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Gerhard Poppenberg (Heidelberg)



Don W. Cruickshank (2009): Don Pedro Calderón. Cambridge: University Press.



Das Leben Calderóns (1600–1681) ist im Vergleich zu dem anderer Autoren des spanischen siglo de oro wenig spektakulär gewesen. Angel Valbuena Prat hat von einer "biografía del silencio" gesprochen. Den größten Teil der auffindbaren Dokumente hat Cristóbal Pérez Pastor zusammengetragen und 1905 publiziert. Emilio Cotarelo y Mori hat 1924 einen Ensayo sobre la vida y obras de D. Pedro Calderón de la Barca publiziert, für lange Zeit die maßgebliche Biographie. Erst 75 Jahre später hat Felipe Pedraza Jiménez eine neue Biographie geschrieben: Calderón. Vida y teatro (2000). Und kaum zehn Jahre später erscheint eine weitere Biographie von Don Cruickshank. Er vermerkt höflich "the similarity of intention", deutet aber auch an, dass "the result ist rather different" (xvi). Die Intention von Pedraza Jiménez war, für ein interessiertes Publikum ohne wissenschaftlichen Apparat einen Abriss von Calderóns Leben und eine knappe Einführung in sein Werk zu geben. Cruickshank hingegen hat nicht nur die umfangreiche Calderón-Phi­lologie ausgewertet, sondern stützt sich auf eigene Quellenstudien. Zwei Indices – ein allgemeiner und ein anderer, die Werke Calderóns betreffend – sind so detailliert, dass sie 35 Seiten umfassen und das Buch zu einem regelrechten Nachschlagewerk machen. Ebenso lang ist die Bibliographie der Quellen und der Forschungsliteratur, so dass der ganze Anhang mit An­merkungen, Bibliographie, Indices und einer Liste der Werke Calderóns allein 130 Seiten um­fasst. Man vermisst allenfalls eine Zeittafel, auf der die wichtigsten Daten im Leben Calde­róns mit anderen der Zeit synchronisiert würden. Aber man kann wohl ohne Umschweife sagen, dass die Biographie Cruickshanks für lange Zeit die maßgebliche Darstellung von Leben und Werk Calderóns bleiben wird. Sie konzentriert sich auf die Zeit vor seiner Ordination zum Priester Anfang der fünfziger Jahre. Das gilt sowohl für das weltliche Leben wie für das weltliche Theater. Die immerhin noch fast dreißig Jahre Calderóns als Priester werden nur kursorisch angesprochen; ebenso werden auch seine geistlichen Stücke, die autos sacram­enta­les, nur sporadisch erwähnt.

"This biography […] deals mainly with Calderón's secular career, the first half of his writing life, up to 1650, when he took the first steps to becoming a priest. It is also an old-fashioned, traditional biography. That is, it tries to set the subject in his political and cultural context, while dealing with the events of his life, and significant events which happened during that life, in chronological order. The chronology also extends to his writings, to the development of ideas and techniques, as far as the known facts allow” (xv).

Das Leben und vor allem das Werk werden chronologisch dargestellt. Da Calderóns Leben nicht sehr ereignisreich war, hält der Biograph sich an das Werk. Die Stücke werden im Zusammenhang des Gesamtwerks von Calderón situiert, aber auch im Vergleich zu anderen Stücken der Zeit gesehen und immer wieder auch – durch Exkurse zur politischen Geschichte Spaniens, zur Stadtgeschichte Madrids, zur Buchgeschichte im Spanien der frühen Neuzeit etc. – in den Kontext der zeitgenössischen kulturellen, sozialen und politischen Wirklichkeit gestellt. Die Familiengeschichte Calderóns wird bis tief ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt. Seine Ausbildung auf dem Colegio Imperial der Jesuiten in Madrid wird mit Informationen über den Unterricht erläutert, so dass deutlich wird, wie sehr diese Ausbildung prägend war. Dabei wird auch von Anfang an ein starker Akzent auf die Finanzverhältnisse Calderóns gelegt, der, wie zuvor bereits Lope de Vega, seinen Lebensunterhalt zu einem guten Teil aus seiner schriftstellerischen Tätigkeit bestreitet.




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Abschließend wirft Cruickshank die Frage auf: "what was Don Pedro really like?". Er beantwortet sie, indem er ein Bild der Persönlichkeit entwirft. "We can identify some of his traits. He was a man of strong character, marked by apparent contradictions. In spiritual terms, very much a product of his background: deeply religious, profoundly Catholic. Yet his secular side was not at all typical of his environment: he rejected the jingoism and sexism of many of his male contemporaries […]. We can see that his Jesuit schooling had fostered preciseness […]. He knew that his mind was sharp, and that he had a gift for turning his thoughts into precise expression. There is enough evidence for a quick temper […]; but perhaps the most distinctive feature of his writing is irony, the ability to stand back and observe all human activity. […] This detachment did not prevent him from enjoying his status, whether as a knight or as a successful writer […] And yet he never lost sight of the impermanence of human accomplishment” (334/335).

Cruickshank behandelt eine beträchtliche Zahl von einzelnen Stücken. Dabei referiert er zunächst das jeweilige Stück kurz und analysiert es dann unter verschiedenen Aspekten: Dramaturgie, Motivik, Zeitbezug u.a. Aufschlussreich sind die Parallelen und Vergleiche mit anderen zeitgenössischen Stücken, die Cruickshanks profunde Kenntnis der Dramenliteratur des siglo de oro anzuführen gestattet; das understatement, mit dem er dies tut, ist bezaubernd. Die Stücke zeigen, wie Calderón in die jeweils aktuelle Theaterproduktion eingebunden war. Die Verbindung von Leben und Werk, die Cruickshank seiner Biographie zu Grunde legt, ist allerdings diskutabel. Sie geht von einer Annahme aus, die fast schon eine petitio principii ist: "his work is full of personal references" (xvi). Wenn das so ist, kann man aus dem Werk Rückschlüsse auf die Biographie ziehen. Es ist aber mehr als fraglich, ob die familiären Strukturen der Dramen – etwa die dominanten Väter und abwesenden Mütter – aus den Familienverhältnissen des Autors abzuleiten sind (53). Die persönlichen Erfahrungen Calderóns sind doch nur insofern von Belang, wie sie mit den sozialen und politischen Verhältnissen, der kollektiven Psyche der Zeit korrespondieren. Die Stücke sind nicht Spiegel der Biographie des Autors, sondern Figurationen der Probleme des 17. Jahrhunderts.

Die außerordentliche Quellenkenntnis ermöglicht es Cruickshank, auch Anekdotisches zu rekonstruieren, das Einblicke in den literarischen Betrieb der Zeit gibt: etwa den Streit zwischen Calderón und dem seinerzeit berühmten Prediger Fray Hortensio de Paravicino. Der hatte eine satirische Bemerkung über exuberante Rhetorik, die Calderón eine Figur in El príncipe constante machen lässt, zurecht persönlich genommen und deswegen eine Klage gegen Calderón angestrengt (99/100). Überlegungen zu einem Bild, das Velázquez um 1640 gemalt hat und das einen bislang nicht identifizierten Mann zeigt, legen nahe, es könnte Calderón sein (275). Das würde dann ein Porträt des vierzigjährigen Calderón sein, von dem sonst nur einige Bilder aus den letzten Lebensjahren überliefert sind.




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Das Studium der Manuskripte Calderóns gibt Cruickshank Anlass, über dessen Schreibprozess nachzudenken und ihn mit dem anderer Autoren zu vergleichen: "Shakespeare also worked like this" (166). Das dürfte für einen Briten die denkbar höchste Bekundung von Wertschätzung sein. Die Untersuchung der Stücke hat immer wieder auch die Funktion, ihre Datierung zu diskutieren und neu zu bestimmen. So wird etwas das Drama El pintor de su deshonra auf Mitte der vierziger Jahre datiert, indem es mit der Affäre um den Maler Alonso Cano in Verbindung gebrachte wird. Der war zu der Zeit beschuldigt worden – wie der Maler im Stück –, seine Frau wegen Untreue umgebracht zu haben oder haben zu lassen. Das ist eine plausible, aber nicht notwendige Annahme; ein solches fait divers kann sehr wohl auch noch Jahre später als Aufhänger für ein Stück gedient haben.

Das Buch ist im Wesentlichen eine Biographie des Autors Calderón, der im Kontext der Zeit dargestellt wird. Aus dem Leben des Menschen Calderón erfährt man kaum etwas; die Quellen dokumentieren wenig, und Cruickshank steht nicht für Spekulationen. Die wenigen belegten Details – etwa das uneheliche Kind, das in den vierziger Jahren für ein paar Jahre gelebt hat – werden kurz angesprochen. Die Mutter des Kindes scheint nach wie vor nicht identifizierbar zu sein; wäre sie es, Cruickshank hätte es zweifellos geschafft. Umso mehr fällt eine Passage des Buchs auf, die Cruickshank als wahrhaften Kenner und aficionado der Stücke Calderóns ausweist. In ihr verbindet er den Hinweis, Calderón sei zeitlebens unverheiratet gewesen, mit Reflexionen über die Frauenrollen in seinen Stücken, was ihn dann zu dem Schluss führt, Calderón habe wohl "good relationships with women" gehabt. "And while women may well have liked Don Pedro, it seems extremely probable that he liked women; in the circumstances, it is frustrating to have so little information about his relationships with them” (317). Das benennt eine wesentliche Schicht der Stücke Calderóns, der wie keiner sonst im siglo de oro – auch nicht Cervantes – komplexe weibliche Charaktere zu gestalten verstand, so dass man ihn wohl den Dramatiker der Frauen nennen kann. Ja, es ist wirklich schade, dass man nichts darüber weiß. Aber es gibt ja seine Dramen.


Bibliographie

Cotarelo y Mori, Emilio (1924) Ensayo sobre la vida y obras de D. Pedro Calderón de la Barca. Madrid: Tipografía de la Revista de Archivos, Bibliotecas y Museos; faksimilierter Nachdruck: Madrid / Frankfurt a.M.: Iberoamericana 2001.

Pedraza Jiménez, Felipe B. (2000) Calderón: Vida y teatro. Madrid: Alianza.

Pérez Pastor, Cristóbal (1905) Documentos para la biografía de don Pedro Calderón de la Barca. Madrid: Fortanet.