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Paola Quadrelli (Mailand)



Georg Schuppener (2007): Spuren germanischer Mythologie in der deutschen Sprache. Namen, Phraseologismen und aktueller Rechtsextremismus. Berlin: Hamouda.



Georg Schuppener, Sprachwissenschaftler an der Universität Leipzig und stellvertretender Vorsitzender des "Arbeitskreises für Vergleichende Mythologie", zielt durch dieses schmale und dennoch erkenntnisreiche Bändchen auf eine zusammenfassende Bewertung der Nachwirkungen germanischer Mythologie im heutigen Sprachgebrauch. Der Systematisierung und der Bewertung der verstreuten Erkenntnisse schickt Schuppener eine wichtige Einführung voraus, in der die Wechselfälle der Rezeption der germanischen Mythologie in Deutschland erläutert werden. Die germanische Mythologie geriet nach der Christianisierung Mitteleuropas jahrhundertelang in Vergessenheit, zumal sie das Glück der zur Renaissancezeit durch die Humanisten "wiederbelebten" klassischen Mythologie nicht teilen konnte. Die germanische Mythologie war vor der Geburt der Germanistik als wissenschaftliche Disziplin in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so in Vergessenheit geraten, dass selbst ein Standardwerk wie Benjamin Hederichs mythologisches Lexikon, die germanische Mythologie noch ganz unberücksichtigt ließ. Die Handbücher und Sammlungen der Brüder Grimm und die Werke von Karl Simrock einerseits, sowie die breite Popularität von Wagners Opern auf der anderen Seite sind die wesentlichen Faktoren, die zu einer neuen Wahrnehmung und Wiederentdeckung der germanischen Mythologie beigetragen haben. Die ideologische Vereinnahmung germanischen Kulturgutes während des Nationalsozialismus bestimmte eine schmerzliche und scheinbar unwiederbringliche Zäsur im Umgang mit der germanischen Mythologie, die sich in einer jahrzehntelangen Tabuisierung niederschlug. Erst ab den 60er Jahren konnte eine sachliche, unverkrampftere Beschäftigung wieder anfangen, obgleich die aktuelle rechtsextreme Szene durch ihren an den Nationalsozialismus anknüpfenden Umgang mit der germanischen Mythologie eine unbefangene Auseinandersetzung mit der germanischen Vergangenheit verhindert.




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Erst nach dieser unabdingbaren historischen Einführung (und einigen methodologischen Bemerkungen, die hauptsächlich die Überlieferungsproblematiken der Schriftquellen zur mythologischen Tradition betonen) beginnt der sprachwissenschaftliche Teil von Schuppeners Studie. Der Autor hebt vier Gebiete hervor, in denen sich noch heute Spuren germanischer Mythologie erkennen lassen: die Wochentage, Toponyme, Personennamen, Sprichwörter und Redewendungen. Vor allem hat sich der Bereich der Namen als fruchtbar erwiesen, denn Namen sind in den historischen Quellen besonders gut überliefert. Schuppeners Darstellung der Wochentage fügt nichts Neues zu einer schon seit dem Anfang der Germanistik intensiv betrachteten Thematik hinzu; sie fasst aber verstreute Erkenntnisse mit beispielhafter Klarheit und Genauigkeit zusammen, wobei auch Bräuche und überlieferte Traditionen zu den einzelnen Wochentagen erwähnt werden (der Autor greift hier mehrmals zum grundlegenden "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" von Bächtold-Stäubli). So erinnert z.B. Schuppener daran, dass der dem Rechtsgott Týr/Tiu/Ziu gewidmete Dienstag jahrhundertelang ein beliebter Gerichtstag blieb oder dass aus der christlichen Abwertung Wodans der volksüberlieferte Ruf des ihm geweihten Mittwochs als Unglückstag resultierte; auch die in ganz Deutschland im Volksmund verbreiteten Arbeitsverbote am Donnerstag dienten der Heiligung eines Tages, der dem Gott Donar geweiht war; und die in vielen Regionen Deutschlands, vor allem im Norden, verbreitete Gewohnheit, den Freitag als Heiratstag vorzuziehen (die im krassen Widerspruch zu der christlichen Vorstellung des Freitags als Reue- und Bußtag steht), ließe sich als Bezug zur Göttin Freia erklären, die von den Germanen mit der römischen Venus parallelisiert wurde.

Obwohl Sprachwissenschaftler und Anthropologen darin einig sind, dass die Benennung von Orten Glaubensvorstellungen breiter sozialer Schichten widerspiegelt, und dass in ihnen oftmals "versunkenes Kulturgut" konserviert wird, erweist sich noch die Forschung zu Ortsnamen mit mythologischem Gehalt als unzulänglich, insofern, laut Schuppener, "eine systematische Untersuchung für den gesamten deutschsprachigen Raum bislang fehlt". Die Behandlung beschränkt sich auf theophore Ortsnamen, denen eine germanische Gottheit zugrunde liegt; es gibt also in Deutschland Toponyme zu Wodan / Odin (im ganzen germanischen Raum vielfach belegt), wie z.B. Godesberg (der heutige Bad Godesberg), Godesloch bei Kerpen in Rheinland, Gutenswegen bei Magdeburg und der analog gebildete Ortsname Godenswegen bei Stargard in Mecklenburg, wobei bemerkenswert ist, dass bei allen deutschen Namen im Anlaut eine Gutturalisierung (w > g) erfolgt: zur Erklärung dieses umstrittenen phonetischen Phänomens schlägt Schuppener sprachgeschichtliche sowie religiöse und kulturelle Gründe vor (euphemistische Dissimilation des Namen Wodans in christlicher Zeit).




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Neben Toponymen zu Thor / Donar, wie Donnersberg in der Pfalz oder das Thorsberger Moor in Schleswig-Holstein, erwähnt Schuppener auch Toponyme, die sich auf weitere germanische Gottheiten beziehen, wie Tiesholz im Kreis Schleswig, die mit Týr / Tiu / Ziu zusammenhängt, oder skandinavische Ortsnamen, die einen Bezug zu den Wanengottheiten Njörd, Freir und Freyia beweisen (wie der norwegische Njardarlog oder der schwedische Fröso). Schließlich zeugen deutsche Toponyme wie Helgoland (der germanische Inselname war Fo(r)setisland, zu Ehren vom altnordischen Gott Forseti), Heilbronn oder Heiligenhafen von der Kultbedeutung einer Stätte. In seine Behandlung bezieht Schuppener auch theriophore Ortsnamen ein, die auf ein im Mythos verehrtes Tier referieren, wie Schweinfurt, Hirschfurt, Ochsenfurt, Haßfurt oder Hammelburg, deren Namen als Ausdruck der kultischen Rolle der betreffenden Tiere im Rahmen germanischer Götterverehrung interpretiert wurden. Spuren germanischer Mythologie lassen sich natürlich auch in den Personennamen wiederfinden, wobei sie im Vergleich zu Ortsnamen weniger bedeutsam als Aussagequelle sind. Die Namensgebung, unterstreicht Schuppener, wird durch vielfältige Faktoren beeinflusst: Deshalb darf aus der Namensgebung ein direkter Rückschluss auf die Rezeption oder gar Verehrung germanischer Gottheiten – in der Gegenwart sowie in der Vergangenheit – nicht geschlossen werden. Der Autor befasst sich zuerst mit Rufnamen mit Bezug zu Götternamen, wobei Namen, die auf Thor bezogen sind einen sehr großen Teil einnehmen, und dann mit Namen mit mythologischem Gehalt. Spärlicher sind die Spuren germanischer Mythologie in Phraseologismen, die dem historischen Wandel unterliegen und deshalb kaum Spuren einer so alten Vergangenheit in sich bewahren. Manchmal beinhalten aber Phraseologismen Bezüge zur germanischen Mythologie in verdeckter Form, wie im Fall der Bauernregeln zum Wetter auf dem Gedenktag zum Hl. Oswald (5. August). Hinter der Gestalt Oswalds als Beschützer der Ernte verbirgt sich laut Schuppener offenbar die Verehrung des Gottes Wodan / Odin. Die Assoziation ist nicht nur deshalb gerechtfertigt, weil beide Gottheiten mit ähnlichen Attributen ausgestattet sind; sie wird vielmehr durch eine sprachliche Analogie unterstützt: Oswald ist nämlich die ags./nd. Form des ahd. Answalt, gebildet aus ans ("Ase", "Gott") und waltan (walten), und "Asenwalter" des germanischen Pantheons ist gerade Wodan / Odin.

Im letzten Kapitel setzt sich Schuppener mit der Rezeption germanischer Mythologie im zeitgenössischen Rechtsextremismus auseinander. Die Bezugnahme zu alten germanischen Mythen, die auf eine völlige Missdeutung der Quellen beruht, dient hauptsächlich dazu, eine verdeckte Anknüpfung an die nationalsozialistische Ideologie zu vermitteln. Direkte Referenzen, die auf juristischer Ebene heikel und anklagbar wären, werden durch Bezugnahme oder Verarbeitung alten germanischen Stoffes weit unproblematischer thematisiert. Anhand genauer Verweise auf rechtsextreme Gruppen und Rockbands, stellt der Autor dar, wie Namen, Erzählungen und Symbole (siehe die verbreitete Nutzung von Runen) aus dem ursprünglichen Kontext gerissen und vollkommen missbraucht werden. So schreiben die Rechtsextremisten der germanischen Welt eine Rassenideologie, ein unbedingtes Führerprinzip und eine Bindung an Blut und Boden zu, die den Germanen völlig fremd waren.




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Im Unterschied zu skandinavischen Ländern, wo das Verhältnis zur germanischen Mythologie durchaus freier ist, bleibt der Umgang mit diesen Themen in Deutschland immer noch durch ideologische Instrumentalisierungen beeinträchtigt. Eine deutsche Firma, unterstellt letztlich Schuppener in beinahe scherzhaftem Ton, würde nie auf die Idee kommen, ihre Produkte nach den Namen germanischer Gottheiten zu benennen, wie es im Gegenteil für einige Möbel der schwedischen Firma Ikea oder für die norwegische Schokoladenmarke Freia und das dänische Starkbier "Wodan" geschehen ist.