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Rolf Lohse (Göttingen)



Klaus-Dieter Ertler (2000): Der frankokanadische Roman der Dreißiger Jahre. Eine ideologieanalytische Darstellung. Tübingen: Niemeyer. (= Canadiana Romanica 14).


In seiner Habilitationsschrift, die er als einen "Beitrag zur Erforschung der narrativisierenden Behandlung von Ideologie in den axiologisch markanten frankokanadischen Erzähltexten der 30er Jahre" (1) versteht, analysiert Klaus-Dieter Ertler wertende Aussagen in Texten vor dem Hintergrund ideologischer Positionen dieser Zeit. Er geht aus von zwei dominierenden, in Frankokanada in den dreißiger Jahren polaren Wertesystemen, dem nationalistischen und dem liberalistischen, und untersucht, welche Spuren sie in den Romanen der Zeit hinterlassen. Mit Bedacht wählt Ertler Texte, in denen komplexe Wertkonfigurationen sichtbar werden, etwa in deutlich kontrastierenden ideologischen Positionen der Instanzen Figur, Erzähler und abstrakter Autor. Dabei geht es ihm darum, zu ermitteln, "in welcher Form Thesenhaftes – von ideologischen Kompaktkonstruktionen bis zu feinsten Spurenelementen an Ideologismen reichend – durch Erzählmechanismen einer Behandlung unterzogen wird" (65).

Im ersten Teil der klar gegliederten Arbeit, "Voraussetzungen und Grundfragen", stellt der Vf. im ersten Kapitel wichtige Definitionen von Ideologie zusammen, die er nach dem je unterschiedlichen Begriffsumfang auffächert und in eine gestufte Reihe bringt (7–34), sucht im 2. Kapitel unter Berücksichtigung der verwendeten narrativen Verfahren (35–65) Antworten auf die Frage, "ob und wie Möglichkeiten der literarischen Konfiguration von Ideologie denkbar sind" (35) und analysiert im 3. Kapitel kenntnisreich und differenziert die bestimmenden ideologischen Positionen der dreißiger Jahre, wie sie in nationalistisch und liberalistisch ausgerichteten Periodika der Zeit formuliert werden (67–154). Im zweiten Teil der Arbeit (155–397) analysiert er ideologische Positionen in neun herausragenden frankokanadischen Romanen. Die Texte, die den drei Gattungen historischer Roman, Landroman und Stadtroman zugeordnet sind, werden auf die von ihnen transportierten ideologischen Stellungnahmen untersucht, wobei mögliche Affirmationen bzw. Distanzierungen von der übergreifenden Tendenz durch die Figuren und Erzählinstanzen Berücksichtigung finden.

Von zentraler Bedeutung in dieser Arbeit ist der verwendete methodische Ansatz, nach dem Ideologie im Text geortet und interpretiert wird. Mit der Absicht, wertende Aussagen in den analysierten Texten auch noch in Spuren aufzufinden und interpretatorisch zur Geltung zu bringen, etabliert Ertler einen weit gespannten Theorierahmen, der diskurstheoretische (Lotman), soziologische (Bourdieu) und systemtheoretische (Luhman) Ansätze integriert und den er von ideologieanalytischen Ansätzen materialistischer (Lukács, Goldmann, Zima, Mitterand) und interaktionistischer Provenienz (Weber) abgrenzt.



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Der Ausgangspunkt der systemtheoretischen Analyse von Ideologie im Text ist nach Ertlers Verständnis der Status des literarischen Textes als Beobachtungsinstanz, der die Aufgabe zufällt, dem System Gesellschaft Auskünfte im Sinne einer Selbstbeobachtung zu übermitteln. Dabei hält er bewußt, daß es sich bei der Literatur und der Ideologie um "verschiedenartige Systeme" (42) handelt, die interagieren (43), deren Vergleichbarkeit aber nicht unmittelbar gegeben ist. Seiner Meinung nach ist das Verhältnis beider "sekundärer modellierender Systeme" (42) ein gegenseitiges Beobachtungsverhältnis: "Literatur wie Ideologie scheint somit wie jedes System gleichzeitig als offenes und geschlossenes System zu fungieren, und zwar insofern, als es zu seiner Umgebung hin offen ist und diese mit eigenen Strukturen, die wiederum auf operationale Geschlossenheit verweisen, prozessieren kann. Beide bilden füreinander ihre Umwelt, beide können das andere als Fremdbeobachtung registrieren." (43)

Er isoliert mögliche Fundstellen von Ideologie (d.h. im weitesten Sinne von wertenden Diskursen) in den Aussagen verschiedener narrativer Instanzen (implied author, voix narrative) und auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Kontexten und Gattungen (44–65). Da "Ideologie wie Literatur heute nur mehr schwer als monofokale, fest umrissene Kategorien zu fassen sind" (37), erweise es "sich heute als klug [...], in diesem Zusammenhang von freischwebenden kontextbezogenen Fokalisierungen denn von eindeutig bestimmbaren Konzepten zu sprechen" (37) und das Verhältnis zwischen beiden durch die Kombination von Theorien mit sehr unterschiedlichen Anwendungsbereichen und Erkenntniszielen zu erhellen, wobei die damit verbundene "Vermengung von Kategorien" (52) in Kauf genommen wird.

Ertlers Vorschlag, der Literatur eine beobachtende Rolle zuzuschreiben, führt auf erzähltheoretischer Ebene zur Neugewichtung bestimmter narrativer Kategorien, allen voran die Instanz des "abstrakten Autors" (47), der für paratextuelle Elemente verantwortlich zeichnet. Eine Neubewertung erfährt auch der point de vue sowie die voix de la narration (47). Er führt zusätzlich einen "Fokus der Wahrnehmung" (51) mit dem Ziel ein, "auch außerhalb von abstraktem Autor, von Erzähler und Figur liegende Differenzierungsvorgänge im literarischen Werk" (53) zu ermitteln. Dieser "Fokus der Wahrnehmung", der "dem poetischen Sprechakt vorgelagert" (51) ist, findet seine Rechtfertigung darin, daß erst die Herstellung "außerliterarischer Bezüge" (52) im Ergebnis "eine gesellschaftsadäquatere Auslegung von Ideologie und deren Bezug zum literarischen System in modernem Kontext wie auch neue Dimensionen in der Behandlung der point-de-vue-Problematik erwarten" (53) läßt. Überlegungen zu Ort und Status ideologischer métarécits innerhalb und außerhalb von Texten sowie zu Thesenromanen schließen sich an. Der Band wird abgerundet durch einen umfassenden Registerteil, der das Auffinden von Textpassagen und Argumentationszusammenhängen wesentlich erleichtert.



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Ertler diskutiert ein grundlegendes Problem literarischer Interpretation und schlägt mit der Integration verschiedener theoretischer Ansätze eine innovative Analyse ideologischer Gehalte von Texten vor. Er interpretiert zehn (wenn man den zum Vergleich herangezogenen Roman Maria Chapdelaine mitzählt) zum Teil selten rezipierte und im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannte frankokanadische Texte, die auf diese Weise dem hiesigen Leser unter der leitenden Frage vorgestellt werden.

Der Autor kommt bei seiner Analyse von ideologischen Positionen zu dem Ergebnis, daß sich die ausgewählten Texte zwar hinsichtlich ihrer Grobstruktur den bestimmenden ideologischen Positionen der Zeit (orthodox vs. liberalistisch) mehr oder weniger anschließen, daß sich aber bei detaillierter Betrachtung vielfältige Bruchlinien und Überschneidungen ergeben. Hinsichtlich der Abweichungen von den vorgegebenen Argumentationsmustern spricht er von einem "zerklüfteten Bild" (393). So läßt sich an den historisch ausgerichteten Texten überraschenderweise nicht nur "eine zaghafte Öffnung hin zur Moderne" (393) nachweisen, wie im Falle von La robe noire von Damase Potvin, sondern Texte wie Né à Québec von Alain Grandbois und Nord-sud von Léo-Paul Desrosiers stellen auch grundlegende wirtschaftliche und soziale Probleme der Zeit dar, in der sie verfaßt wurden. Der Landroman, der gemeinhin als thesenhaft gilt und dem orthodox-nationalistischen métarécit zugeordnet wird, was für den Roman Menaud, maître draveur von Félix-Antoine Savard noch gilt, entpuppt sich in den beiden anderen vom Autor ausgewählten Texten als weitaus differenzierter: In Un homme et son péché von Claude-Henri Grignon wird – so Ertlers überzeugend dargelegte Sicht – eine Auseinandersetzung mit der protestantischen Ethik geführt, die von der bisherigen Kritik übersehen wurde. Zusätzlich diagnostiziert Ertler "städtisch-liberalistische Vektoren" (395), die die den Text bestimmenden Wertungen überlagern. In dem Roman Trente arpents von Ringuet ist es die Instanz des Erzählers, die "sich beiden dominanten métarécits gegenüber skeptisch verhält" (395) und damit dem wirtschaftlichen Wandel der frankokanadischen Gesellschaft, der einen Wertewandel nach sich zieht, Ausdruck verleiht. Der Stadtroman Dilettante von Claude Robillard vertritt selbstbewußt – wenn auch mit kritischen Untertönen – ein liberalistisches, auf die USA ausgerichtetes Wertesystem, und unterscheidet sich damit radikal hinsichtlich der Darstellung der Liebe, des Reichtums und des Luxus von den konservativen agrikulturistischen Romanen der Zeit. Jean-Charles Harveys Roman Les demi-civilisés läßt sich nicht mehr auf eine einheitliche ideologische Position reduzieren. In der Hinwendung des Ich-Erzählers zu der moralisch integren Landbevölkerung und der gleichzeitigen Bejahung einer städtischen Erfolgskarriere läßt sich laut Ertler "das freie Zirkulieren von fiktionalisierten Ideologemen beobachten" (396). Der Stadtroman L'iniciatrice von Rex Desmarchais läßt sich ebenfalls nicht eindeutig in die ideologische Dichotomie der 30er Jahre einordnen. Er wendet sich gegen die zerstörerischen Konsequenzen liberalistischen Handelns und orientiert sich eher an nostalgisch aufgerufenen Werten, die auf Europa verweisen.



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Der Autor macht theoretische Ansätze fruchtbar, die nicht in engerem Sinne narratologisch ausgerichtet sind und löst sich von einer puristischen und exklusiven Methode. Mit der Vielfalt an Beobachtungspositionen, die von den Figuren über gestaffelte Erzähler zum abstrakten Autor weiter zu einem "Fokus der Wahrnehmung" (s.o.) und hin zum realen Autor reichen, dessen "ideologische Aura" und "Verständnisinnigkeit" (213) mit einem métarécit Berücksichtigung finden, kommt er zu einer Fülle von Erkenntnissen, die Anlaß zu weiterführenden Fragen bieten: etwa ob die untersuchten Erzähltexte nur als Reaktion auf bestimmte ideologische Standpunkte ihrer Zeit zu werten sind oder ob sie nicht auch zur Formulierung solcher Standpunkte beitragen. Auch die Frage nach den Berührungspunkten zwischen Erzähltheorie und Systemtheorie könnte sich produktiv auf die textinterpretatorische Praxis auswirken. Ertler geht davon aus, daß sich auch in literarischen Texten Beobachtungsverhältnisse analysieren lassen, die für die Systemtheorie grundlegend sind. Die durch den Autor beobachtete Realität geht ganz unzweifelhaft in die Genese von Texten ein, die sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen. In Texten werden ideologische Positionen dargestellt und sogar vertreten. Ertler geht mit der Ansicht, der Text oder eine Textinstanz beobachte die Wirklichkeit, allerdings weit über den Rahmen der bestehenden Erzähltheorie hinaus.

Er reklamiert einen "dringenden Bedarf an Umstrukturierung" (43) und schlägt mit der Integration systemtheoretischer Konzepte eine solche Innovation insofern vor, als daß dem Text und verschiedenen Textinstanzen eine aktive Beobachterrolle zugeschrieben wird. Diese Zuschreibung könnte allerdings im Hinblick auf die bestehende Erzähltheorie problematisch sein. Aus erzähltheoretischer Perspektive könnte der Aussage "der [...] Roman Dilettante beobachtet den Konflikt der Werte auf literarischer Ebene [...]" (312) widersprochen werden, da es fraglich erscheint, ob und wie Erzähltexte in der Lage sind, die Wirklichkeit zu beobachten. Sicherlich kann ein Text Beobachtungssituationen darstellen – so beobachtet der Protagonist Jérôme im Roman Dilettante seine Umwelt und das Verhalten anderer Protagonisten –, allerdings lassen sich die von den verschiedenen Textinstanzen gemachten Beobachtungen schwerlich unmittelbar mit der Wirklichkeit verrechnen, da ihr Fiktionscharakter der Verifizierbarkeit widerspricht, wie das Hamburger und später Petersen (1993) überzeugend darlegen. Damit sei nicht der Tatsache widersprochen, daß Literatur und Ideologie sich auf vielfältige Weise berühren: "Ideologie als sekundäres modellierendes System reizt mit anderen Worten Literatur als sekundäres modellierendes System und kann auf diese Weise – und nur auf diese Weise – als beobachtetes Phänomen in der Literatur ihren Niederschlag finden." (43) Andererseits ist aber auch die Selbstreferenz der literarischen Darstellung nicht auszublenden.

Auch aus systemlogischen Gründen könnte die Gleichsetzung von Erzählen und Beobachten prekär sein: Ertler bezieht die systemtheoretische Kategorie der Beobachtung, die aus Luhmanns Überlegungen über die Selbstregulierung sozialer Systeme stammt, auch auf die innertextlichen Verhältnisse von Protagonist und dargestellter Welt sowie von Erzähler und Protagonist: "Séraphin registriert den natürlichen zirkularen Ablauf der Natur peinlich genau, wie seinerseits der Erzähler den Protagonisten beobachtet" (266). Hier weist Ertler dem Erzähler, der "das Erzählte strukturiert" (266), eine auf die Diegese gerichtete Beobachtungshaltung zu. Doch bleibt bei der Beobachtung dessen, was der Erzähler selbst doch erst erzählt, die in systemtheoretischer Hinsicht relevante Differenzerfahrung aus, denn der Erzähler kann nur das beobachten, was er gerade erst erzählt hat. Secundum non datur.



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Es ist unbestreitbar ein reizvoller Gedanke, auf abstrakter Ebene von einer Beziehung der "sekundären modellierenden Systeme" (47) Literatur und Ideologie auszugehen, die sich gegenseitig als Umwelt wahrnehmen und aufeinander reagieren, bei der konkreten Textanalyse wird man jedoch aufgrund der Fixiertheit eines Textes Schwierigkeiten haben, ohne eine genaue Analyse seiner Genese seine Reaktion auf die ideologische Umwelt nachzuweisen.

Da die ideologische Umwelt eines Textes eine historisch gewachsene ist, hätte eine Einbettung in eine weiter gespannte historische Perspektive das Fazit der Arbeit deutlich aufgewertet. Es wäre hilfreich gewesen, die Literatur der 30er Jahre wenigstens auf kursorische Weise historisch zu situieren, um den Fortschritt, den sie gemacht hat – "immer größere gesellschaftliche Eigenständigkeit" (397) – nachvollziehbar zu machen. Denn die Fokussierung auf die 30er Jahre blendet literarische Entwicklungen aus, die gerade hinsichtlich der ideologieanalytischen Thesen Ertlers Erwähnung verdient hätten, etwa die Tatsache, daß die ideologische Spaltung der frankokanadischen Gesellschaft bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht und schon weit früher, etwa in dem 1914 erschienenen Stadtroman Le débutant von Arsène Bessette thematisiert wurde, der auch als Beleg für einen frühen frankokanadischen Großstadt- und Schriftstellerroman hätte dienen können (vgl. 308/309). In diesem Zusammenhang sei auf den möglicherweise mißverständlichen Klappentext hingewiesen, der die Lesart erlaubt, der Landroman sei "nach der Wirtschaftskrise von 1929" entstanden. Nicht nur entsteht der Landroman wesentlich früher – der repräsentative Text Maria Chapdelaine erschien 1916, wie auch in der Arbeit nachzulesen ist –, auch ist es fraglich, ob und wie "die frankokanadische Identität [...] im literarischen System spezifische Formen wie den Landroman hervorbrachte." (meine Hervorhebung).

Mißverständlich wird bei der Untersuchung des "roman de la terre" auch der Roman L'étape von Paul Bourget eingeführt, der andernorts in Ertlers Arbeit korrekt charakterisiert wird: Es handelt sich zwar um einen Thesenroman, aber er spielt in der Pariser Bourgeoisie und hat die spirituelle Wandlung eines anfangs atheistischen jungen Mannes zum Thema. Der Zusammenhang läßt an dieser Stelle (229) den Schluß zu, daß es sich dabei wie bei dem ebenfalls genannten Roman La terre qui meurt von René Bazin um einen thesenhaften Landroman handele.

Neben vereinzelten sachlichen Fehlern (so erscheint der Name des Verfassers einer frühen und wichtigen frankokandischen Literaturgeschichte im Text als "Abt Albert Durand", in der dazugehörigen Fußnote wird der Name Albert Dandurand richtig wiedergegeben) begegnen in der theoriegesättigten Darlegung Formulierungen, die im Bild leicht schief und in der Aussage nebulös wirken, wie: "Auf der unteren Diegesisebene zirkuliert das Bewußtsein und die Perzeption des erzählten Ich." (382) Was darf man sich unter einem "Kreuzungspunkt von Argumentationskomplexen" (216), "zirkulierenden Diskursfeldern" (219) und der "nomadisierenden Variante der frankokandischen Mentalität" (220) vorstellen? Wie "stülpen sich [...] Epigraphe über [...] Kapitel" (217)? Was sind "Kreise, die selektiert anschließbar sind" und über die "soziale Kontakte laufen" (223)?



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Überraschend ist auch die metonymische Rede von "politikverdrossenen Diskursen" (226) oder auch: "Aus demselben Diskursfeld ist ein weiterer axiologischer Vektor zu nennen, der in der religiös-nationalistischen Argumentationslinie eine gewichtige Bedeutung mitschleppt." (226) Gestelzt wirkt auch: "Der endogene Nachwuchs spielt für die segmentär differenzierte Bauerngemeinschaft eine nicht unbedeutende phylogenetische Rolle" (271).

Das übermäßig präzisierende und wohl neu geprägte Adjektiv "frankreichfranzösisch" (202) und "frankreichfranzösische Sprache" (214) ließe sich leicht vermeiden: Um die geographische Zugehörigkeit zu kennzeichnen, reichte "französisch" im Gegensatz zu "frankokanadisch", zur Bezeichnung der Sprache verwendet Ertler selbst die Umschreibung "französische Standardsprache" (202), die man gegen "frankokanadische Varietät" setzen könnte.

Einige Ausdrücke werden wohl versehentlich auch in Formen verwendet, die mißverständlich sind: Ein "Isotop" (82, 346, 349, 357) ist die Bezeichnung für eine im Atomgewicht abweichende Form eines chemischen Elements und sollte unterschieden bleiben von dem stilistischen Begriff der Isotopie, den der Autor meint. Hier liegt vermutlich eine Wortbildung analog zum Französischen vor. Ein weiteres Beispiel für eine solche Analogbildung ist die Verwendung des Begriffs "Kollektivität", der auf den frz. Terminus "collectivité" zurückzuführen sein könnte. Im Zusammenhang – "[der Erzähler] unterstreicht die schwierige Situation der frankokanadischen Kollektivität" (214) – geht es weniger um das Abstraktum der "Gemeinschaftlichkeit", als um die Probleme des Kollektivs oder besser der Bevölkerung.

Die so gut wie tippfehlerfreie Arbeit enthält vereinzelte grammatische Fehler, meist im Zusammenhang mit relativischen Anschlüssen. Daher sind folgende Sätze korrekturbedürftig: "Gleichzeitig spielt ein anderer Vektor mit, in dem es sich nicht um landwirtschaftliche Vernunft, sondern um das abenteuerreiche Trapperunternehmen Vincents handelt." (220) "Es handelt sich hierbei um jene emblematische Traumreise ins Wunderland, welcher der US-amerikanischen Konzeption von Kultur [...] bis heute entspricht" (216).

Die kritischen Anmerkungen vermögen den überaus positiven Gesamteindruck dieser Arbeit, der auf der überzeugenden Auswertung der Zeitschriften und der Romane der Dreißiger Jahre und auf der innovativen theoretischen Herangehensweise beruht, nicht zu stören, einer Arbeit, die die Diskussion um ideologieanalytische Textinterpretationen ohne Zweifel wesentlich beleben wird.


Literatur

Petersen, Jürgen H. (1993): Erzählsysteme. Eine Poetik epischer Texte. Stuttgart, Weimar: Metzler.

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