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Rolf Lohse (Göttingen)


Bremmer, Jan und Herman Roodenburg (Hgg.) (1999): Kulturgeschichte des Humors: Von der Antike bis heute. Aus dem Englischen von Kai Brodersen. Darmstadt: Primus.


Der Band Kulturgeschichte des Humors: Von der Antike bis heute enthält zwölf aus dem Englischen übersetzte Beiträge einer 1994 in Amsterdam abgehaltenen Konferenz zu diesem Thema. Wenn der Band auch keine umfassende Kulturgeschichte des Humors im strengen Sinne bietet, tragen die Autoren immerhin interessante Bausteine zu einer solchen zusammen und ergänzen sinnvoll die auf mehrere Hundert, wenn nicht einige Tausend Bände angewachsene Diskussion über den Humor. Einen noch handhabbaren Überblick über diese Schriften erlaubt die ausführliche Forschungsbibliographie (184–95), die dem Band beigegeben ist. Die Autoren nehmen zumeist zu einem punktuellen sozialgeschichtlichen Problem Stellung, das exemplarischen Charakter hat und damit eine ganze Epoche unter der humortheoretischen Fragestellung zu charakterisieren vermag.

Jan Bremmer, der mit Herman Roodenburg auch für das einführende Vorwort verantwortlich zeichnet, beleuchtet in seinem Beitrag ("Witze, Spaßmacher und Witzbücher") verschiedene Aspekte des Humors in der griechischen Antike. An den Beispielen des Spaßmachers, der die Oberschicht beim Gelage mit Witzen unterhielt, und schriftlicher Witzsammlungen zeichnet er ein plastisches Bild der komischen Praxis im antiken Griechenland und stellt konstrastiv dazu die Veränderungen der Einstellungen zum Lachen und zum Humor beim Übergang in die christlich geprägte Antike dar, die sich mit den Stichworten "Zähmung und Widerstand" beschreiben lassen. Diese Stichworte verweisen auf die beiden Autoren, auf die sich alle Beiträger des Bandes mehr oder weniger explizit beziehen: auf Norbert Elias und Michail Bachtin. Während Elias’ Verlaufsmodell des Zivilisationsprozesses sich in mehreren Beiträgen als äußerst brauchbar erweist, übergreifende Veränderungen in den Mentalitäten, dem Verhalten und dem Gefühlshaushalt der Menschen in ihrer widersprüchlichen Ungleichzeitigkeit treffend zu fassen, wird Bachtins Begriff einer karnevalistischen Lachkultur im Mittelalter wiederholt kritisiert. Nichtdestotrotz ist der Bezug auf Bachtin insofern fruchtbar, als sich aus der kritischen Auseinandersetzung mit seinen Überlegungen neue Einsichten ergeben.

Fritz Graf informiert in seinem Beitrag "Cicero, Plautus und das römische Lachen" über die lateinische Theorie des Lachens sowie über die dramatische Praxis. Er legt den Schwerpunkt seiner Überlegungen auf die Frage der Einschränkung der Lachgegenstände sowie auf die bei Cicero und bei Quintilian greifbare rhetorische Funktionalisierung des Lachens. In der dramatischen Praxis – soweit sie sich aus den Texten rekonstruieren läßt – erweist sich das Lachen der Römer als Verlachen von abweichendem Verhalten und damit als konservativ.




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Jacques Le Goff referiert in seinem Beitrag "Lachen im Mittelalter", der seit 1989 mehrfach vorgetragen wurde, die grundsätzlichen Probleme der sozial- und kulturhistorischen Untersuchung des Lachens. Diese persönlich gefaßte Problemdarstellung, die die Prämissen der Arbeit des Historikers definieren hilft, führt zu der differenzierten Betrachtung von normativen Texten (wann soll, darf gelacht werden?) und solchen Texten, die komisch gemeint sind oder das Lachen dokumentieren. Leitend für die Arbeiten Le Goffs und auch weiterer französischer Mittelalterforscher wurde damit die Unterscheidung von "den Werten, den Mentalitäten, den Praktiken und der Ästhetik des Lachens" (45). Anhand der Beispiele der lachenden Könige und Mönche differenziert Le Goff zwischen dem Mittelalter bis etwas zum 10. Jahrhundert und der Zeit danach, die sich durch einen Mentalitätswandel auszeichnet.

Aaron Gurjewitsch erläutert in seinem Beitrag "Bachtin und seine Theorie des Karnevals" eine Reihe von Einwänden gegen Bachtins Theorie. Angesichts der Bedeutung, die Bachtin in der Diskussion des Humors in den vergangenen Dekaden erlangte, verlohnt es sich, einige der Thesen Gurjewitschs zu referieren: Gurjewitsch wendet gegen die These Bachtins, derzufolge es im Mittelalter eine populäre Lachkultur gegeben habe, ein, daß sie sich zu sehr auf nur einen Aspekt des mittelalterlichen Lebens beschränkt (58) und damit ausblendet, daß das mittelalterliche Leben der einfachen Leute von Verängstigung und Furcht geprägt war (60). Demgegenüber stellte die offizielle Seite der mittelalterlichen Kultur, wie sie durch die Kirche vertreten wird, durchaus nicht nur den Pol der agélastoi dar, wie es Bachtins bipolares Schema vorsieht, sondern das Lachen war auch der Kirche nicht fremd. Gurjewitsch kritisiert Bachtins ahistorische Betrachtung des Karnevals, der zu einer überzeitlichen Konstante erklärt und nicht in der späten mittelalterlichen Stadtkultur lokalisiert wird (59). Zudem übersieht Bachtin, daß sich im Karneval nicht nur die groteske Körperlichkeit äußert, sondern daß er auch Elemente des Streits und Grausamkeiten umfassen kann (59). Schließlich stößt sich Gurjewitsch an der allzu schematischen Gegenüberstellung einer Sphäre der Ordnung und einer Sphäre der Unordnung sowie daran, daß Bachtin das Verhältnis von Karneval und Christentum nicht reflektiert (58).

Peter Burke fragt in seinem Beitrag "Grenzen des Komischen im frühneuzeitlichen Italien (um 1350–1750)" nach den Funktionen und den Grenzen des Komischen in Literatur, bildender Kunst und in der sozialen Interaktion. Er konzentriert sich auf die beffa, den Streich, die er im "System der Komik" (64) in Italien zu situieren sucht, die aber – wenn auch in veränderter Form – bis heute fortwirkt. Spielte die beffa in der Renaissance eine herausragende Rolle, so wurde ihr Einfluß im Zuge der Gegenreformation eingedämmt, vor allem dadurch, daß ihr die Funktion zugeschrieben wurde, eine moralische Botschaft zu vermitteln.




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Johan Verberckmoes geht in "Das Komische und die Gegenreformation in den Spanischen Niederlanden" dem Lachen und der Eingrenzung des Lachens während der Gegenreformation in den südlichen Niederlanden nach. Als emblematisch für die Situation sieht er divergierende Gottesvorstellungen an: Neben dem ernsthaften Gott, der das Lachen erst im Himmel zulasse, existierte das Bild des lachenden und durch das Lachen strafenden Gottes (82). Lachen wurde auch als wahrhaft christliche Haltung angesehen. Die Gegenreformation bannte nun das Lachen nicht vollständig, sondern funktionalisierte den Humor für die eigenen Zwecke (84). Des weiteren entstand aufgrund der Trennung des Sakralen vom Profanen ein neues Feld für Humor.

Derek Brewer – selbst Verleger und unzweifelhaft Kenner der Materie – beschreibt in " Schwankbücher in Prosa hauptsächlich aus dem 16.–18. Jahrhundert" den Stellenwert des Schwanks im neuzeitlichen England. Anhand von Zeugnissen Robert Burtons und Samuel Pepys’ untersucht er die Streiche, die man sich in der englischen Gesellschaft spielte und zeigt auf, daß die Schwankbücher ein Teil der literarischen Hochkultur waren, was er an einschlägigen Elementen in Shakespeares Dramen verdeutlicht. Die Tradition des Schwanks, die von Rabelais und Cervantes bis hin zu Pope und Swift führt, ebbt erst im 18. Jahrhundert spürbar ab.

Herman Roodenburg beschreibt in "‘Um angenehm unter den Menschen zu verkehren’: Die Etikette und die Kunst des Scherzens im Holland des 17. Jahrhunderts" das Manuskript der privaten Sammlung von Witzen und Anekdoten des Juristen Aernout van Overbeke. Als einen der herausragenden Aspekte dieses einzigartigen Materials arbeitet Roodenburg die Funktion einer solchen Aufzeichnung als "Werkzeugkiste für die Kunst der Konversation" (123) heraus.

Antoine de Baecque zeigt in seinem informativen Beitrag "Parlamentarische Heiterkeit in der französischen verfassungsgebenden [sic] Versammlung (1789–91)", inwieweit das Lachen der Parlamentarier in der Nationalversammlung zwar auch entspannenden Charakter hatte, die Witze und spitzen Bemerkungen, die es auslösten, zunehmend aber politisch funktionalisiert wurden.

Mary Lee Townsend beschäftigt sich in ihrem Beitrag "Humor und Öffentlichkeit im Deutschland des 19. Jahrhunderts" mit der Figur des Berliner Eckenstehers Nante. Anhand verschiedener Bild- und Textquellen beschreibt sie die Genese dieser Figur und seine – durchaus kritische – Funktion innerhalb der preußischen bürgerlichen Öffentlichkeit. Diese Figur wird von ihr als Indikator der "gesellschaftlichen und politischen Realitäten Deutschlands im 19. Jahrhundert" (165) gelesen.




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In dem abschließenden Beitrag "Humor, Lachen und die Feldforschung: Betrachtungen aus den Blickwinkel der Ethnologie" untersucht Henk Driessen die komplexen Beziehungen zwischen der Ethnologie und dem Humor, die von den – wohl erst im Nachhinein komischen – Mißgeschicken des Feldforschers bis hin zu komischen und durchaus kritischen Darstellungen der Ergebnisse dieser Forschungen reichen.

Der thematisch und methodisch recht heterogene Sammelband bietet eine Reihe von wichtigen und interessanten Untersuchungen über die sozialen und kulturellen Implikationen des Humors zu verschiedenen Zeiten. Damit bereichert er die Diskussion über Humor, Lachen und Komik und lädt ein zur Überprüfung der theoretischen Grundlagen dieses Forschungsgebiets. Angesichts der durchweg geglückten Übersetzung fallen die wenigen Druckfehler – wie etwa die vermutlich humoristisch gemeinten "Geistreicheleichen" (14) – nicht ins Gewicht.

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