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Corinna Koch (Bochum)



Marie Lessing und Dorothee Wieser (Hg.) (2013): Zugänge zu Metaphern – Übergänge durch Metaphern: Kontrastierung aktueller disziplinärer Perspektiven. München: Fink.


Wie die Herausgeberinnen Marie Lessing und Dorothee Wieser in ihrer "Vorbemerkung" (7–12) erläutern, basiert der vorliegende Sammelband auf einer interdisziplinären Tagung mit dem Titel "Zugänge zu Metaphern – Übergänge durch Metaphern", die im Februar 2012 in Berlin stattgefunden hat. Ziel der Tagung war eine konstruktive Konfrontation der Disziplinen in der Metaphernforschung, um sowohl anhand der evidenten Unterschiede in Definition und Bezeichnung eine bewusste Abgrenzung als auch eine Kommunikation und einen Austausch zwischen den Disziplinen zu erreichen. Dieses Grundanliegen wird auch im Tagungsband fortgeführt, denn jeder disziplinäre Beitrag wird von einem anderen Wissenschaftszweig kommentiert. Dabei ziehen sich drei grundlegende Teilaspekte durch alle Beiträge: die Bestimmung von Kreativität und Konventionalität von Metaphern, die Beziehung von Kognition und Sprache sowie das Verhältnis zu "angrenzenden Phänomenen" wie Metonymie und Symbol. Der erste Teil des Sammelbandes von Gehring bis einschließlich Müller (13–100) widmet sich dabei vorrangig strukturellen und überindividuellen Phänomenen und Prozessen im Kontext der Metapher. Der zweite Teil von Lessing und Wieser bis Kämper-Van den Boogaart (101–168) konzentriert sich hingegen eher auf individuelle Rezeptions- und Produktionsprozesse in der Interaktion mit Metaphern.

Die Philosophin Petra Gehring kritisiert in ihrem den Sammelband einleitenden Beitrag "Die Metapher zwischen den Disziplinen – Methodenpluralismus in der Metaphernforschung" (13–28) die Scheinharmonie zwischen kaum zu vereinbarenden Ansätzen der Metaphernforschung, die ihrer Ansicht nach zu wenig kontrovers diskutiert werden, und das trotz eklatanter Widersprüche innerhalb kognitivistischer, semiotischer und begriffsgeschichtlicher Zugänge. Sie skizziert kurz am Beispiel der Metapherngeschichte die Herausforderungen, denen sich eine methodologisch reflektierte Arbeit an der Metapher stellen muss, und betont v.a. die Bedeutung der Kontextbindung und Kontextrelativität bei der Identifikation und Interpretation von Metaphern.

In "‚Die Axt für das gefrorene Meer‘ – Das kreative Potential der Metapher" (49–62) beschreibt die Literaturwissenschaftlerin Katrin Kohl – ausgehend von Aristoteles‘ zweigeteilter Metapherndefinition als alltägliches Redemittel in seiner Rhetorik und als außergewöhnlicher Sprachgebrauch in seiner Poetik – die Versuche einer Grenzziehung bei der Metapherndefinition in verschiedenen Forschungsbereichen. Für die Rezeption von Literatur postuliert Kohl ein Zusammenspiel alltäglicher und kreativer Metaphern, da kreative Metaphern auf alltäglichen aufbauen. Laut Kohl macht dies einen ganzheitlichen Ansatz erforderlich, der beide Bereiche miteinander verbindet. Am Beispiel Franz Kafkas, der in seinen Werken die Metapher explizit thematisiert, arbeitet sie abschließend v.a. das Zusammenspiel kollektiv geprägter Sprache und individueller Kognition heraus und versucht dabei, kognitionspsychologische, semiotische und literaturwissenschaftliche Perspektiven miteinander zu verknüpfen.



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Der Theologe Philipp Stoellger kommentiert Kohls Beitrag mit "Schöpfung als Wiederholung – Zur Korrelation von Kreativität und Konvention" (63–72), indem er, aufbauend auf der Kernannahme, dass jede Wiederholung immer auch Differenz beinhaltet und somit kreativ ist, das bei Kohl zugrunde gelegte Spannungsfeld von Konventionalität und Kreativität grundsätzlich infrage stellt. Alle Kreativität beruht für Stoellger anders herum ebenso immer auch auf bereits Vorhandenem, so dass ihm Aristoteles' Unterscheidung von Poetik und Rhetorik in Bezug auf die Metapher unvollständig erscheint. Er plädiert daher für eine feinere Differenzwahrnehmung, die durch die beschriebene duale Einteilung häufig vernachlässigt wird.

Anschließend setzt sich der Philosoph Alexander Friedrich in "Spannungen, Brüche und Nähte im Gewebe der Sprache: Untote Metaphern als philosophisches und methodisches Problem" (29–42) kritisch mit Paul Ricœurs Modell der metaphorischen Spannung auseinander, das den Lebenszyklus der Metapher behandelt und somit tote und lebendige Metaphern definiert. Er kommt zu dem Schluss, dass dieser Lebenszyklus nicht mit dem Tod der Metapher enden muss, sondern dass es auch "untote" Metaphern gibt. Statt einer Opposition toter und lebendiger Metaphern spricht sich Friedrich daher für ein graduelles Kontinuum aus, das Zwischenstufen und somit komplexere Differenzierungen zulässt. Zentral ist bei seinen Ausführungen die Frage nach der Beschaffenheit und Stabilität von Kontexten und dem damit verbundenen Phänomen der "Wiederbelebung" von (un-)toten Metaphern, wodurch er den Beitrag von Gehring kommentiert.

Die Deutschdidaktikerin Irene Pieper (43–48) kommentiert Friedrichs Ausführungen in ihrem Beitrag "Überlegungen zu den individuellen Voraussetzungen der Wiederbelebung untoter Metaphern" aus der Sicht der Deutschfachdidaktik, indem sie individuelle Produktions- und Rezeptionsweisen thematisiert. Sie ergänzt Friedrichs diachrone um eine synchrone Perspektive und konzentriert sich dabei u.a. auf die unterschiedliche Zeitdauer, die im Alltag oder bei der Literaturlektüre zur Interpretation einer Metapher aufgewendet wird. Zudem kritisiert sie das Kriterium der Intentionalität zur Abgrenzung von untoten und lebendigen Metapher.

In "Das Verhältnis genuin visueller und präexistierender Metaphorik als Herausforderung kunstwissenschaftlicher Begriffsbildung" (73–96) arbeitet der Kunstwissenschaftler Marius Rimmele das Potential des Metaphernbegriffs für die Analyse und Beschreibung visueller Phänomene in der Malerei heraus. Er stellt fest, dass der Begriff der Metapher sich in der Kunstwissenschaft nie wirklich etabliert hat, und sieht eine zentrale Schwierigkeit darin, dass visuelle Metaphorik über die Sachebene eines Bildes hinausgeht. Sein eigener Ansatz basiert auf einem kognitiven Übertragungsprozess und fokussiert eine präzise Beschreibung der Mittel, durch die das Bild dem Betrachter eine metaphorische Übertragung suggeriert.



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Der Philosoph und Kulturwissenschaftler Ernst Müller fragt – den Beitrag von Rimmele kommentierend – in "Metapher als Bild – Bild als Metapher: Eine medientheoretische Überlegung" (97–100), ob die Bestimmung einer rein visuellen Metaphorik nicht zu kurz greift und weitere relevante Problemstellungen ausblendet. Er plädiert für medienübergreifende Betrachtungen und einen weiter gefassten Bildbegriff, der seiner Ansicht nach anregende Erkenntnisperspektiven eröffnet kann.

Die Deutschdidaktikerinnen Marie Lessing und Dorothee Wieser beleuchten in "Didaktische Zugänge zur Metapher – Chancen und Herausforderungen einer interdisziplinären Perspektive" (101–116), welche Aspekte metapherntheoretischer Modellierungen für individuelle Verstehens- und schulische Vermittlungsprozesse besonders relevant sind und wie sich z.B. Interaktionen mit dem Ko- und Kontext aus didaktischer Perspektive darstellen. Beginnend mit einer Analyse der schulischen Praxis beim Umgang mit Metaphern im muttersprachlichen Deutschunterricht, zeigen die Autorinnen mit Bezug auf Katthage, dass die Metapher weiterhin als substituierbares Listenelement neben anderen rhetorischen Mitteln aufgeführt wird. Als mögliche Gründe werden die geringe Beachtung der aktuellen Metaphernforschung, die große Anzahl widersprüchlicher Theorien und das Prinzip der didaktischen Reduktion benannt. Anschließend skizzieren die Autorinnen anhand von Gedichtbeispielen Perspektiven für eine Metapherndidaktik im Deutschunterricht – sowohl bezogen auf die Struktur der Metapher als auch auf das rezipierende Subjekt – sowie Potenziale der (Vielfalt der) Metapher für den Deutschunterricht.

Der Linguist Helge Skirl kommentiert den Beitrag von Lessing und Wieser mit "Metaphorik: komplex, nicht kompliziert!" (117–120) und stimmt mit den beiden Autorinnen insofern überein, als dass es dem Deutschunterricht auch seiner Meinung nach an hinreichender Genauigkeit bei der Beschreibung und Behandlung der Metapher fehlt. Anschließend erläutert Skirl aus linguistischer Sicht die diskutierten Aspekte Terminologie, Einflussfaktoren des Metaphernverstehens und Analysekategorien für metaphorische Sprachverwendung.

Der Soziologe Christian Schmieder stellt in "Methodologische Einbettung und praktische Umsetzung der Metaphernanalyse in der rekonstruktiven Interviewforschung am Beispiel des integrativen Basisverfahrens" (121–137) die einzelnen Schritte eines forschungspragmatischen Verfahrens der Metaphernanalyse vor (1. Ausschneiden und Sammeln, 2. Kategorisieren, 3. Abstrahieren und Vervollständigen, 4. Interpretation und Einbindung), dessen Einsatzgebiet die rekonstruktive Sozialforschung anhand transkribierter Interviewtexte ist. Metaphern, die hier sehr weit gefasst auch Metonymien, Redensarten, Personifikationen und Vergleiche beinhalten, sind dabei auf der Aufmerksamkeitsebene der (Wort-)Semantik verortet und laut Schmieder v.a. bei der Aufdeckung impliziter Erfahrungs- und Wissensbestände von Interesse. Im letzten Teil seines Beitrags verbindet der Autor seine Überlegungen zudem mit Skirls Komponentenmodell des Metaphernverstehens.



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In "Überlegungen zur indexikalischen Bedingtheit von Metaphern im Sprachgebrauch" (139–144) kommentiert die kognitive Semiotikerin Irene Mittelberg Schmieders Beitrag, indem sie die Frage nach der Konventionalität wieder aufgreift und den Diskussionshorizont auf die enge Verbindung von Metonymie und Metapher ausweitet, die aus kognitiv-semiotischer Sicht nicht auflösbar ist. Eine Schwierigkeit des in Schmieders Beitrag vorgestellten Basisverfahrens sieht Mittelberg in der Tatsache, dass zahlreiche Deutungen und Interferenzen vorgenommen werden, von denen man nicht mit Sicherheit behaupten kann, dass sie den Intentionen und dem Verständnis der interviewten Person tatsächlich entsprächen. Zudem plädiert sie abschließend für das Hinzuziehen von Videoaufnahmen, um bei der Analyse der Interviews auch redebegleitende Gestik, Mimik, Blickverhalten und Körpersprache einbeziehen zu können.

Die Kognitionspsychologen Ursula Christmann und Norbert Groeben widmen sich in "Zwischen Skylla und Charybdis: Kognitionspsychologische Ansätze zur Metapher" (145–160) den Herausforderungen experimenteller kognitionspsychologischer Forschung, wenn diese sowohl den eigenen disziplinären methodologischen Ansprüchen genügen möchte als auch eine literaturwissenschaftlich valide Modellierung des Metaphernverstehens anstrebt. Ihr Zugang zur Metaphorik beschäftigt sich, basierend auf Grice und Searle, Gibbs und Giora, mit dem Verarbeitungsaufwand beim Verstehen von Metaphern. Die Autoren stellen in diesem Zusammenhang Ergebnisse einer Studie zum ästhetischen Paradoxon, also zum Verhältnis von empfundenem kognitivem Verarbeitungsaufwand und ästhetischem Gefallen beim Verstehen konventioneller und unkonventioneller Metaphern vor und kommen zu dem Schluss, dass die kognitiv anstrengende Verarbeitung unkonventioneller Metaphern dann als positiv bewertet wird, wenn die Probanden mit dem Resultat zufrieden sind.

Abschließend kommentiert der Literaturwissenschaftler Michael Kämper-Van den Boogaart den Beitrag von Christmann und Groeben mit "Facetten eines literarhistorischen Interesses an Metaphern und Symbolen" (161–168) und führt Begründungen an, warum sich linguistisch vergleichsweise klar umrissene Phänomene wie Metapher und Symbol aus literaturwissenschaftlicher Sicht nicht immer sinnvoll voneinander abgrenzen lassen, v.a. wenn literar- und kulturhistorische Diskurse berücksichtigt werden. Er kritisiert zudem, dass Christmann und Groeben davon ausgehen, dass man die Intention des Autors bei der Verwendung einer Metapher eindeutig identifizieren könne, indem sie im Experiment zutreffende und nicht-zutreffende Paraphrasen einer Metapher unterscheiden – ein Verfahren, das er aus literaturwissenschaftlicher Sicht ablehnt.



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Der Tagungsband führt auf eindrucksvolle Weise vor Augen, wie komplex das Phänomen der Metapher ist und macht durch die Vielzahl widersprüchlicher Theorien allein zur grundsätzlichen Funktionsweise der Metapher deutlich, dass keine Disziplin die Metapher in ihrer Gesamtheit begreifen kann. Auch wenn Kämper-Van den Boogaart seinen Beitrag – und damit den Sammelband – mit den Worten "Eingedenk solcher Divergenz wachsen die Zweifel an der prinzipiellen Vergleichbarkeit der Einschätzungen. Damit wird die Frage, ob sich überhaupt konstruktive Bezüge zwischen den Disziplinen herstellen lassen, virulent" (167) schließt, zeigen die vorliegenden Beiträge doch, dass der Austausch und die Beschäftigung mit Sichtweisen anderer Disziplinen fruchtbare Erkenntnisse für die eigene Forschung liefern können, selbst wenn diese "nur" zu einer – wie in den Vorbemerkungen angekündigten – genaueren Ab- und Eingrenzung der verschiedenen Ansätze beitragen. Die Besonderheit des Bandes besteht in jedem Fall in der direkten Kommentierung der Beiträge aus Sicht einer anderen Disziplin und die darüber hinausgehenden, weniger explizit angeführten, aber dennoch präsenten kontinuierlichen Rückbezüge der einzelnen Autorinnen und Autoren zu Ausführungen aus vorherigen Beiträgen. Auf diese Art und Weise schafft es der Tagungsband, die Diskussionen eines direkten Austausches einzufangen, zu systematisieren und bietet dem Lesenden einen umfangreichen und anschaulichen interdisziplinären Eindruck in die aktuellen zentralen Kontroversen der Metaphernforschung.