphorik in den deutschen Wirtschaftskommentaren, die Schoenke (1996: 22) vorgelegt hat, deuten auf einen starken Einsatz von Metaphern hin. Schoenke betont den konzeptuellen Charakter dieser Metaphern. Als wichtiges Merkmal hebt sie hervor, "daß die besonders in den Überschriften benutzten Metaphern oft eine verschlüsselte, verrätselte Stellungnahme enthalten, deren Bezug zum bewerteten Sachverhalt nur sehr schwierig oder gar nicht zu erkennen ist" (Schoenke 1996: 105).

Sicher kann man darauf spekulieren, dass die Ursachen der blumigen Sprache auch in den Bemühungen der Wirtschaftsredaktionen liegen, den Mangel an Substanz zu verdecken und zugleich das Lesepublikum auf eine bestimmte Art und Weise zu beeinflussen oder gar zu manipulieren. Die Psychologie an den Wertpapiermärkten spielte und spielt immer noch eine wichtige Rolle und gerade die Informationen sind ein wichtiger Faktor für die richtige Entscheidung. Als eins der Beispiele der angeblichen Manipulation kann man die Situation erwähnen, die nach der Offenlegung der Wirtschaftsergebnisse des Alcoa-Konzerns (Bergbauunternehmen) in den Jahren 2008/09 entstand. Der Konzern machte im zwischenjährlichen Vergleich Verluste, die in den Börsenkommentaren erstaunlicherweise verharmlost wurden – Alcoa-Zahlen schlechttrotzdem besser als erwartet (Handelsblatt 2009), Alcoa – Verlust niedriger als erwartetAktie gefragt (Handelslatt 2009), Zahlen von Alcoa besser als erwartet (FAZ 2009). In allen drei Überschriften spürt man die Tendenz, das schlechte Wirtschaften des Konzerns durch eine optimistische Haltung zu tarnen. Und in der Tat hat die Alcoa-Aktie damals an der Frankfurter Börse trotz der schlechten Wirtschaftsergebnisse einen Anstieg von 8,4% verzeichnet. Dass man im anschließenden Text die Verluste von einer Milliarde Dollar mehrmals angesprochen hatte, spielte – wie man an der Kursentwicklung sieht – offenbar keine Rolle.

Der Verdacht auf gewisse Manipulierungsfähigkeiten der Metaphern scheint nur einer von vielen Aspekten des Metapherngebrauchs in den Börsenberichten zu sein. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Vermittlerrolle der Medien zu bedenken, aus der resultiert, dass der Wirtschaftspresse kaum eine primäre Rolle bei der Abwicklung der Wertpapiergeschäfte und die daraus folgende Verteidigung eigener Interessen zugeschrieben werden können.




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Abgesehen von den wegen Insidergeschäften absichtlich manipulierten Einzelfällen (siehe Alcoa-Geschichte) scheint es eher unwahrscheinlich, dass die Börsenkommentare ihren Lesern unbedingt eine bestimmte – d.h. manipulierte – Sicht des Wirtschaftsgeschehens aufzwingen möchten.

Auch von Polenz ist der Einsicht, dass dieses Stilprinzip nicht nur für die Börsenjournalistik spezifisch ist, sondern als allgemeine Erscheinung im ganzen Bereich der Wirtschaftsjournalistik und auch der Wissenschaftssprache vorkommt (vgl. Polenz 1981: 108). Böhmer wendet sich an die Wirtschaftsjournalisten und Börsenberichterstatter und fordert sie auf, sprachliche Bilder korrekt zu verwenden und insgesamt die Frequenz ihrer Verwendung zu minimieren: "Sprachliche Bilder in Überfluss sind nicht nur unschön. Sie lenken auch von den Inhalten eines Textes ab – und zeigen womöglich, dass sich der Autor um eine präzise und faktenreiche Darstellung herumgemogelt hat." (Böhmer 1991: 123)

Bei den von Klöpper untersuchten Wirtschaftskommentaren, die den Zeitraum von 1954 bis 1995 umfassen, ist die Tendenz des Metapherneinsatzes besonders stark in den Überschriften zu betrachten. Demnach sind mehr als 40% aller Titel metaphorisiert. (vgl. Klöpper 1994: 30)

Zur Ausarbeitung von ganzen Metaphernfeldern in den Börsenberichterstattungen hat Musolff beigetragen. Musolff vermag zu zeigen, dass in der Wirtschaftspresse die Kriegs-, Jagd-, Fress-, Heirats-, Krankheits-, Fieber- und Spielmetaphern sehr frequent sind und appliziert so die bereits von Weinrich herausgearbeiteten "Bildfelder" wie z.B. Liebesjagd, Krieg, Ehegespann oder Lebenssaft (vgl. Weinrich 1976: 285) auf den engeren Raum des Börsenjournalismus. Besonders hervorgehoben wird von Musolff der Begriff Firmenzusammenschluss, der metaphorisiert als Metaphernmodell Heirat in den Börsenkommentaren häufig auftritt. (vgl. Musollf 1991: 1ff.) Wie Arnold (siehe oben) ist auch Wollf der Ansicht, "dass der starke Metapherneinsatz in den Börsennachrichten sich auf das Bestreben gründet, die Leser auf gewisse Art und Weise zu manipulieren" (Wollf 1976: 52). Andererseits ergänzt er aber, dass es auf keinen Fall die einzige Absicht ist, ebenso häufig verwendet man die Metaphern, um die Informationsübermittlung zu erleichtern. (vgl. Wollf 1976: 52) Eine ganz andere Rolle der Metaphern in den Börsenmeldungen sieht Burger: "... die Metaphorik des Börsenberichts ist explizit fachsprachlich, hat in diesem Kontext präzise Bedeutung und wird vom intendierten Publikum problemlos verstanden" (Burger 1984: 269).

Auch Kroeber-Riel sieht den Einsatz der Metaphern in den Wirtschaftstexten als sprachlich berechtigt und fasst die Zielsetzungen fachsprachlicher Metaphern in drei Punkten zusammen:




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  1. Ausdrucksnot bei der Fixierung von neuen Gedanken
  2. Wiedergabe von Ergebnissen eines Vergleichs
  3. anschauliche bildhafte Ausdrucksweise (Kroeber-Riel 1969: 78)

Aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet das Auftreten der Metaphern in den Börsenberichterstattungen Pytelka. In Bezug auf Verbreitung und Frequenz von Metaphern hebt Pytelka folgende Themenbereiche hervor:

  1. das Börsengeschehen: die Preisbewegung und die Abwicklung der Börsengeschäfte,
  2. die Charakterisierung der Geschäfte, der Situation an der Börse, der Wertpapiere,
  3. die Börsenmitglieder, die Stimmung an der Börse, die Arten von Börsengeschäften. (Pytelka 1971: 101)

Anzumerken ist, dass eine solche Aufzählung eher zwecklos erscheint, weil sie praktisch alle Bereiche des Börsengeschehens umfasst. Wichtiger scheint jedoch die Überlegung des Autors über den eigentlichen Sinn der Metaphern zu sein: "Der größte Teil der zu dieser Gruppe gehörenden Benennungen läßt sich schwer als metaphorische Benennungen bezeichnen. Es handelt sich nunmehr um Inkongruenz der Bedeutung zwischen dem adjektivischen Attribut und dem Substantiv ...". (Pytelka 1971: 102) Danach werden die Metaphern im Kontext der Börsenartikel als gewisse semantische Abweichungen verstanden. Sie werden nicht als absichtlich eingebaute Konstruktionen, sondern eher als unbeabsichtigte semantische Unregelmäßigkeiten angesehen, die im Text ganz zufällig ihren Platz finden. Nach Pytelka läßt sich so keine Funktion der Metaphern im Text ableiten und definieren. Als Ursprungsbereiche dieser "angeblichen" Metaphern nennt er menschliches Leben, tierisches Leben, Sport, Spiel, Wasser- und Seewesen, Militärtechnik, Flugwesen, Raketentechnik. (vgl. Pytelka 1971: 103)

Ähnlich kritisch stellt sich Weinrich zu den Metaphern in den Fachsprachen. Er bezeichnet sie als widersprüchliche Prädikationen und weist darauf hin, dass sie nicht isoliert verständlich sind, sondern erst im Kontext: "Wort und Kontext machen zusammen die Metapher." (Weinrich 1976: 319) Vorsichtig tritt er auch den Theorien gegenüber auf, die den Metaphern im Rahmen der Fachsprachen einen kognitiven Wert zuschreiben: "Nicht alle Theorien basieren auf den theoriekreativen Metaphern, daher erweisen sie sich nicht in allen Fachbereichen als anwendbar" (Weinrich 1976: 214).

Mit den Ursprungsbereichen der Metaphern in den Börsenmeldungen beschäftigt sich Nycz. Die Mehrzahl der bewegungsbeschreibenden Metaphern stammt nach ihm aus der Gemeinsprache und dem Sportbereich.




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Im Rahmen des Börsenjournalismus schreibt Nycz der Umterminologisierung (Übernahme der Fachtermini aus anderen Fachbereichen) und der Terminologisierung des allgemeinen Wortschatzes eine wichtige Rolle zu (vgl. Nycz 2009: 161). Bei der Aufzählung der verschiedenen Ansichten, die im Zusammenhang mit der Funktion und dem Wesen von Metaphern geäußert wurden, ist auch die Ausarbeitung der Theorie der Quantitätsmetaphern von Jäkel zu nennen. Jäkel führt aufgrund seiner Untersuchung den Begriff sog. Quantitätsmetaphern ein und misst ihm beim Verstehen der Wirtschaftssprache (einschließlich der Börsensprache) große Bedeutung bei (vgl. Jäkel 1992: 2–5). Beachtlich ist auch das Korpus, das mehr als 3000 ausgesuchte Sätze aus Zeitungen zählt. Bei Jäkel wird ein Versuch kognitiver Erklärung von Metaphern unternommen. Im Rahmen seiner Untersuchung und beim Entwurf der Klassifikation geht er teilweise von der Theorie Lakoff/Johnsons (1980) aus. Jäkel (1992: 7) selbst bemerkt dazu:

Während die beiden ersten Typen (strukturelle und ontologische Metaphern) nach der Terminologie Lakoff/Johnsons klassifiziert sind und eher den Bereich möglicher Konzeptualisierungen im Begriffsfeld der Ökonomie abstecken, besteht das zentrale Anliegen der Untersuchung in der anschließenden Herausarbeitung der von mir sogenannten Quantitätsmetaphern, die unser alltagstheoretisches Verständnis wirtschaftlicher Prozesse entscheidend prägen ....

Nach Jäkel können die Wirtschaftsprozesse mittels Quantitätsmetaphern erfasst und erklärt werden – demnach wird die Funktion der Metaphern als Verständlichkeitsfaktor und Mittel der Anschaulichkeit definiert. Die Quantitätsmetaphern gliedert Jäkel (1992: 8) in folgende Klassen: Autonome Horizontalbewegung, Organisches Wachstum, Autonome Vertikalbewegung und passiver Vertikaltransport. Hier ist zu bemerken, dass aus der so entworfenen Gliederung eine gewisse Vereinfachung sämtlicher Wirtschaftsereignisse resultiert, die zwar der Börsenproblematik – wo simple Bewegungen der Börsenprodukte im Vordergrund stehen – entspricht, für den komplexen Wirtschaftsbereich jedoch nicht ausreicht.

Aufgrund der oben vorgestellten Auffassungen lässt sich die Vielfalt an Forschungsansätzen und verschiedenen Herangehensweisen vermuten. Die Metaphernverwendung in den Börsenberichterstattungen wird sowohl kritisch als Mittel der Textverschleierung und Lesermanipulation, als auch positiv als ein wichtiges Mittel der Verständlichkeit und Anschaulichkeit betrachtet. Es gibt Theorien, die die Metaphern auf bloße semantische Abweichungen ohne jegliche Funktion reduzieren, ihre kongnitiven Fähigkeiten anzweifeln und sie auf ein stilistisches und ästhetisches Mittel beschränken. Andererseits gibt es auch Ansichten, die in den Metaphern ein wichtiges und gleichrangiges Element der Wirtschaftssprache sehen und sie dementsprechend kognitiven Analysen unterziehen.




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Bezüglich der Funktion und Rolle der Metaphern in den Wirtschafts- und Börsenkommentaren hebt man oft ihre Fähigkeit hervor, komplizierte ökonomische Prozesse und Relationen zu veranschaulichen. Diese Behauptung kann durch viele gelungene bereits automatisierte metaphorische Umschreibungen belegt werden, es kann aber Fälle geben – nur in ausgewählten Fachbereichen –, wo der automatisierte Gebrauch einer gewissen Metaphernform dem zu erklärenden Ereignis gar nicht anzupassen ist. Ickler (1997: 320) führt zwei bekannte Beispiele an – automatisierte Verwendung des Ausdrucks "eine dumme Gans" in der Alltagssprache, obwohl Naturforschungen längst eine außergewöhnliche Intelligenz von Gänsen nachgewiesen haben und die Verwendung des Ausdrucks "Urknall" in der Astronomie, die er folgend kommentiert:

Die Mathematiker sprechen nicht gern vom Bild des Urknalls, sondern lieber von der Anfangssingularität. Die anschauliche Metapher einer Explosion verführt nämlich zu der falschen Vorstellung, daß der Urknall ein Ereignis in der Raumzeit gewesen sei. Dagegen müssen wir im Auge behalten, daß man erst nach der Anfangssingularität von Raumzeit sprechen darf ... .


* * *

Nach dem theoretisch angelegten ersten Teil stelle ich in der nächsten Phase die Ergebnisse einer Untersuchung vor, die zum Ziel hatte, die mehrmals angesprochene informative Funktion und damit verbundene wissensvermittelnde Rolle der Metaphern zu testen. Als Untersuchungsgruppe wählte ich die Hochschullehrer des Lehrstuhls für deutsche Sprache und Studierende in den fortgeschrittenen Wirtschaftsdeutsch-Seminaren an der Wirtschaftsuniversität Prag – insgesamt 100 Personen. Aufgrund ihrer Arbeit – auf Wirtschaftsdeutsch orientierter Sprachunterricht – waren den Pädagogen gute Kenntnisse der wirtschaftlichen Problematik eigen – allerdings haben sie nicht Wirtschaft als Fachrichtung an einer Hochschule studiert. Die Studenten verfügten über ein hohes Sprachniveau und den Vorteil eines bereits umfangreichen ökonomischen Wissens. Das Untersuchungskorpus bestand aus Wendungen und kurzen Sätzen, die entweder metaphorisiert, oder mit einem für die Börsennachrichten typischen Fachbegriff versehen waren. Trotz ihrer auffallenden stilistischen Form handelte es sich auf keinen Fall um wegen eines hohen Grades an Übertreibung oder Expressivität nur selten verwendete Ausdrucksformen.

Die Befragten standen vor der Aufgabe, die inhaltliche Bedeutung und die daraus resultierende Tendenzentwicklung der gewählten Ausdrücke (Börsenkommentare – FAZ, Handelsblatt 2014) einzuschätzen. In den Ergebnissen zeigte sich der Schwierigkeitsgrad, den die Börsenmeldungen – am Beispiel einiger Metaphernausdrücke – den Befragten bereiteten.




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Angesichts der geringen Menge der getesteten Ausdrücke und auch der Zahl der Beteiligten können die festgestellten Ergebnisse jedoch nur als orientierend angesehen werden.

Ausgewählte Wendungen Inhaltliche Bedeutung* Börsentendenz bzw. die Kursentwicklung des jeweiligen Börsenproduktes*
Schwächeanfall auf dem Aktienmarkt 3% 4%
Der Dollar treibt die Autoaktien an 11% 34%
Der Dollar testet die Marke von 0,73 EUR 2% 27%
Kursauftrieb trotz New Yorks Höhenluft 17% 34%
Die Börse zündet eine neue Stufe der Hausse-Rakete 23% 28%
New Yorker Anleger auf der Wartebank 13% 44%
Wall Street im Sog sinkender Notierungen 7% 6%
Der DAX schnuppert Höhenluft 17% 47%
Gewinnmitnahmen sorgen für Verluste 37% 24%
Aktienhandel legt erneut eine Verschnaufspause ein 7% 16%
VW-Aktie legt im Tempo zu 4% 7%
* Die Zahl der falschen Antworten bezüglich der Interpretation der analysierten Mitteilung und eingeschätzten Tendenz wird jeweils in Prozentpunkten ausgedrückt.

Die statistische Auswertung zeigt uns, dass die geringsten Probleme beim Verstehen der Wendungen Schwächeanfall auf dem Aktienmarkt, Wall Street im Sog sinkender Notierungen, VW Aktie legt im Tempo zu und Dollar testet die Marke von 0,73 EUR entstanden.




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Bei den ersten zwei Beispielen deuteten jeweils die Ausdrücke Schwächeanfall bzw. sinkender die Tendenz klar an. Auch die Entwicklung des VW-Aktienkurses – typischerweise bediente man sich bei der Umschreibung der Situation des branchenbezogenen Vokabulars (Automobilindustrie) – sorgte für wenig Verständnisprobleme. Schwierig bezüglich der Tendenzeinschätzung zeigte sich jedoch die Information Dollar testet die Marke von 0,73 EUR, bei der im Gegensatz zu den ersten zwei Mitteilungen die Tendenz von 27% der Befragten falsch angezeigt wurde. Die größten Probleme bereiteten den Probanden die Aussagen Kursauftrieb trotz New Yorker Höhenluft, New Yorker Anleger auf der Wartebank, Dax schnuppert die Höhenluft und Gewinnmitnahmen sorgen für Verluste. Interessanterweise hat sich das teilweise verzerrte Verstehen nicht ganz in der Beurteilung der inhaltlichen Bedeutung sondern erst in der Einschätzung der Tendenz widergespiegelt. Die Aussage Kursauftrieb trotz New Yorks Höhenluft war für 34% der Befragten in bezug auf die Tendenzbestimmung nicht hilfreich. Noch größere Schwierigkeiten gab es bei der Aussage Der Dax schnuppert Höhenluft, die trotz ihrer scheinbar klaren inhaltlichen Bedeutung (Fehlerquote lag bei 17%) bei der Tendenzeinschätzung große Unsicherheit unter den Befragten produzierte (Fehlerquote 47%). Ein ähnliches Ergebnis brachte die Aussage New Yorker Anleger auf der Wartebank, wo die nicht typische Umschreibung einer relativ einfach zu erklärenden Situation die Tendenzeinschätzung in den Bereich von verschiedenen Spekulationen verschob und Verständlichkeitsprobleme zur Folge hatte (Fehlerquote 44%). Die einzige Ausnahme stellte die Mitteilung Gewinnmitnahmen sorgen für Verluste dar, wo das terminologisierte Wort Gewinnmitnahme für die Missverständnisse bereits bei der Interpretation der inhaltlichen Bedeutung sorgte. Die Bestimmung der Tendenz wurde jedoch durch die genannten Verluste deutlich erleichtert. In diesem Fall zeigte sich die Unkenntnis des branchenbezogenen Fachwortschatzes als Ursache des Missverständnisses.

Die vorgelegten Ergebnisse zeigen, dass die Metaphernverwendung im Börsenjournalismus relativ häufig für die Verständnisschwierigkeiten sorgt. Die meisten Probleme resultieren dabei nicht aus der falsch eingeschätzten inhaltlichen Bedeutung der metaphorischen Umschreibung, sondern aus dem falschen Verstehen der Metaphern im weiteren Kontext.

Angesichts der niedrigen Zahlen der Befragten erhebt die Untersuchung keinen Anspruch auf die Aufstellung kategorischer Thesen, sie erfüllt jedoch ihren Zweck als Orientierungshilfe. So lässt sich vorsichtig formulieren, dass die von manchen Sprachforschern aufgestellten Vermutungen, der Metapherneinsatz sorge für die bessere Anschaulichkeit und Verständlichkeit, die Ergebnisse der Umfrage nicht bestätigten – im Auge muss man aber ständig behalten, dass es sich beim Korpus um kein reines fachsprachliches Material handelte, sondern um die Wendungen, die den durch die Regeln des Wirtschaftsjournalismus präparierten Texten entnommen wurden. Die Probleme beim Verstehen waren besonders bei der Tendenzeinschätzung deutlich.




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Es ging um die Verständigungsschwierigkeiten, die auf die Absenz des Kontextes zurückzuführen sind. Dies korrespondiert mit Weinrichs Behauptung "die Metapher sei nie isoliert verständlich, sondern erst im Kontext". (Weinrich 1976: 319)

Im Hinblick auf die Resultate neigt man so zur Auffassung von Störel, die Metaphernverwendung produziere beim Leser störende Nebenassoziationen und zu den Ansichten von Stoschus, der die vage Bedeutung der Metaphern, ihre Polysemie, als störenden Faktor beim Verstehen der Fachtexte im Gegenteil zu den klar definierten Fachwörtern kritisiert. Leicht polemisieren lässt sich auch gegen die Ausführungen von Bürger, "... die Metaphorik des Börsenberichts sei explizit fachsprachlich, habe in diesem Kontext präzise Bedeutung und werde vom intendierten Publikum problemlos verstanden". (Burger 1984: 269). Aus der Umfrage ging hervor, dass der von Bürger benutzte Begriff "intendiertes Publikum" sehr eng definiert werden muss. Dies zeigt sich an der Unsicherheit und der Menge an produzierten Verständnisfehlern bei den Befragten, bei denen relativ gute Fachkenntnisse vorhanden und die mit der Wirtschaftsproblematik durchaus vertraut waren. Anzuzweifeln ist auch die von Bürger angeführte explizit fachsprachliche Metaphorik der Börsenberichte. Die Wahl der Ausdrucksmittel wird stark durch die Regeln des Wirtschaftsjournalismus geprägt und so sind in diesen Kommentaren sicher Metaphern anzutreffen, die einen rhetorisch-argumentativen Charakter aufweisen und demnach die erwähnte Explizität der rein fachsprachlichen Metaphorik in Frage stellen.

Die Manipulierungstheorien von Arnold und Schmitt sind zwar aufgrund der vorgelegten Umfrageergebnisse nicht völlig auszuschließen, ich schließe mich ihnen trotzdem nicht an. Hinter der beeinträchtigten Transparenz der Börsenberichterstattungen, die durchaus aus der expressiven Ausdrucksweise resultiert, sehe ich keine Absicht, sondern die außer Kontrolle geratene Kreativität der Presseleute.

Auch die von Kroeber-Riel angesprochene Rolle der Metapher als Mittel der Veranschaulichung und dem zufolge ausgesprochene Berechtigung ihrer Verwendung in den Börsenkommentaren, die "aus der Ausdrucksnot bei der Fixierung von neuen Gedanken resultiere" und die in den anderen Bereichen der Wirtschaft und Wissenschaft durchaus ihre Berechtigung haben kann, bestätigte sich nicht. Aus der Umfrage war es nicht ersichtlich, dass Metaphern die jeweilige Situation anschaulicher beschreiben, als wenn man andere stilistisch schlichte Ausdrucksmittel wählte (vgl. Kursauftrieb trotz hohen Kursen in New York vs. einfach: hohe Aktienkurse in New York steigen weiter, bzw. der DAX schnuppert Höhenluft vs. einfach: der DAX steigt).




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Die angesprochene Ausdrucksnot scheint im Börsenjournalismus wegen der relativ "einfachen" Problematik keine so wichtige Rolle zu spielen, wie z.B. in der Astrophysik oder Gentechnologie, wo es sicher problematischer (aber nicht unmöglich!) ist, komplizierte Tatsachen oder neue Erkenntnisse mit dem üblichen Vokabular zu erfassen.

Warum verzichtet der Börsenjournalismus auf eine klare und verständliche Ausdrucksweise, warum bedient er sich manchmal mehrdeutiger Metaphern, nicht ganz treffender Vergleiche und riskiert dabei die Unverständlichkeit seiner Berichte? Bei der Suche nach weiteren möglichen Gründen der starken Metaphorik sehen wir uns zwei Börsenberichte an (Handelsblatt [12.3.1997], Börse-Online [11.8.2015]), die zwecks der besseren Anschaulichkeit der untersuchten Problematik in vollem Umfang wiedergegeben werden.


Handelsblatt: Finanzmärkte weltweit schwächer. Hoechst zwingen DAX unter 3400. Die Enttäuschung der Anleger über neue Hoechst-Pläne ergriff am Mittwoch den gesamten Dax-Bereich. Vor allem die übrigen großen Chemiewerte ließen sich vom Kurseinbruch bei Hoechst mitreißen. Banktitel profitieren vom frei gewordenen Anlagekapital.

Ein Kurseinbruch von gut 10% beim Chemieriesen Hoechst hat zur Wochenmitte eine Rutschpartie im Deutschen Aktienindex (Dax) ausgelöst. Insbesondere die Rücknahmen der angekündigten Ausgliederung der Pharmasparte lösten die massiven Kursverluste aus. Die Phantasie auf einen Spin-Off der Hoechst-Beteiligung Hoechst Marion Roussel (HMR) habe den Kurs in den vergangenen Monaten maßgeblich beflügelt. Die Absage des HMR-Börsengangs stoße den Anlegern jetzt bitter auf, sagten Händler. Auf dem Parkett sackten Hoechst um 10,31% auf 70,45 DM. Das Tagestief sah der Wert sogar noch deutlich niedriger mit 68 DM. Nach der Eröffnung in New York notierte die Hoechst-Aktie im Ibis-Handel mit 69,18 DM. Die Enttäuschung über Hoechst schlug sich auch in markanten Abgaben bei anderen Chemietiteln nieder. So büßten BASF 3,9% auf 64,15 DM und Bayer 3,2% auf 72,85 DM ein. Die freien Mittel nutzten Anleger zu einem Engagement in Bankaktien, von denen Commerzbank mit einem Plus von 1,1% profitierten. Positiver Ausreißer waren Deutsche Telekom. Der günstig bewertete Geschäftsausblick führte zu einem Anstieg um 2,3% auf 35,65 DM. Volkswagen wagten sich noch näher an die Schallmauer von 1000 DM (+0,9% auf 951 DM) heran. Der Dax brach während der Präsenzbörse um 1,31% auf 3415,40 Punkte ein. Am Nachmittag durchbrach der Dax bei einem beschleunigten Abstieg die 3400 nach unten. Gegen 16 Uhr präsentierte er sich nur noch bei 3386 Punkten.


In kurzen aussagekräftigen Sätzen werden die wichtigsten Geschehnisse des aktuellen Börsenhandelstags beschrieben. Als das wichtigste Börsenereignis wird der mißlungene Börsengang der Hoechst-Beteiligung HMR betrachtet. Nicht etwa deshalb, weil das Chemie- und Pharmaunternehmen Hoechst und seine Aktivitäten – wirtschaftlich gesehen – von größter Bedeutung am deutschen Markt wären, sondern deshalb, weil der mißlungene Börsengang für die stärkste Kursbewegung an diesem Tage sorgte.




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An den Börsen wird die Relevanz aller Ereignisse an den Indizes und Kursen gemessen und widergespiegelt. Automatisch wird eine Art Umrechnung durchgeführt, bei der jede Handlung (wirtschaftlich gemeint) mit einer bestimmten Zahl von Plus- oder Minuspunkten, bzw. Prozentpunkten bewertet wird. Um die Kürze und den Überblick in den Kursnachrichten zu behalten, werden die Ursachen (wirtschaftliche Handlungen) meist ausgelassen und nur ihre Folgen – die punktuelle Bewertung (Kurse) – dem Publikum dargeboten. Das geschieht in jedem Bericht mehrmals. Der Bericht wird so zur bloßen Anhäufung verschiedenster Angaben über sinkende oder steigende Werte reduziert. Schauen wir uns jetzt an, wie oft und in welcher Form die Kursbewegungen in unserem Börsenbericht ausgedrückt werden.

Senkung:

  1. Hoechst zwingen Dax unter 3400
  2. die Enttäuschung der Anleger ergriff am Mittwoch den gesamten DAX-Bereich
  3. die übrigen großen Chemiewerte ließen sich vom Kurseinbruch bei Hoechst mitreißen
  4. ein Kurseinbruch von gut 10% hat eine Rutschpartie im Deutschen Aktienindex ausgelöst
  5. die Rücknahmen der angekündigten Ausgliederungen lösten die Kursverluste aus
  6. auf dem Parkett sackten Hoechst um 10,31%
  7. das Tagestief sah der Wert sogar deutlich niedriger
  8. die Enttäuschung über Hoechst schlug sich auch in markanten Abgaben bei anderen Chemietiteln nieder
  9. so büßten BASF 3,9% ein
  10. der DAX brach während der Präsenzbörse um 1,31% auf 3415,40 Punkte ein
  11. am Nachmittag durchbrach der Dax bei einem beschleunigten Abstieg die 3400 nach unten

Steigerung:

  1. Banktitel profitierten
  2. die Phantasie auf einen Spin-Off habe den Kurs beflügelt
  3. von denen Commerzbank mit einem Plus von 1,1% profitierten
  4. positiver Ausreißer war Deutsche Telekom
  5. der günstig bewertete Geschäftsausblick führte zu einem Anstieg von ...
  6. Volkswagen wagten sich noch näher an die Schallmauer von 1000 DM




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Beinahe jeder Satz im Börsenkommentar lässt sich auf die knappe Beschreibung der Entwicklung von Zahlenangaben reduzieren. Insgesamt 17 Mal wird die Steigerung/Senkung von Wertpapierkursen und Indizes erwähnt. Ist das nicht zuviel für einen so kurzen Bericht? Dem Gebot der Stilistik folgend und der Anhäufung von relativ gleichen Informationen gegenübergestellt, wird man ohne Absicht, eher automatisch gezwungen, die Ausdruckspalette zu erweitern. Zum Einsatz kommt eine bildliche Ausdrucksweise – die von den ganz geläufigen Verben wie fallen, gehen, wachsen, klettern bis zu den expressiven Sprachmitteln reicht und stark von der Phantasie des jeweiligen Autors abhängt.

Angesprochen auf die Verschleierungs- oder Manipulierungstendenz kann man von einem rein fachsprachlichen Gesichtspunkt aus nicht feststellen und schon gar nicht behaupten, dass sie vorhanden sei. Dazu wären ein umfangreiches Insiderwissen, eine Menge an Wirtschaftsdaten samt der Kursentwicklung sowohl vor als auch nach der Veröffentlichung dieses Kommentars und nicht zuletzt auch ökonomisches Denken und die Erfahrung in der Branche notwendig. Erst dann könnte man hypothetisch das Maß an Verschwörungstheorien in den Börsenmeldungen beurteilen und – was in Bezug auf die fachsprachliche Forschung wichtiger wäre – feststellen, ob gerade die Metaphern daran schuld sind.

Bezüglich der Relation "Metapherneinsatz gleich bessere Verständlichkeit" lässt sich sagen, daß der Einsatz von bildlichen Sprachmitteln und die starke Personifizierungstendenz der Börsenberichte die Verständlichkeit nicht erschweren. Die metaphorische Ausdrucksweise zeigt sich zwar als elegantes Mittel für die Darstellung von feineren Unterschieden (beflügeln, sacken oder Kurseinbruch), trägt jedoch nicht unbedingt – im Vergleich zum Einsatz von einfachen Bewegungsumschreibungen mit steigen und sinken – zur besseren Verständlichkeit der Nachricht bei, manchmal wird die Verständlichkeit des Inhalts sogar erschwert (z.B. die Enttäuschung der Anleger über neue Hoechst-Pläne ergriff am Mittwoch den gesamten DAX-Bereich). Hier gilt, dass im Vergleich zu den komplizierten Metaphernumschreibungen die einfachen Ausdrucksmittel bezüglich der Transparenz dasselbe Ergebnis erzielen.

Schauen wir uns den nächsten Börsenbericht an.

Börse-online: Währungsturbulenzen in China treffen Dax hart

FRANKFURT (dpa-AFX) – Die jüngste Talfahrt beim DAX wegen der Sorgen um deutsche China-Exporte hat sich am Mittwoch noch einmal rasant beschleunigt. Der Leitindex brach zum Handelsschluss um 3,27 Prozent auf 10 924,61 Punkte ein und verzeichnete damit den bislang zweithöchsten Verlust in diesem Jahr. Zeitweise notierte er am Mittwochnachmittag sogar unter 10 900 Punkten. Für den MDAX der mittelgroßen Werte ging es um weitere 2,84 Prozent auf 20 234,60 Punkte abwärts. Der Technologiewerte-Index TecDAX verlor 2,54 Prozent auf 1713,92 Punkte.




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AUTO-AKTIEN ABERMALS AUSGEBREMST: Die Aktien von Autokonzernen, für die China ein extrem wichtiger Absatzmarkt ist, gerieten nach ihrem Vortagesrutsch erneut unter die Räder: So knickten die Papiere von Daimler um weitere 4,87 Prozent ein. Continental verloren 4,69 Prozent.
Abgeschlagenes Dax-Schlusslicht waren jedoch die Aktien von Henkel (Henkel vz) mit minus 8,97 Prozent. Die Aktionäre hatten sich vom zweiten Quartal deutlich mehr erhofft. Insbesondere das Klebstoff-Geschäft und das Geschäft in den Schwellenländern waren nicht nach dem Geschmack der Analysten verlaufen.
EON KOMMT GLIMPFLICH DAVON: Die Anteilsscheine von Eon landeten nach Vorlage von Halbjahreszahlen an der Dax-Spitze und das mit einem Minus von 0,34 Prozent. Ungeachtet großer Herausforderungen scheint bei dem Versorger derzeit alles nach Plan zu laufen, was Anleger beruhigte.
Der EuroStoxx 50 rutschte um 3,35 Prozent auf 3484,41 Punkte ab. Der Cac-40-Index in Paris brach ebenfalls ein. Verluste gab es auch beim FTSE-100-Index in London. In New York stand der Dow Jones Industrial zum europäischen Handelsschluss über 1 Prozent tiefer. Am Rentenmarkt fiel die Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere auf 0,44 (Dienstag: 0,48) Prozent. Der Rentenindex Rex stieg um 0,18 Prozent auf 139,71 Punkte. Der Bund-Future gewann 0,36 Prozent auf 155,28 Punkte. Der Kurs des Euro kletterte zuletzt über 1,12 Dollar. Am Nachmittag hatte die Europäische Zentralbank (EZB) den Referenzkurs auf 1,1155 (Dienstag: 1,1055) US-Dollar festgesetzt. Der Dollar kostete damit 0,8965 (0,9046) Euro.

Senkung:

  1. die jüngste Talfahrt beim DAX hat sich beschleunigt
  2. der Leitindex brach ein
  3. verzeichnete damit den zweithöchsten Wert
  4. für den MDAX ging es um 2,84 Prozent abwärts
  5. der Technologie-Index TecDAX verlor 2,54 Prozent
  6. Auto-Aktien abermals ausgebremst
  7. die Aktien von Autokonzernen gerieten erneut unter die Räder
  8. die Papiere von Daimler knickten um weitere 4,87 Prozent ein
  9. Continental verloren 4,69 Prozent
  10. abgeschlagenes Schlusslicht waren die Aktien von Henkel mit minus 8,97 Prozent
  11. der EuroStoxx 50 rutschte um 3,35 Prozent ab
  12. der Cac-40-Index brach ebenfalls ein
  13. Verluste gab es auch beim FTSE-100-Index
  14. der Dow Jones Industrial stand über 1 Prozent tiefer
  15. die Umlaufrendite fiel auf 0,44 Prozent

Steigerung:

  1. der Rentenindex REX stieg um 0,18 Prozent
  2. der Bund-Future gewann 0,36 Prozent
  3. der Kurs des Euro kletterte über 1,12 Prozent




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Auch der zweite Börsenbericht weicht nicht vom typischen Szenario der Börsennachrichten ab. Auf engstem Raum wird der Leser mit einer beträchtlichen Informationsdichte konfrontiert, die jedoch bei eingehender Betrachtung auf Informationen von zwei Kategorien – Senkung/Steigerung eines Börsenprodukts – reduziert wird. Insgesamt 18 Mal – ähnlich wie im ersten Beispiel – hat man im Rahmen von nur 20 Sätzen über die selbe Situation zu berichten. Es ist nicht schwer, sich in die Rolle eines Berichterstatters einzufühlen, der die sich ständig wiederholende Situation nach den Regeln des Börsenjournalismus zu bearbeiten und in einen kurzen Börsenkommentar (folgend dem Gebot der Sprachökonomie) einzubetten hat. Diese Aufgabe hat er dank der starken Stereotypisierung des Sprachgebrauchs im Börsenjournalismus enorm erleichtert – automatisch greift er zu den tradierten Formeln und Sprachmustern unter denen auch metaphorische Umschreibungen einen festen Platz einnehmen. Den Rest besorgt dann seine Phantasie und momentane Inspiration. So trifft man im vorgelegten Text auf die längst bewährte traditionelle Metaphorik aus dem Bereich der Bewegung (rutschen, fallen, klettern, abwärts gehen, steigen) und des Sports (gewinnen, verlieren, Schlusslicht sein), vorzufinden sind aber auch originelle Umschreibungen (Autoaktien ausgebremst, Aktien von Autokonzernen gerieten unter die Räder), denen eine konkrete Branche als Bildspender zu Grunde liegt. Auf die Frage nach deren Funktion als Mittel der Veranschaulichung komplizierter Inhalte lässt sich ähnlich wie beim ersten Text antworten, dass die Metaphern das Verstehen der Problematik weder verbessern noch verschlechtern. Sie wirken nicht störend, andererseits sagen sie in Bezug auf die Substanz des Börsengeschehens nicht mehr aus, als wenn man sich für die Wiedergabe der Börsenereignisse traditioneller Ausdrucksmittel bediente. Angesprochen auf die von Fluck aufgezählten typischen Merkmale der Börsensprache bestätigt man die häufig vertretene Personifizierung der Objekte (die Anteilsscheine von E.ON landeten, der REX stieg, die Umlaufrendite fiel, der Leitindex brach ein, der Bund-Future gewann), die zusammen mit der häufigen Absenz der agierenden Urheber (nur einmal werden im Text Aktionäre, Analysten, Anleger und die Zentralbank genannt) den Anschein erwecken, dass alles von selbst geschieht. Die anderen von Fluck genannten Merkmale treten jedoch nicht so deutlich (einmal reflexives Verb – hat sich beschleunigt) oder gar nicht (fehlende unbestimmte Subjekte und Passivkonstruktionen) in Erscheinung. Die selben Ergebnisse sind allerdings auch beim ersten Text vorzufinden. (vgl. Fluck 1985: 62)

Die verwendeten Metaphern werden entweder "selbständig" – nicht aus einem bestimmten Metaphernfeld herausgerissen (der Leitindex brach ein, der Technologie-Index TecDAX verlor 2,54 Prozent), oder als Mitglieder eines Metaphernfelds, einer Familie verstanden.




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Dies kommt häufig bei der Beschreibung einer konkreten Branche bzw. eines konkreten Unternehmens (in unserem Text die Automobilbranche – Auto-Aktien abermals ausgebremst, die Aktien von Autokonzernen gerieten erneut unter die Räder) vor. Die Herkunft der Metaphern ist dabei so gewählt, dass sie (die Metaphern) dem beschriebenen Gegenstand (Branche, Unternehmen, Aktien) lexikalisch sehr nahe liegen.

Die Verschleierungstendenz bzw. Manipulierungsabsichten fallen nicht unbedingt auf. Die unbelebten Objekte, die von selbst handeln und die nahezu vollständige Zurückdrängung des Agens können dem Text zwar bestimmte "magische Züge" verleihen, aber für den Einsatz dieser syntaktischen Besonderheiten kann es durchaus andere Gründe geben als nur Manipulationsabsichten. Ein nicht voreingenommener Leser, der den Börsenbericht nicht versteht, kann gleichfalls sein mangelndes Wirtschaftswissen als die wahre Ursache für den falsch verstandenen Inhalt des Textes betrachten.

In Bezug auf die Ursprungsbereiche der Metaphern (sog. Bildspender) werden die Börsenberichterstatter sehr kreativ. So begegnet man in den Kommentaren den fliegenden Aktien (FraPort-Aktien fliegen), dem Aktienhandel, der gerade eine Pause genießt (Aktienhandel legt eine Verschnaufpause ein), den Aktienkursen, die auf dem Weg zur Genesung sind (Aktienkurse erholen sich), dem kräftigen Pfund (das Pfund strotzt vor Stärke) oder den Porsche-Aktien, die das Tempo beschleunigen (Porsche-Aktie gibt Gas). Die zuletzt genannte Metapher ist ein gutes Beispiel für die Situation, in der die bildliche Umschreibung lexikalisch aus dem Vokabular der erwähnten Branche bzw. Aktie schöpft. So trifft man im Text die Porsche-Aktien, die sich dem Etappenziel nähern (Porsche-Aktien haben Etappenziel im Blick), die immer schneller fahrenden VW-Aktien (VW-Aktien legen im Tempo zu), die gut gestarteten BMW-Aktien (BMW gelingt ein Superstart ins neue Jahr) oder die heilsame Gewinne versprechenden Pharma-Aktien (Pharma-Aktien – heilsame Gewinne in Sicht). Gerade die Metaphern aus der Automobilbranche und dem Motorsport-Bereich genießen laut meiner Untersuchungen bei den deutschen Börsenberichterstattern eine große Beliebtheit – was wahrscheinlich auf ihre starke Gewichtung im Aktienindex DAX zurückzuführen ist – und werden auch für die Beschreibung der Kursentwicklung der Aktien aus anderen Branchen häufig eingesetzt: Agnico-Eagle-Aktie gibt Gas (Bergbauunternehmen) oder Q-Cells-Aktien auf Überholspur (Photovoltaik-Anbieter).

Häufig ausgenutzt als Bildspender wird ebenfalls die Sportterminologie.




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So begegnet man den Metaphern, die eine komplizierte Entwicklung an der Börse mit einem Hürdenlauf umschreiben (Hürdenlauf beginnt, Hürden genommen), den Staatsanleihen, die bei guten Ergebnissen gemäß dem Boxsport-Jargon punkten (Deutsche Staatsanleihen punkten), dem – wegen seiner führenden Rolle unter den deutschen Indizes – als Schwergewicht bezeichneten DAX-Index (DAX: Schwergewicht vor neuen Kaufsignalen), dem Siemens-Konzern der dank guter Resultate in die erste Liga aufsteigt (Siemens in der Top-Liga), den Aktienkäufern, denen gute Aussichten für das Finish – d.h. Aktienkauf – prophezeit werden (Chancen für Endspurt) oder den Investoren, denen man in einem Fussballtrainer-Jargon dazu rät, die Situation zu kontrollieren (Bleiben Sie am Ball).

Relativ häufig kommen in den Börsenmeldungen die Metaphern vor, die dem Militärbereich, bzw. der Kriegsterminologie entnommen werden. Das Börsengeschehen wird zur Parallele des Schlachtfelds, miteinander konkurrierende Unternehmen und deren Aktienentwicklung haben den Charakter militärischer Konflikte. So erfährt man aus den Kommentaren über die Allianz-Rüstungsvorkehrungen (Allianz wappnet sich für schwieriges Jahr) und ihre Kampfansage an den HUK-Versicherer (Allianz sagt HUK den Kampf an), über die Angriffe an die EU (EU attackiert von Ratingagenturen), harte Kämpfe in der Baumwollbranche (Baumwolle: das Blutbad geht weiter) und über den ins Kreuzfeuer geratenen Internet-Riesen Google (Google Internet-Riese unter Beschuss).

Neben den traditionellen Metaphern werden in den Börsennachrichten zwecks der Wortschatzerweiterung auch andere sprachliche Mittel verwendet. Häufig eingesetzt – besonders in den Überschriften – werden verbale (Q-Cells-Aktien: Die Hoffnung stirbt zuletzt, Renten liegen Anlegern im Magen) und substantivische Phraseologismen (Aixtron: Schöne Bescherung, Goldpreis: Ruhe vor dem Sturm, Wochenausblick: Land in Sicht, Deutsche Brauereien: rechte Zeit, rechter Ort oder ETFS: Weder Fisch noch Fleisch) und zahlreiche Vergleiche – bei einer ruhigen Kursentwicklung läuft alles wie am Schnürchen, bei starken Kurseinbrüchen kann man Schwankungen wie auf hoher See erleben.

In das traditionelle Vokabular gehören auch zahlreiche Sprichwörter, die oft als Überschriften zur Geltung kommen. So kann man bei einem steilen Kurseinbruch gewarnt werden, dass Ein Unglück kommt nie allein oder über ein nicht korrektes Verhalten der Börsenspekulanten informiert werden – Lügen haben kurze Beine. Bei einer schlechten Kursentwicklung kann man beruhigt werden: viel schlimmer geht nimmer, und nach dem Hoch ist vor dem Hoch.

Die Metaphern nehmen im traditionellen sprachlichen Instrumentarium des deutschen Börsenjournalismus eine längst etablierte Position ein. Dank ihrer werden die branchenbezogene Problematik und ökonomische Relationen an das breite Publikum vereinfacht in Form sportlicher Aktivitäten, militärischer Konflikte oder zwischenmenschlicher Beziehungen weitergeleitet.




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Der Grund dafür sind mit hoher Wahrscheinlichkeit die rein journalistischen Bemühungen, die Attraktivität der eintönigen Börsenkommentare zu steigern, die durch die internen stilistischen Regeln der einzelnen Wirtschaftsredaktionen gesteuert werden. Dieser Regulierung gegenüber steht und für die Expressivität der Metaphorik sorgt die journalistische Kreativität und Lust der Presseleute, mit der Sprache zu spielen.

Auch im Rahmen der Börsenberichterstattungen spielt das ästhetische Motiv eine wichtige Rolle; schließlich muss man auch hier ein entsprechendes stilistisches Niveau halten. So erscheinen die Kommentare attraktiver, ihre informative Funktion tritt jedoch zu Lasten einer gewissen Verspieltheit in den Hintergrund.

Alarmierende, stark emotive Metaphern – die als eine Art Hyperbel den niedrigen Informationswert des Kommentars durch ihr Attraktivität-Potenzial ersetzen – stehen oft im krassen Kontrast zum ergänzenden, oft eintönigen und an Informationen armen Kommentar.

Die Theorie der linguistischen Forschung schreibt den Metaphern in den Fachsprachen bestimmte Rolle und Funktionen zu. In Anbetracht des sich veränderten Lebensstils, der unter anderem durch das hohe Lebenstempo und das ständig empfundene Zeitdefizit geprägt wird, wandelt sich auch die mediale Welt, die Gestaltung und Form der Nachrichten, Wirtschaftskommentare und Börsenrubriken. Auch ein in Bezug auf die Form traditionelles und gegen neue Trends resistentes Gebilde wie Börsennachrichten unterliegt diesem Wandel. Das geschieht auf zweierlei Weise – durch die Textkondensierung, die mit den Bestrebungen nach einer möglichst originellen Wortwahl einhergeht. Ein originell gewählter Wortschatz steigert zwar die Attraktivität des Kommentars, trägt jedoch nicht unbedingt zur besseren Qualität der Informationsvermittlung bei – dies haben auch die Ergebnisse der Umfrage bestätigt – und gibt mehr Raum der persuasiven Tendenz, die in den Börsenkommentaren erkennbar ist. Schließlich sind die Überzeugungsstrategien ein in Massenmedien längst eingenistetes Phänomen. Die Theorie besagt, dass man durch den Einsatz der Metaphern, Phraseologismen und anderen bildlichen Sprachmittel versucht, rationale Argumente beim Lesepublikum durch emotionale zu ersetzen und so seine Einstellung, die dank der Expressivität der Ausdrucksmittel mehr auf Emotionen beruht, zu manipulieren bzw. sogar zu verändern. Ob das aber eine in den Börsennachrichten zwecks einer bewussten Manipulierung absichtlich verwendete Praxis ist, ob man mit den sprachlich geschickt präparierten Kursinformationen den Börsenspekulanten mit Absicht Dienste erweist, lässt sich aus der fachsprachlichen Sicht weder behaupten noch beweisen.




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Und wenn ein solcher Ausnahmefall vorliegt, und ein Börsenkommentar wegen angeblicher Manipulierung doch "überführt wird", dann ist der Kommentar eben als ein Ausnahmefall zu betrachten (siehe die im Text erwähnte Alcoa-Geschichte), dessen sprachliches Material zwar von Linguisten erforscht werden kann, aber sicher nur durch polizeiliche Ermittlungen zu erklären ist.



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