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Vasile V. Poenaru (Toronto)



Ioana Crăciun, George Guțu, Sissel Lægreid und Peter Motzan (hg.) (2012): Ost-West-Identitäten und Perspektiven. Deutschsprachige Literatur in und aus Rumänien im interkulturellen Dialog. München: IKGS Verlag



Die Germanisten Ioana Crăciun, George Guțu, Sissel Lægreid und Peter Motzan machen's einem nicht leicht. Der von ihnen 2012 im Münchener IKGS Verlag herausgegebene wissenschaftliche Sammelband mit ausgesprochenen interkulturellen Akzenten beleuchtet den "Gegenstand" Rumäniendeutsche Literatur aus vielen Richtungen heraus. Durch das Zusammenspiel deutscher, norwegischer und rumänischer Ansätze, Arbeitsweisen, Gedankenwelten und Mentalitäten wird dabei ein facettenreicher, wiewohl bisweilen etwas umständlich und zum Teil schon eher narrativ-inventarisierend geratener Dialog gewährleistet.

Was in Sachen Deutschsprachige Literatur drin sein muss und was draußen bleiben darf: hier wird's gezeigt: thematisch angepackt, methodologisch umrissen, verständlich definiert – oder doch jedenfalls verbindlich in den Raum gestellt. Angefangen hat das Ganze, wie man im Vorwort belehrt wird, mit einer gleichsam schicksalhaften Begegnung: Ioana Crăciun (Bukarest) und Sissel Lægreid (Bergen) trafen 2007 am Ufer des Neckar, genauer gesagt am Deutschen Literaturarchiv Marbach aufeinander, führten darauf gleich "freundschaftliche Fachgespräche über konvergierende Arbeitsfelder" und hämmerten alsdann forschungsfreudig zielbestrebt und dialogisch an der "Keimzelle" dessen, was sich zuerst zu einem "norwegisch-rumänischen Dialog" und dann schließlich – über eine Reihe von einschlägigen wissenschaftlichen Veranstaltungen – zu "Ost-West-Identitäten und Perspektiven" entwickeln sollte.




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Der Untertitel lässt den problematischen Charakter des Unterfangens erkennen, anhand einer neuen Phrase dasjenige verbindlich und verständlich zu umschreiben (oder doch wenigstens zu kennzeichnen), dem die alte Phrase ("Rumäniendeutsche Literatur") nicht mehr gerecht wird: "Deutschsprachige Literatur in und aus Rumänien", das klingt allerdings nach einem Übermaß an Theorie, nach Verkomplizierung, nach allumfassender Halbherzigkeit des Diskurses, nach Unergiebigkeit. Doch nein: Gerade "um nicht nochmals unergiebige und letztendlich unabschließbare Diskussionen über den relationalen und umstrittenen Zuordnungsbegriff Rumäniendeutsche Literatur anzufachen", entschied sich das IKGS "den im norwegisch-rumänisch-deutschen Dialog erörterten Gegenstand" im Untertitel des 2012 von ihm herausgegebenen Bandes "Ost-West-Identitäten und Perspektiven" so zu bezeichnen, schreibt Peter Motzan im Vorwort. Wer in Sachen Orientierung einen Stützpunkt braucht, blättert hoffnungsvoll weiter – und landet mitten drin im Dialog, besser: in den gemächlich aneinandergereihten, sehr informativ und detailliert gestalteten individuellen Beiträgen.

Dass die "Universitätsgermanistik" (was wohl hier eine schnörkeligere Bezeichnung für Germanistik schlechthin sein will) "ihre Vorurteile über Bord warf und ihre historisch bedingte und erklärliche Zurückhaltung gegenüber einer "außendeutschen" Literatur aufgab", wird im Vorwort auch zur Sprache gebracht. "Außendeutsch" gibt es im Duden freilich nicht, dafür aber "außerdeutsch": dasjenige, was außerhalb des deutschen Sprachraums angesiedelt ist.

Und dennoch Teil des Ganzen? Mit ein klein bisschen Holismus passt alles ins Konzept. Drinnen Deutsch, draußen Deutsch, überall Deutsch – und für die Auslandsgermanistik wird schon wieder geworben! würde Bert Brecht prompt dichten, ginge es darum, mal schnell eine verwissenschaftlichende Moritat loszuwerden. Nur, mit Begriffen jonglieren, das ist eine heikle Sache.

Inside and out. "Deutschsprachige Literatur aus Rumänien", damit kann man was anfangen. "Deutschsprachige Literatur in Rumänien" hingegen muss natürlich erklärt, erläutert, referiert werden, denn normalerweise würde sich sozusagen der Durchschnittsbürger in der deutschsprachigen Literatur vorstellen, dass da jederzeit etwa ein Thomas Mann mit herein spazieren könnte – in Rumänien ist er ja längst sozusagen vielfach angekommen; ebenso wie Heinrich Heine mit seinem Wintermäntelchen oder eben der Leiter des Berliner Ensemble mit seinen schwarzen Wäldern.




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Was drin steckt: "Bedürfen deutsche Texte aus Rumänien eines Kommentars?" fragt der Österreicher Sigurd Paul Scheichl gleich nach Motzans Vorwort, wobei er die "Distanz "binnendeutscher" Leser zur Kultur deutscher Sprache in Rumänien" in Augenschein nimmt. Es folgen ausführliche, zusammenhängende Beiträge von Stefan Sienerth, Peter Motzan, George Guţu, Lucia Nicolau, Torgeir Skorgen, Sissel Lægreid, Michael Grote, Ulrich van Loyen, Ioana Crăciun, Espen Ingebrigtsen, Mariana-Virginia Lăzărescu, Daniela Ionescu-Bonanni, Birger Solheim und Iulia-Karin Patrut. Jeder bringt einen erfrischenden Blick. Jeder bietet irgendwie eine Teil-Anwort zur Frage einer zweckmäßigen und sinnvollen Verortung deutscher Worte mit rumänischem Duft.

"Interdiskursive Verdichtungen", so der Titel von Motzans Aufsatz zur "anderen Stimme" des Lyrikers Oscar Walter Cisek. "1924 trat Cisek in den Dienst des Rumänischen Außenministeriums, den er über zwei Jahrzehnte lang ausübte", schreibt dabei der nun schon seit geraumer Zeit in München lebende Wissenschaftler mit rumänischer Identität und Perspektive in seinem Beitrag. Dass "in den Dienst treten" ein Ausdruck ist und dass man im Deutschen nicht sagen kann, jemand habe "den Dienst des Rumänischen Außenministeriums ausgeübt", wird dabei übersehen; das hat wohl im weitesten Sinne auch mit der von Scheichl erwähnten Distanz zu tun – oder vielleicht mit anderen Hindernissen auf dem germanistischen Ackerfeld Rumäniens, die sich in Ost-West Identitäten und – Perspektiven einschleichen, wenn mal die Formulierung nicht stimmt.

Ein paar Seiten weiter heißt es: "Zu Beginn der 1930er Jahre stand sein [Ciseks] antimimetisch-assoziatives Gestaltungsprinzip in einer außendeutschen Literatur auf ab- und vorgerücktem Posten. Diese ist allerdings der kaleidoskopischen Bildmischtechnik Georg Trakls verpflichtet, dessen Lyrik Cisek als Erster im rumänischen Sprachraum bekannt gemacht und mit dem Dichter Ion Pillat insgesamt 15 seiner Gedichte in die Landessprache übertragen hatte." Der fehlerhafte Satzbau stört schon wieder – besonders da sich hier ja alles um Sprache dreht und außerdem von Seiten des Autors u.a. im Vorwort erhebliche Ansprüche auf Wissenschaftlichkeit und kohärente Begrifflichkeit erhoben werden.




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Wie deutsch ist unser Deutsch? Die Frage steckt mit drin in dieser bunten Verpackung eines breit angelegten grenzüberschreitenden Dialogs. Über die in den gängigen Rezensionen literaturwissenschaftlicher Veröffentlichungen üblichen, gerne auch mal verallgemeinernden lobenden Worte hinweg wäre hier möglicherweise auch ein klein bisschen konstruktive Kritik angebracht. Nur: Was für Maßstäbe dürfen in der Beurteilung der Auslandsgermanistik angewendet werden? Braucht man da noch einen Kommentar? Wie sind Kontingenz, Konvergenz und Inkongruenz anzupacken? Leicht wird eine vage definierte Offenheit des Diskurses gezeitigt, in der sozusagen jeder hergerittene Begriff durchaus ohne weiteres in die Inventarliste aufgenommen wird, soweit er sich eines mit akademischem Gütesiegel versehenen Stegreifes bedient.

"Wie / läßt sich der duft / einer gogoașe / ins deutsche übersetzen?" fragt der banatdeutsche Lyriker Rolf Bossert sozusagen gerade zum rechten Zeitpunkt. Und die Bukarester Germanistin Ioana Crăciun fragt mit – und dann fragt sie kongenial weiter: Wie ist es um den bewusst ins poetische Wahrnehmungsfeld eingebauten bzw. den unwillkürlichen Einfluss des Rumänischen auf Bosserts Lyrik bestellt? Mariana-Virginia Lăzărescu folgt gleich mit einem nicht minder pointierten Beitrag zum Thema "Wortspiel und Witz in den Texten Hellmut Seilers", der ebenfalls das Perspektivische par excellence als Arbeitstitel aus dem literarischen "Material" ost-westlicher Betrachtungen herausgreift: "dreh dich nicht um, grenzgänger gehen um, ohne grenzen". Die Poetik der Grenze bei Hölderlin und Celan bedenkt Torgeir Skorgen, indem er es auf "Wein aus zwei Gläsern" ankommen lässt. Hinzu gesellt sich Sissel Laegreid (auch sie aus Bergen), die es auf die "Poetik der Grenze und der Entgrenzung bei Paul Celan" abgesehen hat. Trennlinien erfassen, nachvollziehen, überwinden, darauf kommt es an.

Viele der hierin vereinten Aufsätze bewegen sich an Grenzen entlang, über Grenzen hinweg, um Grenzen herum – und werfen stets ein interessantes Licht auf die Frage der außerdeutschen Literatur deutschsprachiger Ausdrucksweise sowie auch auf die grundlegende Problematik eines jedweden interkulturellen Dialogs. Je mehr man sich in die Lektüre dieser lesenswerten Sammlung von wissenschaftlichen Beiträgen vertieft, desto prägnanter wird die Einsicht: Solche Kommentare sind nicht verkehrt. Oder – um auf Scheichls rhetorische Frage zu antworten: Wir brauchen natürlich einen klaren Kommentar, am besten auch eine scharfe begriffliche Verortung. Die bewusst asymmetrische Gegenfrage liegt auf der Hand: Was steckt alles im "Wir"?




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Das Buch gleicht in seiner gewissermaßen zugespitzten Linearität einer Gratwanderung zwischen Selbstheit und Andersheit. Es fällt einem freilich schwer, kritische Distanz zu wahren und zugleich als "Insider" Zusammenhänge erkennen zu wollen, die sich "den anderen" nicht so leicht erschließen. Ein authentischer, tief angelegter und weit ausholender Dialog rund um die Karpaten und die deutsche Sprache ist hier jedenfalls unverkennbar. Für die freundliche Überreichung dieses in vieler Hinsicht bereichernden Bandes sei Herrn Professor George Guțu, dem leitenden Ost-West-Verschwörer, dem Leiter des Forschungs- und Exzellenzzentrums "Paul Celan" des Instituts für Germanistik der Universität Bukarest, herzlich gedankt.