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Beatrice Nickel (Stuttgart)



Pierre de Ronsard (2010): Amoren für Marie. Le Second Livre des Amours. Das zweite Buch der Amoren mit den Sonetten und Madrigalen für Astrée. Französisch-deutsche Ausgabe, übers. v. G. Holzer, hg. und kommentiert v. C. Fischer. Berlin: Elfenbein.



Nach den Amoren für Cassandre (2006) liegt mit den Amoren für Marie (2010) im Elfenbeinverlag nunmehr die zweite deutsche Erstübersetzung eines vollständigen Amours-Zyklus' des Pléiade-Dichters Pierre de Ronsard (1524–1585) vor. Auch dieses Mal zeichnen sich Georg Holzers Nachdichtungen – von Übersetzungen möchte man auch in diesem Fall nicht sprechen – durch ein großes Feingefühl für die Eigenheiten der französischen Sprache des 16. Jahrhunderts sowie diejenigen des französischen Dichters aus. Holzer ist es hervorragend gelungen, den Geist der Ronsardschen Verse im Deutschen wiederzugeben. Wir haben es mit ausgesprochen poetischen Übertragungen zu tun, die, statt einen hohen Grad an philologischer Exaktheit aufzuweisen, primär ästhetischen Grundsätzen folgen. Dass es Holzer auch gelungen ist, die von Ronsard gewählten lyrischen Formen ins Deutsche zu übertragen, ohne ihnen Gewalt anzutun, muss vor allem im Hinblick auf die Vielzahl von Sonetten und somit eine lyrische Form, die in sprachlicher Hinsicht zur höchsten Konzentration zwingt, als besonders lobenswert hervorgehoben werden.

Den bei den Übertragungen glücklicherweise fehlenden Grad an philologischer Exaktheit weist die Wiedergabe der französischen Gedichttexte auf, die so weit wie möglich dem französischen Original (in all seinen zeittypischen Partikularitäten) entsprechen. Beispielsweise finden wir den für den Zyklus zentralen Begriff 'amour' sowohl in maskuliner als auch femininer Form vor, so wie er im 16. Jahrhundert verwendet wurde. Insgesamt zeugt die Edition der vorliegenden Gedichte vom Streben der Herausgeberin um Einheitlichkeit, jedoch wurde immer dann von diesem Grundsatz abgewichen, wenn dies zugunsten des Reimes und des Rhythmus nötig war. Ästhetische Aspekte hatten bei solchen Entscheidungen stets die absolute Priorität.

Wie schon in den Amoren für Cassandre ist auch in den Amoren für Marie dem Gedichtteil ein umfangreicher Anhang nachgestellt. Dieser besteht zunächst aus einem Kommentarteil, der detaillierte Informationen zu den einzelnen Gedichten enthält. Hier wird der Leser sowohl über Wortbedeutungen und intertextuelle Bezüge als auch über die Publikationsgeschichte einzelner Gedichte unterrichtet. Dem Kommentarteil folgt ein hervorragendes Nachwort der Herausgeberin, das profundes Wissen erkennen lässt und zugleich unterhaltsam ausfällt. Informiert wird man dabei über Pierre de Ronsard, über sein literarisches Umfeld und nicht zuletzt über die französische Renaissance im Allgemeinen.

Biographische Aspekte, die in der Ronsard-Forschung nach wie vor überrepräsentiert sind, thematisiert Carolin Fischer nur, insofern diese für die französische Literatur der Renaissance oder – konkreter – für die Bildung der Pléiade und ihre literarischen Erzeugnisse von Bedeutung sind. Pierre de Ronsard wird im Spannungsfeld zwischen seinem Status als Prince des Poètes und demjenigen als bei Hofe tätiger Poète des Princes gezeigt.




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Was weitere biographische Details angeht, so konnte auch Carolin Fischer selbstverständlich die immer währende Frage nach der Identität der Adressatin der Amours pour Marie nicht vollkommen übergehen. Sie hat es dabei jedoch nicht versäumt, explizit und wiederholt darauf hinzuweisen, dass es sich bei den vorliegenden Gedichten Ronsards – ebenso wie bei jeder anderen Dichtung aus der Zeit der Renaissance – nicht um eine als authentisch zu wertende Gefühlsdichtung handelt, sondern vielmehr um eine Art von Dichtung, die primär den Prinzipien der imitatio, variatio und æmulatio verpflichtet ist. Aus diesem Grund kann die Herausgeberin auch die durchstrukturierte Komposition der Amoren für Marie offen legen.

Zu Recht erläutert sie in ihrem Nachwort auch das einflussreichste Manifest der französischen Literatur des 16. Jahrhunderts, nämlich Joachim Du Bellays La Deffence et Illustration de la langue francoyse (1649). Dessen maßgebliche Rolle bei der Herausbildung einer nationalsprachlichen Literatur und Dichtung im frühneuzeitlichen Frankreich kann nicht bestritten werden.

Außerdem wird der Leser auch über die nicht unkomplizierte Entstehungs- bzw. Publikationsgeschichte der Amours pour Marie informiert. Die Vielzahl von existierenden Varianten des Textkorpus' hat eine grundlegende Entscheidung von herausgeberischer Seite unerlässlich gemacht. Im vorliegenden Fall ist diese – sicher nicht zu Unrecht – zugunsten der Ausgabe letzter Hand ausgefallen.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass sich das Zweigespann Georg Holzer und Carolin Fischer auch die Amours pour Hélène in Angriff nehmen wird.