PhiN 46/2008: 63



Isabelle Mensel (Bonn)



Monika Sokol (22007): Französische Sprachwissenschaft. Ein Arbeitsbuch mit thematischem Reader. Tübingen: Gunter Narr.



Nach gründlicher Bearbeitung liegt nunmehr die zweite Auflage des 2001 erstmals erschienenen Bandes vor. Größere inhaltliche Veränderungen wurden – worauf die Autorin in den 'Anmerkungen zur 2. Auflage' hinweist – vor allem in Kapitel 3 (größere Gewichtung der Pragmatik), Kapitel 4 (Phonetik/Phonologie), 5 (Morphologie) und 8 (Varietätenlinguistik und Sprachgeschichte) vorgenommen.

Die – mit Ausnahme der Einleitung – identische Struktur aller 8 Kapitel wird im 'Leitfaden' vorgestellt. Der vierteilige Aufbau bestehend aus Wissensvermittlung, Readertexten, Arbeitsaufgaben und weiterführenden Literaturhinweisen hat sich bewährt. Das Prinzip des thematischen Readers ermöglicht den Studierenden die Konfrontation mit den Originaltexten und senkt die Hemmschwelle, einmal selbst die Originalliteratur zu Rate zu ziehen. Die Arbeitsaufgaben sind neben dem Einsatz in Seminaren auch für das Selbststudium geeignet, da über die Verlagsseite Lösungen bereitgestellt werden. Für eine wünschenswerte dritte Auflage wäre eine Integration der sorgfältig gestalteten Lösungsvorschläge in das Buch ideal.

Im ersten Kapitel werden die Grundlagen gelegt. Nach einer Klärung der Termini Sprachwissenschaft und Linguistik sowie einer Kurzvorstellung der Ebenen des Sprachsystems behandelt Sokol – und dies hebt sie von den anderen Einführungswerken ab – die Berührungspunkte der Sprachwissenschaft mit anderen Disziplinen wie der Literaturwissenschaft und der Philosophie sowie das Verhältnis zu den Gesellschafts-, Kultur- und Naturwissenschaften. Dieses Vorgehen trägt der Interdisziplinarität Rechnung und eröffnet den Studierenden gleich zu Beginn einen breiteren Horizont: Sie verorten das eigene Fach und können gleichzeitig die Beziehungen zu weiteren von ihnen studierten Fächern herstellen. Innovativ ist auch das kurze Kapitel zu den Anwendungsfeldern der Sprachwissenschaft, das sich in dieser Form in keinem der gängigen Einführungswerke wiederfindet, wobei die Autorin insbesondere das sich stetig weiterentwickelnde Feld der anwendungsbezogenen Sprachwissenschaft hervorhebt.




PhiN 46/2008: 64


Ebenso sinnvoll ist auch die Kurzvorstellung der grundlegenden sprachwissenschaftlichen Bibliographien, Handbücher, Lexika und Einführungswerke; die Kommentare ermöglichen den Studierenden eine Orientierung.

Im zweiten Kapitel unternimmt Sokol einen Ausflug in die Wissenschaftsgeschichte, gegliedert in die Epochen Antike, Mittelalter, Neuzeit. Ab dem 19. Jahrhundert macht der Überblick einer detaillierteren Vorstellung der historisch-vergleichenden Methode, des Strukturalismus einschließlich dessen verschiedenen Schulen sowie den Richtungen der poststrukturalistischen Sprachwissenschaft Platz. Diese Schwerpunktsetzung ist legitim, allerdings wäre eine etwas ausführlichere Beschreibung der einzelnen Disziplinen bereits an dieser Stelle des Buches sinnvoll, da nur die Entwicklung von der generativen Grammatik zur Optimalitätstheorie eingehender geschildert wird; Sprachtypologie, Pragmatik, Kognitive Linguistik und Soziolinguistik kommen demgegenüber etwas zu kurz: Bei den noch unerfahrenen Studierenden könnte der Eindruck entstehen, diese seien vielleicht weniger relevant. Insgesamt ermöglicht das Kapitel den Lernenden einen Überblick über die verschiedenen Richtungen, denen sie bei der Behandlung der einzelnen sprachlichen Teilebenen wieder begegnen werden. Auch diese wissenschaftsgeschichtliche Abhandlung findet sich in dieser Breite in keinem der grundlegenden Einführungswerke und wäre – gerade auch im Hinblick auf die übrigen romanischen Sprachen – ein dringendes Desiderat.

Im 'Vom Strukturalismus zur Pragmatik' überschriebenen dritten Kapitel geht es um die Grundbegriffe beider Disziplinen. Sehr hilfreich sind die allgemeinen wissenschaftsgeschichtlichen Einordnungen sowie die Beschreibung der wesentlichen Merkmale. Dieses Gerüst erlaubt den Studierenden in der Folge eine vertiefte Beschäftigung, da sie nicht nur die Termini lernen, sondern diese auch in den wissenschaftlichen Diskurs einzuordnen vermögen. Etwas unverbunden erscheint das Unterkapitel 'Ein Exkurs in die Semiotik: Was und wie ist ein Zeichen?'. Für noch unerfahrene Studierende, die das Kapitel von vorne bis hinten durcharbeiten, erschließt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht die fundamentale Bedeutung des Zeichenbegriffs für den Strukturalismus. Einige überleitende Sätze in diese Richtung wären also hilfreich. Konsequent durchgehalten wurde die Unterscheidung zwischen Zeichen- und Kommunikationsmodellen; die mitunter anzutreffende Vermischung stiftet gerade in Einführungskursen Verwirrung. Im Unterkapitel zur Pragmatik wäre das Kommunikationsmodell nach Peirce eine sinnvolle Ergänzung, da es gut mit dem Bühlerschen Kommunikationsmodell zu kontrastieren wäre. Insgesamt könnten die Bezüge zwischen den Kommunikationsmodellen noch etwas stärker herausgearbeitet werden bzw. die Modelle auch vergleichend gegenübergestellt werden, um deren jeweilige spezifische Leistung herauszuarbeiten, so wie bei den Zeichenmodellen von Saussure und Ogden/Richards geschehen.1




PhiN 46/2008: 65


Das folgende Kapitel 'Phonetik und Phonologie' wird durch Erläuterungen zum fundamentalen Unterschied zwischen Lautung und Schreibung eingeleitet. Anhand von Beispielen aus dem Deutschen und Lateinischen können die Studierenden die Abbildungsschwierigkeiten bei Alphabetschriften nachvollziehen. Im Unterkapitel zur Phonetik liegt der Schwerpunkt auf der auditiven Phonetik. Angesichts der wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutsamkeit der artikulatorischen Phonetik, auf deren Basis der klassische Strukturalismus seinen Begriffsapparat entwickelte, wäre eine ausführlichere Behandlung derselben zu erwägen. Die Ausführungen zur Phonologie behandeln Vokal-, Halbvokal- und Konsonantenphoneme sowie Silbenstruktur, Prosodie und Suprasegmentalia des Französischen. Sokol begründet die vergleichsweise kurze Behandlung der Phonologie mit dem Umstand, dass sie "an deutschen Universitäten üblicherweise in einem verpflichtenden eigenen Kurs und nicht in sprachwissenschaftlichen Einführungen vermittelt wird" (1).

Morphologie und Wortbildung wurden im mit 'Wortformen und Formvariation' überschriebenen fünften Kapitel zusammengefasst. Die Darstellung ist überzeugend und entspricht dem Kanon. Daher sollen lediglich einige inhaltliche Präzisierungen vorgeschlagen werden. In der Einleitung des Morphologieunterkapitels wäre bei der Vorstellung der unterschiedlichen Bezeichnungstraditionen von Monemen bzw. Morphemen und deren Unterkategorien eine Angabe zur Herkunft der heute gängigen Bezeichnungsweise2 hilfreich.

Bei der Erläuterung der Derivation könnte auf die umstrittene Position der Kategorie 'Infixe' (102, 122) hingewiesen werden.

Die Ausführungen zu den Diminutiv- und Augmentativsuffixen (123) sollten durch Beispiele aus der angesprochenen informellen Sprache belegt werden. Da etliche Autoren (vgl. zur Diminution u. a. Hasselrot 1972; Schmitt 1997; Windisch 1995) für das Französische keine produktiven Diminutiv- bzw. Augmentativsuffixe annehmen, wären die Studierenden auf diesen doch wichtigen Umstand – gerade im Vergleich mit anderen von ihnen möglicherweise studierten romanischen Sprachen wie dem Portugiesischen oder Spanischen – aufmerksam zu machen, um kein schiefes Bild entstehen zu lassen.

Das Unterkapitel 'Zur morphologischen Typologisierung des Französischen', das die Ausführungen zur Morphologie / Wortbildung beschließt, erläutert im Sinne einer Zusammenfassung und Systematisierung der vorab besprochenen Verfahren die zentralen Begriffe synthetisch versus analytisch, prädeterminiert versus postdeterminiert und leitet unter den Schlagwörtern 'freie Syntax / viel Morphologie' bzw. 'feste Syntax / wenig Morphologie' geschickt zum folgenden Syntax-Kapitel über.




PhiN 46/2008: 66


Dieses besticht durch seine sorgfältige Darstellung der einzelnen Grammatikmodelle von der traditionellen Syntax über die Valenz- bzw. Dependenzgrammatik bis hin zur generativen Grammatik, wobei Letztere im Zentrum der Ausführungen steht. Die notwendige Schilderung der wichtigsten Stationen der generativen Grammatiktheorie ist gut gelungen und auch ohne spezielles Vorwissen leicht nachvollziehbar. Die beiden Fallbeispiele 'Kasusgrammatik bzw. Role and Reference Grammar' und 'Optimalitätstheorie' geben den Studierenden einen Einblick in die zeitgenössischen Fortsetzungen der für die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts grundlegenden Neuorientierung in der Linguistik. Das Unterkapitel zu den syntaktischen Grundfunktionen leitet über zum zweiten Schwerpunkt des 6. Kapitels, der Textlinguistik, indem es auf die transphrastischen Funktionen aller syntaktischen Mittel hinweist.

Einleitend werden die Schwierigkeiten bei der Definition des Textbegriffes sowohl in der Alltagssprache wie auch in der Linguistik nachvollziehbar aufbereitet. Die anschließenden sieben Textualitätskriterien nach Beaugrande / Dressler bilden den Grundkonsens in der Fachdiskussion und werden anhand eingängiger Beispiele erläutert. Das Kapitel schließt mit Erläuterungen zu Diskurstraditionen, Textsorten sowie zu den Mikro- und Makrostrukturen der Textanalyse, die sorgfältig strukturiert aufgelistet werden.

Das als sehr gelungen zu wertende Semantik-Kapitel (Kapitel 7) bietet neben einer gründlichen, systematischen Einführung in die Grundbegriffe dieser Disziplin sowohl einen guten Einstieg in die traditionelle strukturelle Merkmalsemantik in der Nachfolge Pottiers als auch in die vergleichsweise neueren Theorien der kognitiven Semantik, repräsentiert durch die Prototypensemantik. Die Leistungen und Defizite der unterschiedlichen Herangehensweisen werden umsichtig reflektiert.

Das letzte Kapitel hebt sich schon allein aufgrund seines Umfangs deutlich von den übrigen ab. Der Anspruch, sowohl einen Überblick über die Entwicklung als auch über die heutigen Varietäten zu liefern, dürfte auch kaum auf geringerem Raum einlösbar sein.

Nach einer kurzen wissenschaftsgeschichtlichen Situierung der Varietätenlinguistik – wobei Querverbindungen zu bereits abgehandelten Themen hergestellt werden – erfolgt eine ausführliche Erläuterung des Diasystems. Die Übergangsbereiche zwischen den Ebenen werden anhand der Varietätenkette veranschaulicht und auf kurze Fallbeispiele angewandt. Sehr gelungen sind die Ausführungen zu den beiden Polen 'Nähe' – 'Distanz' bzw. 'Mündlichkeit' – 'Schriftlichkeit'. Die tabellarische Zusammenstellung zu den Kommunikationsbedingungen und deren Spuren in der Sprache eignet sich hervorragend zur Diskussion in Seminaren.




PhiN 46/2008: 67


Das Unterkapitel 'Zur historischen Bedingtheit des Varietäten- und Sprachbegriffs' leitet zum diachronischen Teil über: Auf diese Weise werden die zentralen Begriffe (u.a. Selektion, Ausbau, Überdachung, Standardisierung, Kodifizierung) eingeführt, die für die spätere Diskussion grundlegend sind. Die Ausführungen zur französischen Sprachgeschichte orientieren sich an der klassischen Dreiteilung Alt-, Mittel- und Neufranzösisch, wobei Letzteres noch differenziert untergliedert wird in Frühneufranzösisch (16. Jahrhundert), français classique (17. Jahrhundert) und – in der Folge – nach Jahrhunderten (18.–20. Jahrhundert). Der Schwerpunkt liegt mit Ausnahme des Exkurses 'Der Weg zum Altfranzösischen' auf der externen Sprachgeschichte.

Auf den sprachgeschichtlichen Durchgang folgen Ausführungen zur Diatopik, Diastratik und Diaphasik des heutigen Französisch. Die Beschreibung der einzelnen Register im diaphasischen Bereich gerät bedauerlicherweise etwas kurz. Erläuterungen zur Herausbildung der Norm im 17. Jahrhundert in Verbindung mit den verschiedenen Registern (vgl. Schaubild Stein 22005: 183, adaptiert nach Müller 1985: 226, 240) würden den Studierenden ein vertieftes Verständnis ermöglichen. Auch sollten die einzelnen Register ausführlich charakterisiert werden. Die beiden Beispiele zur Lexik und Morphosyntax (261) können dies sicher nicht ersetzen.

Abschließend sei noch auf die informative Einführung in die Frankokreolsprachen verwiesen, die in diesem Umfang in einführenden Werken ihresgleichen sucht.

Sokols Einführung besticht durch etliche innovative Ansätze (vgl. die Besprechung der einzelnen Kapitel), die sich in dieser Form und Ausführlichkeit in keinem anderen Einführungswerk finden. An einigen Stellen könnte jedoch die Auslagerung von Informationen in die Reader-Texte überdacht werden, so etwa bei den Themen Lexikographie und Lexikologie. Die Definitionen (186) sowie der Reader-Text zur Lexikographie (207) sollten zu einem eigenständigen Kapitel ausgebaut werden.

Die starke hierarchische Gliederung in Verbindung mit einem sehr detaillierten Sach- und Personenregister ermöglichen ein gezieltes Nachschlagen von Informationen. Das Buch ist daher sowohl für Studierende in der Anfangsphase als auch zur Prüfungsvorbereitung (Zwischen- und Abschlussprüfungen) gewinnbringend einzusetzen. Die ausführliche Bibliographie sowie das Gesamtverzeichnis der Readertexte runden das Angebot ab.

Insgesamt betrachtet, ist es Sokol gelungen, die didaktischen Ansprüche einer Einführung gekonnt mit den wissenschaftlichen Standards zu vereinbaren. Diesem Werk sind noch zahlreiche weitere Auflagen zu wünschen.




PhiN 46/2008: 68


Bibliographie

Hasselrot, Bengt (1972): Etudes sur la vitalité de la formation diminutive française au XXe siècle. Uppsala.

Luschützky, Hans Christian (2000): "Morphem, Morph und Allomorph", in: Booij, Geert / Lehmann, Christian / Mugdan, Joachim (Hgg.): Morphologie / Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flektion und Wortbildung / An International Handbook on Inflection and Word-Formation. 1. Halbband. Berlin, 451–462.

Müller, Bodo (1985): Le français d'aujourd'hui. Paris.

Schmitt, Christian (1997): "Zur kontrastiven Analyse der Diminutivbildung für die Sprachenpaare Spanisch–Deutsch und Spanisch–Französisch", in: Lüdtke, Helmut / Schmidt-Radefeldt, Jürgen (Hgg.): Linguistica contrastiva. Deutsch versus Portugiesisch–Spanisch–Französisch. Tübingen, 415–431.

Stein, Achim (22005): Einführung in die französische Sprachwissenschaft. Stuttgart.

Windisch, Rudolf (1995): "Spanische Diminutivbildungen als Übersetzungsproblem des Französischen", in: Dahmen, Wolfgang u.a. (Hgg.): Konvergenz und Divergenz in den romanischen Sprachen. Tübingen, 381–394.



Anmerkungen

1 Den Vergleich lediglich in einer Arbeitsaufgabe aufzugreifen (80), scheint bei Anfängern ein wenig gewagt, zumal sich der Vergleich auch nur auf Bühler und Jakobson bezieht.

2 Diese entstammt der amerikanischen Tradition (Bloomfield). Als sprachwissenschaftlicher Terminus definiert wurde Morphem jedoch bereits um 1880 von Baudouin de Courtenay (Luschützky 2000: 451).