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Martina Drescher (Bielefeld)



Rita Franceschini (1998): Riflettere sull'interazione. Un'introduzione alla metacomunicazione e all'analisi conversazionale. Milano: Franco Angeli.



Die linguistische Pragmatik hat in Italien ein insgesamt eher verhaltenes Echo gefunden. Genuin pragmatische Fragestellungen werden v.a. innerhalb des dialektologischen und soziolinguistischen Paradigmas diskutiert.1 Auch textgrammatische sowie sprechakttheoretische Ansätze spielen eine gewisse Rolle.2 Die im deutschen Sprachraum relativ einflußreiche Konversationsanalyse ethnomethodologischer Prägung (analisi conversazionale, AC) fand in Italien bislang jedoch kaum Beachtung. Diese Lücke will die vorliegende Monographie schließen, die in Teilen auf einer Dissertation zu Formen und Funktionen der Metakommunikation im Diskurs aus dem Jahre 1994 beruht. Der Untertitel weist darauf hin, daß die Studie als eine Einführung konzipiert ist, die ein italienisches Publikum mit Prinzipien und Arbeitsweisen der AC vertraut machen und zugleich in das komplexe Gebiet der Metakommunikation einführen will. Die Verbindung dieser beiden Aspekte liegt insofern nahe, als für die AC die Rekonstruktion von Interaktionsstrukturen im Vordergrund steht, wobei ein besonderer Akzent auf den Hinweisen und Sinngebungen der Interaktanten liegt. Unter diesen Hinweisen nimmt Metakommunikation eine Sonderstellung ein, insofern gerade sie in expliziter Weise den Bezug auf Aspekte der Interaktion ermöglicht: "Le attività metacomunicative [...] danno delle descrizioni particolarmente esplicite di quanto accade nell'interazione" (25). Damit wird Metakommunikation zu einem "ottimo oggetto di studio per illustrare il tipo di approccio dell'AC" (47).

Die vorliegende Arbeit ist in vier inhaltliche Kapitel sowie ein kurzes Schlußkapitel untergliedert. Im Anhang enthält sie zudem sechs transkribierte Gesprächsausschnitte, die eine Auswahl aus dem von der Verfasserin herangezogenen empirischen Material darstellen. Der Untersuchung liegt ein Korpus moderierter Gespräche zugrunde, das im Rahmen eines mit Schul- und Erziehungsfragen befaßten italienisch-schweizerischen Ausschusses aufgezeichnet wurde. Es handelt sich um "dibattiti a più persone con una persona nel ruolo di assegnatore di turni" (33).3 Dieser Interaktionstyp erlaubt es zum einen, Einsichten in die Struktur 'polyadischer', d.h. mehr als zwei Sprecher einschließender Interaktionen zu gewinnen. Zum anderen eröffnet er die Möglichkeit, tiefere Einblicke in die komplexe interne Struktur von längeren Redebeiträgen zu erhalten (vgl. 33).4 Für die von der Verfasserin verfolgte Fragestellung dürfte es sich zudem als günstig erweisen, daß die Interaktanten in moderierten, eher formellen Gesprächen in weitaus größerem Maße als in Alltagsinteraktionen auf Metakommunikation rekurrieren, die empirische Basis für das im Fokus stehende Phänomen also breiter ist.




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Dabei ist allerdings kritisch zu bemerken, daß es zwar durchaus legitim ist, vorrangig mit Daten zu arbeiten, die das zu untersuchende Phänomen in vielfältiger und ausgebauter Form enthalten. Allerdings wirft die Begrenzung auf einen gerade mit Blick auf Metakommunikation sehr spezifischen Datentyp auch die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse auf. Da metakommunikative Sequenzen in ihrer Häufigkeit, in ihrer Struktur (vgl. die knappen Hinweise auf 115f.) und erst recht in ihren Funktionen gesprächstypgebunden sein dürften, hätte die exemplarische Berücksichtigung eines Vergleichskorpus – etwa aus alltagssprachlichen, nicht gelenkten Gesprächen bestehend – eine sinnvolle Ergänzung sein können.

Das erste Kapitel gibt eine Einführung in zentrale Konzepte, Arbeitsgebiete und methodische Prinzipien der AC, die in der vorliegenden Monographie primär hinsichtlich ihres Beitrags zu spezifisch linguistischen Fragestellungen diskutiert wird. Konversationsanalytische Untersuchungen gehen von einem radikal konstruktivistischen Verständnis der sozialen Wirklichkeit aus, die von den Interaktanten im Verlaufe ihrer Begegnung gemeinsam hervorgebracht wird. Wesentliches Anliegen der AC ist es, die diesem Prozeß zugrundeliegenden Ordnungsprinzipien aufzudecken, also "di trovare le regolarità, di esplicitare i principi e le procedure che gli interagenti mostrano di seguire" (12). Der Akzent liegt grundsätzlich auf dem wie, d.h. es geht um eine Beschreibung der aus den Daten selbst zu gewinnenden formalen und strukturellen Eigenschaften von Interaktionsverläufen: "Gli etnometodologi si interessano al come gli attori sociali si comportano (verbalmente), non pongono la domanda del perché [...], rifiutando così ogni speculazione psicologica e teorica" (18). Zu den klassischen Arbeitsgebieten der AC zählen die Beschreibung der sequentiellen Ordnung, der Abfolge der Redebeiträge (turn-taking), der turnübergabe-relevanten Stellen, der Adjazenzpaare, der konditionalen Relevanz, der Präferenzstrukturen, der Reparaturverfahren sowie der Hörerorientierung; ihnen widmet die Verfasserin jeweils ein eigenes Unterkapitel.

Unter den theoretischen Grundannahmen der AC spielen die Prinzipien der Reflexivität und der accountability für die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Metakommunikation eine besondere Rolle. Unter den accounts, also den Beschreibungen dessen, was gerade in der Interaktion geschieht, kommt metakommunikativen Äußerungen eine herausgehobene Stellung zu, da diese explizite Bezugnahmen auf Aspekte des Interaktionsgeschehens darstellen: Metakommunikation ist also eine "attività altamente riflessiva" (27), "l'espressione per eccellenza della riflessività dell'agire umano" (47). Ihre Untersuchung bietet einen privilegierten Zugang zur Rekonstruktion interaktiver Ordnungsstrukturen.

Ein weiterer Schwerpunkt des ersten Kapitels liegt auf der Vermittlung konversationsanalytischer Arbeitsweisen und deren Weiterentwicklung im Sinne einer "AC utile per la linguistica" (16). Die Verfasserin grenzt sich ausdrücklich ab von Verfechtern einer 'orthodoxen' AC, die auf vorab definierte Analysekategorien und eine vorgängige Theoriebildung ebenso verzichten wie auf die Verallgemeinerung von Ergebnissen.




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Stattdessen plädiert sie für eine 'aufgeklärte', auf spezifisch linguistische Bedürfnisse zugeschnittene Variante der AC, die auch einen gewissen Eklektizismus nicht scheut. Eine solche linguistische AC "si interesserà sopratutto ai tipi di rapporti fra struttura dell'interazione e struttura linguistica" (27). Sie hat sich von ihren soziologischen Wurzeln weitgehend emanzipiert und behält von den ursprünglichen ethnomethodologischen Prinzipien lediglich die empirische Orientierung und die interaktive Sicht auf sprachstrukturelle Phänomene bei:

Adottando qui l'etichetta analisi conversazionale, non ci si vuole schierare e lasciarsi prendere dallo spirito di parrochia che purtroppo esiste (qui e altrove), come non ci si vuole privare della possibilità di prendere in considerazione altre visuali. Quindi, con analisi conversazionale intenderemo qui quella branca di ricerche linguistiche 1) che si basa su dati di interazioni di vario tipo concretamente avvenute (registrate e trascritte) e 2) che cerca di enucleare le regole (o strutture o principi) da cui i parlanti si lasciano guidare quando interagiscono, a qualsiasi livello linguistico. (21)

Für die Bearbeitung linguistischer Fragestellungen stellt die AC v.a. ein "strumentario empiricamente fondato" (44) zur Verfügung, das gerade bei der Analyse mündlicher Kommunikation von großem Nutzen sein kann.5 Dies gilt in besonderem Maße für die Analyse metakommunikativer Sequenzen, dem inhaltlichen Schwerpunkt dieser Untersuchung, dem die folgenden Kapitel gewidmet sind.

Das zweite Kapitel gibt einen breit angelegten, auch Konzeptionen anderer Disziplinen berücksichtigenden Forschungsüberblick zur Metakommunikation. Nach kurzen Hinweisen auf die philosophische und psychologische Auseinandersetzung mit Metasprache bzw. Metakommunikation wird die linguistische Diskussion aufgerollt, wobei sich die Darstellung nicht an inhaltlichen Kriterien orientiert, sondern weitgehend der Untergliederung nach verschiedenen Wissenschaftskulturen folgt: Die Autorin läßt nacheinander angelsächsische, französische, deutsche und italienische Annäherungen an das Thema Revue passieren. Der Überblick über verschiedene Forschungstraditionen macht deutlich, daß es sich hier um ein ausgesprochen unscharf konturiertes Feld handelt, in dem sehr weit auseinander liegende Auffassungen und Gegenstandskonzeptionen vertreten sind. Anders formuliert: Orientiert man sich primär an der Verwendung von Begriffen wie metasprachlich, metakommunikativ etc., so zeigt sich schnell, daß völlig unterschiedliche sprachliche Phänomene mit diesem Konzept erfaßt werden.

In dem der angelsächsischen Forschung gewidmeten Unterkapitel werden v.a. Arbeiten konversationsanalytischer Prägung im weitesten Sinn diskutiert. Diese beschäftigen sich mit komplexen Gliederungssignalen, Nebensequenzen und Reparaturen oder auch den sogenannten formulations und glossing practices.




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Die französische Tradition, die sich weitgehend innerhalb des logisch-philosophischen Paradigmas bewegt und v.a. durch Arbeiten deduktiven Zuschnitts mit primär klassifikatorischem Interesse geprägt ist, vermag der Dynamik und dem Facettenreichtum mündlicher Metakommunikation nicht gerecht zu werden und bietet daher insgesamt wenig Anknüpfungspunkte. Ganz anders sieht es mit Arbeiten aus dem deutschen Kontext aus, in dem sich letztlich auch die Verfasserin verortet. Metakommunikation wird hier meist von einer kommunikativen bzw. interaktiven Warte aus betrachtet, wobei empirische Analysen als Basis dienen. Stellvertretend für diese Ausrichtung stehen Untersuchungen zu Formulierungsverfahren, speziell zum metadiskursiven Kommentar, die jedoch aufgrund ihrer Bindung an Formulierungsprobleme der Interaktanten nur einen eingeschränkten Bereich von Metakommunikation erfassen. Eine zentrale Rolle kommt den Arbeiten von R. Meyer-Hermann zu, dessen Definition von Metakommunikation von der vorliegenden Untersuchung in leicht modifizierter Form übernommen wird.

Die Beschäftigung mit Metakommunikation innerhalb der italienischen Linguistik weist offenbar nur in geringem Maße eine eigenständige Tradition auf. Vielmehr hat sie sich in enger Auseinandersetzung mit angelsächsischen, französischen und deutschen Modellen entwickelt. Entsprechende Bezüge stellt die Verfasserin an verschiedenen Stellen selbst her (vgl. etwa 88, 89, 93, 94). Daher zeigt sich gerade in diesen Abschnitten in besonders deutlicher Weise die Unzulänglichkeit einer Darstellungsform, die die verschiedenen theoretischen Positionen und Konzeptionen isoliert und den über disziplinäre und wissenschaftskulturelle Grenzen hinausgehenden Austausch nicht angemessen berücksichtigt.6 Hier ist vielmehr zu fragen, welchen Nutzen ein Forschungsüberblick haben kann, der sich wie eine Abfolge von Einzelbesprechungen liest und insgesamt den Eindruck eines sehr heterogenen und durch kaum mehr als eine teilweise identische Begrifflichkeit zusammengehaltenen Gebiets vermittelt. Dem hätte man mit einer stärker selektiven, an inhaltlichen Kriterien orientierten Systematisierung begegnen können, die die relevanten Arbeiten mit einem Fokus auf zentralen Problemen bzw. theoretisch-methodischen Fragen diskutiert. Dies hätte zugleich die Möglichkeit geboten, die trotz sprachlicher und disziplinärer Grenzen bestehenden Diskussionszusammenhänge und theoretisch-methodologischen Verflechtungen zwischen den Vertretern der einzelnen Wissenschaftskulturen herauszustellen.

Das zweite Kapitel schließt mit einer Systematisierung der verschiedenen Auffassungen von Metasprache bzw. -kommunikation, die sich am als wesentliches Merkmal und gemeinsamer Nenner aller zuvor diskutierten Ansätze erscheinenden Konzept der riflessività orientiert (vgl. 95ff.). Daraus entwickelt die Verfasserin die folgende, der Arbeit zugrundeliegende Definition von Metakommuniation:

Un enunciato metacomunicativo è un enunciato il cui tema – cioè l'oggetto al quale l'interlocutore si riferisce e sul quale fa delle predicazioni – è un'interazione verbale (o un suo aspetto verbale) che precede o segue l'enunciato metacomunicativo e che fa parte della stessa unità d'interazione come l'enunciato metacomunicativo stesso. (99)




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Die Stellung dieser Definition im Argumentationsgang der Arbeit überrascht, da sie – entgegen dem immer wieder betonten empirisch-induktiven Zugang – eher einer deduktiven Vorgehensweise entspricht. Offenbar ist sich auch die Verfasserin über diesen Bruch im klaren, denn sie sieht sich veranlaßt, ausdrücklich zu betonen, daß die Definition keineswegs nur "il risultato delle letture critiche appena esposte" sei, sondern v.a. "frutto di analisi approfondite su corpora di italiano parlato di vario tipo" (98). Dennoch entsteht ein Mißverhältnis zwischen dem in Kapitel 1 entwickelten konversationsanalytischen Vorgehen und dem durch den Aufbau und die Art der Darstellung nahegelegten deduktiven Zugang, der auch durch die Wiederaufnahme der Definition im Anschluß an eine erste Strukturbeschreibung in Kapitel 3 nicht aufgehoben wird (vgl. 116). Insofern scheint mir Kapitel 2 auch hinsichtlich seines Stellenwertes im Gesamtaufbau des Buches problematisch. Es wirft zugleich noch einmal die Frage nach dem anvisierten Adressatenkreis auf: Im Rahmen einer als Qualifikationsschrift konzipierten Abhandlung zu Metakommunikation mag ein detaillierter Forschungsüberblick durchaus seine Berechtigung haben. In einer Einführung – und als solche versteht sich das Buch – scheint er mir wenig sinnvoll. Gerade hier wäre ein Problemaufriß, der zentrale Fragestellungen fokussiert, der von der Verfasserin favorisierten Darstellung vorzuziehen gewesen.

Die beiden folgenden empirisch angelegten Kapitel 3 und 4 bilden das eigentliche Kernstück der Arbeit, da die Verfasserin hier die spezifische Arbeitsweise der AC vorführt und zugleich einen Beitrag zu dem bislang weitgehend vernachlässigten Thema der Metakommunikation im gesprochenen Italienisch liefert. Während Kapitel 3 einer Analyse der strukturellen Eigenschaften metakommunikativer Sequenzen (sequenze metacomunicative, SMEC) gewidmet ist, visiert Kapitel 4 eine funktionale Charakterisierung von Metakommunikation an.

In Kapitel 3 beschreibt die Verfasserin formale und inhaltliche Merkmale der SMEC. Zu ersteren gehören die spezifischen sprachlichen Mittel ihrer Realisierung sowie ihre Stellung innerhalb des Redebeitrags. Hier wird insbesondere die Position am Turn-Beginn ausführlich diskutiert (vgl. 103ff.). Auch die SMEC, die im Zusammenhang mit der Rahmung von Nebensequenzen vorkommen, finden Beachtung, während die Stellung am Turn-Ende nicht weiter ausgeführt wird (vgl. 109). Die inhaltliche Bestimmung der SMEC erweist sich als problematisch, zum einen, weil, wie die Verfasserin selbst bemerkt, formale und inhaltliche Aspekte in der Praxis kaum zu trennen sind; zum anderen, weil es m.E. kaum möglich ist, inhaltliche Aspekte auf Strukturmerkmale zurückzuführen. So sind die von der Verfasserin isolierten inhaltlichen Aspekte riflessione del parlato (111ff.) sowie messe a punto (113ff.) kaum strukturell zu beschreiben. Darüber hinaus zeigt sich an dieser Stelle, daß, gerade wenn es um inhaltliche Aspekte geht, auch die Grenze zu einer funktionalen Charakterisierung verwischt.




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Schwierig scheint auch die Bestimmung eindeutiger sprachlicher Indikatoren der Metakommunikation. Die verba dicendi stellen zwar privilegierte, aber keineswegs eindeutige Kandidaten dar. Insofern wäre kritisch zu fragen, ob es überhaupt Sinn hat, spezifische sprachliche Mittel der Metakommunikation zusammenzutragen. Auf jeden Fall ist der Verfasserin zuzustimmen, wenn sie für eine kontextbezogene, holistische Betrachtung dieser Formen plädiert. Als Indikator fungiert wohl kaum je die einzelne Form, sondern nur ihr Gebrauch im Verein mit anderen sprachlichen Mitteln in einem spezifischen Kontext: "I tratti formano [...] una griglia in cui ogni SMEC realizza un determinato numero di essi. Non è stato possibile determinare tratti completamente obbligatori" (116). Unter interaktiven Gesichtspunkten lassen sich die metakommunikativen Sequenzen weiter differenzieren in solche, die auf eigene und solche, die auf fremde Rede Bezug nehmen (auto- vs. etero-riferimento, vgl. 121). Als ein weiterer Typ erscheint der Bezug auf eine gemeinsame Diskurswelt, den sogenannten attore comune. Diese erste Unterscheidung wird durch eine zweite, die Verweisrichtung der SMEC spezifizierende, ergänzt: Den riferimenti prospettivi stehen die riferimenti retrospettivi gegenüber. Durch die Kombination der beiden Kriterien ergeben sich sechs verschiedene Strukturtypen.

Kapitel 4 ist einer funktionalen Charakterisierung metakommunikativer Sequenzen gewidmet. Aufgrund der Multifunktionalität von SMEC, beschränkt sich die Verfasserin auf die Analyse eines bestimmten Funktionstyps, wobei der Akzent entsprechend dem in der Arbeit vertretenen Ansatz auf den interaktiven Funktionen der SMEC liegt. Ein besonderes Augenmerk richtet sich auf die Funktionen der SMEC im Zusammenhang mit der Eröffnung eines Redebeitrags sowie der Themenentwicklung. Dabei zeigt sich, daß die SMEC nicht nur zur Bewältigung einer großen Bandbreite an kommunikativen Aufgaben dienen, sondern auch mehrere dieser Funktionen gleichzeitig erfüllen können. Eine einfache und eindeutige Form-Funktionszuordnung ist also kaum möglich; typisch ist vielmehr ein sincretismo funzionale (125). Als fundamental erweist sich jedoch die organisatorische Funktion, die sowohl auf der formalen wie auch auf der inhaltlich-thematischen Ebene der Interaktion zum Tragen kommt. Unter formalen Gesichtspunkten tragen die SMEC v.a. dazu bei, die Grenzen eines Redebeitrags zu verdeutlichen sowie einen längeren Turn anzukündigen. Diese zweite Funktion wird sehr ausführlich diskutiert und führt zu einer Differenzierung der sequentiellen Positionen am Beginn eines Redebeitrags (vgl. 137). Unter inhaltlichen Gesichtspunkten steht der Beitrag der SMEC zur Themenentwicklung im Vordergrund. Nach Ausführungen zum linguistischen Themenbegriff und seiner Eingrenzung im Sinne eines tema discorsivo als desjenigen Redegegenstandes, dem die größte Aufmerksamkeit der Interaktanten gilt und auf den diese über den einzelnen Turn hinaus Bezug nehmen (vgl. 147), kommt die Verfasserin zur Unterscheidung von fünf thematischen Funktionen. Es sind dies 1. der Themen- bzw. Aktivitätswechsel, 2. die Projektion von (thematischen) Ordnungsstrukturen, 3. der Bezug auf Vorredner bzw. vorgängigen Diskurs (menzioni discorsive) sowie 4. der Kommentar. Neben diesen Funktionen, die offenbar v.a. expandierten SMEC zu eigen sind, werden auch segnali organizzativi brevi diskutiert, die – obgleich nun ein strukturelles Kriterium zum Tragen kommt – als fünfter Funktionstyp zu sehen sind. Diese morphologisch einfachen, den Gliederungssignalen nahestehenden Formen wirken ebenfalls strukturierend, allerdings auf einer eher lokalen Ebene. Die Verfasserin schließt daraus, daß expandierte SMEC einen eher globalen thematischen Fokus haben, während der der einfachen SMEC eher reduziert ist (vgl. 163).7




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Insgesamt bleibt die Analyse der Funktionen von Metakommunikation in Kapitel 4 sehr der Beschreibung ihrer organisatorischen Leistungen verhaftet. Hier hätte man sich gewünscht, daß andere interaktive Funktionen zumindest ansatzweise zur Sprache kämen. Zu denken ist insbesondere an interpersonale Funktionen, die im Zusammenhang mit der Selbstdarstellung der Sprecher und ihrer Beziehungsgestaltung auch in dem hier zugrundegelegten Korpus relevant werden dürften. Themenbezogene Funktionen, die nicht unmittelbar auf organisatorische Aufgaben zurückgeführt werden können, hätten ebenfalls eine größere Beachtung verdient. Der Funktionstyp des Kommentars, der als eine Art chiave di lettura beschrieben wird, mit dessen Hilfe "interpretazioni rispetto al contenuto del testo che precede e/o che segue" (157) vermittelt werden, liefert hier einen ersten Anhaltspunkt.

Trotz einiger kritischer Bemerkungen sei abschließend betont, daß die vorliegende Monographie insgesamt eine empfehlenswerte Lektüre darstellt. Insbesondere das erste Kapitel stellt eine gute, gründlich reflektierte und klar formulierte Einführung in die Ziele und Arbeitsweisen der AC dar, die durch die Analysen in den Kapiteln 3 und 4 in überzeugender Weise illustriert und damit auch für mit diesem Ansatz bislang wenig vertraute Leser nachvollziehbar gemacht wird. Das Verdienst dieses Buches liegt in der gelungenen Synthese von theoretisch-methodischen Fragen und spezifischen inhaltlichen Aspekten. Es gelingt der Verfasserin, am Beispiel der Metakommunikation die heuristischen Möglichkeiten und das analytische Handwerkszeug eines in Italien bislang kaum rezipierten, andernorts jedoch relativ einflußreichen Ansatzes vorzuführen. Damit werden zugleich die Ergebnisse der bisherigen Forschung auf diesen beiden Gebieten einem größeren italienischen Leserkreis zugänglich gemacht. Insofern sie in besonderer Weise die Reziprozität von Interaktions- und Sprachstrukturen herausarbeitet, stellt die vorliegende Untersuchung zudem ein überzeugendes Beispiel des von der Verfasserin in ihrer Schlußbetrachtung thematisierten interactive turn in der Linguistik dar.



Bibliographie

Berruto, Gaetano (1987): Sociolinguistica dell'italiano contemporaneo. Rom: La Nuova Italia Scientifica.

Berruto, Gaetano (1995): Fondamenti di sociolinguistica. Bari: Laterza.

Conte, Maria-Elisabeth (1988): Condizioni di coerenza. Ricerche di linguistica testuale. Firenze: La Nuova Italia.

Holtus, Günter (Hg.) (1989): La dialettologia italiana oggi. Studi offerti a Manlio Cortelazzo. Tübingen: Narr.

Kerbrat-Orecchioni, Catherine und Christian Plantin (Hgg.) (1995): Le trilogue. Lyon: Presses universitaires de Lyon.

Rossari, Corinne (1994): Les opérations de reformulation. Analyse du processus et des marques dans une perspective contrastive français-italien. Bern: Lang.




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Roulet, Eddy et al. (1985): L'articulation du discours en français contemporain. Bern: Lang.

Saussure, Ferdinand de (1981): Cours de linguistique générale. Paris: Payot.

Sbisà, Marina (1984): Atti linguistici, azione, interazione. Triest: Cluet.

Sbisà, Marina (1989): Linguaggio, ragione, interazione: per una teoria pragmatica degli atti linguistici. Bologna: Il Mulino.



Anmerkungen

1 Vgl. exemplarisch Berruto (1987), (1995) sowie Holtus (Hg.) (1989).

2 Vgl. exemplarisch die Arbeiten von Conte (1988) und Sbisà (1984), (1989).

3 Nicht unproblematisch scheint mir allerdings die Annahme der Verfasserin, daß die unterschiedlichen Sitzungen dieses Gremiums mit teilweise wechselnden Teilnehmern als eine zwar diskontinuierliche, aber identische Kommunikationssituation aufzufassen sind (vgl. 103).

4 Für die Analyse solcher polyadischer Interaktionen vgl. auch Kerbrat-Orecchioni/Plantin (Hg.) (1995). Eine differenzierte Beschreibung der internen Struktur komplexer monologischer Einheiten geben auch Arbeiten, die im Umkreis des sog. Genfer Modells von Roulet et al. (1985) entstanden sind; für das Italienische vgl. Rossari (1994). Diese sind allerdings eher einem diskurs- denn einem konversationsanalytischen Zugang verpflichtet.

5 Allerdings ist der Verfasserin nur eingeschränkt zu folgen, wenn sie die Integration konversationsanalytischer Prinzipien in die Linguistik über eine Parallele zu strukturalistischen Konzepten zu legitimieren sucht: "Rivisti da un'angolatura linguistica, i procedimenti e i concetti proposti dall'AC non sembrano poi tanto rivoluzionari come le potevano essere per i sociologi negli anni Sessanta. [...] non si trova neanche molta difficoltà – potendosi ricollegare ai concetti saussuriani di parole o di struttura e prendendo alla lettera il primato del parlato – a seguire le massime sacksiane che postulano order at all points [...], che ricorda fortemente quella del saussuriano système où tout se tient" (42). Der Rekurs auf die Saussuresche Dichotomie von langue und parole und das Primat der gesprochenen Sprache als den Vorläufern einer systematischen Interaktionslinguistik geht sicher zu weit. Denn Saussure war trotz der postulierten Vorherrschaft der gesprochenen Sprache gerade nicht an einer Untersuchung von Phänomenen der parole gelegen, sondern an deren Ausgrenzung aus dem Gebiet der zu konstituierenden Linguistik, die er ausschließlich als eine linguistique de la langue verstand (vgl. Saussure 1981: 38f.).

6 Die Verfasserin führt für ihre Entscheidung in erster Linie Darstellungsgründe an, die teilweise durch eine spezifische Forschungstradition zusätzlich legitimiert seien: "Per fini puramente espositivi, in questa parte la presentazione seguirà un'ingenua suddivisione in aree geografico-linguistiche, aree che a volte riflettono comunque bene le tradizioni di ricerca e di pensiero che specificamente vi si sono sviluppate" (49).

7 Als ein weiterer Punkt wird die Abgrenzung metakommunikativer von performativen Äußerungen diskutiert. Da beide von der sprachlichen Reflexivität Gebrauch machen, stellt sich die Frage: "se i parlanti nell'enunciare degli atti compiono l'atto designato dal verbo nel momento del suo proferimento (uso performativo) o se stanno descrivendo o annunciando un atto futuro (uso non-performativo e potenzialmente metacomunicativo)" (141).

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