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Xuan Jing (München)



Erobern und Erzählen: Narrative Legitimationsstrategien bei Columbus, Cortés und Cabeza de Vaca



Narrating the Conquista: Strategies of legitimation in the writings of Columbus, Cortés and Cabeza de Vaca.

The Spanish Conquest of America was not only a military, but also a literary event. It produced a unique corpus of texts which at the same time recorded and invented the history of the New World. This paper discusses the function of cultural and literary patterns in the narrative invention of America. By reading three prominent authors / conquerors – Columbus, Cortés and Cabeza de Vaca – together, I will show how biblical, mythical and epic narratives are used consequently to legitimate (legally dubious actions of) the conquest. From this perspective, such legendary moments of the Conquista like the Moctezuma-speech 'chronicled' in Cortés's second "Carta de Relación" reveals to be a narrative construction whose origin, far from being 'authentically' Aztec, can rather be found in the classical imperial myths of Aeneas and its contemporary incarnation: Charles V.


Spätestens seit E. O'Gormans La invención de América (1958) ist die Geschichte Lateinamerikas keine reine Ereignisgeschichte mehr. Ihr Anfang liegt – so O'Gormans berühmte These – weniger in der Entdeckungsreise des Columbus als vielmehr in der Erfindung Amerikas als Abbild des Abendlandes: "América fue concebida por Europa a su imagen y semejanza, y en circunstancias tan radical estriba la significación de eso que hemos querido llamar la invención de America" (O'Gorman 1958: 58). Das solchermaßen erfundene Amerika ist wesentlich fremdbestimmt – steht es doch von Anbeginn im Zeichen einer Universalgeschichte, deren Verlauf durch das christliche Heilsnarrativ vorbestimmt ist. Die Neue Welt bedeutet folglich die Erfüllung der Alten, "un mundo de liberación y de promesa, el mundo de la libertad y del futuro, la Nueva Jerusalem, una nueva Europa" (ebd.: 89). Mit seinem Postulat einer heteronomen Genesis hat O'Gorman versucht, den historischen Abhängigkeitscharakter Lateinamerikas in den Blick zu rücken. Daher unterscheidet sich sein Konzept der 'invención' auch vom herkömmlichen Begriff des 'descubrimiento': Während dieser die Existenz eines Amerikas vor der Kolonialgeschichte implizit voraussetzt, macht jenes deutlich, daß es eine solche Vorgeschichte insofern nicht gibt, als sich Amerika – wie W. Mignolo die 'invención'-These zusammengefaßt hat –  erst herausbildet aus einer "apropiación semántica […] que ignora y reprime aquel que ya existía y que la invención oculta" (Mignolo 1986: 150, kursiv im Original).  Amerika ist demnach das Resultat einer semantischen Aneignung, deren Leistung nicht zuletzt darin besteht, das Vor-Amerikanische zu verkennen und zu verdrängen.




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Um eine Erfindung Amerikas in diesem Sinne geht es bei der nachstehenden Lektüre dreier Schlüsseltexte der Eroberungsgeschichte: Columbus' "Carta a Santángel", der beiden ersten "Cartas de relación" von Hernán Cortés und der Naufragios genannten autobiographischen Erzählung des Cabeza de Vaca. Dabei möchte ich eine besondere Form der semantischen Aneignung beleuchten, die in Anlehnung an O'Gorman als die narrative inventio definiert werden kann. Der rhetorische Terminus der inventio meint hier ein Auffinden von Narrativen, näherhin von Gründungsnarrativen, in deren Rahmen sich die 'invención' der Neuen Welt qua symbolische Überschreibung vollzieht. Konkret besteht die narrative inventio in einem Erzählakt, bei dem historische Ereignisse – etwa die Landnahme bei Columbus oder die Unterwerfung des Aztekenreiches im Fall von Cortés – vermittels kulturell tradierter sowie literarischer Formen in Gründungsnarrative verarbeitet und auf diese Weise legitimiert werden. Dieser Erzählvorgang ist insofern der rhetorischen inventio vergleichbar, als die Grundtechnik hierzu – die Gedankenfindung mit Hilfe von loci communes (Lausberg 1990: 146) – dort dadurch zum Tragen kommt, daß neue Gründungsnarrative durch den Rückgriff auf altbekannte Erzählmuster produziert werden.

Diese narrative inventio möchte ich in der Folge aus einem zweifachen Blickwinkel beschreiben. Zunächst gilt es, die Erzählmuster aufzuzeigen, deren sich Columbus, Cortés und Cabeza de Vaca für die Konstruktion ihrer jeweiligen Gründungserzählung bedienen. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang das biblische Narrativ, das die ausgewählten Texte in drei verschiedenen Strukturvarianten aufweisen. Da ist zunächst die Paradieserzählung, die in der "Carta a Santángel" anhand zahlreicher Genesis-Anspielungen aufgerufen wird und sich so mit Columbus' Schreiben gewissermaßen als die paradigmatische 'Urszene' des Amerika-Diskurses etabliert hat. Auf ein zweites, typologisches Schema der Bibelexegese greift Cortés in seinen "Cartas de relación" zurück, um dort seinen Eroberungsfeldzug in Mexiko als eine syntagmatische Progression zu erzählen, deren Ziel ferner vermittels eines zusätzlichen, literarischen Erzählmusters – des epischen Gründungsnarrativs von Vergils Aeneis – an die Reichsbildung des Habsburger-Spaniens angeschlossen wird. Bei Cabeza de Vaca findet sich schließlich mit der peregrinatio ein drittes, zyklisches Schema, das eine mißglückte Expedition als einen Passionsweg erzählerisch überformt, in dessen Verlauf sich der gescheiterte Entdecker / Siedler als ein Kolonisator-Subjekt konstituiert.

Der Rekurs auf religiöse bzw. literarische Erzählmuster bedeutet für sich genommen freilich noch kein narratives Novum – gehören doch Bibelmotive wie auch die römische Gründungsgeschichte seit dem Mittelalter zur historiographischen Erzähltradition. Wenn die  alten Erzählformen in der Eroberungsliteratur dennoch zu neuer Verwendung kommen, so in der Hinsicht, daß sie – damit komme ich zum zweiten Aspekt der narrativen inventio – ein Gründungsnarrativ besonderer Art hervorbringen: Das Besondere zeigt sich hier im Vergleich zum klassischen Gründungsnarrativ, dessen Funktion gemeinhin darin besteht, eine Gemeinschaft




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zu begründen oder zu befestigen. Dabei weist das klassische Gründungsnarrativ – nach einer jüngst von J. Frömmer vorgenommenen Klassifizierung – zwei Grundtypen auf; einmal den retrospektiven Typus, bei dem die Gemeinschaft auf einen Ursprung in der Vergangenheit zurückgeführt, einmal den prospektiven Typus, bei dem die Gemeinschaft erst durch die Erzählung gestiftet oder entworfen wird (Frömmer 2013: 5). Beide Typen haben ihre je eigene Mustergattung: Das retrospektive Modell findet sich exemplarisch in der römischen Historiographie und Literatur – allem voran im Geschichtswerk des Livius und in Vergils Aeneis. Für den prospektiven Typus ließe sich das Beispiel der postkolonialen Literatur anführen, genauerhin der von D. Sommer als 'foundational fictions' gelesenen lateinamerikanischen Romane des 19. Jahrhunderts, deren Handlung – nach Sommers These – allegorisch auf eine noch utopische Nationalgründung verweist (Sommer 1991; Frömmer 2013: 5).1

Anhand dieser Klassifikation läßt sich erkennen, inwiefern die Eroberungsliteratur einen Sonderfall des Gründungsnarrativs darstellt. Denn hier wird der Gründungsakt – anders als jeweils beim retrospektiven und prospektiven Typus – weder nachträglich rekonstruiert noch auf Zukünftiges projiziert. Ganz im Gegenteil: Ereignis und Erzählung scheinen in einem synchronen Verhältnis zu stehen, wenn Columbus oder Cortés inmitten ihrer Expedition über deren Hergang berichten. Diese spezifische Textgenese, daß also die Eroberungsliteratur gewissermaßen in Echtzeit zur Eroberung entsteht, ist nicht unbeträchtlich für das dort modellierte Gründungsnarrativ. Für dessen Beschreibung böte sich der Begriff des Performativen an, der bekanntermaßen einen solchen Sprechakt bezeichnet, bei dessen Ausführung die gesprochene Handlung zugleich vollzogen wird (Austin 1976). Damit ließe sich neben den beiden klassischen Typen ein drittes, performatives Modell des Gründungsnarrativs benennen, das jener besonderen narrativen Praxis während der Conquista entspräche, historische Taten im Zuge einer schriftlichen Direktübertragung simultan in Gründungserzählungen zu transformieren. Im Vergleich zum klassischen Gründungsnarrativ zielt die performative Konstruktion in der Eroberungsliteratur weniger auf eine Gemeinschaftsstiftung als vielmehr auf die Legitimation politischer Gründungshandlung. Dafür sprechen – wie sich zeigen wird – die Texte von Columbus, Cortés und Cabeza de Vaca, in denen die Produktion von Gründungserzählungen jeweils dazu dient, ein Schlüsselmoment der Frühgeschichte Amerikas – die Landnahme bei Columbus, die Eroberung bei Cortés und die Kolonisierung bei Cabeza de Vaca – performativ zu begründen. Dies gilt für die "Carta a Luís de Santángel" in der Hinsicht, daß Amerika hier vermittels eines performativen Sprechaktes zu einer terra nullius deklariert wird – zu einem herrenlosen Land also, das frei für Okkupation und Missionierung steht. Eine ähnlich performative Rechtfertigung leistet Cortés mit seinen "Cartas de relación", in denen ein unautorisierter  Eroberungsfeldzug in eine dreifache Gründungserzählung übertragen wird, worin die christliche Mission, die translatio imperii und das Reichsschicksal der Azteken gleichermaßen zur Erfüllung kommen. Ein legitimatorischer Charakter eignet schließlich auch Cabeza de Vacas Aufzeichnung seiner gescheiterten Expedition, deren symbolische Überschreibung die koloniale Expansion als einen messianischen Weg erscheinen läßt, bei dem es gerade die indigene Bevölkerung, also der kulturelle Andere ist, dessen Glaube die christliche Mission rechtfertigt.




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I.

Die "Carta a Santángel" gilt gemeinhin als "der erste Brief aus der Neuen Welt"2, durch den die Entdeckung Amerikas in Europa verkündet wurde. Weniger beachtet ist indes die politische Botschaft des Briefes; denn was Columbus dort durch den Schatzmeister der aragonesischen Krone seinen Auftragsgebern, den Katholischen Königen Isabella und Ferdinand, mitteilt, ist nicht so sehr die Sichtung als vielmehr die Inbesitznahme des fremden Kontinents. Davon spricht Columbus gleich zum Beginn des Briefs, wo er den Erfolg seiner Expedition anhand eines militärischen Terminus als eine "gran victoria" (Colón 2003: 219) vermeldet, bei der er – so geht das Schreiben weiter – viele dicht bewohnte Inseln gefunden habe, "y d'ellas he tomado posesión por Sus Altezas con pregón y vandera real estendida, y non me fue contradicho" (ebd.: 220). Sprechgegenstand ist hier ein Rechtsritual, vermittels dessen Columbus seine Landnahme formaljuristisch vollzieht.3 Die zentrale Zeremonie besteht dabei in einem performativen Sprechakt – in jenem "pregón" genauerhin, den Columbus sinngemäß etwa so ausruft, daß er 'hiermit' im Namen der Katholischen Könige die Insel in Besitz nehme. Für den Rechtsvollzug reicht die mündliche Verkündung allerdings nicht ganz; es bedarf zudem deren schriftlicher Bezeugung. Davon erfährt man im Bordbuch, wo der Hergang der Proklamation ausführlicher beschrieben wird:

El Admirante llamó a los dos capitanes y a los demás que saltaron en tierra, y a Rodrigo d'Escobedo escrivano de toda el armada, [...] y dixo que le diesen por fe y testimonio cómo él por ante todos tomava, cómo de hecho tomó, possessión de la dicha isla por el Rey e por la Reina sus señores, haziendo las protestaçiones que se requirían, como más largo se contiene en los testimonios que allí se hizieron por escripto. (Colón 2003: 110)

Als ein namentlich erwähnter Augenzeuge – "que le [al Admirante] diesen por fe y testimonio" – hat der Notar der Flotte, Rodrigo de Escobedo, zugleich die Aufgabe, schriftliches Zeugnis von dem Geschehen  – "los testimonios que allí se hizieron por escripto" – abzulegen. Mehr denn eine Kopie der mündlichen Proklamation ist die Mitschrift des Notars ihrerseits von performativem Charakter: Erst durch sie wird der "pregón" bzw. die damit vollzogene Landnahme als eine rechtmäßige Besitznahme beglaubigt.

Die Funktion der performativen Beglaubigung eignet gleichfalls der "Carta a Santángel", in der nicht nur ein territorialer Fund, sondern vielmehr der spanische Besitzanspruch auf die gefundenen Territorien verkündet wird. Der legitimatorische Zweck des Briefes wird  deutlich, wenn man dessen Editionsgeschichte in den Blick nimmt. Das auf den 15. Februar 1493 datierte Schreiben wurde bereits im Frühling desselben Jahres in Barcelona gedruckt und erschien in den folgenden fünf Jahren in 17 verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen. Die außerordentliche Verbreitung




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der "Carta a Santángel" hat M. Zamora mit der Hypothese erklärt, daß es sich dabei um die bereinigte Version eines anderen Textes (womöglich der "Carta a los Reyes" von 4. März) handele, die gewissermaßen als die 'offizielle' Version der Entdeckung für eine Propagandakampagne angefertigt und in Umlauf gebracht worden sei (Zamora 1993: 114). Ob sich der Propaganda-Verdacht faktisch belegen läßt, mag dahingestellt bleiben. Propagandistisch für die spanische Krone wirkt die "Carta a Santángel" jedoch zweifelsohne: Wie die "testimonios que allí se hizieron por escripto" dokumentiert sie den Vollzug des Rechtsrituals und dient so dazu, der europäischen Öffentlichkeit die spanische Landnahme als eine rechtmäßige Handlung zu präsentieren (Greenblatt 1991: 60).

Über den nationalen Territorialanspruch hinaus hat das Columbus-Schreiben noch eine weitere Legitimationsfunktion von globaler Bedeutung. Es geht dabei um die Legitimation einer Aktion, die für den europäischen Umgang mit der Neuen Welt paradigmatisch werden soll, nämlich die Okkupation Amerikas als eines freien Raums. Auf diesen Punkt hat bereits Carl Schmitt im Zusammenhang mit seiner Überlegung zum globalen Liniendenken hingewiesen: Für dessen Entstehung als Leitkonzept neuzeitlicher Raumordnung ist die Entdeckung von 1492 in der Hinsicht wesentlich, "daß die auftauchende neue Welt nicht als ein neuer Feind erschien, sondern als ein freier Raum, als ein freies Feld europäischer Okkupation" (Schmitt 1997: 55). Angesichts einer solchen Amerika-Vorstellung erklärt sich dann auch ein signifikantes Detail in der "Carta a Santángel", daß nämlich die Aufzeichnung der Landnahme dort mit deren widerspruchslosen Anerkennung endet: "y non me fue contradicho". Die Feststellung scheint aus heutiger Sicht absurd oder gar sarkastisch – hätten doch die Eingeborenen weder die Sprache noch die symbolischen Handlungen der Neuankömmlinge verstehen können. Als sinnvoll erweist sich die Formulierung jedoch im juristischen Rahmen der Okkupation, deren legales Objekt nach dem römischen wie auch nach dem mittelalterlichen Recht eine terra nullius – ein herrenloses Land ist.5 Ebendiese Rechtsgrundlage schafft Columbus mit seiner Aussage, daß seine Proklamation ohne Widerspruch geblieben sei. Der performative Charakter liegt hier auf der Hand: In Ermangelung des Widerspruchs gegen die Landnahme erweist sich Amerika als ein Niemandsland, über das kein Besitzanspruch besteht und das daher vom ersten Finder – Columbus im Auftrag der Katholischen Könige – nach dem Prinzip uti possidetis, ita possideatis in Besitz genommen werden kann.6

Die performativ vollzogene Landnahme erfährt im weiteren Verlauf des Schreibens eine zweifache Legitimation: Zum einen wird die juristische Rechtfertigung für die Eroberung dadurch bekräftigt, daß Amerika dann auch 'tatsächlich' als eine terra nullius dargestellt wird; zum anderen wird die Landnahme biblisch überschrieben und erhält solcherweise eine sakrale Begründung. In Bezug auf das Erstere hat man sich die juristischen Argumente in Erinnerung zu rufen, die der europäischen Überseeexpansion seit dem 16. Jahrhundert zugrunde lagen und gemeinhin von dem Grundsatz ausgingen, daß "die Ureinwohner kein Eigentum und keine rechtmäßige Staatsgewalt zu haben vermöchten, daß sie im rechtlosen Raum lebten und das von ihnen bewohnte Land terra nullius, daher entdeckt und angeeignet werden kann"




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(Janssen 2000: 64). Den Prototyp für eine derart definierte terra nullius findet man nun in der "Carta a Santángel", wo Amerika schon bei seiner ersten Erscheinung im europäischen Wissenshorizont durch einen doppelten Mangel an Herrschaftsstruktur und Eigentumsverhältnis charakterisiert wird. Auf den anarchischen Zustand der entdeckten Inseln kommt Columbus gleich nach dem Bericht über die Landnahme zu sprechen: Er erzählt von seiner vergeblichen Suche nach "reyes o grandes ciudades" (Colón 2003: 220). Der dafür ausgesandte Suchtrupp sei nach drei Tagen zurückgekehrt, während derer er "populaciones pequeñas i gente sin número, mas no cosa de regimiento" (ebd.: 220) gefunden habe. Die 'empirische' Feststellung, daß es auf der Insel "no cosa de regimiento" gebe, dient freilich dazu, die bereits performativ deklarierte Herrenlosigkeit des besetzten Landes nachträglich zu beglaubigen. Das zweite Kennzeichen der terra nullius – die Absenz von Eigentum – deutet Columbus gegen Ende des Briefes an: Er habe nicht in Erfahrung bringen können, "si tienen bienes propios, que me parecio ver que aquello que uno tenía todas hazían parte" (ebd.: 224). Die scheinbar anthropologische Beobachtung hat darin eine juristische Implikation, daß die kommunitäre Lebensform der Einheimischen ihre Unkenntnis von Eigentum belegt. In diesem Fall stellt die Landnahme dann auch keine Enteignung dar; denn ein Land ohne Eigentümer kann gar nicht enteignet werden.

Parallel zur bisher erläuterten, profan-juristischen Rechtfertigung läßt sich eine zweite Argumentationslinie der "Carta a Santángel" nachzeichnen, bei der die Landnahme christlich überschrieben und damit transzendental begründet wird. Auch hier spielt der performative Sprechakt eine entscheidende Rolle und zwar dann, wenn Columbus die rituell eingenommenen Inseln neu benennt:

A la primera que yo fallé puse nonbre Sant Salvador a comemoración de su Alta Magestat, el cual maravillosamente todo esto a[n] dado; los indios la llaman Guanahaní. A la segunda puse nonbre la isla de Santa María de Concepción; a la tercera, Ferrandina; a la cuarta la Isabela; a la quinta la isla Juana, e así a cada una nombre nuevo. (ebd.: 220)

Der performative Akt besteht in einer Umbenennung, die insofern dem Sakrament der Taufe vergleichbar ist, als die Neubesetzung alter Toponyme – Guanahaní durch San Salvador – analog zum Namenswechsel etwa von Saulus zu Paulus die Eingliederung des Benannten in die christliche Welt markiert. Zudem liegt Columbus' Namensgebung das Prinzip der scholastischen Weltordnung zugrunde: Mit dem Schöpfer – Sant Salvador – beginnt eine toponymische Kette, die von der Jungfrau – Santa María de Concepción – auf die Katholischen Könige – la Ferrandina, la Isabela – als Gottes Stellvertreter auf Erden übergeht und schließlich mit dem Thronfolger Juan – la Juana – endet. Spricht Columbus dabei von Gott als demjenigen, "el cual maravillosamente todo esto a[n] dado", so verweist das hier erstmalig Amerika zugeschriebene Attribut des "maravilloso" nicht nur auf das Wunder der Schöpfung; wunderbar ist gleichfalls die Landnahme,7 die insofern performativ mit der biblischen Schöpfung verknüpft wird, als Columbus bei seinem Akt der Benennung dieselbe Rolle wie die des Adam in der Genesis spielt. Diese




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Genesis-Reminiszenz erweist sich im weiteren Textverlauf als programmatisch, sobald Columbus bei seiner Beschreibung der Neuen Welt besonders auf die "ríos […] buenos y grandes" (ebd.: 221) und "árboles [...] que jamás pierden la foia" (ebd.: 221) eingeht – auf solche Naturelemente also, die im Zusammenspiel mit der Nacktheit der Einwohner – "andan todos desnudos, hombres y mujeres" (ebd: 221) – die biblische Darstellung des Gartens Eden evozieren. Weder die Adamsähnlichkeit des Columbus noch die paradiesische Naturschilderung kommen unerwartet, sofern man sich den am Anfang der "Carta a Santángel" angegebenen Zeitrahmen der Entdeckung vor Augen führt: "yo pasé [a las Indias] en treinta y tres días que yo partí de vuestros reinos" (ebd.: 220). 33 Tage ist Columbus demnach gesegelt, bevor er die Neue Welt entdeckt hat. Die vorderhand referentielle Zeitangabe hat bei näherem Hinsehen eine symbolische Bedeutung: Die Zahl 33 setzt sich aus einer Verdoppelung der Trinitätszahl zusammen8 und so läßt Columbus seine Reise dann auch im Sinne einer sakralen Wiederholung erscheinen, bei der sich das Wunder der Schöpfung in der christlichen Neugründung der Neuen Welt gleichsam ein zweites Mal vollzieht. 

Nach der bisherigen Lektüre stellt die "Carta a Santángel" einen Gründungstext dar, in dem Amerika gleich zweifach 'erfunden' wird. Mit der widerspruchsfreien Landnahme entsteht zunächst die Vorstellung von Amerika als einem herrenlosen und daher für fremde Besitzergreifung freien Raum. Die Gültigkeit dieser Vorstellung zeigt sich allerdings weniger an der Conquista selbst als vielmehr an der nachfolgenden europäischen Kolonialgeschichte. In Spanien wurde das auf der terra nullius beruhende Besitzrecht auf Amerika bereits früh widerlegt: Der Salmantinische Rechtsgelehrte Francisco de Vitoria hat in seiner 1538/9 gehaltenen Relectio de indis die Ureinwohner als Eigentümer ihres Landes anerkannt und damit den von Columbus erworbenen Rechtstitel in Amerika für ungültig erklärt (Vitoria 1967: 30f.). Im europäischen Kontext stellt jedoch Columbus' performativer Sprechakt, das besetzte Land als terra nullius zu deklarieren, den Ursprung eines Legitimationsmythos dar, mit dem die Kolonialmächte immer wieder ihren Besitzanspruch in fremden Ländern begründet haben. Ein prominentes Beispiel hierzu findet man bei der Landung von James Cook in Botany Bay 1770, als der Kapitän die britische Flagge aufriß und die Ostküste Australiens als terra nullius für die englische Krone in Besitz nahm.9 Indem Cook seine Taten zudem in einen Baum eingravieren ließ (Behrendt 2012: 174), verfährt er mit der schriftlichen Fixierung des Okkupationsrituals nach ebenjenem performativen Handlungsmuster, das Columbus für die koloniale Gründung etabliert hat. Was die Doktrin der terra nullius anbelangt, so endet diese keineswegs mit der Kolonialgeschichte. Ganz im Gegenteil: Gerade im Amerika des 19. Jahrhunderts gewann die Rechtsvorstellung des Niemandslands neue Konjunktur, als die bereits unabhängig gewordenen Kolonien im Prozeß des nation building weitere 'unbewohnte' Terrains zu erschließen begannen. Die territoriale Erweiterung wird dabei durch einen Zivilisationsdiskurs gestützt, in dem die indianischen Völker als Wilde und damit als rechtlos charakterisiert werden. Eine solche Logik lag etwa der Siedlungsideologie der argentinischen Republikaner zugrunde, wonach die Pampa-Indianer als Barbaren aus einer sich zivilisatorisch fortbildenden Nation beseitigt werden müssten. Ihr Schicksal – die Ausrottung – führt auf nachgerade unheimliche Weise zu jenem Spruch zurück, womit die Kolonisierung der Neuen Welt ihren Anfang nahm: Mit der Formel "Non me fue contradicho" spricht Columbus gleichsam ein Ur-Wort der Entrechtung aus, das nicht nur in der kolonialen Eroberung, sondern auch in der post-kolonialen Gründungsgewalt seine historische Entsprechung hat.




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Eine weitere, nicht minder wirkungsmächtige 'Erfindung' in der "Carta a Santángel" ist die des paradiesischen Amerikas. Damit entwirft Columbus Amerika im Sinne eines christlichen Narrativs, das er in seinen weiteren Schriften persistent ausschreiben wird. Amerika steht dabei im Mittelpunkt der Heilsgeschichte, auf deren Verlauf Columbus seine Entdeckungsreise zweifach typologisch bezieht: Sie ist implementum und figura zugleich, ein weltgeschichtliches Ereignis näherhin, das einerseits im Alten Testament angekündigt worden ist (Milhou 1983; Watts 1985; Gil 1992) und andererseits auf die Vollendung der Heilgeschichte vorausdeutet. In diesem Zusammenhang bildet der Rekurs auf die Genesis in der "Carta a Santángel" einen Anfang, der insofern auch ein Ende bedeutet, als Amerika dadurch nicht nur mit dem biblischen, sondern auch mit jenem irdischen Paradies assoziiert wird, das sich nach der imaginären Geographie der Kirchenväter am östlichen Ende der Welt befindet.10 Diesem räumlichen Ende kommt ferner eine zeitliche Dimension zu, wenn Columbus seine Amerika-Mission im Zeichen der Apokalypse situiert (Frömmer 2013: 88ff.). Dabei versucht er, seine Entdeckungsfahrten an die Rückeroberung Jerusalems als jenes Ereignis anzuschließen, das nach dem eschatologischen Verlaufsmodell der mittelalterlichen Apokalyptik das Ende der Geschichte einläutet. So argumentiert er ansatzweise in der Relación del cuarto viaje (1503) und systematischer noch im Libro de las profecías (1504),  wo er die Entdeckung und Missionierung Amerikas mit Hilfe des vierfachen Schriftsinns analog zum Endzeitgeschehen – der Rückeroberung der Heiligen Stadt und des Berges Zion – auslegt (León Azcárate 2007: 361–406). Wenn ein solcher sensus anagogicus schon damals als ein leeres Versprechen erschien, so deshalb, weil Columbus bereits bei seiner dritten Reise mit seinem Gründungsauftrag gescheitert war: Als Gouverneur der Indias versagte er derart desaströs, daß er abgesetzt und 1500 in Ketten nach Spanien zurückgebracht wurde. Mit der vierten und letzten Reise nahm Columbus' Amerika-Projekt schließlich ein klägliches Ende, bei dem der Admiral mit neun Schiffen auch den Ruhm als Navigator verlor. Vor dem Hintergrund dieses endgültigen Scheiterns ließen sich die späteren Schriften Columbus' im Sinne einer kompensatorischen Hermeneutik lesen: Mit der heilsgeschichtlichen Deutung seiner Amerika-Fahrten versucht sich der nunmehr als xpoferens (=christoferens) unterzeichnende Autor eine Bedeutung zu erschreiben, die dem Seefahrer Christoph Columbus abhanden gekommen ist.    

Für  Columbus – so viel ließe sich im Rückblick auf die Genesis-Reminiszenz in der "Carta a Santángel" sagen – ist Amerika gewissermaßen bei seinem paradiesischen Anfang stehengeblieben. Wenn er späterhin sein erfolgloses Amerika-Abenteuer nach der Heiligen Schrift modelliert, so erscheint im Gegensatz dazu seine erfolgreiche Landnahme als eine Ankündigung, für die er keine weltliche Erfüllung mehr aufbieten kann. Jene Typologie des Heils, gemäß der er Amerika erfunden hat, vermag Columbus selbst nicht zu Ende zu führen. Dafür bedarf es eines zweiten Eroberers, der Amerika gerade nicht mit dem eschatologischen Fernziel, sondern mit der politischen Geschichte des Abendlandes zu verbinden versteht. Hernán Cortés wird sich als derjenige erweisen, der die Eroberung Amerikas typologisch im Sinne einer welthistorischen translatio imperii zu erzählen weiß.




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II.

Die "Cartas de relación" von Hernán Cortés sind historische Aufzeichnungen besonderer Art. Als offizielle Berichte, die der Konquistador dem König und späteren Kaiser Karl V. höchstpersönlich erstattet, erzählen sie von der Eroberung Mexikos in der ersten Person.  Die Autodiegese11 garantiert gleichwohl keine Wahrheit und ebenso wenig wie der Bello gallico des Julius Caesar lassen die "Cartas" von Cortés eine klare Trennung zwischen Fakten und Selbstdarstellung zu.12 Ganz im Gegenteil: Cortés verbindet beides mit einem narrativen Kalkül, das im Fall der ersten beiden "Cartas" schon deshalb notwendig ist, weil er dort jeweils eine rechtswidrige Handlung zu rechtfertigen hat: Im ersten Brief geht es um seine Insubordination gegenüber Diego Velázquez, dem Gouverneur von Kuba, ohne dessen Erlaubnis er die Mexiko-Expedition unternahm; im zweiten um den Krieg gegen das Aztekenreich, der weder vom König erklärt noch autorisiert war (Elliott 1986). Wenn es Cortés letztlich gelingt, seiner unrechtmäßigen Aktion Legitimität zu verleihen, so erfolgt dies dank eines ausgeklügelten Zusammenspiels von juristischen Argumenten (Frankl 1962) und persuasiver Rhetorik (Blázquez Garbajosa 1985; Checa 1996). Zu letzterer gehört nun auch eine narrative inventio, bei der Cortés die epische Struktur der Aeneis mit dem typologischen Schema der Bibelexegese zusammenführt. Damit wird die Eroberung Mexikos in den Rahmen einer christlichen Reichsgründung eingerückt, womit jene längst prophezeite Übertragung der Universalherrschaft auf das Spanien der Habsburger in der Neuen Welt zur Erfüllung kommt.

Als ein erstes, literarisches Erzählmuster kommt das epische Narrativ in der "Primera relación" von Cortés zum Tragen. Das auch "Carta de Veracruz" genannte Schreiben umfaßt die ersten vier Monate der Expedition, deren Ereignisse nach Cortés' Erzählung in einer topographisch markierten Handlungslinie verlaufen: Sie beginnt – so wird es analeptisch erzählt – in Kuba, wo Cortés zu einer Erkundungsfahrt aufbricht, bei der er nach einer Zwischenlandung in Cozumel schließlich am Festland anlangt und dort die Stadt Vera Cruz gründet. Solcherart aufgebaut folgt die narrative Makrostruktur der "Carta de Veracruz" einem klassischen Vorbild, nämlich Vergils Aeneis. Dort beginnt die Gründungsreise des Aeneas mit dessen – ebenfalls analeptisch – erzählter Flucht aus Troja, die eine Irrfahrt durch das Mittelmeer initiiert und schließlich in Latium zu Ende geht, wo sein Sohn Ascanius die Stadt Alba Longa als die Vorstufe Roms gründen wird. Die epische Handlung folgt dabei einem Dreischrittschema von Ausfahrt-Seereise-Gründung, das sich in der "Carta de Vera Cruz" insofern wiederholt, als die Route von Cortés – Kuba-Karibik-Veracruz – strukturell mit der des Aeneas – Troja-Mittelmeer-Latium – korrespondiert. Die Aeneis-Parallele wird noch deutlicher im Hinblick auf den Ausgang der Reise: Die bei Vergil prophezeite Reichsgründung im Rom findet bei Cortés dahingehend eine Entsprechung, daß er mit der Villa Rica de Vera Cruz zugleich jene Stadt gründete, in der die Kolonisierung des amerikanischen Festlandes ihren Anfang nahm.




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Der Rückgriff auf das epische Erzählmuster beweist freilich nicht nur die literarische Bildung von Cortés. Als taktisch wirkungsmächtig erweist sich dabei vor allem der Aeneas-Mythos, der für das Spanien der Conquista eine besondere Bedeutung hat. Diese erklärt sich einerseits aus der Lehre der translatio imperii, anderseits in Hinblick auf den Ahnenkult des Hauses Habsburg. Die Lehre der Reichsübertragung entstammt der Bibelexegese und besagt, daß die Weltherrschaft von Babylonien über Persien und Griechenland nach Rom wandere. Nach dem Zusammenbruch des römischen Reichs wird das caput mundi – laut der mittelalterlichen Deutung der translatio – auf andere Völker übertragen, etwa auf die Franken und die Deutschen (Goez 1996). Folglich leiten sich die Franken seit der frühen Karolingerzeit von Troja her, während das Heilige Römische Reich Deutscher Nation sich als ein ununterbrochenes Kontinuum des antiken Imperiums verstand. In diesem Zusammenhang verkörpert die Figur des Aeneas eine mythische Genealogie, vermittels deren sich der imperiale Machtanspruch dynastisch legitimieren läßt (Tanner 1993). So war es kein anderer als Karl der Große, der den Aeneas-Mythos systematisch ausgebeutet hat, um anstelle des oströmischen das fränkische Reich als Nachfolger des Imperium Romanum zu befestigen (ebd.: 70f.). Zu diesem Zweck läßt Karl seine Ahnenlinie bis zu Anchises – dem Namensvetter von Aeneas' Vater – nachzeichnen und stiftet überdies eine höfische Literatur, die ihn vermittels Vergilscher Topoi als Wiedergänger des Aeneas zelebriert (ebd.: 71). So wird durch Karl den Großen die trojanische Abkunft zum Bestandteil eines Kaisermythos, der über das ganze Hochmittelalter hinweg bis in die Frühe Neuzeit eine wichtige Legitimationsfunktion in der Reichspolitik hat.

Für Spanien wird der Aeneas-Mythos durch die Kaiserwahl Karls von Habsburg besonders relevant. Denn Karl entstammt einem Fürstenhaus, das seinen genealogischen Ursprung aus dem Geschlecht des Priamos ableitet (ebd.: 98–118). Eine solche Ansippung an das trojanische Königshaus unternahm bereits der erste Habsburger Kaiser Rudolf.  Maximilian I. pflegte den mythischen Stammbaum sorgfältig weiter und vermochte die Familiengenealogie auch dadurch zu veredeln, daß er Maria von Burgund, den letzten Sprößling aus der direkten Linie von Karl dem Großen, heiratete. Die imperiale Genealogie der Habsburger erreicht mit Karl – dem Enkel Maximilians und Maria von Burgund – einen Höhepunkt sondergleichen. Wie man weiß, hat Karl neben der österreichischen noch eine genauso illustre spanische Linie vorzuweisen: Seine Großeltern mütterlicherseits waren die Katholischen Könige Ferdinand und Isabella – Abkömmlinge eines Königshauses, das seit Alfons dem Weisen ebenfalls die trojanische Abstammung für sich beanspruchte (ebd.: 113 u. 280, Anm. 177). Wichtiger noch als die Herkunftslegende ist das territoriale Erbe der Katholischen Könige, das neben den Krondomäne in Europa ebenfalls die überseeischen Besitzungen in der Neuen Welt umfaßte. So kam es, daß Karls Regnum nicht nur die mythische Legitimation, sondern auch die geographische Größe zur Weltherrschaft besaß. Ging durch die Katholischen Könige auch der Titel des Königs von Jerusalem auf Karl über (ebd.: 109)13, so schien sich mit seiner Kaiserwahl das römische Reich in einer christlichen Universalmonarchie zu erneuern: Als Nachfahre des Aeneas, Titularkönig von Jerusalem und Herrscher über die Neue Welt verkörperte Karl die translatio imperii und die christliche Mission in einer schlechthin idealen Personalunion.




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Wie es der historische Zufall will, verlief Karls Wahlkampf für das Kaiseramt zur gleichen Zeit wie Cortés' Gründungsfahrt nach Veracruz: Beide Ereignisse erstreckten sich über die erste Hälfte des Jahres 1519. Von Karls Kaiserwahl konnte Cortés damals nichts wissen. Als er seinen ersten Bericht (datiert auf den 10. Juli 1519) nach Spanien versendet, hat Karl selbst gerade (am 6. Juli) die Nachricht über seinen Wahlsieg erhalten (Fernandez Alvarez 1997: 29–43). Dieser Umstand tut der oben vorgeschlagenen Lektüre der "Carta de Veracruz" jedoch keinen Abbruch. Denn worauf es hier ankommt, ist nicht die Information über die Tagespolitik, sondern das Wissen um die Herrschaftssymbolik. Wenn Cortés seine Expedition nach dem epischen Schema der Aeneis erzählt, so zitiert er damit einen Gründungsmythos, der durch den trojanischen Ahnenkult der Habsburger schon längst auf deren Stammhalter Karl überschrieben worden ist. Überdies fällt die mythische Reichsgründung – auch das ist für Cortés selbstverständlich – mit der christlichen Mission zusammen, trug doch Karl bereits seit 1516 die spanische Krone und übernahm damit die in der päpstlichen Schenkungsbulle (1493) verordnete Aufgabe, die Neue Welt zu christianisieren. Diese doppelte, imperiale und evangelische Symbolik bildet die diskursive Matrix, von der Cortés verschiedene topische Erzählelemente bezieht, um so seinen Eroberungsfeldzug – ganz im Sinne der narrativen inventio – in ein episch-christliches Gründungsnarrativ zu übersetzen. Das Epische und das Christliche kommt dabei auf einer je unterschiedlichen Erzählebene zum Vorschein. Während die Gründungsreise des Aeneas – wie gezeigt – das makrostrukturelle Modell für die "Carta de Veracruz" bildet, wird der Eroberungsvorgang in den Einzelepisoden, also auf der Ebene der narrativen Mikrostruktur, als eine christliche Mission überschrieben. Signifikant hierbei ist vor allem die Erzählung von der Phase zwischen der Ausfahrt und der Stadtgründung – einer  'Abenteuerzeit', während der Cortés sein diplomatisches und militärisches Geschick in diversen Vorrunden für den späteren Feldzug erfolgreich erprobt. So gelingt es ihm zunächst in Cozumel, die anfangs feindseligen Indianer-Häuptlinge friedlich zu versammeln und einen der spanischen Gefangenen zu befreien. In Centla vermag er dann eine zahlenmäßig weit überlegende Maya-Allianz zu bezwingen, um damit schließlich den Sieg der ersten Schlacht der Conquista überhaupt zu erringen.

In dieser Erfolgsgeschichte stellt sich Cortés weder als politischer Virtuose noch als Kriegsheld dar. Sein Vorbild ist vielmehr Karl, nach dessen Herrschaftsfunktion Cortés sich – auf einer konnotativen, symbolischen Ebene – als Feudalherr und Evangelist präsentiert. Eine solche Selbstkonfiguration beginnt bereits mit der Landung in Cozumel, wo man – so wird es in der "Carta" erzählt – zunächst eine menschenleere Insel vorgefunden habe, da die Einwohner aufgrund der üblen Erfahrungen mit den Spaniern in die Berge geflüchtet seien. Das Mißtrauen der zwei zufällig vorbeigehenden Indios habe Cortés jedoch mit einer evangelischen Geste beseitigen können:




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Y el dicho Fernando Cortés hablándoles por medio de una lengua o faraute que llevaba, les dijo que no iban a hacerles mal ni daño alguno, sino para amonestarles y atraer para que viniesen en conocimiento de nuestra santa fe católica y para que fueran vasallos de vuestras majestades y les sirviesen y obedeciesen [...], asegurándoles el dicho capitán por esta manera, perdieron mucha parte del temor que tenían y dijeron que ellos querían ir a llamar a los caciques que estaban la tierra adentro en los montes, y luego el dicho capitán les dio una su carta para que los dichos caciques vinieran seguros. (Cortés 1993: 119f.)

Hier kommt erstmalig zu jener Grundsatzerklärung von Mission und Unterwerfung – "para que vieniesen en conocimiento de nuestra santa fe católica y para que fueran vasallos de vuestras majestades" –, die im weiteren Verlauf der "Cartas" bei jeder Begegnung, die Cortés mit einheimischen Anführern hat, gleichsam protokollarisch wiederholt wird.14 An dieser Textstelle bedeutet sie jedoch (noch) keine routinierte Rhetorik, sondern den Auftakt zu einer symbolträchtigen Inszenierung. Die Geschichte geht nämlich so weiter: Cortés übergibt dem Indio einen Brief, in dem er die flüchtigen Häuptlinge zu sich lädt. Als der Brief ohne Antwort bleibt, schickt Cortés zwei Hundertschaften auf die Suche nach den versteckten Einheimischen. Ein Dutzend davon hat sich dann auch tatsächlich finden lassen, darunter ein Häuptling. Diesem übergibt Cortés einen zweiten Brief – mit der zusätzlichen mündlichen Botschaft, daß er die Insel nicht verlassen werde, ehe er nicht die Stammesführer gesehen habe. Der Briefe zeitigt diesmal seine Wirkung: Zwei Tage später erscheint "el señor de la isla" und läßt sich von Cortés überzeugen, daß dieser von den Inseleinwohnern nichts anderes wünsche als den Gehorsam gegenüber seinen Königen (i. e. Johanna und Karl). Daraufhin ruft der "señor de la isla" die anderen Häuptlinge zusammen, und nachdem sie sich alle über die Botschaft von Cortés gefreut haben, läßt dieser sie wieder gehen. Die ganze Veranstaltung endet mit einer glücklichen Völkerverständigung: Die Häuptlinge "volvieron muy contentos" (ebd.: 121) und sorgten prompt dafür, daß die verlassenen Dörfer binnen weniger Tage wieder bevölkert wurden. Mehr noch: Die heimgekehrten Indios haben die Angst vor den Fremden verloren "y andaban entre nosotros […] como si mucho tiempo hobiera[n] tenido conversación con nosotros" (ebd.: 121).

Die Kaziken-Versammlung stellt mehr als den ersten diplomatischen Erfolg von Cortés dar. Denn was er damit inszeniert, ist eine performative prise de pouvoir, bei der er sich symbolisch als neuer Herrscher der Insel instauriert. Dabei verfährt Cortés nach dem von Columbus etablierten Muster der Landnahme und bedient sich eines Rechtsrituals, das ebenso wie der in der "Carta a Santángel" berichtete performative Sprechakt nur für den rechtskundigen Empfänger seines Briefes zu verstehen ist. Es geht um das Rechtsritual des juramento, das u.a. auch im Rahmen der Herrscherinvestitur abgehalten wird. In Kastilien versammeln sich dabei die Großfürsten und hohen Amtsträger, um dem neu gekrönten König Gehorsam und Treue zu schwören. Ebendiese Prozedur ahmt Cortés nach, wenn er vom "señor de la isla" Gehorsam verlangt: "que quería de ellos no otra cosa que los caciques indios de aquella isla obedeciesen también a Vuestras Altezas" (ebd.: 121). Die Antwort des Häuptlings – "que era contento de lo hacer ansí" (ebd.: 121) – kann folglich als ein  Gehorsamseid gelten, der dann – und dies weiterhin implizit – bei der




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Vollversammlung von allen Stammesführern anerkannt wird: "holgaron mucho de todo lo que el dicho capitán Fernando Cortés había dicho a aquel cacique, señor de la isla y así los mandó [Cortés] volver" (ebd.: 121). Das Wort "mandó" ist hier besonders signifikant – deutet es doch an, daß Cortés nunmehr als Befehlshaber handelt. Die suggestive Botschaft des Wortes liegt auf der Hand: Analog dazu, daß das Herr-Vasall-Verhältnis durch den feudalen juramento erneut bestätigt wird, ist es Cortés gelungen, durch die Versammlung der Indio-Anführer deren Unterwerfung zu sichern.

Diese politische Symbolik der Kaziken-Versammlung wird noch durch eine weitere, religiöse Konnotation überschrieben. Aufschlußreich dafür ist das Motiv des Briefes. Cortés sendet – man erinnere sich – mehrere Briefe, um die Indio-Anführer zu sich zu laden. Die erste Briefsendung erfolgt bezeichnenderweise, nachdem Cortés den indianischen Boten erklärt hat, er sei gekommen, "para que vieniesen [los indios] en conocimiento de nuestra santa fe católica" (ebd.: 119). Die danach versandten Briefe weisen dann auch eine evangelische Symbolik auf, wie sie in der christlichen Schriftkultur begründet liegt. Bekanntermaßen bedienten sich die Apostel der epistolaren Gattung, um die Verbindung zu den Gemeinden zu halten bzw. den Gläubigen das Evangelium zu verkünden. Ebendiese biblische Assoziation wird bei Cortés durch das Brief-Motiv aufgerufen und wenn er nach seinem ersten, unbeachtet gebliebenen Schreiben weitere Einladungsbriefe verschickt, so scheinen deren eigentlicher Adressat nicht so sehr die Kaziken sondern vielmehr der König als Empfänger seiner "Carta" zu sein. Denn Karl ist schließlich derjenige, der die dort erzählte Briefsendung als eine symbolische Handlung verstehen soll: Indem Cortés unermüdlich an die heidnischen Stämme schreibt, spielt er die Rolle des Apostels und erfüllt damit stellvertretend jenen Missionsauftrag, der Karl als christlichem Herrscher über die Neue Welt zukommt.

Die durch das Brief-Motiv aufgerufene christliche Sinndimension wird in der zweiten Cozumel-Episode – der Befreiung der spanischen Gefangenen – weiter ausgeschrieben. Es handelt sich dabei um die Befreiung von Jerónimo de Aguilar, der Cortés bei seinem weiteren Eroberungsfeldzug als Dolmetscher großen Dienst erweisen soll. Der Hergang des Geschehens wird in der "Carta" folgendermaßen berichtet: Während seines Aufenthaltes in Cozumel erfährt Cortés, daß einige Spanier seit sieben Jahren in Yucatan von den Indios gefangen gehalten würden. Sogleich will er mit der ganzen Flotte aufbrechen; doch die Steuermänner, die das gefährliche Gewässer kennen, raten ihm davon ab. Cortés greift nun auf seine bewährte Methode zurück: Er schreibt einen Brief – diesmal an die Spanier –, in dem er diesen zur Flucht rät und ihnen Abholhilfe zusichert.15 Drei Tage nach der Entsendung der indianischen Boten schickt Cortés, besorgt um deren mögliches Versagen, zwei kleine Segelschiffe mit vierzig Soldaten zum vereinbarten Treffpunkt. Dort ankert die Mannschaft sechs Tage lang unter widrigen Bedingungen vor der wilden Küste.16 Als sie schließlich mit leeren Händen zum Hauptquartier zurückkehrt, entscheidet sich Cortés, ungeachtet aller Gefahr selbst zu fahren. Kaum steht die Flotte zur Abfahrt bereit, hebt plötzlich ein heftiger Gegenwind an, so daß die Armada wieder ausgeschifft werden muß.17 Die Lage scheint hoffnungslos; doch am nächsten Tag geschieht das Unerwartete: Um die Mittagzeit sieht man ein Kanu herbeisegeln, das einen der Gefangenen – ebenjenen Jerónimo de Aguilar – zu seinen Landleuten  zurückbringt.




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Auf der Handlungsebene besteht die Gefangenen-Episode aus einer Reihe zunächst frustrierter Rettungsversuche, die schließlich dank unvorhergesehener Umstände – des Gegenwindes und der dadurch verzögerten Abfahrt – erfolgreich zu Ende geht. Wenn ein solcher Ausgang in Cortés' Erzählung mehr als ein glücklicher Zufall zu sein scheint, so rührt dies von einer christlichen Kodierung her, vermittels deren die Befreiungsaktion von Anbeginn in einen heilsgeschichtlichen Bedeutungsrahmen gerückt wird. Die zentrale Chiffre hierfür liegt in der Temporaldeixis, die mit der 7 und der 9 zwei der wichtigsten Zahlen in der christlichen Numerologie aufweist. Die Zahl 7 bezieht sich im Text auf die Gefangenschaft der Spanier: "supo el capitán que unos españoles estaban siete años había cativos" (ebd.: 121); die Zahl 9 ergibt sich aus den beiden Zeitangaben im Zusammenhang mit der Befreiungsaktion: "Tres días después que el dicho capitán despachó a aquellos indios con sus cartas" schickt Cortés die kleine Rettungsmannschaft aus, die ihrerseits weitere 6 Tage an der Küste von Yucatan vergeblich auf die Spanier wartet – "estuviéronlos esperando en la dicha costa seis días con mucho trabajo" (ebd.: 121). Insgesamt 9 Tage beträgt also die Wartezeit, bis Cortés seinen letzten Befreiungsversuch unternimmt. Bei der hier vorliegenden Kombination von der 7- und 9-Zahl sticht deren jeweilige christliche Bedeutung ins Auge. Als jene heilige Zahl, wie sie die Menora repräsentiert, steht die Zahl 7 als Zeichen des Sabbats in der exegetischen Tradition für das Alte Testament und das Gesetz. Im Gegensatz dazu ist die 9-Zahl mit dem Neuen Testament verbunden, da sie aufgrund des Todes Christi in der neunten Stunde metonymisch auf das Sühneopfer und die Erlösung verweist (Meyer 1975: 136). Solcher Zahlensymbolik zufolge ruft das Zusammenspiel von 7 und 9 jene typologische Gegenüberstellung auf, wonach der Alte Bund die Zeit des Gesetzes bedeutet, die durch den Neuen Bund als die Zeit der Gnade abgelöst wird. Ebendieser typologische Sinn wird in Cortés' Erzählung evoziert: Während die Gefangenschaft der Spanier durch die alttestamentarische 7-Zahl als Zeit des Gesetzes allegorisch lesbar wird, steht die mit der Erlösungszahl 9 markierte Wartezeit während der Befreiungsaktion im Zeichen der Gnade.

Derart numerologisch kodiert erweist sich nun die Gefangenen-Episode als zentral für die gesamte christliche Überschreibung der Eroberung in den "Cartas de relación". Im Rahmen der dabei zahlenallegorisch aufgerufenen Typologie kommt Cortés' Unterfangen die Bedeutung einer heilsgeschichtlichen Zeitenwende zu: Der temporaldeiktische Übergang von 7 Jahren zu 9 Tagen, die sich jeweils auf die Zeit der Gefangenschaft und die Zeit der Befreiung beziehen, deutet allegorice auf eine Zeitenwende in der Neuen Welt hin, deren alte, heidnische Zeit unter indianischer Herrschaft nunmehr durch eine neue christliche Zeit überwunden zu werden beginnt. In der Befreiung der Spanier offenbart sich ein Heilstelos, das – gleichsam im Sinne des Paulinischen "Christus nos redemit de maledicto legis" (Gal. 3,13) – als die Erlösung aus der Verdammung im heidnisch-indianischen Gesetz verstanden werden kann.18 Ein dermaßen heilsgeschichtlich bedeutsamer Befreiungsakt kann freilich nicht kraft menschlicher Anstrengungen, sondern nur durch die Gnade Gottes vollbracht werden. Aus diesem Grund scheitern Cortés' Rettungsversuche von Anbeginn auf Schritt und Tritt, bis endlich das göttliche Wunder sich in einem Gegenwind manifestiert, der Jerónimo de Aguilar wie von selbst zurückbringt. Eine providentielle Deutung des Geschehens liefert dann auch Cortés:




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Y túvose entre nosotros aquella contrariedad de tiempo que sucedió de improviso, como es verdad, por muy gran misterio y milagro de Dios, por donde se cree que ninguna cosa se comienza que en servicio de vuestras majestades sea que pueda suceder sino en bien. (Cortés 1993: 124)

Die kollektive admiratio ist hier im echten Sinne des Wortes theatralisch; denn sie ruft das Mirakelspiel auf – eine der populärsten Gattungen des christlichen Theaters seit dem Mittelalter, dessen typische Schlußperipetie gerade darin besteht, daß eine hoffnungslose Situation durch eine wundersame Gnadentat Gottes gelöst wird. Auf ähnlich mirakulöse Weise läßt auch Cortés seine Befreiungsaktion enden, deren wundersames Gelingen indes nicht schon für sich bedeutungsvoll ist, sondern vielmehr gemäß der typologischen Progression ein weiteres Wunder ankündigt. Dieses geschieht wenig später mit der Schlacht von Centla, bei der 400 Spanier eine 40.000 Mann starke Maya-Allianz besiegen.19 Kein Wunder also, daß Cortés seinen Sieg als Willen Gottes erklärt:   

Crean vuestras reales altezas por cierto que esta batalla fue vencida más por la voluntad de Dios que por nuestras fuerzas, porque para cuarenta mil hombres de guerra poca defensa fuera cuatrocientos que éramos nosotros. (Ebd.: 132)

Strukturell relevant ist dieser auktoriale Kommentar insofern, als damit ein zweites, auf die  Rückkehr des Jerónimo de Aguilar folgendes Ereignis providenziell gedeutet wird. Daß sich der Sieg von Centla typologisch auf die Befreiung beziehen läßt, zeigt sich noch deutlicher anhand der Ereignisse nach der Schlacht. Cortés schließt Frieden mit den Tabasco-Indios und läßt ein großes Kreuz aus Holz errichten. Erst als die Besiegten versichern, daß sie das Kreuz anbeten und verehren würden, ist die Unterwerfung vollständig: "quedando los dichos indios en esta manera por nuestros amigos y por vasallo de Vuestras Reales Altezas" (ebd.: 132). Fällt hierbei die Kapitulation der Indianer mit deren Bekehrung zusammen, so steht das Kreuz zeichenhaft für jenen Anbruch der neuen, christlichen Zeit, die sich bereits in der 9-tägigen Wartezeit während der Befreiungsaktion zahlensymbolisch angekündigt hatte. 

Wie man an der bisher beschriebenen christlichen Kodierung der Einzelstationen sieht, erzählt Cortés von der ersten Phase seiner Expedition im Sinne einer typologischen Progression, deren erster Höhepunkt – hier trifft das Christliche auf das Epische – die Gründung der Stadt Veracruz bildet. Folgt man weiterhin der Strukturlogik der Typologie, so deutet die Stadtgründung am Ende der ersten "Carta" ihrerseits auf eine zweite, noch großartigere Gründung voraus – die Gründung der Nueva España nämlich, die Cortés – analog zum ersten Brief – am Ende des zweiten Briefes dem nunmehr zum Kaiser gewählten Karl vorschlägt.20 Über die Strukturanalogie zwischen den beiden ersten "Cartas" hinaus hat die zweite Gründung auch im Rahmen der zweiten "Carta" einen typologischen Sinn und zwar insofern, als sie hier das Ende eines Gründungsnarrativs bildet, wonach die Eroberung des Aztekenreichs dessen mythische translatio auf das Habsburger Imperium bedeutet.21 Die zentrale Stelle hierzu ist die berühmte Rede des Moctezuma, in der dieser seine 'freiwillige' Machtübergabe an Cortés verkündet. Die




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apokryphe Rede (Guzman 1958)22 wird bei Cortés als eine direkte Rede wiedergegeben, in der Moctezuma seine Unterwerfung vermittels einer Ursprungserzählung begründet. Moctezuma erzählt von einer schriftlichen Überlieferung, wonach die Mitglieder seines Volkes selbst als Fremde unter der Führung eines "señor natural"23 ins Land gekommen seien. Danach sei der 'señor natural' wieder heimgekehrt und als er nach einiger Zeit wiedergekommen sei, habe er es nicht mehr vermocht, seine bereits ansäßig gewordenen Untertanen dazu zu bewegen, an ihren Ursprungsort zurückzukehren. So sei er abermals zu seinem Ursprungsort zurückgekehrt; doch eines Tages – und das wisse man seit jeher – würden seine Nachfahren kommen, um seine einstigen Untertanen erneut zu unterjochen. Nun glaube er – so sagt Moctezuma –, daß der Herr, der Cortés hergeschickte habe – also Karl V. –, der 'señor natural' seines Volkes sei. Daher heißt er den Spanier nicht nur willkommen, sondern bittet ihn, nach Belieben über sein Land zu gebieten.

Die in der Moctezuma-Rede erzählte Ursprungsgeschichte ist bekanntermaßen schon während der Conquista mit dem Quetzalcoatl-Mythos in Verbindung gebracht worden (Restall 2003: 108–129). Bernadino de Sahagún etwa wußte zu berichten, daß Cortés als jener entrückte Schlangengott angesehen worden sei, der der Legende zufolge bei seiner Rückkehr das Reich wieder in Besitz nehmen würde (Sahagún 1990: Bd. II, 567). Der Franziskaner trug damit zur Herausbildung einer Cortés / Quetzalcoatl-Legende bei, die als Erklärung für die verhängnisvolle Passivität von Moctezuma bereits zu Lebzeiten des Konquistadors rasche Verbreitung fand (Carrasco 1982: 210–40). Auch in der modernen Geschichtsschreibung ist die Legende der Vergöttlichung des Cortés bzw. der Spanier durch die Indigenen beliebt, wenn es darum geht, deren Handlungsunfähigkeit angesichts der fremden Invasoren verständlich zu machen.24 Dieser populären Patenterklärung steht die Conquista-Forschung jedoch zusehends kritisch gegenüber. Wie schon J. Elliot vermutet auch M. Restall, daß es sich bei der Identifikation von Cortés mit Quetzalcoatl um eine Erfindung der Franziskaner handelt, die um 1530 in Umlauf gebracht wurde und die providenzielle Deutung der Eroberung propagieren sollte (Elliott 1986: 36; Restall 2003: 113ff.). Die Cortés-Apotheose – wie Restall das Phänomen nennt – gehört so betrachtet zu jener Gruppe von Kolonialmythen, die die kulturelle Minderwertigkeit der Ureinwohner dadurch vermitteln, daß diese als ein naiv, primitiv denkendes Volk darstellt werden, das die Spanier für göttliche Wesen hält und daher den Widerstand scheut.

Hat man also – wie es mir plausibel scheint – von einer nachträglichen Konstruktion der Cortés / Quetzalcoatl-Legende auszugehen, so bedeutet dies für die Cortés-Lektüre, daß der Einfluß des einheimischen Mythos auf die Moctezuma-Rede als einigermaßen ungewiß eingestuft werden kann. In diesem Fall stellt sich die Frage, wie die dort enthaltenen mythischen Elemente anders zu erklären sind. Eine mögliche Antwort liegt meines Erachtens in jener Figur, an die die Moctezuma-Rede als Kernargument der "Segunda Carta" gerichtet ist, nämlich Karl V. Die Figur Karls ist in diesem Zusammenhang insofern bedeutsam, als sie exemplarisch für eine politisch motivierte Arbeit am Mythos steht, wie sie in der Cortés vertrauten Herrschaftskultur eine althergebrachte Legitimationsstrategie ist. Davon zeugt die bereits erwähnte genealogische Legende der Habsburger, die sich an die trojanische




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Ansippung von Karl dem Großen anschließt und wie im letzteren Fall dazu dient, den imperialen Machtanspruch dynastisch zu begründen. Eine ebensolche politische Pragmatik eignet auch der Mythenbildung um Karl selbst, dessen Kaiserwahl sich nicht zuletzt einer Image-Kampagne verdankte, die ihn zu einer multiplen Inkarnation des Kaisermythos stilisierte – zum Nachfolger des Aeneas, dem Restaurator des augusteischen Reichs, dem zweiten Karl den Großen und nicht zuletzt zu jenem Endzeitkaiser, der nach der christlichen Apokalyptik das Goldene Zeitalter wiederbringt (Reeves 1993: 359–374).

Die historische Mystifizierung Karls scheint mir für das Verständnis des Cortesianischen Schreiben nicht ohne Belang. Denn, wie sich gleich zeigen wird, hat Cortés in der Moctezuma-Rede nicht nur einige zentrale Motive aus der mythischen Konfiguration Karls, sondern damit auch einen Legitimationsdiskurs übernommen, bei dem die Ursprungserzählung immer schon der Legitimation imperialer Politik dient. Aufschlußreich hierfür ist das Motiv der Prophezeiung, das in Cortés' Bericht insofern eine zentrale Rolle spielt, als Moctezuma seinen Rücktritt wesentlich mit einer Voraussage begründet, wonach die Nachfahren des 'señor natural' zur abermaligen Unterwerfung von dessen Untertanen zurückkehren würden. Um die Funktion der prophetischen Rede bei Cortés zu begreifen genügt es, sich den Ahnenkult der Habsburger abermals in Erinnerung zu rufen – setzt doch Karl als Nachfahre des Aeneas eine politische Kultur fort, in der die Konstruktion prophetischer Rede selbstverständlich zur Legitimationsstrategie gehört (ebd.: 320–392). Diese Tradition ist bereits in Vergils Epos mit der Figur des Aeneas verbunden, dessen Gründungsauftrag durch die Seherin Sybille von Cumae verkündet und somit als göttliche Prädestination legitimiert wird. Die epische Reichsverheißung dient nun der Realpolitik bei Karls Kaiserwahl, im Zuge deren vor allem solche prophetische Schriften vermehrt zirkulieren, die sich u.a. auf die sybillinischen Weissagungen berufen und Karl als einen zweiten Karl den Großen identifizieren, der das christliche Universalreich zur Vollendung bringen wird (ebd.: 359–362). Cortés bedarf also keines profunden Wissens über die aztekische Mythologie, um die (Selbst-)Entmachtung Moctezumas auf eine Weissagung zu stützen. Vielmehr erweist sich Cortés als ein Kenner der politischen Praxis, wenn er – ebenso wie sein König Karl –  Prophetien als politisch interessierte Rede zu gebrauchen weiß.

Aus der mythischen Genealogie Karls erklärt sich auch ein weiteres Hauptmotiv der Moctezuma-Rede, das sich auf den bereits angesprochenen Inhalt der Prophetie bezieht – die Rückkehr der Nachfahren des 'señor natural'. Auch dieses Motiv hat eine epische Provenienz. In der Aeneis ist es nämlich so, daß die Fahrt der Trojaner nach Italien mit deren Rückkehr zum genealogischen Ursprung zusammenfällt. Dies weiß man von der Analepse im Dritten Gesang, als Aeneas Dido erzählt, wie ihm Götter-Bilder erscheinen und weissagen, daß er nach Italien fahren werde, denn "[d]as ist unsere eigentliche Heimat, von da stammt Dardanus und auch Vater Iasius, der Ahnherr unseres Volks"25. Der Sinn dieser Herkunftserklärung erhellt sich spätestens dann, wenn der in Latium angekommene Aeneas gegen den von Turnus angeführten italischen Völkerbund in den Krieg zieht. Was den Waffengang des




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Neuankömmlings legitim erscheinen läßt, ist gerade der vorher weisgesagte Ursprung der Trojaner aus Italien. Demnach fällt auch Italien keiner Fremdherrschaft anheim, wenn Aeneas den einheimischen Fürsten Turnus erschlägt und dessen einstige Verlobte Lavinia heiratet. Vielmehr kehrt mit dem siegreichen Aeneas ein autochthoner Fürst zurück, der das Land seines Vorfahrens wieder in Besitz nimmt. An diesen Begründungszusammenhang erinnert die Moctezuma-Rede dadurch, daß hier – parallel zu der im Epos vorhergesagten Rückkehr der Trojaner in das Land ihres Ahnherrn – die Rückkehr der Nachfahren des 'señor natural' weisgesagt wird. Wie schon bei Vergil dient das Rückkehr-Motiv auch bei Cortés der Umdeutung eines Eroberungskriegs zu einer legitimen Rückeroberung: Indem Moctezuma Karl V. mit dem legendären 'señor natural' identifiziert, bedeutet die spanische Eroberung des Aztekenreichs keine fremde Unterwerfung mehr, sondern die Wiederherstellung einer durch das Ungehorsam der Untertanen zerstörten Herrschaftsordnung.

Der Kaisermythos bietet schließlich auch einen Schlüssel zur Auslegung der Botschaft Moctezumas, also seiner freiwilligen Machtaufgabe, an. Hierbei ist nicht so sehr die episch-trojanische als vielmehr die christliche Konfiguration Karls von Bedeutung. Diese besteht, wie bereits erwähnt, in seiner Identifikation mit jenem Endzeitkaiser (Tanner 1993: 128ff.), dessen Friedensherrschaft nach der herkömmlichen Weissagungsapokalyptik dem Weltende vorausgeht.26 Der Endzeitkaiser – um seine legendäre Vita kurz zu resümieren – soll ein Nachkomme des Aeneas sein27, der den Universalfrieden stiftet und die christliche Mission dadurch vollendet, daß er alle Heiden bekehren oder andernfalls töten wird. Danach wird er – so geht die Prophetie weiter – nach Jerusalem gehen, wo er das Diadem und das königliche Gewand ablegt und die Herrschaft Gottvater bzw. Christus überläßt. Der Mythos des Endzeitkaisers wurde zwar schon vor Karl auf dessen Großvater Maximilian übertragen, der durch seine Ehe mit Maria von Burgund die Einheit von Adler und Lilie – d.h. den deutschen und französischen Zweig des Imperiums – verkörperte. Doch erst mit Karl scheint sich die Weissagung über den Endzeitkaiser zu bewahrheiten. In diesem Zusammenhang spielt Karls spanisches Erbe keine geringere Rolle. So erhielt Karl durch die Katholischen Könige die nominelle Herrschaft über Jerusalem und erfüllt damit die Voraussetzung für die  Kronablegung des Endzeitkaisers auf dem Ölberg (Tanner 1993: 127). Mit Jerusalem ist auch ein anderes spanisches Erbe Karls symbolisch verbunden, nämlich die Neue Welt, deren Eroberung von Columbus als jenes Ereignis gedeutet wurde, das ein prominentes Endzeitgeschehen – die christliche Rückeroberung Jerusalems unter nunmehr spanischer Führung – ankündigt. Unter diesem dynastischen Vorzeichen wundert es nicht, daß Jean Lemair de Belge 1511 im damals gerade elfjährigen Karl den legendären Friedenskaiser gesehen hat (ebd.: 128). Ebenso wenig überraschend ist es, daß die apokalyptische Modellierung Karls bei der Kaiserwahl eine intensive Bearbeitung erfuhr (ebd.: 128ff.): Als Herrscher über ein Weltreich schien Karl nachgerade prädestiniert dafür zu sein, den Universalfrieden und die ebenfalls im Regnum des Endzeitkaisers erwartete totale  Christianisierung der Welt zu vollbringen.




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Bei Cortés erfährt der zur Entstehungszeit der "Cartas" bereits auf Karl zugeschnittene Mythos des Endzeitkaisers eine außerordentliche Übertragung. Dies betrifft die zentrale Handlung der Moctezuma-Rede: die Machtaufgabe. Wenn Moctezuma dort verkündet, seine Herrschaft an den Gesandten des 'señor natural' abzugeben, so scheint Cortés damit ebenjene Abschlußhandlung des Endzeitkaisers zu zitieren, bei der dieser die Königsinsignien ablegt, um die Weltherrschaft dem Herrn wiederzugeben. Die mythische Konstellation Endzeitkaiser – Gott / Herr wird dabei auf das Verhältnis zwischen Moctezuma und Karl V. überschrieben. Moctezuma kommt bei Cortés also die Rolle des Endzeitkaisers zu, die in jenem Moment erkennbar wird, als er seine Kleider anhebt – "alzó las vestiduras" (Cortés 1993: 211) –, um seinen nackten Körper öffentlich zu zeigen: "a mi veisme aquí que so de carne y hueso como vos y como cada uno, y que soy mortal" (ebd.: 211). Ebenso wie der Endzeitkaiser im Entkleidungsakt seine Macht an Gott abgibt, legt Moctezuma, indem er seinen natürlichen Körper sichtbar macht, seinen symbolischen Körper des Herrschers performativ ab. Was die figurale Analogie zwischen Karl V. und Gott / Herr angeht, so übergibt Moctezuma die Macht einem einst weggegangen 'señor natural', dessen Position folglich mit der des der Welt entrückten Herrn korrespondiert, dem der Endzeitkaiser seinerseits die Macht abgibt. Beide Figuren des Machtempfängers – die des 'señor natural' in der Moctezuma-Rede und die von Gottvater / Christus in der Endzeitkaiser-Legende – werden schließlich in der Figur Karls V. in eins gesetzt. Von Moctezuma als 'señor natural' identifiziert verkörpert Karl den Anfang und das Ende des Aztekenreichs, dessen Schicksal sich gerade dadurch erfüllt, daß es Karl als Stellvertreter des christlichen 'Herrn' 'zurückgegeben' wird.

Die Rede des Moctezuma – um die vorausgegangene Lektüre zu resümieren – ist nicht zuletzt deshalb ein Herzstück der Eroberungsliteratur, weil eine von deren wesentlichen Schreibstrategien – die performative Konstruktion des Gründungsnarrativs – dort auf nachgerade idealtypische Weise zur Realisierung kommt: Ein Eroberungsgeschehen – die Entmachtung des Moctezuma – wird in dessen direkter Rede 'dokumentiert' und dabei simultan in eine Gründungserzählung übersetzt. Letztere basiert – nach dem Prinzip der narrativen inventio – auf dem christlichen Geschichtsmodell, womit die Eroberung von Mexiko als eine mythische translatio dargestellt wird, bei der das wegen des Ungehorsams der Gründergeneration immer schon korrumpierte Aztekenreich durch das nunmehr vom spanischen Monarchen geführte Imperium Christianum abgelöst wird. Betrachtet man ferner die Rede des Moctezuma als einen von Cortés inszenierten Sprechakt, so läßt sich an dieser besonderen Binnenpragmatik der Gründungserzählung eine weitere Legitimationsstrategie erkennen. Sie besteht darin, koloniale Handlung nicht (nur) aus dem Blickwinkel des Eroberers, sondern durch den eroberten / kolonisierten Anderen zu rechtfertigen. Dies ist nämlich der Fall, wenn Cortés seinen unlizenzierten Angriffskrieg vermittels eines performativen Sprechaktes legitimiert, worin der Besiegte den Herrn des Invasoren als seinen 'señor natural' anerkennt und seine Abdankung erklärt. Damit nimmt Cortés das von Columbus etablierte Handlungsmuster kolonialer Landnahme auf – allerdings mit dem Unterschied, daß der performative Sprechakt im Gegensatz zu Columbus' Landnahme nicht mehr vom Eroberer, sondern von dem eroberten Anderen hervorgebracht wird.




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Die Rede des Moctezuma stellt den Höhepunkt von Cortés' Expedition dar. Sie schließt aber zugleich an deren Anfang, also an die Kaziken-Versammlung an. Denn schon dort geht es – man erinnere sich – um die Simulation eines performativen Sprechakts, des juramento nämlich, der die ihn 'ausführenden' Indio-Anführer als diejenigen erscheinen läßt, die Cortés eine weder verwaltungstechnisch noch rechtlich begründete Führungsposition zuerkennen. Wie zuvor die Kaziken ist später Moctezuma der Andere, vermittels dessen öffentlicher Performanz Cortés einen eigenmächtig geführten und mithin unrechtmäßigen Eroberungskrieg legitimiert. In beiden Fällen wird der Andere erzählerisch so manipuliert, daß sein Handeln gewissermaßen zu einer Projektionsfläche wird, die den Eroberer als legitimen Herrscher zum Vorschein bringt. So erscheint Cortés in seiner Erzählung vom juramento der Kaziken als deren anerkannter Herr, während die Rede des Moctezuma solche mythische Anspielungen aufweist, die Karl V. als Träger einer transatlantischen Reichsübertragung erkennen lassen. Die Selbstlegitimation durch den Anderen – so könnte man diese koloniale Strategie benennen – ist es, die in den "Cartas de relación" zum ersten Mal systematisch zur Anwendung kommt. Sie funktioniert nach dem Prinzip einer Dialektik, bei der sich der Kolonialherr – ganz im Sinne von Hegels Herr-und-Knecht-Parabel (Hegel 1970: 144–155) – durch die Anerkennung von Seiten des kolonisierten Anderen konstituiert. Für eine solche koloniale Anerkennungsdialektik mag der Auftritt des Moctezuma das spektakulärste Beispiel sein. Ihre volle Bedeutung für den Kolonialdiskurs zeigt sich jedoch erst in den Naufragios von Cabeza de Vaca, wo es die Indios sein werden, deren 'wahrer' Glaube den Kolonisator zum Heiland macht.

III.

Naufragios bilden in mehrerlei Hinsicht das Gegenstück zu den ersten beiden "Cartas de relación" von Cortés. Dafür spricht zuvörderst die Expeditionshandlung, die bei Cortés zu einer siegreichen Eroberung führt, bei Cabeza de Vaca hingegen mit dem Schiffbruch katastrophal scheitert. Ein weiterer Kontrast fällt in Anbetracht des Missionsmotivs auf: Während sich Cortés von Anbeginn als beharrlicher Evangelist präsentiert, scheint Cabeza de Vaca im Gegensatz dazu eine umgekehrte Konversion zu vollziehen, wenn er nicht nur die Sprache und die Gewohnheiten der Einheimischen, sondern auch deren nackte Erscheinungsform annimmt. Diese Gegensätze auf der Geschichtsebene finden auf der Ebene der Erzählstruktur darin eine Entsprechung, daß dem Mexiko-Bericht des Cortés das Narrativ des Gewinners, wohingegen der Florida-Erzählung des Cabeza de Vaca das Narrativ des Verlierers eignet. Begrifflich geht diese Opposition auf die Epik-Analyse von David Quint zurück, der anhand ihrer die Aeneis beleuchtet hat (Quint 1993): Während sich das Sieger-Narrativ in einer episch-teleologischen Progression entfaltet, deren linearer Verlauf die Geschichte des Siegers – bei Vergil ist damit die römische Geschichte von Aeneas bis zu Augustus gemeint – im Sinne einer unbeirrten "history-as-triumph" (ebd.: 33) darstellt, weist das Verlierer-Narrativ eine zyklisch-romaneske Struktur auf, die im Schiff des heimkehrenden Odysseus ihr ursprüngliches Sinnbild hat und sich bei Vergil auf die Irrfahrten des Aeneas nach dem verlorenen Troja-Krieg bezieht (ebd.: 34). Beide Erzählformen stehen, so Quint weiter, für eine politische konnotierte Opposition zwischen "the victor's epic teleology and the




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romance aimlessness and circularity of the vanquished" (ebd.: 50). Nach diesem doppelten, strukturellen wie ideologischen Gegensatz läßt sich schließlich in der Gattungstradition eine Epik des Siegers von einer Epik des Verlierers unterscheiden: Mustergültig für die Gewinner-Epik ist die Aeneis, in der die biographische Entwicklung des Aeneas vom Kriegsflüchtling zum Eroberer mit dem Telos der Reichsgründung zusammenfällt. Paradigmatisch für das Verlierer-Epos steht Lucans Pharsalia, in der die Niederlage der republikanischen Partei während des römischen Bürgerkrieges in einer multiplen Digression erzählt wird (ebd.: 133–157). Damit etabliert Lucan ein anti-Vergilsches Modell, das u.a. in Ercillas Araucana wieder aufgerufen wird und so auch Eingang in die Gründungsliteratur der Neuen Welt gefunden hat (ebd.: 157–185).

Die von Quint formulierte narrative Opposition läßt sich nun auf die Texte von Cortés und Cabeza de Vaca übertragen: Während Cortés mit der Aeneis auf das Strukturmuster des Gewinner-Narrativs zurückgreift, um seine Expedition ins Reichstelos des Habsburger-Spaniens einzuschreiben, beginnt mit dem Schiffbruch für Cabeza de Vaca eine Wanderung, die – gemäß dem romaneken Schema des Verlierer-Narrativs – aus mehrfachen Aufenthaltszyklen bei den verschiedenen Indio-Stämmen besteht und in deren Verlauf sich ein totaler Verlust seiner kulturellen Identität abzuzeichnen scheint.28 Dieser strukturelle Unterschied zwischen den Texten von Cortés und Cabeza de Vaca impliziert jedoch – hier weicht die Eroberungsliteratur von Quints Epik-Theorie ab – keinen ideologischen Gegensatz etwa in dem Sinne, daß jenes imperiale Projekt, das bei Cortés in einem teleologischen Narrativ aufgeht, in Naufragios durch das zyklische Erzählen von einer mißglückten Territorialerkundung invertiert oder unterwandert werden würde.29 Das Gegenteil ist vielmehr der Fall; denn ebenso wie das epische Gewinner-Narrativ bei Cortés erfährt auch das romaneske Verlierer-Narrativ bei Cabeza de Vaca eine christliche Überformung, in deren Licht der gescheiterte Kolonisator dann auch als Gewinner erscheint: als Massenbekehrer der Indios und mithin spiritueller Eroberer der Neuen Welt. Diese christliche Überschreibung zeigt sich auf der Handlungsebene anhand solcher Elemente, die, wie E. Pupo-Walker vor längerem nachwiesen hat (Pupo-Walker 1987: 517–539), eine deutliche hagiographische Konnotation aufweisen. Da ist zuvörderst die berühmte Nacktheit, aufgrund deren Cabeza de Vaca gerne als ein kultureller Überläufer pro-indianischer Art gesehen wird,30 die sich auf einer symbolischen Ebene jedoch als ein altes Motiv der christlichen Askese erweist, das die Abkehr vom irdischen Leben und die damit verbundene geistige Erneuerung versinnbildlicht. Auch die wundersamen Heilungen, die Cabeza de Vaca immer wieder vollzieht, gehören zum Repertoire der Heiligen, deren legendäre Heilkunst wiederum in der Krankenheilung Jesu ihr biblisches Vorbild hat. Wenn schließlich die Indios den für Heiler gehaltenen Spaniern Gefolgschaft leisten, um sie von einem Dorf zum anderen zu begleiten, so hat eine solche kollektive Verehrung ebenfalls einen legendarischen Ursprung. In mittelalterlichen Volkserzählungen kommt es nämlich nicht selten vor, daß Aposteln oder Bettler-Heiligen Anhänger folgen, die – ähnlich wie die Indios bei den wundertätigen Spaniern  –  an der Glückseligkeit der Heiligen teilhaftig zu werden erhoffen (ebd.).




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Mit der christlichen Überschreibung stehen die Naufragios nun in einer besonderen Erzähltradition der Eroberungsliteratur. Der Gründungstext hierfür ist die Relación del cuarto viaje, in der Columbus von seiner letzten, durchweg gescheiterten Reise berichtet. Diese beginnt – so erzählt Columbus – mit einem Sturm, der die Flotte auseinandertreibt und das Flaggschiff zum Untergang bringt. Besteht die Reise auch im weiteren Verlauf aus einer Reihe fruchtloser Landungen, so erweist sich das dadurch offenkundige Scheitern dennoch als ein vorläufiges und zwar im Hinblick auf jenes Telos der Endzeit, das Columbus – wie oben erläutert – seiner Erkundungsfahrt durch deren typologische Bezugssetzung mit der Rückeroberung Jerusalems zuschreibt (Colón 2003: 498). Die christliche Überschreibung bewirkt so betrachtet eine narrative Umkehr, bei der das faktische Scheitern durch das heilsgeschichtliche Fernziel positiviert wird. Eine ähnliche Umkehrdynamik eignet nun auch der religiösen Überformung in Naufragios, womit das im Titel angekündigte Verlierer-Narrativ in eine geistige Progression qua peregrinatio umgeschrieben wird (Lewis 1982; Merrim 1996). Diese narrative Transformation zeichnet sich auf der Figurenebene durch eine 'innere' Verwandlung des Ich-Erzählers ab. Aufschlußreich hierzu ist jene Stelle, wo die Wanderschaft der Spanier als ein Passionsweg beschrieben wird:

Ya he dicho cómo por toda esta tierra anduvimos desnudos; y como no estábamos acostumbrados a ello, a manera de serpiente mudábamos los cueros dos veces en el año, y con el Sol y el aire hacíansenos en los pechos y en las espaldas unos empeines muy grandes, de que recibíamos muy gran pena por razón de muy grandes cargas que traíamos, que eran muy peasadas; y hacían que las cuerdas se nos metían por los brazos. La tierra es tan áspera y tan cerrada, que muchas veces hacían leñas en montes, que cuando la acabábamos de sacar nos corría la sangre, de las espinas y matas con que topábamos […]. […] No tenía, cuando estos trabajos me veía, otro remedio ni consuelo sino pensar en la pasión en nuetro redentor Jesucristo y en la sangre que por mí derramó, y considerar cuánto más sería el tormento de las espinas él padeció que no aquél que yo sufría. (Álvar Nuñez 2003: 161f.)

Ganz im Einklang mit der christlichen Symbolik der Askese kennzeichnet die Nacktheit hier einen Übergang, auf den der Hautwechsel der alttestamentarisch konnotierten Schlange metaphorisch hindeutet und während dessen der 'indianisierte' Körper allmählich zu jenem Ort wird, an dem die schmerzhaften Hautverhärtungen gleichsam als die Stigmata des Märtyrers erwachsen. Die Symbolik des Martyriums setzt sich deutlich fort mit der Erklärung, daß die Hautschmerzen vom Tragen der schweren Lasten vermittels der an die Schultern gehängten Seile herrühren – von einer Handlung mithin, die nachgerade bildlich an den kreuztragenden Jesus auf dem Passionsweg erinnert. Sinnfälliger noch wird die imitatio Christi durch die Schilderung der qualvollen Tätigkeit des Holzfällens, in der die Lexeme "sangre" und "espina" die ikonographische Darstellung der Passion aufrufen. Führt der Ich-Erzähler schließlich an, daß allein der Gedanke an die Passion Christi ihm Trost bei seinen alltäglichen Martern gespendet habe, so deutet auch diese Innenschau auf eine Form christlicher Askese hin. Die Vergegenwärtigung der Passion Christi, wie sie Cabeza de Vaca ausführlich erzählt, ließe sich nämlich mit dem 'weißen' Martyrium assoziieren – einer asketischen Praxis, die im Gegensatz zum 'roten', blutigen Martyrium nicht auf die physische, sondern auf die geistige mortificatio abzielt.31




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Wie man an dieser Textstelle sieht, bedeutet die Nacktheit bei Cabeza de Vaca alles andere als ein Zeichen des going native. Die äußere Indianisierung geht vielmehr mit einer inneren (Rück-)Verwandlung einher, die dem von Kulturverlust bedrohten Spanier die alte christliche Identität in einer neuen Form wiedergibt. Diese neue Form ist die des Märtyrers im etymologischen Sinn des Wortes: als Zeuge des Glaubens. Gemäß einer so verstandenen Märtyrer-Rolle entwirft sich Cabeza de Vaca programmatisch dort, wo er den Grund seines Verbleibes nennt: Er habe sechs Jahre lang "en esta tierra solo [..] y desnudo" (Álvar Nuñez 2003: 134) unter den Indios geweilt, "por llevar conmigo un cristiano que estaba en la isla" (ebd.). Die Suche nach dem verschollenen Glaubensgenossen hat darin einen kollektiven Sinn, daß mit dem Zusammenkommen zweier Christen der durch den Schiffbruch zerbrochene Glaubensbund erneut geschlossen wird; denn das Wort des Herren besagt, "wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt. 18,20). Die Leiden, von denen Cabeza de Vaca berichtet, bedeuten in Hinblick auf ein solches Vorhaben kein einfaches Unglück mehr, sondern erweisen sich sämtlich als Zeugnisse seines Glaubens.

Eignet der Selbstdarstellung von Cabeza de Vaca, wie gezeigt, eine Semantik des  Märtyrers / Zeugen, so entspricht dies nicht zuletzt der Außenpragmatik der Naufragios, deren ursprüngliche Funktion als relación de servicios y méritos darin besteht, das Verdienst des Autors schriftlich zu bezeugen. Gleichwohl bezeugt die Relación von Cabeza de Vaca nicht nur seinen eigenen Glauben, sondern auch – und darin besteht die Besonderheit des Textes – den Glauben der Anderen, d.h. der Indios. Dies betrifft vor allem jenes Handlungssegment, in dem die Spanier als Schamanen durchs Land ziehen. Worin die Heilkunst der Spanier besteht, schildert Cabeza de Vaca folgendermaßen:

La manera con que nosotros curamos era santiguándonos y soplarlos [i.e. die Kranken] y rezar un «Pater Noster» y un «Ave María», y rogar lo mejor que podíamos a Dios nuestro Señor y su misericordia que todos aquéllos por quien suplicamos, luego que los santiguamos decían [i.e. die Kranken] a los otros que estaban sanos y buenos. (Álvar Nuñez 2003: 130)

Das Heilverfahren besteht demnach aus den elementarsten rituellen Handlungen des christlichen Alltags: Bekreuzigen, Aufsagen der Grundgebete und Beten. Wenn die damit behandelten Indios in der Folge ihre Genesung behaupten, so zeugt diese scheinbare Naivität von einem besonderen Akt des Glaubens. Es ist dies der Glaube des Anderen, der nach der Kulturtheorie von Michel de Certeau die Glaubwürdigkeit des Glaubensinhaltes garantiert und so den Glauben überhaupt erst ermöglicht (Certeau 1985). Der Glaube ist im Grunde "a belief in the belief of the other or in what he/one makes believe that he believes, etc. A belief of the other is the postulate of a belief in the other" (ebd.: 200, kursiv im Original). Damit der Glaube entsteht, bedarf es folglich eines Anderen, der die Existenz des Geglaubten beglaubigt. Dieser Andere erscheint nicht als ein individueller Gläubiger, sondern als eine undefinierte Masse von Anderen, deren Konstruktion als "subjects supposed to believe" den Prozeß des Glaubens aktiviert (ebd.: 201f., kursiv im Original).




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Certeaus Analyse des Glaubensvorgangs ist hilfreich, um die Erzählung der Wunderheilung in Naufragios genauer zu verstehen. Hier werden nämlich die Indios als ebensolche Anderen entworfen, die in der Funktion der 'subjects supposed to believe' den Glauben, d.h. im Kontext der Kolonisierung, den christlichen Glauben und mithin die Evangelisierung in der Neuen Welt motiviert. Für diese Lesart ist die oben zitierte Textstelle besonders dort aufschlußreich, wo von den behandelten Indios die Rede ist, die ihre Heilung den anderen Stammesgenossen mitteilen: "decían a los otros que estaban sanos y buenos". Der Glaube an der Heilkraft der christlichen Riten ergibt sich demnach aus der Binnenkommunikation der Einheimischen. Zieht man vor diesem Hintergrund die auktoriale Enthaltung in Betracht, der zufolge der Heilungserfolg der Spanier in der gesamten Erzählung weder dementiert noch bestätigt wird, so ist eine solche narrative Diskrepanz für die Modellierung der Indios nicht unbeträchtlich. Diese erscheinen nämlich dadurch als jene 'subjects supposed to believe', deren Funktion bei der Glaubensstiftung Certeau am Beispiel des Aberglaubens beleuchtet hat: Es sind immer die Anderen, die an Hexerei oder Zauberkunst glauben; etwa nach dem Motto 'some people believe... some people say...'. Die Instanz der vermeintlichen Gläubigen – 'some people' – ist hierbei insofern ambivalent, als sich durch sie zwar die skeptische Distanz des Sprechers ausdrückt – es sind die Anderen, die an Zauberei glauben –; die aber zugleich die Existenz und den unfaßbaren Willen des Anderen (ebd.: 201) dokumentiert. Die Rolle des solchermaßen 'präsupponierten Abergläubischen' kommt nun den Indios zu, wenn sie in den Naufragios einerseits als diejenigen dargestellt werden, die an die 'Heilkunst' der Christen glauben, von deren Glauben der auktoriale Erzähler andererseits implizit Abstand hält. Durch eine derart ambivalente Erzählhaltung werden die Indios – gewissermaßen nach dem Prinzip 'some people believe it' – als die Anderen konstruiert, die den christlichen Glauben deshalb zu stiften vermögen, weil sie zwar im Gegensatz zu den Christen die christlichen Riten als schamanistische Praktiken mißverstehen, an deren 'falschem' Glauben sich gleichwohl das Heilwunder des christlichen Gottes offenbart.

Mit dem Entwurf der Indios als 'subjects supposed to believe' kommt bei Cabeza de Vaca nun abermals die schon von Cortés erprobte Legitimationsstrategie zum Tragen, durch die das Kolonialprojekt nicht vom Kolonialherrn, sondern vom kolonisierten Anderen gerechtfertigt wird. Hat Cortés einen Musterfall für das 'subject supposed to believe' vorgelegt – Moctezuma nämlich, dessen öffentlich bekundeter Glaube an Karl V. als dem 'señor natural' der Azteken die spanische Eroberung gleichsam naturrechtlich begründet –, so bilden die Indios bei Cabeza de Vaca nunmehr eine Glaubensgemeinschaft, deren unbewußte Frömmigkeit ihre Konversion nachgerade heraufbeschwört. Diese Frömmigkeit äußert sich auf eklatante Weise auf den Höhepunkt der Erzählung, wenn die Indios den für Wunderheiler gehaltenen Spaniern in einer Massenbewegung folgen, die – wie vorhin erläutert – eine ähnliche Form wie die einer volkstümlichen Heiligenverehrung aufweist und damit gewissermaßen phänotypisch die Christianisierung antizipiert. Daß diese Massenbewegung den Keim einer Massenkonversion in sich trägt, sieht man am dabei entstehenden neuen Brauchtum: Die Indios plündern zunächst das Dorf, bevor sie dessen Einwohnern die Spanier übergeben. Diese auf den ersten Blick barbarische Umgangsform hat darin eine




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rituelle Bedeutung, daß die Spanier nur gegen einen großen materiellen Verlust unter den Indios getauscht werden. Die Plünderung läßt sich so betrachtet als ein Tauschritual verstehen, bei dem die Spanier nicht nur als eine durch das Potlatsch zirkulierende Gabe fungieren, sondern auch im ursprünglichen Sinne der Opfergabe – sacer facere – heilig gemacht werden. Hat die Tauschhandlung schließlich zur Folge, daß die Spanier durch die Ausübung ihrer 'Heilkunst' christliche Riten verbreiten, so erweist sich damit der falsche Glaube der Indios erneut als das Movens der Evangelisierung: Der falsche Glaube setzt sich mit dem Potlatsch in einer falschen Verehrung fort, die diesmal dadurch zum wahren Glauben führt, daß sie die Akteure der christlichen Riten – Cabeza de Vaca und seine Kompagnons – zu Aposteln der Neuen Welt macht.

An der Indio-Darstellung in den Naufragios erkennt man nicht nur jene koloniale Anerkennungsdialektik wieder, wie sie der Unterwerfung des Moctezuma vor Cortés zugrunde liegt und bei der die Eroberung durch die Anerkennung des kolonisierten Anderen legitimiert wird. Wenn die Indios bei Cabeza de Vaca die Spanier für Heilbringer halten, so ist eine solche Modellierung der gläubigen Anderen auch insofern paradigmatisch, als ihr ein wesentliches Moment der Eroberungsliteratur innewohnt. Es handelt sich um das Moment des make-believe und zwar durch die narrative Konstruktion einer Vorspiegelung, in der die Legitimität der Conquista glaubhaft erscheint. Ein solches make-believe beginnt schon mit der "Carta a Santángel", in der Columbus sein Eroberungsrecht durch die Anerkennung des Anderen – "non me fue contradicho" – beglaubigt. Auf weitaus raffiniertere Weise operiert Cortés, wenn er die eigene Legitimität durch den Glauben des besiegten Anderen bekräftigt. Bei Cabeza de Vaca kommt schließlich der Glaube des Anderen einer Interpellation (Althusser 1995) gleich – ist es doch hier das Heilsverlangen der Indios, das die Spanier dazu aufruft, mit den christlichen Riten die Evangelisierung gleichsam proleptisch auszuführen. Daran, daß die Indios dabei gewissermaßen zu Agenten der Heilserwartung werden, zeigt sich nicht zuletzt, inwiefern die Eroberungsliteratur als ein make-believe für den Kolonialherren fungiert, dessen Glaube an die eigene Legitimität keinen anderen Garanten hat als den manipulierten Anderen.


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Vergilius Maro, Publius (2002): Aeneis. Lateinisch / Deutsch, hg. u. übers. v. Gerhard Fink. Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler.

Vitoria, Francisco de (1967):  Relectio de indis o libertad de los indios. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Cientificas. [1539]

Watts, Pauline M. (1985): "Prophecy and Discovery: On the Spiritual Origin of Christopher Columbus' Enterprise of the Indies", in: American Historical Review, 73–102.

Xuan, Jing: "Das Liebesgefängnis und die Entsinnlichung der Politik. Zur Modernität von Diego de San Pedros Cárcel de Amor (1492)", in: Germanisch-Romanische Monatsschrift (im Druck). 

Zamora, Margarita (1993): Reading Columbus. Berkeley / Los Angeles / London: U of California P.


Anmerkungen

1 Für eine kritische Diskussion von Sommers These vgl. Leopold (2012: 135–152).

2 So der Titel der deutschen Übersetzung. Vgl. Kolumbus (2000).

3 Zum Rechtsritual kolonialer Besitznahme mit einer besonderen Berücksichtigung der spanischen Praxis des 'requerimiento' vgl. Seed (1995: 69–99). Greenblatt hat Columbus' Sprechakt als ein mißglücktes "ritual of possession" gedeutet, dessen Mangel an rechtlicher Grundlage durch den Diskurs des Wunderbaren gleichsam kaschiert werde (Greenblatt 1991: 52–85).

4 Die Hypothese, daß die "Carta a Santángel" die Transposition eines anderen Textes sei, hat Zamora von Ramos Pérez übernommen. Vgl. Ramos Pérez (1986); Zamora (1993: 11).

5 Kennzeichen der terra nullius ist nicht nur der unbewohnte Zustand, sondern vor allem die  Herrenlosigkeit. Deren Definition unterscheidet sich je nach historischer Epoche. Ab den 16. Jahrhundert bedeutet terra nullius ein Gebiet, das nicht von einer christlichen-europäischen Macht beherrscht wird und damit ein taugliches Objekt für eine Entdeckung / Okkupation darstellt. Nach der modernen Identifikation der Herrschaft mit dem Staat wird 'Herrenlosigkeit' auch als "ohne Staatsgewalt" gedeutet, so etwa im Deutschen Kolonial-Lexikon, Art. 3 "Okkupation": "O. ist die Begründung der Gebietshoheit durch staatsseitige Aneignung staatlosen, d.h. einer staatlichen Herrschaft nicht unterworfenen Landes. Unerheblich ist es, ob das Land unbewohnt ist oder nicht." (Schnee 1920: Bd. II, 673).




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6 Diesen Punkt sehe ich daher anders als Greenblatt, der Columbus' Gründungsrede als mißglückt interpretiert. Greenblatt zufolge ermögliche es die Formulierung "non me fue contradicho" Columbus, die Existenz der Ureinwohner bei gleichzeitigem Wissen über deren Existenz zu annullieren – eine paradoxale Aktion, die das Rechtsritual selbst annulliere oder gar die Rechtsgrundlage der spanischen Landnahme ad absurdum führe. Daher auch die Schlußfolgerung: "Columbus' founding speech in the New World is spectaculary 'infelicitous' in virtually every one of the senses detailed by Austin in How to Do Things With Words: it is a misfire, a misinvocation, a misapplication, and a misexecution" (Greenblatt 1991: 65). Greenblatt übersieht dabei den Umstand, daß das entscheidende Rechtskriterium für die Landnahme nicht die Absenz von Population, sondern die Herrenlosigkeit ist. Die Leistung des performativen Sprechaktes von Columbus besteht also darin, Amerika als herrenlos zu deklarieren.

7 Das Objekt "todo esto" kann sich sowohl auf den entdeckten Kontinent als auch auf das Entdeckungsgeschehen beziehen.

8 Columbus' programmatischer Umgang mit der Dreizahl zeigt sich deutlich in der "Relación del Tercer Viaje", wo die Zahl der Reise durch eine exzessive Verwendung der heiligen Dreizahl gewürdigt wird: "Partí en nombre de la Santa Trinidad [...]. [L]e descubrí por birtud divinal trezientas y treinta y tres leguas de la tierra firme, fin de oriente, y (a) seteçientas islas de nombre, […]" (Colón 2003: 367). Die Entfernung von 333 Meilen kann man wohl kaum referentiell verstehen. Als literarisches Beispiel für die Zahlenmystik sei Diego de San Pedros Cárcel de amor erwähnt. Am Ende des Romans wird dessen Entstehung "a tres días de marzo" datiert. Die Zeitangabe aus doppelter Trinitätszahl findet ihre Entsprechung auf der Figurenebene durch die christologische Modellierung des Helden Lerianos. Vgl. hierzu Xuan.

9 Zur terra nullius-Doktrin in der britischen Kolonialpraxis vgl. Behrendt (2012: 174ff.) und Banner (2007: 187–206).

10 Die Identifikation der Indias mit dem irdischen Paradies findet sich bereits im Bordbuch der ersten Reise, im Eintrag vom 21.02.1493 (vgl. Colón 2003: 212). Auch Bartolomé de las Casas erzählt von einer Diskussion, bei der Columbus unter Berufung auf die "sabios filósofos" das Irdische Paradies am Ende des Orients situiert und schlußfolgert, daß das von ihm entdeckte Land sich ebendort befinde. Vgl. Las Casas (1951: 140).

11 Dies gilt freilich nur in einem übertragenden Sinne für die erste "Carta", in der Cortés noch nicht als Ich-Erzähler in Erscheinung tritt.

12 Zur Problematik von historiographischem Schreiben und Selbstmodellierung bei den Autoren der Conquista vgl. Merrim (1986: 57–83).

13 Ferdinand und Isabella erwarben 1502 den Titel des Königs von Jerusalem vom Byzantinischen Kaiser Andreas Paleologus.

14 Für Cortés bedeutet die schriftliche Aufzeichnung seiner Vorgehensweise eine taktische Selbstrechtfertigung. Mit der Absichtserklärung schreibt er sich nämlich eine offizielle Mission zu, deren es ihm in Wirklichkeit gerade ermangelt. Dabei versucht Cortés zugleich, dem Vorwurf der Insubordination derart entgegenzuwirken, daß er sich anstelle von Diego Velázquez, dem Gouverneur von Kuba, unmittelbar den Königen unterstellt. Durch einen direkten Appell an Karl wird auch die ebenfalls unautorisierte Gründung von Veracruz gerechtfertigt: "y ansimismo le [a Cortés] pedimos y requerimos que luego nombrase para aquella villa que se había por nosotros de hacer y fundar alcaldes y regidores en nombre de Vuestras Reales Altezas [...]" (Cortés 1993: 135).




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15 Der Brief ist bei Gómara überliefert und wiedergegeben in Cortés (1993: 122, Anm. 105).

16 Ebd.: 123: "Tres días después que el dicho capitán despachó a aquellos indios con sus cartas, no le pareciendo que estaba muy satisfecho, creyendo que aquellos indios no lo sabrían hacer tan bien como él lo deseaba, acordó el enviar, y envió, dos bergantines y un batel con cuarenta españoles de su armada a la dicha costa para que tomasen y recogiesen a los españoles cautivos si allí acudiesen, y envió con ellos otros tres indios para que saltasen en tierra y fuesen a buscar y llamar a los españoles presos con otra carta suya, y llegados estos dos bergantines y batel a la costa donde iban, echaron a tierra los tres indios, y enviáronlos a buscar a los españoles, como el capitán les había mandado, y estuviéronlos esperando en la dicha costa seis días con mucho trabajo, que casi se hubieran perdido y dado al través en la dicha costa por ser tan brava allí la mar según los pilotos habían dicho."

17 Ebd.: 123f.: "Y estando en este propósito el capitán, embarcando ya toda la gente, [...], se levantó a deshora un viento contrario con unos aguaceros muy contrarios para salir, [...] y visto esto, el capitán mandó desembarcar toda la otra gente de la armada, y a otro día a mediodía vieron venir a una canoa a la vela hacia la dicha isla. Y llegada donde nosotros estábamos, vimos cómo venía en ella uno de los españoles cautivos que se llama Jerónimo de Aguilar [...]."

18 Die bei Cortés symbolisch konnotierte Analogie zwischen den Indios und den Juden kommt in dem der zweiten "Carta de relación" zugefügten Schlußkommentar explizit zur Sprache. Dort vergleicht der anonyme Autor das Massaker am Templo Mayor mit der Belagerung von Jerusalem durch Vespasian: "Después désta, en el mes de marzo primero que pasó vinieron nuevas de la dicha Nueva España cómo los españoles habían tomado por fuerza la grande ciudad de Temixititán, en la cual murieron más indios que en Jerusalén judíos en la destrucción que hizo Vespasiano, y en ella asimesmo había más número de gente que en la dicha ciudad santa" (ebd.: 309).

19 Ebd.: 131f.: "Y preguntó el capitán a los dichos indios por el intérprete que tenía, que qué gente era la que en la batalla se había hallado, y respondiéronle que de ocho provincias se habían juntado los que allí habían venido, y que según la cuenta y copia que ellos tenían, serían por todos cuarenta mil hombres, y que hasta aquel número sabían ellos muy bien contar."

20 Ähnlich wie Columbus bei seiner Entdeckung markiert Cortés die Neugründung mit einem Akt der Benennung: "[M]e pareció que el más conveniente nombre para esta dicha tierra era llamarse la Nueva España del Mar Océano" (ebd.: 308).

21 Von einem Anschluß des Aztekenreichs an Karls Imperium spricht Cortés gleich am Anfang der zweiten "Carta": "[H]e desesado que Vuestra Alteza supiese las cosas desta tierra, que son tantas y tales que […] se puede intitular de nuevo Emperador della y con título y no menos mérito que el de Alemania que por las gracias de Dios Vuestra Sacra Majestad posee" (ebd.: 160).

22 Für einen Überblick über die hierzu wesentliche Diskussion vgl. die Anmerkung von Antony Pagden in Cortés (1986: 467–469).

23 Mit dem 'señor natural' hat Cortés einen Terminus auf den Aztekischen Ahnherren übertragen, der seit dem Mittelalter zum Kastillischen Recht gehört. Vgl. Chamberlain (1939).

24 Für Beispiele vgl. Restall (2003: 183f., Anm. 37). Dasselbe Erklärungsmuster findet man auch in der kulturhistorischen Reflexion über die mexikanische Geschichte. So sieht etwa – um ein prominentes Beispiel zu nennen – Octavio Paz im Quetzalcoatl-Mythos einen Schlüssel für das Verständnis des Untergangs des Aztekenreichs. Vgl. Paz (1972: 34f.). Auch in der Geschichtsfiktion des Booms wird der Quetzalcoatl-Mythos an die Eroberung / Gründung der Neuen Welt angeschloßen. Vgl. hierzu Leopold (2003: 31–55).




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25 Aeneis, III: 167–9: "Italiam dixisse ducis de nomine gentem: / hae nobis propriae sedes, hinc Dardanus ortus / Iasiusque pater, genus a quo principe nostrum".

26 Zur Figur des Endzeitkaisers vgl. C. Erdmann (1932). Die Figur taucht zum ersten Mal um die Mitte des 4. Jahrhunderts in der Sybillina tiburtina auf, einem der populärsten Texte der apokryphen Offenbarungsliteratur (Nachdruck in Sackur 1898). Eine knappe Einführung in das christliche Endzeitdenken findet man bei Carozzi / Taviani-Carozzi (1999).

27 Die trojanische Herkunft des Endzeitkaiser findet sich erst in Prudentius' Apotheosis. Vgl. hierzu Tanner (1993: 121).

28 Von einem "discourso de fracaso" im Fall von Cabeza de Vaca hat bereits Beatriz Pastor (1983) gesprochen, deren Fokus allerdings nicht auf der Ebene der Erzählstruktur liegt, sondern auf der Handlungsebene bleibt.

29 So etwa Pastor, die den "discourso de fracaso" bei Cabeza de Vaca als die Inversion des imperialen Diskurses liest (Pastor 1983: 263).

30 Für eine affirmierende Interpretation dazu vgl. Floeck (2003). Differenziertere Auseinandersetzungen mit der Fremdheits- bzw. Hybriditätsthematik in den Naufragios findet man bei Moreno-Nuño (1997: 589–95); Lee (1999); Liparulo (2006: 1–25); Silva (1999) und Adorno (1991). Das wesentliche Referenzwerk zum Leben und Wirken von Cabeza de Vaca bleibt weiterhin Adorno / Pautz (1999).

31 Zum Begriff des 'weißen' Martyriums vgl. Theologische Realenzyklopädie (1976–2004: Bd. IV, 266; Zum Unterschied zwischen dem roten und dem weißen Martyrium vgl. Largier (2005). Zur Christus-Identifikation als geistlicher Praxis und zu deren Subjektivierungseffekten vgl. Camille (1998).