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Stephan Leopold (München)




Michel Houellebecq et la question de l'autre. Plateforme – Eine Eroberungsreise in Zeiten des Neokolonialismus




Für Rita Schober

Dans un état d'excitation un peu irréelle, nous établissons une plateforme programmatique pour le partage du monde.
Michel Houellebecq: Plateforme, 242


Michel Houellebecq et la question de l'autre. Plateforme – A Journey of Conquest in Neocolonial Times
Michel Houellebecq's novels portray the montonous life of middle-aged, middle-class men and their quest for impossible happiness. Propense to mental depression, they are obsessed with sex usually barred to them because of their lack of wealth and physical attraction. Plateforme (2002), the novel here mainly to be dealt with, transfers this basic model to the more ample context of a spirtually exhausted First World trying to revitalize itself through the physical resources of the Third World. Focussing on commercially organized sex-tourism in Thailand and Cuba, the text also widely depicts the threat of unassimilated immigration in France, and thus dialectically contrasts a second – economical as well as physical – conquest of the Other with a national Self haunted by the spectres of its own colonial past. Rich in stereotypes – both positive and negative – this politically uncorrect utopia of sexual métissage unfolds a Clash of Civilizations in which partly ironized discourses of (neo-)colonial appropriation of the Other merge with the uncanny reenactment of the monstruous Other always inherent in colonial discourse.



I

Die Romane Michel Houellebecqs sind monothematisch. Ihre Protagonisten sind depressive Männer um die vierzig, die entfremdenden Berufen nachgehen und denen auch nach Dienstschluß wenig Erfreuliches widerfährt. Sie leben in einer sinnentleerten Warenwelt, für die als zentrale Metapher die ubiquitäre rote Leuchtschrift der Kaufhauskette Monoprix gelten kann (Houellebecq 1998: 20, 148, 196, 203, 283). In dieser spätkapitalistischen Einheitskultur gibt es nur eine Glücksverheißung: die Sexualität. Der Akzent liegt hier auf Verheißung, denn die Sexualität ist wie alles andere auch den Gesetzen des Marktes unterworfen – d.h. wer über Macht, Geld oder körperliche Attraktivität verfügt, hat Sex, wer nicht, nicht (Houellebecq 1999: 93, 100f). Letzteres ist der Fall für die Houellebecqschen Durchschnittshelden. Sie leiden einen permanenten Mangel, der erst dann Aussetzung erfährt, wenn ein weibliches Wesen sich ihrer wundersamerweise annimmt. Geschieht dies – wie in Les particules élémentaires (1998) oder Plateforme (2001) –, dann ist damit freilich nicht mehr das Telos bürgerlicher Monogamie gemeint, und über kurz oder lang findet sich das frischgebackene Paar inmitten eines Swingerclubs wieder, wo es jenen partouzes frönt, für die Houellebecq berüchtigt ist. Doch auch dieser Zustand ist nur vorübergehend: Am Ende muß die Frau unweigerlich sterben, und der Mann fällt zurück in den Zustand des Mangels.




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Die Frage nach dem Verhältnis von unstillbarem Begehren und Subjekt beschäftigt die abendländische Literatur spätestens seit Petrarca. Jacques Lacan hat es in seinem epochalen Aufsatz "La signification du phallus" wie wohl kein anderer vor ihm auf den Begriff gebracht. Alles Begehren verweist signifikantenhaft auf den phallus, der aber nicht etwa transzendental gedacht ist, sondern nur einen Archisignifikanten darstellt für den kategorialen Mangel des Subjekts, das immer schon gespalten ist zwischen ersehnter und unwiederbringlich verlorener Ganzheit. Die Haupteigenschaft des Lacanschen phallus besteht dann auch darin, daß man ihn anders als den Freudschen Penis eben gerade nicht hat. Seine Natur ist paradox: Zwar kann man für den anderen zum phallus werden oder ihn verliehen bekommen, doch weder Geber noch Empfänger können ihn je für sich besitzen. Meint man, ihn im Geschlechtsakt für Augenblicke inne zu haben, so entzieht er sich nach dessen Ende. Der phallus zirkuliert also unaufhörlich zwischen Präsenz und Absenz, und gerade in diesem nicht stillstellbaren Oszillieren besteht seine, die ontologische Spaltung des Subjekts überschreibende signification (Lacan 1958: 685–695).1

In einer affektlosen Konsumwelt – so scheint Houellebecqs durchgängige Arbeitsthese zu lauten – intensiviert sich die Mangelerfahrung des Subjekts radikal, und die obsessive Sexualtiätsfixiertheit seiner Figuren wird damit lesbar als der verzweifelte Versuch authentischer Glückserfahrung. In Plateforme, dem Roman, von dem hier näherhin die Rede sein wird, bildet diese Konstellation ebenfalls den Hintergrund, vor dem sich die Romanhandlung entfaltet. Doch während Extension du domaine de la lutte und Les particules élémentaires das Paradigma noch wesentlich für ein psychisch wie physisch entkräftetes Europa durchspielen, steht Plateforme von Anfang an im Zeichen des kulturell und ethnisch Anderen. Der Roman beginnt damit, daß der Erzähler Michel auf den Tod seines Vaters zurückblickt. Dieser, ein rüstiger, sportlicher Mittsechziger, ist von einem jungen Nordafrikaner erschlagen worden, weil er mit dessen Schwester Aïcha ein Verhältnis hatte. Das ist gewissermaßen die 'Urszene' des Textes. Nicht Ödipus tötet hier den Vater, sondern der dunkle Andere, der fanatische, fundamentalistische Moslem. Nichtsdestoweniger profitiert Michel, ein frustrierter Beamter im Kultusministerium, gehörig vom Ableben des Vaters. Zwar übernimmt er nicht nach dem ödipalen Muster dessen fremdländische Gespielin, er erbt jedoch ein beträchtliches Vermögen und unternimmt umgehend eine Reise nach Thailand, die ihn in den Genuß einer ganzen Reihe williger Orientalinnen bringt. Damit ist dann auch die Basisdichotomie des Textes etabliert: auf der einen Seite der gewalttätige, in den bürgerlichen Inneraum eindringende Körper des islamischen Mannes, auf der anderen Seite, der sanfte, sich öffnende Körper der orientalischen Frau.

Dieser Dichotomie entspricht im weiteren das antinomische Verhältnis Kultur/Unkultur. Das wird deutlich, wenn man zwei strukturell ähnliche Praktiken, die Gruppenvergewaltigung und den Gang-Bang, vergleicht. Zunächst zu ersterer: Michel hat auf der Ostasienreise eine junge Frau namens Valérie kennengelernt, die in Paris seine Freundin wird. Eines nachts wird ihre Arbeitskollegin – wie Valérie Managerin bei einem großen Reiseveranstalter – in einem Vorortzug das Opfer von vier Antillianern:




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Elle avait tenté de discuter, de plaisanter avec eux; en échange, elle avait récolté une paire de gifles qui l'avait à moitié assommée. Puis ils s'étaient jetés sur elle, deux entre eux l'avaient plaquée au sol. Ils l'avaient pénétrée violemment, sans ménagements, par tous les orifices. Chaque fois qu'elle tentait d'émettre un son elle recevait un coup de poing, ou une nouvelle paire de gifles. [...] Ils finirent par lui cracher et lui pisser dessus, réunis en cercle autour d'elle, puis la poussèrent à coups de pied, la dissimulant a moitié sous une banquette, avant de descendre tranquillement gare de Lyon. [...] Le commissaire n'était pas réellement surpris; d'après lui elle avait eu, relativement, de la chance. Il arrivait assez souvent, après avoir utilisé la fille, que les types la terminent en lui enfonçant une barre cloutée dans le vagin ou l'anus. (Houellebecq 2002: 191f.)

Was sich hier wie eine besonders brutale und realistische Darstellung kollektiver Vergewaltigung liest, bekommt einen hohen Grad an Uneigentlichkeit, wenn man den Namen der jungen Frau in Betracht zieht. Sie heißt: Marylise le François. Unmißverständlicher kann eine Nationalallegorie kaum ausfallen: Wer da nur um Haaresbreite mit dem Leben davon kommt, ist niemand anders als das geschändete Frankreich. Wie im Falle des Vatermordes bricht also auch hier ein unkultiviertes, rohes Außen in den nationalen Innenraum ein. Doch damit nicht genug: mit den Antillianern und dem Maghrebiner ist metonymisch die französische Kolonialgeschichte aufgerufen. Man hat es hier also mit einer Art postkolonialem backlash zu tun, denn die ehemals vergewaltigten Völker rächen sich nun ihrerseits mit Vergewaltigung und Mord an dem kolonialen Elternpaar.

Eine Art Gegenentwurf hierzu bildet der Swingerclub 2+2, wo Michel und Valérie mit einem "couple de Noirs sympa" ausgelassen dem Partnertausch frönen. Auch hier dringt der schwarze Mann in die weiße Frau ein, und auch hier kommt es zu einer "double pénétration" (ebd.: 248). Die Spiegelszenen sind freilich diametral semantisiert: statt mit mörderischen Wilden hat man es nunmehr mit schwarzen Hedonisten zu tun, und an die Stelle gewaltsamen Rassenkampfs tritt harmonische Hierarchielosigkeit. Doch wie die Darstellung der Antillianer entbehrt auch die des schwarzen Ehemannes, Jerôme, nicht des Stereotyps. Wohl kaum zufällig ist er erfolgreicher Jazzmusiker, mithin der Inbegriff des sozial akzeptablen Schwarzen. Durch seinen Beruf ist ihm zudem bereits das Signum der Freizeitkultur eingeschrieben, der ja auch Valérie als Tourismusmanagerin und Michel als zu Geld gekommener Sexreisender angehören. Er ist somit ein der Realität der banlieues entrückter, in seiner Andersheit neutralisierter Schwarzer. Auch sollte nicht übersehen werden, daß er der einzige seiner Art, gewissermaßen eine die Regel bestätigende positive Ausnahme ist. Schon wenige Seiten später wird Évry, der Pariser Vorort, wo Valéries Arbeitgeber Aurore seinen Firmensitz hat, von geradezu apokalyptischen affrontements heimgesucht, in deren Verlauf Lehrer niedergeschlagen, Lehrerinnen vergewaltigt, sowie Behinderte aus den Fenstern geworfen werden und schließlich sieben Tote zu beklagen sind (ebd.: 258f.).





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II

Wie man sieht, ist Plateforme ein deutlich antithetischer Roman. Folgt man Lacans Überlegungen zum Begehren, so läßt sich bereits jetzt folgendes festhalten: Das mangelhafte Subjekt sehnt sich im anderen nach dem 'großen' Anderen verlorener Ganzheit. Sein Sehnen verstärkt sich umso mehr, je weniger affektive Identifikationsmöglichkeit die Lebenswelt anbietet. Diese Bewegung durchkreuzt das Auftauchen des wilden Anderen, der nicht begehrt, sondern verabscheut wird und dessen Körper nicht lust-, sondern todbringend ist. Hinzukommt, daß das wilde Andere eine postkoloniale Rückprojektion des eigenen Selbst ist, mithin lesbar wird als die Wiederkehr der verdrängten gewaltsamen Kolonialgeschichte in Form des 'Unheimlichen'.2 Deutet man nun das Selbst, wie es ja der Vatermord und die Vergewaltigung der Marylise le François nahelegen, im Sinne einer Nationalallegorie, so wird die doppelte Spaltung umso sinnfälliger. Dauerhaft überarbeitet und von der Ellbogengesellschaft affektisch auf eine Schwundstufe zurückgestutzt ist der besserverdienende europäische Single kaum noch paarungsfähig – ihm ist also die einzig verbliebene Ganzheitserfahrung verstellt. Zu allem Überfluß tritt diesem degenerierten "corps morcelé"3 auch noch der vitale Wilde entgegen, der ihn mit endgültiger Vernichtung bedroht. Der Europäer, so das Fazit von Michel, muß sein Glück anderswo suchen (ebd.: 234).

Hier kommt nun die Reiseisotopie ins Spiel, die sich von Anfang an durch den Text zieht: Mit dem Erbe des vom wilden Anderen vernichteten Vaters macht sich Michel nach Thailand auf und lernt dort Valérie kennen, die wiederum in der Reisebranche tätig ist. Dieses Intervall von postkolonialer Gewalt und Reiseindustrie wird dann in der Episode von der vergewaltigten Tourismusmanagerin Marilyse Le François noch einmal enggeführt. Zwischen dem Tourismus und der Wiederkehr der verdrängten Kolonialgeschichte besteht mithin eine intrinsische Verbindung. Das gewaltsame postkoloniale Andere ermöglicht das Reisen und bedroht es zugleich. In diesem Spannungsfeld nimmt der zweite Erzählbogen des Romans seinen Ausgang: Die Entwicklung eines globalistischen Ferienclubkonzepts, das die sexuellen Bedürfnisse des okzidentalen Mangelwesen auf die vitalistischen Ressourcen der Neuen Welt und Ostasiens hin perspektiviert. Das Schlagwort hierzu ist der Begriff der métissage (ebd.: 227) – eine harmonische Rassenmischung also, wie sie ja bereits im 2+2 stattfand. Das klingt nach fröhlichem Multikulturalimsus, bei dem die bedrohliche postkoloniale Gewalt im nationalen Innenraum kurzerhand in hedonistischen Internationalismus umgeschmiedet wird. Aber so einfach geht es nicht. Dies wird schon an dem keineswegs unschuldigen Ort deutlich, an dem der Begriff der métissage erstmals theoretisiert wird. Valérie, die mit der Entwicklung des neuen Ferienclubkonzepts betraut ist, befindet sich nämlich mit Michel auf Baracoa – jener Küstenstadt also, deren zirkulärer Strand und gefügige Bevölkerung schon Columbus in Entzücken versetzte. Houellebecq weist ausdrücklich auf die Ankunft des Genovesers am 28. Oktober 1492 (ebd.: 224) hin und markiert damit unmißverständlich den degré zéro europäischer Kolonialgeschichte.




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So nimmt es auch nicht wunder, wenn der Leitgedanke des Unterfangens wie eine globalistische Reprise der ersten Eroberung anmutet: Der Okzidentale hat durch zuviel Abstraktion seinen Körper verloren, der Indigene ist der reine Körper. Man muß nicht übertrieben spitzfindig sein, um hier die Geist/Körper-Dichotomie wiederzufinden, die der Conquista der Neuen Welt ideologisch den Weg bereitet hat. Zwei Dinge faszinieren Columbus an den 'Indianern': die gänzliche Abwesenheit der europäischen Zivilisation und die schönen Leiber. Ersteres legitimiert eine Eroberung im Zeichen des Evangeliums, letztere verweisen auf die Eignung zur Sklavenarbeit.4 In Plateforme verschiebt sich die Dichotomie ein wenig: Der Indigene zeichnet sich durch eine gänzliche Abwesenheit von Kapital aus und verfügt gerade deswegen über unkorrumpierte Körperlichkeit. Der Umkehrschluß lautet: sein Körper ist käuflich. Wie dies näherhin aussieht, illustriert Houellebecq in einer Episode, die unter ihrer sexual explicitness eine sehr genaue Vorstellung von der Position und Funktion des indigenen Anderen verbirgt. In einem Ferienklub auf Kuba sehen Michel und Valérie vor ihrem Bungalow ein Zimmermädchen, das ihren Vorstellungen entspricht. Sie holen die etwa Zwanzigjährige zu sich ins Innere des Hauses:

Margarita hésita encore un instant, puis elle retira son slip et s'agenouilla entre les cuisses de Valérie. Elle regarda d'abord sa chatte, la caressant de la main, puis elle approcha la bouche et commença à la lécher. Valérie posa une main sur la tête de Margarita pour la guider [...]. Le cul de la petite Noire ondulait à mesure qu'elle se penchait et se relevait sur le pubis de Valérie. Je la pénétrai d'un seul coup, sa chatte était ouverte comme un fruit. (Houellebecq 2002: 206)

Margarita ist das topische Stubenmädchen des erotischen Imaginären kolonialer Prägart. Sie ist nichts als appetitliches, willfähriges Fleisch. Ihr Körper stellt gewissermaßen das Bindeglied zwischen den beiden Okzidentalen Michel und Valérie dar und seine Haltung ist die perfekter Servilität. Den gesenkten Kopf zwischen den Schenkeln der Herrin, öffnet sie sich willfährig dem Herren. Ihr Kopf – der Sitz des Verstandes – muß von Valérie geführt werden, ihr Geschlecht öffnet sich von selbst wie eine Frucht. Als Blume und exotische Frucht wird Margarita in das Haus eingelassen und nachher für ihre Dienste entlohnt. Sie ist der neokoloniale Gegenentwurf zu dem rohen postkolonialen Anderen, das das nationale Haus Frankreich verwüstet. Ob sie – das Mitglied einer Gesellschaft, die sich noch bis vor kurzem rühmen durfte, über das höchste Bildungsniveau von ganz Lateinamerika zu verfügen – eine Bewohnerin der 'glücklichen Inseln' ist, sei dahin gestellt. Was sie über ihre Lage denkt, erfährt der Leser nicht.




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Das neue Clubkonzept soll Eldorador Aphrodite (ebd.: 240) heißen. Darin verbinden sich Eroberungsgestus – die Suche nach dem Eldorado – und vorchristliches, vom Gedanken der Sünde befreites Hetärentum. Die Idee ist denkbar einfach. Man nehme einen Club Méditérrané und ersetze die Sportanimateure durch männliche und weibliche Prostituierte. Das ist billiger als jedes andere Clubkonzept und zudem effizienter. Hier kommt dann auch die zweite Bedeutung des Eldorado ins Spiel: die Jagd nach dem in einer globalen Ökonomie immer schwieriger zu erzielenden Profit. Valérie und ihr Kollege Jean-Yves wissen genau, was auf dem Spiel steht. Wenn sich das Projekt als Flop erweist, sind sie ihren Job los und fürderhin mit dem Makel der Gescheiterten gebrandmarkt. Das Konzept läßt sich indes sehr gut an. Die TUI nimmt es in ihre Reisekataloge auf, und schon bald eröffnet der erste Club in Thailand. Michel, Valérie und Jean-Yves verbringen dort die Weihnachtsferien. Es herrscht entspannte Stimmung. Am Strand kommt es unter den angereisten Paaren zu spontanen Kontakten, und die Singles beider Geschlecht finden sofort, was sie suchen. Die métissage scheint zu funktionieren. Doch dann geschieht das, worauf der Text von der ersten Seite an hinarbeitet: Islamistische Terroristen stürmen den Club und richten ein Massaker an, bei dem es viele Tote gibt. Valérie stirbt. Michel wird verletzt, bleibt jedoch am Leben. Wie Bruno in Les particules élémentaires verliert er durch den Tod der geliebten Frau allerdings jeden Halt und zurück in Paris flüchtet er sich in eine psychiatrische Klinik. Nachdem er entlassen wird, zieht es ihn jedoch erneut nach Thailand. Diesmal geht er nach Pattaya – in das 'Eldorado' des billigen Sextourismus – und beginnt seine Niederschrift. Nach deren Beendigung wartet er auf den Tod: "On m'oublira. On m'oublira vite" (ebd.: 351) – sind die letzten Worte des Textes.

Plateforme – so die Erzählerfiktion des Romans – ist Michels Vermächtnis. Das ist insofern folgenreich, als er als psychisch traumatisiertes Subjekt ja den Idealtypus eines unzuverlässigen Erzählers abgibt, seine Perspektive also durchaus verzerrt sein kann. Die gegen Ende des Textes immer häufiger ausbrechenden Haßtiraden gegen jede Art islamischer Kultur ließen sich somit dieser Perspektivik zuschlagen. Hinter dem Erzähler Michel steht aber der Autor Houellebecq, der die Ereignisse von der Ermordung des Vaters bis zum finalen Massaker in eine Dialektik von postkolonialer Gewalt und neokolonialem Sextourismus eingewoben hat. Es wird demnach zu fragen sein, ob es sich bei Plateforme um eine ironische Reprise kolonialer Aneignungsdiskurse handelt, bei der die Gegengewalt lesbar wird als eine (partiell selbstverschuldete) Wiederkehr verdrängter Kolonialgeschichte, oder ob nicht die durchgängigen Stereotype gefügiger bzw. gewaltsamer Körperlichkeit gerade jenen neokonservativen Diskurs befördern, der das Andere immer nur in Form topischer Phantasmen begreifen kann.

Zunächst zu ersterem. Wie bereits wiederholt angesprochen, ermöglicht das initiale Eindringen des postkolonialen Anderen in den nationalen Innenraum die erste Reise des Erzählers. Diese Reise ist ihrerseits das Initiationsmoment einer Bewegung, die in der neokolonialen Konzeption von Eldorador Aphrodite seinen Gipfelpunkt erreicht. Wird nun das gewaltsame Eindringen des postkolonialen Andern lesbar als Wiederkehr verdrängter Kolonialgeschichte, so handelt es sich bei dem neokolonialen Sextourismus ganz offensichtlich um eine Art 'Wiederholungszwang'. Dies ist umso interessanter, als die neokoloniale Wiederholung der ersten Eroberung ja gerade den Aspekt der realen Ausbeutung der Dritten Welt durch die Erste unterschlägt. Damit erweist sie sich in der Tat als geradezu perfekte Wiederholung, hat doch auch die erste Kolonisierung des Anderen seine rein ökonomischen Motive von Anfang an durch das Evangelisierungsgebot verdrängt.5




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Wenn nun die postkoloniale Gewalt als Wiederkehr des Verdrängten eben auch die koloniale Gewalt wieder zu Tage fördert, dann wird die neokoloniale Abkehrbewegung von der Alten Welt ihrerseits deutbar als eine Bewältigung der ersten Kolonisierug. "Seht her", sagt der Text, "die Einheimischen machen ja alles freiwillig und profitieren auch noch davon."6 Hierin mag die Ironie von Plateforme liegen. Der Roman böte demnach zunächst eine Scheinsolidarisierung mit der neokolonialen Position des unzuverlässigen Erzählers an. Indem er jedoch vermittels der Wiederkehr des Verdrängten auf den jeder Kolonialbewegung innenwohnenden Gewaltaspekt hinweist, kommt es zu einer Entsolidarisierung mit Michel und einer tatsächlichen Solidarisierung mit der globalismuskritischen Position des Autors.7

Ob Houellebecq so weit geht, wird man allerdings zurecht in Frage stellen dürfen. Zum einen situiert sich die neokoloniale Abkehrbewegung im Paradigma von Mangel und Ganzheitserfahrung: die entkräftete, entkörperlichte Alte Welt bedarf also der sinnlich-körperlichen Neuen Welt, um ihre eigene radikale Spaltung zu überwinden. Zum anderen sind die Kräfte, die die Heilung des europäischen "corps morcelé" verhindern, die der rohen Barbarei. Und hier wird man dann auch der in ihrer Fülle nachgerade unerträglichen Rassenstereotype eingedenk werden müssen, aus denen sich der Roman zusammensetzt. Moslems ermorden die Männer, die mit ihren Schwestern schlafen, Schwarze in Gestalt des 'geilen Negers' vergewaltigen die unbescholte Französin, und bei den Rassenunruhen kommen Lehrer – die Träger der Kultur – und Behinderte – die Schwächsten der Gesellschaft – zu Schaden. Die 'positiven' Stereotype stehen dem in nichts nach: Oôn, die erste Thailänderin, die beschrieben wird, ist eine Vaginalgymnastin, die Kubanerin Margarita eine offene Frucht – die Reihe ließe sich verlängern. All diesen Frauen eignet eine flagrante Absenz an Persönlichkeit jenseits willfähriger Körperlichkeit. Wie bei Columbus ist der Wilde hier diametral komplementär: er ist entweder grundböse oder gut und unschuldig wie ein Tier. Er läßt sich entweder asymmetrisch in das Kolonialprojekt einbinden oder ist ein furchtbarer Kannibale.8

In seinem vielbeachteten Buch The Location of Culture hat Homi Bhabha auf die Funktion des Stereotyps innerhalb des Kolonialdiskurses hingewiesen. Es dient wesentlich dazu, eine zu starke Annäherung des Anderen an seinen Kolonisator abzufangen. Dies ist umso bedeutsamer, als das Kolonialprojekt ja stets mit der moralischen Verpflichtung begründet wird, den Anderen auf die eigene Kulturstufe zu ziehen, ihm also zu helfen, seine Andersheit und Wildheit zu verlieren. Wird der Andere zum Selbst, dann hat freilich das Kolonialprojekt seine Legitimation verloren. Um die eurozentristische Dichotomie Selbst vs. Anderer aufrechtzuhalten, bedarf es mithin des Stereotyps der Rassen, an der sich die Differenz des Anderen zu jeder Zeit unzweifelhaft ablesen läßt. Damit wird das Stereotyp insofern zum Fetisch, als es dazu dient, das wahre Begehren – die Bewahrung des kolonisierenden Selbst vor Zersplitterung durch den Anderen – zu maskieren. Zugleich ist es damit eine narzißtische Objektwahl. Das Stereotyp verweist aber auch intrinsisch auf seinen grundsätzlichen Mangel an Legitimität und erzeugt daher die zu seiner Aufrechterhaltung nötige Aggression gegen den stereotypisierten Anderen. (Bhabha 1994: 76f.)9




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Diese vierfache Strategie findet sich bei Houellebecq wieder. Der böse Moslem verhilft dem stagnierten Europa insofern zu neuer Einheit, als es sich jetzt als Kultur gegenüber fundamentalistischer Unkultur konsolidieren kann. Die Objektwahl ist narzißtisch, weil sie zur Selbstkonstitution des sie treffenden Subjekts dient. Schließlich kaschiert das Stereotyp seinen Mangel an Legitimität, denn, wie man weiß, ist ja nur ein Bruchteil aller Moslems fundamentalistisch und dies meist aus handfesteren Gründen als aus naturhafter Bosheit.10 Die Aggression – Michel sagt an einer Stelle, er sei froh um jedes von Israelis getötete palästinensische Kind (Houellebecq 2002: 338) – verbirgt diesen Mangel an Legitimation: Wer soviel Aggression auf sich zieht, muß sie auch verdient haben. Mit den 'positiven' Stereotypen verhält es sich analog. Sie maskieren das sexuelle wie ökonomische Interesse der neokolonialen Aneignung. Die Besetzung ist insofern narzißtisch als die Willfährigkeit des guten Andern die Spaltung des europäischen Subjekts heilt. Auch hier maskiert das Stereotyp seinen Mangel an Legitimation, denn wie man weiß, wollen nicht alle Frauen der Dritten Welt gegen Entgelt mit Europäern Geschlechtsverkehr ausüben. Statt Aggression entsteht dann freilich eine affektische Bindung: wer wegen seiner reinen Körperlichkeit begehrt wird, kann auch nur Körper sein.

Nicht minder problematisch als die durchgängige Stereotypisierung des Anderen, erscheint die Dichotomie von Vitalismus und Mortalismus – ein Begriffspaar, das, wie Michel Foucault gezeigt hat, zutiefst mit der Episteme des 19. Jahrhunderts und näherhin mit Wünschen und Ängsten des Bürgertums verquickt ist.11 Sind im bürgerlichen Diskurs Vitalismus und Mortalismus noch die zwei Seiten einer Medaille – man denke hier etwa an die Romane Zolas12 – so spaltet sich die Darwinistische Metapher bei Houellebecq und rückt in die Nähe zu einem rassentheoretischen Axiom, das nur vordergründig die Antinomie vom gesunden Volkskörper und der ihn zersetzenden minderwertigen Rasse invertiert. In Plateforme ist der Andere stark, wir sind schwach – die Gefährdung bleibt die gleiche. Wie sehr diese Denkfigur Houellebecq eignet, zeigt sich an einer äußerst aufschlußreichen Stelle seines Debütromans Extension du domaine de la lutte. In der Hoffnung auf ein sexuelles Abenteuer verbringen der Erzähler und sein Doppelgänger Tisserand den Weihnachtsabend in einer Strandkneipe. Sie beobachten, wie eine perfekte Blondine, bei der der Erzähler zuvor abgeblitzt ist, mit einem schönen Schwarzen tanzt. Tisserand sagt: "Je préférerais tuer le type." (Houellebecq 1999: 118) Als das Paar das Lokal verläßt, folgen ihm die beiden Männer in die Dünen. Schließlich gibt der Erzähler Tisserand ein Messer und bleibt zurück. Nach einer Weile kommt dieser wieder und berichtet:

Quand je suis arrivé, ils étaient entre deux dunes. Il avait déjà enlevé sa robe et son soutien-gorge. Ses seins étaient si beaux, si ronds sous la lune. Puis elle s'est retournée, elle est venue sur lui. Elle a déboutonné son pantalon. Quand ella a commencé à le sucer, je n'ai pas pu le supporter. [..] Je me suis retourné, j'ai marché entre les dunes. J'aurais pu les tuer ; ils n'entendaient rien. Je me suis masturbé. Je n'avais pas envie de les tuer ; le sang ne change rien. (ebd.: 120)




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Was hier vorgeführt wird ist eine 'Urszene' rassistischen Diskurses: Am Weihnachtsabend, dem Fest der Geburt Christi, schleudert der topische, für Potenz und Genitallänge berüchtigte 'geile Neger' seinen Samen in den Uterus der schönen Französin. Mit einem zweiten Phallus, dem Messer, will Tisserand der Rassenschande noch rechtzeitig Einhalt zu gebieten, doch er ist zu schwach und kann bloß noch auf supplementäre Weise die Geschlechtshandlung imitieren. Ein Mord ändert nichts, das Eindringen des starken Anderen ist nicht mehr aufzuhalten. Noch in derselben Nacht stirbt Tisserand bei einem Autounfall. Der Erzähler legt nahe, daß es sich um Selbstmord handelt.13


III

Houellebecqs Romanwelt ist von Anfang vom starken Anderen bedroht. Die Kopula zwischen dem Schwarzen und der Französin ist ein sinnfälliges Beispiel dafür, was man in der neuerern Postkolonialismusforschung 'Hybridisierung' nennt, und eben diese Hybridisierung kann Tisserand nicht ertragen.14 Was er sucht, ist eine unverbrüchliche Einheit des eurozentristischen Selbst, doch diese Einheit ist für immer verloren. Eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Grund dieses Verlustes gibt Houellebecq in seinem wohl bekanntesten Roman Les particules élémentaires. Zurecht gilt der Text als Abrechnung mit der 68er Generation, und vor dem Hintergrund von Houellebecqs allegorischer Figurenkonzeption nimmt es nicht wunder, daß gerade die Mutter der Protagonisten Michel und Bruno die Wurzel allen Übels ist. Schon ihr Vorname Janine, den sie später in Jane umwandelt, verweist auf die französische Nationalheilige Jeanne d'Arc. Wie diese ist Janine/Jane eine unabhängige, sich gegen die Regeln des Patriarchats auflehnende Frau – doch diese Auflehnung ist nicht Befreiung, sondern Sündenfall: Von Anfang an ihrem Ehemann untreu, verläßt sie ihre kleinen Söhne, um nach Kalifornien in eine Hippiekommune zu ziehen. 1970 kehrt sie zurück. Sie ist der Inbegriff der Promiskuität, ein Schlund von Weib, der seine jungen, teils minderjährigen Geliebten bis ins hohe Alter einsaugt und ausspeit. In einer Schlüsselszene betrachtet Bruno die geöffnete Vulva seiner nach der Kopulation schlafenden Mutter und tötet daraufhin einen mit dem Geschlechtsteil paronomastisch verbundenen chat (Houellebecq 1998: 91). Wer Zolas großen Kokottenroman Nana gelesen hat, weiß, was dies zu bedeuten hat, denn der weibliche trou ist dort bekanntermaßen die isotopische Metapher für den Niedergang des Bürgertums.15




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Janine/Jane ist eine Spalterin, eine Zersetzerin. Genealogisch zerschlägt sie früh die Mutter/Kind-Dyade, was zur Folge hat, daß ihr Sohn Bruno – ein "corps morcelé" im Lacanschen Sinne – Zeit seines Lebens sexualneurotisch ist. Die zerstörte Ganzheit der bürgerlichen Kleinfamilie überträgt sich nun auf die Nationalallegorie, wo die wahrlich 'teuflische' Jeanne d'Arc mit Amerikanisierung und rückhaltloser Promiskuität die nationale Ganzheit zersplittert. 1968 wird damit zum Sündenfall der Dispersion, und dieser Sündenfall hat ein Vorbild in der französischen Literatur. Es handelt sich um die Revolution von 1789 und ihre Verarbeitung bei Balzac, etwa in Illusions perdues oder Le père Goriot. In Balzacs katholisch-monarchistischem Programm hat die französische Revolution die alte Ordnung durch Chaos ersetzt, so wie die Studentenrevolte, die Hippie-Gegenkultur und letztlich wohl auch die condition postmoderne das bürgerliche Frankreich der de Gaulle-Ära fragmentiert haben. Bei Balzac gibt es freilich eine Gegenbewegung zu seinem Programm: Die dem Chaos entstiegenen Figuren der classes dangereuses werden in ihrer schier unbändigen Vitalität gefeiert und können, wie etwa der Erzverbrecher Vautrin in Splendeurs et misères des courtisanes, am Ende sogar Polizeipräsident von Paris werden. Dergleichen Feier der Kräfte des Chaos klingt bei Houellebecq nach, wenn sich Bruno mit seiner Freundin Christiane entgrenzenden Gang-Bangs hingibt. Nichtsdestoweniger steht diese wahllose Promiskuität im Zeichen des Todes. Bezeichnenderweise hat Christine den ersten Anfall ihrer tödlichen Rückenlähmung während einer partouze (Houellebecq 1998: 306).

Les particules élémentaires liefert aber nicht nur die Ursache der verlorenen Einheit, sondern auch deren Rückgewinnung. Während Bruno am Ende des Romans in seiner Sexualneurose versinkt, schafft sein diametral-komplementärer Bruder Michel den Neuen Menschen. Dieser Neue Mensch, der keine Geschlechterdifferenz mehr kennt, erinnert wohl kaum zufällig an das Platonische Androgyn:

Maintenant que nous sommes parvenus à destination
Et que nous avons laissé derrière nous l'univers de la séparation,
L'univers mental de la séparation,
Pour baigner dans la joie immobile et féconde
D'une nouvelle loi
[...] (ebd.: 13).16

Das platonische Androgyn ist ein alter europäischer Traum, der nicht umsonst seine zweite Blüte im Neuplatonismus der europäischen Renaissance feiert– zu einer Zeit also, da die alten Gewißheiten an der neuen "Pluralität der Welt"17 zerstäuben. Dies führt dann auch zurück zu Plateforme, denn die europäische Renaissance ist ja zugleich die Zeit der Eroberung der Neuen Welt. Daß die Neue Welt durchaus als Heilung und Rettung der Alten verstanden wurde, ist bekannt. So lädt etwa Ronsard in der Ode "Les isles fortunées" alle Mitglieder der Pléiade ein, das zerstrittene und kriegsversehrte Europa hinter sich zu lassen, und bezeichnenderweise ermöglicht die Neue Welt das, was in der Alten unmöglich ist, nämlich die Vereinigung mit der spröden Petrarkistischen Geliebten18




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Là ne sera, comme en France, dépite
Encontre toi ta belle Marguerite,
Ainsi d'elle même à ton col se pendra :
Avec Baïf sa Meline viendra,
Sans qu'il appele, & ma fiere Cassandre
Entre mes bras, douce, se viendra rendre.

(Ronsard 1928: 185f.)

Den Textstrukturen von Les particules élémentaires und Plateforme eignet mithin ein und dieselbe Schließungsbewegung hin auf eine anvisierte oder realisierte Rückgewinnung primordialer Ureinheit. Diese Tatsache hat sicherlich zum internationalen Erfolg des Autors beigetragen, denn dahinter verbirgt sich auch ein gehöriges Maß an Postmodernekritik: statt unaufhörlicher différance die Rückkehr zur Monade.19 Daß diese neokonservative Rückkehr einhergeht mit ostentativer Verletzung jedweder political correctness tut sicher ein übriges. Und nicht zuletzt sind es wohl die greifbaren Sündenböcke, die Houellebecqs Romane zu handlichen Kompendien der Komplexitätsbewältigung machen. Ein Sündenbock, das lehrt uns René Girard, wird immer aufgrund körperlicher oder geistiger Differenz für die Entdifferenzierung der Gruppe verantwortlich gemacht (1999: 81ff. u. 117ff.).20 Er ist immer der Fremde, der Vatermörder, die untreue Frau, mithin "le double monstrueux" (ebd.: 213ff. u. 373ff). Sein rituelle Tötung, – und besteht sie nur in seiner endgültigen Stigmatisierung – schafft eine Neue Ordnung mit neuen Grenzziehungen. Das jedoch freilich nur, solange die méconnaissance, eine Verkennung der tatsächlichen Auswahlkriterien seitens der am Ritual Beteiligten, greift (ebd.: 126).


Literatur

Bhabha, Homi K. (1994): The Location of Culture. London: Routledge.

Bronfen, Elisabeth u. Benjamin Marius (1997), "Hybride Kulturen. Einleitung zur angloamerikanischen Multikulturalismusdebatte": in: Elisabeth Bronfen u. a. (Hg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte, Tübingen, 1–29.

Colón, Cristóbal (1992): Textos y documentos completos. 2. erw. Auflage. Hg. von C. Varela. Madrid: Alianza Universidad. [1982]

Dirlik, Arif (1996): "The Postcolonial Aura: Third World Criticism in the Age of Global Capitalism", in: P. Mongia (Hg.): Contemporary Postcolonial Theory. A Reader. London u. New York: Arnold, 294–320.

Foucault, Michel (1963): Naissance de la clinique. Une archéologie du regard médical. Paris: Gallimard.

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Freud, Sigmund (1920): "Jenseits des Lustprinzips", in: Studienausgabe, Bd. III. Hg. von A. Mitscherlich, A. Richards u J. Strachy. Frankfurt/M.: Fischer 1975, 212–272.

Freud, Sigmund (1927): "Fetischismus", in: Gesammelte Werke, Bd. XIV. Hg. von A. Freud. Frankfurt/M. 1999, 309–317.

Houellebecq, Michel (1998): Les particules élémentaires. Paris: Flammarion.

Houellebecq, Michel (1999): Extension du domaine de la lutte. Paris: Éditions J'ai lu. [1994]

Houellebecq, Michel (2002): Plateforme. Paris: Éditions J'ai lu. [2001]

Girard, René (1999): La violence et le sacré. Paris: Hachette (Pluriel). [1972]

Greenblatt, Stephen (1991): Marvelous Possessions. The Wonder of the New World. Chicago: Chicago University Press.

Hulme, Peter (1998): "Introduction: The Cannibal Scene", in: F. Barker u.a. (Hg.), Cannibalism and the Colonial World. Cambridge: Cambridge University Press.

Lacan, Jacques (1949): "Le stade du mirroir comme formateur de la fonction du Je" , in: ders., Écrits. Paris: Éditions du Seuil 1966, 93–100.

Lacan, Jacques (1958): "La signification du phallus", in: ders., Écrits. Paris: Éditions du Seuil 1966, 685–695.

Lacan, Jacques (1998), Le Séminaire. Livre V: Les formations de l'inconscient. Paris: Éditions du Seuil.

Pastor, Beatriz (1983): Discurso narrativo de la conquista. Havanna: Casa de Americas.

Ronsard, Pierre de (1928): "Les isles fortunées. A Marc Antoine de Muret", in: Œuvres complètes, Bd. V. Hg. von P. Laumonier. Paris, 175–191.

Schober, Rita (2003): "Renouveau du réalisme? Ou de Zola à Houellebecq? Hommage à Colette Becker", in: dies., Auf dem Prüfstand. Zola – Houellebecq – Klemperer. Berlin: Tranvía, 195–207.




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Stempel, Wolf-Dieter u. Karlheinz Stierle (Hg.) (1987): Die Pluralität der Welt. Aspekte der Renaissance in der Romania, München: Fink.

Todorov, Tzvetan (1991): La conquête de l'Amerique. La question de l'autre. Paris: Éditions du Seuil (Points). [1982]

Warning, Rainer (1999a), "Der ironische Schein: Flaubert und die Ordnung der Diskurse", in: ders., Die Phantasie der Realisten. München: Fink, 150–184.

Warning, Rainer (1999b): "Kompensatorische Bilder einer 'wilden Ontologie': Zolas Les Rougon Maquart", in: Die Phantasie der Realisten. München: Fink, 241–268.

Zola, Émile (1998): Nana. Hg. von H. Mittérand. Paris: Gallimard (folio). [1880].


Anmerkungen

1 Eine einläßlichere Abhandlung findet sich in der Abteilung "La signifiance du phallus", in Lacan (1998: 249–350).

2 Vgl. Freud (1919: 241–274). Hier näherhin 263.

3 Die Begrifflichkeit entwickelt Lacan ursprünglich für das, sich seiner Trennung von der Mutter erstmals schmerzlich bewußte Kleinkind. Vgl. Lacan (1949: 93–100). Hier 97.

4 Vgl. hierzu grundlegend Todorov (1991: 48–68).

5 Vgl. hierzu etwa Pastor (1983: 82–109).

6 Freud geht davon aus, daß der Wiederholungszwang u.a. dazu dient, "durch seine Aktivität eine weit gründlichere Bewältigung" des verdrängten traumatischen Ereignisses zu ermöglichen "als es beim passiven Erleben möglich war". Vgl. Freud (1920: 245). Die Verdrängung des Gewaltaspekts in der aktiven neokolonialen Wiederholung scheint demnach wesentlich die Funktion zu haben, das in der postkolonialen Gewalt wieder aufbrechende, kollektiv verdrängte Schuldtrauma an der eigenen Kolonialgeschichte zu bewältigen.

7 Das hier verwendete Ironiemodell entstammt Warning (1999a: 155ff.).

8 Aufschlußreich ist hierzu die "Carta a Luis de Santángel" (1493), in Colón (1992: 219–226). Vgl. auch Greenblatt (1991: 70ff.). Der Gedanke, die 'bösen Wilden' als Sklaven nach Spanien zu importieren, kommt erstmals in der "Relación del segundo viaje" (1494) zum Tragen, wo die Karibik ausschließlich von phantasmatischen Menschenfressern bewohnt scheint, die freilich nie in Erscheinung treten. Colón (1992: 235–254). Hier bes. 250. Zum Verhältnis von Kannibalismus und Legitimation des Kolonialprojekts s. Hulme (1998: 1–38).

9 Bhabhas Konzept entstammt wesentlich Freud (1927: 309–317).




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10 Es ist bezeichnend, daß Houellebecq, der es ansonsten liebt, längere ökonomische Digressionen in seine Texte einzuflechten, sich hier erstaunlich bedeckt hält. Auch unterschlägt er die starke politische Einflußnahme der Vereinigten Staaten im Nahen Osten sowie die für die Region zentrale Problematik der von Israel seit 1967 besetzten und teilweise besiedelten Palästinensergebiete. Die "religion déraisonable" (242) – man bemerke den Gegensatz zum aufgeklärten Occident raisonable – genügt ihm als Passepartout. Im Falle Kubas verhält es sich kaum anders. Weder der Zusammenbruch des UdSSR, noch das vierzig Jahre währende Handelsembargo seitens der USA und der damit verbundene Ausschluß aus der WTO sind ausschlaggebend für den ökonomischen Niederganges des Landes – schuld daran hat einzig das faule und diebische kubanische Volk (231), mithin seine kategoriale Indisposition zu jedweder Arbeit.

11 "[L]a mort était la seule possibilité de donner à la vie une vérité positive. L'irréductibilité du vivant au mécanique ou au chimique n'est que seconde par rapport à ce lien fondamental de la vie et de la mort. Le vitalisme apparaît sur fond de ce mortalisme." Foucault (1963: 147f.). Vgl. auch Foucault (1966: 290ff.).

12 S. hierzu einläßlich Warning (1999b: 264).

13 Die Textstelle erscheint umso sinnfälliger, wenn man bedenkt, daß sich ja auch das finale Massaker von Plateforme während der Weihnachtsferien zuträgt. Der letztere Roman wird damit insofern zu einer Art typologischem implementum des ersteren, als er die dort aufscheinende gefahrvolle Semantik zunächst in der Marilyse Le François-Episode bestätigt, um sie dann exemplarisch auf Frage nach dem postkolonialen wilden Anderen umzulegen.

14 Der Begriff der Hybridität ist nicht unproblematisch. Für Bronfen/Marius (1997: 14ff.) scheint er wesentlich das Privileg der internationalen Academia und einer multikulturell ausgerichteten Disco- und Freizeitkultur zu sein. Die Autoren reflektieren jedoch die ökonomischen Voraussetzungen dieser exklusiven Hybridität nicht und übersehen damit auch die Gegenseite der Medaille, nämlich: Rassismus und Stereotypenbildung. Bhabha (1994) gebraucht den Begriff auf zweierlei Weise – einmal zur Beschreibung der Spaltung des Kolonisators durch den ihn vermittels Mimikry nachahmenden Kolonisierten (85ff.), einmal im Hinblick auf die postkoloniale Gegenwart, in der jedes Subjekt – unabhängig von Gender, Ethnie und Klassenzugehörigkeit – gleichermaßen von Hybridität erfasst sei (213ff.). Der erste, psychoanalytische Gebrauch ist sicher der griffigere, weil sich daraus wiederum die Gründe der Stereotypenbildung ableiten lassen. Die zweite Verwendung läuft jedoch die Gefahr verallgemeinernder Unschärfe und scheint dann auch weit mehr utopische, denn empirische Züge zu tragen. Ein hier enger an der Achse class, race, gender und damit um einiges differenzierter argumentierender Ansatz findet sich bei Dirlik (1996: 294–320).

15 Vgl. hierzu Warning (1999b: 259ff.). Die Parallele reicht indes noch weiter. Im Tod ist das von Pocken entstellte Gesicht der Nana nur noch "une moissure de la terre". Vgl. Zola (1998: 447). Bei Houellebecq (1998) findet sich dieses Erdbild wieder: "Le teint [de son visage] était terreux, très foncé." (318) Und was bei Zola elliptisch bleibt, spricht Bruno aus: "Tu n'es qu'une vieille pute. [...] Tu mérites de crever" (ebd.: 319). Zum Verhältnis von Zola und Houellebecq vgl. Schober (2003: 195ff.).

16 Kurs. im Original.

17 Zur Begrifflichkeit s. Stempel/Stierle (1987).

18 Zur Deutung der Westindischen Inseln als irdisches Paradies s. etwa Todorov (1991: 24–47) sowie Greenblatt (1991: 52–85).

19 Den Begriff der Monade gebraucht Michel ausdrücklich in Hinblick auf sein Forschungsprojekt. Vgl. Houellebecq (1998: 232).




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20 Die Opferwahl verläuft auf der Oberfläche nach kausalen Bedingungen zwischen Sündenbock und Krise: Die Opfer werden 'entdifferenzierender' Verbrechen wie des Vatermordes oder des Inzests angeklagt. In der Tat werden sie aber nicht vermittels systeminterner Differenzen ausgesucht, sondern gerade deswegen, weil sie die Zeichen bestimmter systemexterner Differenzen aufweisen, die die Bedingtheit des Systems aufzeigen. Diese invertierte Kausalität zeigt Girard etwa am Ödipus-Mythos: Ödipus wird nicht wegen des Vatermordes zum Sündenbock, sondern weil er von Anfang an die Zeichen des Opfers trägt: Er ist ein Fremder und hinkt. Sonach muß er auch für die Pest verantwortlich sein. Seine ethnische und physische Anomalie impliziert für die 'gesunden' Einwohner Thebens eine destabilisierende Dynamik gegen die bestehende Ordnung.

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